Protocol of the Session on March 18, 2009

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 118. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 10. Februar 2009 mitgeteilt, dass Frau Iris Preuß-Buchholz aus der Landesreserveliste der SPD als Nachfolgerin der verstorbenen Abgeordneten Ulrike Apel-Haefs mit Wirkung vom 10. Februar 2009 Mitglied des Landtages geworden ist.

Ich bitte Frau Preuß-Buchholz, nun zu mir zu kommen, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Frau Preuß-Buchholz, ich bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen:

Die Mitglieder des Landtags von NordrheinWestfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.

Sehr geehrte Frau Preuß-Buchholz, ich heiße Sie als neue Abgeordnete in der 14. Wahlperiode herzlich willkommen und wünsche Ihnen viel Glück. Damit sind Sie verpflichtet. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall – Die Anwesenden neh- men ihre Plätze wieder ein.)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

1 Auftakt zum Runden Tisch „Hilfe für Kinder in Not“

Zwischenbericht der Landesregierung

Unterrichtung durch die Landesregierung

Mit Schreiben vom 10. März hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Landtags

plenarsitzung zu obengenanntem Thema zu unterrichten.

Zu einem Zwischenbericht erteile ich Herrn Minister Laumann das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als einkommensarm und damit armutsgefährdet gelten Personen, deren Pro-Kopf-Einkommen weniger als 50 % des Durchschnitteinkommens der Gesamtbevölkerung in NRW beträgt. Dieses Einkommen lag 2007 in Nordrhein-Westfalen bei 1.274 €. Danach sind Einzelpersonen armutsgefährdet, wenn ihr Einkommen weniger als 637 € beträgt. Das betraf im Jahre 2007 2,5 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Konkret bedeutet das: Eine Alleinerziehende mit einem Kind ist armutsgefährdet, wenn sie ein Nettoeinkommen für ihren Haushalt von unter 956 € hat. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern liegt diese Grenze bei 1.720 €.

Arm zu sein heißt aber nicht nur, jeden Euro umdrehen zu müssen. Oft mangelt es auch an Berufs- und Bildungschancen, an sozialen Kontakten, an Anerkennung und an Selbstbewusstsein. Eine Mieterhöhung, eine kaputte Waschmaschine, ein teurer Schulausflug des Kindes, aber vor allen Dingen die Ankündigung eines weiteren Kindes bringen diese Menschen, diese Familien sehr schnell in finanzielle Engpässe. Ich finde schon, dass es ein Thema sein muss – auch in einem Parlament –, dass in unserer Gesellschaft in solchen Einkommensverhältnissen Kinder inzwischen das größte Armutsrisiko sind.

Während 2005 das allgemeine Armutsrisiko in Nordrhein-Westfalen bei 14,3 % lag, ist es 2007 um 0,2 Prozentpunkte gesunken. Allerdings hat sich die Situation bestimmter Personenkreise – vor allem die von Kindern und Jugendlichen, Alleinerziehenden und Migranten – nicht verbessert. Bei diesen Menschen verstetigt sich seit über zehn Jahren die Situation. Geringes Einkommen, mangelnde finanzielle Sicherheit und fehlende Perspektiven schränken die sozialen Teilhabemöglichkeiten der Kinder massiv ein – in der Schule, im Wohnumfeld und bei der Freizeitgestaltung.

Der Sozialbericht 2007, den wir hier im Landtag diskutiert haben, hat mit seinen Ergebnissen dazu beigetragen, dass das Thema Kinderarmut auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde. Mir war damals klar, dass wir die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen aus einkommensarmen Familien aufmerksam und kontinuierlich verfolgen müssen. Deshalb habe ich die Fortsetzung der Sozialberichterstattung in Auftrag gegeben, die Ihnen nun als Bericht prekärer Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen vorliegt. Darauf basiert auch der Bericht zum Runden Tisch „Hilfe für Kinder in Not“, auf den ich jetzt zu sprechen komme.

Unserem Bericht lag dabei ein umfassender Begriff von Armut als ein Mangel an Teilhabe und Verwirklichungschancen zugrunde. Klar wurde, dass sich Armut und ein niedriger sozialer Status der Eltern negativ auf die Gesundheits- und die Bildungsperspektive der Kinder auswirkt. Armut von Kindern und Jugendlichen hat häufig Arbeitslosigkeit und mangelnde Qualifikation der Eltern oder die Arbeit im Niedriglohnbereich zur Ursache.

Kinderarmut hat bei uns in Nordrhein-Westfalen vor allem folgende Gesichter: erstens Alleinerziehende, zweitens Familien mit vielen Kindern, drittens Migrationshintergrund der Eltern. Zwar ist die Zahl der Kinder aus einkommensschwachen Familien in absoluten Zahlen von 815.000 in 2005 auf 776.000 in 2007 gesunken, aber die Armutsquote – und das ist das Entscheidende – liegt bei rund 24 %. In der Gesamtbevölkerung liegt sie bei 14,1 %. Das heißt: Minderjährige tragen nach wie vor ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko. Mit zunehmender Zahl von minderjährigen Kindern, die im Haushalt zu versorgen sind, steigt das Armutsrisiko.

Kinder von Alleinerziehenden sind durchschnittlich häufig von Einkommensarmut betroffen. Dort liegt die Quote bei bei 42,6 %. Das heißt: 42,6 % der Kinder – knapp die Hälfte –, die bei einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater groß werden, gehören zu der Gruppe, die mit weniger als 956 € im Monat auskommen muss.

Die zweitgrößte Gruppe sind die Kinder, die Eltern mit einer Zuwanderungsgeschichte haben. Da liegt die Quote bei 41,4 %.

Der Vergleich zu 2005 zeigt zwar, dass wir schon besser geworden sind, aber auch, dass die Bekämpfung von Armut nicht kurzfristig, sondern nur langfristig erfolgreich sein kann. Wir dürfen in dem Kampf gegen die Armut und soziale Ausgrenzung deshalb einfach nicht nachlassen. Kinderarmut ist ein Thema, das aus meiner Sicht früher nicht genügend Aufmerksamkeit in der Politik gefunden hat. Es wurde bei den Berichten immer darüber geredet, aber es gab kein kontinuierliches Handeln zu diesem Thema.

Ich verstehe das auch, weil ich als Abgeordneter Sozialberichte nun schon lange begleite. Es ist ja nicht schön, über dieses Thema zu sprechen. Es ist auch nicht schön, an diesem Thema dran zu bleiben. Man blendet das gerne aus. Aber ich finde, dass man sich einfach mit den realen Lebensbedingungen von Menschen in diesem Lande – zumindest 2,5 Millionen Menschen – auch hier auseinandersetzen muss.

Deshalb haben wir versucht, dieses Thema stärker in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Wir haben in unserer Landesregierung neue Handlungsansätze und Lösungsstrategien erarbeitet. Deshalb haben wir als nordrhein-westfälische Lan

desregierung den Runden Tisch „Hilfe für Kinder in Not“ ins Leben gerufen.

Die Landesregierung hat als eine Konsequenz aus dem Sozialbericht 2007 klare Schwerpunkte bei der Förderung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Haushalten gesetzt. Ein komplexes Problem wie die Kinderarmut braucht komplexe Lösungen. Aus diesem Grund setzt die Landesregierung auf ein ressortübergreifendes, integriertes präventives Handlungskonzept.

Im Mittelpunkt unserer Politik für die Kinder und Jugendlichen stehen dabei die Politikfelder Bildungspolitik, Familienpolitik und Arbeitsmarktpolitik. Konkret bedeutet das eine bessere Förderung in der Schule – unter anderem auch durch mehr Ganztagsangebote –, ein Ausbau der Betreuungsplätze und der Sprachförderung, die Verbesserung der Früherkennung, den Ausbau sozialer Frühwarnsysteme und einen intensiven Kinderschutz.

Die Einrichtung eines Runden Tisches „Hilfe für Kinder in Not“ beteiligt alle Ministerien der Landesregierung. Mit diesem Runden Tisch will die nordrhein-westfälische Landesregierung vor allen Dingen für Kinder, die in einkommensarmen Familien aufwachsen, neue Perspektiven schaffen. Die Ziele des Runden Tisches sind vor allem: Verbesserung der Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft; Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern; Stärkung gesundheitlicher Prävention; Schutz vor Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt; Entschärfung räumlicher Brennpunkte; Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf; Förderung der Berufstätigkeit der Eltern, vor allem der Frauenerwerbstätigkeit; Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Der Runde Tisch, ein bundesweit bislang einmaliges Projekt, bildet in den teilnehmenden Ministerien die Komplexität der Problemlagen von Kindern und Armut ab. Er macht somit deutlich, dass zur Lösung mehr Ministerien erforderlich sind, nicht nur eines. In dem Bereich „Runder Tisch“ haben wir alle Maßnahmen der Landesregierung zur Vermeidung von Kinderarmut zusammengefasst. Die meisten der Maßnahmen sind ohne Frage nach unserem Regierungsantritt initiiert und ausgebaut worden. Bei vielen Neuerungen, vor allen Dingen im Betreuungs- und Bildungsbereich, hat es einen Quantensprung gegeben.

Beispiel U3: 2005 gab es in Nordrhein-Westfalen 11.836 Betreuungsangebote für die ganz Kleinen. 2009 werden es insgesamt 86.000 Plätze sein. Das bedeutet eine Versiebenfachung der U3-Plätze seit Regierungsantritt. Bis 2010 sind weitere Steigerungen vorgesehen.

Die Landesregierung bringt den Ganztag in die Fläche, um für mehr Bildungsförderung und Chan

cengleichheit sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen:

In den Grundschulen gab es 184.000 Plätze im offenen Ganztag an Grundschulen – zweieinhalbmal so viel wie noch vor drei Jahren. In den anderen Schulen des Primarbereichs gibt es über das Programm „Schule von acht bis eins“ Möglichkeiten für eine verlässliche Betreuung am Vormittag und über das Programm „13 Plus“ Ganztagsangebote in Schulen im ländlichen Raum mit geringem Betreuungsbedarf.

Auch die Qualitätsoffensive Hauptschule zeigt Wirkung. Mittlerweile arbeitet fast jede zweite Hauptschule im Ganztagsbetrieb. In nur drei Jahren wurden bisher 216 erweiterte Ganztagsschulen geschaffen.

Mit der Ganztagsoffensive für die Sekundarstufe I werden jetzt auch Gymnasien und Realschulen zu gebundenen Ganztagsschulen. Es liegen bereits Anträge von 87 Gymnasien und 74 Realschulen vor, von denen bereits 49 Gymnasien und 45 Realschulen zum 1. August 2009 mit dem Ganztag starten werden. Die übrigen folgen zum 1. August 2010. Damit schafft die Landesregierung schon in 2009 und 2010 die personellen Voraussetzungen für insgesamt 216 neue Ganztagsrealschulen und Gymnasien. Das sind fünfmal so viele, wie es bisher in Nordrhein-Westfalen gab.

Darüber hinaus will die Landesregierung eine pädagogische Übermittagbetreuung sowie – je nach Bedarf – Ganztagsangebote an allen weiterführenden Schulen gewährleisten. Eine Schule mittlerer Größe bekommt dann entweder 25.000 € oder wahlweise eine halbe Lehrerstelle. Dieses gilt bereits ab Februar 2009.

Für den Ausbau von Mensen und Aufenthaltsräumen stellt die Landesregierung bis 2010 zusätzlich 100 Millionen € zur Verfügung. Hierfür können die Träger Zuschüsse von jeweils bis zu 100.000 € erhalten.

Die Landesregierung hat 2007 den Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ ins Leben gerufen. Dieser Fonds, der mit Beginn dieses Jahres vom Schulministerium auf mein Haus übertragen wurde, ist ein wichtiges Instrument der Landesregierung zur Bekämpfung der Kinderarmut.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sehr richtig!)

Aktuell nehmen rund 70.000 Kinder den Landesfonds in Anspruch. Im Schuljahr 2007/2008 waren es rund 63.000 Kinder. Auch die Zahl der Schulen, die den Landesfonds nutzen, hat sich erhöht. Während es 3.050 im Schuljahr 2007/2008 waren, sind es aktuell 300 Schulen mehr. Nachdem wir 2007 mit 10 Millionen € für den Landesfonds gestartet sind, umfasst der Etat in diesem Jahr bereits 15 Millionen €.

Mit den vielen Maßnahmen und Betreuungsangeboten, die die Landesregierung initiiert hat, haben wir die Zahl der Kinder unter sechs Jahren – darauf kommt es an –, die vom SGB II betroffen sind, reduzieren können. Waren im Jahre 2007 noch 207.347 Kinder unter sechs Jahren im SGB II, waren es bereits ein Jahr später 4.000 weniger. Aktuell liegt die Zahl bei rund 190.000 Kindern. Das macht deutlich, dass wir langsam vorankommen und auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Aber eine allein erziehende Mutter bekommen wir nur aus der Armut heraus, wenn sie eine gute Betreuung für ihr Kind hat und einen Arbeitsplatz finden kann. Nur diese Möglichkeit gibt es. Deswegen gehen wir in die richtige Richtung.

(Beifall von der CDU)

Die Landesregierung unterstützt mit zahlreichen Programmen und Projekten die Integration in den Arbeitsmarkt. Zum Stichtag 30. September 2008 konnten zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen rund 132.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen werden. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, den Ausbildungsstand von Lehrlingen im ersten Lehrjahr zu erhöhen: rund 20.000 mehr als 2005. Das hat auch mit dem Aufschwung zu tun – ganz klar. Aber es ist einfach toll, 20.000 Lehrlinge im ersten Lehrjahr mehr zu haben als noch vor einigen Jahren.

Dazu haben wir auch Beiträge geleistet, zum Beispiel mit dem eingeführten Projekt „3. Weg in der Berufsausbildung“. In dieser modularen Ausbildung sind mittlerweile über 900 Kinder, die sonst keine Perspektive auf Ausbildung in unserem Land gehabt hätten.

Wir haben auch das Werkstattjahr, ein Programm, an dem inzwischen über 15.000 Jugendliche teilgenommen haben. Dafür wenden wir auch in diesem Jahr wieder über 27 Millionen € für Schüler auf, für die es vorher nach der Schule überhaupt kein Angebot in Nordrhein-Westfalen gab. Denn das Werkstattjahr ist für diejenigen, die keine Lehrstelle haben und für die es kein Angebot der Bundesagentur für Arbeit gibt. Das Werkstattjahr ist also in der Rangfolge ein völlig nachgelagertes Angebot, und trotzdem verzeichnen wir im ersten Jahr weit über 5.000 Kinder in diesem Angebot.

Wir haben uns die Integration von Lernbehinderten fest vorgenommen – ein Thema, über das leider auch in den Bildungsdebatten nie gesprochen wird. Im letzten Jahr sind aus den Schulen für Lernbehinderte alleine in Nordrhein-Westfalen 7.250 Kinder entlassen worden. Davon haben 3.360 ein Angebot wahrgenommen, nach der Berufsvorbereitung in die Lehre zu gehen. Das ist die Hälfte. Wir wollen jetzt als Landesregierung wissen, wo die andere Hälfte bleibt. Es kann ja nicht sein, dass 3.360 verschwinden. Wo sind die? Wir wissen darüber relativ wenig. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass wir nach