Protocol of the Session on April 6, 2006

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich heiße Sie zur 26. Sitzung des Landtages von Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Auch heute haben wir, wie man unschwer erkennen kann, ein Geburtstagskind. Herr Vizepräsident Dr. Michael Vesper feiert heute seinen 54. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 zum staatlichen Sportwettenmonopol

Antrag der Fraktion der SPD gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

In Verbindung damit:

Wettmonopol des Staates: Der Landesgesetzgeber muss jetzt handeln!

Eilantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/1591

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 3. April 2006 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. In Verbindung damit diskutieren wir den ebenfalls mit Schreiben vom 3. April 2006 von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragten Eilantrag.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion dem Kollegen Garbrecht das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben seitens der SPD-Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir gerne wissen wollen, welche

Konsequenzen die nordrhein-westfälische Landesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. März 2006 zum staatlichen Wettmonopol zu ziehen gedenkt. Verbunden damit ist der Eilantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den wir im Zusammenhang diskutieren.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist etwas anders ausgegangen, als sich viele, zumindest einige, erhofft haben. Einige sahen schon die Aufhebung des Wettmonopols herangereift, und einige haben auch ihr Handeln danach ausgerichtet.

Der Innenminister dieses Landes unterband jegliches kommunales Handeln gegen die illegalen Wettbüros. Ich selbst komme aus einer Stadt, in der es 42 Wettbüros gibt, die gerne gegen diese inflationäre Entwicklung von Wettbüros eingeschritten wären, aufgrund der Weisung des Innenministeriums aber leider davon abgehalten wurden. Überall schossen sie aus dem Boden wie Pilze bei feuchtem Sommerwetter. Die entsprechende Weisung, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, entsprach praktisch einer Einladung zur Eröffnung eines Wettbüros. War das nur zum Schutz der Kommunen vor möglichen Schadenersatzforderungen seitens der Wettbürobetreiber? Das jetzige Schweigen des FDP-geführten Innenministeriums zu diesem Thema lässt auch Spielraum für andere Interpretationen. Seit über einem Jahr ist diese Weisung in Kraft. Ich frage hier und jetzt: Wann wird sie endlich aufgehoben?

Ganz anders handelt die bayerische Staatsregierung. – Allerdings habe ich heute von der FDP gelesen, dass die Orientierung an Bayern, jedenfalls was die Kindergärten betrifft, nicht unbedingt auf Zustimmung stößt. – Die bayerische Staatsregierung hat auf das Urteil umgehend reagiert und geantwortet. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich aus der Pressemitteilung des bayerischen Innenministeriums vom 28. März:

„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt … keinen Zweifel, was Recht und Unrecht ist: ‚Die Sicherheitsbehörden können damit wieder effektiv gegen illegale Sportwettangebote vorgehen, von kleinen Wettbüros bis hin zu den Werbeformaten in Stadion und TV.’“

Herr Innenminister, wir von der SPD möchten nun gerne wissen: Welche Haltung hat die nordrheinwestfälische Landesregierung? Ist die Weisung an die Kommunen, nicht gegen die illegalen Wettbüros vorzugehen, aufgehoben? Wann können die Kommunen im Land dem Recht in NRW wieder Geltung verschaffen? Die Bitte der Gerichte, die

wir sehr wohl kennen, keine Ordnungsverfügungen in Erwartung eines Urteils zu vollziehen, ist seit dem 28. März wohl hinfällig. Jedes weitere Zögern der Landesregierung lässt Zweifel daran aufkommen, welchen ordnungspolitischen Weg NRW zukünftig beschreiten wird.

Der Ministerpräsident konnte in der „Westpol“Sendung am vergangenen Sonntag durchaus so verstanden werden, als wolle er am staatlichen Wettmonopol festhalten und nicht den Weg der Freigabe gehen. Wir hätten aber gerne eine Erklärung im Landtag und nicht via Medien, welchen Weg NRW geht: ob es bei der Beibehaltung des staatlichen Wettmonopols bleibt oder ob die völlige Liberalisierung des Wettmarktes angestrebt ist. Soll es auch hier nach der Devise „Privat vor Staat“ gehen?

Wir Sozialdemokraten wollen am staatlichen Wettmonopol festhalten. Wenn die NRW-Landesregierung diese Auffassung teilt, dann fragen wir Sie: Wie setzen Sie die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes um? Die lautet:

„Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.“

Weiter heißt es in der Urteilsbegründung unter Randziffer 149:

„Will der Gesetzgeber an einem staatlichen Wettmonopol festhalten, muss er dieses konsequent am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettleidenschaft ausrichten.“

Wir fragen uns, wie es sich, wenn das Land am staatlichen Wettmonopol festhalten will, damit verträgt, dass Nordrhein-Westfalen die bestehende Landesfachstelle gegen Glücksspielsucht – im Übrigen ein deutliches Plus gegenüber allen anderen Bundesländern – nicht ausbaut, sondern mit anderen Beratungsangeboten zusammenlegt und die entsprechenden Mittel sogar noch kürzt.

(Beifall von der SPD)

Auf die Nachfrage, wie sich dies mit den zu ziehenden Konsequenzen aus dem Urteil verträgt, kam in der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 29. März die lapidare Antwort: Daran halten wir fest. – Meine Damen und Herren, so setzen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht um. Nicht Kürzung ist in diesem Bereich angesagt, sondern Ausbau!

Wir fragen: Wie soll sichergestellt werden, dass die sozialen, sportlichen und kulturellen Belange in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin in gewohntem Umfang aus den Erträgen der Wetten gefördert werden?

Herr Dr. Wolf, Sie haben hier heute Gelegenheit – die Landesregierung ist nur durch den Innenminister vertreten; die anderen Damen und Herren scheint dieses Thema eher am Rande zu interessieren –, Zweifel zu zerstreuen und klar darzulegen, welche Konsequenzen Nordrhein-Westfalen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zieht. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Garbrecht. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Dr. Vesper.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal herzlichen Dank für die freundlichen Geburtstagswünsche! Es ist in den 16 Jahren meiner Zugehörigkeit zum Parlament das erste Mal, dass ich mit Ihnen gemeinsam an einem Plenartag meinen Geburtstag feiern darf. Umso erfreulicher ist das für mich. Vielen Dank!

(Allgemeiner Beifall – Svenja Schulze [SPD]: Das wird aber teuer!)

Ja, das ist dann möglicherweise die teurere Variante des Geburtstags.

Meine Damen und Herren, wieder einmal hat uns das Bundesverfassungsgericht überrascht – diesmal aber angenehm.

Herr Garbrecht hat gerade dargestellt, was nicht alles schon an die Wand gemalt worden war: Das Gericht werde das Lotteriewesen freigeben und damit dem neoliberalen Trend huldigen. Das staatliche Monopol werde fallen. Jeder könne künftig nach Lust und Laune Wetten veranstalten. Deutschland Wett- und Lottoland! – Das war doch die allgemeine Erwartung. Für manche war es eine Hoffnung – für viele eine Befürchtung, vor allem für die Träger gemeinnütziger Einrichtungen, die teilweise aus den Konzessionsabgaben der staatlichen Lotterien finanziert werden.

Das Gericht hat all diesen Erwartungen nicht entsprochen, sondern es hat eine sehr kluge Entscheidung getroffen: ein grundsätzliches Ja zum staatlichen Wettmonopol, aber ausdrücklich gekoppelt an das, was des Staates ist, nämlich nicht Gewinnmaximierung, sondern Durchsetzung des allgemeinen Wohls.

Mit anderen Worten: Nur wenn der Staat im Alltag auch das praktisch umsetzt, was er sonntags theoretisch verkündet, also nur dann, wenn er sein Monopol wirksam dazu einsetzt, die Spielsucht nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu bekämpfen, nur dann ist dieses Monopol verfassungsgemäß. Trägt er hingegen die Bekämpfung der Spielsucht nur wie eine Monstranz vor sich her, um in Wahrheit seine fiskalischen Interessen zu verfolgen und abzusichern, dann ist das Monopol perdu. Dann haben auch andere Anbieter grundsätzlich das Recht, Wetten anzubieten. – So lautet der Doppelbeschluss des Gerichtes. Und diesen Doppelbeschluss halte ich im Unterschied zu manch anderen Doppelbeschlüssen in der Vergangenheit für richtig.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Das Gericht gibt uns allen mit seiner Entscheidung aber auch ein ansehnliches Päckchen an Hausaufgaben auf. Zunächst müssen wir uns für einen der beiden zulässigen Wege entscheiden: hie eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Wettmonopols, da eine Öffnung für private Anbieter auf einer neu zu schaffenden gesetzlichen Grundlage.

Wir sind eindeutig für den erstgenannten Weg. Und ich hoffe sehr, dass wir uns in diesem Hause da einig sind und dass sich diese klare Position dann auch in den übrigen Ländern und im Bund durchsetzt.

Wer die Entscheidungsgründe des Gerichtes aufmerksam liest, findet eine Menge Argumente für diesen Weg. Es ist einfach vernünftig und zur Vermeidung und Begrenzung der Spielsucht geboten, den Markt für Wetten und Spiele eben nicht grenzenlos zu öffnen. Eine solche Öffnung würde nicht nur den Kampf gegen die Spielsucht zu einer aussichtslosen Angelegenheit machen, nein, sie würde auch ins Mark ehrenamtlicher Tätigkeiten in Sport und Kultur, in Wohlfahrtspflege, Umwelt und Naturschutz gehen. Für deren Arbeit sind die Zweckerträge und die Konzessionsabgaben unverzichtbar.

In diesen begünstigten Organisationen, meine Damen und Herren, die wir mit dem hübschen deutschen Wort „Destinatäre“ umschreiben, sind allein in Nordrhein-Westfalen über eine Million Männer und Frauen ehrenamtlich aktiv. Über zehn Millionen Menschen werden durch diese Organisationen in Nordrhein-Westfalen betreut. Dieses Engagement – das sage ich ganz klar – müssen wir bei unserer Entscheidung im Blick haben. Dieses Engagement, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht gefährden.

Ich war damals ja an den schwierigen Entscheidungen zur Aufteilung der Wetterträge der nicht mehr ganz so neuen Oddsetwette beteiligt, und ich weiß deshalb, wie essenziell notwendig diese Mittel für das Allgemeinwohl sind. Ich fand es damals gut, dass sich der Sport – namentlich der Deutsche Fußballbund – zur Oddsetwette bekannt hat.

Umso mehr habe ich mich geärgert – und ich ärgere mich auch heute gelegentlich –, wenn ich Fußballstadien besucht und gesehen habe, wie dort für konkurrierende private Wettanbieter geworben wird, und das auch noch mit dem Argument, dass bei diesen privaten Anbietern die Quoten besser seien. Warum sind sie denn besser? Weil die privaten Anbieter derzeit eben nicht einen Teil ihrer Gewinne für das Gemeinwohl verwenden! Oddset hat also wegen der Konzessionsabgaben und Zweckerträge einen eingebauten Standortnachteil gegenüber den privaten Anbietern gehabt.

Und genau damit, meine Damen und Herren, ist jetzt Schluss. Endlich gibt es Klarheit für alle Beteiligten. Endlich ist festgeschrieben, dass der Staat unter den im Urteil genannten Bedingungen private Wetten und Lotterien verbieten und unterbinden kann, dass er aber – wenn er sie denn zulässt und damit den zweiten eben gekennzeichneten Weg geht – Hürden aufbauen kann und muss, die zu einer Gleichbehandlung staatlicher und privater Wetten und Lotterien führen. Es kann jedenfalls nicht länger so sein, dass sich private Anbieter von den Zielen des Allgemeinwohls einfach verabschieden und so bessere Quoten anbieten können.

Wir fordern die Landesregierung auf, in diesem Sinne jetzt schnell zu handeln. Wir fordern einen begründeten staatlichen Ordnungsrahmen zur Genehmigung und Durchführung von Glücksspielen und Wetten, der der Vermeidung und Bekämpfung der Spielsucht den notwendigen Platz einräumt.

Und genau in diesen Zusammenhang gehört auch die Unterstützung des Ehrenamtes, nämlich im Sinne der Prävention. Darum werden wir auch sehr genau beobachten, meine Damen und Herren, welche Änderungen der bislang üblichen Verfahrenswege die Landesregierung anstrebt. In diesem Zusammenhang hat Herr Garbrecht nicht ganz Recht, wenn er vermutet, dass sich nur Herr Wolf für die Wettfragen interessiert.