Protocol of the Session on June 21, 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zur 33. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich entschuldige mich für die kleine Verzögerung. Wir hatten eine Ältestenratsitzung, die etwas länger als geplant gedauert hat. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zwölf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden dem Protokoll beigefügt.

Wir haben heute ein Geburtstagskind unter uns, und zwar hat unser Finanzminister Geburtstag. Er wird 64 Jahre alt.

(Allgemeiner Beifall)

Ist er denn schon da? – Nein, dann werden wir ihm gratulieren, wenn er anwesend ist.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Er rechnet noch nach!)

Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Für einen unverkrampften Patriotismus – Gegen die Verunglimpfung der deutschen Nationalhymne

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

Die Fraktion der CDU und die Fraktion der FDP haben mit Schreiben vom 19. Juni 2006 zum oben genannten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Dr. Sternberg von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In meinem Garten weht seit dem 9. Juni eine schwarz-rot-goldene Fahne mit einem Fußball in der Mitte.

(Beifall von der CDU)

Nicht ich habe sie aufgestellt, sondern sie gehört zur Fanausrüstung unserer Kinder, und dazu gehören auch entsprechende Schminkstreifen im Gesicht. Dass am Auto noch kein Deutschlandwimpel weht, ist nur der Intervention der Eltern zu verdanken.

Meine Damen und Herren, wir erleben zurzeit einen unverkrampften Umgang mit deutschen Fahnen, mit den Farben Schwarz, Rot, Gold. All das ist heiter, fröhlich und entspannt, ist Teil der Begeisterung für die deutsche Fußballmannschaft und das Ergebnis der WM in Deutschland. Und sicherlich ist das vor allem eine Angelegenheit der Fans genauso wie Blau-Weiß oder Schwarz-Gelb in anderen Zeiten.

Trotzdem lohnt der Blick auf das, was da geschieht: Heiterkeit und Gelassenheit im Umgang mit dem schwersten unserer nationalen Themen – das ist neu, und das überrascht. Da wird – wie man das eher aus England gewohnt ist – nationaler Chauvinismus zum selbstironischen Spiel. Was da passiert, ist nicht triumphalistisch, ist nicht nationalistisch, und vor allem ist es nicht zugleich das Herabsetzen anderer.

Da zeigt sich ein Patriotismus als Liebe zum eigenen Land, fröhlich dokumentiert, und so erwirbt man sich auch das Vertrauen anderer Länder, denen es ungeheuer ist, dass sich die Deutschen bislang so schwer mit ihrer Liebe zur Heimat tun.

„Liebe zur Heimat“: Sein Land zu lieben – so wurde einmal gesagt –, heiße ja nicht, vorbehaltlos zu lieben, sondern eher trotzdem zu lieben, ähnlich wie bei Kindern, die man sich auch nicht aussuchen kann. Und es gilt: Keiner ist in diesen Tagen des Patriotismus genötigt, das so mitzumachen. Wie sagte doch unser Integrationsminister Laschet in einem Interview in der „Westdeutschen Allgemeinen“ am 20. Juni 2006 so schön: Es gibt keine Patriotismuspflicht. – Auch das kennzeichnet eine freie Gesellschaft.

Allerdings, meine Damen und Herren, ist das für alle überraschend. Die Berufsbedenkenträger hatten sich noch gar nicht ihr abschließendes Urteil gebildet, da holte die GEW – in den Wochen der Rechtsradikalismusdebatte losgetreten – eine Aktion ein, hinsichtlich derer sie sich selber vor dem Hintergrund, wie schnell sich die Zeiten in zwei Wochen ändern können, verwundert die Augen reibt. Denn am 7. Juni hatte der Bundesverband gemeinsam mit dem hessischen Landesverband eine Broschüre von 1991 neu aufgelegt und mit einem durchaus knackigen Vorwort versehen, in dem die Nationalhymne heftig kritisiert wird.

Jetzt, zwei Wochen später, rudert der Vorsitzende – er ist mittlerweile aus dem Ausland zurück –, nicht zuletzt auf Druck aus eigenen Reihen, kräftig zurück, aber die Kritik an dieser Miesmacherei ist verständlicherweise längst laut und die Debatte in vollem Gang. Denn in den letzten beiden Wochen hat sich viel getan.

Meine Damen und Herren, zu den Symbolen unseres Landes gehört neben den republikanischen Farben aus dem Vormärz auch die Hymne, das „Lied der Deutschen“. Da geht es nicht um eine nur scheinbar formale Angelegenheit – da kommen Inhalte ins Spiel.

Die GEW-Kritik wird sehr deutlich. Sie wird übrigens von dem Vorsitzenden auch nicht zurückgenommen.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Schlimm!)

Es heißt, die Hymne sei ein furchtbares Loblied auf die deutsche Nation und das Deutschlandlied gehöre ins Museum. Die Gewerkschaft der Bildungsverantwortlichen wolle sich gegen Stimmungen des Nationalismus wehren und der „deutschen Leitkultur“ entgegenstemmen. In einer Presseerklärung heißt es gar, es gehe gegen eine „christlich-deutsche Leitkultur“, obwohl der Bundestagspräsident und die, die sich in dieser wichtigen Debatte angeschlossen haben, normalerweise kein einziges dieser Adjektive verwenden.

Wer sollen übrigens jene bestimmten Politiker sein, die angeblich die erste Strophe des Deutschlandliedes propagieren?

Das Lied der Deutschen hat bekanntermaßen der Dichter Hoffmann aus Fallersleben bei Braunschweig 1841 auf Helgoland gedichtet. Es war die vorrevolutionäre Vision eines großen offenen Bundes, eines Kulturraums, keineswegs imperialistisch gedacht. Ein Jahr darauf wurde übrigens dieser Hoffmann von Fallersleben, wie er sich nannte, wegen seiner kleinen politischen Lieder aus dem Staatsdienst entfernt und musste seine Heimat verlassen.

Erst nach 1871, nach der kleindeutschen Reichsgründung, wurde das Lied überhaupt zur Affirmation eines Staatsgebildes. Aber erst durch Friedrich Ebert in der ersten sozialdemokratischen Regierung der Weimarer Republik wurde das Lied zur Nationalhymne. In den 20er-Jahren wurde auch eine zu Recht vergessene vierte Strophe gedichtet.

Unsere Probleme damit rühren natürlich aus den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945. Das Lied durfte in diesen Jahren nur mit der ersten Strophe gesungen werden. Diese erste Strophe diente als

Präludium für das Horst-Wessel-Lied. 1952 genehmigte Theodor Heuss die neue alte Hymne vor allem für diplomatische offizielle Zwecke. Erst 1991 haben in einem Briefwechsel Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl die dritte Strophe des Liedes zur Nationalhymne erklärt. Es heißt in dem Brief von Weizsäcker:

„Die dritte Stophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes hat sich bewährt. Sie bringt die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, als Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft verpflichtet fühlen.“

Einigkeit und Recht und Freiheit heißt übersetzt auch Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit – die demokratischen Grundwerte schlechthin.

(Beifall von CDU und FDP)

In der Fassung der französischen Revolution lauten sie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es sind die Werte der Demokratie, es sind die besten Traditionen Deutschlands und Europas.

Meine Damen und Herren, Flagge und Hymne sind ein Identifikationsangebot. Ein Patriotismus als Selbstachtung und Selbstvergewisserung lässt alle, die hier leben, daran teilhaben. Gestern Nachmittag sah ich hier in Düsseldorf am Bahnhof eine ältere Frau mit Kopftuch und bodenlangem Mantel, offensichtlich eine türkisch-stämmige Frau, mit einem Deutschlandwimpel in der Hand. Das fand ich sehr schön. Wir erwarten von den Menschen, die hier schon länger leben, die Akzeptanz einer Werteordnung. Es reicht eben nicht, wenn nur noch das Portemonnaie den letzten allgemein gültigen Wert eines Landes darstellt. Es geht um Werte. Aber diese Wertevermittlung und Integration gelingt nur über Emotionen.

Wir erleben in diesen Tagen, dass unsere kulturelle Identität nicht, wie in früheren Zeiten vermutet, vor allem ausgrenzt, sondern einlädt. Diese Grundregeln des demokratischen Staates werden im Deutschlandlied in Erinnerung gerufen. Das ist alles andere als überholt, das ist höchst aktuell. Denn diese Werte sind das Angebot an Menschen, die mit uns zusammenleben, ebenso wie der Auftrag derer, die den Staat gestalten.

Wo Einigkeit und Recht und Freiheit verwirklicht werden, da ist ein glückliches Land. Sie sind Unterpfand des Glücks. Singen wir das Lied bewusst und gern mit und fordern wir die Lehrerinnen und Lehrer auf, es in den Schulen zu lehren und zu singen!

Da geht es um das große Glück; aber wenn die deutsche Mannschaft so gut weiterspielt wie gestern und vielleicht sogar ins Finale kommen sollte,

ist das auf einer anderen Ebene auch ein Glück, über das wir uns ganz unbelastet freuen dürfen. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Dr. Sternberg. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Lindner.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft hat Verdi gegen die gelockerten Ladenöffnungszeiten geklagt. Gewerkschaftsfunktionäre wollten unseren Gästen und den heimischen Fans gewissermaßen die Ladentür vor der Nase zuschlagen.

Ich habe gedacht, dies sei der Höhepunkt in einem auch ansonsten an gewerkschaftspolitischen Peinlichkeiten wahrlich nicht armen Jahr, aber weit gefehlt. Wie gestern freuen wir uns über Fans, die fröhlich mit unserer Mannschaft fiebern, die die deutsche Flagge schwenken und unverkrampft die deutsche Nationalhymne singen, um unser Team zu motivieren und um ihre Zugehörigkeit zum sportlichen Deutschland zu dokumentieren.

In diesen Tagen fällt der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft nichts anderes ein, als einen 17 Jahre alten Text zu „Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Lobliedes auf die deutsche Nation“ – so der Titel – aus dem Giftschrank zu holen. Die deutsche Nationalhymne sei, so wird dort notiert, „Zeichen großdeutscher und imperialistischer Bestrebungen“. Es hat sich aber gezeigt, dass nicht nur die Broschüre, sondern auch die Gewerkschaftsführung von vorgestern ist.

(Beifall von FDP und CDU)

Im erst Mitte Mai dieses Jahres verfassten Vorwort zur Neuauflage macht sich der Bundesvorsitzende erneut die Forderung zu Eigen, dass die deutsche Nationalhymne ins Museum gehöre. Das ist eine an intellektueller Schlichtzeit kaum zu überbietende Position.

(Beifall von FDP und CDU)

Schwerer wiegt aber, dass im gleichen Vorwort Fußballweltmeisterschaft und die Nationalhymne mit „Stimmungen des Nationalismus“ in Verbindung gebracht werden. Diese Assoziation ist aber nicht nur unreflektiert, sie ist skandalös. Wir lassen uns von Gewerkschaftsfunktionären nicht den fröhlichen Patriotismus dieser Tage mies machen.

(Beifall von FDP und CDU)

Seit gestern befindet sich die GEW auf dem ungeordneten Rückzug. Ihr Bundesvorsitzender hat sich für Missverständnisse entschuldigt. Plötzlich war alles nicht mehr so gemeint, wie es gedruckt worden ist. Eine klare inhaltliche Distanzierung von der Broschüre steht allerdings aus. Auch die GEW in Nordrhein-Westfalen hat sich bislang nicht klar distanziert. Sie hat gestern lediglich wissen lassen, dass diese Debatte im Landtag überflüssig sei,