Sarah Buddeberg

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Last Statements

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung ist ja in aller Munde, aber sie bleibt in der Politik – auch in der sächsischen – immer noch ein wenig mystisch oder besser gesagt „müsstich“ im Sinne von „darum müsste ich mich auch mal ein wenig kümmern“.
Das klingt so weit alles ganz solide. Das Problem ist nur, dass uns die Zeit davonläuft. Die Digitalisierung steht nicht vor der Tür und wartet darauf, dass wir sie hereinlassen – sie ist bereits in vollem Gange, und wir hinken mit den Maßnahmen hinterher. Das ist der Kern des Problems.
Mit der Digitalisierung der Arbeitswelt sind ganz weitreichende Veränderungen verbunden. Das betrifft Arbeitsabläufe, Tätigkeiten, Qualifikationsanforderungen und
ganze Berufsbilder. Die Erwerbsarbeit verändert sich ganz grundsätzlich. Das kann durchaus positive Auswirkungen haben wie beispielsweise die bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Auf der anderen Seite stehen aber auch die steigende Verdichtung der Arbeit und zunehmende Arbeitsbelastung.
Auch die Gefahr von Kontrolle und Überwachung sowie Fragen des Datenschutzes spielen eine große Rolle. Es stellt sich gar nicht die Frage, ob wir das alles schön finden oder ob wir das mögen. Es stellt sich nur die Frage, ob wir die Chance nutzen, indem wir die negativen Auswirkungen schmälern und die positiven verstärken. Deshalb ist die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen entscheidend.
Jetzt komme ich zur Besonderheit unserer Großen Anfrage. Wir haben eben nicht einfach nur Fragen zur Digitalisierung der Arbeitswelt gestellt, sondern uns ganz bewusst auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen fokussiert. Es war gar nicht allein unsere Initiative, vielmehr sind wir dabei einer Bitte des Landesfrauenrats nachgekommen. Denn im Juni 2017 richtete der Landesfrauenrat Sachsen die Bundeskonferenz der Landesfrauenräte hier in Dresden aus. Danach erging ein Schreiben an unsere Fraktion. Ich vermute, auch die anderen demokratischen Fraktionen haben dieses Schreiben bekommen. Ich zitiere daraus: „Die Auswirkungen der Digitalisierung im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit sind noch schwer vorherzusehen. Fest steht, dass insbesondere Frauen von den Veränderungen betroffen sein werden. Die Digitalisierung bietet viele Chancen, birgt aber auch speziell für Frauen große Risiken. Wir bitten die Fraktion im Sächsischen Landtag um Unterstützung des Antrages der Konferenz der Landesfrauenräte, unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen von Frauen bei der Arbeit 4.0 aktiv zu verhindern, damit Frauen in einer sich wandelnden Arbeitswelt gleiche Chancen haben wie Männer.“
Dieser Bitte sind wir also nachgekommen und haben als einen ersten Schritt eine Große Anfrage zum Thema „Geschlechtsspezifische Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeitswelt“ der Staatsregierung zur Beantwortung vorgelegt. Die Antworten wiederum sind ernüchternd. Zum einen wird deutlich, dass die Staatsregierung keine einheitliche Strategie zum Umgang mit Digitalisierung in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen, also im öffentlichen Dienst, hat. Bei der Abfrage von Gesundheitsschutz, Einhaltung der Arbeitsrechte, Anreize für Möglichkeiten zum Beispiel des zeitlich oder örtlich flexiblen Arbeitens oder zu geteilten Kosten waren die Antworten aus den einzelnen Ressorts so bunt und so unterschiedlich wie ein Wimmelbild. Hier in Sachsen würde man sagen: Jedes Ressort muddelt vor sich hin. Eine Steuerung findet nicht statt. In Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit gibt es keinerlei Daten, keinerlei Wissen, ja, ich möchte sagen, keinerlei Interesse der Staatsregierung. Der Minister ist ja auch gerade gar nicht da.
Kein Wunder also, dass ein Großteil der Fragen unbeantwortet blieb. Dabei böte der Umbruch der Arbeitswelt doch die Chance, bestehende Missstände aufzubrechen, vor allem in Bezug auf Geschlechterhierarchien. Der sächsische Arbeitsmarkt ist im Hinblick auf die Branchen nach wie vor sehr rollentypisch. In den MINT-Berufen, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, arbeiten zu großer Mehrheit Männer – in den SAGE-Berufen, also in den Bereichen
soziale Arbeit, haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit, Pflege und Erziehung, zu großer Mehrheit Frauen. Hier wirkt sich die Digitalisierung ganz unterschiedlich aus. Zum Beispiel weist Ver.di darauf hin, dass sich die Einkommenslücke, der sogenannte Gender-Pay-Gap, sogar noch vergrößern könnte, weil bei den von Substituierung bedrohten Berufen die Einkommenslücke kleiner ist. Fallen diese weg, bleiben die größeren Lücken übrig. Es ist erschreckend, dass die Staatsregierung generell keine ausreichende Antwort auf die Herausforderungen des Arbeitsmarktes 4.0 zu haben scheint.
Was die Geschlechterspezifik angeht, so sieht es in Sachsen wieder einmal ganz schön düster aus. Dabei hat jüngst erst der Frauenförderbericht aufgezeigt, wie unterschiedlich die Arbeitswelten von Männern und Frauen auch im öffentlichen Dienst sind. 2016, als die Digitalisierungsstrategie der Staatsregierung vorgelegt wurde, legte der DGB eine Beschäftigungsumfrage vor, die interessant war und aus der man einige Daten hätte ablesen können; denn dieser kommt zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung der Arbeit bei Frauen sogar häufiger zu einer Zunahme der Arbeitsbelastung führt als bei Männern. Über die Hälfte der weiblichen Beschäftigten gibt an, dass die Arbeitsbelastung durch den Einsatz digitaler Techniken gestiegen ist, während sich für den größten Teil der Befragten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht verbessert hat. Frauen profitieren also nicht automatisch vom Digitalisierungsprozess der Arbeit.
Umso wichtiger ist eine geschlechterbezogene Perspektive auf die Prozesse der Digitalisierung von Arbeit. Wichtig ist dabei ein umfassender Arbeitsbegriff, der es ermöglicht, die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die bezahlte Erwerbsarbeit, aber auch auf die Pflege- und Sorgearbeit besser zu erfassen.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Jede neue Technologie kann Anlass sein, Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln. Die Digitalisierung bietet die Chance, Machtverhältnisse und Rollenverteilung aufzubrechen und Arbeitsteilung neu zu denken. Wir sollten die Chance der Digitalisierung nicht ungenutzt lassen, auch und schon gar nicht im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit.
Vielen Dank.
– Ja, genau. Ich möchte eine Kurzintervention auf den Redebeitrag von Kollegen Homann machen. – Ich wollte nur kurz darauf eingehen, warum wir die Große Anfrage, auch wenn sie aus dem August letzten Jahres ist, erst jetzt ins Plenum gezogen haben. Das liegt daran, dass wir in jedem Plenum maximal eine Große Anfrage behandeln und dass es dann nicht jeweils eine Große Anfrage einer Fraktion ist, sondern dass wir uns abwechseln. Das heißt, dass wir nur in jedem dritten Plenum eine Große Anfrage ziehen können – dann auch nur eine einzige – und uns in der Fraktion zwischen einer großen Themenbreite entscheiden müssen, welche Themen wir hier setzen. Wir wären sehr froh, wenn das geändert werden würde. Dann müsste die Geschäftsordnung in der nächsten Legislaturperiode angefasst werden. Wir würden uns dann sehr über die Unterstützung der SPD freuen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe inhaltlich die wichtigsten Punkte für den Entschließungsantrag schon vorgetragen – und, nein, ich halte ihn natürlich nicht für überflüssig. Ich sage auch gleich noch kurz, warum.
Ich möchte mich aber zunächst auch für die wirklich spannende Diskussion unter den demokratischen Fraktionen bedanken.
Sie haben ja nicht nur von Frau Meier von den GRÜNEN und von uns natürlich, sondern auch vom Koalitionspartner SPD viele Gründe dafür gehört, warum diese Große Anfrage nötig war, und deswegen ergibt sich daraus, warum der Entschließungsantrag nötig ist.
Ich möchte noch eins hinzufügen: dass es wichtig ist, bei der Umsetzung dieses Antrages – sollten wir ihn heute doch beschließen – darauf zu achten, die weibliche Perspektive tatsächlich auch einzubeziehen; also nicht wieder Männer über die geschlechtsspezifischen Auswirkungen reden zu lassen, sondern Frauen. Wenn ich dann von meinem Kollegen Brünler höre, dass sich bei der Konferenz „Arbeit 4.0“ am 28.03.2019 wieder nur eine Frau aufs Podium verirrt hat, dann ist das auch ein Teil des Problems, denn wir werden diese weibliche Perspektive nur dann wirklich in die Überlegungen einbeziehen, wenn sie auch laut wird und auch auf den Podien mit gehört wird.
Ich bitte Sie sehr, dem Entschließungsantrag zuzustimmen und keine Zeit mehr verstreichen zu lassen. Dann würde ich vorschlagen, dass die leider nicht anwesenden Ministerinnen und Minister Dulig und Köpping das gemeinsam zur Chefinnen- und Chefsache machen, weil das genau die Kooperation ist, die an dieser Stelle fehlt.
Einen Punkt möchte ich doch noch sagen, der ganz deutlich macht, warum dieser Entschließungsantrag alles andere als überflüssig ist: Es waren nicht die Fragen unspezifisch gestellt, sondern es gibt einfach in so vielen Bereichen keine geschlechtsspezifischen Angaben. Darauf bezieht sich ja Punkt II.5, dass die Geschlechterperspektive grundsätzlich in alle Studien, Analysen und Untersuchungen zur Digitalisierung der Arbeitswelt aufzunehmen ist. Würden wir das tun, dann könnten wir natürlich mit einem ganz anderen Datenmaterial viel besser gegensteuern und dann würden die Handlungsoptionen auf jeden Fall auf der Hand liegen.
Insofern bitte ich sehr um Zustimmung.
Ich möchte ebenfalls eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 94 der Geschäftsordnung abgeben.
Ich habe gegen das Polizeigesetz gestimmt, weil Minderheiten überall auf der Welt als erste Leidtragende das verschärfte Polizeigesetz zu spüren bekommen. Ein Polizeigesetz, das alle unter Generalverdacht stellt, macht besonders diejenigen verletzlich, die ohnehin als Minderheit diskriminiert sind.
Das gilt für Racial Profiling, aber es gilt auch für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intergeschlechtliche.
Ich möchte an einen Fall erinnern, der gerade durch die Presse gegangen ist. 2016 wurde in Köln am Rande des Christopher-Street-Day ein Schwuler aufgefordert, ein Schnellrestaurant zu verlassen. Als er nicht darauf reagierte, wurde er von Beamten bewusstlos geschlagen – ohne Belehrung. Er ist weiterhin schlimm behandelt worden und wurde auf dem Weg zum Polizeipräsidium homofeindlich beleidigt. Zuletzt wurde ihm auch noch ohne richterlichen Beschluss Blut abgenommen. Das Verfahren gegen die Polizeibeamten ist von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
Wer jetzt sagt, dass sei in Köln passiert und nicht in Sachsen, dem oder der empfehle ich einen Blick in den Sachsenmonitor, aber auch in das Vielfaltsbarometer der Robert-Bosch-Stiftung, wo Sachsen in Sachen Homofeindlichkeit auf dem traurigen letzten Platz gelandet ist.
Auch Vielfalt muss vor falscher Verdächtigung geschützt werden. Dafür braucht es nicht mehr Befugnisse, sondern eine unabhängige Beschwerdestelle.
Deswegen habe ich gegen das Polizeigesetz gestimmt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Wir stellen auch offiziell diesen Antrag.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute in zwei Wochen, am 28. März, findet der diesjährige Girls‘Day statt. Die Idee dieses Tages ist es, Mädchen und jungen Frauen für einen Tag Einblick in männerdominierte Berufsfelder zu ermöglichen. Deswegen beteiligen wir uns als Fraktion DIE LINKE jedes Jahr am Girls‘Day, so auch in zwei Wochen. Ebenso machen es auch SPD und die GRÜNEN.
Das freut mich zu hören! Denn Politik, insbesondere parlamentarische Politik – –
Ich höre, die CDU beteiligt sich auch. Das war mir nicht bekannt. Das freut mich, denn Politik, insbesondere parlamentarische Politik, ist nach wie vor ein männerdominiertes Feld, und das hat ja dann auch die CDU erkannt, wenn sie den Girls‘Day mit durchführt. Frauen sind in deutschen Parlamenten unterrepräsentiert. Im Sächsischen Landtag liegt der Frauenanteil – man kann sich hier auch aktuell umschauen – bei 33 %. Das ist so ziemlich die Schallmauer, viel weiter waren wir noch nicht. Gleichzeitig sind es natürlich magere Zahlen. Selbst diese Zahlen sind nicht das Ergebnis einer selbstverständlichen Beteiligung von Frauen in Parteien und Politik. Es ist den Parteien zu verdanken, die eine selbstverpflichtende Quote festgeschrieben haben.
Aber es gibt Hoffnungen, es gibt neue Initiativen, und selbst in der CDU bewegt sich allmählich etwas, allerdings nicht durch progressive Männer, die ihre Macht teilen wollen, sondern durch engagierte weibliche Mit
glieder, die ihre Rechte einfordern. In Sachsen probte der Frauenverband der CDU den Aufstand, weil die Frauen bei der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten zu Landtagswahlen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dennoch ist das Ergebnis der Debatte meiner Meinung nach wenig zufriedenstellend, denn es gibt in der CDU nach wie vor nur eine weiche Regelung. Die Erfahrung zeigt, dass Sollvorschriften in den Parteien ungefähr so wirkungsvoll sind wie die Selbstverpflichtung von DAXKonzernen, den Frauenanteil in den Vorständen zu erhöhen. Das ist ein zäher Weg ohne große Erfolgsaussichten.
Wir können uns nicht auf die Einsicht der Parteien verlassen. Wenn wir den Missstand der mangelnden Beteiligung von Frauen in der Politik beenden wollen, dann brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Deshalb legen wir heute den Entwurf für ein sächsisches Parité-Gesetz vor. Es sieht vor, eine verbindliche gesetzliche Quote für alle Parteien einzuführen. Das heißt, die Landeslisten zur Landtagswahl sind nur noch zulässig, wenn die Listenplätze abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt sind. Große Aufregung bei der CDU! Das ist keine Sonderbehandlung von Frauen, sondern das ist die Herstellung von Chancengleichheit. Wenn Frauen nicht nominiert sind, dann können sie natürlich auch nicht gewählt werden. Die Parteien und die Listenaufstellung sind hier also der Flaschenhals. Hier müssen wir ansetzen.
Der Maßstab kann dabei übrigens nicht sein, wie viele Frauen in den Parteien Mitglieder sind, sondern der Anteil von Frauen in der Bevölkerung, und das sind mehr als 50 %. Eine solche gesetzlich festgeschriebene Quotierung hat zwei Effekte: erstens, dass sich der Frauenanteil in den Parlamenten signifikant erhöht – das ist ja klar –, und zweitens führt er zwangsläufig dazu, dass Parteien und Parteiarbeit für Frauen attraktiver werden müssen. Wenn Parteien darauf angewiesen sind, ebenso viele Frauen wie Männer für eine Kandidatur zu gewinnen, werden sie sich bei der Nachwuchsarbeit viel mehr auf Frauen konzentrieren. Sie müssen also über Beteiligungsmöglichkeiten reden, über Diskussionskultur, und die Sitzungszeiten so verändern, dass diese attraktiver für Frauen werden, Stichwort Familienfreundlichkeit. Das ist ein großer Mehrwert eines solchen Gesetzes, der dem gesamten Politikbetrieb guttun würde.
In der Auseinandersetzung um das Brandenburger ParitéGesetz wird immer wieder angeführt, es sei verfassungsfeindlich. Fakt ist, dass es dazu unterschiedliche juristische Auffassungen gibt. Die Frage der Verfassungskonformität ist nämlich noch gar nicht gerichtlich geklärt. Es gibt einen juristischen Streit darüber, welches Rechtsgut eigentlich schwerer wiegt, die Selbstorganisation der Parteien oder das grundgesetzlich verankerte Gleichstellungsgebot. Gegen das Brandenburger Gesetz, das wissen wohl einige, ist eine Klage angekündigt, übrigens von Piraten und Jungliberalen. Das ist sicher kein Zufall, denn beides sind Parteien und Organisationen, in denen sich bekanntermaßen hauptsächlich Männer engagieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich auf die paritätisch besetzten Landeslisten. Das kann nur ein erster Schritt sein, in einem zweiten Schritt müsste eine paritätische Besetzung der Direktwahlkreise erfolgen. Auch das ist schon in der Diskussion. Der eben beschriebene Effekt von quotierten Listen, die Frauenförderung in den Parteistrukturen, könnte so schon eine Auswirkung auf die Direktwahlkreise haben. Wenn nämlich mehr Frauen verantwortungsvolle Positionen in den Parteien übernehmen und Mandate gewinnen, dann werden diese in den Wahlkreisen antreten und sich auch durchsetzen können. Zudem wäre es mutig und revolutionär für Sachsen, überhaupt erst einmal die Listen ausgewogen mit Männern und Frauen zu besetzen.
Ich möchte noch einen Punkt hervorheben. Die Frauenquote ist kein Selbstzweck, denn die Perspektive von Frauen in den Parlamenten ist unerlässlich. Das zeigt ein Blick in die Geschichte. Dass im Grundgesetz die Gleichberechtigung von Frauen und Männern festgeschrieben ist, wurde gegen großen Widerstand von den vier weiblichen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates erkämpft. Als das Grundgesetz um den Verfassungsauftrag der Gleichstellung erweitert wurde, ging dies ebenfalls auf die Hartnäckigkeit von Frauen im männerdominierten Bundestag zurück.
Erst 1997 – immer wieder erschreckend, dass das wirklich noch nicht lange her ist – wurde die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung und ohne die interfraktionelle Zusammenarbeit der Frauen wäre dieses Vorhaben wohl gescheitert. Die jüngste Errungenschaft, nämlich die Reformierung des Sexualstrafrechts, die endlich den Grundsatz „Nein heißt nein“ juristisch festschreibt, geht ebenfalls auf den langjährigen Kampf von Frauen inner- und außerhalb des Parlaments zurück.
Auch im vergangenen Monat gab es in Berlin ein Treffen weiblicher Abgeordneter aller demokratischen Fraktionen im Bundestag. Ziel war der Austausch zur fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit zu Themen, die vor allem Frauen betreffen. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt – Sie werden es erraten – war der Austausch zu einer Initiative für ein Parité-Gesetz. Die Parité ist also in aller Munde.
Ich habe kürzlich einen Artikel gelesen, überschrieben mit dem Titel „Ein langer Weg zu Gleichberechtigung und Gleichstellung“. Auf den ersten Blick hätte man denken können, es sei ein Artikel über das Parité-Gesetz, aber tatsächlich ist es die Überschrift im aktuellen „Landtagskurier“, also im Informationsblatt des Sächsischen Landtags. Berichtet wird über die Eröffnung der Ausstellung im Bürgerfoyer zu 100 Jahre Frauenwahlrecht. Die Parallele liegt auf der Hand. Das Frauenwahlrecht musste gegen große Widerstände erkämpft werden, und nach hundert Jahren ist immer noch keine gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen erreicht. Deshalb sagen wir: Hundert Jahre Frauenwahlrecht – Zeit für Parité. Dafür haben wir den entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es liegt an Ihnen, die Zeichen der Zeit zu
erkennen. Wir wollen jedenfalls nicht noch einmal hundert Jahre warten.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nein, ich gebe meine Rede nicht zu Protokoll. Zum einen ist es, glaube ich, erst kurz vor 21 Uhr, und ich hätte die Rede auch um Mitternacht gehalten oder noch später.
Wichtiger ist aber: Der vorliegende Bericht erfordert eine ernsthafte Debatte. Das ist nicht etwas, was wir einfach durchwinken können oder sollten.
Davon abgesehen sollten wir uns als Parlament schon ein bisschen ernst nehmen. Das Plenum dient der Debatte und
der politischen Auseinandersetzung. Deshalb treffen wir uns hier – dachte ich jedenfalls – und tragen Argumente vor, begeben uns in politischen Streit um die richtige Entscheidung. Wenn die Reden aber alle zu Protokoll gegeben werden, wird genau das verunmöglicht. Dann führen wir nur noch Scheindebatten.
Ich würde gerne einmal aus Spaß abfragen, wer von Ihnen die zu Protokoll gegebenen Reden eigentlich im Nachgang noch liest und dann vielleicht sogar auf die Kollegin oder den Kollegen zugeht.
Wenn wir die Tagesordnung absehbar nicht schaffen – heute schaffen wir sie ja; aber das liegt genau daran –, dann sollten wir vielleicht lieber über einen dritten Plenartag nachdenken. Das wäre sicher auch eher im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung und der Fraktionen.
Zum Fünften Frauenförderungsbericht – Bericht zur Umsetzung des Sächsischen Frauenförderungsgesetzes sowie zur Situation von Frauen im öffentlichen Dienst. Vor einem Jahr postete Ministerin Köpping zum Frauentag ein Bild, auf dem zu lesen war: „Wir setzen uns ein für Sachsens Frauen, zum Beispiel mit dem Frauenförderbericht, einem modernen Gleichstellungsgesetz oder der Gründerinnen-Förderung im ländlichen Raum.“ Ich schätze die Arbeit von Frau Köpping sehr, aber diese Beispiele waren im Rückblick, sagen wir einmal, unglücklich gewählt.
§ 17 des Frauenförderungsgesetzes schreibt fest: „Die Staatsregierung legt dem Landtag alle vier Jahre einen Erfahrungsbericht über die Situation der Frauen in den in § 1 genannten Verwaltungen und über die Anwendung dieses Gesetzes vor. Die Staatsministerien haben dazu die erforderlichen Angaben zu machen.“ Der letzte Bericht – also der vierte – stammt aus dem Jahr 2012. Es ist nicht schwer auszurechnen, dass der fünfte Bericht – also der vorliegende – 2016 hätte vorgelegt werden müssen. Er erreicht uns also mit drei Jahren Verspätung.
Wurde er vielleicht vergessen? Das kann eigentlich nicht sein, denn wir haben mittels Kleiner Anfragen hartnäckig nachgehakt: einmal im Juli 2017, dann noch einmal im Oktober 2017 und im März 2018. Dann ist es uns ein bisschen zu bunt geworden. Wir haben im Dezember 2018 als Fraktion DIE LINKE einen Antrag gestellt mit dem Titel: „Staatsregierung darf gesetzliche Berichtspflicht nicht länger verletzen – Fünften Frauenförderbericht Sachsen endlich vorlegen!“ Tatsächlich: Einen Monat später wurde der Bericht vorgelegt, im Januar 2019. „Links wirkt“, habe ich schon im Ausschuss gesagt. Aber drei Jahre verschleppt wurde er trotzdem.
Er liegt jetzt vor – gerade noch so, dass die Vierjahresfrist bis zum nächsten Bericht nicht verstrichen ist. Das zur Genese. Nun liegt der mit Spannung erwartete Bericht
also vor. Ein Grund zum Feiern ist das allerdings nicht; im Gegenteil. Er macht deutlich, was wir bereits befürchtet haben: Es gibt dramatischen Handlungsbedarf.
Das Frauenförderungsgesetz dient, wie der Name sagt, der Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst. Deshalb ist festgeschrieben, dass die Dienststellen der Unterrepräsentanz von Frauen entgegenzuwirken haben. Das ist keine neue Aufgabe, denn das Frauenförderungsgesetz gibt es schon seit 1994. Seit dem letzten Bericht sind inzwischen sieben Jahre vergangen. Umso erschreckender ist, dass eine Verbesserung nicht festzustellen ist.
Im Hinblick auf die Beschäftigtenzahlen insgesamt steht es gut um die Beschäftigung von Frauen im öffentlichen Dienst – knapp 66 %, also zwei Drittel, sind weiblich. Der öffentliche Dienst ist damit nach wie vor ein wichtiger Beschäftigungssektor für Frauen in Sachsen. Umso erschreckender, dass trotzdem auch hier eine Reproduktion der ungleichen Geschlechterverhältnisse festzustellen ist. Einfach gesagt: Je höher die Führungsebene, desto geringer der Frauenanteil.
Frauen können im öffentlichen Dienst also beruflich Fuß fassen, aber auch hier stoßen sie an die allseits bekannte gläserne Decke. Der massiven Unterrepräsentanz von Frauen in den obersten Führungsebenen steht auf der anderen Seite eine massive Überrepräsentanz von Frauen in Teilzeitbeschäftigung und bei Beurlaubungen ohne Bezüge gegenüber.
Die absolute Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, während auf der anderen Seite immer mehr Männer in die Vollzeitbeschäftigung kamen. Ich möchte jetzt nicht hören, dass diese Frauen sich alle freiwillig für Teilzeit entschieden haben. Das mag ja sein, aber was gern als Freiwilligkeit verkauft wird, hat doch immer wieder dieselben Gründe: schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Übernahme von Sorgearbeit.
Folgen sind ein geringerer Verdienst und fehlende Rentenpunkte. Beides führt nicht selten zu wirtschaftlicher Abhängigkeit. Auf die Höhe der Rente wirkt es sich selbstverständlich ebenfalls aus.
Auffällig ist auch, dass die Möglichkeit zu Teilzeitarbeit in den obersten Leitungspositionen faktisch nicht besteht, obwohl dies im Gesetz ausdrücklich aufgeführt ist. Das legt eine Vermutung nahe: Wer zum Beispiel aus familiären Gründen Teilzeit arbeitet, hat automatisch schlechtere Aufstiegschancen.
Ein ähnlich drastisches Bild zeigt sich bei Beurlaubungen ohne Bezüge. Hier liegt der Frauenanteil bei 86 %. Erfahrungsgemäß ist der Grund hierfür in der Regel Familien- bzw. Pflegetätigkeit.
Ein letzter statistischer Punkt, der das desaströse Gesamtbild vervollständigt: Auch beim Beamtenstatus gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Im öffentlichen Dienst arbeiten, wie gesagt, ungefähr zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Bei den
Beamtinnen und Beamten liegt die Zahl der Männer aber bei 56 %.
Auch hier spricht der Vergleich mit den Zahlen von 2007 Bände. Wenn es wirklich einmal den ernsthaften Versuch gab, hier gegenzulenken, dann ist dieser Versuch grandios gescheitert.
Zuletzt noch ein Wort zu den Frauenförderplänen, die die Grundlage für den Frauenförderbericht bilden. Diese Berichte gehören zu den wichtigsten Instrumenten des Frauenförderungsgesetzes. Man muss den vorliegenden Bericht nicht einmal sehr intensiv lesen – da reicht eigentlich durchblättern –, um festzustellen, dass die Dienststellen dieser gesetzlichen Vorgabe offenbar nicht oder nur sehr unzureichend nachgekommen sind.
Die Analyse, die mit diesem Bericht vorgelegt worden ist, lässt sich nicht schönreden. Das hat Ministerin Köpping auch gar nicht erst versucht. In ihrer Pressemitteilung vom 15. Januar 2019, nachdem der Bericht im Kabinett vorgestellt wurde, lässt sie verlauten: „Der Frauenförderbericht zeigt, dass die bereits im vorigen Bericht festgestellten geschlechtsspezifischen Ungleichheiten nach wie vor vorhanden sind.“ Weiter: „Nur reden allein nützt nichts. Das zeigt das Ergebnis des Frauenförderberichtes. Wenn wir nicht endlich gemeinsam die Ungerechtigkeiten angehen und das Gleichstellungsgesetz verabschieden, dann werden wir auch noch im nächsten und übernächsten Frauenförderbericht sehen, dass Frauen im öffentlichen Dienst in Sachsen keine Spitzenposition einnehmen.“
Frau Köpping, ich gebe Ihnen völlig recht. Nur ist kurz nach dieser Pressemitteilung das Gleichstellungsgesetz beerdigt worden. Teilen der Staatsregierung und der Regierungsfraktion CDU ist die Gleichstellung nach wie vor völlig egal. Da werden munter Berichte verschleppt, gesetzliche Vorgaben missachtet und Koalitionsversprechen gebrochen.
Deshalb müssen wir den Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion und der Regierung noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Gleichstellungspolitik ist kein soziales Hobby, sondern ein Verfassungsgebot.
Wenn Sie das zwischenzeitlich vergessen haben, dann googeln Sie doch bitte noch einmal die Sächsische Verfassung, Artikel 8 – als kleiner Hinweis. Wahlweise hilft auch ein Blick ins Grundgesetz.
Das Frauenförderungsgesetz ist wirkungslos, weil es keine Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Ein modernes Gleichstellungsgesetz wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Deshalb ist es heute das Mindeste, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, zu dem ich inhaltlich schon alles gesagt habe und der also schon eingebracht ist.
Der Antrag fordert nichts als die Umsetzung geltenden Rechts und gesetzlicher Pflichten. Deswegen tun Sie gut daran, ihm zuzustimmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Präsident! Dann beantrage ich jetzt noch einmal ordentlich punktweise Abstimmung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hier wurde bereits ausgeführt, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwei wesentliche Defizite im sächsischen Wahlrecht behoben werden sollen. Es handelt sich zum einen um die Abschaffung der pauschalen Wahlrechtsausschlüsse für Menschen, bei denen zur Besorgung aller Angelegenheiten eine gesetzliche Betreuung bestellt ist, sowie für Menschen, die aufgrund einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Straftat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.
Außerdem geht es im Gesetzentwurf um das Treffen weiterer, insbesondere verbindlicherer Vorkehrungen, um einer Vielzahl von Menschen, die zwar formal nicht ausgeschlossen sind, aber ihr Wahlrecht zum Beispiel wegen einer Beeinträchtigung dennoch nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen können, die Teilnahme am Wahlgeschehen tatsächlich zu ermöglichen.
Unsere Fraktion hatte die vage Hoffnung – Herr Dierks, Sie haben es schon angesprochen –, dass die oben genannten Defizite durch den von der Staatsregierung seit Längerem angekündigten Gesetzentwurf für ein Inklusionsgesetz aufgegriffen und beseitigt werden würden. Aber bekanntlich liegt dieser immer noch nicht vor. Wir wären, ehrlich gesagt, nicht einmal überrascht, aber durchaus sehr enttäuscht, wenn mit dem Inklusionsgesetz das Gleiche passiert wie mit dem Gleichstellungsgesetz, also dem Ersatz für das alte Frauenfördergesetz. Da wurde nun endgültig offenbar, dass die Vorlage an einer konservativen Regierungsmehrheit scheiterte und der Gesetzentwurf in dieser Wahlperiode trotz Vereinbarung im Koalitionsvertrag dem Landtag nicht mehr vorgelegt wird.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum ersten Schwerpunkt des in Rede stehenden Gesetzentwurfes, das heißt, zur Abschaffung der pauschalen Wahlrechtsausschlüsse. Das Deutsche Institut für Menschen
rechte, das als unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands bei den Vereinten Nationen akkreditiert ist, mahnt im Grunde seit Inkrafttreten der UNBehindertenrechtskonvention die Aufhebung der pauschalen Wahlrechtsausschlüsse an. Obwohl diese Forderung nicht nur in diesen, sondern schon in den vorhergehenden Koalitionsvertrag im Bund aufgenommen worden war, ist in Deutschland für Europa- und Bundestagswahlen alles beim Alten geblieben.
Beim Bundesverfassungsgericht ist seit 2014 eine Wahlprüfungsbeschwerde von acht behinderten Menschen anhängig. Sie ist immer noch nicht entschieden, obwohl die Entscheidung für 2018 angekündigt war. Wir als Fraktion DIE LINKE meinen, dass dies weder im Sinne der Verfassung noch des Völkerrechts sein kann.
Diese Auffassung wird offensichtlich in anderen Bundesländern geteilt; denn sie haben ihre hoheitlichen Möglichkeiten zur Änderung der Landesgesetze bezüglich der Kommunal- und Landtagswahlen unabhängig vom Stand der Bundesgesetzgebung genutzt. Für die in Rede stehenden Personenkreise gibt es in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen keine Ausschlüsse vom aktiven und passiven Wahlrecht auf den Ebenen der Kommunen und des Landtags mehr.
Auch in Sachsen kann dies durch diesen Gesetzentwurf so werden. Es entspräche eindeutig dem Sinn der UNBehindertenrechtskonvention, pauschale Wahlrechtsausschlüsse durch Einzelfallentscheidung zu ersetzen. Deshalb unterstützen wir dies.
Ich komme zum zweiten Schwerpunkt des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er enthält, wie schon dargelegt, wesentliche Festlegungen bezüglich der Barrierefreiheit bei Wahlverfahren, Wahlmaterialien, Wahlräumen und zu Unterstützungsbedarfen. Gleich vorweg gesagt: Meine Fraktion unterstützt dies ohne Einschränkung.
Zur Begründung möchte ich Ihnen dazu dieses Mal nur ein einziges Beispiel etwas detaillierter darlegen. Es geht um unseren Kollegen Horst Wehner. Wie viele andere Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer auch kann er das grundsätzlich verankerte Wahlrecht zu einer Kommunal-, Landtags-, Bundestags- oder Europawahl zwar wahrnehmen, aber lediglich als Briefwähler; denn das Wahllokal ist seit Jahr und Tag nicht barrierefrei zugänglich. Auf den ersten Blick scheint damit dem Grundgesetz Genüge getan zu sein; denn die Teilnahme an einer Wahl – aktiv und passiv im Rechtssinn – wird ja gewährleistet.
Aber wir als Fraktion DIE LINKE sagen: Nein, das reicht nicht; denn dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass vor, während und nach einer Wahl der Mehrheit der Menschen weitere Möglichkeiten der Auswahl oder Partizipation zur Verfügung stehen, die Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern bei fehlender Barrierefreiheit über die Einschränkung auf die Briefwahl hinaus auch noch genommen sind. Sie können zum Beispiel für sich nicht entscheiden, ob sie den Brief in die Post geben oder selbst zum Rathaus bringen, wenn es als öffentliches
Gebäude nicht rollstuhlgerecht ist. Sie können auch nicht auswählen, ob sie die besondere Stimmung am Wahltag wie die Fußgängerinnen und Fußgänger hautnah erleben wollen oder nicht. Sie können auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, Wahlvorstand bzw. Wahlhelferin oder Wahlhelfer in ihrem Wahllokal zu werden; denn sie kommen ja nicht hinein. Wenn sie hinein kämen, fehlt möglicherweise die notwendige Toilette. Sie können auch nicht am Abend nach der Schließung der Wahllokale an einer öffentlichen Auszählung der Stimmen teilnehmen, und zwar nicht einmal dann, wenn sie als Direktkandidatin oder -kandidat mit einer hohen Gewinnchance selbst auf dem Wahlzettel ihres Wahllokals standen.
Für uns gibt es daher nur ein einziges Fazit aus den zuletzt genannten Punkten: Es sind und bleiben noch etliche Diskriminierungen und Ausschlüsse von der gesellschaftlichen Teilhabe im Zusammenhang mit Wahlen zu beheben, die Menschen nur deshalb erfahren müssen, weil staatlich nicht das menschenrechtlich Gebotene getan wird, nämlich durch angemessene Vorkehrungen genau solche strukturellen Benachteiligungen zu beseitigen.
Die genannten Punkte zeigen plastisch, warum Menschen mit Behinderungen den bekannten Slogan „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ als Leitmotiv ihres politischen Engagements nutzen. Ihre Erfahrungen mit der mangelhaften Umsetzung sowohl von Artikel 9 Barrierefreiheit als auch von Artikel 29 Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben der UN-Behindertenrechtskonvention im Freistaat geben ihnen recht.
In Sachsen werden Menschen mit Beeinträchtigungen in Bezug auf Wahlen immer noch Behinderungen ausgesetzt, die nicht zu rechtfertigen sind. Unsere Fraktion ist der Auffassung, dass hier endlich Abhilfe geschaffen werden muss. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu.
Vielen Dank.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank. Ich bitte nun Frau Kliese von der SPD-Fraktion um ihren Redebeitrag.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich möchte keine Aussprache, aber darum bitten, dass über die einzelnen Drucksachen getrennt abgestimmt wird, weil wir ein differenziertes Abstimmungsverhalten haben. Das beantrage ich für meine Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat beginnen, das so wichtig ist, dass ich es noch einmal vortragen möchte, auch wenn es gerade genannt worden ist: „Ich möchte hier feststellen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit. Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Das waren die Worte der Frau, die am 19. Februar 1919 als erste Frau überhaupt in der Weimarer Nationalversammlung das Wort ergreift. Ihr Name war Marie Juchacz.
Das ist knapp 100 Jahre her. Deswegen begehen wir jetzt allerorten den Festakt zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“. Ich möchte trotzdem an dieser Stelle die Frage stellen: 100 Jahre Frauenwahlrecht – ist das überhaupt ein Grund zum Feiern? Das, was Marie Juchacz als Selbstverständlichkeit betitelt hat, das war – das wusste sie natürlich selber – nur zu gut das Ergebnis eines langen, eines schweren und eines erbitterten Kampfes. Denn die Forderung nach dem Frauenwahlrecht ist schon viel älter; sie begann schon in der Französischen Revolution. Dort trat neben den großen Begriffen wie der Freiheit und der Gleichheit dann der Begriff der Brüderlichkeit, der die Männer im Fokus hatte und die Frauen ausgeschlossen hat. Das wusste auch Olympe de Gouges, die schon 1791 – also noch im Zuge der Französischen Revolution – eine Streitschrift für das Frauenwahlrecht geschrieben hat, die sie zwei Jahre später teuer mit ihrem Leben bezahlt hat, nämlich auf der Guillotine. Nach ihr haben Generationen von Frauen gekämpft. Sie haben Verfolgung und harte Strafen in Kauf genommen.
Wenn es einen Grund zum Feiern gibt, dann möchte ich diese Heldinnen feiern: Louise Otto-Peters, Hedwig Dohm, Clara Zetkin, Minna Cauer, Anita Augspurg – um nur einige zu nennen. Denn ihnen ist es zu verdanken, dass wir als Politikerinnen hier in diesem Haus und anderswo sprechen dürfen.
Um es ganz genau zu nehmen, ist das Wahlrecht in Deutschland aber nicht 100 Jahre alt, denn schon 1933 verlieren die Frauen nach der Machtübernahme der NSDAP das passive Wahlrecht schon wieder – sie durften
weiter wählen, aber nicht mehr gewählt werden. Erst nach der Befreiung vom Nationalsozialismus erhalten sie es wieder zurück. Um bei dem passiven Wahlrecht zu bleiben: Danach war auch der Weg der Frauen in die Mandate und Ämter ein langer und mühsamer. Erst 1961 war die erste Frau Teil des Kabinetts der deutschen Bundesregierung: Elisabeth Schwarzhaupt, eine CDUPolitikerin.
Erst 1993 gab es mit Heide Simonis eine erste Ministerpräsidentin, und – daran erinnern sich wahrscheinlich noch mehr Leute; das ist präsenter – 2005 gab es erst die erste Bundeskanzlerin mit Angela Merkel. Selbst das war noch ein kleines politisches Erdbeben.
Nach 100 Jahren sind also die Frauen in der Politik nicht mehr die Ausnahme, aber auch längst noch nicht die Regel. Bis heute hat es noch nie, noch nicht einmal ein Parlament in Deutschland gegeben, das paritätisch besetzt gewesen wäre, oder vielleicht eins, bei dem es mehr Frauen als Männer gegeben hätte, um den Männerüberhang in allen anderen Parlamenten auszugleichen.
Im Bundestag sind wir bei einer Quote von 30,9 %, auf Landesebene im Schnitt bei 30 %, auf kommunaler Ebene sind es gerade einmal 25 %. Auch das ist ein Durchschnittswert, denn es gibt immer noch Kommunalparlamente, in denen keine einzige Frau vertreten ist. Dann höre ich immer: Ja, das braucht alles Zeit. Aber ich frage mich: Wie viel Zeit denn noch? 100 Jahre sind eine lange Zeit. Wie lange sollen wir noch warten?
In 100 Jahren hat sich einiges entwickelt, aber aktuell erleben wir eine Stagnation und einen Rückgang – auch auf Bundesebene. Das ist ganz interessant, denn nach mehreren Jahrzehnten hat sich die Frauenrepräsentanz auf niedrigem Niveau gehalten und stieg dann an. Das hatte nur einen Grund, nämlich die selbstverpflichtenden Quotierungsregelungen der Parteien. Ohne diese Selbstverpflichtung sähe es mit der Repräsentanz auch hier im Haus noch viel düsterer aus.
Die größte Schwierigkeit stellen dabei die Direktwahlkreise dar. Das fällt aktuell auch der sächsischen CDU auf die Füße – nein, ich korrigiere mich, nicht der sächsischen CDU insgesamt, aber doch den Frauen in der sächsischen Union, der Frauenunion. So titelte die DNN am 04.12. dieses Jahres: „CDU-Frauen begehren auf“. Der Grund ist die niederschmetternde Bilanz, dass bis dahin nur acht der 57 Direktwahlkreise mit Frauen nominiert worden sind. Ich beglückwünsche die sächsische Frauenunion zu diesem Aufbegehren ganz ohne Spott.
Ernüchternd ist hier das Zitat des Generalsekretärs, der sich vor der Frauenunion erklären musste und der dann sagte bzw. in der Zeitung zitiert wurde: „So etwas lässt sich nicht zentral steuern.“
Doch, Herr Dierks, es lässt sich zentral steuern. Dazu rede ich dann in der zweiten Runde.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen, vor allem lieber Kollege Modschiedler! Frauen und Männer sind vor dem Gesetz gleich, so weit würde ich mitgehen. Ob man sich das nun biblisch herleiten kann, dahinter würde ich als Pastorentochter doch einige Fragezeichen setzen. Bibelfest genug bin ich. In Anbetracht von Sätzen wie „die Frau sei dem Manne untertan“ und „das Weib schweige in der Gemeinde“ bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich das Frauenwahlrecht und die Rechte von Frauen wirklich biblisch herleiten lassen. Aber seis drum.
Ich möchte auf Herrn Kollegen Dierks zurückkommen, der – ich habe es vorhin gesagt – in der Zeitung zu der Frage, wie die Frauenquote in der Union verbessert werden könnte, mit dem Satz zitiert wurde: „So etwas lässt sich nicht zentral steuern.“ Doch, es lässt sich zentral steuern, es muss sogar zentral gesteuert werden, würde ich sagen; denn wenn es nicht zentral gesteuert wird, wird sich nichts ändern.
Zwei Möglichkeiten stehen dafür zur Verfügung, zum einen – ich erwähnte es schon – eine in der Satzung der Parteien verankerte verbindliche Quotenregelung. Die andere Möglichkeit ist eine gesetzliche Regelung zur Parität. Wir als Partei DIE LINKE haben, wie andere auch, gute Erfahrungen mit einer erprobten und übrigens auch juristisch geprüften Mindestquotierung.
Frau Kollegin Hanka Kliese hat schon gesagt: Man hat dann immer schnell das Problem, dass Frauen im Parlament als Quotenfrauen bezeichnet werden, die nicht aufgrund ihrer persönlichen Leistung und fachlichen Eignung dort seien.
Ja, bitte.
Vielen Dank für diese Fragen. Für die Direktwahlkreise – dazu komme ich noch – gibt es sehr wohl Regelungen, die auch das ParitéGesetz vorsieht. Das ist die eine Möglichkeit.
Die andere Möglichkeit – ich spreche jetzt über beide Varianten, die man angehen kann –: Es würde schon viel helfen, wenn die CDU ihre Ämter und ihre Listen quotiert besetzen würde. Eine solche Absicht ist bei Ihnen nicht zu erkennen.
Aber das Parité-Gesetz, zu dem ich gleich noch komme, bietet noch ganz andere Möglichkeiten.
Ich führe das in meiner Rede näher aus.
Ja, natürlich, wir haben eine Quote. Darüber wollte ich gerade sprechen. Wir haben damit gute Erfahrungen.
Wenn es heißt, Frauen seien nur aufgrund der Quote im Parlament und nicht aufgrund persönlicher Leistung und fachlicher Eignung, würde ich zunächst einmal sagen, dass sich das nicht ausschließen muss. Ich möchte nicht despektierlich sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob wirklich alle Männer, die in den Parlamenten sind, aufgrund ihrer persönlichen Leistung und fachlichen Eignung ein Mandat errungen haben oder ob das nicht doch eher Netzwerke waren oder andere Voraussetzungen, die ihnen den Weg geebnet haben.
Jetzt habe ich natürlich ins Wespennest gestochen.
Das war zu erwarten.
Ja, bitte.
Herr Schreiber, eine einzige Abgeordnete, übrigens eine Frau, Juliane Nagel, wurde direkt gewählt.
Es geht hier aber darum, wie mehr Frauen in der Politik aktiv sein können. Darüber möchte ich sprechen. Bei uns – wenn Sie das vergleichen würden, würden Sie es sehen – sind in den Direktwahlkreisen sehr viel mehr Frauen nominiert worden als Männer. Bei Ihnen in der CDU ist das anders. Das hat einen Grund, über den ich jetzt sprechen möchte – direkt gewählte Abgeordnete hin oder her.
Ich möchte noch einmal über die Quotierung sprechen. Ich weiß, es ist sehr schwer zu ertragen für die vielen Männer, die hier im Parlament sitzen und die sich das nicht gefallen lassen wollen. Ich werde meine Rede jetzt trotzdem weiter halten.
Die Quotierung ist ein Mittel zum Zweck, denn das Ziel ist eigentlich eine geschlechtergerechte Gesellschaft, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Sie zielt also darauf ab, sich selber überflüssig zu machen. Sie hat aber einen wichtigen Effekt – und das ist genau auch die Antwort auf Ihre Frage–: Wenn eine Partei weiß, dass sie die Hälfte ihrer Ämter und Mandate mit Frauen besetzen muss, dann hat sie ein sehr großes Interesse an der Mitarbeit von Frauen und wird eine nachhaltige Förderung, gerade was die Frauen angeht, anstreben. Genau das macht meine Partei, deswegen haben wir gut qualifizierte
weibliche Abgeordnete und überhaupt kein Problem, unsere Liste quotiert zu besetzen und Direktkandidatinnen für die Direktwahlkreise zu finden.
Die Frage, ob die Quotierung undemokratisch ist, muss sich eine Gegenfrage gefallen lassen, nämlich die Frage nach dem Demokratieverständnis. Warum hat denn eine Demokratie eigentlich kein Problem damit, relevante Teile der Bevölkerung im Parlament auszuschließen? Man muss aber diese Frage der Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten nicht den Parteien überlassen, denn das kann auch nach hinten losgehen – wir hörten es schon. Aktuell gibt es einen sinkenden Frauenanteil im Bundestag durch den Zuwachs rechtskonservativer Parteien. Was die AfD von der Geschlechtergerechtigkeit hält, hat Frau Wilke vorhin in ihrer unfassbar kruden Rede ausgeführt. Das werden wir auch im Haushalt noch einmal hören.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass bei der AfD die Frauen eigentlich nicht einmal aufbegehren könnten, denn die AfD lehnt nicht nur Quoten ab, sondern ihre Bundessatzung verbietet explizit parteiinterne Frauenorganisationen. Das muss man sich einmal vorstellen vor dem Hintergrund, dass das Frauenwahlrecht gar nicht hätte eingeführt werden können, wenn die Frauen sich nicht hätten organisieren können.
Ja, § 17 Abs. 2, Sie können es ja vielleicht noch einmal selber nachlesen.
Will man die Repräsentanz von Frauen also nicht den Parteien überlassen, dann braucht es allgemeine gesetzliche Regelungen. Auch hier lohnt sich wieder der Blick zur Wiege der Französischen Revolution. Frankreich führte das Frauenwahlrecht zwar erst später ein, nämlich 1944, aber seit 2001 gilt das Parité-Gesetz. Das schreibt nicht nur vor, dass die Wahllisten paritätisch besetzt sein sollen, sondern eben auch ein Tandemprinzip bei Wahlkreisen. Das würde übrigens das Problem mit den direkt Kandidierenden lösen. Die Diskussion um das ParitéGesetz ist nun endlich auch in Deutschland angekommen. Darüber wird hier kontrovers diskutiert. Wir haben schon gemerkt, dass das ein Aufregerthema ist. Natürlich ist das so, denn hier geht es um Macht und Einfluss.
Selbstverständlich gibt es juristische Vorbehalte, die ernst zu nehmen und zu prüfen sind. Meiner Meinung nach muss einfach einmal ein Bundesland mutig sein, vorangehen, das Gesetz beschließen und es gegebenenfalls einer Prüfung beim Bundesverfassungsgericht unterziehen. Ich gehe einmal davon aus, dass es kein CDU-geführtes Bundesland sein wird, das diesen mutigen Schritt geht.
Abwarten. In Brandenburg sind wir da schon ziemlich weit.
Der Kampf gegen das Parité-Gesetz ist erbittert, ungefähr so erbittert, wie es der Kampf gegen das Frauenwahlrecht war. Wir als LINKE werden dafür kämpfen, dass es nicht weitere hundert Jahre braucht, bis es umgesetzt wird.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Beste zuerst: Wir diskutieren heute im Parlament endlich zu einem Entwurf für ein Gleichstellungsgesetz für Sachsen. Leider ist es nicht der lange angekündigte Entwurf der Staatsregierung, und die Ausschussvoten lassen vermuten, dass diesen Gesetzentwurf dasselbe Schicksal ereilt, wie den wirklich guten Gesetzentwurf, den DIE LINKE in der letzten Legislatur eingebracht hat, dass er nämlich abgelehnt wird. Das ist schade, denn es ist schon wirklich sehr viel Schönes dabei in diesem Gesetzentwurf. Ich möchte ein paar Punkte nennen.
Zum Beispiel ist dieses Gesetz im Gegensatz zu dem Frauenfördergesetz von 1994 sehr viel konkreter, und Frau Kuge hat es gerade schon angesprochen, genau daher kommt die Kritik des Sächsischen Landkreistages, der dann sagt, das ist eine Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Kommunen. Wahr ist aber auch: Der Gestaltungsspielraum, den das alte Gesetz geboten hat, wurde vielfach einfach nicht genutzt. Es braucht konkretere Vorgaben, um die Gesetzesziele zu erreichen.
Das erinnert mich so ein bisschen an die freiwillige Selbstverpflichtung einer Frauenquote in Dax-Vorständen, da hat die Freiwilligkeit vor allem eines sichtbar gemacht:
dass die Männer freiwillig schon einmal gar nicht ihre Vorstandsposten räumen und im Gegenteil ein erstaunliches Sitzfleisch aufweisen. Ich habe ja selten Gelegenheit, in Gleichstellungsdebatten meine Argumente mit Zitaten von CDU-Seite zu untermauern; das kann ich aber heute machen. Die damalige Arbeitsministerin von der Leyen hat nämlich gesagt: „Ich bin der festen Überzeugung, ohne Gesetz wird es nicht gehen.“ Aber auch das beste und schönste Gesetz bleibt wirkungslos ohne Sanktionsmöglichkeiten. Das ist aber bisher der Fall.
Ein Beispiel möchte ich nennen, nämlich den Frauenförderbericht – der letzte von 2012, der neue müsste seit 2016 vorliegen. Ich habe mehrere Kleine Anfragen gestellt, wo er denn bleibt. Das ist ein sehr sinnvolles und notwendiges Instrument, und das ist im geltenden Frauenfördergesetz vorgeschrieben. Aber der Frauenförderbericht wird nicht vorgelegt, das ist ein klarer Gesetzesbruch – Konsequenzen: keine. Die GRÜNEN wollen das ändern, und das ist auch dringend notwendig.
Positiv hervorzuheben ist im vorliegenden Gesetzentwurf neben der paritätischen Besetzung von Gremien, die wir für sehr wichtig halten, die Beachtung von Gesetzeszielen bei der Vergabe. Das begrüßen wir als LINKE natürlich. Wir haben selbst erst kürzlich ein Vergabegesetz eingebracht. Ein Vergabegesetz ist eine staatliche Steuerungsmöglichkeit auf die freie Wirtschaft, und eine Staatsregierung, die klare politische Ziele hat – zum Beispiel Gleichstellung, die ja in der Verfassung festgeschrieben ist, wie es Frau Meier erwähnt hat –, sollte dieses Instrument nicht ungenutzt lassen.
Ein letzter Punkt, den ich positiv anmerken möchte, weil er für sächsische Verhältnisse ungeheuer progressiv ist, ist das Angehörigenverständnis, das hier um emotionale Angehörige erweitert wird. Die Definition ist: „Personen, die aufgrund besonderer sozialer Bindung zum Lebensumfeld gehören.“ Das stimmt mit einer LINKENForderung überein: Familien dort fördern, wo sie stattfinden; und Familien finden genau dort statt, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.
Das wird in anderen Bereichen auch gern so gehandhabt. Zum Beispiel werden bei Hartz IV schnell einmal Bedarfsgemeinschaften gebildet; aber wenn es um Rechte geht und nicht um Pflichten, dann sieht es wieder anders aus, wie zum Beispiel bei der beruflichen Freistellung.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN geht also genau in die richtige Richtung. Die Regelung würde dem Freistaat wirklich sehr gut zu Gesicht stehen.
Trotz allem Positivem bleiben zwei erhebliche Knackpunkte, die wir kritisch sehen und die ich vortragen möchte:
Erstens, den Vorschlag, auch Männer zu Gleichstellungsbeauftragten – zu internen Gleichstellungsbeauftragten; diese Unterscheidung wird ja im Gesetz gemacht – berufen zu können. Das klingt im ersten Moment sehr modern, denn warum sollen sich nicht auch Männer im Bereich der Gleichstellung engagieren – und es gibt
engagierte Männer. Aber es geht hier um eine Interessenvertretung und dann muss man die Frage stellen: Wer vertritt welche und wessen Interessen? Wer ist eine vertrauenswürdige Ansprechperson für die Vertretenen?
Bisher ist es nicht festgeschrieben, aber gängige Praxis, dass Frauen eine Frau wählen. Wir hatten dazu eine wirklich ausführliche Diskussion im Gleichstellungsbeirat, und dort ging es nicht nur um das passive, sondern auch um das aktive Wahlrecht. In der Anhörung ist darauf hingewiesen worden – und das war ganz interessant –, dass mit der hier vorgeschlagenen Regelung theoretisch auch die Möglichkeit besteht, dass eine Mehrheit von Männern einen Mann in die Funktion wählt, und das vielleicht nicht, um die Interessen zu vertreten, sondern um eine Interessenvertretung zu verhindern.
Die paritätischen Teams scheinen das zu lösen: Wenn ein Mann Gleichstellungsbeauftragter wird, muss die Stellvertretung von einer Frau übernommen werden. Aber dennoch ist die Frage zentral, um welche Themen es hier geht. Im Vordergrund steht nach wie vor die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und vor allem sexuelle Belästigung. Hier hat die „MeToo“-Debatte verdeutlicht, wie massiv dieses Problem nach wie vor ist. Da tun sich Abgründe auf und es ist weit verbreitet und betrifft überwiegend Frauen. Das ist kein Zufall, sondern ein Zusammenhang mit gesellschaftlich verfestigten Machtstrukturen, und man muss sich schon fragen: Ist dort ein Mann eine vertrauensvolle Ansprechperson?
Ironischerweise ist es bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf so, dass die Männer die größere Expertise und Sachkompetenz bei Frauen vermuten – übrigens zu Recht –, weil sie dieses Thema in- und auswendig kennen. Wir sehen also diesen Punkt im Gesetz kritisch.
Der zweite Kritikpunkt – Frau Meier, ich kann es Ihnen nicht ersparen –, den ich für wesentlicher halte, ist die Frage nach der Beseitigung von Unterrepräsentanz unabhängig vom Geschlecht – also eine Männerförderung im öffentlichen Dienst dort, wo Männer unterrepräsentiert sind. Hier sind die GRÜNEN ein bisschen in die Falle getappt. Denn auch das erscheint modern und fortschrittlich und ist an sich auch nicht falsch.
Allerdings werden hier wahrscheinlich die CDU und vielleicht sogar die AfD Beifall klatschen, auch wenn die GRÜNEN das nicht gewollt haben; denn sie beklagen in den Gleichstellungsdiskussionen die vermeintliche Männerdiskriminierung – vermeintlich, denn auch hier muss man sich Fakten gefallen lassen. Ja, es stimmt: Wenn man sich den öffentlichen Dienst insgesamt anschaut, dann sind dort mehr Frauen als Männer beschäftigt. In Sachsen stellt der öffentliche Dienst eine vergleichsweise gute Beschäftigungsmöglichkeit für Frauen dar – sowohl in Bezug auf das Gehalt als auch arbeitsrechtlich. Auf den ersten Blick könnte man also meinen, dass Männer dort benachteiligt sind.
Weitet man den Blick allerdings auf den Arbeitsmarkt in Sachsen insgesamt, so stellt sich ein ganz anderes Bild dar: Frauen verdienen nämlich Brutto 11 % weniger als
Männer. Das ist der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, und der ist in Sachsen so hoch wie in keinem anderen Ost-Bundesland.
Den öffentlichen Dienst separat zu betrachten ist im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit also irreführend – und wenn, dann muss man nicht den öffentlichen Dienst in seiner Gesamtheit betrachten, sondern bitte auch vertikal –, und was stellt man da fest: Oh Wunder, in den Hierarchieebenen zeigt sich das gleiche Bild wie überall sonst: Je höher die Führungsebene, desto geringer der Frauenanteil.
Wenn also Unterrepräsentanz ausgeglichen werden soll, dann doch bitte von oben nach unten, Führungsebenen paritätisch besetzen und sich dann nach unten vorarbeiten.
Wer Männerförderung gerade in den Bereichen betreibt, in denen Frauen gute Berufschancen haben, der fällt auf der anderen Seite vom Pferd herunter und benachteiligt Frauen auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Das Grundgesetz gibt den Auftrag, aktiv für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sorgen. Eine besondere Förderung ist vor dem Grundgesetz nur dann standhaft, wenn tatsächlich eine strukturelle Benachteiligung vorliegt. Das ist im öffentlichen Dienst bei den Frauen der Fall. Mehr als die Hälfe der Beschäftigten sind weiblich und in der Führungsebene nur noch 20 bis 25 % – ein klares Indiz für Benachteiligung.
Aber die Analyse muss über die reine Statistik hinausgehen, denn die Realität zeigt auch: Berufe, auch im öffentlichen Dienst, in denen vornehmlich Frauen arbeiten, sind für Männer oft nicht attraktiv. Das hat mit der geringen Entlohnung zu tun, mit mangelnder Anerkennung und mit geringen Aufstiegschancen. Das beste Beispiel dafür sind Erzieherinnen und Erzieher. Hier zeigt die Praxis – und das ist sehr interessant –: Wenn sich ein Mann als Erzieher in der Kita bewirbt, wird er mit Kusshand genommen. Das geht aber Frauen in männertypischen Berufen leider nicht so.
Meine Fraktion wird trotz vorgetragener Kritik dem Gesetzentwurf zustimmen – übrigens auch dem Änderungsantrag, um das schon einmal vorwegzunehmen –, und das nicht nur, weil er gegenüber dem veralteten Frauenfördergesetz wesentliche Verbesserungen enthält, sondern auch, weil das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Vorhaben, ein modernes Gleichstellungsgesetz vorzulegen, auf sich warten lässt, und das ist leider ein bisschen wie das Warten auf Godot.
Schon 2016 gab es die Beteiligungs-Workshops. Frau Kuge hat sie angesprochen. Aber, Frau Kuge, waren Sie es nicht, die auf Facebook gepostet hat, oh, wir arbeiten gerade am Gleichstellungsgesetz, ich muss das noch ein bisschen rundschleifen. Da schwant mir nichts Gutes. Mehrfach wurden Entwürfe und strittige Punkte im Gleichstellungsbeirat intensiv diskutiert. Tapfer trägt Ministerin Köpping in fast jedem Ausschuss den aktualisierten Zeitplan vor. Was nicht kommt, ist das Gesetz. An der Ministerin und ihrem Referat liegt es ganz offensichtlich nicht.
Ich lehne mich jetzt einmal ganz weit aus dem Fenster und tippe, hier blockiert die CDU-Fraktion. Meine Fraktion ist bereit, diesen Weg abzukürzen. Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, denn besser als das alte Frauenfördergesetz ist er allemal.
Vielen Dank.
Herr Präsident, ich würde für unsere Fraktion diese zusätzliche Redezeit in Anspruch nehmen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Trautes Heim, Glück allein“ ist ein bekannter Sinnspruch. Man kann sich vorstellen, wie es schön gerahmt und aufgestickt über dem Sofa im heimeligen Wohnzimmer hängt. Das beschreibt das eigene Zuhause, das Heim als Ort der Sicherheit einer als bedrohlich empfundenen Außenwelt. Für viele Menschen kann dieses Bild vom trauten Heim maximal eine Sehnsucht sein. Für viele muss es gar zynisch klingen.
Die Statistik sagt, dass jede vierte Frau mindestens einmal Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt wird. Diese Zahl ist schon oft genannt worden. Deshalb fürchte ich, dass sie ihren Schrecken verliert. Ich glaube, es ist gut, sich noch einmal bewusst zu machen, was das bedeutet. Wenn Sie den Landtag jetzt verlassen, aus der Tür in Richtung Altmarkt und über die Prager Straße gehen würden, über die Einkaufsmeile bis zum Hauptbahnhof – das ist ein Fußweg von circa 30 Minuten –, stellen Sie sich vor, wie viele Menschen, wie viele Frauen Ihnen begegnen würden. Dann machen Sie sich klar, dass jede vierte dieser Frauen ein Gewaltopfer sein könnte. Damit wird die Dimension des Problems deutlich.
Das gilt nicht nur für fremde Frauen, die auf der Straße anzutreffen sind, sondern diese Statistik bezieht sich auch auf den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. Man sollte sich keine Illusion darüber machen; häusliche Gewalt tritt unabhängig von Einkommen und sozialem Status auf.
Falls Ihnen keine eigenen Beispiele einfallen, mag das daran liegen, dass das Thema häusliche Gewalt immer noch stark tabuisiert ist. Auch das hat mit diesem Bild vom trautem Heim zu tun. Häusliche Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt. Wir reden nicht davon, dass einmal die Hand ausgerutscht ist, obwohl diese Formulierung schon ein Teil des Problems ist, weil sie verharmlost. Aber hier gibt es nichts zu verharmlosen. Einmal zuschlagen ist einmal zu viel. Die bittere Erfahrung ist: Es bleibt nicht bei dem einen Schlag. Nicht selten wird es für die Betroffenen lebensbedrohlich. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder ihren ExPartner getötet – jeden dritten Tag! Das sind schreckliche grausame Schicksale, die in der Lokalzeitung unter der
Rubrik „Familiendrama“ landen. Das ist auch eine Verharmlosung.
Hier wird deutlich, dass es kein banales und kleines Problem ist. Diese Gewalt ist um uns, sie ist unter uns; sie ist immanenter Teil dieser Gesellschaft. Sie ist in Deutschland und in Sachsen alltäglich. Das ist nicht hinnehmbar, und das darf nicht so bleiben.
Aber das muss auch nicht hingenommen werden; denn diese Gewalt, von der ich gesprochen habe, ist keine Naturgewalt. Es ist Aufgabe von Gesellschaft und Politik, hinzuschauen und vor allem auch zu handeln. Dass wir hinschauen und handeln müssen, ist keine neue Erkenntnis. Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Expertinnen und Experten mit dem Thema. Ein Ergebnis dieser Beschäftigung ist die sogenannte Istanbul-Konvention, die eigentlich anders heißt: „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“.
Diese Konvention ist viel mehr als ein gut gemeintes Absichtspapier. Sie ist ein völkerrechtlicher Menschenrechtsvertrag. Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde sie am 11. Mai 2011 beschlossen und verpflichtet die Vertragsstaaten – verpflichtet also auch uns – zu umfassenden Maßnahmen. Nach dem Beschluss hat es noch einmal ganze sechs Jahre gedauert, bis die Konvention 2017 endlich auch in Deutschland ratifiziert wurde, und seit Februar 2018 ist sie geltendes Recht.
Das heißt, dass wir mit unserem heutigen Antrag eigentlich eine Selbstverständlichkeit fordern, nämlich dass geltendes Recht umgesetzt wird. Die gute Nachricht dabei ist: Wir müssen nicht bei null anfangen. In Sachsen gibt es eine gewachsene Struktur von 14 Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen, sieben Koordinierungs- und Interventionsstellen gegen Gewalt. Außerdem gibt es – das möchte ich auf jeden Fall erwähnen – seit Kurzem zwei Männerschutzwohnungen als Modellprojekte in Leipzig und Dresden. Das ist wichtig, denn auch Männer werden Opfer häuslicher Gewalt. Das ist auch in der IstanbulKonvention genannt; denn in der Präambel heißt es: „… in der Erkenntnis, dass Frauen und Mädchen einer größeren Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind als Männer, in der Erkenntnis, dass häusliche Gewalt Frauen unverhältnismäßig stark betrifft und dass auch Männer Opfer häuslicher Gewalt sein können“.
Das bringt es für mich auf den Punkt. Es ist richtig, beim Kampf gegen häusliche Gewalt vor allem Frauen in den Blick zu nehmen, aber es ist ebenso richtig, allen Opfern, egal welchen Geschlechts, Hilfe zukommen zu lassen. Wir bleiben unserer Haltung treu, dass das keine Frage der Fallzahlen ist. Das ist eine Frage der Menschenrechte, und Menschenrechte sind unteilbar.
Deshalb müssen diese Pilotprojekte zum Männerschutz unbedingt fortgeführt werden.
Die von mir kurz skizzierte Struktur der Schutzeinrichtungen wird von Vereinen getragen, die meist aus ehrenamtlichen Strukturen gewachsen sind und in denen sich immer noch viele Ehrenamtliche engagieren, Strukturen, die sonst auch nicht funktionieren würden. Ohne diese Vereine und die Menschen, die diese wichtige Arbeit tagtäglich leisten, hätten die Betroffenen meist überhaupt keine Chance, der Gewalt zu entkommen. Diese Arbeit muss gewürdigt und vor allem ausreichend finanziert werden.
Auch auf der Landesebene haben wir einige Instrumente: den Landespräventionsrat mit dem Lenkungsausschuss häusliche Gewalt und den Landesaktionsplan für den Kampf gegen häusliche Gewalt. Das ist ein guter Anfang, aber es ist lange nicht ausreichend, um das massive Problem in den Griff zu bekommen, denn leider sind die Zahlen der Opfer nicht rückläufig. Was rückläufig ist, sind die Platzkapazitäten. Immer wieder kommt es vor, dass Frauen abgewiesen werden müssen, weil die Plätze in den Frauenschutzeinrichtungen belegt sind. Das liegt auch daran, dass Gewalt nicht planbar ist. Wir wissen nicht, wann, zu welcher Zeit besonders viele Plätze gebraucht werden.
Ich habe im August eine Kleine Anfrage gestellt und nachgefragt, wie viele Abweisungen es gab. Die Antwort war, dass es dazu keine validen Daten gebe. Das heißt, das Problem ist zwar bekannt, aber es ist schwer, Maßnahmen zu ergreifen, weil die Zahlen fehlen. Trotzdem kann man eine Minimalforderung für Sachsen aufmachen, nämlich eine Schutzeinrichtung pro Landkreis. Aber nicht einmal das ist erfüllt. In Nordsachsen gibt es keine, ebenso im Erzgebirge. Für das Erzgebirge hat der Landesfrauenrat nun eine Petition gestartet, um diesem Missstand abzuhelfen.
Da reicht es nicht, zu sagen, dass sich kein Träger findet, sondern es muss die Frage beantwortet werden, warum sich dafür kein Träger findet; denn das ist ein strukturelles Problem, das vor allem mit der Förderung zu tun hat.
Diese flächendeckenden Hilfsstrukturen können aber nur ein Baustein sein. Es bedarf vieler anderer Bausteine, zum Beispiel mehr spezialisierte Beratungsstellen für erwachsene Betroffene sexueller Gewalt; denn es ist auch ein Problem, häusliche und sexualisierte Gewalt in einem Themenkomplex zu behandeln.
Aber auch, wenn wir da weiter sind, ist der Blick noch nicht einmal auf alle Facetten gerichtet. Besonders wichtig – das möchte ich hier in den Fokus rücken – sind Kinder. Kinder sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen, direkt oder indirekt. Sie erleben und erleiden traumatische Erfahrungen, die ihr gesamtes Leben prägen, und sie geraten in eine Gewaltspirale; denn wer mit häuslicher Gewalt groß wird, hat oft kaum eine Chance, andere Konfliktlösungen zu erlernen. Deshalb ist es sehr häufig der Fall, dass sich Kinder, die in Haushalten groß werden, in denen häusliche Gewalt passiert, später auch wieder in Beziehungsmustern wiederfinden, die von Gewalt geprägt sind, und zwar aktiv oder passiv, das heißt, als Täterin oder Täter oder eben auch als Opfer. Wenn in ihrem Elternhaus häusliche Gewalt stattfindet, sind sie der Situation schutzlos ausgeliefert. Allein 2018 wurden in Dresden vier Todesfälle von Kindern infolge häuslicher Gewalt bekannt. Die Betreuung und Beratung mitbetroffener Kinder muss hohe Priorität haben.
Die Projekte haben lange um eine Finanzierung gekämpft. In Sachsen ist es seit Kurzem förderfähig. Das ist ein Fortschritt. Aber diese Projekte müssen ausgebaut werden.
Der zweite Fokus, den ich aufmachen möchte, sind Frauen mit Behinderung. Hier kommen nämlich mehrere Faktoren zusammen. Zum einen haben Menschen mit Behinderung nachweislich ein höheres Risiko, Opfer von Gewalt zu werden. Mädchen mit Behinderung werden zwei- bis dreimal so häufig Opfer von sexuellem Missbrauch. Zugleich haben sie aber kaum oder viel schwereren Zugang zu den Hilfsstrukturen. Von den
14 Schutzhäusern ist nur eines barrierefrei im Sinne von rollstuhlgerecht, und keine der Beratungsstellen ist barrierefrei zugänglich.
Das kann man den Vereinen auch nicht anlasten; denn normalerweise haben sie ihre Vereinsräume zur Miete bezogen und keine Möglichkeit, diese barrierefrei umzugestalten, jedenfalls nicht ohne Weiteres. Auch dieses Problem ist der Staatsregierung bekannt; denn in dem schon erwähnten Landesaktionsplan sind Frauen mit Behinderung als Zielgruppe festgelegt. Dort sind mehrere Empfehlungen ausgesprochen, unter anderem der Ausbau von barrierefreien Hilfsangeboten. Das Problem ist nur, dieser Aktionsplan wurde zuletzt 2013 aktualisiert und seitdem noch nicht fortgeschrieben. Von den geforderten Maßnahmen wurden nur wenige umgesetzt. Das macht deutlich: Ein Aktionsplan mit Empfehlungen ist nicht ausreichend. Wir brauchen – und das fordern wir – ein konkretes, verbindliches sächsisches Maßnahmenprogramm zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt.
Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, ist keine Privatsache. Wir müssen entschieden dagegen vorgehen, klar und konsequent. Lassen Sie uns heute damit anfangen.
Vielen Dank.
Eine Kurzintervention bitte, Herr Präsident.
Herr Hütter, es war vorhersehbar, dass Sie hier weiter Hass schüren und so tun, als ginge die Gewalt vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund aus. Das war so vorhersehbar, dass ich gleich eine Kurzintervention vorbereitet habe. Es ist ja auch nicht neu, dass Sie sich auf die Marktplätze stellen und den Leuten sagen, besonders den Frauen, dass sie jetzt Angst haben müssen, allein nach Hause zu gehen. Ich habe übrigens keine Angst, allein nach Hause zu gehen, auch wenn ich immer mal über die Alaunstraße gehen muss, die einer der gefährlichsten Orte in Sachsen ist.
Aber die Gewalt gegen Frauen – das muss man ganz klar sagen – ist kein importiertes Problem. Wer das behauptet, der verharmlost das, was tagtäglich in deutschen Familien brutale Realität ist. Schauen Sie sich einmal die Berichte darüber an. Sie müssen sich die Zahlen wirklich einmal anschauen. Das ist ein Problem, das wir seit Jahren in diesem Land haben. Da können Sie sich jetzt nicht hinstellen und sagen, das sei ein importiertes Problem.
Ich möchte noch ein Beispiel nennen, weil Sie ja immer über verschiedene Kulturen reden. Wenn wir über Leitkulturen reden, ob das jetzt mit „d“ oder „t“ geschrieben werden muss, dann möchte ich Sie bitten, sich die Berichte zum diesjährigen Oktoberfest anzuschauen, die ja erst ein paar Tage alt und noch nicht abgeschlossen sind. Wir haben jetzt schon Berichte über versuchte Vergewaltigungen von Männern ohne Migrationshintergrund. Wir haben Berichte über sexuelle Nötigung. Einer Frau wird unter den Rock gefasst, sie wehrt sich und bekommt einen Maßkrug ins Gesicht geschlagen. Das alles sind Beispiele aus unserer Kultur. Das ist dann eine Selbstverständlichkeit. Da brauchen wir nicht so tun, als wäre das Problem importiert. Wir stellen uns Rassismus entgegen, wie wir uns auch Sexismus und sexualisierter Gewalt entgegenstellen, egal, von wem sie ausgehen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt ein bisschen unsicher. Natürlich habe ich einen zweiten Redebeitrag vorbereitet, hatte aber nicht damit gerechnet, dass hier ein völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich infrage gestellt wird.
Aber gut, das muss man vielleicht an anderer Stelle diskutieren. Das ist geltendes Recht. Es geht eigentlich nur um die Umsetzung; das hatte ich in meinem Redebeitrag schon ausgeführt. Also konzentriere ich mich auf das, was mir wichtig erscheint, nämlich den Blick darauf zu lenken, wo in Sachsen Lücken sind.
Ich wäre gern noch auf Frau Kuge eingegangen, kann sie im Saal aber nicht sehen. Sie hat ihren Redebeitrag vorgetragen und ist gegangen; das ist sehr schade. Aber vielleicht hört sie später noch irgendwann meine Rede. Ich fahre also fort.
Dr. Ulrike Böhm ist freiberufliche Rechtsmedizinerin aus Leipzig. Sie arbeitet in einem ohnehin schon anstrengenden Beruf und geht darüber hinaus einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach, sie arbeitet nämlich in der Opferambulanz des Vereins Frauen für Frauen in Leipzig. Dort führt sie vertrauliche Spurensicherungen durch. Damit ist Leipzig einer der wenigen Orte in Sachsen, wo eine solche Beweisaufnahme möglich ist.
Für alle hier im Raum, denen nicht bekannt ist, worum es bei der vertraulichen Spurensicherung geht: Opfer sexualisierter Gewalt sind häufig nicht in der Lage, sofort Anzeige zu erstatten. Das hat damit zu tun, dass dies oft schambesetzt ist, dass sie Angst haben. Häufig kommt der Täter aus dem Nahumfeld. Die Hemmschwelle, Personen anzuzeigen, ist dann sehr hoch,. Wenn sie sich aber später entscheiden, Anzeige zu erstatten, haben sie vor Gericht am Ende große Schwierigkeiten, Beweise vorzulegen.
Das hat fatale Folgen. Von den Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt werden, gehen nämlich nur 8 % überhaupt zur Polizei. Von diesen wenigen zur Anzeige gebrachten Fällen kommt es bei 87 % nicht zu einer Verurteilung. Die häufigste Ursache dafür ist die mangelnde Beweislage. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass sich die Täter über die Konsequenzen ihrer Tat eigentlich relativ wenige Gedanken machen müssen; denn die Wahrscheinlichkeit, strafrechtlich verfolgt zu werden, ist dann doch ziemlich gering.
Genau hier greift die vertrauliche Spurensicherung. Sie dient nämlich der Beweisaufnahme und der Sicherung der Spuren – anonym und vertraulich –, sodass sich das Opfer später entscheiden kann, die Tat zur Anzeige zu bringen, und dennoch eine Beweiskette hat, mit der sie vor Gericht die Tat auch belegen kann.
Frau Dr. Böhm dürfte einigen von Ihnen bekannt sein; denn sie war als Sachverständige in der Anhörung des
Sozialausschusses am 7. Mai hier im Landtag. Sie hat dort zu einem Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema gesprochen, hat ihre Arbeit dargestellt, die – ich möchte es noch einmal betonen – ehrenamtlich erfolgt. Sie hat deutlich gemacht, dass diese Versorgungsleistung für sie als Ärztin nicht abrechnungsfähig ist.
Am vergangenen Freitag wurde sie vom Landesfrauenrat mit dem Engagementpreis ausgezeichnet, und ich möchte ihr von dieser Stelle aus noch einmal ganz herzlich dazu gratulieren.
In der Jury dieser Preisverleihung sitzt übrigens auch Frank Peter Wieth, der Leiter des Referats für Gleichstellung des Sozialministeriums – er ist auch heute bei der Debatte anwesend –, und es gab ein Grußwort der Ministerin Köpping. Das heißt, hier wurde die Arbeit von Frau Dr. Böhm gewürdigt. Aber bisher gibt es eben keine Finanzierung, und das ist ein Problem. Dies muss sich ganz dringend ändern. Auch hier gibt es nun eine neue gesetzliche Vorgabe durch die Istanbul-Konvention.
Der Landesfrauenrat hat in diesem Jahr den Engagementpreis zum Thema Kampf gegen häusliche Gewalt ausgelobt und verweist damit auf das Jahresthema, vor allem auch auf die Sächsische Frauenwoche, die im November stattfindet. Hier wird es zahlreiche Veranstaltungen zum ganzen Themenkomplex Häusliche Gewalt geben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, möglichst viele dieser Veranstaltungen zu besuchen, weil in der heutigen Debatte – das wird schon so ein bisschen deutlich – eigentlich die Zeit fehlt, um auf alle Aspekte ausführlich einzugehen. Umso mehr freue ich mich, dass sich der Landesfrauenrat so sehr auf diesem Themenfeld engagiert.
Das ist übrigens genau der Landesfrauenrat, der von Teilen dieser Regierung schon einmal beinahe kaputtgespart worden wäre. Es ist den engagierten und widerstandsfähigen Frauen zu verdanken, dass diese Durststrecke überstanden werden konnte und dass es den Landesfrauenrat überhaupt noch gibt.