Katrin Budde
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Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten wird heute kommentiert mit: „Nur weiter so?“ - Eigentlich hätten wir uns die Debatte dann sparen können; denn „Nur weiter so“ reicht offensichtlich nicht aus, sondern das Fragezeichen zeigt deutlich an, dass es eine Veränderung in der gesamten Regierungspolitik, aber eben auch in der Wirtschaftspolitik geben muss.
Als ich am 15. Februar 2006 die „Mitteldeutsche Zeitung“ gelesen habe, in der Herr Rehberger damit zitiert wird, dass die Zahl der Arbeitslosen seit dem Jahr 2002 um knapp 10 % gesunken sei, da habe ich mir gedacht, nur gut, dass es Pisa noch nicht gab, als Sie zur Schule gin
gen. Ansonsten hätte das den Schuldurchschnitt wahrscheinlich dramatisch verschlechtert. Ich glaube, auch bei Ihnen gab es schon die Prozentrechnung. Das ist ganz schwer aus den Zahlen herauszurechnen.
Ich weiß, Sie sind, was die Statistiken angeht - ich möchte nicht sagen: Fälscher, weil ich dann eine Anzeige bekomme; ich habe inzwischen gelernt, dass es, wenn es vorsätzlich gesagt wird, Lüge ist -, zumindest ein Jongleur. Wenn man es so liest, dann nimmt man sich einmal die Zahlen vor und versucht herauszukriegen, wie Sie das meinen:
Also im Jahr 2002 betrug die Arbeitslosenquote durchschnittlich 19,6 %, im Jahr 2005 20,2 %. Danach ist die Arbeitslosenquote um 0,6 Prozentpunkte gestiegen.
Nehmen wir die realen Zahlen, Herr Wolpert: im Jahr 2002 260 465 Arbeitslose und im Jahr 2005 258 525 Arbeitslose, also ein Minus von exakt 1 940 Arbeitslosen.
1 % von 260 465 ist 2 604. Der Rückgang beträgt also weniger als 1 %. Die 10 %, um die die Arbeitslosigkeit zurückgegangen sein soll, lassen sich aus diesen Zahlen nicht ableiten.
Was Sie gemacht haben, nehme ich an, ist Folgendes: Sie haben die Zahlen vom Januar 2002 und vom Januar 2006 genommen und nur diese Momentaufnahme analysiert und haben dann gesagt: Das ist der Trend. - Anders kann ich mir die Zahlen nicht erklären. Das ist schon ein bisschen Jonglieren mit den Zahlen, wie man es gerade braucht.
Wissen Sie, man kann die Arbeitslosenquoten im Zeitraum von 2002 und 2005 sowieso nicht prozentual miteinander vergleichen - da haben Sie völlig Recht -, weil es unterschiedliche Basissysteme in der Berechnung gab. Deshalb kann man im Grunde genommen nur eines feststellen: Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch. Es gibt zu viele Arbeitslose und der Trend ist leider nicht wirklich gebrochen. Das heißt, es liegt noch richtig viel Arbeit vor uns.
So ist es. Das ist die Realität.
Wenn man dann eine Zahl nehmen will, die tatsächlich vergleichbar ist, dann nimmt man die Zahl der Erwerbstätigen; denn deren Berechnungsbasis ist gleich geblieben: Im Jahr 2002 gab es 1,025 Millionen Erwerbstätige und im Jahr 2005 0,985 Millionen Erwerbstätige. Das entspricht einem Minus von 40 500 Erwerbstätigen. Das ist zumindest ein Signal, dass es so, wie es jetzt gemacht wird, offensichtlich noch nicht zu einem Erfolg geführt hat und dass man darüber nachdenken sollte, wie man Wirtschaftspolitik effektiver und zielsicherer ausgestaltet.
Nun zu Ihrer Ansiedlungsoffensive; deren Ergebnisse: Na ja. Ich attestiere Ihnen gern, dass es ist in diesen Zeiten schwierig ist, große Investitionen zu holen. Es
gibt eine allgemeine Investitionszurückhaltung. Steuergeschenke haben nicht dazu geführt, dass die Unternehmen stark investieren, und die Binnennachfrage ist auch nicht angekurbelt worden. Das alles zusammen macht es schwierig.
Aber trotzdem: Manchmal hat man das Gefühl, außer verstopften Förderpipelines ist bei Ihnen nicht viel gewesen. Nach dem Bewilligungsboom im Jahr 2003: 730 Anträge, davon 250 Anträge Kominvest, 500 Anträge von der normalen gewerblichen Wirtschaft. - Das ist ungefähr der gleiche Stand wie in den Jahren 2000 und 2001 gewesen.
Im Jahr 2005 setzt sich der Trend allerdings nach unten fort mit nur noch 250 Anträgen. Das zeigt ausschließlich - ich will hier überhaupt keine Negativdiskussion aufmachen -,
dass wir etwas verändern müssen. Diese Erkenntnis will ich erreichen, dass Sie etwas verändern müssen im Rahmen der Wirtschaftspolitik.
Wissen Sie, Herr Rehberger, ich habe in der ersten Legislaturperiode in einer Debatte einmal zu Ihnen gesagt - heute würde ich solche Vergleiche nicht mehr verwenden -, Sie wären wie ein Dinosaurier: Wenn man dem auf den Schwanz tritt, dauert es auch ewig, bis die Information im Gehirn ankommt. - Ich würde diesen Vergleich heute nicht mehr machen.
Wir haben die Wirtschaftsbroschüre im Sommer 2004 veröffentlicht. Wir haben jetzt das Jahr 2006. Offensichtlich ist die Leitungslänge noch länger geworden; denn die SPD wird immer noch mit falschen Konzepten der Wirtschaftsförderung, die sie haben wolle, die sie diskutieren wolle, zitiert. Deshalb mache ich einmal eine kurze Lesestunde hier bei Ihnen. „Wirtschaftsförderung konzentrieren und an klare Kriterien binden“, heißt es in unserer Broschüre.
„Wirtschaftliche Entwicklung braucht eine starke industrielle Basis. Sachsen-Anhalt wird seine Unternehmenslücke nur schließen können, wenn es seine industrielle Basis festigt und erweitert.“
Das hat übrigens Herr Paqué beim Wirtschaftsrat der CDU gesagt. Stimmt’s, Herr Bullerjahn? - Ich muss Sie auch einmal zitieren, sonst falle ich hinter Herrn Schrader zurück, der Sie so oft zitiert hat. Nicht dass auch bei mir gezählt wird, wie lange und wie oft ich meinen Fraktionsvorsitzenden zitiere.
„Eine zielorientierte, nachhaltige Wirtschafts- und Investitionsförderung ist daher auch in Zukunft notwendig. Zugleich“
- meine Damen und Herren, das ignorieren Sie immer -
„verschlechtern sich die finanziellen Rahmenbedingungen:“
- ob wir das wollen oder nicht; das Land muss sparen; das zumindest sagen Sie auch -
„erstens weil die Summe der künftig zur Verfügung stehenden Mittel kleiner wird und zweitens weil das Land bereits einen Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel verplant hat. Die Her
ausforderung liegt also darin zu sparen und gleichzeitig eine Schwerpunktförderung sowohl regional als auch sektoral umzusetzen. Die Investitionsförderung soll künftig aus einer Grundförderung bestehen,“
- das ist das Einzige, was Sie richtig gesagt haben; Sie können Regionen nämlich gar nicht abhängen, weil in den EFRE- und in den GA-Richtlinien festgelegt ist, dass Regionen, die schlechter dran sind, bevorteilt werden sollen -
- schön, Sie stimmen mir zumindest zu -
„die für alle Regionen des Landes und für alle Branchen gleich ist und sich an den allgemeinen Bedingungen der GA orientiert. Die Höchstförderung wird allerdings an die Erfüllung zusätzlicher Kriterien gebunden.“
An dieser Stelle kommen wir zum Knackpunkt. Bei uns heißt es eindeutig:
„Zur räumlichen und sektoralen Konzentration der Mittel wird vorgeschlagen, dass einzelbetriebliche Investitionen nur noch dann den Höchstfördersatz bekommen, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sind: Investitionsvorhaben in den Regionen Magdeburg, Halle und Harz,“
- da sind wir bei Ihren Regionen; das sind die ökonomischen Entwicklungskerne, die das IWH für SachsenAnhalt analysiert und herausgefunden hat -
„Investitionsvorhaben in strukturbestimmenden Clustern, mit denen die Wertschöpfungsketten im produzierenden Gewerbe gestärkt werden, Investitionsvorhaben, mit denen“
- nicht mindestens 15 neue Arbeitsplätze, Herr Rehberger, Herr Paqué, Herr Böhmer, sondern: -
„mindestens 15 % zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden,“
- das ist nämlich eine echte Mittelstandsklausel; kleinere Betriebe brauchen weniger neue Arbeitsplätze zu schaffen, um in den Genuss der Höchstförderung zu kommen, als größere Betriebe; ich denke, das ist in unserem Land sehr angebracht -
„Investitionsvorhaben in Betriebsstätten mit einer Mindestausbildungsquote, Investitionsvorhaben, mit denen eine Verlagerung und Ansiedlung bedeutsamer unternehmensspezifischer Funktionen wie zum Beispiel Unternehmenssitz, Forschung und Entwicklung, Marketing und Vertrieb verbunden sind, und“
- zum Schluss -
„Investitionsvorhaben mit hohem Forschungs- und Entwicklungsanteil, insbesondere Vorhaben in Zusammenarbeit zwischen verarbeitendem Gewerbe und sachsen-anhaltischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.“
Ich gebe Ihnen das nachher. Sie haben ja spätestens ab April viel Zeit zum Lesen, Herr Rehberger. Dann können Sie sich das in Ruhe durchlesen und dann werden Sie mich nicht mehr falsch zitieren.
- Ach, Herr Daehre, wir hatten doch etwas anderes vor. Dann können Sie jetzt nicht sagen: Ich auch.
Ihr Landesvorsitzender hat mich schon umarmt und gesagt: Das wird eine große Koalition, darauf freue ich mich richtig.
Da sind die Kammern schneller, meine Damen und Herren. Deren Mitgliedsunternehmen sind auch unmittelbar betroffen. Ich darf aus der Presseveröffentlichung der Kammern zitieren. Sie sagen, dass öffentliche Mittel zur Förderung von Investitionen in Wachstumspolen konzentriert werden müssen; mit den Zuschüssen kann man nicht mehr die Fläche insgesamt unterstützen. - So äußerten sich beide IHK flächendeckend für SachsenAnhalt.
Das Wirtschaftsministerium hat zwar die Förderung auf bestimmte Bereiche konzentriert. Herr Rehberger, Sie haben es sogar getan. Zum Beispiel haben Sie aber die florierende Ernährungsbranche ausgeschlossen. Das hält die IHK für falsch.
- Ich zitiere doch nur die IHK, Herr Schrader.
Die IHK machen sich zudem dafür stark, die Erweiterungsinvestitionen viel stärker als bisher zu unterstützen; denn dies schafft zusätzliche Dauerarbeitsplätze. Das ist durchaus richtig. Wenn man einmal guckt, was in den vergangenen Jahren beantragt wurde, so muss man feststellen, dass mehr als 50 % aller Investitionsprojekte Erweiterungsinvestitionen gewesen sind.
Meine Damen und Herren! Das ist gut so. Das spricht von einem industriellen Mittelstand, der sich entwickelt. Das spricht von starken mittelständischen Unternehmen, die mit dem Markt wachsen.
Ich sage: Diese Unternehmen müssen, egal ob es die zweite, die dritte, die vierte, die fünfte, die zehnte oder die zwölfte Erweiterung ist, in ihrem Wachstum unterstützt werden, solange wir es noch können. Das Geld ist endlich. Wenn wir es irgendwann nicht mehr können, müssen wir hier starke Unternehmen haben. Jetzt muss diesen Unternehmen der Vorteil mitgegeben werden.
Meine Damen und Herren! Herr Böhmer hat gestern im Bundesrat erklärt, der Vorwurf, im Osten werde die Wirtschaft unterschiedslos mit der Gießkanne gefördert, sei längst widerlegt worden; das könnten wir uns gar nicht mehr leisten.
Das ist eine gute Analyse. Wir warten darauf, dass wir die Konzepte mit Ihnen diskutieren können.
Nun zum gutem Schluss: Mein Fraktionsvorsitzender hat gestern die Differenzen zwischen der CDU und der
FDPi - Entschuldigung, das war wirklich nicht mit Absicht -
und der FDP zum Thema gemacht. Ich glaube im Übrigen, meine Damen und Herren, Sie werden mir ohnehin Wahlkampf vorwerfen. Deshalb gestatte ich mir, zum Schluss zwei Zitate zu bringen.
Es ist in der Tat so, dass die Parteien unterschiedliche Grundsatzprogramme und unterschiedliche Ansätze haben. Man sieht es an der Debatte um den Mindestlohn. Ich erlaube mir, dazu zum Schluss aus dem „Eulenspiegel“ zu zitieren, der unter der Überschrift „Mit vollem Bums für Markt und Freiheit“ eine ganz nette Satire über die FDP geschrieben hat. Sie schreiben:
„Für den freien Handel votieren die Helden von der FDP so lange, bis er bei ihr ans Fenster klopft. So zieht sie im Interesse der Apotheker sengend und mordend gegen den Internethandel mit Arzneien zu Felde und sträubt sich jahrelang mit wilder Zunge gegen die Reform der Zunftordnung, die es Handwerkern ohne Meisterhut erlaubt, sich auf die eigenen fünf Buchstaben zu verlassen.
Auch streitet sie mit erbitterten Händen und Füßen für die bundeseinheitliche Besoldung der Staatsdiener, wo hingegen sie die Flächentarifverträge für die eher parteifremden Arbeiter und Angestellten knicken will. Gegen links und unten halten die Liberalen zusammen. Und wenn es ums Geld geht oder um Freiheit, ist die Freiheit zum Geldmachen allemal der warme Mittelweg.“
Ich weiß, dass das überzogen ist. Ich unterstelle das mit Sicherheit nicht jedem, der Mitglied in der FDP ist.
Aber es zeigt den unterschiedlichen Ansatz. Satire ist dazu da, um unterschiedliche Ansätze überzogen darzustellen. - Ich freue mich auf den Fortgang der Debatte.
Herr Paqué, ich habe sogar ausführlich zitiert, wie wir uns die Konzentration auf regionale und sektorale Standorte und Branchen vorstellen. Es gibt drei große Regionen: Magdeburg, also die Region Magdeburg,
die Region Halle - so steht es im Übrigen auch darin - und die Region Harz.
Das habe nicht ich erfunden. Vielmehr ist das der Analyse des IWH zu den Verflechtungsbeziehungen zwischen der Wirtschaft, der Wissenschaft, dem Ausbildungsstand und der Facharbeiterklientel zu entnehmen. Das sind die starken Standorte.
Diese - darin werden Sie mir sicherlich zustimmen - gilt es auch mit den Mitteln und Möglichkeiten für die nächsten Jahre noch stärker zu machen, damit sie regional ausstrahlen können. Für alle anderen Bereiche gilt natürlich die Grundförderung. Auch das habe ich Ihnen gesagt.
Ich will sie nicht noch einmal vorlesen. Dort ist die Höchstförderung nach unseren Vorstellungen möglich.
- Natürlich, so steht es dort. Ich gebe Ihnen gern ein Heft, Herr Schrader. Ein paar habe ich noch. Aber Sie kennen sich ja mit dem Internet aus und können sich auch die PDF-Datei herunterladen. Dort steht das auch.
Dort ist die Höchstförderung nach unseren Vorstellungen möglich, wenn mindestens drei der anderen Kriterien erfüllt sind. Die habe ich Ihnen vorgelesen. Dann - das ist unser Diskussionsangebot - kann man im Grunde in jeder Region unter bestimmten Bedingungen die Höchstförderung erreichen. Es ist abhängig von dem Projekt und von der Strukturwirksamkeit des Projektes.
Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht dazu sagen. Lesen Sie es sich durch. Lesen Sie es wirklich im Original und versuchen Sie nicht wieder, mir irgendein Komma oder einen Halbsatz im Munde herumzudrehen, Herr Paqué. Aber wenn Sie noch Nachfragen haben - -
Ich hätte von Ihnen als Ökonom eine intelligentere Frage erwartet.
Ich habe zwar nicht Volkswirtschaft studiert, Herr Professor Paqué, aber ich beschäftige mich in der Tat seit 15 Jahren damit. Ich weiß auch, dass der Begriff Cluster sehr unterschiedlich definiert ist. Der eine meint damit dies, der andere meint das. Deshalb haben wir in unsere Broschüre, die Sie seit Sommer 2004 hätten lesen können, den Clusterbegriff hineingeschrieben. Soll ich Ihnen das vorlesen oder möchten Sie das gern schriftlich haben?
Cluster sind verschiedene Branchen, die in Wertschöpfungsketten verbunden sind. Wenn Sie zum Beispiel die Automobilindustrie betrachten, dann haben Sie in einem Cluster nicht nur diejenigen, die Gussteile herstellen, sondern Sie haben auch diejenigen, die Sitze herstellen, die Plasteindustie usw. Das ist die wissenschaftliche Definition des Begriffs Cluster, der im Übrigen auf der Veranstaltung - ich meine, es war im Jahr 2002 - des Regionenmarketings, das zu den Clustern und zu den Regionalclustern eine große Konferenz durchgeführt hat, auch von der Wirtschaft so dargestellt worden ist.
Ich würde Ihnen wirklich empfehlen, nicht diese theoretischen Spielchen zu spielen - das können Sie nachlesen, das haben wir ganz exakt aufgeschrieben -, sondern lassen Sie uns in der Praxis gucken, welche Schätze wir in Sachsen-Anhalt haben und wie wir helfen können, diese Schätze im Wirtschaftsbereich mit der Wirtschaftsförderung weiterzuentwickeln.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es gibt also doch noch das Recht des Parlaments, Fragen zu stellen, die von der Landesregierung nicht abgelehnt werden können.
Herr Rehberger, wir haben gewusst, dass Sie nicht nur auf die Frage antworten wollen, sondern dass Sie den ganzen Vorspann bringen wollen. Insofern hatten wir auch nichts anderes erwartet. Gestatten Sie mir, etwas anzumerken und Sie zu fragen.
Es ist durchaus das Recht der Abgeordneten, Dinge, die diese Legislaturperiode und Ihr Handeln betreffen, im Parlament nachzufragen. Nichts weiter hat der Abgeordnete Herr Felke hier getan. Insofern muss ich sagen - Sie stimmen mir darin sicherlich zu -, dass die Landesregierung verpflichtet ist, darauf zu antworten, ohne die Abgeordneten dabei so anzugreifen, wie Sie das eben gemacht haben, und ihnen etwas anderes zu unterstellen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich weiß, das ist immer sehr unangenehm; aber so wie die Auseinandersetzung um diese Frage eben geführt worden ist, müssen Sie auch damit rechnen, dass jemand dazu Stellung nimmt und dass das, was Herr Rehberger in seiner Art und Weise gegenüber dem Abgeordneten Felke erwähnt hat, so nicht stehen bleibt.
Ich hätte zwei Fragen. Sie sind sicherlich sachfremd, aber sie ergeben sich daraus, wie Sie geantwortet haben. Es ist der jetzigen Opposition durchaus gestattet, Dinge, die in Ihre Regierungszeit fallen, nachzufragen.
Sehen Sie es auch so, dass die Landesregierung verpflichtet ist, Abgeordneten sachliche Antworten zu geben, ohne sie in der Art zu diskreditieren, wie Sie das eben mit Ihrer Antwort getan haben?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, offenbar hat der eigene Fraktionsvorsitzende den Aufruf, bei dem Thema nicht zu polarisieren und das nicht für den Wahlkampf zu nutzen, nicht richtig zugehört. Ich würde eher Ihnen zustimmen, dass man das Thema in dieser Art und Weise tatsächlich nicht als Wahlkampfthema nutzen sollte.
Aber ich gehe davon aus, dass wir im Landtag zumindest bezüglich der Feststellung übereinstimmen, dass es zum einen eine deutlich voranschreitende soziale Polarisierung in Deutschland und in Sachsen-Anhalt gibt. Diese schreitet zunehmend voran. Das ist kein statischer Zustand.
Zum anderen gehe ich davon aus, dass wir diesen Polarisierungsprozess nicht nur aufhalten, sondern möglicherweise auch umkehren wollen. Die Analysen sind doch sehr erschreckend. Darin wird über real existierende Parallelstrukturen berichtet, von Bevölkerungsschich
ten, die völlig losgelöst voneinander und aneinander vorbei leben, die kaum noch Berührungspunkte miteinander haben, wenig voneinander wissen und zwischen denen die Brücken einer normalen Kommunikation abgebrochen sind.
Wenn ich jetzt die Debatte im Landtag verfolge, dann habe ich ein bisschen das Gefühl, dass wir diesbezüglich auch in der Politik zwei Parallelwelten haben. Die einen reden nur über die Haushaltskonsolidierung, die Haushaltpolitik und die in diesem Zusammenhang bestehenden Notwendigkeiten, die mit Sicherheit niemand infrage stellt, und die anderen reden nur über die sozialen Problemlagen.
Ich denke, es ist unsere Aufgabe, zwischen beiden Seiten eine Brücke herzustellen und Lösungen dafür zu finden und nicht nur die Parallelwelten in der Politik und in der Wahrnehmung zu beschreiben.
Ich möchte das an dem Beispiel deutlich machen, das Sie, Herr Ministerpräsident, genannt haben. Wenn Sie sagen, dass wir sowohl quantitativ als auch qualitativ ein hohes Niveau in der Kinderbetreuung haben, dann ist das durchaus richtig. Ich halte es jedoch nicht für richtig, dass man sich hinsichtlich der Vorgaben des EU-Gipfels von Barcelona an der unteren Grenze orientiert. Auf diese Weise kann man keine Brücke zwischen den beiden politischen Themen herstellen.
Man sollte sich eher an französischen oder anderen Modellen orientieren und schauen, welche Ergebnisse dort erreicht werden und wie wir uns hier verbessern können. Das erreicht man nicht, indem man sagt: Wir haben doch schon mehr als diese paar Prozent, die europaweit gefordert werden. Das kann sicherlich nicht das Niveau sein, an dem wir uns orientieren sollten.
- Wir haben aber andere Strukturen, lieber Kollege. - Es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken, ob andere Strukturen in der Kinderbetreuung und im Schulsystem nicht auch bessere und andere Ergebnisse hervorbringen. Wenn wir uns das Nachdenken darüber verbieten, dann befinden wir uns viel mehr in einer Parallelgesellschaft, als das durch soziale Polarisierung überhaupt hergestellt werden kann.
Meine Damen und Herren! Wenn in diesen Analysen angeführt wird, dass es in der Gesellschaft Parallelstrukturen gibt, dann bezieht sich das eben nicht auf Frankreich, sondern auf die innere Situation in Deutschland. Wir in Deutschland und insbesondere wir in SachsenAnhalt haben aufgrund des geringen Ausländeranteils das Problem der Migration zwar nicht in dem Maße wie in Frankreich, aber wir haben dieses Problem innerhalb unserer Gesellschaft, und zwar in jeder unserer Städte und in jeder unserer Kommunen.
Das ist nicht die gleiche Situation wie in Großstädten wie Köln, Düsseldorf, Essen, Stuttgart oder anderen, sodass man vielleicht Parallelen ziehen und sagen könnte, Herr Gallert, dass so etwas mit Parallelgesellschaften, die nicht immigriert sind, passieren könnte. Ich will mich deshalb auf die Probleme in unserer eigenen Gesellschaft beschränken.
Ich sehe drei große Gräben, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen und die die Ursachen für diese Polarisierung sind. Das sind auch unsere drei Ansatzpunkte für die Gestaltung durch die Politik.
Das ist zum Ersten die Teilhabe an Bildung - dazu haben wir heute Morgen bereits eine ausführliche Debatte geführt -, zum Zweiten die Teilhabe an Arbeit und zum Dritten das verfügbare Einkommen. Dieses bestimmt natürlich auch in gewissem Maße den Sozialstandard.
Ich möchte, obwohl die Debatte heute Morgen schon sehr ausführlich war, noch einmal auf das Thema Bildung eingehen, weil ich es für eines der Schwerpunktthemen halte, wenn es um soziale Polarisierung geht.
Es ist wirklich erschreckend, dass bei uns in Deutschland, in unserem Bildungssystem - ich sage es noch einmal - Kinder aus sozial schwachen Schichten offenbar nicht die gleichen Chancen auf höhere Bildungsabschlüsse haben.
Wir können dazu ins Detail gehen, wir können darüber diskutieren und können irgendwelche Begründungen finden, aber in der Summe bleibt es so.
Offenbar ist es so, dass die persönlichen Ergebnisse verbessert werden können. Das ist gut so. Das hat auch die Pisa-Studie gezeigt. Aber ob infolgedessen allen Kindern und Jugendlichen der Zugang zur höheren Bildung möglich ist, das möchte ich zumindest infrage stellen.
- Frau Feußner, es nützt überhaupt nichts, wenn Sie jetzt hinausgehen, wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, dass die soziale Polarisierung gerade in der Bildungsproblematik
- ja, das ist Ihr Problem -
ihre Ursachen hat.
Ich möchte auf ein kleines Detail eingehen. Herr Olbertz ist leider nicht anwesend. Es ist nicht die Angst davor, dass man mit einem Realschulabschluss keine Ausbildungsstelle bekommt. Es gibt viele freie Träger, die versuchen, die Lücke zwischen Grundschule und Gymnasium mit Sekundarschulen zu schließen, und zwar nicht, weil sie Angst vor dem Realschulabschluss haben, sondern weil sie - das muss man so ehrlich sagen - zum Teil Angst vor einem sozialen Milieu haben, das sich in bestimmten Realschulen einfach ansammelt.
Das ist die Ursache. Darüber muss man nachdenken, wenn man über Bildungssysteme und soziale Polarisierung redet.
Ich weiß, wir haben diesbezüglich große ideologische Gräben, sie verlaufen von Nord nach Süd und auch zwischen den sowie innerhalb der Parteien. Trotzdem muss man über das Problem reden und eine Lösung dafür finden.
Ich halte auch das für falsch, worüber gegenwärtig auf der Bundesebene diskutiert wird, nämlich dass dies
noch kleinteiliger in die Länder gegeben wird. Das wird keine Lösung sein.
Das ist ein sehr langwieriger Prozess, bei dem wir, die wir aus der DDR kommen, wahrscheinlich noch eher einen Konsens finden würden, als das bei denen möglich ist, die aus der Bundesrepublik kommen.
Es geht dabei - damit komme ich zu dem zweiten Thema, zu dem Thema Arbeit - natürlich auch um Einkommen, aber es geht nicht nur um Einkommen; denn in einer Arbeitsgesellschaft wie der unseren ist bezahlte Arbeit weit mehr als nur Einkommen. Sie bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft. Arbeit zu haben bedeutet, gebraucht zu werden. Keine Arbeit zu haben bedeutet den Ausschluss aus der Gesellschaft, es bedeutet, nicht gebraucht zu werden.
Deshalb müssen wir uns beim Thema Arbeit auch über mehr als nur über Geld unterhalten. Es geht nicht nur um Transferleistungen; die Teilhabe an Arbeit kann auch in anderen Formen erfolgen. Auf diese Weise können wir die Leute wieder in die Gesellschaft integrieren und können somit helfen, die soziale Polarisierung aufzubrechen.
Wenn es um Geld geht, dann hat das - ich habe es eben gesagt - auch etwas mit auskömmlichen Familieneinkommen zu tun. Wir haben eben über Einkommen, über Lohn, über Kündigungsschutz geredet. Natürlich entscheidet das Einkommen mit darüber, ob Kinder, Eltern, Großeltern oder auch Alleinstehende - ich will sie gar nicht ausschließen - die Angebote in Kindertagesstätten, in Schulen, in der Freizeit wahrnehmen können, ob sie sich integrieren können und ob sie an den Möglichkeiten der Gesellschaft teilhaben können.
Aber oftmals fehlt das auskömmliche Familieneinkommen auch bei denen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit haben. Auch das müssen wir betrachten, wenn es um soziale Polarisierung in der Gesellschaft geht.
Wenn man sich den Magdeburger Sozialreport ansieht - Magdeburg ist eine Stadt, der es auch von der Bevölkerungsstruktur her relativ gut geht -, dann stellt man fest, dass 50 % der Familien ein Nettoeinkommen haben, das unter 1 500 € liegt. Lediglich 27 % der Familien haben ein Nettoeinkommen, das über 2 000 € liegt. Das sind Zahlen, die aussagen, wie schwer es ist, den Kindern dieser Familien die Teilhabe an allen Angeboten oder wenigstens an einem Teil der Angebote zu ermöglichen.
Deshalb muss man bei dem Thema „soziale Polarisierung“ auch über die Löhne reden und gegen Lohndumping argumentieren. Man muss aber auch über die Angleichung des Arbeitslosengeldes II reden; denn - das stimmt, Herr Gallert - durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird ohnehin schon ein bestimmter Prozentsatz aufgefressen. Ich denke, der Osten wird zumindest bei der Forderung einig bleiben. Ich kann keine Garantie dafür geben, was letztlich als Ergebnis herauskommt. Aber eine Angleichung an das Westniveau ist, denke ich, dringend erforderlich.
Ich glaube auch nicht, dass die Aufhebung der Probezeit das Problem bezüglich befristeter Arbeitsverträge löst, Herr Scharf. Ich denke, die Diskussion geht tiefer; wir können sie heute hier nicht führen. Sie hat auch nur in bestimmten Bereichen etwas mit dem Thema der sozialen Polarisierung zu tun. Deshalb sollte man entideologisiert darüber sprechen, was Sinn macht und was keinen Sinn macht. Wir haben diesbezüglich wahrscheinlich sehr unterschiedliche Positionen.
Ich möchte dringend davor warnen - auch das sollte angesprochen werden, wenn man über soziale Polarisierung redet -, dass der Umstand, wenig Geld zur Verfügung zu haben, also in der Alltagssprache „arm“ zu sein, zwangsläufig bedeutet, zu bestimmten sozialen Schichten zu gehören. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat diese im Februar 2005 mit folgenden Worten beschrieben:
„Sie sind kinderreich, aber sie kennen kaum stabile Familienverhältnisse. Sie zeichnen sich trotz Armut nicht in erster Linie durch materielle Unterversorgung aus, sondern dadurch, dass sie ein Dasein ohne Zukunftsaussichten führen.“
Man kann das nicht alles über einen Kamm scheren. Natürlich gibt es viele Familien, die wenig Geld zur Verfügung haben, aber trotzdem ihren Kindern Bildung und Zukunft ermöglichen. Diese Familien schaffen es durch Zusammenhalt und Kreativität, diese Armut besser zu kompensieren, als dies in zerrütteten Familien der Fall ist. Aber das ist leider nicht die Regel. Das ist bei der großen Menge der sozial schwachen Familien leider nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Das sind, denke ich, auch nicht die, über die wir jetzt hier reden.
Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es immer mehr Menschen, immer mehr Familien werden, die an den Rand der Gesellschaft gleiten, ob sie es nun wollen oder nicht. Das findet generationsübergreifend statt. Es ist die Aufgabe der Politik, diese Tendenz aufzuhalten.
Herr Ministerpräsident, natürlich kann man in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung nicht alle sozialen Probleme lösen. Es ist schwieriger geworden, diese sozialen Probleme zu lösen. Aber man kann das doch nicht als Schutzschild hoch halten und sagen: Wir sind ohnehin nicht diejenigen, die dafür die Lösungsvorschläge bringen können; wenn das einer erfunden hätte, hätte er schon den Nobelpreis bekommen.
Wir müssen uns vielmehr an dem Finden von Lösungen für unser Land, aber auch für die Europäische Union beteiligen. Wenn Sie es global sehen wollen, dann ist es sogar eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft auf dem Erdball. Aber wir müssen uns auch an der Lösung kleiner Probleme hier im Land beteiligen und dürfen nicht die Globalisierung als Schutzschild hoch halten.
Habe ich noch ein wenig Zeit? - Danke.
Ich möchte Ihnen nur ein kleines Beispiel nennen; das kostet auch nicht mehr Geld. Wenn man sich den Bereich der sozialen Problemlagen ansieht, dann stellt man zum Beispiel fest, dass zunehmend mehr Jugendliche aus Lernbehindertenschulen zur Ausbildung oder zur
Arbeit an Einrichtungen der Behindertenausbildung abgegeben werden, anstatt ihrer Problemlage gerecht zu werden. Es wird vorher nicht einmal geprüft, ob sie vielleicht gar nicht Lernbehinderte im klassischen Sinne sind, weil bei ihnen eine Behinderung nicht aufgrund eines Intelligenzdefizits oder aufgrund einer Krankheit, sondern aufgrund von sozialen Problemen gegeben ist. Die Anzahl der Betroffenen steigt.
Man versucht, solche Jugendlichen in Behinderteneinrichtungen zu integrieren. Sie stören dort aber, weil sie anders geartete Probleme haben. Sie kommen nämlich aus einem sozial geschädigten Milieu und wollen nicht unbedingt arbeiten, was Behinderte jedoch sehr gern wollen. - Es ist einfach falsch, das zu tun.
Es gibt Einrichtungen, die sich mit Kindern aus dem sozial geschädigten Milieu beschäftigen. Das ist ein kleiner Teil, bei dem es nicht darum geht, mehr Geld anzufassen, sondern ins Detail zu schauen und darüber nachzudenken, welche praktischen Lösungen man anbieten kann, die den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden und mit denen man sie vielleicht aus ihrem sozialen Umfeld herausholen kann.
Eines noch zum Schluss. Für mich gehört es auch dazu, darüber zu reden, dass man das Familienbild oder zumindest einige seiner Fassetten, etwa die Einstellung zur Berufstätigkeit von Frauen mit Kindern, überdenken muss. Das haben wir hier schon oft thematisiert.
Wenn man sich den Sozialreport anschaut - Herr Gallert hat es gesagt -, dann stellt man fest, dass eben nicht die Kinder, die aus Familien stammen, in denen beide Eltern voll berufstätig sind, Probleme hinsichtlich der Gesundheit, der Motorik oder der Sprache haben. Vielmehr sind es Kinder aus anderen Bereichen. Es schadet also nicht, wenn beide Eltern berufstätig sind, sondern es wirkt sich sogar fördernd aus.
Deshalb sollte man bei der Lösung der Sozialprobleme auch das als Grundlage heranziehen.
Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Ich glaube tatsächlich, dass wir mit diesem Thema noch viel zu tun haben werden, und zwar nicht nur bis März 2006. Dann wird es möglicherweise von dem einen oder anderen als Wahlkampfthema genutzt werden; das wird niemand verhindern können.
Ich gehe aber stark davon aus, dass wir uns insbesondere nach dem März 2006, wenn es um das Umsetzen geht, mit diesem Thema beschäftigen werden; denn wir können diese Parallelstrukturen, die sich entwickeln und die inzwischen eine große Menge von Menschen betreffen, nicht ignorieren. Wir müssen eine Lösung dafür finden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich hat jeder einen Vertreter im Beirat. Aber ich denke, die Ausschüsse sind insbesondere auch dafür da zu gucken, wohin die politische Weiterentwicklung und damit die inhaltliche Weiterentwicklung der Investitionsbank geht. Die angesprochenen Themen sind genau die richtigen: Was wird künftig dort noch konzentriert? Welche Förderprogramme werden in die Bank hineingegeben?
Und Sie haben es gesagt, Herr Minister: Es ist wichtig, im Zusammenhang mit der Finanzierung von Programmen inhaltlich darüber zu reden, was mit den Strukturfonds passiert, wo sie angebunden und wofür sie ausgegeben werden. Das ist eine Diskussion in beiden Ausschüssen durchaus wert. Deshalb werden wir den Anträgen natürlich zustimmen und freuen wir uns auf die inhaltliche Diskussion im Ausschuss.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis vor 20 Minuten dachte ich noch, man kann sich in diesem Landtag vernünftig über Wirtschaftspolitik unterhalten.
Aber das, was in den beiden Debattenbeiträgen abgeliefert worden ist, ist echt die Spitze. Mein Kollege Herr Thiel hat sich nur versprochen, indem er „Potenz“ mit „Prozent“ verwechselt hat. Aber wissen Sie, Herr Rehberger, das, was Sie machen, hat nichts mit Versprechen zu tun, das ist Dummheit.
Entschuldigung, aber das muss man einmal so klar sagen. Aber der PDS vorzuwerfen, sie wäre gegen Unternehmen - - Fragen Sie einmal, wer in diesem Landtag verhindern wollte, dass Buna privatisiert wird. Die CDU und die FDP wollten gemeinsam nicht, dass es an das Unternehmen Dow privatisiert wird, mein Gott.
Dann beschäftigen Sie sich einmal mit der DDR-Geschichte. Da gab es Liberale und Christdemokraten, die waren damals mit der SED in einer wunderbaren Blockpartei-Koalition. Erzählen Sie das einmal Ihren Leuten!
Mein Gott, beim besten Willen. Aber es kann einem wirklich hochkommen, wenn solche Argumente ins Feld geführt werden.
Was Broschüren angeht: Sie haben weder unsere Broschüre gelesen, noch hat offensichtlich Herr Schrader unsere Broschüre gelesen. Darin steht etwas von einer Grundförderung in allen Regionen des Landes. Darin wird sogar ein Vorschlag bezüglich der Höhe gemacht. Dann wird gesagt, die Spitzenförderung soll entweder in bestimmten Regionen stattfinden oder an bestimmte Kriterien gebunden sein. Sie wissen doch, was „und“ bzw. „oder“ heißt, Herr Schrader? Das Wort „oder“ beinhaltet eine Alternative. Dann lesen Sie es einmal!
Die Kriterien können Sie auch nachlesen. Ich habe die schon 20-mal im Landtag erklärt. Ich bin es auch leid. Ich bin es wirklich leid. Ich hätte eigentlich gern eine Frage an Herrn Paqué gerichtet. Aber vielleicht kann der Herr Minister mir die Frage jetzt oder im Ausschuss beantworten. Ich habe am 23. September des letzten Jahres im Landtag nachgefragt, ob es eine Studie zur Optimierung der Förderpolitik gibt. Daraufhin ist mir von der Landesregierung geantwortet worden: Ja, die wäre in Auftrag gegeben worden.
- Ich sehe nicht Sie an, Herr Jeziorsky, ich meine den Platz daneben. - Die wäre also in Auftrag gegeben worden,
- an allem sind Sie nicht schuld - aber man wäre mit den Ergebnissen noch nicht so ganz zufrieden und man müsste darüber noch einmal im Kabinett diskutieren. Darauf haben wir gesagt: Okay, wäre es vielleicht möglich, das einmal im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zu kriegen? Vielleicht ist das schon abgeschlossen, bevor der Doppelhaushalt beschlossen wird? - Das wäre doch machbar; das würde man hinkriegen. - Bis heute haben wir davon nichts gehört. Es ist nicht veröffentlicht worden.
Ich frage an dieser Stelle noch einmal: Gibt es diese Studie schon oder gibt es sie nicht? Wenn es sie gibt, dann könnte sie sinnvollerweise genutzt werden, um im Ausschuss darüber zu reden, was welche Förderstrategie gebracht hat, wie man die Förderpolitik unter den gegebenen Bedingungen der Globalisierung und zurückgehender Finanzen verändern muss. Das sind schwerwiegende Dinge, über die diskutiert werden muss,
und zwar vernünftig im Ausschuss und nicht so platt, wie Sie es hier vorführen, Herr Rehberger.
Dann zu dieser „Wirtschaftswoche“ und zu dem Ranking. Ich bin inzwischen auch daran gewöhnt, dass man immer die Zahlen vorholt, die einem passen. Aber jemandem zu sagen, wir seien die Besten, obwohl man von Platz 4 auf Platz 9 zurückgefallen ist, das ist echt Spitze, Herr Schrader. Das ist echt Spitze.
Sie können nicht einmal auf Rot-Grün schimpfen oder auf die schlechte Ausgangslage.
- Ja, Dynamik, richtig, Herr Gürth. - Es ist auch ganz klar, weil hier nicht die Istwerte, sondern die Veränderungsraten ausschlaggebend sind, also das, was Sie in der Zeit von 2002 bis 2004 mit Ihren Veränderungen erreicht haben.
Ich meine, man bedient sich der Aussagen von Wirtschaftswissenschaftlern immer dann, wenn man meint, dass sie genau das sagen, was man hören will. Wenn einer etwas kritisch hinterfragt, dann ist es falsch. Das kenne ich inzwischen in diesem Landtag auch hoch und runter.
Wir können uns gern im Ausschuss darüber unterhalten. Für mich ist jedenfalls ein Rückfall von Platz 4 auf Platz 9 nichts Positives, sondern etwas Negatives. Deshalb muss man einmal gucken, woran das liegt. Dann kann man vielleicht die Förderstrategien danach ausrichten.
Natürlich brauchen wir neue Kriterien und natürlich müssen wir uns auf neue Bedingungen einstellen. Auch wenn Sie ein Wort, nämlich das Wort „Investitionsvorhaben“, in dem Antrag bewusst falsch verstehen, wissen Sie doch genau, was mit dem Antrag gemeint ist. So pingelig zu sein und auf dieses Niveau zurückzugehen, das ist schon wirklich stark für jemanden, der noch Wirtschaftsminister in diesem Land ist.
Meine Damen und Herren! Ganz kurz noch zwei Sätze zu dem, was auch wir gestern in der Zeitung gelesen haben. Herr Gallert ist selbst auch schon ein Stückchen zurückgerudert und hat gesagt: In der Praxis wird man industrielle Arbeitsplätze, wenn es sie gibt, auch immer ansiedeln. Man muss einmal das ganze Konzept lesen. Ich gebe zu, ich habe das Heft auch noch nicht ganz durchgelesen.
Ich werde vorher dazu überhaupt keinen Kommentar abgeben.
Herr Schrader hat gesagt, dass man es nicht vorgeben kann und dass man sich nicht dazu äußern soll, in welchen innovativen Feldern gefördert wird. Ich habe es gerade nicht hier, Herr Rehberger, aber ich kann Ihnen gern Ihr Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium noch einmal geben, in dem die Landesregierung selbst
festgestellt und festgelegt hat, welche innovativen Felder besonders förderungswürdig sind.
Sagen Sie das Herrn Schrader. Natürlich macht man sich als Land zusammen mit der Wirtschaft Gedanken, in welchen Feldern besonders gefördert werden soll und was besonders gute Auswirkungen hat.
Es wäre vernünftig, wenn es wieder zurückkommt und wenn man diesen Antrag entweder in den Ausschuss überweist, sodass man dort eine vernünftige inhaltliche Debatte führen kann, oder darüber abstimmt. Das, was hier zu dem letzten Tagesordnungspunkt gelaufen ist, war alles andere als eine inhaltliche Debatte über Wirtschaftspolitik oder Wirtschaftsförderpolitik.
Man könnte unterstellen, dass Sie kein Konzept haben. Das kam bei der Debatte über die EU-Strukturfonds schon ein bisschen durch. Aber ich will Ihnen das gar nicht unterstellen. Vielleicht sind Sie zwar die Letzten, aber Sie legen eines vor und wir können dann im Landtag und im Ausschuss darüber diskutieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten stehen in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Diese beiden haben - auch mit Politikern anderer Parteien zusammen - ganz entscheidend die Grundlagen dafür gelegt, dass die Europäische Union das ist, was sie heute ist.
Vor dem Hintergrund der heutigen Geschehnisse in London ist es umso wichtiger, dass wir über die politische Region Europa reden und dass wir das, was der Hintergrund war, nämlich die Europäische Union zu schaffen, wirklich weiter gestalten.
Überall auf der Welt finden sich große Regionen als Wirtschaftsregionen, aber auch als politische Regionen zusammen. Deshalb ist es wichtig: Wir brauchen Europa; wir brauchen eine Verfassung, die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und deren Bürgerinnen und Bürgern getragen wird.
Die Risiken, die die Menschen nicht nur in den Ländern, die nein gesagt haben, sondern auch in Deutschland gegenwärtig häufig mit der EU verbinden, beruhen sehr oft auf nichts anderem als nationalem Unvermögen, mit der Europäischen Union umzugehen und deren Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.
Europa kann auf eine beeindruckende Entwicklung in den letzten 50 Jahren zurückblicken. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges haben sich die Europäer in vielen kleinen und größeren Integrationsschritten zur Europäischen Union zusammengefunden. Der europäische Binnenmarkt, aber auch die gemeinsame Währung, der Euro, sind nur zwei Beispiele für diese Entwicklung. Auch Europas Rolle als politische Macht in der internationalen Politik hat kontinuierlich an Bedeutung gewonnen.
In Deutschland stimmte der Deutsche Bundestag am 12. Mai 2005 mit überwältigender Mehrheit dem Vertrag über die Europäische Verfassung zu. Der Bundesrat billigte die Verfassung am 27. Mai 2005. In beiden Häusern war eine Zweidrittelmehrheit notwendig.
Aber nach dem Nein zur Europäischen Verfassung durch Frankreich und die Niederlande sowie nach der Verschiebung der Ratifizierung durch die Briten wäre auch ein einfaches „Weiter so!“ nicht gegangen. Dies wäre ganz sicher kein Weg gewesen, damit umzugehen. Insofern ist es, denke ich, richtig, dass der Rat eine Denkpause verordnet hat. Das war eine folgerichtige Entscheidung. Ich bedauere allerdings ein wenig, dass bei dieser Entscheidung der innere Denkanstoß fehlt. Dieser hätte ganz sicher für eine wesentlich stärker zielgerichtete Denkpause gesorgt.
Klar ist, dass eine erneute Vorlage der gleichen Verfassung in den Ländern, in denen es ein Nein zur Verfassung gegeben hat, nicht möglich ist. Klar ist aber auch, dass respektiert, akzeptiert und berücksichtigt werden muss, dass es in vielen Mitgliedstaaten ein Ja zur Verfassung gegeben hat.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass es die Inhalte der Verfassung waren, die zu einem Nein bei der Abstimmung
geführt haben. Die bei der nachträglichen Analyse ermittelten Gründe sind immer nur Ausschnitte, die, so denke ich, für das gesamte Volk in den Ländern nicht ganz repräsentativ sind. Ich glaube vielmehr, dass eine Art gefühlter Verunsicherung dazu geführt hat, dass man zu der Verfassung der Europäischen Union nein gesagt hat.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass auch wir es uns in den letzten Jahren oft viel zu leicht gemacht haben, indem wir in Deutschland immer auf die Gesetzgebung der EU verwiesen haben, wenn wieder einmal etwas nicht klappte. Das schlägt natürlich irgendwann zurück. Auch wir haben Europa nicht so in das Volk, zu den Bürgerinnen und Bürgern gebracht, wie es diesen eigentlich zustehen würde.
Das Thema Geld steht natürlich immer stark im Vordergrund. Aber es ist nicht nur Geld, was die Europäische Union ausmacht. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, was geändert werden kann und werden muss, damit die beiden Gründungsmitglieder, die nein gesagt haben, und auch alle anderen Mitgliedstaaten der Union zustimmen können. Und - machen wir uns nichts vor - auch wir hätten, wenn es in Deutschland eine Volksabstimmung gäbe, bis zu einer breiten Zustimmung noch einen langen Weg vor uns, um zu transportieren, wie wichtig die Europäische Union für Deutschland ist.
Klar ist auch, dass wir Einigkeit über ein einheitliches Abstimmungsverfahren haben müssen, damit die Menschen in jedem Mitgliedstaat die gleichen Bedingungen haben. Wenn dieses Jahr der Denkpause positiv genutzt werden soll, muss sofort mit den nötigen Gesprächen und Verhandlungen begonnen werden.
Unser heutiges Europa ist ein Europa, das sich als Wertegemeinschaft versteht und das auf den universellen Werten und den unveräußerlichen Rechten der Menschen beruht. Es ist ein Europa, das Demokratie mit wirtschaftlicher Produktivität und sozialer Solidarität zu einem ganz eigenen Gesellschaftsmodell verknüpft. Es ist ein Europa, das sich als soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Gemeinschaft begreift, das ganz bewusst mehr sein will als eine bloße geografische Einheit, mehr als ein Binnenmarkt und mehr als eine Freihandelszone.
Es ist ein Europa, das als innere Einheit auftreten und nach der festen Überzeugung handeln will, dass wir Europäer gemeinsam mehr erreichen können, als jeder Einzelne für sich erreicht. Wir haben in den vergangenen Jahren gemeinsam auch schon mehr erreicht, als es den einzelnen Ländern möglich gewesen wäre. Es ist ein Europa, das eine Stimme für Frieden und ein starker Partner für eine gerechte und kooperative Weltordnung sein will.
Die Verfassung schafft dieses Europa nicht, aber sie bietet den Rahmen, die Institutionen und die Verfahren dafür, dass das erweiterte Europa auf seinem Weg weitergehen kann.
Ich sage es noch einmal: Die Inhalte der Verfassung geben keinen Anlass, ihr nicht zuzustimmen. Es gibt aus meiner Sicht auch gar keine politische Alternative zu einem Bekenntnis für die Weiterentwicklung Europas als Ganzes.
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, haben mit der Aktuellen Debatte ein zweites Thema aufgegriffen: die finanzielle Vorausschau für den Zeitraum von 2007
bis 2013. Durch das Scheitern der Verhandlungen in diesem Punkt können die nötigen operativen Planungen, das heißt die Umsetzung der geplanten Fonds in nationale und regionale Programme, nicht beginnen. Ohne diese Programme kennt niemand die ganz genauen Bedingungen für die Ausarbeitung und die Beantragung von konkreten Projekten. Die Planungen nehmen mit Sicherheit einen Zeitraum von einem bis anderthalb Jahren in Anspruch.
Es ist allerdings falsch zu behaupten - wie es in der Begründung ausgeführt wird -, dass dies Auswirkungen auf den EU-Haushalt bis 2006 habe. Dieser ist klar geregelt. Das Scheitern der Verhandlungen für den folgenden Förderzeitraum wird keine Auswirkungen auf die laufende Strukturfondsperiode haben; es ist im Grunde erst einmal uninteressant.
Die Verhandlungen sind eindeutig an der Blockadehaltung des Vereinigten Königreiches gescheitert. In deren Folge sind auch die Niederlande und Schweden zum Nein übergegangen. Frankreich war zum Schluss sogar bereit, ein Stück seiner „heiligen Kuh“, der Agrarsubventionen, zu opfern. Doch auch ein Angebot der neuen EUStaaten, die, obwohl sie die ärmsten Staaten in der europäischen Familie sind, zugunsten des so genannten Britenrabatts Verzicht erklärten, ließ den britischen Premierminister nicht umdenken.
Sollte es nicht zu einer Einigung über die neue finanzielle Vorausschau kommen, muss die Europäische Union mit den Obergrenzen des letzten Haushalts auskommen. Dies würde bei der erhöhten Mitgliederzahl zwangsläufig zu starken Reduzierungen bei der Höhe der Fördermittel führen; das ist richtig.
Ob sich in einer solchen Situation Verteilungskämpfe, die die Einheit der Union gefährden, vermeiden lassen, ist ziemlich ungewiss. Dies hätte ganz gewiss auch Auswirkungen auf Deutschland, auf Ostdeutschland, auf Sachsen-Anhalt, das um die Abfederung des statistischen Effekts und um die Weiterführung als Ziel-1Gebiet kämpft. Deshalb sage ich ganz klar: Wir brauchen die Finanzierungssicherheit aufseiten der EU. Es muss eine Einigung über die künftige Planungsperiode geben.
Wir brauchen die europäische Unterstützung für die Fortführung des Aufbaus Ost. Die Regionen in Ostdeutschland sind noch zu schwach, um darauf verzichten zu können. Allerdings sind wir auch schon mit unterschiedlich langen Vorbereitungszeiten für neue Strukturfondsperioden klargekommen.
Deshalb ist es, denke ich, umso wichtiger, dass wir die Zeit auch hier im Land nutzen, um uns darüber klar zu werden, wie wir in der nächsten Periode ab 2007 die europäischen Mittel einsetzen wollen. Ein Verstecken hinter der EU und hinter dieser Pause in beiden Bereichen, hinsichtlich der Verfassung und hinsichtlich der finanziellen Vorausschau, gibt es nicht, wenn es um inhaltliche Diskussionen und Entscheidungen geht.
Hierbei sind wir als Landespolitiker gefragt und hieran müssen wir auch weiterarbeiten. Die Kernthemen sind aus der zweiten Mitteilung der Kommission bekannt. Sehr viel wird sich an den groben Grundzügen nicht mehr ändern. Das heißt, wenn die finanzielle Vorschau entschieden ist, dann müssen wir im Grunde bloß noch an kleinen Rädchen drehen. Die groben Linien müssen dann für uns im Land klar sein.
Meine Damen und Herren! Auch ohne das Ausmaß der wahrscheinlich terroristischen Anschläge in London zu kennen, ist heute einmal mehr klar geworden, dass es nicht nur um ein wirtschaftliches und soziales Europa geht, sondern dass der sicherheitspolitische und der außenpolitische Aspekt eine immer stärkere Rolle spielen und spielen müssen. Wir dürfen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in unseren Staaten nicht nur über das wirtschaftliche und soziale Zusammenwachsen reden, sondern wir müssen insbesondere auch die beiden Aspekte Sicherheitspolitik und Außenpolitik in das Bewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger rücken.
Ich glaube, der heutige Tag hat eher gezeigt, dass wir noch sorgsamer vorgehen müssen, wenn wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Europäische Union vermitteln. Dies hat die Aufgabe eher noch größer gemacht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will vielleicht voranstellen, dass wir der Auffassung sind, dass die Disziplin, in die sich die Abgeordneten bei Debattenbeiträgen und Redezeiten einbinden lassen, auch für die Kabinettsmitglieder gelten sollte, Herr Ministerpräsident.
Denn ansonsten ist die schöne Zeit, die die SachsenAnhalter und Sachsen-Anhalterinnen gewinnen, wenn sie früher aufstehen, irgendwann ganz schnell verschwätzt.
Vielleicht noch eines am Anfang: Es ist nicht immer so, dass diejenigen, die von Anfang an die besseren Anzüge getragen haben - obwohl ich sehr viel für gute Kleidung übrig habe -, die besseren Köpfe haben und schon gar nicht die besseren Konzepte. Insofern setze ich immer mehr auf den Inhalt als auf den äußeren Anschein.
Sie, Herr Ministerpräsident, haben zu Recht am Schluss Ihrer Regierungserklärung in der letzten Landtagssitzung gesagt, dass dieses Land nicht das Land der einen oder der anderen Partei, nicht das Land der Regierung oder der Opposition, sondern dass es unser gemeinsames Land sei. Sie haben Lösungen angekündigt und Sie haben Lösungen eingefordert. Das, was wir heute von der Landesregierung gehört haben, wird dem Anspruch, den Sie sich selbst gestellt haben, allerdings nicht gerecht.
Was wir erwartet haben und was nötig ist, ist eine auf die Zukunft ausgerichtete Debatte und Strategie. Die
Voraussetzung dafür ist, denke ich, dass wir uns darüber einig werden, welches die Grunddaten sind, die die wirtschaftliche Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen. Zu diesen Daten gehört ganz sicher - das ist zwischen uns unstrittig - die demografische Entwicklung des Landes.
Deshalb finde ich es richtig, dass Sie als Landesregierung mit dem Kabinettsbeschluss vom 2. März 2004 festgelegt haben: Es gelten die Ergebnisse der dritten regionalisierten Bevölkerungsprognose Sachsen-Anhalts 2002 bis 2020 als Planungsgrundlage für alle Behörden und damit auch als Grundlage für Ihre Politik.
Umso unverständlicher ist es mir dann, dass Ihr Koalitionspartner uns vorwirft - wie wir heute hören mussten -, dass wir genau Ihre Daten zur Grundlage unserer Zukunftsbeiträge gemacht hätten.
Ich glaube, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das nicht von Herrn Bullerjahn erfundene Daten sind, sondern dass das die Daten des Statistischen Landesamtes sind, die hier in den Zukunftsdebatten zugrunde gelegt werden.
Man kann uns ja vorwerfen, die SPD springe zu kurz oder sie springe zu weit, aber das Ignorieren der Situation, die auf uns zukommt, und gar nicht zu springen, das führt zu Stillstand. Und Stillstand ist das Schlimmste, was diesem Land passieren kann.
Meine Damen und Herren! Die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern ist ins Stocken gekommen. In dieser Situation stellt sich die Frage: Was ist zu tun, um den Aufbauprozess wieder ins Rollen zu bringen? - So lautet die Frage, die das IWH an den Anfang einer diesjährigen Studie zur Wirtschaftspolitik in Ostdeutschland stellt.
Die Antwort, die das IWH gibt, will ich nicht an den Beginn der Debatte stellen, aber so viel kann ich Ihnen verraten: Uns hat die Antwort nicht überrascht; sie liegt nahe an der sozialdemokratischen Vorstellung über die Wirtschaftspolitik in Sachsen-Anhalt. Deshalb zunächst eine Analyse und Bewertung dessen, was wir vorhin gehört haben.
Um allen Anfeindungen ideologischer und politischer Art und Vorwürfen, ich wolle Ihre Politik nur schlechtreden, aus dem Weg zu gehen, beziehe ich mich auch hierbei auf wissenschaftliche Erkenntnisse des IWH. Wer die Beiträge des IWH und seine Einschätzung auch zur Politik der SPD-geführten Landesregierung der vergangenen Jahre noch im Ohr hat, der wird mir sicherlich zustimmen, dass das IWH nicht in dem Verdacht steht, den Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt nach dem Munde zu reden. - Also das Zitat aus dem Standortreport 2005:
„Es ist seit langem bekannt, dass Sachsen-Anhalt, bezogen auf den Zeitraum von 1991 bis 2002, bei den Investitionen der Spitzenreiter unter den ostdeutschen Flächenländern ist. Eine Reihe von Anzeichen deutet auf positive Effekte dieser Investitionen heute hin. Dazu gehören die Erhöhung der Beschäftigtenzahlen in den Betrieben, die günstige Entwicklung des Industrieumsatzes, eine positive Ertragsentwicklung in den Unternehmen.“
Womit wir bei den Grundlagen dafür wären, dass Sachsen-Anhalt heute - Gott sei Dank, sage ich - ein Musterschüler bei den Wachstumsraten im produzierenden Gewerbe ist. Sie haben dies ausgebaut; das ist gut so und das muss auch weiterhin passieren.
Aber ich will an dieser Stelle auch gleich mit dem weit verbreiteten Unsinn - so würde ich es fast bezeichnen - aufräumen, diese Landesregierung sei der Spitzenreiter bei Investitionen und erst nach der Regierungsübernahme sei das Ansiedlungsgeschäft wieder angelaufen.
Sehen wir uns die bewilligten Investitionsprojekte an: In den Jahren 2000 und 2001 etwas mehr als 500, im Jahr 2002 rund 600 Projekte. Wir werden sehen, wie viele davon umgesetzt werden. Ich hoffe im Interesse des Landes, dass es viele sein werden. Aber man rechnet immer mit einem Drei-Jahres-Zeitraum, und es gibt nicht wenige, die hinter vorgehaltener Hand sagen, Sie hätten bewilligt, was nur Beine hatte. Also warten wir einmal ab, was dabei herauskommt.
Im Jahr 2003 waren es dann rund 700 bewilligte Projekte, allerdings mit einem Haken: Etwas mehr als 200 dieser Projekte kommen aus dem Komm-Invest-Programm. Damit sind wir wieder auf dem Niveau von 2001. Im Jahr 2004 waren es nur noch etwas mehr als 200 Projekte insgesamt - minus 60 % gegenüber dem Vorjahr.
- Lassen Sie die bereinigte Kurve ruhig vor Ihrem geistigen Auge entstehen, Herr Gürth. Es ist keine Milchmädchenrechnung, sondern eine Statistik, mit der man sich einmal überlegt, was dort passiert.
- Das sind keine optimalen Kurven, sondern das ist in der Tat ein Sinkflug. In den zurückliegenden Jahren wurde die vermeintliche wirtschaftliche Dynamik des Landes mit den gestiegenen Investitionen begründet. Jetzt müssen wir feststellen: Die Summe der Investitionen in Sachsen-Anhalt geht deutlich zurück.