Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Jahre nach der In-Kraft-Setzung haben wir erstmals wieder die Ehre, uns mit dem in der Normenhierarchie unseres Landes höchsten Gesetz zu befassen. Die Achtung vor der Verfassung gebietet es, Änderungen nur maßvoll, mit großem Bedacht und möglichst auch mit großer Mehrheit durchzuführen. Dieses wird dem Landtag von Sachsen-Anhalt mit großer Sicherheit gelingen.
Der lange Abwägungsprozess hat sich also gelohnt. Die Einmütigkeit der Verabschiedung dieser Änderung der Verfassung kann dazu beitragen, die staatlichen Institutionen unserer Demokratie zu stärken und fester im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Sie kann auch dazu beitragen, Institutionenverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren! Unsere Landesverfassung symbolisiert als Ganzes unsere Staatlichkeit und ist Ausdruck unseres Selbstverständnisses, ist Ausdruck unseres individuellen Selbstverständnisses und seiner Schutzbedürftigkeit und der staatlichen Ordnung. Ihr wohnt damit eine verbindende Identifikation der Bürger mit dem Staat inne. Sie ist das verbindende Band, der Rahmen unserer Gemeinschafts- und Werteordnung.
Meine Damen und Herren! Verfassungen formulieren die Bedingungen rechtmäßiger politischer Herrschaft. Sie streben an, staatliche Macht zu begrenzen und der Ausübung politischer Macht in Institutionen Legitimation zu verleihen. So lautet eine gängige Definition einer staatlichen Verfassung.
Neben dieser Machtbegrenzung und Legitimationsfunktion hat eine Verfassung auch die Aufgabe, die Identifikation der Bürger mit ihrem Staat zu ermöglichen. Durch eine eigene Landesverfassung bringt Sachsen-Anhalt seinen Anspruch auf eine eigene Staatlichkeit zum Ausdruck und macht damit deutlich, dass es in den Grenzen der bundesstaatlichen Ordnung eigene Akzente setzen will, die sich an den aus der Geschichte des Landes und den gewachsenen Traditionen ergebenden Besonderheiten orientieren.
Allein die Existenz einer Landesverfassung dokumentiert den in Deutschland aus historischen Gründen tief verwurzelten Föderalismus, der die einzelnen Gliedstaaten gleichberechtigt neben den Gesamtstaat treten lässt. Die föderale Ordnung ist auf Individualität und Vielfalt der einzelnen Gliedstaaten angelegt, die sich bereits in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Landesverfassungen dokumentiert. Die Regelungen einer Verfassung in ihrer Gesamtheit stellen sozusagen den genetischen Code eines Bundeslandes dar. Sie stehen für dessen Einzigartigkeit und begründen so dessen Würde.
Meine Damen und Herren! In diesen abstrakten und eher theoretischen Inhalten erschöpft sich unsere Landesverfassung aber bei weitem nicht. Sie ist kein blutleerer Körper. Trotz aller notwendigen Abstraktionen gewährleistet gerade unsere Verfassung einen wirksamen Individualrechtsschutz, den vor allem das in unserem Land eingerichtete Landesverfassungsgericht gewährt.
Wie effektiv dieser Rechtsschutz sein kann, zeigen die letzten Entscheidungen. Ich erinnere exemplarisch an die Entscheidung zu den Grundschulen mit festen Öffnungszeiten oder an Entscheidungen zum so genannten Konnexitätsprinzip. Diese Beispiele machen deutlich, wie die Werteordnung unserer Verfassung unmittelbar in unser alltägliches Recht eingreift.
Meine Damen und Herren! In die verfassungsrechtliche Tradition des damaligen Verfassungsausschusses fügen sich die heute zu beschließenden Neuregegelungen nahtlos ein. Sie können als systemgerechte, den geänderten Verhältnissen angepasste Modifizierung und Weiterentwicklung verstanden werden.
Meine Damen und Herren! Kernstück der Änderung der Verfassung ist die Verlängerung der Wahlperiode von
bisher vier auf nunmehr fünf Jahre. Die Entscheidung für eine bestimmte Länge einer Wahlperiode steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem in der Verfassung verankerten Demokratieprinzip und dessen vornehmstem Ausdruck, nämlich den regelmäßig wiederkehrenden Wahlen. Damit stehen auf der einer Seite die Funktionsfähigkeit des Parlaments und auf der anderen Seite die Länge der Wahlperiode in einem gewissen Abwägungsverhältnis, das immer einmal wieder neu bedacht werden muss.
Mit der Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre gelingt der Ausgleich zwischen diesen beiden Verfassungsprinzipien. Die damit zusammenhängende leichte Verschiebung zugunsten der Funktionsfähigkeit der Arbeit des Parlamentes trägt der Erfahrung Rechnung, dass die zwischen den jeweiligen Landtagswahlen verbleibende Zeit für manche Vorhaben zu kurz bemessen war, um langwierige inhaltliche Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können. Die Verlängerung der Legislaturperiode ermöglicht es uns künftig, auch komplexere und zeitintensivere Gesetzesvorhaben anzugehen und rechtfertigt deshalb die geringfügige Einschränkung des Demokratieprinzips.
Meine Damen und Herren! In Artikel 41 ist neu zusammengefasst, dass der Landtag nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder des Landesverfassungsgerichts, den Präsidenten des Landesrechnungshofes und den Landesbeauftragten für den Datenschutz wählt. Damit erhalten bisher zum Teil nur in einfachgesetzlichen Regelungen festgelegte Wahlvorschriften Verfassungsrang. Die Ausdehnung des Ernennungsrechtes des Landtagspräsidenten korrespondiert mit dieser Entscheidung und stellt eine faire Aufteilung der Ernennungsrechte zwischen Landtagspräsident und Ministerpräsident dar.
Nahtlos in die Tradition unserer Verfassung fügt sich auch die Herabsetzung der Quoren für eine Volksinitiative ein. Damit die bereits seit In-Kraft-Treten der Verfassung enthaltenen plebiszitären Elemente angesichts der demografischen Entwicklung ihre Wirksamkeit nicht verlieren, ist eine maßvolle Anpassung der Quoren für eine Volksinitiative sinnvoll.
Meine Damen und Herren! Nach alledem kann ich nur feststellen, wir hatten eine gute Verfassung und wir werden mit diesen Änderungen auch weiter eine gute Verfassung behalten. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Scharf. - Meine Damen und Herren! Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Dazu erteile ich dem Abgeordneten Herrn Bullerjahn das Wort. Bitte sehr, Herr Bullerjahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag von Sachsen-Anhalt steht unmittelbar davor, die Verfassung des Landes zu ändern. Dabei stehen für mich zwei zentrale Punkte im Mittelpunkt. Zum einen: Was fassen wir für Beschlüsse? Zweitens: Was fassen wir nicht für Beschlüsse? Ich denke, das ist auch ein Kennzeichen für diese Verfassungsänderung.
Erstens. Wir verändern die Quoren. Ich möchte mich bei diesem Punkt auch nicht lange aufhalten. Herr Scharf
und auch der Präsident gestern haben dazu etwas gesagt. Diese Quoren waren für Sozialdemokraten immer wichtig. Ich danke denjenigen, wie Herrn Höppner, Herrn Fikentscher, Herrn Tögel und auch Herrn Schindler, der ja nicht mehr lebt, dass sie im Jahr 1992 dafür gesorgt haben, dass diese Quoren überhaupt in die Verfassung kamen.
Sicherlich kann man davon ausgehen, dass diese Quoren hätten niedriger sein können. - Herr Gürth schüttelt schon den Kopf. - Aber ich denke, alle wissen, dass es am Ende auf einen Kompromiss hinausläuft. Es gab Fraktionen, die diese Quoren nicht bzw. nicht so stark absenken wollten, es gab Fraktionen, die diese stärker absenken wollten; ich glaube aber, dass wir am Ende einen guten Kompromiss gefunden haben.
Zweitens. Wir haben weiterhin beschlossen, die Wahlperiode zu verlängern. Das ist ein Thema, welches wir schon lange, seit dem Jahr 1996, hier diskutieren. Ich denke, es ist viel dazu gesagt worden. Das Für und das Wider stehen im Raum. Der Präsident hat gestern darauf hingewiesen, dass es vor allem die Arbeit des Parlaments erleichtert, und das ist, glaube ich, das, was am Ende zählt.
Drittens. Wir beschließen, die Ernennungsrechte neu zuzuordnen. Ich muss sagen, dass das am Ende ein Punkt war, der das Ganze in unserer Fraktion fast zum Kippen gebracht hätte. Ich gebe zu, das war nicht unser Thema. Wir haben es auch nicht mit in die Diskussion gebracht. Aber als wir merkten, welche Diskussion sich darüber entfacht, dass auch solche Argumente in den Raum geworfen wurden wie das, dass damit die Grundfesten der Demokratie infrage stehen würden, haben wir uns schon sehr gewundert.
Es gibt dazu eine seitenlange Ausführung der Staatskanzlei. Ich bin nun kein Jurist, habe mir aber von meinen Juristen sagen lassen, es war schon, allein von den Feinheiten her, sehr interessant. Ich weiß nicht, ob sich die Staatskanzlei damit einen Gefallen getan hat, dieses Thema mit derartigen Instrumenten zu torpedieren, letztlich auch Fraktionen in Zwänge zu bringen, die sie, glaube ich, vorher gar nicht gesehen haben. Ich will daraus schließen: An dieser Stelle hat die Staatskanzlei einfach überzogen.
Ich glaube, alle Beteiligten haben das auch gemerkt. Insofern bin ich dem Präsidenten dankbar, dass er das gestern mit seinen Worten auch sehr feinsinnig herübergebracht hat. Ich habe gestern schon bemerkt, dass auch von Fraktionen Applaus kam, die nicht der Opposition angehören.
Ich will zu diesen Einzelheiten nichts weiter sagen, weil das heute schon angerissen wurde. Ich will aber sagen: In Erfahrung der Verfassung von 1992 ist es schon interessant, dass wir uns auf so wenige Dinge beschränkt haben; denn das spricht ja letztlich für die Verfassung.
Ich sage das auch aus einer ganz persönlichen Sicht und damit werde ich nachher auch enden: Andere Verfassungen haben es unter schwierigen Umständen sicher öfter nötig gehabt, geändert zu werden, unsere anscheinend nicht. Sie hat für das Vergangene, für das Heutige und wahrscheinlich auch für das, was an Problemen für die Zukunft ansteht, genug Möglichkeiten und auch genug Raum für Diskussionen, die sie zulässt, um das gesellschaftliche Leben abzubilden und auch damit
umzugehen, dass es Schwierigkeiten gibt. Sie grenzt aber auch - dabei denke ich gerade an die Rechtsradikalen - bestimmte Sachverhalte ein.
Ich glaube, das spricht für die Verfassung. Ich selber - manche wissen es vielleicht - habe der Verfassung im Jahr 1992 nicht zugestimmt.
Es ging mir damals um die Abstimmung über die Verfassung und es ging für mich damals um den Gottesbezug, auch in der Präambel. Es gab sehr viele Diskussionen in der Fraktion. Ich sage: Auch in einer jungen Demokratie, in einer jungen Fraktion und unter jungen Menschen muss es möglich sein, über eine Verfassung zu streiten.
Ich gebe gern zu, dass ich gemerkt habe, dass diese Verfassung auch in der jetzigen Form es wert ist, dafür zu werben.
Ich denke, dass die Verfassung immer davon leben wird, dass sie diskutiert wird, dass sie sich immer den Diskussionen aussetzen wird. Aber ich sage auch als Sozialdemokrat: Für mich ist diese Verfassung nicht Selbstzweck.
Es gibt für mich auch bestimmte Passagen, bestimmte politische Grundlinien, die ich unterhalb der Verfassung verwirklicht sehen möchte. Das ist für mich einmal die Frage der Chancengleichheit von Menschen, eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten. Für mich ist auch in der Verfassung immer wieder die Frage zu klären, inwieweit es eine globalisierte Wirtschaft Menschen möglich macht, auskömmlich in unserem Land und in unserer Region zu leben.
All das soll eine Verfassung auch möglich machen. Sie soll nicht eine in Stein gemeißelte Abbildung juristischer Diskussionen sein. Sie soll das Leben abbilden. Sie soll aber auch das Leben mitnehmen und sie soll dafür sorgen, dass innerhalb der Verfassung und innerhalb des Lebens nach vorne gedacht werden kann und die Verfassung immer wieder auch angepasst wird.
Es ist aber auch wichtig, dass Parlamente begreifen, dass das nicht alle zwei Jahre passieren kann. Ich glaube, wir haben es sehr verantwortlich getan. Ich verhehle nicht, dass sich die SPD noch manches andere hätte vorstellen können. Aber im Vergleich zu den Dingen, die grundsätzlich zu klären waren - ich rede über solche Dinge wie das Untersuchungsausschussgesetz und wie und wann Wahltermine festgelegt werden können -, mussten und konnten wir auch zurückstecken, damit am Ende das, was wichtig war, nämlich das ganz große
Ich wünsche mir und hoffe, dass wir das als Chance begreifen und dass wir das auch optimistisch angehen. Sachsen-Anhalt braucht diesen Optimismus, und ich denke, mit dieser Verfassung können wir auch gut in die Zukunft schauen. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Bullerjahn. - Meine Damen und Herren! Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Herrn Gallert das Wort. Bitte sehr, Herr Gallert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Werte Gäste! Die heutige letzte Lesung zur Verfassungsänderung steht am Ende einer nochmals sehr langwierigen Diskussion innerhalb des Parlaments zu einem Entwurf, der von vier Fraktionen in dieses Landesparlament eingebracht worden ist.
Wenn man heute versuchen würde, jemandem auf der Straße zu erklären, worüber wir uns hauptsächlich in den letzten Wochen gestritten haben - er würde es nicht verstehen oder er würde es nicht verstehen wollen. Ich glaube, damit können wir leben, vor allen Dingen deswegen, weil wir insgesamt dann doch - das gesamte Haus, alle vier Fraktionen - einen Kompromiss gefunden haben. Weil das so ist, möchte ich auf diese Dinge, sprich die Ernennungsrechte, gar nicht weiter eingehen.