Protocol of the Session on November 21, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 30. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Ich begrüße Sie alle recht herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 16. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 3. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 16, 10 und 11.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Aktuelle Debatte

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Aktuelle Debatte liegen drei Beratungsgegenstände vor. In der Aktuellen Debatte - darauf möchte ich hinweisen - beträgt die Redezeit je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.

Ich rufe das erste Thema auf:

Wachsende Probleme bei der Schulentwicklungsplanung

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1158

Es wird für die Debatte folgende Reihenfolge vorgeschlagen: SPD, FDP, PDS, CDU. Zunächst erteile ich dem Antragsteller, der SPD, das Wort. Bitte sehr, Frau Mittendorf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unserer Fraktion wurde bei der Einbringung unserer Schulgesetznovelle von CDU und FDP vorgeworfen, mit unseren Regelungen zur Schulentwicklungsplanung würden wir für Unruhe bei Schülern und Eltern vor Ort sorgen. Frau Feußner sagte in der letzten Landtagssitzung sogar, der Zeitpunkt für Veränderungen sei unpassend, weil sich die Landkreise und die kreisfreien Städte gerade in der Entscheidungsphase befänden.

Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU und von der FDP! Sehr geehrter Herr Minister Olbertz! Die Unruhe schaffen nicht wir, die Unruhe ist schon da, und zwar massiv.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Es kann aus unserer Sicht auch nicht die Rede davon sein, dass sich in den Kreisen ein normaler Planungsprozess abspielt. Dagegen spricht eine Vielzahl von Resolutionen, die vermehrt den Landtag erreichen.

Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Am 23. Oktober 2003 erreichte den Landtag eine Resolution aus dem Ohrekreis, am 6. November 2003 eine aus dem Landkreis Bitterfeld. Anfang November verabschiedete der Landkreis Jerichower Land eine Resolution. Am 17. November 2003 verabschiedete der Landkreis Weißenfels eine Resolution, am gleichen Tage auch der Landkreis Schönebeck, der die Schulentwicklungspla

nung aussetzte, ähnlich wie es jetzt im Landkreis Stendal passiert. Der Landkreis Halberstadt verschob ebenfalls die Beratung der Schulentwicklungsplanung auf den Januar 2004.

In weiteren Kreisen wird ein Resolutionstext beraten. Zum Beispiel wird meiner Kenntnis nach der Landkreis Salzwedel am 24. November 2003 darüber befinden. Hinzu kommen vielfältige Resolutionen von Städten, Verbandsgemeinden und Gemeinden, von Kreiselternräten und Schulen.

Meine Damen und Herren! Nicht unerwähnt bleiben darf die Elterninitiative „Schule vor Ort“, die sich mit einem eigenen Gesetzentwurf an den Landtag und an die Landesregierung gewandt hat.

Meine Damen und Herren! Alle Resolutionen unterstützen durchweg die Initiative „Schule vor Ort“ bzw. unsere Veränderungsvorschläge und fordern eine Verschiebung des Termins zur Vorlage und Abgabe der Schulentwicklungspläne. Die Resolutionen werden in der Mehrzahl der Fälle - das ist wichtig und deshalb betone ich es - von allen Fraktionen der Kreistage bzw. der Stadt- und Gemeinderäte getragen, also auch von den Abgeordneten der CDU und der FDP.

Sehr geehrte Frau Feußner! Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP! Wer jetzt noch davon spricht, es sei der falsche Zeitpunkt, um über eine Veränderung der Eckdaten zu reden bzw. den Termin zu verschieben, ist ganz einfach ignorant. Selbst die Landesregierung gesteht mit ihrem Schreiben an die Landräte und an die Oberbürgermeister vom 29. Oktober 2003 Handlungsbedarf ein. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass mit diesem Schreiben die Anfangsklassenverordnung de facto aufgehoben wird. So heißt es dort:

„Bei Schulen, die die Regelzügigkeit im gesamten Planungszeitraum erfüllen, werden auch zukünftig im Hinblick auf die besonders geburtenschwachen Jahrgänge Ausnahmen bei der Anfangsklassenbildung zugelassen. Eingangsklassen können unter dieser Voraussetzung in den nächsten Schuljahren gebildet werden, wenn an Sekundarschulen mindestens 20 - bisher 40 - und an Gymnasien und Gesamtschulen mindestens 50 - bisher 75 - Schülerinnen und Schüler angemeldet sind.“

Dies unterstützen wir, meine Damen und Herren, zumal die Landesregierung mit dieser Regelung einen Vorschlag aus unserem eigenen Gesetzentwurf aufgegriffen hat. Allerdings hat dieser Brief unserer Meinung nach keine Rechtswirksamkeit; denn gültig ist immer noch die Anfangsklassenverordnung. Aber, meine Damen und Herren, der erste Schritt ist damit von der Landesregierung getan. Nun sollte sie auch den Zweiten tun - der kann nur so aussehen:

Der Landtag hat in der Oktobersitzung die Gesetzentwürfe der SPD und der PDS an den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft überwiesen. Ohne noch einmal ins Detail gehen zu wollen, weise ich darauf hin, dass unser Gesetzentwurf unter anderem Vorschläge für das Herabsetzen der Mindestschulgröße an Einzelstandorten, zur vereinfachten Bildung von Schulverbünden und zur Gewährleistung der Anfangsklassenbildung bei Einhaltung von Mindestschulgrößen enthält.

Vorgestern fand im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft eine Anhörung zu beiden Gesetzentwürfen statt. Das Resümee lässt sich sehr schnell beschreiben: Die

große Mehrheit der Angehörten unterstützt die Gesetzesvorhaben zur Änderung der Mindestschulgröße und fordert eine Verschiebung des Termins für die Vorlage der Schulentwicklungspläne. Klarer könnte ein Votum aus unserer Sicht nicht ausfallen. Das Ergebnis der Anhörung glich einem Waterloo für die derzeitigen Planungsgrundlagen.

(Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, entscheidend ist nicht, was wir uns angehört haben; entscheidend ist letztlich die Frage, wie es jetzt weitergehen soll. Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, ich appelliere eindringlich an Sie: Sperren Sie sich nicht weiter und lassen Sie uns bei der kommenden Ausschusssitzung am nächsten Mittwoch an einem Kompromiss arbeiten, an einem Kompromiss im Sinne der Betroffenen vor Ort, vor allem in den ländlichen Gebieten. Es muss doch möglich sein, aus den vorliegenden Gesetzesvorschlägen ein Regelungspaket zu schnüren, das hilft, die Probleme vor Ort zu lösen und ein Schulnetz zu erhalten, das seinen Namen auch verdient.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Eines muss man sich immer wieder vergegenwärtigen: Nach den gegenwärtigen Planungsvorlagen müssten in einer Vielzahl der Kreise bis zu 50 % der Sekundarschulen schließen. Das, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, dürfen wir gemeinsam nicht zulassen. Um die Landkreise überhaupt in die Lage zu versetzen, neue Planungsgrundlagen zu berücksichtigen, ist es notwendig, dass der Termin zur Vorlage der Schulentwicklungspläne durch die Landkreise und kreisfreien Städte um vier Monate auf den 30. April 2004 verschoben wird.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Und dann noch einmal sechs Monate? Nein?)

- Nein, überhaupt nicht. - Wir schlagen diesen Termin vor, weil er einerseits auch bei veränderten Planungsgrößen und umfangreichen Vorplanungen der Kreise umsetzbar ist und weil er andererseits eben nicht zu einer übermäßigen Verlängerung des Planungszeitraums führt.

Meine Damen und Herren! Wenn es wirklich zu einer Terminverschiebung kommt, hat niemand etwas zu verlieren; denn die Landkreise und kreisfreien Städte verfügen über gültige Schulentwicklungspläne. Bisher haben zwei Kreise diese beschlossen. Anscheinend gab es dort weniger Probleme als in anderen Kreisen; das ist auch in Ordnung so.

Letztendlich besteht unser Ziel nicht darin, die veränderten Planungsparameter an jeder Schule oder in jedem Kreis umzusetzen. Nein, es ist eindeutig zu sagen, dass das Ziel vielmehr darin besteht, jenen Kreisen, die unter Einhaltung der gegenwärtigen Planungsparameter einen Großteil ihrer Schulen schließen müssten - davon gibt es anscheinend eine ganze Menge -, die Möglichkeit einzuräumen, einerseits Schulstandorte im Schülertal, die bei wieder ansteigenden Schülerzahlen benötigt werden, zu sichern und andererseits Schulen an Einzelstandorten zu sichern.

Ich möchte Folgendes nachdrücklich betonen: Mit unseren Gesetzesvorschlägen entstehen keine Kleinst- oder Minischulen. Das wollen auch wir nicht. Es entstehen - und das auch nur an Einzelstandorten im ländlichen Raum - Schulen mit einer vertretbaren Größe, an denen

auch weiterhin das notwendige Angebotsspektrum abgebildet werden kann. Das sind Schulen, wie wir sie in den 90er-Jahren in einer großen Vielzahl hatten und die jetzt unter der vorgegebenen Mindestschülerzahl liegen sollen, die aber, wie wir wissen, durchaus gut gearbeitet haben.

Im Übrigen muss man ganz klar sagen: Die Qualität der schulischen Bildung und Erziehung hängt nicht nur vom Umfang der schulischen Angebote ab, sondern auch von den Bedingungen, unter denen der Unterricht und die außerunterrichtliche Arbeit organisiert werden, und von den realen Möglichkeiten der Schüler, diese Angebote zu nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Zudem besteht die Gefahr, dass Schullaufbahnentscheidungen zukünftig von regionalen Verwerfungen hinsichtlich der Erreichbarkeit der gewünschten Schulform überlagert werden. Im Klartext: Es kann dazu kommen, dass ein Schüler das Gymnasium nur deshalb nicht besucht, weil der Schulweg zu lang ist. Das darf nicht passieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die gegenwärtige Praxis der Schulentwicklung zeigt weiterhin, dass aufgrund der gegenwärtigen Planungsgrundlagen sehr große Fusionsschulen entstehen, zum Beispiel Gymnasien mit mehr als 1 000 Schülern und Sekundarschulen mit mehr als 400 Schülern. Die Folge sind überfüllte Schulgebäude und Außenstellen. Wenn die Schulen jedoch schon zu dem Zeitpunkt, zu dem die Schülerzahlen die Talsohle erreichen, überfüllt sind, stellt sich doch die Frage, wie das erst aussehen soll, wenn die Schülerzahlen wieder steigen. ContainerLösungen sind einerseits den Schülern nicht zuzumuten und andererseits für die Schulträger zu teuer.

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich das Wesentliche noch einmal gesagt habe. Ich hoffe sehr, dass die Redner von der CDU und von der FDP sowie der Minister ihre Gräben verlassen und nicht in das gewohnte Rollenspiel verfallen.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Welche Rolle spielen Sie denn dabei?)

Man muss sich immer vor Augen halten: Schulen, die einmal geschlossen sind, werden in der Regel nicht wieder geöffnet.

(Herr Gürth, CDU: Das trifft auch für die Schulen zu, die in Ihrer Regierungszeit geschlossen wur- den, weil einfach zu wenig Kinder da waren!)

Meine Damen und Herren! Viele Landkreise, viele Eltern, Lehrer und Schüler schauen in diesen Tagen auf uns.

(Herr Gürth, CDU: Genau!)

Sie schauen, wie wir mit den konkreten Problemen umgehen. Sie hoffen auf einen parteiübergreifenden Lösungsvorschlag, wie er in Bezug auf die Resolutionen in den Kreisen sichtbar wird. Unsere Fraktion, die SPD, ist dazu bereit. Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, seien Sie es bitte im Interesse unserer Kinder und im Interesse des ländlichen Raumes auch. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Danke, Frau Abgeordnete Mittendorf. - Nun habe ich die Freude, mit Ihnen allen gemeinsam Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Ilsenburg bei uns zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

An dieser Stelle hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Herr Kultusminister Professor Dr. Olbertz, bitte sehr.