Protocol of the Session on October 23, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 27. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete, herzlich begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Folgende Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen vor: Herr Minister Dr. Rehberger entschuldigt sich für beide Sitzungstage aufgrund seines Urlaubs. Ursprünglich war auch Herr Minister Professor Dr. Paqué als entschuldigt gemeldet worden. Herr Professor Dr. Paqué wird heute ganztägig anwesend sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 15. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 3 - das ist die Aussprache zur Großen Anfrage - und 23 - das ist der Antrag der Fraktion der PDS in der Drs. 4/1097 - als erste Tagesordnungspunkte am morgigen Freitag zu behandeln.

Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass die parlamentarische Begegnung überraschenderweise heute bereits um 19 Uhr stattfindet. Dem können wir nicht ganz Rechnung tragen, da wir geplant haben, bis um 19.45 Uhr zu tagen. Da aber auch unsere Kulturpolitiker heute Abend etwas zeitiger zu einer eigens für sie angesetzten Veranstaltung müssen, behält sich das Präsidium vor, eventuell den Tagesordnungspunkt 14 auf den morgigen Tag zu verlegen.

(Zustimmung von Herrn Reck, SPD)

Gibt es Widerspruch? - Herr Gallert, bitte.

Ich will seitens der PDS-Fraktion auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen: Uns steht ein Bundesparteitag bevor, der mit Sitzungen mehrerer Gremien bereits am Freitagabend beginnt. Wir haben darauf verzichtet, wie es sonst üblich gewesen ist, deswegen eine Verschiebung der Landtagssitzung anzuregen, weil wir gemeint haben, dass sich das im Wesentlichen miteinander vereinbaren lassen werde.

Wenn sich die Termine morgen deutlich länger, als in der Zeitschiene ausgewiesen ist, nach hinten ziehen, haben wir große Schwierigkeiten, die Teilnahme zu gewährleisten. Daher bitten wir um eine zügige Beratung, die es ermöglicht, den Zeitplan weitestgehend einzuhalten, auch was den morgigen Tag angeht, und wirklich nur unter Notbedingungen auf die Variante auszuweichen, andere Tagesordnungspunkte auf morgen zu verschieben.

Bestens Dank, Herr Gallert. Wir werden das zu berücksichtigen versuchen und morgen noch einmal untereinander beraten, wie wir Ihrem Anliegen Rechnung tragen können.

Gibt es weitere Einsprüche? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Debatte

Aktuelle Probleme der Hochschulpolitik der Landesregierung

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1100

In dieser Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: PDS, FDP, SPD, CDU. Zunächst erteile ich für den Antragsteller, die PDSFraktion, der Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Frau Dr. Sitte das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Sitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist ja wohl ein einmaliger Vorgang. Zum einen beantragt die PDS eine Aktuelle Debatte nach Bekanntwerden eines Referentenentwurfs zum Hochschulstrukturgesetz. Das hatten wir noch nie. Allerdings hätten auch die Pläne der Bundesregierung, Ausbildungszeiten künftig nicht anerkennen zu wollen, berechtigten Anlass für eine Aktuelle Debatte gegeben.

Zum anderen erwägt die Landesregierung ernsthaft, eine der wichtigsten Zukunftsentscheidungen für die Landesentwicklung auf ministerialem Verordnungswege zu fällen. Das ist ja unglaublich! Der Gesetzentwurf ist noch nicht einmal durch die Anhörung gegangen.

Deshalb glaube ich, meine Damen und Herren, dass diese Debatte für alle Seiten Sinn machen könnte - und sei es nur mit dem Ergebnis, dass das Gesetz so nicht in den Landtag kommt. Hoffnung habe ich, weil sich auch Abgeordnete der Fraktionen von CDU und FDP völlig überrascht gezeigt haben und dem Vorhaben, den Prozess der Hochschulstrukturierung im Wesentlichen über Verordnungsermächtigungen, wie es der Minister bezeichnete, zu realisieren, wohl eher ablehnend gegenüber stehen. Das kann ich sehr gut verstehen; denn sie haben sich auf öffentlichen Veranstaltungen stets zu ihrer Entscheidungsbereitschaft auf Landtagsebene bekannt.

Mit dem angeführten Entwurf aber würde der Landtag von der Landesregierung aufgefordert werden zu beschließen, dass er nichts beschließen will. Würde der Beschluss so gefasst, wäre er wirklich ein weiterer Schritt auf dem Wege der Selbstentmachtung und Selbstentmündigung des Parlaments. Mit einem derartigen Ansinnen würde die korrektive Chance der Legislative ausgeschaltet.

(Beifall bei der PDS)

Dass vielmehr ein öffentlich geführter Dialog dringend notwendig ist, haben die zahlreichen Demonstrationen und Proteste gezeigt.

Angesichts dieser Vorgeschichte gibt es keinerlei Grund, in gutem Vertrauen auf die Landesregierung zu setzen - weder durch die Hochschulen noch durch den Landtag.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Alle drei Seiten haben spezifische Gestaltungsverantwortung und Kompetenzen. Insofern ist der Verweis des Ministers auf eine übergeordnete Instanz, die in Regierungsverantwortung steht, nach Artikel 2 der Landesverfassung nicht zu teilen.

Der Landtag entscheidet grundsätzlich über die Rahmenbedingungen, die Landesregierung über die Umsetzung bzw. Untersetzung jener Bedingungen, unter denen die Hochschulen wiederum ihre Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen können. Nach dem gegenwärtigen Stand würde eine Situation entstehen, in welcher jedoch sowohl der Landtag als auch Hochschulen aus originärer Gestaltungsverantwortung gedrängt würden. Das hat man schon an anderer Stelle versucht - es ist uns also nicht ganz neu -, und Verordnungen scheinen überhaupt die schärfste Waffe dieser Landesregierung zu sein.

Meine Damen und Herren! Zukunftschancen der nachwachsenden Generationen erwachsen maßgeblich aus ihren Bildungschancen. Bildung bestimmt wesentlich über soziale Perspektiven. Der Ministerpräsident hat noch vor wenigen Wochen für eine Zukunftsdebatte plädiert. Eine Bildungsdebatte ist dabei natürlich nicht abstrakt zu führen. Es geht immer auch um Inhalte. Wenn die Landesregierung mit diesem Strukturgesetz Bildungsinhalte über das Wegschneiden von Angeboten maßgeblich beeinflusst - ich sage vorsichtig: beeinflusst -, dann kann das so nicht einfach hingenommen werden.

Die Errichtung, Schließung oder Zusammenlegung von Fachbereichen, die Einführung von Studiengängen, Berufungsfragen und vieles andere mehr sollen offensichtlich unter einen absoluten Genehmigungsvorbehalt der ministeriellen Ebene fallen. Der Hinweis darauf, dass das alles zeitlich befristet werden soll, macht es am Ende nicht besser. In der ersten Phase werden die Entscheidungen im schlimmsten Falle auch konfrontativ gefällt.

Das Gesetz geht auf personalrechtliche Fragen einseitig ein. Die Mitwirkung soll eingeschränkt werden, indem unter anderem aktienrechtliche Entscheidungsstrukturen eingeführt werden. Das Konzil als bisheriges zentrales Organ der Hochschulen hat man - nach meiner Kenntnis des Entwurfes - gänzlich „beerdigt“. Mitgliedergruppen bzw. Hochschulangehörige werden in der Mitwirkung benachteiligt oder gar ausgeschlossen. Da - das kann ich nur sagen - wird doch wieder der Staub der Ordinarienuniversität durch deren Talare aufgewirbelt.

Bachelor- und Master-Studiengänge werden zum Regelfall. In diesem Punkt scheint der Minister seine Skepsis aufgegeben zu haben - war er es doch gerade, der aus guten Gründen vor voreiligen Schritten, wie sie soeben die Bundesregierung unternommen hat, noch eindringlich warnte.

So hat sich die Bundesregierung im Vorfeld der Konferenz der europäischen Bildungsminister daran gebunden, bis zum Jahr 2005 alle Studiengänge mit Bachelor- und Master-Abschlüssen anzubieten. Auf europäischer Ebene war jedoch nur davon die Rede, bis zum Jahr 2005 die Einführung begonnen zu haben. Dabei gibt es für die Qualitätsstandards dieser Abschlüsse noch große Differenzen zwischen den europäischen Ländern. Zudem - das ist nun ein einheitliches Merkmal - soll die Durchlässigkeit zwischen den Angeboten verengt werden.

In Deutschland gibt es derzeit 9 000 Studiengänge. Ca. 1 600 Studiengänge laufen als Bachelor- bzw. MasterStudiengang. 400 Studiengänge sind akkreditiert. Es stehen also nur etwa 3 % der Studierenden in dieser Form. Effektiv bleibt eigentlich nur ein Jahr Zeit. Nicht einmal andeutungsweise ist klar, wie die Umsetzung geschafft werden soll.

Und - wie konnte es anders erwartet werden - man möchte nun auch in Sachsen-Anhalt Studiengebühren bei Überschreitung der Regelstudienzeit um vier Semester einführen. Ursprünglich war davon sogar von einer Überschreitung um zwei Semester die Rede.

Ich kann mich noch gut an die Position des CDU-Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Bergner hier erinnern. Er führte aus, dass dies für den Osten für Jahre überhaupt nicht infrage käme - es sei standortschädigend, war sozusagen eines der wichtigsten Gegenargumente. Die Regionalwirkung sollte also in diesem Punkt auch nicht unterschätzt werden, und die Hochschulen erfahren dann wohl eher symbolhaft eine Schwächung.

Selbst der Leitwolf des Centrums für Hochschulentwicklung - so sage ich es einmal etwas schmunzelnd - Herr Müller-Böling - die Eingeweihten wissen, wovon ich rede -, ein heißer Verfechter für echte Studiengebühren, hält Langzeitstudiengebühren für Blödsinn. Er meint, es würden nur Stammtischnerven bedient, man träfe eh die Falschen und diese dann auch noch genau in dem Moment, in dem sie die Chance auf den Abschluss real hätten. Ihnen fehlen nämlich in aller Regel nur wenige kleine Nachweise. Wenn diese Studierenden dann „fliegen“, waren alle vorherigen Investitionen auch umsonst.

Insofern geht die Debatte um Bummelstudenten in die Irre. Die eigentliche Ursache dafür wird verdrängt. Eine Sündenbockpolitik lenkt davon ab, dass es politische Entscheidungen sind, die insbesondere im Westen längst zu Massenuniversitäten geführt haben. Das ist kein erstrebenswerter Zustand aus der Sicht des Ostens.

Eine überwiegende Mehrheit der Studierenden vermag ihr Studium dort nicht in der Regelstudienzeit abzuschließen, weil die Unterfinanzierung zu massiven Verschlechterungen von Studienbedingungen geführt hat. Die ausgebliebene Hochschulreform ist dafür ebenso ein Grund wie die sozialen Rahmenbedingungen.

Letztlich ist die Einführung von Langzeitstudiengebühren nur ein erster Schritt auf dem Weg zu regulären Studiengebühren. Baden-Württemberg und Reinland-Pfalz haben den Weg längst vorgezeichnet. Es geht um die weitere Privatisierung von Bildungskosten. In SachsenAnhalt könnte von maximal 3 % der Studierenden diese Gebühr erhoben werden. Was soll das Ganze, fragt sich dann der Mensch. Keine Hochschule könnte ihren Haushalt damit nennenswert aufbessern. Das wissen natürlich auch die Rektoren.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Darum geht es doch gar nicht!)

- Genau. Darum geht es auch gar nicht. Richtig. Genau, Herr Minister. Darin stimme ich Ihnen sogar zu. - So kann es dann überhaupt nicht überraschen, wenn also gestern, genau am Tag nach der Absichtserklärung, Langzeitstudiengebühren zulassen zu wollen, führende Magdeburger Professoren mit der Forderung nach regulären Studiengebühren an die Öffentlichkeit getreten sind. Unlogisch waren deren Argumente auch noch.

Der Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften meinte, keine Studiengebühren zu erheben, sei unsozial, schließlich studierten ja vor allem die Kinder aus besser gestellten Familien, und warum solle man für deren Bildung auch noch zahlen. Da aber die eingenommenen Mittel an den Hochschulen selbst bleiben und eben nicht sozial schlechter gestellten Bewerberinnen und Bewerbern zugute kommen, vertieft sich die soziale Ausdifferenzierung nur noch. Dass diese grundsätzlich schon viel früher, durch das Schulsystem begünstigt, beginnt, möchte ich hier nur am Rande vermerken.

Der Minister hat sich tapfer gewehrt. Er muss dabei auch mit unserer Unterstützung rechnen. Aber schon die Äußerungen der FDP aus dem Landtag liegen in einem ganz anderen politischen Fahrwasser. Mit Blick auf die Zukunftsdebatte gilt also: Bildungserwerb ist Voraussetzung für mehr soziale Gerechtigkeit. Die Möglichkeiten zur Wissensaneignung sind Bedingung für die gesellschaftliche Teilhabe. Lebenslanges Lernen setzt also nicht die Begrenzung, sondern die Erweiterung von Bildungsangeboten voraus. Sonst geht uns Bildungsgerechtigkeit verloren.

Müssen die Bundesrepublik Deutschland und SachsenAnhalt nicht ein ganz besonderes Interesse an einer höheren Studierendenquote haben? Wir liegen weit unter dem europäischen Standard und wollen zugleich deutlich mehr Landeskinder hier zum Studium gewinnen.

Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich noch sagen, ich kann nur hoffen, dass die heutige Debatte auch vorbeugenden Charakter bekommt, indem eingenommene Positionen von allen Seiten - wohlgemerkt: von allen Seiten - nochmals auf den Prüfstand gestellt werden, und dass wir uns hier darüber im Klaren sind: Bildung ist unsere wichtigste Ressource, und wir sollten sehr sensibel mit Veränderungen in diesem Bereich umgehen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat nunmehr der Minister Herr Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Debatte, auf Antrag der PDS anberaumt, müsste mir eigentlich willkommener Anlass sein, die Grundsätze der Hochschulstrukturplanung und den Entwurf für ein neues Hochschulgesetz näher zu erläutern. Die Debatte bezieht sich aber gar nicht darauf, sondern auf ein inoffizielles Papier, das, wie auch immer, in die Hände der Opposition gelangt ist. Am Dienstag erst hat die Landesregierung nach einer Reihe von Änderungen und Ergänzungen den Entwurf zur öffentlichen Anhörung freigegeben und gestern das Parlament, wie vorgeschrieben, unterrichtet.

Völlig ohne jedes Augenmaß in der Wortwahl

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

und vor allem bar jeglicher substanzieller Auseinandersetzung haben Sie derweil den Medien gegenüber von „Selbstherrlichkeit“ und einer „dreisten Ministerialbürokratie“ gesprochen, die den Hochschulen alles Mögliche

statt per Zielvereinbarung per Rechtsverordnung aufoktroyieren würde. Sie schrecken auch nicht davor zurück, von einem Ermächtigungsgesetz zu sprechen - jedenfalls in den Medien und gestern im Ausschuss -, was sich für jeden auch nur einigermaßen historisch kundigen Menschen verbietet.