Protocol of the Session on October 7, 2005

Hiermit eröffne ich die 66. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Meine Damen und Herren! Da bisher ein Schriftführer von den Koalitionsfraktionen fehlt, kann der Präsident für die Sitzung einen Stellvertreter bestimmen. Dies habe ich soeben getan.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

- Ich freue mich, dass Sie das so tolerant aufnehmen.

Über die Abwesenheit von Mitgliedern der Landesregierung am heutigen Sitzungstag wurde bereits gestern informiert. Es betrifft Herrn Staatsminister Robra und Frau Ministerin Wernicke, die ganztägig entschuldigt sind, und Herrn Minister Professor Dr. Olbertz, der sich bis 11 Uhr entschuldigen lässt.

Meine Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 34. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit Tagesordnungspunkt 2. Danach folgt, wie gestern vereinbart, Tagesordnungspunkt 14. Tagesordnungspunkt 15 beschließt die heutige Sitzung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte

Meine Damen und Herren! Es liegen drei Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Debatte vor. Für jedes Thema in der Akutellen Debatte beträgt die Redezeit zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.

Ich rufe das erste Thema auf:

Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 4/2414

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: FDP, Linkspartei.PDS, CDU und SPD. Zunächst erteile der Antragstellerin, der FDP, das Wort. Bitte sehr, Herr Rauls, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Mein sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat den Antrag auf eine Aktuelle Debatte zum Thema Stärkung des Ehrenamts bzw. des bürgerschaftlichen Engagements gestellt und gemeinsam mit der CDU-Fraktion einen Antrag zur Stärkung des Ehrenamts eingebracht. Der Zeitpunkt dieser Debatte korrespondiert gleich mit mehreren Ereignissen, Entwicklungen und aus unserer Sicht Erfordernissen.

Das Ehrenamt ist unverzichtbar und wird zukünftig, in der Bürgergesellschaft von morgen, eine wesentlich stärkere Rolle spielen, als dies heute der Fall ist. Ehrenamtliche Arbeit muss deshalb weiterentwickelt und profi

liert werden. Dazu gehört, dass Problembewusstsein geschaffen wird und dass Handlungsbedarfe ebenso wie Handlungsoptionen analysiert werden - am besten mit den Betroffenen selbst.

Genau das haben wir getan. Vor der Sommerpause haben die Fraktionen der FDP und der CDU gemeinsam eine Ehrenamtskonferenz durchgeführt, um mit ehrenamtlich Tätigen und Koordinatoren des Ehrenamts über Hemmnisse und Lösungen zu diskutieren. Im Ergebnis können wir konkrete Vorschläge unterbreiten und haben wir, wie in der Juli-Sitzung angekündigt, einen Antrag eingebracht.

Die FDP-Fraktion hat darüber hinaus mit ihrem Positionspapier zum Ehrenamt öffentlich auf die Problematik des bürgerschaftlichen Engagements hingewiesen und Empfehlungen und Vorschläge zur Stärkung des Ehrenamts unterbreitet.

Zudem liegen seit Anfang September 2005, also seit dem Anfang des letzten Monats, mit der Ehrenamtsstudie für Hessen weitere Daten und Aussagen im Ergebnis des so genannten zweiten Freiwilligen-Surveys aus dem Jahr 2004 vor. In 15 000 Telefoninterviews sind durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest Daten erfasst worden, die eine repräsentative, gut auswertbare Datengrundlage ergeben.

Für Sachsen-Anhalt ist zum Ende des Jahres 2005 die länderspezifische Auswertung zu erwarten. Diese ist vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil sie mit den Ergebnissen der Umfrage von 1999 verglichen werden kann und somit Entwicklungen im Bereich des Ehrenamtes nachvollziehbar aufzeigen wird. Schon jetzt zeichnen sich Trends ab, die für die Stärkung des Ehrenamtes in Sachsen-Anhalt von Belang sind und kurz- oder mittelfristig Berücksichtigung finden können, wenn nicht sogar müssen.

Vereine und Verbände sind nicht nur Lobbyisten in eigener Sache. Zunehmend nehmen sie koordinierende Aufgaben für das bürgerschaftliche Engagement wahr. Deshalb sind die gemeinnützigen Organisationen und Vereinigungen in den Bereichen Kultur, Soziales, Schule, Brand- und Katastrophenschutz, Kirche, Sport, Umwelt- und Naturschutz, Freiwilligendienste, Fördervereine und Ähnliches zu unterstützen und zu stärken.

Deshalb schlagen wir vor:

Erstens. Der Haftungsschutz ist weiter auszubauen. Die FDP-Fraktion fordert bei der Haftpflichtversicherung für das Ehrenamt eine Anlehnung an die Privilegien der Beamten. Dazu wird die Landesregierung gebeten zu prüfen, ob eine Bundesratsinitiative zur Privilegierung ehrenamtlicher Tätigkeit in Anlehnung an das Staatshaftungsrecht durchgeführt werden kann. Dadurch soll eine Haftung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit geltend gemacht werden können. Es kann nicht gewollt sein, dass im Extremfall existenzbedrohende Schadenersatzansprüche an ehrenamtlich Tätige gestellt werden.

Im Übrigen profitiert mit der Neuregelung des Versicherungsschutzes seit dem 1. Januar 2005 ein größerer Kreis der ehrenamtlich Tätigen bei seinem freiwilligen Einsatz vom umfassenden Schutz bei Unfällen. Wir empfehlen, dass die Träger der ehrenamtlichen Tätigkeit permanent über die Regelung zur gesetzlichen Pflichtversicherung und die Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung informieren.

Zweitens. Die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt sind zu verbessern. In Sachsen-Anhalt engagieren sich

ca. 68 000 Menschen in unterschiedlichen Formen im Kulturbereich ehrenamtlich. 3 000 Richter und 1 400 Schöffen arbeiten ehrenamtlich an den Gerichten des Landes. Durchschnittlich 120 Stunden im Jahr leistet jeder der 80 ehrenamtlich tätigen Berater bei den Kinder- und Jugendtelefonen. Von 60 000 Ehrenamtlichen im Sport sind 13 100 als lizenzierte Übungsleiter tätig. Der Brand- und Katastrophenschutz wird zu 95 % von Ehrenamtlichen getragen.

Wenn die Bürger bereit sind, sich mit ihrer freiwilligen Leistung und ihren Kompetenzen einzubringen, muss für optimale Rahmenbedingungen gesorgt werden. Deshalb fordern wir ein, dass die Vernetzung und Koordinierung auszubauen und die Fortbildung der Ehrenamtlichen zu profilieren ist. Die bestehenden Informations- und Beratungsstellen in den Vereinen und Verbänden, insbesondere aber die Freiwilligenagenturen müssen weiterhin unterstützt werden. Die fachspezifische ebenso wie die fachübergreifende Fortbildung von Freiwilligen und Ehrenamtlichen ist zu sichern und zu professionalisieren. Auch diese Punkte beinhaltet der vorliegende Antrag.

Wir schlagen darüber hinaus vor, weitere RatgeberBroschüren für und über das Ehrenamt aufzulegen und eine Internetplattform zum Beispiel unter dem Namen „Ehrenamt-Land-Sachsen-Anhalt.de“ einzurichten.

Drittens. Die Zuwendungspraxis ist im Interesse des Ehrenamtes zu vereinfachen. Administrative Vorgaben sollen bürgerschaftliches Engagement nicht behindern, sondern fördern. Vereine und Verbände sind bei der Umsetzung von Projekten größtenteils auf Förderungen der öffentlichen Hand angewiesen. Die im Antrag formulierten Vorschläge zur Änderung der Zuwendungspraxis können zudem schnell umgesetzt werden, sodass sie schon im nächsten Haushaltsjahr deutliche Erleichterungen bringen können. Sie sind zudem kostenneutral und tragen zur Entbürokratisierung bei.

Um den Umgang mit Fragen der öffentlichen Förderung zu erleichtern, sind Informationen zu Ansprechpartnern in den Behörden, zu grundsätzlichen Fragen des Zuwendungsrechts, zu Förderrichtlinien und anderem zum Beispiel über die Ehrenamtsinternetplattform zu veröffentlichen.

Viertens. Die Anerkennungskultur für das Ehrenamt ist zu qualifizieren. Ehrenamtlich Tätige agieren hauptsächlich auf lokaler Ebene. Die Kommunen sind in besonderer Weise auf das Engagement der Bürger angewiesen und wissen um die Notwendigkeit einer Betreuung, Förderung und Anerkennung des Ehrenamtes.

Die Kommunalpolitik wird sich künftig dennoch für das Ehrenamt stärker öffnen und neue Formen der Beteiligung und Mitwirkung entwickeln und anbieten müssen.

Die FDP-Fraktion schlägt den Kommunen - und mit Blick auf die Umsetzung der Kreisgebietsreform den Landkreisen - die Einführung eines Ehrenamtspasses vor. Mit diesem Pass soll in erster Linie die ehrenamtliche Tätigkeit der Bürgerinnen und Bürger anerkannt und gewürdigt werden. Beispiele finden sich dafür deutschlandweit, so zum Beispiel in Dresden, Mainz, Erlangen, Braunschweig, Delmenhorst und anderen Orten. Der Ehrenamtspass könnte eine Reihe von Vergünstigungen im kommunalen Bereich und in Einrichtungen ermöglichen. Die Gestaltung des Ehrenamtspasses muss und kann nur durch die Kommunen selbst erfolgen.

Fünftens. Bewährte Strukturen sind zu sichern. Die Kreisgebietsreform und damit die Reduzierung der Zahl

der Kreise in Sachsen-Anhalt muss die Gewähr für eine zukunftsfähige Struktur, die auch im Jahr 2020 noch Bestand haben wird, bieten. Mit der beschlossenen Kreisstruktur bleiben bewährte Strukturen für die unverzichtbare Tätigkeit des Ehrenamtes weitgehend erhalten.

Meine Damen und Herren! 70 % der Bevölkerung ab 14 Jahren sind über ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen hinaus in Vereinen und Organisationen tätig. Längerfristig haben 36 % freiwillige Aufgaben übernommen. Das sind immerhin bundesweit 2 % mehr als im Jahr 1999. Im Trend hat auch die Zahl der weiblichen ehrenamtlich Engagierten zugenommen. 32 % und damit 8 % mehr als 1999 können sich vorstellen, freiwillig und ehrenamtlich tätig zu sein.

Ehrenamt lebt von der Eigenverantwortung und von der Initiative der Bürgerinnen und Bürger. Bürgerschaftliches Engagement bildet einen wichtigen Pfeiler dieser Gesellschaft. Weil unsere Gesellschaft auf das bürgerschaftliche Engagement weder verzichten möchte noch kann, müssen wir es stärken.

Umso eher und intensiver wir uns auf die komplexe Thematik einlassen, umso frühzeitiger lassen sich weitere Maßnahmen erörtern und umso effektiver können Weichen für die Fortsetzung der bisher so erfolgreichen Arbeit im Ehrenamt gestellt werden. Dazu zählt auch die von der Fraktion der Linkspartei.PDS aufgeworfene Frage nach der Mitgliedschaft des Landes im Bundesnetzwerk „Bürgerschaftliches Engagement“.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich auf die Diskussion über unsere Vorschläge und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rauls. - Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen Burg. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Bevor wir die Debatte fortsetzen, hat für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Professor Böhmer um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, dass es für die Fortführung der Debatte von Nutzen sein kann, wenn ich gleich zu Beginn die Stellungnahme der Landesregierung zu den vielen Problemen vortrage, die Herr Rauls Ihnen eben vorgestellt hat und die uns selbstverständlich interessieren und betreffen.

Eine genaue Feststellung der Zahl der freiwillig Tätigen und der absoluten Zahl ihrer uneigennützig verbrachten Stunden ist tatsächlich kaum möglich. In dem einen oder anderen Bereich haben wir versucht, Zahlen zu ermitteln. Eine Umfrage in den Ressorts ergab die Zahlen, die Herr Rauls eben im Wesentlichen vorgetragen hat, und machte deutlich, dass in fast allen Bereichen - bei den Gerichten, in den Justizvollzugsanstalten, im Bereich des Naturschutzes, aber auch im Kulturbereich - eine große Zahl von ehrenamtlich Tätigen die Arbeit überhaupt erst aufrechterhält. Zum Beispiel werden über 266 Gemeindebibliotheken ausschließlich ehrenamtlich ge

führt. Die Zahl der ehrenamtlichen Beraterinnen im Sozialbereich ist nicht exakt zu ermitteln, aber sehr groß. Sie haben die Zahlen in dem Bereich des Landessportbundes gehört. Die Feuerwehren wären ohne die große Zahl der dort freiwillig Tätigen überhaupt nicht organisierbar.

Das heißt, wir wissen sehr wohl, dass dies ein ganz wesentlicher Bestandteil der Stabilität des Systems des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. Wir bemühen uns zurzeit, bis zum 5. Dezember 2005, dem Tag des Ehrenamtes, über die Landeszentrale für politische Bildung einen umfassenden Bericht mit den Zahlen vorzustellen, die überhaupt in diesem Bereich ermittelbar sind.

Es ist unser Ziel, die gefühlte und wahrgenommene Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Bürger zu bestärken und zu fördern. Die Frage, was staatlicherseits dazu beigetragen werden kann, muss jedoch mit Bedacht beantwortet werden.

Der Staat kann und muss Rahmenbedingungen schaffen, moderieren oder auch aktivieren. Er darf aber durch Überregulierung keine Hemmnisse aufbauen. Bürgerschaftliches Engagement lebt in erster Linie von dem persönlichen Engagement. Staatliche Reglementierung oder Bevormundung sind einem freiwilligen bürgerschaftlichen Engagement eher abträglich.

Die Förderung dieses Engagements ist für uns alle wichtig. Im Rahmen der Ressortkoordinierung hat sich die Staatskanzlei bereits bei der Übernahme dieser Aufgabe zu Beginn der Legislaturperiode mit einer Bestandsaufnahme einen Überblick über die Rahmenbedingungen und die Unterstützungssysteme innerhalb der Landesverwaltung und über das bürgerschaftliche Engagement in unserem Land verschafft. Seither wird aus der Staatskanzlei heraus die bundespolitische und die landespolitische Diskussion über das bürgerschaftliche Engagement bei uns, aber auch in den anderen Bundesländern verfolgt.