Christoph Bayer

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Last Statements

Frau Ministerin, Sie sprachen davon, dass von Süden nach Norden geplant und umgesetzt werde. Der nächste Abschnitt ist dann der bei Buggingen. Ich frage mich und Sie: Ist nicht große Eile geboten, damit sich die Planungsfehler, die im südlichen Raum gemacht wurden, dort nicht wiederholen, dass nämlich die Bürgerinnen und Bürger dann erfahren müssen, dass ein Planfeststellungsbe schluss ergangen ist und keine Änderungen mehr möglich sind? Das ist meine erste Frage.
Nun meine zweite Frage: Sie wissen, dass sich die Bürgerin itiativen massiv organisiert haben und ein Gesamtprojekt mit dem Namen „Baden 21“ mit sehr differenzierten und detail lierten Forderungen formuliert haben. Sind Sie mit mir der Meinung, dass dieses Projekt „Baden 21“ nur als Gesamtpro jekt umsetzbar ist, oder wird die Situation so sein, dass, wenn in einen Bereich relativ viel Geld fließt, für andere Bereiche kein Geld mehr vorhanden sein wird?
Herzlichen Dank. – Frau Präsi dentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beginn dieser Enquetekommission und das Zustandekommen ihres Arbeitsauftrags waren ziemlich holprig. Das wissen Sie. Aber auf der Strecke – so meine ich – haben wir uns dann doch ganz gut zusammengerappelt.
Bei solchen Kommissionen besteht immer die Gefahr, von den Mehrheitsfraktionen mehr oder minder dominiert zu wer den. Das war natürlich auch bei dieser Kommission der Fall. Aber ich glaube, es ist uns immer wieder gelungen, über die relativ starren parteilichen Festlegungen hinauszuschauen. Nur deswegen ist erklärbar, dass wir die überwiegende An zahl der Handlungsempfehlungen mit allgemeiner Mehrheit haben beschließen können.
Das war nicht immer einfach. Es ist manchmal nur nach zä hem Ringen gelungen und manchmal eben auch gar nicht. Deswegen gibt es hier und dort auch Minderheitsvoten. In der aktuellen Situation, in der sich Mehrheiten zu verändern be ginnen, haben auch Minderheitsvoten eine wichtige Bedeu tung.
Auf einmal sind sie nämlich nicht nur oppositioneller Zierrat, sondern sie sind Basis von zukünftigem Regierungshandeln.
Vielleicht war es da ein letzter Akt der Verzweiflung,
dass unsere Bitte abgelehnt wurde, in der Kurzzusammenfas sung, zumindest in einer Fußnote, doch auf das eine oder an dere Minderheitsvotum hinzuweisen. Das ist uns leider nicht geglückt. All diejenigen, die die Minderheitsvoten lesen wol len, müssen sich also durch den großen Bericht hindurchquä len. Sei’s drum! Es ist, glaube ich, ein kleiner letzter Akt der Verzweiflung.
Ich möchte nun inhaltlich, und zwar stichwortartig, entlang unserer Minderheitsvoten auf einige Punkte eingehen, ohne diese Voten natürlich in der gesamten Breite darstellen zu kön nen.
Zunächst zu etwas Grundsätzlichem. Es ist ausgesprochen schade, dass die Regierungsparteien unserem Votum mit dem Titel „Chancengleichheit von Anfang an“ nicht beitreten konn ten, obwohl von fast allen Sachverständigen erklärt und be kräftigt wurde, dass die Grundlagen für den weiteren Bil dungserfolg früh gelegt werden. Auch bei einer Fokussierung auf den Bereich der beruflichen Bildung darf man doch den Handlungsbedarf bei den Grundlagen nicht außer Acht lassen: Kindertageseinrichtungen, Sprachförderung in der frühkind lichen Bildung, Ganztagsschulen oder Gemeinschaftsschulen. Sehr schade, dass uns dies nicht im Konsens gelungen ist.
Stichwort Fachkräftemangel: Meine Damen und Herren, es gibt drei Fehlentwicklungen, die diesen Fachkräftemangel verursacht haben. Frauen, Migranten und ältere Erwerbsper sonen sind viel zu wenig in den Arbeitsmarkt integriert. Die Weiterbildungsbeteiligung ist insgesamt viel zu gering. Der wichtigste Punkt aber ist: Wer heute den Mangel an Fachkräf ten beklagt, der bestätigt damit, dass in den vergangenen Jah ren zu wenig ausgebildet wurde. Die Wirtschaft ist eben seit Jahren nicht in der Lage, allen ausbildungswilligen Jugendli chen auch wirklich eine Ausbildung im dualen System zu er möglichen.
Nur etwa die Hälfte der ausbildungsberechtigten Betriebe in Baden-Württemberg bilden tatsächlich aus. Allein 2010 blie ben knapp 11 000 Jugendliche in Baden-Württemberg ohne Ausbildungsplatz. Sie befinden sich in sogenannten Warte schleifen, ohne dass damit ihre beruflichen Perspektiven merklich verbessert werden. Dieses sogenannte Übergangs system hat weder System noch schafft es tatsächlich Übergän ge.
Die SPD will ein Grundrecht auf Ausbildung sichern. Wir wollen ein System, das keinen zurücklässt, und setzen auf fol gendes Szenario: für alle, die dies können und wollen, Ein mündung in eine adäquate duale Ausbildung; für Jugendliche mit einem punktuellen Förderbedarf eine spezifische Hilfe, die die duale Ausbildung begleitet, die sogenannte assistierte Ausbildung; und für Jugendliche, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in diesen beiden Wegen landen, eine sub sidiäre, betriebsnahe, vollschulische berufsqualifizierende Ausbildung, die mit einer Kammerprüfung abschließt. Für die jenigen, die noch nicht ausbildungsfähig sind, muss es För dermaßnahmen geben, die allerdings nach einer individuali
sierten Kompetenzanalyse viel stärker am dualen System ori entiert und vor allem mit anrechenbaren Elementen bereichert sein müssen.
Ich komme nun zum nächsten Stichwort: Jugendwohnen. Lan desfachklassen machen eine auswärtige Unterbringung von Jugendlichen oft zwingend notwendig. Hier haben sich CDU und FDP/DVP um eine wirkliche Lösung gedrückt. Natürlich, Herr Teufel, müssen Berufsbilder reduziert werden, damit die Anzahl dieser Klassen nicht weiter anwächst. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, das Jugendwohnen einfach dem Leis tungsbereich des SGB VIII zuzuschieben und damit den Kom munen aufs Auge zu drücken.
Wir wollen ein Finanzierungsmodell ähnlich wie in Bayern haben. Bayern erhebt von den Berufsschülern nur einen Ei genanteil pro Tag von 5 €,
5,10 € –, und alles andere wird bezuschusst. Berufsschüler in Baden-Württemberg bekommen lediglich einen Zuschuss von 6 €. Bei einem Tagessatz von derzeit 29 € müssen sie dann etwa 23 € pro Tag für das Jugendwohnheim aus eigener Ta sche berappen. So sichert man duale Ausbildung gerade im ländlichen Raum nicht.
Zur Unterrichtsversorgung: Anders als die Mehrheit sprechen wir beim strukturellen Unterrichtsdefizit nicht von einem Pro blem, das möglichst in drei bis fünf Jahren zu lösen sei. Nein, wir wollen bereits in der nächsten Legislaturperiode das struk turelle Unterrichtsdefizit vollständig und die Überstundenbug welle schrittweise analog eines Stufenplans abbauen.
Schließlich zum Bereich der Weiterbildung. Hier zunächst ei ne Vorbemerkung: Alles, was in diesem Bericht zur allgemei nen Weiterbildung steht, wäre nicht beschlossen worden, hät te sich die SPD nicht massiv für die Erweiterung des Arbeits auftrags eingesetzt.
Ich freue mich über die Anerkennung der Notwendigkeit ei ner verlässlichen institutionellen Grundförderung der Weiter bildung durch das Land auf der Grundlage des geltenden Wei terbildungsgesetzes. Allerdings ist es auch dieses Mal nicht gelungen, bei der Grundförderung die Anhebung des Förder volumens des Landes von derzeit 5,8 % auf den Bundesdurch schnitt von 13,6 % zu verankern. Das muss stufenweise, aber zügig geschehen. Das einzufordern ist leider unserem Min derheitsvotum vorbehalten geblieben. Schade!
Ich sehe aber durchaus auch, dass sich die CDU bei der Pro grammförderung bewegt hat, die über die Grundförderung hi nausgeht. Herr Teufel hat es genannt. Damit sollen insbeson dere die Zielgruppen der An- und Ungelernten, der Geringqua lifizierten, der Migrantinnen und Migranten, der funktionalen Analphabeten und der Personen ohne Schulabschluss ange sprochen werden.
Auch die Systematisierung von Eltern- und Familienbildung gehört meines Erachtens hierher. Diese Ziele sind wichtig. Sie sind nicht einfach aus Bordmitteln zu erledigen, sondern sie benötigen eine zusätzliche Finanzierung.
Arbeitgeberpräsident Hundt hat heute kommentiert, dass die Enquetekommission mit ihren Empfehlungen zur Förderung der Weiterbildung Marktmechanismen anerkannt und deren Berücksichtigung eingefordert habe. Darauf sage ich hier, und zwar zum wiederholten Mal: Für uns ist Weiterbildung ein öf fentliches Gut. Eine schleichende Privatisierung in diesem Be reich sehen wir mit Sorge. Es gibt eben Weiterbildungsberei che, die gerade nicht marktfähig sind und deswegen einer be sonderen Landesförderung bedürfen.
Für uns, für mich ist es vollkommen selbstverständlich, dass damit auch Qualitätsmanagementverfahren zu verknüpfen sind.
Meine Damen, meine Herren, mir hat, wie Sie wissen, der Ti tel „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft“ nie gefallen, weil er ein ökonomisches Bildungsverständnis transportiert. Manches in diesem Bericht der Enquetekommission hätten wir uns auch deutlich prägnanter, deutlich konkreter und vor allem deutlich verbindlicher gewünscht.
Auch meinen wir, dass ein Zeithorizont bis zum Jahr 2030 von den konkreten Herausforderungen der nächsten oder, sagen wir, der nächsten und der übernächsten Legislaturperiode zu stark ablenkt.
Alles in allem aber freuen wir uns auf die Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Diese Freude bezieht sich ausdrück lich auch auf die Minderheitsvoten, die ab April des nächsten Jahres keine mehr sein werden.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Über das Thema Schulsozial arbeit haben wir an verschiedenen Stellen sehr ausführlich und sehr oft diskutiert. Ich möchte mich deswegen darauf be schränken, die SPD-Position kurz und prägnant darzustellen.
Erstens: Schulsozialarbeit ist notwendig. Es ist dabei vollkom men unstrittig, dass sich Schulen inzwischen von Lern- zu Le benswelten entwickelt haben. In schulischen Kontexten ha ben sozialpädagogische Elemente, psychosoziale Unterstüt zungssysteme, aber auch eine individuelle, kontinuierliche Begleitung an Bedeutung zugenommen. Gerade im Zusam menhang mit Ganztagsschulkonzepten und auch im Zusam menhang mit einer immer wieder beklagten mangelnden Un
terstützungsleistung der Familien gewinnt Schulsozialarbeit zunehmend an Bedeutung. Sie ist notwendig.
Zweitens: Schulsozialarbeit entspricht einem breiten Bil dungsbegriff. Die ausschließliche Zuweisung der Bildung an die Schule, der Erziehung an die Familie und der Betreuung an die Jugendhilfe ist völlig veraltet. Es gilt nicht mehr das Bild „Die Guten ins Töpfchen der Bildung und die Schlech ten ins Kröpfchen der Jugendhilfe“ oder umgekehrt, wie Sie es wollen. Nein, Schulsozialarbeit gehört wesentlich zum Bil dungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Sie ist deswegen zumindest zum Teil auch Landesaufgabe.
Drittens: Schulsozialarbeit ist eine ganz typische Schnittstel lenaufgabe zwischen Jugendhilfe auf der einen Seite und Schule auf der anderen Seite. Das erfordert, meine Damen und Herren, eine horizontale Vernetzung und nicht eine vertikale Versäulung dieser Bereiche.
Ihr gebetsmühlenartiger und immer wieder vorgenommener Hinweis auf § 13 SGB VIII – er wurde gerade angesprochen – ist zwar im Prinzip richtig, aber er reicht eben nicht aus. Er ist dann sogar kontraproduktiv, wenn die Verantwortung da mit einseitig in eine Richtung verschoben wird, nämlich zu lasten der Kommunen.
Viertens: Schulsozialarbeit hat sehr viele Fürsprecher. Ich be ginne einmal beim Exkultusminister Rau, der im Jahr 2006 den Ausstieg des Landes aus der Finanzierung der Schulsozi alarbeit als unglücklich bezeichnet hat. Eltern, Lehrer, Kom munen, der Landeselternbeirat, die Lehrerverbände und der Städtetag haben sich sehr deutlich und kontinuierlich für ei nen flächendeckenden und mischfinanzierten Ausbau der Schulsozialarbeit ausgesprochen.
Fünftens und letztens: Schulsozialarbeit hatte doch schon ein passendes Finanzierungskonzept. Die Mischfinanzierung durch kommunale Jugendhilfeträger, durch Schulträger und durch das Land war anerkannt, erprobt, und sie hat nieman den über Gebühr belastet. Jetzt wird die kommunale Seite al leingelassen
mit der Konsequenz, dass Schulsozialarbeit bzw. ihre Finan zierung von der Kassenlage vor Ort abhängt.
Das ist ein untragbarer Zustand, den wir beenden müssen.
Lassen Sie mich deswegen kurz zu den vorliegenden Anträ gen Stellung nehmen. Unsere in einem Antrag erhobene For derung nach Einstellung der millionenschweren sogenannten Informationskampagne hat sich insofern erledigt, als diese In formationskampagne inzwischen abgeschlossen ist. Aber sie hat wieder einmal gezeigt, wo das Land bereit ist, Geld aus zugeben, und wo es Geld verweigert.
Die Landesförderung von Schulsozialarbeit im bewährten Konzept muss wieder aufgenommen werden. Das ist seit Jah ren unsere Position. Deswegen stimmen wir selbstverständ lich auch heute diesem Antrag zu.
Die sehr formalistisch argumentierende und sich ausschließ lich auf § 13 SGB VIII beziehende CDU-Position ist überholt – Verfallsdatum: 27. März 2011.
Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung:
a) Wie beurteilt die Landesregierung die aktuelle Situation,
die Entwicklung, die Verantwortlichkeiten und die Gesamt schadenshöhe in der durch Erdbohrungen in Mitleiden schaft gezogenen historischen Altstadt von Staufen?
b) Ist sie bereit, sich zu gegebener Zeit über den einmaligen
Landeszuschuss für die Erkundungsbohrung in Höhe von 1,9 Millionen € hinaus an den durch Gebäudeschäden ver ursachten Kosten von bislang 3,8 Millionen € zu beteili gen, um die Stadt Staufen vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren?
Selbstverständlich werde ich Sie jetzt nicht in diese hochkomplexe Fachwelt hineinführen und zu einer Antwort nötigen, die Sie definitiv nicht geben können. Aber Sie können mir vielleicht sagen, ob beabsich tigt ist, dass sich Ministerpräsident Mappus vor Ort ein Bild macht und, wenn ja, wann.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne tatsächlich mit einem Lob und mit einem Dank. Das gehört sich bei diesem Thema so; denn im Bereich
der politischen Bildung leisten seit vielen Jahren eine ganze Menge Leute harte Arbeit. Diese Arbeit verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Ich nehme die Diskussion über die Große Anfrage auch zum Anlass, auf grundsätzliche Probleme einzugehen und konkreten Handlungsbedarf aufzuzeigen.
Zunächst zum Begriffspaar „Politische Bildung“ und „Demokratie lernen“. In der klassischen politischen Bildung geht es darum, sich mit politischen Institutionen und Prozessen zu beschäftigen, ein politisches Urteil auszubilden, im weitesten Sinn also um eine Analyse des Politikgeschehens. Bei „Demokratie lernen“ stehen der Aufbau und die Akzeptanz von demokratischen Werten und Normen im Vordergrund. Es geht also um die Einübung von demokratischem Leben. Niemand wird als Demokrat geboren. Demokraten fallen nicht einfach so vom Himmel. Jede Generation muss neu an Demokratie gewöhnt werden.
Beide Aufgaben, die rationale Vermittlung auf der einen Seite und die Werteaneignung in einem demokratischen Kontext auf der anderen Seite, sollten möglichst optimal miteinander verknüpft sein. Außerdem sollten sie systematisch verwirk licht sein. Das heißt, es bedarf spezifischer Didaktik, spezifischer Methodik und flächendeckender Strukturen.
Meine Damen und Herren, um deutlich zu machen, dass wir uns in diesem Bereich nicht zurücklehnen dürfen, nenne ich einige Fakten. Zwar sind 89 % der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass Demokratie eine gute Staatsform sei. Jeder Dritte glaubt aber schon nicht mehr daran, dass die Politik in der Lage sei, Probleme auch wirklich zu lösen. Viele von denen, die im Prinzip demokratiefreundlich gestimmt sind, verweilen in einer Art von passiver Duldungsstarre. Ein nicht unwesentlicher Teil – 29 % – würde sogar auf demokratische Mitsprache verzichten, wenn dadurch der Wohlstand erhalten bliebe.
Ähnliche Einschätzungen finden sich auch in der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage. In allen Schichten und in allen Altersgruppen geht die Wahlbeteiligung zurück. Mit der formalen Bildung nimmt auch die Zufriedenheit mit der Demokratie ab. Nach Auskunft der Landesregierung vergrößern sich die Defizite im politisch-historischen Fachwissen seit Jahren. Das Vertrauen in Personen und in die Arbeit der Parteien bröckelt rapide. Das Wählerpotenzial extremer Parteien im Land ist deutlich größer, als dies die Prozentwerte und die Umfragewerte nahelegen.
Vor diesem Hintergrund tun wir gut daran, eine echte, eine ehrliche Stärken-Schwächen-Analyse des Systems politischer Bildung vorzunehmen, und zwar nicht in Form des hier immer wieder gepflegten Reflexbogens „Das alles machen wir ja schon; vielleicht könnte es hier und da ein bisschen mehr sein, aber alles geht schon irgendwie in die richtige Richtung“. Nein, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen an einigen Beispielen aufzeigen, wo es eben gerade nicht in die richtige Richtung geht, wo wir umsteuern müssen bzw. auch neue Wege gehen sollten.
Beispiel 1: Landeszentrale für politische Bildung.
Sie wurde in den letzten Jahren bis an die Schmerzgrenze „heruntergespart“.
Trotz steigender Ansprüche und Aufgaben wurden Stellenkürzungen vorgenommen. Das hervorragende Internetangebot kann nur durch Einsparungen an anderer Stelle realisiert werden. Hochwirksame niederschwellige Angebote wie z. B. „Team Z“ müssen nach Projektablauf sang- und klanglos eingestellt werden. Beim Schülerwettbewerb – eine Erfolgsstory mit jährlich steigenden Teilnehmerzahlen – muss in immer kürzerer Zeit mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit geleistet werden. Bei den „Politischen Tagen“ muss die Landeszentrale schon auf Teilnehmergebühren zurückgreifen.
Die Landeszentrale für politische Bildung ist mit einem Jahresetat von ca. 6 Millionen € ausgestattet. Das entspricht einer Ausgabe von jährlich etwa 58 Cent pro Einwohner des Landes.
Ich meine, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung hat recht, wenn er sagt: „Unsere Gesellschaft braucht mehr politische Bildung und nicht weniger.“
Beispiel 2: Politische Bildung beginnt viel zu spät. Im Curriculum der Erzieherausbildung fehlt sie vollständig. Ich frage mich: Warum eigentlich? Der gemeinschaftskundliche Unterricht in der Schule kommt viel zu spät und ist als Fach auch immer weniger erkennbar. Er wird mit Erdkunde und Wirtschaft kombiniert und oft auch fachfremd unterrichtet.
Junge Menschen brauchen Orientierung. Sie brauchen gerade in der Konsumgesellschaft sicherlich auch ein Maß an ökonomischer Bildung. Aber die Inthronisierung von ökonomischer Bildung darf nicht zur Entthronung der politischen Bildung führen.
Gemeinschaftskunde genießt bei uns neben dem Religionsunterricht eben noch immer Verfassungsrang und darf deswegen nicht bis zur Unkenntlichkeit in Fächerverbünden versteckt werden.
Dritter Aspekt: Soziales Lernen und Moral lernen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist: Die damit verbundenen Erziehungsziele können nicht quasi einfach nur nebenher erreicht werden. Deswegen müssen in der Lehreraus- und -fortbildung spezifische Methoden und Inhalte dazu vermittelt werden.
Das Programm „Lions Quest“ oder auch die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion von Professor Lind sind funk
tionierende Beispiele hierfür. Es sind aber Einzelbeispiele; die Regel sind sie nicht.
D i e Demokratiewerkstätten in unserem Land, nämlich die Jugendverbände, die über jahrzehntelange Erfahrung im Bereich des Demokratielernens verfügen, sind landesweit mit gerade einmal 38 Bildungsreferenten ausgestattet. Da ist es kein Wunder, meine Damen und Herren, dass in diesem Bereich in Projekten und Projektfinanzierungen gedacht wird und daher die Frage ausgeblendet werden muss, wie man von Modellen in die Fläche kommt.
Der demokratische Ernstfall, nämlich echte Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, ist bei uns im schulischen, im sozialen und im politischen Raum – sagen wir einmal so – suboptimal geregelt.
Dies alles fordert zum Handeln auf. Ich schlage eine breit angelegte Demokratiekampagne mit ineinandergreifenden Bausteinen vor. Vier von diesen Bausteinen möchte ich konkretisieren.
Erstens: die Stärkung von Beteiligungsrechten für Kinder und Jugendliche. Das heißt konkret: die Verankerung von Kinderrechten in der Landesverfassung, die Implementierung des Instruments Spielleitplanung, die verbindliche Verankerung von Beteiligungsrechten für Kinder und Jugendliche in der Gemeindeordnung, die Stärkung der Rechte der Schülermitverwaltung und eben auch die Absenkung des Wahlalters bei Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre.
Es geht um die prinzipielle Möglichkeit und nicht darum, wie intensiv davon Gebrauch gemacht wird.
Zweitens geht es um die Verknüpfung von politischer Bildung und Demokratie lernen, das heißt, um die Verankerung von sozialem Lernen, von Demokratie lernen, von Moral lernen in systematischer Form in der Lehreraus- und -fortbildung. Das heißt früherer Beginn des Gemeinschaftskundeunterrichts. Das heißt Sicherstellung der Erkennbarkeit von Gemeinschaftskunde als Unterrichtsfach. Das heißt Einbeziehung und Förderung der Demokratiewerkstätten im Bereich der außerschulischen Jugendbildung.
Drittens: Niederschwelligkeit. Das heißt Elementarisierung von politischer Bildung. Hierzu hat der ehemalige Leiter der Landeszentrale Siegfried Schiele ein hervorragendes Buch geschrieben. Dies bedeutet eine Milieuorientierung bei den angebotenen Programmen entsprechend der Sinus-Milieustudie. Das heißt nicht zuletzt gezielte Förderung solcher Angebote und Initiativen.
Viertens: Stützung und Weiterentwicklung der vorhandenen Strukturen, konkret die Rücknahme der Kürzungen bei der Landeszentrale. Denn die Landeszentrale ist die zentrale Organisation für die PR-Arbeit für Demokratie in unserem Land. Das heißt die Bereitstellung von Sondermitteln für Sonderaufgaben, z. B. für den Internetauftritt oder „Team Z“.
Das heißt Anhebung der Landeszuschüsse für die öffentlich geförderte Erwachsenenbildung auf einen bundesdurchschnittlichen Wert, damit politische Bildung nicht am ökonomischen Druck scheitert, sobald sie sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet oder nicht rechnen kann.
Meine Damen und Herren, wenn wir also politische Bildung ausbauen, das Demokratielernen systematisieren, Weiterbildung niederschwellig organisieren, demokratische Teilhabe früh praktizieren und gleichzeitig strukturell verändern, wenn wir die Rechte für Kinder und Jugendliche verbindlicher festlegen, dann kann aus all diesen Dingen ein Gesamtpaket werden. Dann könnte so etwas wie Leidenschaft für Demokratie entstehen, und das nicht einfach als flüchtige Fata Morgana, sondern als positive und stabile Grundstimmung.
Um mit den Worten von Theodor Heuss zu schließen:
Demokratie ist keine Glücksversicherung, sondern das Ergebnis politischer Bildung und demokratischer Gesinnung.
In beiden Bereichen müssen wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken.
Ich danke Ihnen.
Nein, heute spreche ich nicht zum Thema Bienen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Trotz der fortgeschrittenen Zeit möchte ich drei kurze Bemerkungen zum außerschulischen Bereich machen.
Erstens zum Gesamtbildungskonzept bzw. zum Bündnis für die Jugend: Herr Kollege Mentrup hat bereits auf die Problematik dieser Bündnisstruktur hingewiesen. Ich möchte aus der Sicht der Jugend ergänzen.
Außer einer völlig undurchsichtigen Struktur – nach meiner Kenntnis sind mittlerweile zwölf Unterarbeitskreise aktiv – und einer Beiratssitzung unter Anwesenheit von Parlamentariern, die der Verwaltung abgetrotzt werden mussten, kann ich nichts wesentlich Neues erkennen. Meines Erachtens haben sich die Jugendverbände die Zusicherung, keine weiteren Einschnitte hinnehmen zu müssen, teuer erkauft.
Nach der amtlichen Statistik erreichen die Jugendverbände immer mehr Jugendliche. Die Steigerungsrate liegt bei 19 % oder 20 %. Im Zeitraum von 2004 bis 2008 wurden über 100 000 Jugendliche mehr erreicht. Aber die Fördersummen sind seit Jahren konstant. Die Anzahl der Bildungsreferenten ist seit Jahren konstant. Die Verwaltungskosten sind eingefroren.
Obwohl eigentlich ein Zuwachs der Mittel organisiert werden müsste, herrscht Stagnation. Das bedeutet über die Jahre hinweg nichts anderes als Kürzungen bei stark steigenden Leistungen.
Durch das Bündnis für die Jugend sitzt die organisierte Jugendarbeit im Käfig. Ich hoffe sehr, dass mit Abschluss der Bündnisphase die Forderungen und Notwendigkeiten, die auf dem Tisch liegen und bis zu diesem Zeitpunkt noch angewachsen sein werden, Eingang in die Haushalte finden werden. Ich befürchte aber, dass dies eine Operation mit relativ geringen Erfolgsaussichten sein wird.
Zweitens: mobile Jugendarbeit. Durch die Kürzung der Mittel für die mobile Jugendarbeit um bis zu 50 %, die Sie vorhin beschlossen haben, ist der seit dem Jahr 2007 im Rahmen des Bündnisses für die Ausbildung erfolgte Ausbau der mo
bilen Jugendarbeit rückgängig gemacht worden. Ich verkneife es mir an dieser Stelle, einen Bezug zum Bündnis für die Jugend herzustellen. Ihr Verweis, über eventuell zur Verfügung stehende Mittel im Zusammenhang mit dem Sonderausschuss „Winnenden“ den hier vorgenommenen Kahlschlag wieder auszugleichen, gleicht einem finanztechnischen Taschenspielertrick.
Dieses Vorgehen ist auch inhaltlich völlig verfehlt. Die vom Sonderausschuss angehörten Sachverständigen haben uns mehr als deutlich gemacht, dass es sich bei den Täterpersönlichkeiten um „auffällig Unauffällige“ mit einem hohen Kränkungspotenzial und oftmals mit psychopathologischen Grundstrukturen handelt. Das ist gerade nicht die Hauptzielgruppe der mobilen Jugendarbeit.
Drittens: Weiterbildung. Das ist eine never ending story. In kaum einem Politikbereich klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Weiterbildungslandschaft in diesem Land. Auf der einen Seite wird das Hohelied des lebenslangen Lernens gesungen. Auf der anderen Seite stehen Kürzungskaskaden von 1996 bis heute um über 60 %.
Das verstärkt den Trend, die Finanzierung zulasten der Teilnehmenden zu verschieben. Diese Tendenz führt zu einer schleichenden Privatisierung und zu einer Reduzierung genau der Angebote, die sich nicht rechnen, z. B. im Bereich der politischen Bildung.
Unter den gegebenen Bedingungen verschärft diese Art von Weiterbildung eher die Auslese, die wir im ganzen Bildungssystem beklagen. Ungleichheit wird hier verstärkt, statt sie auszugleichen.
Damit wir wegkommen von der Schlusslichtposition bei der Finanzierung öffentlich geförderter Weiterbildung und damit wir zumindest mittelfristig einen bundesweiten Durchschnittswert erreichen, brauchen wir eine Trendumkehr, einen Einstieg in eine wirklich verbesserte Finanzierung der öffentlich finanzierten Weiterbildung, so, wie wir sie in unseren Haushaltsanträgen fordern.
Das wäre ein wirklich zukunftweisendes bildungspolitisches Signal, und das würde wirklich dem Slogan entsprechen: Bessere Bildung von Anfang an und ein Leben lang.
Danke schön.
Herr Minister Dr. Goll, wir haben in der letzten Schulausschusssitzung von Herrn Minister Rau gehört, dass sämtliche Möglichkeiten in seinem Ressort ausgeschöpft seien und die Sache eigentlich klar sei. Er hat damit den Ball in andere Ministerien gespielt. Er liegt jetzt u. a. in Ihrem Ministerium.
Uns würde schon interessieren, wie Sie damit umgehen bzw. wo Sie tatsächlich noch Möglichkeiten sehen, regelnd einzugreifen, insbesondere was den Aspekt der Verfassungstreue angeht. Haben Sie belastbares Material, mit dem Sie dann in der Lage sind, einen möglichen Prozess zu bestehen? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage: Im Eröffnungsstatement wurde darauf hingewiesen, dass man sich möglicherweise auf einer „abschüssigen Piste“ befinde. Was kommt da noch in Bewegung?
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Ausführungen mit einem kurzen Zitat beginnen, das folgendermaßen lautet:
Der Nordschwarzwald gehört zu den größten unzerschnittenen Naturräumen Deutschlands. Er ist geprägt durch weitläufige Wälder mit naturnahen, hochmontanen Bergwäldern, Hochmooren, Karseen und Bergweiden …
Danke, Frau Präsidentin.
Alle Flächen sind Lebensräume für eine Vielzahl seltener und bedrohter Tierarten von nationaler und internationaler Bedeutung …
Das ist ein Zitat aus der Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Antrag, der inzwischen über ein Jahr alt ist.
Was wollten wir damals erreichen? Wir wollten erreichen, dass sich die Landesregierung energisch für die Durchführung des Naturschutzgroßprojekts im Nordschwarzwald einsetzt und die entsprechenden Kofinanzierungen für die in Aussicht gestellten Bundesmittel bereitstellt.
Leider haben die beteiligten Kommunen und Landkreise den Zuschlag vom Bund nicht bekommen.
Vielleicht hätte ein noch energischerer Einsatz des Landes Besseres bewirkt. Wir wissen es nicht. Die Herausforderung allerdings bleibt erhalten. Sie heißt, aus dem derzeitigen Fli ckenteppich von Natura-2000-Gebieten, von Schutzgebieten ganz unterschiedlicher Kategorien, die vom einfachen Landschaftsschutzgebiet bis zum Naturschutzgebiet nach § 26 des Bundesnaturschutzgesetzes reichen, ein Naturschutzgroßprojekt entstehen zu lassen.
Das ist auch dringend geboten, meine Damen und Herren. Der rasante Artenschwund ist keineswegs gestoppt. Die Biodiversität nimmt weiter ab. Die Zerschneidung und Zersiedelung von Landschaft geht weiter. Von einzelnen Erfolgen im Speziellen einmal abgesehen ist die Gesamtentwicklung im Naturschutz nach wie vor eher ernüchternd.
Deswegen wollen wir, dass die im Antrag zusammengefassten Intentionen der Landkreise und Kommunen weiterhin verfolgt werden, auch wenn das beantragte Naturschutzgroßprojekt zunächst nicht zustande gekommen ist, weil die Bundesmittel dafür leider nicht zur Verfügung stehen.
Die beteiligten Landkreise, Kommunen und Bürgermeister haben bei der Erarbeitung des Konzepts ein beispielhaftes Engagement gezeigt. Das darf nicht brachliegen bleiben. Die Ideen, die Konzeption und das Engagement müssen im Sinne einer deutlichen Verbesserung des Naturschutzes im Nordschwarzwald weiterhin genutzt werden.
Wir wollen schon seit etlichen Jahren, dass im Schwarzwald ein großes Schutzgebiet errichtet wird. Dort, wo das geschehen ist, beispielsweise im Hochharz oder im Bayerischen Wald, hat sich sehr schnell herumgesprochen, dass die Gemeinden und die Menschen mehr davon profitieren, als sie erwartet haben. Die Befürchtungen vor einem wirtschaftlichen Niedergang haben sich jedenfalls nicht bestätigt.
Noch immer stehen einem Naturschutz, der mehr oder weniger als Käseglocke verstanden wird, sehr viele skeptisch gegenüber, weil sie befürchten, dass damit Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten werden. Dass sich im Gegenteil aber neue Chancen auftun, wird oft übersehen.
Das Naturschutzgroßprojekt hätte ein erster Schritt sein können. Wir haben mehrfach deutlich gemacht, dass wir diesen Weg gehen wollen. In diesem Zusammenhang wäre auch ein erst kürzlich von uns eingebrachtes Anliegen zur Waldwirtschaft besonders gut umsetzbar, nämlich das Anliegen, den Anteil von Bann- und Schonwäldern sukzessive zu erhöhen. Die großflächigen und dichten Wälder des nördlichen Schwarz walds würden sich besonders gut dafür eignen.
Wir sind froh, dass wir mit dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb endlich ein Großschutzgebiet in unserem Land haben. Aber das muss nicht das einzige bleiben. Der Schwarzwald – gestatten Sie mir als einem Schwarzwälder, dies so deutlich zu sagen – als Region, als Naturraum, als Heimat zahlloser seltener Tier- und Pflanzenarten ist bestens prädestiniert, auch ein Standort für ein weiteres Großschutzgebiet zu sein.
Die Wiederkehr des Luchses und der Wildkatze sind weitere Indikatoren. Auch deshalb müssen wir unsere Anstrengungen verstärken.
In einem Entwicklungsnationalpark bzw. einem Biosphärengebiet wäre es gewiss deutlich einfacher, Konzepte zu entwickeln, die in der Bevölkerung dann auch die nötige Akzeptanz erhalten.
Machen Sie sich also die Ziele und die Projekte dieses ohnehin bereits konzipierten Naturschutzgroßprojekts zu eigen, und setzen Sie diese soweit nur irgend möglich gemeinsam mit den beteiligten Kreisen und Kommunen um – auch ohne den Bund. Dann, meine Damen und Herren, wäre die Errichtung eines Entwicklungsnationalparks oder eines Biosphärengebiets in einigen Jahren lediglich die folgerichtige Konsequenz.
Wegen der inzwischen veränderten Sachlage – wie gesagt: der Antrag ist über ein Jahr alt – beantragen wir die Überweisung des Antrags an den zuständigen Ausschuss und hoffen, damit und mit der erneuten Diskussion hierüber dem Projekt eine neue Perspektive geben zu können.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Zustandekommen dieser Enquetekommission gleicht fast einer Zangengeburt.
Aber man hat auch nach schwierigen Geburtsvorgängen wirklich prächtige Kinder gedeihen sehen.
Man kann sich schon fragen, meine Damen und Herren, und kann sich einen eigenen Reim darauf machen, warum z. B. niemand von den Grünen in den Sommermonaten auf uns zugekommen ist, obwohl klar ist, dass ich mich seit Monaten, ja seit Jahren mit dem Thema Weiterbildung und der Einsetzung einer Weiterbildungsenquete beschäftige.
Man kann sich auch fragen, warum die FDP/DVP das offensichtlich über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg zwischen CDU und Grünen abgestimmte Papier erst nach der letzten Sitzung des Schulausschusses Mitte September vorliegen hatte. Derartige Kommunikationsdefizite sind wohl kaum der Kategorie „Dumm gelaufen“ zuzurechnen; das Ganze ist auch nicht zufällig so gelaufen. Es ist ein „Techtelmechtel“ – ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Für uns jedenfalls war völlig klar, dass wir uns innerhalb unseres Bildungsaufbruchs intensiv und umfassend dem Weiterbildungsbereich zuwenden werden. Die Einsetzung einer Enquetekommission zum Thema Weiterbildung war für mich immer das zentrale Instrument.
Nachdem nun zwei konkurrierende Anträge vorlagen – einer von CDU und Grünen, dem die FDP/DVP dann offenbar beigetreten ist, und einer von uns –, war klar: Zwei Kommissionen kann es nicht geben; das wäre blanker Unsinn. Es musste also ein gemeinsamer, fraktionsübergreifender Einsetzungsantrag her.
Diesem nicht ganz einfachen Unterfangen haben wir uns gestellt. Dabei ist ein Einsetzungsauftrag herausgekommen, der von allen Fraktionen getragen wird. Wir haben wechselweise Federn lassen müssen, aber wir haben es, wie ich meine, geschafft, dass sich alle Fraktionen in den wesentlichen Punkten wiederfinden.
Für uns stehen persönliche Entwicklung, sozialer Zusammenhalt und Beschäftigungsfähigkeit weiterbildungspolitisch in einem engen Zusammenhang. Deswegen sind die allgemeine, die berufliche und die politische Weiterbildung gleichermaßen wichtig und zu berücksichtigen. Aber in kaum einem anderen Politikbereich klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Weiterbildung. Fast parallel zu dem immer wieder hervorgehobenen riesigen Bedeutungszuwachs der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens wurde die öffentliche Förderung in den letzten zehn, zwölf Jahren in Baden-Württemberg mehr als halbiert. Dabei gibt es
auch von wissenschaftlicher Seite überhaupt keinen Zweifel daran, dass in Deutschland, wenn die Unterinvestition in das lebenslange Lernen weiter anhalten sollte, kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum entstehen kann.
Der Deutsche Volkshochschul-Verband hat schon 2005 die Politik und die Wirtschaft aufgefordert, ausreichend Mittel für eine Weiterbildungsinitiative zur Verfügung zu stellen, damit der größte Bildungsbereich seine „Schubkräfte“ – wie er es genannt hat – für mehr Wachstum, Produktivität und Chancen des Einzelnen in der Gesellschaft voll entfalten kann. Das ist eine Forderung, meine Damen und Herren, die in der Krise noch an Wichtigkeit gewinnt – zumal es in der Weiterbildung eine klare soziale Spaltung gibt. Menschen, die über ein niedriges Niveau an schulischer und beruflicher Ausbildung verfügen, nehmen nur zu 20 % an Weiterbildungsmaßnahmen teil; bei den Menschen mit höherer Bildung sind es über 60 %, und bei Menschen mit Migrationshintergrund liegt der Anteil gerade einmal bei 18 %, wobei es sich im Wesentlichen um die Inanspruchnahme von Sprachkursen handelt.
Mit fortschreitendem Alter nimmt die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen deutlich ab. Was die berufliche Weiterbildung angeht, so sind die Aufgaben der Kindererziehung und die Probleme aufgrund mangelnder Betreuungsangebote für Frauen nachweisbar ein Hemmnis. Zudem gibt es eine einseitige Verschiebung der Finanzierung zulasten der Teilnehmenden. Diese Tendenz führt zu einer schleichenden Privatisierung und zu einer Reduzierung von Angeboten, die sich nicht selbst tragen, die sich, betriebswirtschaftlich gesehen, nicht rechnen, z. B. in der politischen Bildung.
Unter den gegebenen Bedingungen verschärft Weiterbildung eher die Auslese und verstärkt Ungleichheit, statt sie auszugleichen – und dies vor dem Hintergrund, dass Weiterbildung bei uns Verfassungsrang hat. Es muss uns allen also um Chancengleichheit gehen, um bessere Bildung für alle, wie wir das auch in unserem Papier „Bildungsaufbruch in Baden-Würt temberg“ formuliert haben. Das übergeordnete Ziel muss sein, die Beteiligung der Menschen an Weiterbildung zu steigern, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Milieu, ihrem Geschlecht, ihrem Einkommen oder ihrem Alter.
Alle Menschen in Baden-Württemberg sollen ihre individuellen Begabungs- und Leistungspotenziale besser entfalten können. Das meine ich in einem sehr umfassenden Sinn. Ich warne deswegen als Bildungspolitiker und auch als jemand, der im kirchlichen Raum engagiert ist, davor, Bildungsdebatten und auch Weiterbildungsdebatten einseitig durch funktionale Optimierungsstrategien dominieren zu lassen.
Natürlich ist der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit auch für uns ein zentrales Anliegen. Darauf haben sich unsere Anstrengungen zu richten. Aber es geht eben auch – und, meine Damen und Herren, ich meine, nicht zuletzt – um ein individuell gelingendes Leben. Unter dieser Gesamtperspektive ist Weiterbildung ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Die Weiterbildungslandschaft in Baden-Württemberg braucht hierfür entsprechende Rahmenbedingungen: plurale Trägerstrukturen, passgenaue Angebote und eine solide Finanzierung. Darum muss es gehen.
Erfolg wird diese Enquetekommission bei dem vorgegebenen engen Zeitlimit nur dann haben, wenn sie systematisch vorgeht. Dazu gehört eine ehrliche Bestandserhebung, die auch Problemanzeigen einschließt und sich an den neuralgischen Punkten der Finanzierung nicht vorbeimogelt. Dazu gehört auch eine umfassende Bedarfsanalyse, wobei die Ermittlung von Bedarf nicht dasselbe ist wie das Aufsummieren unterschiedlicher Bedürfnisse von Individuen oder von Interessengruppen.
Und schließlich geht es um eine Sammlung von zukunftweisenden Maßnahmenvorschlägen, an denen die Akteure beteiligt werden und die auch über reine Parlamentsroutine hinausgehen.
Selbstverständlich.
Ich denke, das brauche ich in Anbetracht dessen, was ich gesagt habe, nicht zu kommentieren. Ich habe gesagt: Unter dieser Gesamtperspektive ist Weiterbildung ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie ist ein Bestandteil davon – neben vielem anderen auch, genauso wie die Öffentlichkeit einen Gesamtbildungsauftrag hat.
Ich möchte, meine Damen und Herren, quasi als Leitplanken für die Arbeit in der Kommission abschließend fünf Fragenkomplexe nennen.
Erstens: Wie kommt man zu einer Angebotsstruktur, die sich mehr an Kompetenzen als an Themen orientiert? Das ist ein Paradigmenwechsel, der in anderen Bildungsbereichen, z. B. in der Schule, schon eingeleitet wurde. Denn es gibt einen zunehmenden Bedarf an persönlichen, sozialen und interkulturellen Kompetenzen, nicht nur, aber auch als Grundlage für Fachkompetenz. Dies kann nur in einer Verzahnung von allgemeiner und beruflicher Weiterbildung passieren.
Zweitens: Wie erreicht man in der Aus- und Weiterbildung besser – und nicht nur besser, sondern auch nachhaltig – bildungsferne Schichten? Wie kann in diesem Zusammenhang der zweite Bildungsweg gesichert und ausgebaut werden, und welche Rolle können die beruflichen Schulen dabei übernehmen?
Drittens: Wie kommen wir in Baden-Württemberg von der Schlusslichtposition in der öffentlichen Finanzierung weg und erreichen auf Sicht zumindest einen bundesdeutschen Durch
schnittswert? Auch die Frage nach einer besseren sozialen Absicherung für freiberufliche Dozentinnen und Dozenten und nach einer Reduzierung der großen Anzahl von prekären Beschäftigungsverhältnissen muss meines Erachtens auf den Tisch.
Viertens: Wie können drittmittelfinanzierte Modelle verstetigt werden, damit es in der Fläche und nicht nur in den Ballungsräumen gerade in neuen und stark anwachsenden Aufgabenfeldern zu Strukturen kommt? Ich nenne hier ausdrücklich zwei Aspekte: erstens eine systematisch zu implementierende Elternbildung und zweitens eine Bildungsberatung oder Bildungsbegleitung – unabhängig, biografieorientiert und öffentlich mitfinanziert, Herr Kollege.
Schließlich fünftens: Wie kommen wir in Baden-Württemberg zu verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen, die z. B. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen bezahlten Bildungsurlaub ermöglichen, wie dies in zwölf von 16 Bundesländern der Fall ist?
Meine Damen, meine Herren, bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen während der konkreten Kommissionsarbeit ist mir eines besonders wichtig: Eine Wiederholung der faktischen Folgenlosigkeit der Tätigkeit wie bei der letzten Enquetekommission „Demografischer Wandel“ mit ihrer Ansammlung von unverbindlichen Prüfaufträgen und ohnehin schon geplanten Aktivitäten darf es nicht geben. Wir wollen mit dieser Enquetekommission eine Initialzündung – eine Initialzündung! – für eine umfassende Weiterbildungsoffensive, die die allgemeine, die politische und die berufliche Weiterbildung gleichermaßen mit einschließt. Dafür werden wir uns starkmachen.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion hat den Status quo des Religionsunterrichts der christlichen Konfessionen im Blick, und der Antrag der Fraktion GRÜNE zielt auf einen meines Erachtens notwendigen Veränderungsbedarf. Zu beiden Aspekten möchte ich kurz und grundsätzlich Stellung nehmen.
Vorweg zunächst einige Feststellungen zum Religionsunterricht. Die rechtlichen Grundlagen sind – ich denke, das wird übereinstimmend in diesem Haus so gesehen – völlig eindeutig und unstreitig: Staatskirchenverträge, Artikel 7 des Grundgesetzes, Artikel 18 der Landesverfassung, Schulgesetz usw. Ohne diese Grundlagen irgendwie infrage stellen zu wollen, sollte aber dennoch aus historischer Perspektive bedacht werden, dass der Hintergrund dafür eine weitgehende religiöse Homogenität der Bevölkerung war. Heute befinden wir uns – ob wir das nun gutheißen oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle – im Übergang zu einem Pluralismus von konkurrierenden Religionen, Weltanschauungen und Überzeugungen. Genau vor diesem Hintergrund steht die SPD-Fraktion für eine Gleichstellung und eine Gleichwertigkeit von Religions- und Ethikunterricht.
Der Verfassungsrang von Religionsunterricht bleibt völlig unbestritten. Er wird sich auch in seiner Praxis immer wieder
auch neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen anpassen, z. B. in seinen konfessionell kooperativen Formen, die jetzt ausprobiert werden. Ethikunterricht als frei wählbare Alternative zum Religionsunterricht wirkt einem allgemeinen religiösen und ethischen Analphabetismus entgegen und zeigt jungen Menschen – und zwar gerade denen, die nicht religiös orientiert sind –, wie Grund überzeugungen gelernt und gelebt werden können.
Immer mehr Bundesländer tragen diesem Tatbestand Rechnung. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Bayern, überall gibt es Religionsunterricht ab Klasse 1. Das ist, meine Damen und Herren, die richtige Perspektive. Die ist auch für uns wünschenswert.
Natürlich! Selbstverständlich auch Religionsunterricht ab Klasse 1. Aber Ethik als Alternative zum Religionsunterricht ab Klasse 1 gibt es in den von mir genannten Bundesländern. Das ist, wie gesagt, auch für unser Bundesland wünschenswert. Ich weiß, das ist nicht von heute auf morgen zu verwirklichen, aber wir müssen uns endlich auf den Weg machen, wir müssen Weichen stellen, und die wichtigste Weichenstellung hierfür ist, die Wertevermittlung und das Erlernen von Moral an den Schulen so zu verankern, dass erkennbar ist, wo was und wie etwas vermittelt wird. Oder, im „Pädagogensprech“: Lernort, Didaktik und Methodik müssen klar sein.
Der gute und auch von Ihnen immer wieder gern zitierte Hartmut von Hentig hat ein wirklich tolles schulartübergreifendes Vorwort zu den Bildungsplänen geschrieben. Er hat die Vermittlung von verantwortungs- und wertebewusstem Verhalten als Schulauftrag beschrieben. Das sind mahnende und fast schon beschwörende Worte, die da stehen. Aber, meine Damen und Herren, diese Worte müssen eingelöst werden, und das geht nur in der Unterrichtspraxis. Sonst verschwindet die se konkrete schulische Aufgabe irgendwo im Nirwana von fächerübergreifenden Kontexten.
Werte müssen vermittelt und Moral kann gelernt werden. Das didaktische Handwerkszeug hierfür ist vorhanden. Jetzt müssen Ausbildungskonzepte forciert und Stunden- und Lehrerkontingente schrittweise, wie Herr Kretschmann gesagt hat, bereitgestellt werden. Nur so kann das entstehen, was kurz- oder langfristig flächendeckend notwendig sein wird, nämlich ein lehrplanverankerter, früh einsetzender Ethikunterricht.
Meine Damen und Herren, ich sage nochmals: Mit uns wird es eine institutionelle Abwertung des Religionsunterrichts zugunsten des Ethikunterrichts nicht geben.
Religionsunterricht in seiner Bekenntnisbindung in existenziellen Fragen, in Fragen des Glaubens, auch in Fragen der Transzendenz – so sehe ich das zumindest – hat einen Mehrwert. Eine religiös begründete Ethik ist eine persönliche Kraftquelle, auch für mich. Das alles ist aber kein Grund, Ethikunterricht zugunsten des Religionsunterrichts schulpraktisch
oder auch bildungstheoretisch zu vernachlässigen. Das tun wir aber, wenn wir ihn auf die späten Klassen verlegen.
Unser – und ich meine, unser gemeinsames – politisches Ziel muss eine Lösung sein, die der religiösen Bindung in der Schule angemessenen Raum gibt und gleichermaßen auf die Pluralität von Herkunft und Religionen der Schülerinnen und Schüler eine wirkliche, eine realistische Antwort gibt. Diesbezüglich ist bei der Landesregierung kaum Bewegung zu sehen. Das beklagen wir sehr.
Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Auch wenn Frau Kollegin Krueger sich ganz standhaft weigert, die Realität anzuerkennen, ist die Ausgangslage seit Langem klar. Es gibt viele größere und kleinere Studien, die Lage ist dokumentiert, sie ist kommentiert, und inzwischen hat ja auch Minister Rau öffentlich Handlungsbedarf eingeräumt. Baden-Württemberg ist ein Einwanderungsland. Es ist sogar d a s Einwanderungsland in Deutschland, wenn man die Flächenländer betrachtet.
Jugendliche mit Migrationshintergrund haben tatsächlich geringere Bildungschancen; sie finden sich hauptsächlich in Hauptschulen und Sonderschulen wieder.
Ich komme darauf.
Der zentrale Lösungsansatz ist unbestritten eine systematische Sprachförderung. Auch hierüber haben wir heute Morgen ausführlich gesprochen. Aber, meine Damen und Herren, es kommt eben nicht nur auf Pläne an, sondern es kommt auch auf ihre Realisierung an.
Es kommt darauf an, beispielsweise den Orientierungsplan verbindlich zu machen und Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass er auch in der Praxis umgesetzt werden kann.
Die Antworten der Landesregierung auf die differenzierten Fragen der Grünen in ihren verschiedenen Initiativen bieten vielerlei. Aber sie machen wieder einmal ein Strukturdefizit der Bildungspolitik in diesem Land deutlich. Das Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, von Modellen, von Baustellen, von Projekten gleicht eher einem bildungspolitischen Bauchladen.
Die Vorschläge der Grünen regen durchaus zu einer systematischen Betrachtung, zu einem systematischen Vorgehen an. Wir werden diesen Vorschlägen auch zustimmen, soweit sie zur Abstimmung gestellt werden,
allerdings nicht, weil wir sie in allen Einzelheiten auch für gut und richtig und zielführend hielten. Aber die Richtung stimmt, und es ist notwendig, hier auch tatsächlich Farbe zu bekennen, anstatt nur allgemeine Reden zu halten.
Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP ist durchsichtig, er beinhaltet ausschließlich unverbindliche Absichtserklärungen. Meine Damen und Her ren, irgendwie passt zu dieser Auffassung auch, dass Minister Rau heute offensichtlich bei der KMK die weitere Teilnahme Deutschlands an den internationalen PISA-Studien infrage stellen will. Das ist eine systematische Weigerung, der Realität ins Auge zu sehen.
Mit Sicherheit zielführend ist die Einführung eines Schulsys tems, das die überholte Dreigliedrigkeit überwindet. Richtig ist eine wesentlich stärkere und systematisch aufgebaute Einbeziehung der Eltern. Richtig ist, verpflichtende Module mit der Überschrift „Interkulturelle Bildung in der Lehrerbildung“ einzuführen.
Die Forderungen nach zusätzlichem Fachpersonal, Schulassistenten, Sonderpädagogen, Lehrern mit Migrationshintergrund, wie es in den Anträgen steht, sind sicherlich auch richtig. Gefordert werden sollte aber meines Erachtens vom Grund satz her ein Personal- und Professionenmix an den Schulen. Dabei brauchen wir vor allem die Wiedereinführung einer flächendeckenden Schulsozialarbeit statt immer mehr Sonderprogramme für besondere Zielgruppen.
Integration ist für uns Teil von Bemühungen, individuelle Förderung zum durchgehenden Strukturprinzip zu machen – mit den jeweils unterschiedlichen Instrumentarien. Es kann doch, meine Damen und Herren, nicht unsere „Denke“ sein, nachträglich das integrieren zu wollen oder integrieren zu müssen, was wir zuvor ausgegrenzt haben. Das ist übrigens auch in ökonomischer Hinsicht Unsinn.
Die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund – darauf wurde hier schon hingewiesen – wächst ständig und ist
in sich hoch differenziert. Es ist nicht der Migrationshintergrund als solcher, der zur Ausgrenzung führt, sondern es ist die soziale Lage. Deswegen gilt: Eine gute Sozialpolitik ist die beste Bildungspolitik. Wenn Sie hierfür Kronzeugen brauchen, dann lesen Sie einmal in den entsprechenden Schriften der evangelischen Kirche nach, beispielsweise in der Denkschrift der EKD 2006 oder dem brandaktuellen Schulpapier, in dem es u. a. heißt – ich zitiere wörtlich –:
Sozial benachteiligte Kinder sind von vielen differenzierten Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die evangelischen Kirchen setzen sich deshalb für eine energi schere Förderung der Befähigungsgerechtigkeit durch das öffentliche Bildungswesen ein.
Sie konkretisieren das auch. Ich mache das an einem Satz unter vielen deutlich:
Wir
die evangelische Kirche –
arbeiten mit an Wegen zu einer schulischen Differenzierung ohne Stigmatisierung. Wir wollen längeres gemeinsames Lernen durch noch weiterzuentwickelnde Differenzierungskonzepte ermöglichen – möglichst bis zur 10. Klasse. Unser gemeinsames Ziel ist eine bessere Qualifikation für alle.
Ich komme sofort zum Ende. – Meine Damen und Herren, aus denselben Gründen haben wir in unserem Leitbild zum Bildungsaufbruch auch nicht in ers ter Linie allein auf Integration abgehoben, sondern wir sagen: Bessere Bildung für alle. Wir merken zunehmend, dass wir hierfür in der Öffentlichkeit Zuspruch erfahren.
Ich danke Ihnen.
Ich frage die Landesregierung:
a) Mit welchen jeweiligen Ergebnissen wurde 2009 im Justizministerium und im Finanzministerium über den Erhalt der Jugendarrestanstalt Müllheim beraten?
b) Kann vom Erhalt der Jugendarrestanstalt Müllheim ausgegangen werden oder droht deren Schließung?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Positionen zu den Gesetzentwürfen sind aus der ersten Lesung und aus den Ausschussberatungen bekannt. Die Einführung von paritätischen Listen halten wir für eine Angelegenheit der Parteien. Die SPD jedenfalls hat dies satzungsgemäß geregelt, und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. An diesem Punkt werden wir uns der Stimme enthalten.
Zu den Ausführungen, was die Stärkung der Beteilungsrechte von Jugendlichen betrifft, möchte ich im Folgenden einige grundsätzliche Fragen anreißen.
Erster Aspekt: In der laufenden Debatte scheint manchmal vergessen zu werden, dass in der Bundesrepublik Deutschland das Recht auf allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl besteht. Der Grundsatz der allgemeinen Wahl wird durch den Ausschluss von Personen unter 18 Jahren beschränkt. Insofern reicht es eben nicht aus, einfach zu sagen: „Warum sollte man am Wahlrecht etwas ändern? Das Wahlrecht ab 18 hat sich doch bewährt.“ Es muss vielmehr begründet werden, ob und gegebenenfalls warum die Einschränkung
des Wahlrechts zumutbar ist, ganz gleich, ob die Grenze nun bei 18, bei 16 oder bei 14 Jahren gezogen wird.
Zudem muss die Begründung ständig überprüft werden.
Auf den ersten Blick scheint es einleuchtende Argumente für eine Beschränkung zu geben. „Viele Jugendliche interessieren sich nicht für Politik“, heißt es. Sie seien noch nicht wirklich in der Lage, etwas selbstständig zu durchdenken oder zu bewerten, oder sie seien zu leicht beeinflussbar und manipulierbar.
Aber, meine Damen und Herren, das Gegenteil wird in vielen Studien belegt. Die meisten Jugendlichen sind in ihrer sozialen Urteilsfähigkeit schon weit vor dem 18. Lebensjahr in der Lage, eigene politische Entscheidungen zu treffen.
Insgesamt kann man die Ergebnisse der Studien in etwa so zusammenfassen – ich nenne drei Punkte –:
Erstens: Das politische Interesse in allen drei untersuchten Bildungsgruppen – Hauptschule, Realschule, Gymnasium – steigt tatsächlich mit zunehmendem Alter an.
Zweitens: Das Niveau des politischen Interesses in der jüngs ten Altersgruppe – das sind die 12- bis 25-Jährigen – liegt bereits über dem der 25- bis 29-jährigen Hauptschulabsolven ten.
Drittens: Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass das Zutrauen in die eigene Fähigkeit, Politik zu verstehen, nicht mit zunehmendem Alter, sondern mit zunehmendem Bildungsniveau ansteigt.
Meine Damen und Herren, das sind keine Argumente gegen eine Wahlalterabsenkung, sondern das ist eine klare Ansage für politische Bildung, für Demokratieerziehung gerade bei bildungsfernen Zielgruppen.
Zweiter Aspekt: Jugend braucht in der Tat eine eigene Gestaltungsmacht, keine Alibiveranstaltungen, keine Beteiligungsplacebos. Beispielsweise ist eine Podiumsdiskussion mit Jugendlichen nicht per se schon Partizipation.
Gerade diese Altersgruppe, die besonders an zukunftsträchtigen Fragen ein hohes Interesse hat, weil es sich um ihre eigene Zukunft handelt, ist aufgrund ihres Alters bei politischen Entscheidungen zum großen Teil ausgeschlossen. Diesem Ausschluss kann die Absenkung des Wahlalters entgegenwirken.
Dritter Aspekt: Muss nicht das Wahlrecht als ein Grundrecht verstanden werden, das jeder Mensch von Geburt an hat? Die Diskussion über das Wahlalter stellt dieses Grundrecht eigentlich nicht infrage, sondern sie behandelt eher die Frage, ab wann man in der Lage ist, dieses Recht sinnvoll zu nutzen.
Ich möchte die Überlegungen zur Wahlreife nun nicht weiter vertiefen. Dennoch will ich sie an dieser Stelle wenigstens er
wähnen. Wenn Reife ein Kriterium für den Anfang des Wahlrechts ist, könnte sie auch ein Kriterium für das Ende des Wahlrechts sein.
Ja, ja. – Man kann also durchaus den Schluss ziehen,
dass die Altersgrenze mit 18 Jahren etwas Willkürliches hat.
Was folgt daraus, meine Damen und Herren? Wir brauchen für Jugendliche Beteiligungsformen mit verbindlichen Standards, wie dies vom Dachverband der Jugendgemeinderäte schon seit Langem gefordert wird. Wir brauchen die Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre, wie es vom Deutschen Bundesjugendring schon seit Mitte der Neunzigerjahre gefordert wird. Wir brauchen mehr denn je die Jugendverbände als Werkstätten der Demokratie und sollten dann aber auch auf sie hören.