Christoph Böhr

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Last Statements

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe viel Verständnis für manche Äußerungen, die im Lauf des heutigen Vormittags gefallen sind, für die künstliche Erregung, die von diesem Pult ausgegangen ist, für die Inszenierung des heutigen Vormittags. Die Erklärung liegt auf der Hand. Die Nerven liegen blank bei einer großen Partei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das bisher immer ohne jede Schadenfreude kommentiert, weil ich mich allzu gut an Situationen erinnere, in denen bei meiner Partei und bei mir die Nerven blank lagen. Man überlegt sich dann, wie man solche Plenarsitzungen gestaltet und welche Themen man nimmt, wer zu welchem Thema redet. Das gehört alles zum parlamentarischen Geschäft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Fraktionsvorsitzender, Herr Ministerpräsident, das alles ist kein Grund, unwidersprochen eine Studie, in der zugegebenermaßen viele positive Einsichten verkündet werden, in der ebenso eine harte Kritik an der Politik dieser Landesregierung formuliert wird, so darzustellen, als wenn Rheinland-Pfalz sozusagen das Paradies auf Erden in den letzten Jahren geworden wäre.
Das ist nun einmal nicht der Fall. Herr Ministerpräsident, ich will nicht auf das ausweichen, was einem sonst noch alles einfällt, wenn man hier steht.
Zur Frage der Steuerpolitik fiele mir bei dieser Gelegenheit eine ganze Menge ein. Mir würde auch eine ganze Menge öffentlicher Kommentierungen der Politik Ihrer Partei und Ihrer Person einfallen. Gerade zu den letzten Tagen würde mir sehr viel einfallen.
Ich will nur sagen, dass mich Ihre Berechnungen mit Blick auf meinen Vorschlag nicht so beeindrucken, wenn
Sie möglicherweise von denen angestellt wurden, die uns vor nicht allzu langer Zeit verkündet haben, wir hätten 2006 einen ausgeglichenen Haushalt in Rheinland-Pfalz.
Ohne das machen zu wollen, was ich eben kritisiert habe, sage ich zum Thema „Steuergeschenke“ Folgendes: Ich habe in den letzten sieben Jahren nie begriffen, dass eine sozialdemokratische Partei mit der Zustimmung ihrer Ministerpräsidenten eine Steuerpolitik betreibt, die den Kapitalgesellschaften die Taschen dermaßen vollsteckt, dass der Staat anschließend verarmt. Das habe ich nie begriffen. So viel zum Thema „Steuergeschenke“.
Wissen Sie, man kann diese Studie so oder so lesen. Mein Kollege Dr. Gölter hat darauf hingewiesen, bevor diese Studie erschien – wir wussten überhaupt nicht, dass sie erscheinen würde –, hatten wir eine öffentliche Veranstaltung hier in Mainz mit einem Referenten der Bertelsmann-Stiftung, der sich dann während dieser Veranstaltung zufällig als einer der Autoren dieser Studien der zurückliegenden Jahre dargestellt hat. Es ist nicht die erste Studie der Bertelsmann-Stiftung, die gekommen ist.
Jetzt kann man eine Studie so oder so lesen. Man kann – wie das hier jetzt mehrfach getan wurde, insbesondere vom Kollegen Mertes – sozusagen aus Zeitersparnisgründen nur jede zweite Seite aufschlagen. Dann kommt man schneller durch, und man fühlt sich sozusagen bestärkt in seiner selektiven Wahrnehmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann aber auch jede Seite lesen und zur Kenntnis nehmen. Dann wird man unschwer feststellen, dass in dieser Studie etwas steht, was nun überhaupt nicht so weltbewegend – will ich einmal sagen – ist, dass hier sozusagen der Boden in Rheinland-Pfalz zittert. In dieser Studie steht: Manches ist in den letzten Jahren in Rheinland-Pfalz gut gelaufen, manches ist aber auch verdammt schlecht gelaufen in diesem Land. – Das steht in dieser Studie.
Herr Ministerpräsident, dazu kommen wir jetzt im Einzelnen.
Bevor wir dazu im Einzelnen kommen, will ich aber noch eine Bemerkung machen auch im Blick auf manche andere Diskussion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das in aller Öffentlichkeit, und ich bin sicher, dass viele, die das aus meinem Mund hören, mir in diesem Punkt auch uneingeschränkt zustimmen werden. Nicht jeder, der in diesem Land die Landesregierung kritisiert, begeht, obwohl
ich manchmal den Eindruck habe, dass wir in RheinlandPfalz ein Strafrecht haben, in dem in § 1 die Majestätsbeleidigung als der strafwürdigste Tatsachverhalt inzwischen Eingang gefunden hat,
Majestätsbeleidigung, und nicht jeder, der diese Landesregierung kritisiert, redet das Land schlecht.
Im Gegenteil, damit es dem Land besser geht, muss eine Regierung doch kritisiert werden.
Herr Ministerpräsident, ich habe diesen Mangel an parlamentarischem Grundverständnis nie verstanden.
Wir kritisieren eine Landesregierung, so wie auf der ganzen Welt Oppositionen in Demokratien eine Regierung kritisieren, um Schwachstellen aufzudecken, damit es dem Land anschließend besser geht. Allerdings ist es selten so wie hier bei uns in Rheinland-Pfalz, dass von der Regierung behauptet wird, es gäbe gar keine Schwachstellen. So weit bin ich in meiner Politik jedenfalls nie gegangen. Ich weiß, dass auch ich immer noch Schwachstellen habe in dem, was ich sage.
Lieber Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die fünf Minuten sind abgelaufen. Erlauben Sie mir bitte einen allerletzten Satz. Ich sprach eben davon, dass eine ganze Menge auch von kritischen Dingen in dieser Studie im Einzelnen aufgeführt werden. Ich will das in einem einzigen Satz zusammenfassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das, was in dieser Studie übrigens ausdrücklich dargestellt wird als eine Politik, die erforderlich ist, oder anders gesagt, die die Voraussetzung dafür ist, dass gute auch wirtschaftliche Entwicklungen zukünftig anhalten – da werden insbesondere zwei Indikatoren in dieser Studie genannt, der Verschuldungsstand und die Investition in Bildung und Ausbildung, insbesondere in Hochschule und Forschung, also da, wo die Arbeitsplätze von morgen liegen, diese beiden werden vor allem genannt – in just diesen beiden Zukunftsindikatoren wird dieser Landesregierung ein verdammt schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen will ich sagen, ich freue mich darüber, dass es in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren in manchen Punkten aufwärts gegangen ist.
Übrigens kann man den Autor dieser Studie vielleicht einmal in den Wirtschaftsausschuss einladen und ihn
befragen, wie denn die Weichenstellung erfolgte und vor allen Dingen wann sie erfolgte. Der wird dann genau die gleiche Auskunft geben. Herr Kollege Kuhn, Entschuldigung, ich weiß doch, dass die Staatskanzlei und das Wirtschaftsministerium auch in den letzten Tagen telefonisch Kontakt zu ihm aufgenommen haben. Die wissen das doch.
Lassen Sie sich einmal von den telefonischen Kontakten berichten, die es da gegeben hat. Die wissen das doch. Dann können wir mit ihm im Wirtschaftsausschuss einmal reden und uns von ihm erklären lassen, wie sich das verhält.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann bin ich immer dafür, dass wir da, wo es um das Land geht und wo es um vernünftige Vorschläge geht, an einem Strang ziehen. Daran wird sich in Zukunft nichts ändern.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! So ist das nun einmal, Ertrinkende schlagen um sich. Dann spritzt es schon einmal ein bisschen.
Ich habe mir eben die ganze Zeit die Frage gestellt, weshalb wir in Deutschland eigentlich Neuwahlen haben.
Dies wahrscheinlich deshalb, weil in den vergangenen Jahren paradiesische Zustände in unserem Land herbeigeführt wurden. Wenn ich den Bundeskanzler richtig verstanden habe – da muss er sich allerdings noch mit seinem Fraktionsvorsitzenden verständigen –, haben wir deshalb Neuwahlen in Deutschland, weil er an seiner eigenen Partei und seinen eigenen Genossen gescheitert ist.
Verehrter Herr Finanzminister, Sie haben den finanzpolitischen Sachverstand beschworen und versucht, den auch ein bisschen gegen meine Vorschläge auszuspielen und ihn für sich reklamiert. Gelegentlich ist man gut beraten, diesen vermeintlichen Sachverstand an seinen Ergebnissen zu messen. Ich stelle fest: Die Ergebnisse dieses finanzpolitischen Sachverstands, nachdem er sieben Jahre lang Tag für Tag Zeit hatte, sich selbst in Deutschland zur Anwendung zu bringen, sind, dass wir einen Pleitenrekord haben, wie es ihn noch nie in unserem Land gegeben hat. Wir haben eine Arbeitslosigkeit, wie es sie noch nie in unserem Land gab.
Verehrter Herr Finanzminister, wie haben eine Verschuldung im Bund und im Land Rheinland-Pfalz, wie wir sie uns vor zehn Jahren überhaupt nie hätten vorstellen können.
Das ist das Ergebnis Ihres finanzpolitischen Sachverstands. Wir versinken in der Arbeitslosigkeit, und wir haben Pleitenrekorde ein Jahr um das andere. Wir haben sowohl im Bund als auch im Land eine Neuverschuldung, die eine unvorstellbare Größenordnung erreicht hat.
Herr Kollege Mertes, deshalb sage ich heute genauso wir vor sechs Wochen: Dieses Land ist auf den Hund gekommen, und Sie haben es auf den Hund gebracht.
Herr Kollege Dr. Gölter hat heute Morgen gesagt, das rauscht an der Öffentlichkeit vorbei. Man muss einmal mit den Betroffenen in unserem Land reden. Sie tun das doch auch. Reden Sie einmal mit den mittelständischen Unternehmern, die seit Jahren um ihre Existenz kämpfen und die für solche Debatten wie die jetzige überhaupt kein Verständnis haben. Die fragen: Wo sind denn eure Lösungen?
Wir sind jetzt beim Kapitel „Polemik“ angelangt. Wenn mit Polemik begonnen wird, muss ich auch ein bisschen polemisch reagieren. In der Lage, die ich überhaupt nicht drastisch beschrieben habe, sondern die ich mit sehr gesetzten Worten sehr zurückhaltend beschrieben habe,
fällt Ihnen nichts anderes ein als die Neidsteuer, die 1,2 Milliarden Euro bringen soll. Frau Kollegin Thomas, Sie sind auch eine große Freundin dieser Neidsteuer. 1,2 Milliarden Euro! Verehrter Herr sachkundiger Finanzminister, das ist die größte Milchmädchenrechnung aller Zeiten, da die bei unserem Steuerrecht nicht 1,2 Milliarden Euro, sondern exakt null Euro bei all den Gestaltungsspielräumen bringt.
Sie lässt die Betroffenen völlig kalt.
Herr Ramsauer, Sie haben eben Ihre Visitenkarte hier abgegeben. Mit so viel finanzpolitischem Sachverstand würde ich mich einmal im Ministerium ein bisschen darüber unterrichten lassen, was Sache ist.
Sie bringt genau 0,0. Mit diesem 0,0 Neidsteueraufkommen wollen Sie Bargeschenke – konservativ geschätzt – in einer Größenordnung von mindestens 15 Milliarden Euro finanzieren. Herr Kollege Mittler, ich muss kein Finanzminister sein, um so viel Sachverstand auf die Waagschale zu bringen.
Das Haus brennt lichterloh. Sie haben sich in Sicherheit gebracht. Was war denn das Spektakel in den vergangenen Wochen im Deutschen Bundestag anders? Sie haben sich in Sicherheit gebracht und rufen jetzt lautstark nach der Feuerwehr. So kann das doch wohl nicht gehen in unserem Land.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Kapitel „Polemik“ will ich zwei sachliche Bemerkungen machen. Ich bin sehr dankbar für das, was in einer sehr sachlichen – Sachlichkeit hat manchmal etwas mit Sachkunde zu tun – und sachkundigen Weise vom Kollegen Creutzmann vorgetragen wurde. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Steuerreformmodell, das die FDP jüngst noch einmal überarbeitet und beschlossen hat, meine große innere Zuneigung und Zustimmung findet. Ich sage das auch mit Blick auf vieles, was in meiner eigenen Partei diskutiert wird.
Herr Kollege Creutzmann, Sie glauben aber doch nicht im Traum, dass Sie auch nur ein Gramm dieser Vorstellungen mit Ihrem jetzigen Koalitionspartner verwirklichen können. Das glauben Sie doch selbst nicht. Von den anderen will ich gar nicht reden, weil die Partei der GRÜNEN schon vor vielen Jahren ihren finanzpolitischen Sachverstand entsorgt hat. Der hat auch jetzt keine Chance gehabt, noch einmal auf die Landesliste
zu kommen. Er wurde schon vor vier Jahren in die Wüste geschickt und darf seitdem bei der BertelsmannStiftung Studien schreiben. Das ist auch eine sinnvolle Beschäftigung.
Wer war das? Ach, Herr Pörksen. Lieber Herr Pörksen, gestern habe ich eine Agenturmeldung gelesen, bei der ich meinen Augen nicht getraut habe, die von irgendeinem Ihrer Berliner Parteifreunde gekommen ist. Da wurde gegen uns polemisiert, was das gute Recht jeder Partei ist. Da habe ich gelesen, eine Familie mit ein oder zwei Kindern zahlt nach heutigem Steuerrecht schon bis zu einem Jahreseinkommen von meines Wissens 35.000 Euro keinen Cent Steuern. Wenn das so ist – das ist natürlich nicht so –, dann erklären Sie mir bitte einmal, weshalb Sie gegen Steuerreformvorschläge wie von Creutzmann oder Kirchhof so vehement zu Felde ziehen. Dann sind wir uns doch im Prinzip einig.
Deshalb meine letzte Bemerkung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Defizit des Bundeshaushalts in diesem Jahr beläuft sich auf 50 Milliarden Euro.
Herr Kollege Ramsauer, klar, wenn man beim Multiplizieren das Komma falsch verschiebt, kommt man zu den Ergebnissen, zu denen Sie kommen. Das ist so. Ihre Berechnungsmethoden erleben wir hier seit 15 Jahren von Haushaltsberatung zu Haushaltsberatung. Die sind wirklich fantastisch. Sie malen sich die Welt so, wie Sie sie gern hätten. Es lohnt überhaupt nicht mehr, darauf zu antworten.
50 Milliarden Defizit ist also das Ergebnis des finanzpolitischen Sachverstands, den der Finanzminister gerade beschrieben hat. Dann hat er den Reformstau in den 90er-Jahren beklagt. Verehrter Herr Kollege Mittler, deshalb haben Sie auch 1998 so beherzt mit diesen Reformen weitergemacht.
Sofort, Frau Präsidentin. Wenn ich mich recht erinnere, sind diese zaghaften Versuche bei der Gesundheit, bei der Steuer kam man
überhaupt nicht sehr weit, aber bei der Rente so ein bisschen – – –
Frau Präsidentin, ja, ich komme zum Schluss. Ich bin der Meinung, dass wir es nicht packen werden, unsere Probleme zu lösen, wenn wir in den bestehenden Systemen bleiben.
Verehrter Herr Finanzminister, wenn man Beschäftigung in Deutschland haben und in einer Gesellschaft leben will, in der Beschäftigung von vornherein für ein paar Millionen Menschen überhaupt nicht verfügbar ist, werden wir das mit unserem jetzigen Steuerrecht nicht schaffen. Das, was Sie und Ihr Bundesfinanzministerkollege im Moment für die Folgekosten der Unterbeschäftigung in Deutschland ausgeben, – –
Herr Kollege Pörksen, nach Ihrer Meinung sind die in den letzten Jahren vom blauen Himmel gefallen.
ist ein Betrag von sage und schreibe etwa 130 Milliarden Euro. Das kostet uns die Unterbeschäftigung. Ich finde, wenn das kein Argument ist, über Neues nachzudenken, weiß ich wirklich nicht, wie schlimm es in diesem Land noch werden muss.
.......................................................................................................................................... 6335 Abg. Bracht, CDU:......................................................................................................... 6305, 6306, 6307, 6311 Abg. Creutzmann, FDP:........................................................................................................... 6307, 6343, 6349 Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:..................................................... 6301, 6307, 6308, 6315, 6318 Abg. Dr. Enders........................................................................................................................................... 6301 Abg. Dr. Schmitz, FDP:............................................................................................................ 6314, 6318, 6375 Abg. Dr. Weiland, CDU:............................................................................................................................... 6360 Abg. Dröscher, SPD:................................................................................................................................... 6370 Abg. Ernst, CDU:............................................................................................................................... 6368, 6372 Abg. Franzmann, SPD:................................................................................................................................ 6329 Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD:..................................................................................................... 6320, 6325 Abg. Frau Grosse, SPD:................................................................................................ 6300, 6312, 6341, 6348 Abg. Frau Hammer, CDU:........................................................................................................................... 6377 Abg. Frau Huth-Haage, CDU:............................................................................................................ 6342, 6348 Abg. Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:............................................................................................. 6305 Abg. Frau Morsblech, FDP:............................................................................................................... 6322, 6376 Abg. Frau Schmidt, CDU:............................................................................................................................ 6327 Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.......6303, 6304, 6305, 6310, 6311, 6312, 6338, 6379, 6380 Abg. Geis, SPD:........................................................................................................................................... 6378 Abg. Hartloff, SPD:...................................................................................................................................... 6312 Abg. Hohn, FDP:.......................................................................................................................................... 6365 Abg. Jullien, CDU:............................................................................................... 6308, 6309, 6310, 6311, 6312 Abg. Keller, CDU:.................................................................................................................... 6301, 6319, 6324 Abg. Kuhn, FDP:................................................................................................................................ 6327, 6336 Abg. Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.......................................................................................... 6363, 6374 Abg. Mertes, SPD:......................................................................................................... 6305, 6306, 6337, 6362 Abg. Presl, SPD:.......................................................................................................................................... 6369 Abg. Puchtler, SPD:..................................................................................................................................... 6373 Abg. Rösch, SPD:........................................................................................................................................ 6317 Abg. Schmitt, CDU:...................................................................................................................................... 6310 Abg. Schreiner, CDU:.................................................................................................................................. 6339 Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:........................................................... 6321, 6330, 6339, 6347 Abg. Wirz, CDU:............................................................................................................ 6301, 6312, 6313, 6317 Bauckhage, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau:.............................................. 6344 Beck, Ministerpräsident:................................................................................................ 6331, 6333, 6334, 6350 Frau Dreyer, Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit:................................... 6300, 6301, 6316 Härtel, Staatssekretär:.....................................................................6303, 6304, 6305, 6306, 6307, 6308, 6380 Präsident Grimm:...............................................6300, 6301, 6303, 6304, 6305, 6306, 6307, 6308, 6309, 6310
6311, 6312, 6313, 6314, 6315, 6316, 6317, 6318, 6319, 6320
6321, 6322, 6323, 6324, 6325, 6326, 6327, 6329 Prof. Dr. Hofmann-Göttig, Staatssekretär:............................................................................... 6302, 6323, 6325 Stadelmaier, Staatssekretär:............................................................................... 6308, 6309, 6310, 6311, 6312 Vizepräsident Creutzmann:...................................................6330, 6333, 6334, 6335, 6336, 6337, 6338, 6339
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich Ihre Analyse angesichts des Scheiterns für ganz schlimm halte, Herr Ministerpräsident. Ich bin der Auffassung, dass wir auf lange Zeit diese Chance, die jetzt vertan wurde, nicht mehr haben werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns fragen, weshalb diese Chance vertan wurde. Mit Blick auf Ihre Analyse bin ich zutiefst der Überzeugung, dass sie in weiten Teilen in die Irre geht.
Der Grund lag nicht in einer überbordenen Unzufriedenheit mit der europäischen Politik. Ich bitte, doch wirklich zur Kenntnis zu nehmen, dass es diese Unterscheidung, wer für was zuständig ist, bei einem interessierten Zeitgenossen überhaupt nicht gibt. Die Menschen haben einen Gesamteindruck von Politik. Insbesondere in den Niederlanden, aber auch in Frankreich war es primär eine Abstimmung über eine missratene nationale Politik, die dazu geführt hat, dass dieses große Projekt gescheitert ist aus Gründen, die ich weder akzeptiere noch vertrete, die aber für unsere Analyse wichtig sind. Herr Ministerpräsident, in Deutschland wäre es doch genauso gekommen, wenn wir eine Volksabstimmung durchgeführt hätten.
Diese Witzeleien mit dem Dosenpfand – – –
Doch. Sie haben das auf die witzige Tour gemacht. Sie kennen die Betriebe besser als ich, die im Land unter diesen katastrophalen Folgen in die Knie gehen.
Fragen Sie doch einmal Ihre Kollegen. Natürlich hat Herr Töpfer das auf den Weg gebracht, und Frau Merkel hat es umgesetzt. In den Sand gesetzt hat es aber Herr Trittin. Daran kann doch überhaupt kein Zweifel bestehen.
Jetzt komme ich auf einen Punkt zu sprechen, bei dem ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass er zur Sprache kommt, wenn wir über das schlimme Scheitern dieser Volksabstimmungen reden. Es gab am Montag keinen einzigen Kommentar, der nicht den Aspekt in den Mittelpunkt gerückt hat, den Sie heute ausgelassen haben. Der französische Präsident hat eine Ohrfeige bekommen für eine Politik, die auf eine Erweiterung der Europäischen Union in zehn, 20 oder 30 Jahren oder möglicherweise 100 Jahren ausgelegt ist. Das trägt nun wirklich nichts zur Sache bei und rettet das Projekt der Europäischen Union nicht, sondern es gefährdet das Projekt in höchstem Maße. Ich rede über den Beitritt der Türkei.
Was ist denn der Wahlkampf in Frankreich anderes gewesen? Der gesamte Wahlkampf in Frankreich im Vorfeld dieser Volksabstimmung war ein Wahlkampf über diese Frage. Deshalb frage ich alle, die diese wirre Idee – ich will jetzt nicht auf die innenpolitischen Motive eingehen, die dazu geführt haben – in die Diskussion gebracht haben, wie man auf die Idee kommen kann, zum jetzigen Zeitpunkt in der mehr als fragilen Lage, in der sich die Europäische Union befindet, bei den massiven innenpolitischen Problemen, die uns in fast allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union über den Kopf wachsen, die Flucht nach vorn anzutreten und zu sagen: Jetzt entscheiden wir über die Frage der Vollmitgliedschaft der Türkei in 40 Jahren.
Das kann doch nicht gut gehen. Dann darf man sich anschließend nicht beklagen, wenn der Dampfer versenkt wird und man mit einer solchen Politik gegen die Wand fährt. Deshalb brauchen wir eine nüchterne Analyse, damit das Projekt nicht völlig in die Hose geht. Ich möchte die Europäische Union retten, ich möchte sie ausbauen, und ich möchte sie zukunftsfähig machen. Dann aber bitte eine ehrliche Analyse des Scheiterns. Wir brauchen eine neue Idee von diesem Europa, damit die Menschen wieder folgen können; denn die Menschen folgen einer Idee, aber nicht dem, was die Regierenden in Europa aus dieser Idee gemacht haben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich habe mich wegen einer Bemerkung zu Wort gemeldet, von der ich glaube, dass sie es verdient, hier noch einmal aufgenommen zu werden, wobei ich sie unterstreichend aufnehmen möchte. Ich fasse es einmal in einem Satz zusammen. Sie haben gesagt, all das, was wir erwarten, vor allem von Arbeitnehmern, aber insgesamt von der Gesellschaft mit Blick auf Flexibilisierung und Flexibilität, hat seine Grenzen. Ich bin sehr dieser Meinung, Wir werden diese Gesellschaft und den Reformbedarf in dieser Gesellschaft nicht lösen, wenn wir den Druck auf Mobilität und Flexibilität überhören. Das ist der Grund, warum diese Vereinbarung, die jetzt bei Opel getroffen wurde, für mich eine so große Bedeutung hat, weil sie innerhalb der zumutbaren Grenzen bleibt.
Ich komme jetzt zu einem zweiten Punkt. Das ist der Grund, warum ich mich zu diesem Thema noch einmal gemeldet habe. Das, was bei Opel zusammen mit einem Betriebsrat, mit der Belegschaft und unter der großen Zustimmung derjenigen, die ohne diese Einigung in eine sehr schwierige Situation gekommen wären, weil irgendwann die Alternative lautet, entweder verliere ich meinen Arbeitsplatz oder ich muss innerhalb zumutbarer Grenzen bestimmte Einschränkungen oder bestimmte Flexibilisierungen in Kauf nehmen, geschehen ist, muss in Zukunft auch demjenigen möglich sein, der als kleiner Mittelständler mit drei oder vier Beschäftigten den gleichen Überlebenskampf kämpft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Punkt, der in einem anderen Parlament zeitgleich streitig ausgetragen wird, weil wir uns in dieser Frage – so fürchte ich – noch nicht einig sind, dass das, was dazu hilft, dass ein großes Unternehmen, das unter einem enormen Druck steht, gemeinsam mit den beteiligten Arbeitnehmern zu bestimmten Vereinbarungen kommt, die im beiderseitigen Interesse liegen, weil sie den Fortbestand des Unternehmens sichern und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zumindest auf eine mittlere Sicht ihren Arbeitsplatz sichern.
Herr Ministerpräsident, damit wir unter dem Stichwort notwendiger Flexibilisierung oder unter der Forderung von mehr Flexibilisierung bitte schön dem Handwerksbetrieb diese gleiche Möglichkeit einräumen, brauchen wir die Chance, solche betrieblichen Bündnisse für Arbeit in einem kleinen und Kleinstunternehmen genauso anwenden zu können wie bei Opel.
Gerade weil Sie an dieser Stelle so vorgetragen haben, wie es meine persönliche Zustimmung findet – – – Ich weiß, dass es in meiner Partei viele gibt, die anders reden, für die beispielsweise die Axt an der Wurzel des Kündigungsschutzes die Lösung aller unserer wirtschaftlichen Probleme ist. Ich halte dies für eine letztlich abwegige Vorstellung und habe das in der Vergangenheit auch immer gesagt.
Wenn wir in diesem Punkt eine Einigkeit erzielen könnten, dass das, was jetzt sozusagen gottlob den Großen an Möglichkeiten zur Verfügung steht, in Zukunft auch dem kleinen Mittelständler, dem Handwerksbetrieb mit drei, vier Beschäftigten zur Verfügung steht, der genau den gleichen Überlebenskampf kämpft wie beispielsweise Opel und andere Globalplayer, dann wäre dies eine Übereinstimmung, von der ich mir wünschen würde, dass sie zustande käme, weil dies unser Land mit Blick auf dieses eine große Ziel wirklich voranbrächte, und zwar nicht die Senkung der Körperschaftsteuer, sondern die Erhaltung und Mehrung der Arbeitsplätze in Deutschland.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kulturelle Konflikte sind in einer offenen Gesellschaft nichts Ungewöhnliches. Sie sind, jedenfalls im Blick auf die Geschichte offener Gesellschaften eher die Regel als die Ausnahme.
Das, was uns beschäftigt, ist die Frage, ob es eine Möglichkeit gibt, dass sich solche kulturellen Konflikte irgendwann von selbst auflösen. Ich sage auch all denjenigen, die diese Meinung offensichtlich vertreten und sagen, es gibt überhaupt keinen Bedarf, jetzt lösend auf solche Konflikte einzuwirken, es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich solche Konflikte irgendwann einmal von allein in Wohlgefallen auflösen werden.
Spätestens in der Familie, in der sich der Konflikt um das Kopftuch zugleich meist auch als Konflikt zwischen den Generationen anbahnt und festmacht, ist dieser Konflikt eine schreckliche Wirklichkeit.
Ich halte überhaupt nichts davon, die Lage düsterer und schlimmer zu beschreiben, als sie ist. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es sich außerordentlich lohnt, einmal bei der einen oder anderen Autorin nachzulesen, die in den letzten zehn oder 20 Jahren nicht in der Türkei, nicht in einem islamischen Land im Fernen oder im Nahen Osten, sondern mitten in Deutschland diesen schrecklichen Konflikt am eigenen Leib ertragen musste.
Ich finde, das ist der Maßstab, der auch uns an die Hand gegeben ist im Blick auf die Frage: Tun wir etwas im Rahmen unserer gesetzgeberischen Möglichkeiten, oder folgen wir denjenigen, die sagen: „Wartet ab, irgendwann wird sich dieser Konflikt in Wohlgefallen aufgelöst haben?“ – Ich sage, das wird nicht der Fall sein. Das, was sich mitten in unserem Land abspielt, geht uns an.
Ich muss sagen, nach dem, was ich in den letzten Jahren gelesen habe: Es findet im Moment so etwas wie
eine Enttabuisierung dieser lange Zeit im Verborgenen gehaltenen Lebensweisen statt. Das lässt mir jedenfalls nicht mehr die Möglichkeit, zu sagen: Das geht mich alles nichts an, was mitten in unserem Land stattfindet.
Konflikte kommen nicht aus der Welt, indem man die Augen vor ihnen verschließt. Konflikte muss man lösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man Konflikte lösen will, muss man sich am Ende entscheiden. Deswegen ist diese Debatte, die wir heute und in den nächsten Wochen und Monaten im Ausschuss und dann wieder hier im Plenum führen, wie immer sie ausgeht, eine Debatte, an deren Ende sich alle entschieden haben werden, gleich welche Meinung sie abschließend dann hier bekunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kopftuch ist ein Symbol, über das es vieles zu sagen gäbe, dessen Ursprünge im Übrigen im Dunklen liegen und – jedenfalls nach allem, was wir wissen – so ziemlich das Gegenteil von dem ursprünglich einmal zur Botschaft hatte als das, was wir heute mit ihm verbinden, ein Symbol, das eben auch ein politisches Symbol ist. Wenn ich das so formuliere, dann ist das eine Minimalformulierung. Man müsste eigentlich korrekt sagen: Es ist mindestens auch ein politisches Symbol. Es steht im weitesten Sinn für Ausgrenzung. Es steht für Abgrenzung. Es ist ein Zeichen des Widerspruchs zur Integration und zur Integrationsbereitschaft. Es ist das, was die Fachleute mit einem etwas zungenbreche-rischen Fremdwort eine zivilisatorische Selbstethnisierung nennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt im Klartext, das Kopftuch steht für eine Rechtsordnung und eine Gesellschaftsordnung, die nicht nur mit unserer Verfassung nicht vereinbar ist, sondern die in ihren Kernelementen so ziemlich genau das Gegenteil dessen darstellt, was mit unserer Verfassung sich an Grundaussage verbindet.
Deswegen können wir nicht einfach sagen: Wir lassen das so, wie es ist. – Der Konflikt ist da.
Auf diesen „klugen“ Zwischenruf will ich jetzt gerade antworten. Wenn der eine oder andere meint, er müsse ihn erst suchen – beispielsweise in Rheinland-Pfalz –, dann kann ich nur sagen, er geht mit verschlossenen Augen durch die Welt. Der Konflikt ist längst da.
Ich will das, weil es auch meines Berufes nicht ist, hier nicht im Einzelnen rechtlich würdigen, aber liebe Kolleginnen und Kollegen, was der Europäische Gerichtshof zu diesem Thema gesagt hat, sollte auch der Minimalkonsens unter Demokraten sein. Das ist eine sehr zurückhaltende Formulierung. Aber selbst in dieser zurückhaltenden Formulierung wird klar, dass man mit dem Kopftuch manches verbinden kann – das ist mit Symbo
len nun einmal so –, aber sicher nicht auch nur am Rande die Bereitschaft zur Unterstützung unserer Gesellschafts- und unserer Verfassungsordnung. Das kann man beim besten Willen mit dem Kopftuch nicht verbinden.
Das heißt im Einzelnen – ich sage das nur in ganz wenigen Stichworten –, dieses Symbol steht auch für eine Denkweise, die Religion und Recht in einer Weise vermischt, die dann am Ende in Richtung Fundamentalismus weist. Es steht auch für eine Rechtsordnung, die für unseren Begriff eine Reihe rechtswidriger Vorschriften enthält. Die Rechtsordnung der Scharia ist in weiten Teilen eine Rechtsordnung, die in unseren Ohren den Begriff der Rechtsordnung eigentlich überhaupt nicht verdient,
ein Verständnis der Rechte der Frau – deswegen wundert mich so mancher Beitrag aus den Reihen der rheinland-pfälzischen Grünen, andere sind da inzwischen viel weiter, auch aus der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –,
die eine klare Abstufung der Rechtsposition zwischen Männern und Frauen behauptet und sie bis heute verteidigt, eine klare Abstufung der Rechtsposition von Männern und Frauen, ein Begriff von Menschenrechten, der sich mit dem europäischen Menschenrechtsbegriff nun beim allerbesten Willen nicht verbinden lässt. Das ist der Konflikt.
Wie lösen wir ihn?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lösen ihn in Abhängigkeit von unserer Entschlossenheit, unserem Verständnis von Verfassung und Recht einen nachdrücklichen Ausdruck zu geben und unser Verständnis von Menschenrechten und Verfassungsordnung gegen alle Infragestellungen, nicht nur gegen die Angriffe, sondern gegen alle Infragestellungen zu verteidigen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass von dieser Entschlossenheit für unsere Zukunft und für die Zukunft in Europa sehr viel abhängen wird. Deswegen haben wir uns nach einer langen Diskussion entschlossen – wir beschäftigen uns jetzt seit über einem Jahr mit diesem Thema sehr kontrovers; wir haben uns nicht denen verschlossen, die im Ergebnis zu einer anderen Meinung kommen als wir mit unserem Gesetzentwurf; die gibt es, das will ich gar nicht bestreiten –, nach einer ausführlichen und sehr langen Diskussion sind wir jedenfalls in großer Mehrheit zu diesem Entschluss gekommen, weil wir der festen Überzeugung sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass im staatlichen Bereich, über den allein wir sprechen – manch einer möchte gern das Missverständnis erwekken, als wenn mit einem solchen Gesetzentwurf wie dem, den wir heute eingebracht haben, ein generelles Verbot des Kopftuchs verbunden wäre; wir reden über
den staatlichen Bereich, allein und ausschließlich über den staatlichen Bereich –, der Staat selbst verantwortlich ist für die Symbole, die im staatlichen Bereich zugelassen werden,
und ihn aus dieser Verantwortung entlassen darf, und zwar im Blick auf das Verständnis derjenigen, die dem Benutzer oder der Benutzerin eines solchen Symbols gegenübertreten. Ich sage das im Blick auf diese Argumentation, die Sie alle kennen, beispielsweise einzelner Trägerinnen des Kopftuchs, die sagen: Für mich persönlich ist das eine ausschließlich religiöse Überzeugung, die ich damit zum Ausdruck bringe. – Das mag sein, und ich maße mir am allerwenigsten an, das, was wir leidvoll erlebt haben damals mit Einzelfallprüfungen, die dann auf Gewissensprüfungen hinausliefen, zu beurteilen, ob das, was jemand sagt, seiner wirklichen Überzeugung entspricht oder nicht. Das ist auch nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, welche Botschaft bei denjenigen ankommt, die der Benutzerin eines solchen Symbols vermittelt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Fall der Lehrerin, die mit einem Kopftuch bekleidet vor die Klasse tritt, vor Schülerinnen tritt, vor muslimische Schülerinnen tritt, von denen in unserem Land die allermeisten am eigenen Leib – ich sagte das am Anfang – einen schrecklichen Kulturkonflikt erleben und aushalten müssen. In einer solchen konfliktträchtigen Situation sind wir der festen Meinung, dass das Kopftuch nicht nur das falsche Zeichen und die falsche Botschaft ist, sondern in eine Richtung weist, die wir mit unserer Verfassungsordnung am allerwenigsten vereinbaren können.
Es geht um junge Frauen und Mädchen, die in ihren Familien oft einen verzweifelten Kampf um ihre Rechte und ihre Würde kämpfen, – –
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Oh, Entschuldigung. Aber er hätte sich damit verbessert. Das müssen Sie zugeben.
beispielsweise westliche Kleidung tragen zu dürfen. Um solche Alltagsfragen geht es bei dieser Diskussion, um ihr Recht, nicht dem Züchtigungsrecht des Mannes zu unterliegen, um ihr Recht, nicht zwangsverheiratet zu werden, und vieles andere mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen hat alles, was die kulturelle Zulässigkeit solcher Denk- und Handlungsweisen auch nur im Entferntesten stützt, im staatlichen Bereich unseres Landes keinen Platz. Wenn das
zutrifft, dann müssen wir es gesetzlich unterbinden. Mir ist gestern ein Zitat einer jungen Muslima in die Hände gefallen, – –
Herr Präsident, ich bin sofort am Ende.
die vor wenigen Tagen Folgendes gesagt hat – es sind nur eineinhalb Sätze; um diese zwei Sekunden bitte ich noch um Verständnis –:
Die verfassungsmäßig verbürgte Freiheit und Gleichheit der Frau ist nicht selbstverständlich. – Dann sagt sie mit Blick auf sich: Wir wissen das noch. – Ende des Zitats.
Ich fände es gut, wenn wir zeigen würden, dass wir es auch wissen.
Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wiechmann, Sie haben einen Riesenanlauf genommen und sind dann mit viel Schwung durch die offene Tür gerannt. Anschließend hat man dann natürlich Schwierigkeiten beim Abbremsen.
Sie haben jetzt zehn Minuten über religiöse Symbole gesprochen. Wenn es um religiöse Symbole ginge, wäre diese Debatte völlig überflüssig.
Ach, Herr Kollege Hartloff, ich vermute mal, häufiger als Sie. Nur deshalb, weil Sie auch auf dieser falschen Fährte gewandelt sind, müssen Sie sich nicht in diesen Punkt verrennen.
Nein, Entschuldigung. Jetzt hören wir mit dem Blödsinn einmal auf. Jeder baut sich sein eigenes Potemkin‘sches Dorf und fühlt sich ganz stark, wenn es dann zusammenfällt.
Es geht nicht um religiöse Symbole, sondern es geht um die politische Botschaft, die mit bestimmten Symbolen – – –
Es geht um die Symbole, die möglicherweise in ihrer Geschichte eine religiöse Quelle haben. Das ist gar nicht zu bestreiten. Es geht um die politische Botschaft solcher Symbole.
Der Verfassungsstaat hat nicht den Auftrag, religiöse Symbole zu sortieren und diese zu bewerten, aber er hat in einem Punkt nicht nur den Auftrag, sondern die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, tätig zu werden, nämlich dort, wo die politische Botschaft von Symbolen gegen unsere Verfassungsordnung verstößt; genau dort ist die Grenze zu ziehen.
Es geht bei der ganzen Debatte nur um diesen Punkt.
Herr Kollege Wiechmann, wenn es dann beispielsweise in unserem Gesetzentwurf um eine unterschiedliche Behandlung zwischen dem Symbol des Kreuzes und dem Symbol des Kopftuchs geht, steht nicht im Entferntesten die religiöse Bewertung dieser beiden Symbole an, sondern es steht ausschließlich zur Debatte, ob die politische Botschaft dieser beiden Symbole
Da ich schon ahne, was als Nächstes hier vorgetragen wird, wäre ich wirklich dankbar, wenn wir uns aus wechselseitigem Respekt heraus gemeinsam auf diese sachliche Grundlage stellen könnten. Man kann dann in der Frage immer noch anderer Meinung sein, aber man würde dann das Thema zumindest ernst nehmen. Das habe ich bei den Vorrednern bisher ein wenig vermisst.
Ich werde darunter bleiben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon lange nicht mehr erlebt, dass jemand so klassisch ein Eigentor geschossen hat, Herr Kollege Hartloff.
Ich lese den Text jetzt ganz vor. Sie sagen dann, wo wir etwas Falsches sagen. Ich lese wörtlich vor: „Das Karlsruher Gericht fordert als Voraussetzung für ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, eine gesetzliche Grundlage im jeweiligen Landesrecht.“
Ist daran etwas falsch? – Ist daran etwas Falsches?
Es wäre gut, wenn Sie jetzt ja oder nein sagen würden.
Gut, danke.
„Deshalb fordert die CDU-Landtagsfraktion eine Änderung des Schulgesetzes. Bis heute verweigert sich die SPD-geführte Landesregierung in Rheinland-Pfalz dieser Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts.“
Also, klarer kann man es nicht sagen.
Ich bin kein Jurist. Ich übersetze dies nun einmal für alle Nichtjuristen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, wenn ihr ein Kopftuchverbot wollt, müsst ihr ein Landesgesetz machen.
Das ist die Voraussetzung für das Verbot. Dieser Vorgabe verweigert sich diese Koalition seit über einem Jahr. So einfach ist der Sachverhalt. Also, herzlichen Glückwunsch!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hartloff, wenn es nicht dieses Thema wäre, würde ich mich jetzt anders einlassen, als ich dies tue. Aber bei diesem Thema tue ich es nicht.
Ich zitiere einfach noch einmal:
„Das Karlsruher Gericht fordert als Voraussetzung für ein Verbot eine gesetzliche Grundlage im jeweiligen Landesrecht. Bis heute verweigert sich die SPD-geführte Landesregierung dieser Vorgabe.“ – Entschuldigung, klarer kann man es wirklich nicht sagen!
................................................................................................................................5738 Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.............................................................................5754, 5765 Abg. Dr. Gölter, CDU:................................................................................................................5748, 5750 Abg. Dr. Schiffmann, SPD:.................................................................................................................5763 Abg. Dr. Schmitz, FDP:.............................................................................................................5752, 5767 Abg. Dr. Weiland, CDU:......................................................................................................................5761 Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:..........................................................................5744 Abg. Frau Mangold-Wegner, SPD:......................................................................................................5742 Abg. Frau Raab, SPD:........................................................................................................................5749 Abg. Hartloff, SPD:.............................................................................................................................5733 Abg. Jullien, CDU:.....................................................................................................................5732, 5748 Abg. Kuhn, FDP:.......................................................................................................................5733, 5746 Abg. Lewentz, SPD:...........................................................................................................................5740 Abg. Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.............................................................................................5733 Beck, Ministerpräsident:............................................................................................................5734, 5758 Präsident Grimm:....................................................................... 5732, 5733, 5734, 5738, 5740, 5742, 5743 Stadelmaier, Staatssekretär:...............................................................................................................5756 Vizepräsidentin Frau Hammer:.........................5746, 5748, 5749, 5750, 5752, 5754, 5756, 5757, 5761, 5763 5765, 5767, 5768
86. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 19. Januar 2005
Die Sitzung wird um 14:02 Uhr vom Präsidenten des Landtags eröffnet.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, ich bedanke mich ausdrücklich für das, was Sie gesagt haben.
Bis heute gehen mir die Bilder, die seit dem zweiten Weihnachtstag über den Fernsehschirm in unsere Wohnungen transportiert werden, unter die Haut. Da geht es mir ganz sicher so wie Ihnen und uns allen.
Es sind die Bilder von Massengräbern, Leichenberge, die stumme Verzweiflung vieler Menschen, Gesichter von Menschen, die alles verloren haben, das eine Fischerboot, mit dem sie nicht nur ihre Familie, sondern auch ihre ganze Verwandtschaft ernährt haben, Hab und Gut, aber nicht nur Hab und Gut, sondern eben auch
ihre ganze Familie, Frauen und Männer, Kinder, Verwandte, Bekannte und Nachbarn.
Ich denke, das, was wir dort indirekt erleben, weil wir es überhaupt nur über den Bildschirm aufnehmen können, sprengt unser Vorstellungsvermögen und unsere Fassungskraft. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass es vielen so gegangen ist, wie es mir im Grund genommen bis heute geht. Es macht keinen Sinn, das in Worte kleiden zu wollen. Es fehlen uns die Worte angesichts des unvorstellbaren Ausmaßes dieser Not und dieses Leids in dieser Region.
Ich will im Anschluss an das, was geschehen ist, ein paar wenige Bemerkungen zu dem machen, was aus unserer Sicht schon getan wurde und in den nächsten Wochen und Monaten weiter zu tun ist.
Ich stimme dem zu, was der Ministerpräsident gesagt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so tief beeindruckt ich von den Bildern bin, die uns aus Süd-Ost-Asien erreichen, sage ich ganz freimütig, ich bin von der Hilfsbereitschaft unseres Volkes außerordentlich beeindruckt.
Die Sammelaktion, die unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Katastrophe eingesetzt hat, die Erfahrungen, die viele von uns in zurückliegenden Tagen persönlich gemacht haben – – – Nach einem größeren Sportereignis am Ausgang mit der Sammelbüchse in der Hand: Junge Leute, die mit einem Zehn-Euro-Schein, Zwanzig-EuroSchein und einem Hundert-Euro-Schein gekommen sind, den ich glaubte zurückweisen zu müssen, weil ersichtlich war, dass der junge Mann nun wirklich nicht so vom Reichtum gesegnet war, als dass er das einfach so aus dem Portemonnaie hätte ziehen können, der aber voller Empörung darauf bestanden hat, dass der Hundert-Euro-Schein in die Sammelbüchse kommt. Da ist vieles, was wir in diesen Tagen erleben konnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage dies auch mit Blick auf manchen Kommentar der letzten Jahre, der auch in der einen oder anderen Debatte bei uns gelegentlich Erwähnung gefunden hat, wenn dann in ganz schlauen Bemerkungen über den Zustand unserer Gesellschaft zu lesen war, wir seien längst eine Gesellschaft von Egoisten geworden. Der eine – ich weiß gar nicht mehr, wer das war –, der das bis heute geflügelte Wort geprägt hat, wir seien ein Volk von Ichlingen, ausschließlich von selbstsüchtigen, selbstbezogenen und an uns selbst denkende Individualisten geworden. Diejeniegen sind durch die Ereignisse der letzten Wochen Lügen gestraft worden. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich habe unmittelbar nach Weihnachten in Mainz das rheinland-pfälzische Lagezentrum im Innenministerium besucht. Ich will mich bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ausdrücklich bedanken, die schon beginnend an den Feiertagen ihren Dienst aufgenommen und mir neben dem, was ihren Alltag dort in diesem Lagezentrum ausmacht, berichtet haben. Kaum dass die ersten Bilder über den Bildschirm gegangen sind, haben sich Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aus Rheinland-Pfalz spontan gemeldet und angeboten, dass sie natürlich bereit seien, freiwillig da unten eingesetzt zu werden, wenn es denn notwendig wäre.
Wir haben viele solcher Erlebnisse. Der Ministerpräs ident hat die Hilfsorganisationen genannt, die auch mit Persönlichkeiten und Helferinnen und Helfern aus uns erem Bundesland bestückt sind. Ich will ganz ausdrücklich all denjenigen danken, die bereit sind und bereit sein werden, ein paar Tage oder sogar etwas länger nach Südostasien zu gehen und die Hilfsdienste zu leisten, die dort unter den allerschwierigsten Bedingungen geleistet werden müssen.
Wer sich in den Internetseiten der rheinland-pfälzischen Zeitungen umschaut, wird feststellen, dass die Liste der Vereine, Organisationen und gesellschaftlichen Gruppen, die landauf, landab größere und kleinere Veranstaltungen durchführen, von Tag zu Tag länger wird. Dies zeigt eine ganz großartige Welle einer spontanen und bis heute jedenfalls andauernden Hilfsbereitschaft.
Ich will an diese Feststellung eine zweite Bemerkung anknüpfen, die den Blick etwas nach vorn richtet und der Frage nachgeht, was in den jetzt vor uns liegenden Wochen und Monaten zu tun ist. Ich glaube, das, was am allerwichtigsten ist – auch das ist vom Ministerpräs identen gesagt worden –, ist zunächst einmal, dass wir Hilfe leisten, unmittelbare Hilfe, die in der jetzigen Lage notwendig ist, und die mittel- und langfristige Hilfe, die notwendig ist, um den Menschen wieder auf die Beine zu helfen, die von dieser Katastrophe betroffen waren, eine Hilfe allerdings – ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich das ein klein wenig einschränke –, die auch bei den Betroffenen ankommt.
Damit bin ich schon bei dem, was die Politik bei aller Betroffenheit oder gerade aus ihrer Betroffenheit heraus zu tun hat, was ihre Aufgabe und Pflicht ist, nämlich sicherzustellen, soweit das möglich ist, dass Hilfe von uns so organisiert wird, dass sie tatsächlich diejenigen erreicht, die diese Hilfe von uns erwarten können und denen wir diese Hilfe gern geben möchten.
Ich will in dem Zusammenhang ausdrücklich sagen, dass ich mich sehr freue, dass die Art und Weise, wie wir unsere Partnerschaft zu Ruanda aufgebaut haben, hier ins Spiel gebracht wurde; denn ich glaube, dass die Struktur dieser Partnerschaft wirklich vorbildlich sein kann, auch für eine Hilfsstruktur, die wir aufbauen wollen. Wir wollen nicht nur die unmittelbare aktuelle Hilfe in diesen Tagen geben, sondern wir wollen aus der Opferbereitschaft dieser Tage auch eine dauerhafte, eine mittel- und langfristige Struktur von Hilfe aufbauen.
Ich kann mich im Übrigen sehr gut erinnern – manch einer im Hause hat es auch noch erlebt in den Jahren von 1982 an –, als wir heftig darüber diskutiert haben, wie wir eine solche Partnerschaft mit Leben erfüllen würden. Viele wissen, dass Bernhard Vogel weniges so sehr am Herzen lag wie diese Partnerschaft zu Ruanda, wo damals viele gefragt haben, was es solle, wenn ein Bundesland mit seiner Zuständigkeit eine solche Partnerschaft eingeht.
Ich denke auch an die vielen kleineren Träger, zum Beispiel Ordensgemeinschaften, die seit Jahren, Jahrzehnten, zum Teil Jahrhunderten in diesen betroffenen Ländern tätig sind. Ich selbst habe vorgeschlagen, weil ich immer wieder erlebe, wie sehr dieses Angebot von
Hilfe und Unterstützung auch in unserer Gesellschaft verfängt, dass wir möglichst viele Patenschaften zu Waisenkindern stiften, weil solche Patenschaften den Vorzug haben, dass sie eine persönliche Beziehung zwischen demjenigen, der hier diese Hilfe leistet, und demjenigen, der weit weg von uns eine solche Hilfe in Empfang nimmt, entstehen lassen.
Im Übrigen ist eine solche Patenschaft auch ein guter Weg, dauerhaft diese Hilfe zu geben. Sie erstreckt sich immer über viele Jahre.
Wir müssen darüber reden, was viele übrigens sehr klug und sehr hellsichtig schon in den ersten Tagen nach dem Ausbruch der Katastrophe uns ins Stammbuch, auch aus den Reihen der Publizistik heraus, geschrieben haben. Ich zitiere nur eine Zeitungsmeldung einer großen Wochenzeitung, die lautet: „Mächtigen Worten folgen meist kleine Taten.“ – Ich finde, wir sollten sehr darum bemüht sein, nicht erneut zu zeigen, dass diese Überschrift ihre Gültigkeit hat. Wir wollen eine auf Dauer angelegte mittel- und langfristige Hilfe.
Dazu gehört ein Zweites. Dazu gehört, dass wir Hilfe für den Aufbau von Existenzen leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Frage, die sich nicht jenseits der Politik beantworten lässt; denn Hilfe für den Aufbau von Existenzen folgt einem bestimmten Bild von Gesellschaft, einem bestimmten Denken, einer bestimmten Vorstellungsweise, unserem Denken, unserer Vorstellungsweise, unserer Kultur. Es ist eine Hilfe, die beispielsweise vielen Menschen hilft, die nicht nur in Not, sondern auch in großer Abhängigkeit in diesen Regionen gelebt haben, jetzt in dieser Lage, die dann auch eine Chance werden kann, dabei zu sein, Strukturen aufzubauen, um diese Menschen von solchen Abhängigkeiten zu befreien und ihnen nicht nur die Möglichkeit zu geben, aus dieser materiellen Not herauszukommen, sondern sich auch von den Abhängigkeiten zu befreien, die in vielen dieser sehr traditionell geprägten Gesellschaften vorhanden sind.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine dritte Bemerkung machen, weil es meines Erachtens viele gute Gründe dafür gibt, dass wir eine politische Aufarbeitung dieses Ereignisses vornehmen. Wir sollten im Wissen darum sein, dass wir nicht darauf verzichten können, die Frage zu behandeln, die mich bis heute bewegt und auf die ich bis heute keine Antwort gefunden habe, nämlich wie es dazu kommen konnte, nicht zu den tektonischen Verwerfungen, sondern wie es dazu kommen konnte, dass offenbar sehr früh festgestellt wurde, dass ein Erdbeben unvorstellbaren Ausmaßes stattfindet, ohne dass diese Informationen dorthin weitergegeben wurden, wo sie am ehesten hätten eintreffen müssen.
Außerdem interessiert mich sehr, ob es zutrifft, was mehrfach behauptet wurde und seriöse Quellen bis heute bestätigen, dass es betroffene Länder gibt, in denen das Militär, die Zivilbevölkerung aber nicht unterrichtet war und militärische Rettungsaktionen längst eingesetzt haben, bevor die Zivilbevölkerung überhaupt eine blasse Kenntnis über das erhielt, was auf sie zukommt.
Ich meine, wir müssen das tun ohne jede Überheblichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir aber auch ohne jegliche Überheblichkeit bei den politischen Führungen der betroffenen Länder tun. Wenn wir in diesem Zusammenhang für einen Stil eintreten, der auf Überheblichkeit verzichtet, dann gehört sich das beidseitig. Für uns gehört sich das selbstverständlich als diejenigen, die jetzt in der Geberrolle sind, aber auch für die politischen Führungen in den von dieser Katastrophe betroffenen Ländern, genauso wie die Flut und die Fluthilfe kein Anlass für Eitelkeiten sein darf und sein sollte. Das gilt für die Geberländer und die Nehmerländer in gleicher Weise. Ich bin der Meinung, es gibt keinen Anlass, in dieser Debatte die Moralkeule zu schwingen. Ich will es bei dieser Bemerkung bewenden lassen. Der eine oder andere weiß, was ich damit meine.
Es wird zunehmend die Frage gestellt, zu welchen Steuerausfällen diese Spenden führen. Meiner Meinung nach hat sich der rheinland-pfälzische Finanzminister zu dieser Frage sehr gut eingelassen. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass er die Frage nicht aufgeworfen hat, damit kein Missverständnis entsteht. Die Frage wurde ihm gestellt, und er konnte sich ihr nicht entziehen. Die Art und Weise, wie er sie beantwortet hat, finde ich sehr gut und geradezu vorbildlich.
Ich will eine vierte und letzte Bemerkung machen, von der ich gestehen muss, dass sie mir persönlich viel Beschwer verursacht. Sie ist durch dieses Naturereignis ausgelöst worden, aber nicht nur eine unmittelbare Folge dieses Naturereignisses. Kaum war die Flut vorbei und kaum sind die ersten schrecklichen Bilder zu uns gekommen, so kam eine neue Welle schlimmer Nachrichten. Die Menschen, die überlebt und in Flüchtlingslagern zusammengefunden haben, berichteten von Vergewaltigungen und in einigen Fällen von Massenvergewaltigungen. Die Militärs, die jetzt in Aceh zum Einsatz kommen, sind nicht nur berüchtigt, sondern auch gefürchtet und verhasst, weil sie bekannt sind für ihre Menschenrechtsverletzungen, die sie seit vielen Jahren den dortigen Einwohnern zukommen lassen. Uns liegen unzweifelhafte Informationen, Nachrichten und Aufschlüsse darüber vor, dass aus Kinderkrankenhäusern, Hospitälern und Waisenhäusern Kinder geraubt werden, Menschenhändler in solche Einrichtungen eindringen und Kinder mitnehmen.
Ich bitte, nicht falsch zu verstehen, was ich sage. Ich habe mich vorhin noch einmal kundig gemacht. Wir reden bei einer Vielzahl der betroffenen Länder über Gesellschaften, in denen beispielsweise Menschenraub bis heute kein Thema ist, und zwar bewusst kein Thema ist. In diesen Gesellschaften gibt es nicht wenige, für die Kinder in der Tat eine Handelsware sind. Ich will das nicht im Sinne des Verbreitens neuer schlechter Nachrichten sagen. Ich will das nur sagen, weil wir wissen müssen, in welchen Gesellschaften wir tätig sind, wenn wir wirklich helfen wollen.
Gestern Abend hat mir jemand berichtet, der sich für zwei Monate in Indien aufgehalten hat, welche Bedeutung ein Kind in weiten Teilen der indischen Gesellschaft hat bzw. nicht hat und zu welcher Empörung es in Thailand führt, wenn bekannt wird, dass beispielsweise junge Mädchen aus einem Waisenhaus geraubt wurden. Es
führt zu keiner Empörung. Ich sage das nicht, um mich selbst Lügen zu strafen im Blick auf meine vorherige Bemerkung, dass wir ohne Überheblichkeit diskutieren sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das nur deshalb, weil ich dafür bin, dass wir unsere Hilfe mit einem Einsatz für unseren Begriff von Menschenwürde und Menschenrechten verbinden, wie es unserer Entwicklungsarbeit und unserer Hilfe in den vergangenen Jahrzehnten entsprochen hat. Wir sollten die Hilfe für den Aufbau neuer Strukturen an das binden, was unser Verständnis von Menschenrechten und Menschenwürde beinhaltet. Wir müssen im Sinne der ganz aktuellen Überlebenshilfe und im Sinne der Hilfe für den Aufbau menschenwürdiger und menschengerechter Gesellschaften den Menschen einen Schutz angedeihen lassen, die diesen Schutz zu Recht von uns erwarten können.
Ich bedanke mich für die Möglichkeit dieser Debatte und bei allen, die in den vergangenen Wochen tatkräftig geholfen haben. Viele haben es ohne großes Aufsehen getan. Außerdem bedanke ich mich für die Art und Weise, wie wir dieses Thema heute in diesem Parlament behandeln.
Vielen Dank.
................................................................................................................................5473 Abg. Bracht, CDU:....................................................................................................................5472, 5516 Abg. Dr. Rosenbauer, CDU:...............................................................................................................5547 Abg. Dr. Schmitz, FDP:......................................................................................................................5541 Abg. Frau Ebli, SPD:..........................................................................................................................5548 Abg. Frau Grosse, SPD:.....................................................................................................................5536 Abg. Frau Schmitt, SPD:....................................................................................................................5470 Abg. Frau Thelen, CDU:.....................................................................................................................5533 Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.................................................................................5488 Abg. Kuhn, FDP:................................................................................................................................5496 Abg. Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.............................................................................................5538 Abg. Mertes, SPD:.............................................................................................................................5482 Abg. Ramsauer, SPD:........................................................................................................................5521 Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:...................................................................................5525 Bauckhage, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau:............................................5529 Beck, Ministerpräsident:.....................................................................................................................5508 Frau Dreyer, Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit:....................................................5543 Präsident Grimm:..........................................................................................5469, 5472, 5481, 5488, 5496 Vizepräsident Creutzmann:................................................ 5515, 5520, 5525, 5529, 5532, 5547, 5548, 5550 Vizepräsidentin Frau Grützmacher:.....................................................................................................5507 Vizepräsidentin Frau Hammer:................................................................................ 5535, 5538, 5541, 5543
83. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 13. Dezember 2004
Die Sitzung wird um 09:31 Uhr vom Präsidenten des Landtags eröffnet.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! 600 Millionen Euro, das ist eine stolze Summe. Das ist so viel Geld, dass man Mühe hat sich vorzustellen, was sich hinter einem solchen Betrag verbirgt. 600 Millionen Euro, das ist mehr als die Summe der Gehälter für alle Lehrerinnen und Lehrer aller Grundund Hauptschulen, aller Realschulen und aller Gymnas ien unseres Landes auf das ganze Jahr gerechnet.
600 Millionen Euro, das ist mehr als das, was sämtliche Universitäten und Fachhochschulen einschließlich der ihnen zufliessenden Allgemeinbewilligungen bekommen. 600 Millionen Euro, das ist deutlich mehr als die Ausgaben für alle Polizeidienststellen des Landes, alle Personal- und Sachkosten eingeschlossen, inklusive Polizeischule und Landeskriminalamt.
600 Millionen Euro, das ist für den Haushalt unseres Landes alles andere als eine Kleinigkeit. Es ist genau der Betrag, mit dem sich das Land im kommenden Jahr über die von der Verfassung hinaus gebotene Grenze verschuldet.
Meine Damen und Herren, deshalb ist es eigentlich eine Unverfrorenheit, dem Landtag einen solchen Entwurf über den Haushaltsplan vorzulegen und zur Beschlussfassung vorzubereiten.
Nach den Sünden der Vergangenheit in all den vielen zurückliegenden Jahren laufen jetzt die Schulden völlig aus dem Ruder. Im Jahr 2005 wird die Verfassungsgrenze mit 600 Millionen Euro gerissen.
Im Jahr 2006 werden wir mit weiteren 350 Millionen Euro über der Verfassungsgrenze liegen. Eine Regierung, die in dieser Größenordnung die Verfassungsgrenze eins ums andere Mal missachtet, hat finanzpolitisch längst den Boden unter den Füßen verloren.
Die gesamte Neuverschuldung beträgt im Jahr 2005 1,9 Milliarden Euro. Das Land liegt weit jenseits dessen, was mit gutem Gewissen finanzpolitisch zu verantworten wäre.
Die Frage nach dem Grund, nach dem Warum beantwortet sich verhältnismäßig leicht. Man muss nicht lange suchen. Das Jahr 2006, das zweite Jahr dieses Doppelhaushaltes, ist ein Wahljahr. Es ist so, wie es schon beim letzten Mal war. Bis zur Wahl wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Deshalb spielen Verfassungsgrenzen keine Rolle. Deshalb wird die finanzpolitische Verantwortung über Bord geworfen. Deshalb geht man bei der Verschuldung erneut in die Vollen. So einfach ist das.
Unter allen Umständen soll bis zum Jahr 2006 der schöne Schein von schier unbegrenzt vorhandenen Mitteln gewahrt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ist eine trügerische Sicherheit; denn das böse Erwachen kommt. Das wissen auch diejenigen, die diesen Haushalt aufgestellt haben. Das geschieht natürlich nach der Wahl. Bis dahin wird alles erbarmungslos schöngerechnet. Nach der Wahl ist Zeit genug, den Fehltritt zuzugeben und den reuigen Sünder zu spielen. Das kommt uns alles irgendwie bekannt vor. Es gab nach der letzten Landtagswahl das reumütige Eingeständnis verbunden mit dem flammenden Bekenntnis, in Zukunft den Pfad der finanzpolitischen Tugend nicht zu verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von Wahljahr zu Wahljahr erleben wir in diesem Land das Gleiche: Vor der Wahl wird kräftig auf das Gaspedal getreten, und nach der Wahl kommen die reumütigen Sündeneingeständnisse. Das ist das gleiche Ritual, wie wir es vor fünf Jahren schon einmal hatten.
Nur sind die Folgen dieses Mal gravierender, als sie es beim letzten Mal waren. Wir haben das einmal hochgerechnet. Wenn die Schulden in den kommenden Jahren durchschnittlich zunehmen wie in den vergangenen zehn Jahren, wenn gleichzeitig die Steuereinnahmen wachsen wie im Mittel der letzten zehn Jahre, wenn man einmal davon ausgeht, dass die Zinsen auf diesem extrem niedrigen Niveau beharren, wie das heute der Fall ist, dann werden wir schon bald eine Lage erreicht haben, wo die Steuermehreinnahmen von den Zinsbelastungen komplett aufgefressen werden.
Im Klartext heißt das: Als Ergebnis der finanzpolitischen Sündenfälle der letzten Jahre wird der Druck zu einer immer schwindelerregenderen Neuverschuldung von Jahr zu Jahr größer. Das ist der Teufelskreis, der sich eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Teufelskreis sind wir längst gefangen. Es gibt nur ein einziges Mittel, diesen Teufelskreis irgendwann zu durchbrechen, nicht durch Schönrechnen des Haushalts, sondern indem endlich damit begonnen wird, das zu tun, was längst überfällig in diesem Land ist, nämlich zu sparen.
Dieses kleine Zauberwort ist das Mittel, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen. Nun könnte man meinen, dass die Verfassung eben deshalb eine Grenze zieht. Die Verfassungsregel hat genau diesen Sinn, der Politik in den Arm zu fallen, wenn sie alle Schleusen öffnet. Wir haben aber in den letzten Wochen erneut erkennen müssen, dass es eine Reihe von Mittel und Wegen gibt, die Verfassungsregel auszuhebeln, mit einigen kleineren und mit einigen größeren Tricks. Investitionen werden im Umfang von mehreren hundert Millionen Euro mit allen möglichen nicht investiven Ausgaben deckungsgleich gemacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nichts anderes als eine plumpe Täuschung, weil man auf diesem Wege die Investitionsquote hochrechnen kann und entsprechend die Ausgabenermächtigung ebenfalls hochziehen kann. Mittel werden als Investitionen veranschlagt, obwohl sie gar keine Investitionen sind, wie beispielsweise beim Verstetigungsdarlehen für die Kommunen. Ausgaben werden von vornherein als zu niedrig angesetzt, dann über Kassenkredite finanziert, die in Wahrheit zu Dauerkrediten werden und der Nettoneuverschuldung zugerechnet werden müssen, was natürlich in diesem Haushaltsentwurf nicht geschieht.
Schließlich und letztlich wird ein gigantischer neuer Nebenhaushalt eröffnet, der einzig und allein der zusätzlichen Geldbeschaffung durch Schuldenaufnahme dienen soll. Man gründet eine GmbH & Co. KG. Auf diese Weise entsteht eine interessante Konstruktion, eine Art finanzpolitisches Karussell zwischen Kernhaushalt, Pensionsfonds und GmbH & Co. KG. Dieses Karussell dreht sich in immer schnellerer Geschwindigkeit, um Veräußerungen und damit einhergehende Einnahmen und Ausgaben nach beiden Richtungen zu verschieben.
Was sich dahinter verbirgt, ist nichts anderes als ein gigantisches In-sich-Geschäft, das die Landesregierung mit sich selbst betreibt und das nur ein einziges Ziel hat, das wahre Ausmaß der Verschuldung zu vertuschen und vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Dagegen muss sich eine Opposition zur Wehr setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir tun das.
Wenn wir uns zur Wehr setzen und Herr Kollege Mertes das dann einen Schaden nennt
den „Böhr-Schaden“ habe ich gelesen –, dann sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Beitrag, der im Ergebnis dazu führt, diese Landesregierung wieder unter die Regel der Verfassung zu zwingen, ist kein Schaden, sondern ein großer Nutzen für das Land. Wenn Sie das mit meinem Namen verbinden wollen, dann bin ich gar nicht unfroh drüber, Herr Kollege.
In den kommenden Jahren entsteht ein fein gesponnenes Netz von Nebenhaushalten, die im Übrigen immer mehr der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Die Landesregierung spielt „Blindekuh“ mit dem Parlament, und ich kann mich nur wundern, dass die Mehrheit dieses Parlaments das einfach mit sich machen lässt.
Wir haben eine Fülle ungeklärter Fragen. Ich rede immer noch über diesen gigantischen Nebenhaushalt, die GmbH & Co. KG. Wir haben eine Fülle ungeklärter Fragen, die bis heute entweder von der Landesregierung
nicht beantwortet werden konnten oder, um die Oppos ition dumm zu halten, nicht beantwortet werden sollten.
Beispielsweise verweigert die Landesregierung die Antwort auf die Frage, was denn für den privaten Investor in der GmbH & Co. KG am Ende herausspringt, eine, wie ich finde, durchaus legitime und interessante Frage.
Sie verweigert die Antwort auf die Frage, welche steuerlichen Sondertatbestände denn dieses lukrative Geschäft ermöglichen, wie das geht, dass sich der Staat selbst seine steuerlichen Einnahmen verkürzt – das ist jetzt zwingend durch die Inanspruchnahme steuerlicher Ausnahmetatbestände – und am Schluss dann doch der Gewinner ist, und wie denn die Verkürzung dieser Einnahmen sich aufteilt auf das Land und den Bund und wie das alles vereinbar ist mit der hehren Forderung, die in diesem Hause immer übereinstimmend erhoben wird, endlich unser Steuerrecht so zu bereinigen, dass es einfacher, klarer und gerechter wird, indem wir die Sondertatbestände entfernen.
Wissen Sie, mich erinnert das Ganze an den Zustand eines Unternehmens kurz vor der Pleite – es gab in der Vergangenheit eindrucksvolle Beispiele, über die auch in der Öffentlichkeit ausführlich berichtet wurde –, wenn dann die Kredite von einer Tochter zur anderen hin- und hergeschoben werden. Immer da, wo gerade die Prüfer aufgetaucht sind, waren die Kredite weggeräumt in eine andere Tochter. So kann man natürlich Karussell fahren. Je mehr Töchter man hat, umso mehr kann man die Kredite verschieben. Man kann vielleicht die Öffentlichkeit und selbst die Prüfer auf diese Weise an der Nase herumführen, vielleicht auch ein wenig Zeit gewinnen, aber der Bonität des Unternehmens nutzt das alles nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Pleite steht unweigerlich vor der Tür, egal wie man die Kredite in sich verschiebt.
Das alles sind sehr aufwändige Konstruktionen. Ich gestehe, dass wir lange gebraucht haben, um ein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen. Das alles hat nur einen einzigen Grund, statt zu sparen, statt die Ausgabenbremse auch nur sanft anzutippen, stürzt sich die Landesregierung Hals über Kopf in eine immer bodenlosere Verschuldung, und das seit vielen, vielen Jahren. Um das zu tarnen, werden Wege gesucht, die Verfassung zu umgehen. Diese Umgehung der Verfassungsgrenze erfolgt durch ein äußerst kostspieliges In-sichGeschäft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will das bei dieser Gelegenheit einmal sagen, die Beratungskosten, die entstanden sind, um diese Konstruktion zu finden, belaufen sich nach Auskunft der Landesregierung auf 3,8 Millionen Euro. Ich will das gar nicht kritisieren. Vielleicht ist es das sogar wert. Ich will nur im Blick auf die notwendige parlamentarische Kontrolle sagen, dass dieser Kapazität, diesem Potenzial, das offenbar
3,8 Millionen Euro Honorar wert ist, eine Opposition gegenübersteht, die im Einmannbetrieb all diese Dinge durchschauen und überprüfen soll. Ich finde, da sind jetzt die Grenzen dessen erreicht, was nach den Haushaltsgrundsätzen öffentlicher Haushaltsführung in Zukunft möglich sein kann. Wir müssen neu über das Haushaltsgrundsätzegesetz nachdenken, was dem Staat erlaubt ist und was ihm nicht erlaubt ist.
Es wird wechselseitig beliehen und entliehen, dass es einem normalen Zeitgenossen geradezu schwindelig wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bringe jetzt einmal diesen Begriff, der in diesen Debatten gelegentlich eine Rolle gespielt hat: Es werden so genannte Steuerschlupflöcher genutzt. Ich war nie ein Freund dieses Begriffs. Aber ich kann mich an viele Debatten erinnern, wo herausragende Vertreter der Sozialdemokratischen Partei hier über die Steuerschlupflöcher unseres Steuerrechts Tränen geweint haben. Genau diese Steuerschlupflöcher nutzt jetzt diese Landesregierung, um selbst durchzukriechen und dieses angeblich lukrative Geschäft zulasten der gesamtstaatlichen Einnahmen zu machen. Wie ein Immobilien-Tycoon werden Kredite von hier nach dort verschoben, ein Loch gestopft, indem ein anderes aufgerissen wird, und ganz nebenbei wird der letzte Rest des Vermögens versilbert.
Ich habe gerade eben die Erklärung des Finanzstaatssekretärs vom vergangenen Freitag gesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechnerische Vermögen retten uns am Ende nicht, sondern uns rettet am Ende nur das, was als Vermögen in diesem Landeshaushalt nachgewiesen ist. Mit Blick auf diese Feststellung und mit Blick auf diese Unterscheidung wird natürlich mit diesem Haushalt der letzte Rest des Vermögens versilbert.
Der Dumme ist am Ende nur einer. Wenn diese Landesregierung selbst lange ihren wohlverdienten Ruhestand genießt, wird der Steuerbürger in Rheinland-Pfalz immer noch bluten müssen, um diese Verschuldung einigermaßen zu schultern. Es wird viele Jahre dauern, bis dieser Schaden behoben ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt bin ich bei dem Punkt, den wir seit vielen Jahren beklagen und der seit vielen Jahren im Mittelpunkt Ihrer Finanzpolitik steht. Das ist nämlich das nüchterne, das rücksichtslose Bemühen, zusätzliche Einnahmen künstlich zu erzeugen.
Ich will nicht noch einmal die alte Debatte über die Frage, ob wir ein Einnahmenproblem oder Ausgabenproblem haben, aufwärmen. Ich stelle nur fest, an der Denkweise der Regierung hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.