Protocol of the Session on March 26, 2003

................................................................................................................................2826 Abg. Dr. Gölter, CDU:.........................................................................................................................2829 Abg. Dr. Schiffmann, SPD:.................................................................................................................2821 Abg. Frau Morsblech, FDP:................................................................................................................2831 Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.................................................................................2835 Abg. Jullien, CDU:..............................................................................................................................2846 Abg. Schreiner, CDU:................................................................................................................2827, 2844 Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:...................................................................................2838 Beck, Ministerpräsident:............................................................................................................2840, 2844 Präsident Grimm:............................................2821, 2825, 2827, 2829, 2831, 2835, 2838, 2840, 2844, 2846

42. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 26. März 2003

Die Sitzung wird um 10:00 Uhr vom Präsidenten des Landtags eröffnet.

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich eröffne die 42. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz und begrüße Sie ganz herzlich.

Zu schriftführenden Abgeordneten berufe ich Manfred Nink und Matthias Lammert. Letzterer führt die Rednerliste.

Entschuldigt sind für heute die Abgeordneten Anne Kipp, Hildrun Siegrist, Erhard Lelle, Norbert Mittrücker, Ulla Schmidt sowie Staatsministerin Malu Dreyer. Ministerpräsident Kurt Beck wird etwa eine Viertelstunde später kommen.

Meine Damen und Herren, ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung auf:

Reform des Föderalismus

dazu: Stärkung des Föderalismus, der Länder und ihrer Parlamente – Entschließung des Landtags Rheinland-Pfalz Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Entschließung – – Drucksache 14/2022 –

Es spricht Herr Abgeordneter Dr. Schiffmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sondersitzungen des rheinland-pfälzischen Landtags, dazu noch mehr oder minder in eigener Sache, sind nicht gerade häufig. Anlass kann in den Augen Außenstehender nur eine besondere Dringlichkeit, Eilbedürftigkeit oder Dramatik des Gegenstands sein.

Angesichts unseres heutigen Themas „Reform des Föderalismus“ ergibt sich also die Frage: Befinden sich der deutsche Föderalismus im Allgemeinen und die Landesparlamente in einer solchen dramatischen Lage, dass neben anderen Landtagen auch der rheinland-pfälzische Landtag aus seiner üblichen Routine ausbrechen muss?

Warum sonst finden sich schon einmal die vier Fraktionen dieses Hauses zu einer gemeinsamen Entschließung zusammen, die die Stärkung des Föderalismus, der Länder und ihrer Parlamente einfordert? Ist es wieder einmal nur ein Akt der Selbstbefassung der politischen Klasse der Länderebene mit sich selbst mangels anderer, wirklich relevanter Entscheidungsbefugnisse, einer Ersatzbeschäftigung als ein Ergebnis der angeblich auseinander gehenden Schere von sinkenden Auf

gaben und steigender Bezahlung, wie der heftigste Kritiker der Länder und ihrer Parlamente, Professor von Arnim, jüngst geschrieben hat?

Weder noch. Es ist vielmehr, um es mit den Worten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, HansJürgen Papier, zu sagen, eine Reform an Haupt und Gliedern für die politischen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland angesagt.

Mit anderen Worten: Angesichts tiefgreifender Veränderungen des gesamten politischen Umfelds, des Handlungsrahmens von Politik und der finanzpolitischen Auswirkung strukturell zurückgehender Wachstumsraten, steht eine umfassende Modernisierung auf der politischen Agenda, eine gründliche Überprüfung und Überarbeitung unserer institutionellen Strukturen auf und zwischen allen staatlichen Ebenen.

Diese Feststellung gilt, beileibe nicht nur und nicht ganz neu, für Deutschland, wo sich schon in den Siebzigerjahren die Enquete-Kommission „Verfassungsreform“ ausführlich mit der Reform der bundesstaatlichen Ordnung befasst hat. Sie gilt auch ganz aktuell für andere Länder, beispielsweise Frankreich, Italien und Österreich, Länder, in denen ebenfalls Reform- und Dezentralisierungsprozesse eingeleitet worden sind.

Diese Feststellung gilt aber insbesondere auch für die Europäische Union, in der zurzeit im Konvent zur Zukunft Europas 105 Vertreter aus dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten, aus der EUKommission und den nationalen Regierungen erstmals eine europäische Verfassung ausarbeiten, eine Verfassung, die das institutionelle Machtgefüge, die Instrumente und den Prozess der Rechtsetzung, die Erhöhung der Legitimation gegenüber den Bürgern und nicht zuletzt die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten und dabei die Rolle der Parlamente auf eine neue Grundlage stellen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das Verhältnis von Bund und Ländern zu den Kommunen steht in Deutschland gegenwärtig, allerdings in einem nicht gerade transparenten und offenen Prozess, in der bei der Bundesregierung eingerichteten Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen auf der Tagesordnung.

Nicht zuletzt hat der Landtag von Rheinland-Pfalz nach zwei früheren Enquete-Kommissionen zur Verfassung und Parlamentsreform vor kurzem eine EnqueteKommission eingesetzt, die sich nicht nur mit der institutionellen Struktur unserer Gebietskörperschaften, sondern auch mit ihrem – insbesondere finanziellen – Verhältnis zur Landesebene befasst. Bei all diesen Reformüberlegungen steht das Ziel im Mittelpunkt, die Handlungsfähigkeit der einzelnen staatlichen Ebenen zu stärken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Grund unserer heutigen Sitzung ist vordergründig, dass am nächsten Montag in Lübeck erstmals ein Konvent der Landtage in Anwesenheit des Bundespräsidenten stattfindet, um die Beteiligung der Landesparlamente am Beratungs- und Entscheidungsprozess zur Reform und Stärkung der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland

und zur Berücksichtigung der Belange der Landesparlamente einzufordern.

Dieser Konvent und unsere Sitzung heute sollen vor allem ein Zeichen dafür setzen, dass die Landesparlamente gewillt sind, aktiv mitgestaltend ihren Verfassungsauftrag auch in Zukunft zu erfüllen, nach nahezu 54 Jahren Verfassungsentwicklung seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und seiner „ewigen“ Festlegung in Artikel 20 auf die Bundesrepublik als einem demokratischen und sozialen Bundesstaat.

Ich darf die im Zuge unserer letzten umfassenden Verfassungsreform getroffenen Feststellung des Artikels 79 unserer Landesverfassung in Erinnerung rufen. Dort heißt es: „Der Landtag ist das vom Volk gewählte oberste Organ der politischen Willensbildung. Er vertritt das Volk, wählt den Ministerpräsidenten und bestätigt die Landesregierung, beschließt die Gesetze und den Landeshaushalt, kontrolliert die vollziehende Gewalt und wirkt an der Willensbildung des Landes mit in der Behandlung öffentlicher Angelegenheiten, in europapolitischen Fragen und nach Maßgabe von Vereinbarungen zwischen Landtag und Landesregierung.“

Der Artikel 20 des Grundgesetzes steht nach wie vor im Text des Grundgesetzes, ebenso wie der Artikel 30 des Grundgesetzes mit seiner auf die Vielfalt zielenden Festlegung: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder“ – allerdings mit der bedeutungsschweren Ergänzung –, „soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.“ – Mittlerweile sind viele andere solcher Regelungen getroffen worden.

Ebenso steht noch der rekordverdächtig kurze, mehr auf die Sicherung der Einheit in der Bundesrepublik gerichtete Artikel 31 des Grundgesetzes: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ – Am bloßen Text dieser Grundsätze konnte der Prozess der Verfassungsentwicklung und die Verfassungspraxis nicht rütteln.

Wir müssen aber auch die positive Seite der Entwicklung würdigen. Die positive Seite der Bilanz der Entwicklung des deutschen Föderalismus kann sich durchaus sehen lassen; denn insgesamt betrachtet hat die bundesstaatliche Ordnung vor allem ganz wesentlich zum Erfolg der Demokratie in Deutschland und zu seiner wirtschaftlichen und sozialen Stärke beigetragen.

Nach den Erfahrungen des nationalsozialistischen Regimes, dessen wichtigster Schritt auf dem Weg zur Eroberung der Macht im Jahr 1933 nicht von ungefähr die „Gleichschaltung“ der Länder gewesen ist, war die Begrenzung von Machtzusammenballung auf der zentralen Ebene nicht nur für die Alliierten, sondern auch für die deutsche Politik in der Nachkriegszeit ein wesentliches Ziel, das auch erreicht werden konnte.

Der Gedanke der Subsidiarität – ablesbar auch an der rheinland-pfälzischen Verfassung – lieferte dazu den staatsphilosophischen Überbau. Dahinter stand aber weniger philosophisch, sondern ganz real das Vertrauen in die demokratische Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger und in die vielfach bessere Qualität von Entscheidungen unmittelbar vor Ort auf der unteren Ebene.

Nicht umsonst gehören mittlerweile das Subsidiaritätsprinzip und die Bürgernähe zu den wirksamsten und wirklich nachhaltigen politischen Exportartikeln der Bundesrepublik auf die europäische Ebene. Die Sicherung der landsmannschaftlich-mentalen, der historischen und kulturellen Vielfalt ist vielleicht der größte Erfolg des deutschen Föderalismus.

Das zeigt sich besonders immer dann, wenn die Kritik an den zu kleinräumigen Strukturen vieler deutscher Länder, an dem Ungleichgewicht der Größe und den angeblich so hohen Kosten der politischen Führung aufgegriffen und Vorschläge zur Länderneugliederung gemacht werden.

Die Reaktion nicht nur im Saarland, sondern auch im Bindestrichland Rheinland-Pfalz auf die Vorschläge von Ministerpräsident Beck für ein Zusammengehen beider Länder oder einige Jahre zuvor das Scheitern der Vereinigung von Berlin und Brandenburg zeigen eine im politischen Alltag ungewöhnliche Bindung der Menschen an „ihr“ Land, das ihnen vor allem im Zeichen von Europa und Globalisierung Identifikation, Heimat und auch politische Nähe bedeutet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum kann dann aber der Eindruck entstehen, dass die von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes – im Übrigen alle von den Ländern entsandt – ursprünglich angestrebte machtpolitische Gewichtsverteilung zwischen den Ländern und dem Bund, also die Vielfalt in der Einheit, die die Macht der Bundesebene wirksam begrenzen sollte, aus dem Lot geraten ist, und das alles, obwohl auch heute noch der Bund beileibe keine Kompetenzkompetenz gegenüber den Ländern besitzt?

Nur mit Duldung und/oder aktiver Mitwirkung der Länder kann also der Prozess stattgefunden haben, der zu einer Ausweitung der Materien der konkurrierenden Gesetzgebung und ihrer nahezu völligen Ausschöpfung zugunsten des Bundes geführt hat, zu einer übergroßen Regelungsdichte in der so genannten Rahmengesetzgebung, zu der Mitwirkung des Bundes bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben, zu einer parallelen Aushöhlung der originären Steuerzuständigkeiten der Länder, da auch in diesen Bereichen der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebung weitgehend Gebrauch gemacht hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie dieser Prozess funktioniert hat, können wir, wie bei einer Operation am offenen Herzen, gegenwärtig bei dem finanziell gut abgepolsterten Versuch des Bundes erleben, über sein 4-Milliarden-Euro-Angebot zur Finanzierung von Investitionen in Ganztagsschulangebote und mit dem Vorschlag für einen nationalen Bildungsbericht mit nationalem Benchmark auch in das letzte verbliebene originäre Politikfeld der Länder einzubrechen.

Auch in diesem Fall ist es wie bei vielen anderen kleinen Schritten zuvor: Es gibt durchaus gute Gründe für eine solche Initiative. PISA lässt grüßen. Wer kann, zumal in der gegenwärtigen finanziellen Situation der Länder, zu einem solchen Angebot schon Nein sagen? Nicht zuletzt: Viele Bürgerinnen und Bürger wollen keinen bloß verfassungsrechtlichen Streit zwischen der Kultusminis

terkonferenz und dem Bund um Verfassungskompetenzen. Sie wollen Ganztagsschulangebote, sie wollen Ergebnisse. Viele sehen darüber hinaus auch in zentralstaatlichen Regelungen im Bildungsbereich die Lösung für die Defizite, die die PISA-Studie offenbart hat.

Dabei wird aber übersehen, dass zum Beispiel gerade das rheinland-pfälzische Voranschreiten bei der Schaffung von Ganztagsschulangeboten eine bundesweite Bewegung ausgelöst hat, dass gerade auch die regional differenzierten Ergebnisse der PISA-Studie die Auswirkung unterschiedlicher Schul- und Bildungskonzepte gezeigt haben, dass also der Wettbewerb um bessere Lösungen besser ist als die Festlegung auf ein Patentrezept, das vielleicht nur auf einem politischen Minimalkonsens beruht. Ob das Hochschulrahmengesetz des Bundes viel zu viel vorweg reguliert hat oder ob es sich in weiser Voraussicht zurückgenommen hat und deswegen auch wirkliche Innovationen ermöglicht, wird nächste Woche in diesem Haus bei der Debatte über das neue rheinland-pfälzische Hochschulgesetz eine wichtige Rolle spielen. Ich denke, gerade am Beispiel dieses Gesetzes zeigt sich, dass trotz aller Vorgaben im Sinne dieses Wettbewerbs ein solches Gesetz ein ganz wichtiger Beitrag zur notwendigen Modernisierung unserer Hochschulen im internationalen Ringen um die besten Köpfe sein kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Konvent der Landtage soll aber auch Ausdruck des Selbstbewusstseins der Landesparlamente sein, einen als für die ursprünglichen Ziele gefährlich empfundenen Prozess zu stoppen, umzukehren und aktiv eine Revitalisierung der föderalen Ordnung mitzugestalten und nicht abzuwarten, bis die zwischen der Bundesregierung und der Ministerpräsidentenkonferenz vereinbarte und eingesetzte Lenkungsgruppe und ihre beiden Arbeitskreise Ergebnisse vorgelegt haben; denn allein schon die Verfahrensweise, die Reform der bundesstaatlichen Ordnung weitgehend nicht öffentlich in den Zirkeln von Kanzleramt, Chefs der Staatskanzleien und der Arbeitsebene der Ministerialbürokratien auszuhandeln und die Parlamente am Ende vor vollendete Tatsachen zu stellen, bedeutet in sich schon vom Verfahren her, problematische Entwicklungen insbesondere zu Lasten der Landesparlamente fortzuschreiben.

(Beifall bei der CDU – Dr. Gölter, CDU: Sehr gut! Sehr gut!)

Das gilt für alle Betroffenen, schwarz oder rot.

Die Landtage auf eine Beobachterrolle in diesem Verhandlungsprozess zu reduzieren und darauf zu verweisen, dass die Landesregierungen ohnehin die geborenen Sachwalter föderaler Interessen sind, und alles, was dem Föderalismus dient - vor allem die Rückverlagerung von Gesetzgebungskompetenzen -, letztlich auch eine Stärkung der Landesparlamente mit sich bringen wird, kann aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte heraus so nicht akzeptiert werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was vielfach kritisch als Exekutivföderalismus beschrieben wird, bedeutet, dass die Länderregierungen im Verfassungsprozess der letzten Jahrzehnte nach und nach

zulasten der Landesparlamente viele ursprüngliche legislative Länderzuständigkeiten und auch Ländersteuern an den Bund übertragen haben und sich dafür eine immer stärkere Mitwirkung über den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung eingehandelt haben. Die vielen gewichtigen, den Bund stärkenden Grundgesetzänderungen zu ihren Lasten sind weitgehend ohne Beteiligung und Mitwirkung der Landesparlamente über die Bühne gegangen.

Auch im Prozess der europäischen Integration und der damit verbundenen Übertragung von nationalen und föderalen Hoheits- und Gesetzgebungsrechten haben sich die Länderregierungen von der Einheitlichen Europäischen Akte über den Maastrichter Vertrag bis zum Amsterdamer Vertrag verfassungsrechtlich erhebliche Mitwirkungsrechte gesichert. Der im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags geschaffene neue Artikel 23 des Grundgesetzes sowie die Ausführungsgesetze dazu und die Mitwirkung von Vertretern des Bundesrats in den EU-Ministerräten legen davon beredtes Zeugnis ab.

Aber unter Hinweis, dass verfassungsrechtlich die Mitwirkung im Bundesrat zum Kernbestand der Exekutive gehört, sind die Landtage auf eine bloße informelle politische Einflussnahme auf den Goodwill der jeweiligen Landesregierung verwiesen. Der Prozess der europäischen Integration ist also auch ein Musterbeispiel für den Exekutivföderalismus.

Die von uns allen unterstützte Zielvorstellung eines „Europa der Regionen“, eines Europa, das auf dem Grundsatz der Subsidiarität aufbaut, eines Europa, das die besondere staatsrechtliche Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen respektiert und mit besonderen Klagerechten absichert, kann auch nicht nur ein „Europa der regionalen Exekutiven“ sein, die in Europaangelegenheiten manchmal auch gern Parlamentarier spielen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Brüssel arbeitet gegenwärtig der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union an einer Europäischen Verfassung bzw. einem Verfassungsvertrag, der nicht nur das Dickicht der europäischen Verträge lichten und den gewachsenen Strukturen eine klare, für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Form geben soll, sondern durch Reform des institutionellen Gefüges für mehr Transparenz und demokratische Legitimation, aber auch für mehr Handlungsfähigkeit im Zeichen der anstehenden Erweiterung auf das „Europa der 25“ sorgen soll. Auch aus Sicht der deutschen Länder wollen wir mehr demokratische Legitimation der Entscheidungsverfahren auf der europäischen Ebene. Deshalb treten wir für die weitere Stärkung des Europäischen Parlaments ein, für die umfassende Gültigkeit des Mitentscheidungsverfahrens und für das qualifizierte Mehrheitsverfahren. Wir sind – das muss uns dabei klar sein – aber natürlich auch bereit, im klar begrenzten Umfang Macht und Einfluss an Europa abzugeben. Diese Begrenzung muss aber auf der anderen Seite abgesichert werden durch eine verfassungsmäßige Verankerung des Subsidiaritätsprinzips, durch klare Verfahren zur Anwendung dieses Prinzips, durch Klagerechte der betroffenen Institutionen und vorab schon durch eine möglichst präzise Festlegung

der Kompetenzen der unterschiedlichen Ebenen von Europäischer Union, Nationalstaaten und der regionalen Ebene, soweit ihr staatsrechtliche und legislative Qualität zukommt.

Die ursprüngliche Forderung der deutschen Länder nach einem abschließend aufzählenden Kompetenzkatalog scheint nicht mehr durchsetzbar. Umso mehr müssen wir darauf drängen, dass aus der Binnenmarktkompetenz der Europäischen Union nicht eine auf Dauer angelegte Kompetenzkompetenz mit unabsehbaren Folgen etabliert wird. Der gegenwärtig diskutierte Katalog der sogenannten zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten „geteilten Zuständigkeiten“, also der europäischen Variante der konkurrierenden Gesetzgebung unseres Grundgesetzes, mit einem an die Einhaltung der Prinzipien von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gebundenen Zugriffsrecht der Union ist nach den innerdeutschen Erfahrungen mit der zentralistischen Dynamik der konkurrierenden Gesetzgebung äußerst kritisch zu sehen. Das gilt umso mehr, wenn man auch noch den Katalog der in den Artikeln 13 und 14 des Verfassungsentwurfs beschriebenen Felder für die sogenannten Koordinierungs-, Ergänzungs- und Unterstützungsmaßnahmen der Europäischen Union, beispielsweise im Bereich von Kultur und allgemeiner beruflicher Bildung, hinzu nimmt.

Dann gibt es letztlich kaum noch einen politischen Bereich, wenn das so käme, in dem die EU nicht auf die eine oder andere Art zulasten der anderen politischen Ebenen, und damit auch der deutschen Länder, tätig werden kann. Das vorgeschlagene Rechtsinstrument des „europäischen Rahmengesetzes“, das Ziele europaweit verbindlich vorgibt, die Wahl der Mittel aber innerstaatlicher Regelung überlässt, sollte auf jeden Fall noch stärker im Sinn des Subsidiaritätsprinzips auf eine europäische Grundsatzgesetzgebung begrenzt werden, so wie wir es auch gegenüber der mittlerweile viel zu detaillierten Rahmengesetzgebung des Bundes einfordern.