Annette Schwarz

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Last Statements

Frau Ministerin, ist der Landesregierung ein konkreter Vorschlag der CDU-Fraktion aus den vergangenen Jahren bekannt, der eine Verbesserung der Pflege beinhaltet hätte?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen wurde erneut durch die Ermittlerinnen und Ermittler der AOK Niedersachsen sowie der Kaufmännischen Krankenkasse ein groß
angelegter Abrechnungsbetrug aufgedeckt. Bundesweit wurden von Ärztinnen und Ärzten Leistungen abgerechnet, obwohl die angeblichen Leistungsempfänger längst tot waren. Schätzungen der Ermittlerinnen und Ermittler gehen davon aus, dass in dieser Art mehr als 1 000 Betrugsfälle vorliegen, die bei den Krankenkassen und Versicherten Schäden in Millionenhöhe verursacht haben.
(Dr. Winn [CDU]: Bundesweit! - Ob bundesweit oder landesweit, ist doch egal! Das ist doch beides schlimm genug! (Dr. Winn [CDU]: Sie diffamieren so aber einen ganzen Berufsstand!)
Leider ist dieser neuerliche Skandal kein Einzelfall: In den letzten Jahren wurden durch die Ermittlungsgruppen der Krankenkassen immer wieder Betrugsfälle aufgedeckt, beispielsweise die Abrechnung falscher Rezepte oder überhöhte Rechnungen für ausländischen Zahnersatz. Es drängt sich angesichts der Fülle der Fälle sowie der offensichtlichen Dreistigkeit, mit der im Gesundheitswesen einige Leistungserbringer betrügen, der Verdacht auf, dass die Abrechnungsverfahren dringend einer Reform bedürfen.
Dies vorausgeschickt, fragen wir die Landesregierung:
1. Wie bewertet die Landesregierung den neuerlich aufgetretenen Fall von Abrechnungsbetrug?
2. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für erforderlich, um die sich häufenden Betrugsfälle in der Zukunft zu verhindern?
3. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass Patientinnen und Patienten bei der Kontrolle abgerechneter Leistungen stärker als bisher einbezogen werden sollten?
Frau Ministerin, kann es sein, dass das Vergütungssystem für Ärzte korrigiert werden muss, weil das System der Einzelleistungsabrechnung unter Umständen die Betrugshemmschwelle senkt?
- Natürlich gibt es sie. Das wissen Sie auch. Sie wissen auch, wie es funktioniert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fange mit dem Punkt 3 an, der Frage zu Tot- und Fehlgeburten. Wir haben wiederholt Petitionen im Fachausschuss beraten müssen, in denen Eltern den Wunsch geäußert haben, die Fehlgeburt beerdigen zu können. Dies ist am kommunalen Recht gescheitert, weil das eine Frage des kommunalen Satzungsrechtes ist. Wir waren uns seinerzeit im Ausschuss einig, dass den Eltern die Möglichkeit gegeben werden muss, auch wenn es sich um einen Fötus handelt, diesen beerdigen zu können, wenn sie das möchten. Das ist eine ganz wichtige Frage. Hier spielen für mich der Elternwille und der Wille der Hinterbliebenen eine ganz entscheidende Rolle, und der muss eingeräumt werden.
Der zweite Punkt ist die Frage der Sargpflicht. Frau Jahns, ich habe eine andere Meinung als die, die Sie vorgetragen haben. Ich will auch darauf hinweisen, dass unser Grundgesetz Religionsfreiheit garantiert. Wir haben islamische Mitbürgerinnen und Mitbürger, und sie müssen die Möglichkeit haben, im Sinne ihrer Religion eine Beerdigung durchzuführen. Wir können sie nicht in den Konflikt stürzen. Genau wie wir für uns in Anspruch nehmen, nach christlichem Ritus eine Beerdigung durchzuführen,
müssen wir das auch dieser Glaubensrichtung zugestehen. Insofern bin ich an dieser Stelle sehr wohl dafür. Ich meine, das ist ein außerordentlich
ernstes Thema. Vielleicht ist es bei diesem Thema möglich, nicht mit Zwischenrufen zu agieren.
- Nein, ich sage das generell. - Das ist ein Thema, bei dem jeder auf der Basis seiner religiösen und weltanschaulichen Perspektive für sich entscheiden muss, und insofern muss man das hier mit dem notwendigen Ernst diskutieren.
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
Die dritte Frage ist die nach dem Friedhofszwang. Ich stelle fest, dass es dazu in unserer Fraktion sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich sage Ihnen meine persönliche Auffassung, die offensichtlich mit der Mehrheit in meiner Fraktion übereinstimmt. Ich halte das für eine Frage, die eine reine Gewissensentscheidung erfordert. Jeder muss dabei so entscheiden, wie es seinem Gewissen entspricht. Ich bin der Auffassung, dass der Friedhofszwang nicht aufgehoben werden sollte, und bin der Überzeugung, dass der Gesichtspunkt in Ihrem Antrag, dem Willen des Verstorbenen solle entsprochen werden, zum Teil nur sehr schwer zu realisieren sein wird. Es ist gegebenenfalls in der ersten Generation der Angehörigen diese persönliche Bindung da, es ist vielleicht auch für die erste Generation möglich, den Ort der Stille zu Hause zu finden. Ich frage mich aber: Was passiert mit der zweiten Generation? Was passiert mit den Erben, die überhaupt keine persönliche oder direkte Verbindung mehr zu der oder dem Verstorbenen haben? Ich befürchte, dass es dort zu sehr pietätlosen Veranstaltungen kommt.
Dies ist eine Situation, in der meines Erachtens die Ehre der oder des Toten und die Totenruhe nicht mehr gewährleistet sind. Insofern bin ich wirklich der Auffassung, dass wir an dieser Stelle in aller Ruhe darüber diskutieren müssen - wie über den ganzen Antrag, den man nicht übers Knie brechen soll -, obwohl wir wissen, dass eine Novellierung notwendig ist. Wir sollten das in der nächsten Le
gislaturperiode in aller Ruhe machen und sollten dann sehen, zu welchen Ergebnissen wir kommen. Ich wiederhole noch einmal: Bezüglich des letzten Punktes bin ich der Auffassung - und da spreche ich für die ganze Fraktion -, dass an dieser Stelle Gewissensfreiheit vorgegeben sein muss und auch entsprechend votiert werden muss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zachow, ich will vorwegschicken: Die Niedersächsische Apothekenkammer hat ausdrücklich bestätigt, dass sie mit den Inhalten dieses Antrags voll übereinstimmt. Warum das auf Bundesebene etwas anders aussieht, wissen Sie, glaube ich, auch: Es hat relativ gute Gespräche mit der Bundestagsfraktion der SPD gegeben. Das Gespräch mit der Gesundheitsministerin haben die auf Bundesebene agierenden Apotheker-Verbandspräsidenten jedoch mit der Feststellung begonnen: „Es macht gar keinen Sinn, mit Ihnen zu reden. Sie sind im April sowieso weg.“ Das ist die Ausgangslage und Eröffnung des Gesprächs gewesen. Ich kann nur sagen: Wer strategisch so beglückend Gespräche eröffnet, in denen es darum geht, Positionen auszuhandeln, der braucht gar nicht erst weiter zu machen. Da ist schon im Vorfeld viel kaputtgemacht worden. Damit gelingt es natürlich nicht schneller, sich auf einer vernünftigen Basis wiederzufinden. Trotzdem glaube ich, dass die Gespräche noch geführt werden; denn das, was die Apotheker vorgelegt haben, ist in der Sache durchaus vernünftig. Die Aussage, dass es nicht möglich sei, das Einsparziel zu erreichen, halte ich zwar für falsch, aber das, was vorgelegt worden ist, ist in Ordnung. - Aber, wie gesagt, die Probleme haben auch etwas damit zu tun, wie man in die Gespräche rein menschlich hineingegangen ist.
Frau Zachow, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie sich die Ausgabensituation im Gesundheitswesen darstellt. Ich will das noch einmal deutlich machen. 1990 hatten wir Ausgaben von rund 70 Milliarden Euro. Heute sind wir bei 140 Milliarden Euro angelangt. Wir haben in diesem Sektor eine dramatische Ausgabensteigerung zu verzeichnen. Gleichwohl müssen wir feststellen: Deutschland hat zwar das zweitteuerste Gesundheitssystem, aber was die Qualität betrifft, sind wir leider nur Mittelmaß. Insofern gibt es hier meines Erachtens einen dringenden Handlungsbedarf.
Die Debatte um das Vorschaltgesetz macht eines deutlich - das haben Sie eben auch angeführt -: Es gibt eigentlich keine einzige Interessengruppe in Deutschland, die nicht regelmäßig fordert, dass endlich die dringend notwendige Reform im Gesundheitswesen durchgeführt werden muss und dass dringend strukturelle Veränderungen durchgeführt werden müssten. Das geht allerdings nur so lange gut, bis diese Interessengruppe selber mit 1 oder 2 Promille beteiligt ist. Dann geht das ganze Gejammere schon los.
Wenn ich mir die Debatte um das Vorschaltgesetz angucke, dann finde ich es relativ unverschämt, wie die Ärzte zurzeit Patientinnen und Patienten instrumentalisieren, nur weil sie im nächsten Jahr auf 158 Euro Umsatzzuwachs verzichten sollen.
Dort wird überhaupt nichts weggenommen. Dort geht es um 158 Euro Umsatzzuwachs. Dann werden Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiter auf die Straße geschickt, weil angeblich tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen. Ich finde, verlogener geht es nicht mehr.
Man sollte einfach sagen: Ich habe kein Interesse daran, dass sich mein Einkommen nicht entsprechend meinen Erwartungen entwickelt, und deshalb werde ich alles in Bewegung setzen, um nicht zu einer Einsparung im Gesundheitswesen beizutragen. - Leider sind sich die Akteure untereinander auch alles andere als einig.
Das ist übrigens die gleiche Debatte, wie wir sie momentan bei der MHH feststellen können. Das ist
doch unglaublich! Ein Unternehmen mit über 3 000 Beschäftigten
will den Menschen weismachen, dass es nicht den Ausfall von sechs Personen aufgrund von Schwangerschaft oder Krankheit verkraften kann und dass damit das ganze Gesundheitswesen zusammenbricht. Ich finde es wirklich unmoralisch, wie hier auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten agiert wird.
Die größten Ausgabensteigerungen gibt es im Arzneimittelsektor. In diesem Jahr wird zum ersten Mal mehr für Arzneimittel als für ärztliche Behandlung ausgegeben. Da stimmt doch etwas im System nicht. Sie als Fachfrau wissen genauso gut wie ich, welches die wirklichen Probleme sind: Wir haben den weltweit unübersichtlichsten Arzneimittelmarkt. Wir brauchen 50 000 Medikamente, während andere europäische Länder mit einem Zehntel davon auskommen. Bei uns gibt es auf dem Markt 10 000 Medikamente, die überhaupt noch nicht zugelassen sind, aber sie werden munter an Patientinnen und Patienten ausgegeben. Für weitere 5 000 Medikamente ist die Zulassung durch die herstellende Industrie zurückgezogen worden, weil man genau weiß, dass die Medikamente nicht wirksam sind; trotzdem werden sie an Patientinnen und Patienten ausgegeben.
Wir wissen, dass wir bei einer vernünftigen Verordnung von Generika 1,5 Milliarden Euro einsparen könnten, dass wir bei Verzicht auf so genannte Pseudo-Innovationen 1,5 Milliarden Euro einsparen könnten, dass wir bei Verzicht auf therapeutisch unsinnige Arzneimittel 1,2 Milliarden Euro einsparen könnten, und allein für 2,5 Milliarden Euro landen jedes Jahr Arzneimittel auf dem Müll. Das heißt, es gibt bei den Medikamenten ein Einsparpotenzial von über 6,5 Milliarden Euro, ohne dass auch nur eine einzige Pille weniger verschrieben werden müsste und ohne dass auch nur an einer einzigen Stelle Einschränkungen für Patientinnen und Patienten eintreten müssten.
Ich sage es noch einmal: Wir haben ein Einsparpotenzial von 6,7 Milliarden Euro bei Medikamenten und streiten uns bei dem Vorschaltgesetz um 3 Milliarden Euro, ob man die im Gesundheitswesen finden kann oder nicht. Ich glaube, allein diese Größenordnung macht deutlich, wie lächerlich diese Debatte ist, die wir zur Zeit führen.
Wir reden darüber, dass angeblich ganze Apotheken zusammenbrechen, wenn es hier darum geht, 1 % bis 2 % von den Gesamtausgaben, die zwischenzeitlich immerhin 22 Milliarden Euro ausmachen, zu reduzieren. Ich finde, wir machen uns alle lächerlich, wenn wir solchen Argumentationen aufsitzen, meine Damen und Herren.
Ich bin im Übrigen dafür - das macht der Antrag auch deutlich -, die fachliche Qualifikation von Apothekerinnen und Apothekern ausdrücklich stärker in das Gesundheitswesen einzubeziehen. Das habe ich auch im Ausschuss gesagt. Diese Bestrebung wird - das wissen Sie auch - im großen Stil durch die Ärzteschaft unterlaufen, die pausenlos den Apothekerinnen und Apothekern die Kompetenz abspricht, ihren Beruf vernünftig ausüben zu können, und behauptet, dass ihnen die Qualifikation fehlt. Ich finde das ziemlich ungeheuerlich. Wir haben aufgrund von falscher Medikation in Deutschland jedes Jahr 16 000 Todesfälle, 200 000 Schwersterkrankte. Das ist doch ein Sachverhalt, den man nicht beiseite schieben kann. Da kann man nur sagen: Das ist in einem solchen Gesundheitswesen eigentlich unglaublich! Da muss man herangehen. Da braucht man auch die Qualifikation dieser Leute.
- Nein, Herr Kollege Stratmann, das ist genau das Problem. Ich habe es gerade gesagt. Da wird ein Vorschaltgesetz gemacht, um die Ausgaben nicht weiter explodieren zu lassen, die sich auch zu Zeiten Ihrer Bundesregierung immerhin verdoppelt haben. Sie haben doch nichts getan. Sie haben doch immer den Leistungserbringern nach dem Mund geredet und bei den Patienten draufgeklopft. Jetzt wird zum ersten Mal gesagt: Hier müssen auch die Leistungserbringer einmal ein Ergebnis liefern. Dann machen Sie sich aber zum Cheflobbyisten genau jener Leute, die daran erheblich verdienen. Sie machen sich doch nicht zum Lobbyisten der Patienten!
Nun lassen Sie mich noch etwas zum Versandhandel sagen. Wir werden den Versandhandel nicht aufhalten können. Die Bundesregierung muss sich zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof dafür
verantworten, dass der Versandhandel in Deutschland nicht zugelassen ist. Weil das aber so ist, bin ich der Auffassung, dass man den Versandhandel qualitätsorientiert steuern muss. Dazu ist meines Erachtens auch der letzte Absatz dieses Antrags notwendig, um deutlich zu machen: Auch den niedergelassenen Apothekerinnen und Apothekern muss die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur im Ausnahmefall, sondern im Regelfall Arzneimittel nach Hause bringen zu können. Dann befinden sie sich im fairen Wettbewerb und haben sie auch eine Chance, den Versandhandel nicht nur hervorragend zu bestehen, sondern sie sind dann wettbewerbsfähiger und stärker als bisher, weil die Kunden bzw. die Patientinnen und Patienten kein Interesse daran haben, Medikamente über das Internet zu bestellen, wenn sie in der Hausapotheke eine fachliche Beratung erhalten und wenn ihnen darüber hinaus die Medikamente nach Hause gebracht werden. Insofern können wir, glaube ich, dieser Auseinandersetzung relativ gelassen entgegensehen.
Ich fand im Übrigen eine Aussage im Rahmen des Vorschaltgesetzes ganz bezeichnend. Das hat auch etwas damit zu tun, wie sich auch die kassenärztliche Bundesvereinigung momentan positioniert und aufstellt. Ausweislich einer dpa-Meldung von gestern hat der Vorsitzende, Herr Manfred RichterReichhelm, angekündigt, dass die Kassenärzte künftig die Sparvorgaben der Politik strikt umsetzen würden. Ich habe mich gestern den ganzen Tag über gefragt, ob das eigentlich eine Drohung ist, dass nun endlich einmal von den Verbandsfunktionären gesagt wird - wie übrigens schon mehrfach -: Wir werden jetzt dafür sorgen, dass die Ausgaben gedeckelt werden können; wir erbringen unseren Anteil. - Beim letzten Mal war das das Entgegenkommen dafür, dass Frau Schmidt den Regress aufgehoben hat und dass die Budgets aufgehoben worden sind. Dafür haben die Ärzte versprochen, nur eine Ausgabensteigerung entsprechend der Grundlohnsummenentwicklung vorzunehmen. Tatsächlich aber haben sie die Ausgaben erneut um über 11 % gesteigert. Das haben sie auch in diesem Jahr getan. Und nun teilen sie uns wieder mit, sie wollen sich jetzt an Recht und Gesetz halten! Ich fände es toll, wenn sie es endlich einmal täten. Dann hätten wir nämlich diese Auseinandersetzungen nicht zu führen, und dann könnten wir auch die Arzneimittelversorgung im Sinne der Patientinnen und Patienten in diesem Land anständig steuern. Sie wird maßgeblich fehlgesteuert, weil sich die Ärzte nicht an die Vorgaben halten und weil sie in
großem Stil auf Analogpräparate ausweichen, deren neuer therapeutischer Nutzen überhaupt nicht nachgewiesen ist, die aber teilweise das Doppelte kosten. Sie wissen das genauso gut wie ich.
Das sind die Probleme, die, wie ich finde, endlich angegangen werden müssen. Das Vorschaltgesetz ist ein ersten Schritt in diese Richtung. Aber ich bin sehr gespannt, wie Sie sich bei diesen Fragen im Bundesrat positionieren werden, weil allein das Thema der Analogpräparate, die zur stärksten Kostenexplosion im Gesundheitswesen bei den Arzneimitteln führt, von Ihnen im Bundesrat zurzeit blockiert wird. Wenn man es mit einer vernünftigen patientenorientierten Versorgung ernst meint, dann muss man auch dazu beitragen, dass nur diejenigen Arzneimittel bei den Patienten landen, die therapeutisch notwendig sind, aber nicht diejenigen, die in erster Linie der pharmazeutischen Industrie nutzen und die dem Patienten im günstigsten Falle nicht schaden. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die Anmerkungen von Frau Pothmer eingehen. Ich habe in der letzten Sitzung des Sozialausschuss angeboten, wenn wir alle meinen, mit der Beratung ganz zügig beginnen zu wollen, im Dezember und Januar ausreichend Termine für eine ganz intensive Beratung festzulegen.
Dieses Angebot ist nicht aufgenommen worden,
wahrscheinlich aus gutem Grund. Wir haben uns darauf verständigt, in der ersten Sitzung im Januar den Terminplan für die Gesetzesberatungen gemeinsam abzustimmen. Das ist überhaupt nichts Ungewöhnliches. Als wir seinerzeit das PsychKG eingebracht haben, haben wir das genauso gehandhabt. Wir haben damals verabredet, dass die Beratungen genau dort wieder aufgenommen werden, wo sie durch Ablauf der Legislaturperiode beendet werden mussten. Es ist kein Problem, hier, wenn es einen gemeinsamen Willen gibt, genauso zu verfahren.
Ich sehe da überhaupt keine Schwierigkeit. Bei diesem Gesetz, das aufgrund der Rahmengesetzgebung des Bundes entworfen wurde und das bei den Beteiligten das Spannungsfeld deutlich macht - den
kommunalen Spitzenverbänden geht es zu weit, den Behindertenverbänden geht es nicht weit genug -, sind ganz intensive Beratungen notwendig.
Es ist überhaupt kein Problem, zügig mit den Beratungen zu beginnen. Es geht hier um ein Gesetz, das einen Meilenstein für die Behindertenpolitik darstellt.
Im Übrigen möchte ich deutlich machen, dass kein einziges Bundesland so weit ist wie Niedersachsen. Ich finde, das ist lobenswert und muss man hier nicht kaputtreden, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine, es war gut, dass die SPD-Fraktion diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, nachdem sich abzeichnete, dass die unterschiedlichen Akteure zunehmend miteinander Schwierigkeiten bekamen und auf allen Wegen versucht wurde, Einfluss zu nehmen, bis hin zu der Fragestellung, ob hier nicht noch die Verfassung herangezogen werden müsste, weil alles das, was hier auf den Weg gebracht wurde, verfassungswidrig wäre. Dazu hat der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst aber deutlich gesagt, dass es rechtlich keine Bedenken gegen das gibt, was wir heute, glaube ich, einmütig beschließen werden.
Die Ausgangslage ist uns allen klar. Der Bundesrechnungshof hatte vorgeschlagen, aus 23 Landesversicherungsanstalten sechs zu machen. Er hat
eine Frist gesetzt, in der die Länder reagieren sollten. Diese Frist endet im März nächsten Jahres. Von da an wird dann sicherlich genau zu prüfen sein, wie sich die Landschaft verändert hat und ob der Bundesgesetzgeber noch eingreifen muss oder nicht.
Wir haben immer die Position vertreten, dass bei uns die Entscheidungen der Selbstverwaltungen absoluten Vorrang haben müssen und dass wir auf die Vernunft der Selbstverwaltungen in den drei LVAen in Niedersachsen setzen.
Dass wir heute, acht Monate, nachdem die LVA Braunschweig und die LVA Hannover einen Fusionsbeschluss gefasst haben, bereits das Gesetz verabschieden, zeigt, dass wir das, was dort auf den Weg gebracht worden ist, ausdrücklich begrüßen und unterstützen. Wir schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen, damit dieser Fusion nichts mehr im Wege steht. Es wird ein Versicherungsträger mit über 3 800 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 10 Milliarden Euro entstehen. Das ist schon eine beachtliche Größe.
Ich verhehle nicht, dass wir auch die Position der LVA Oldenburg akzeptieren, wenngleich ich auch deutlich sagen will, dass ich es als besser empfunden hätte, wenn wir zu einer noch weitergehenden Lösung gekommen wären. Aber vielleicht ist insofern ja noch nicht aller Tage Abend. Wir warten den jetzt beginnenden Prozess erst einmal ab und sehen dann, wie sich das im Land Niedersachsen entwickelt.
Richtig ist, dass die Länder ein großes Interesse daran haben, dass die Landesversicherungsanstalten gestärkt und nicht geschwächt werden. Das setzt voraus, dass sich die zentralistischen Körperschaften, die wir haben - angefangen von der BfA bis hin zu den Sonderanstalten wie Seekasse, Knappschaft und dergleichen -, gesetzlich nicht so weiterentwickeln dürfen, wie das zurzeit der Fall ist. Wenn diese Entwicklung, die sich seit zehn Jahren beschleunigt hat, nicht aufgehalten wird, dann werden die Landesversicherungsanstalten mittelfristig keine Perspektive haben und werden sich die meisten Rentenversicherten in der BfA wiederfinden. Wer eine versichertennahe Betreuung haben möchte und wer gleichzeitig die Kompetenzen der Länder an dieser Stelle halten und stärken will, der muss dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Die ASMK und übrigens auch dieser Landtag haben dazu in früheren Jahren schon sehr deutliche Beschlüsse gefasst, die dahin gehen, dass
Kompetenzen von der BfA auf die Landesversicherungsanstalten übertragen werden und dass letztendlich alle Versichertenkonten auf der Länderebene, d. h. auf der Ebene der Landesversicherungsanstalten, geführt werden. Wir versuchen, dieses noch einmal deutlich zu untermauern, und bekräftigen das mit unserem Entschließungsantrag.
Ich hoffe, dass wir heute gemeinsam eine Entscheidung treffen, die noch vor wenigen Monaten als sehr strittig zwischen einigen gehandelt wurde. Zwischenzeitlich höre ich, dass selbst die unmittelbar betroffenen Akteure wieder in der Lage sind, sehr konstruktiv aufeinander zuzugehen.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Zusammenarbeit und dafür, dass wir diesen Wege gemeinsam beschritten haben. Ich wünsche der neuen LVA Braunschweig - Hannover ein gutes Gelingen und einen guten Start!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vom Bundesgesetzgeber verabschiedete Grundsicherungsgesetz tritt am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft. Zweck des Gesetzes ist es, für ältere Menschen über 65 und für erwerbsunfähige Menschen den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt durch eine eigenständige soziale Leistung zu gewährleisten, soweit diese Menschen nicht über eigene Mittel verfügen. Diese Leistungen sollen so bemessen sein, dass sich die Inanspruchnahme von Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt erübrigt. Die Länder sind aufgerufen, zur Durchführung dieses Gesetzes ebenfalls ein Ausführungsgesetz zu verabschieden.
Der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen empfiehlt Ihnen, dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung mit den aus der Beschlussempfehlung ersichtlichen Änderungen des Fachausschusses zuzustimmen.
Im Übrigen gebe ich den Bericht zu Protokoll.
Diese Empfehlung ist im federführenden Ausschuss mit den Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der CDU-Fraktion ergangen. Das Ausschussmitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich für den Artikel 1, aber gegen den Artikel 2 ausgesprochen. In den mitberatenden Ausschüssen entspricht das Abstimmungsverhalten der Vertreterinnen und Vertreter der SPD- und der CDU-Fraktion dem im Sozialausschuss. Die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen haben sich in den mitberatenden Ausschüssen der Stimme enthalten.
Da der Gesetzentwurf heute erstmalig im Plenum behandelt wird, möchte ich Ihnen zunächst Zweck und Inhalt von Artikel 1 des Entwurfs kurz vorstellen.
Hierzu ist zunächst ein kurzer Blick auf das vom Bundesgesetzgeber verabschiedete Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung, kurz „Grundsicherungsgesetz“ genannt, notwendig, das zum 1. Januar 2003 in Kraft tritt. Der Zweck des Gesetzes ist, für alte Menschen und für erwerbsunfähige Menschen den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt durch eine eigenständige soziale Leistung zu gewährleisten, soweit er nicht über eigene Mittel gedeckt werden kann. Diese Leistungen sollen so bemessen sein, dass sich die Inanspruchnahme von Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt erübrigt. Um eine wohnortnahe Verwaltung sicherzustellen, hat das Grundsicherungsgesetz die Zuständigkeit für die Ausführung des Gesetzes den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen. Den Ländern ist allerdings die Befugnis eingeräumt worden, zu bestimmen, dass zur Durchführung des Grundsicherungsgesetzes die Landkreise die kreisangehörigen Gemeinden und Gemeindeverbände heranziehen dürfen.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf macht mit der Regelung in § 3 von dieser Möglichkeit, den Landkreisen die Kompetenz zur Heranziehung einzuräumen, Gebrauch. Der Gesetzentwurf ordnet außerdem in § 1 die Trägerschaft für die Aufgaben nach dem Grundsicherungsgesetz dem übertragenen Wirkungskreis zu und trifft in § 2 nähere Bestimmungen über die Regulierung der Kosten, die sich aus der Aufgabenwahrnehmung ergeben. Nach § 4 des Gesetzentwurfs soll das Gesetz am 31. Dezember 2005 wieder außer Kraft treten. Begründet worden ist die zeitliche Befristung des Gesetzes damit, dass vor einer dauerhaften Regelung noch einmal die Zuordnung zum übertragenen Wirkungskreis und die Finanzierungsregelungen überprüft werden sollen. Zu beiden Bereichen lägen derzeit keine ausreichenden Erkenntnisse vor.
Kontrovers diskutiert worden sind in den Ausschüssen vor allem die vom GBD geäußerten Bedenken gegen die Konzeption des Finanzausgleichs, die mit diesem Gesetzentwurf verbunden ist. Die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz sollen u. a. durch Einsparungen bei der Sozialhilfegewährung im gemeindlichen Bereich finanziert werden. Da diese Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz dem Bereich des eigenen Wirkungskreises zugeordnet sind, führt dieser Finanzierungsansatz im Ergebnis dazu, dass Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises mit - eingesparten - Mitteln aus dem eigenen Wirkungskreis finanziert werden. Dies widerspricht aber nach Auffassung des GBD der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, der in seinem Beschluss vom 15. August 1995 sinngemäß ausgeführt hat, dass
die Kostendeckung für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises finanzkraftunabhängig, d. h. also außerhalb der Ansätze für die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, erfolgen muss. Der GBD wies allerdings auch darauf hin, dass sich diese Bedenken nicht unmittelbar auf den Gesetzentwurf bezögen, sondern im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu beachten seien. Die Vertreterinnen und Vertreter der CDU-Fraktion in den Ausschüssen begründeten ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Gesetzentwurf damit, dass die Kommunen mit der vorgesehenen Finanzierungsregelung nicht einverstanden seien. Die Vertreterinnen und Vertreter der SPD-Fraktion wiesen hingegen darauf hin, dass es sich um eine gerechte Finanzierungsregelung handele, und führten zudem aus, die kommunalen Spitzenverbände hätten ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf signalisiert. Zudem sei gerade wegen der Unwägbarkeiten eine Überprüfung des Gesetzentwurfs vorgesehen.
Artikel 2 des Gesetzentwurfs, der eine Änderung des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Betreuungsgesetz beinhaltet, geht auf einen Änderungsvorschlag der SPD-Fraktion zurück. Mit der Änderung soll nach der Darstellung der Ausschussvertreterinnen und -vertreter der SPD-Fraktion sichergestellt werden, dass zukünftig Zuwendungen zu den Personalkosten für hauptberuflich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den anerkannten Betreuungsvereinen nicht mehr nach der Reihenfolge der Antragseingänge verteilt werden müssen. Dieses Verfahren ergab sich bisher aus § 4 des Gesetzes, der einen Rechtsanspruch auf Zuwendungen im Rahmen der durch den Landeshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel vorsah. Durch die nun vorgesehene Kann-Bestimmung besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer Ermessensentscheidung eine gleichmäßige regionale Verteilung der Mittel zu gewährleisten.
So viel zu den wesentlichen Änderungen des Gesetzentwurfs. Nun zu den weiteren Änderungsvorschlägen des Ausschusses.
Wegen der Einfügung des Artikels 2 bedurfte es einer Mantelgesetzüberschrift, die auch die Änderung des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Betreuungsgesetz mit umfasst. Artikel 1 war dementsprechend ebenfalls mit einer auf den Regelungsinhalt hindeutenden Überschrift zu versehen.
Zu Artikel 1:
Die Aufteilung des nur aus einem Satz bestehenden § 1 des ursprünglichen Entwurfs in die Sätze 1 und 2 erfolgte aus sprachlichen Gründen. Der angefügte Satz 3 soll der Klarstellung dienen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 1 Satz 3 NGO erfüllen die großen selbständigen Städte und die selbständigen Gemeinden diejenigen Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die den Landkreisen obliegen, soweit die Gesetze dies nicht ausdrücklich ausschließen. Wegen bestehender kompetenzrechtlicher Bedenken gegen die bundesrechtliche Zuständigkeitsbestimmung und im Hinblick auf den Inhalt der vorstehend zitierten NGOBestimmungen wird mit der Formulierung des Satzes 3 verdeutlicht, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch die großen selbständigen Städte und die selbständigen Gemeinden ausgeschlossen ist.
Die Änderung in § 2 Abs. 4 Satz 1 dient der Klarstellung.
§ 3 Satz 1 ist ergänzt worden, um sicherzustellen, dass eine Heranziehung der Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben nach dem Grundsicherungsgesetz nur dann erfolgt, wenn diese auch zur Durchführung der Aufgaben des örtlichen Trägers der Sozialhilfe herangezogen sind. Der neu eingefügte Satz 3 bestimmt, dass Widerspruchsbehörden die Träger der Grundsicherung sind. Ohne diese Regelung wäre gem. § 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die nächsthöhere Behörde, also die Bezirksregierung für den Erlass eines Widerspruchsbescheides zuständig.
Zu Artikel 3:
Die Änderungen folgen auch der Einfügung des Artikel 2.
Frau Ministerin, können Sie sich erklären, warum viele führende CDU-Politiker vor der Bundestagswahl erklärt haben - ich zitiere u.a. Herrn Wulff -: „Bei den Hartz-Vorschlägen ist manches Vernünftige und Brauchbare dabei. Vieles ist von uns abgeschrieben worden“, und warum die gleichen Personen nun nichts unversucht lassen, eine schnellere Realisierung der Hartz-Vorschläge zu blockieren und zu verhindern?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Thema beschäftigt uns ja schon länger. Wir haben uns im Landtag mit dieser Problematik das erste Mal 1992 beschäftigt; der eine oder andere weiß das noch. Wir haben damals unter der Überschrift „Regionalisierung der Sozialversicherung“ festgestellt, dass die Unterteilung in Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung nicht mehr zeitgemäß ist und automatisch einmal zu einer Zentralisierung bei der BfA führen würde. Deshalb hat bereits damals der Landtag - übrigens einstimmig - darum gebeten, dass alles unternommen wird, um die Kompetenzen der Landesversicherungsanstalten zu stärken und die Zuständigkeit im Landesparlament zu halten.
Dieses Thema ist weiterentwickelt worden. Ich will darauf hinweisen, dass wir 1995 noch einmal einstimmig zu dem Thema „Struktur der Landes
versicherungsanstalten in Niedersachsen“ Folgendes beschlossen haben - ich zitiere - :
„Zur langfristigen Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der drei Rentenversicherungsträger und ihrer Erhaltung als regionaler Wirtschaftsfaktor werden die drei Landesversicherungsanstalten Braunschweig, Hannover und Oldenburg-Bremen aufgefordert, schnellstens eine Vereinbarung im Sinne des neuen § 28 k SGB IV zu schließen.“
Dahinter verbarg sich die Bitte, sie mögen möglichst bald zusammenarbeiten.
Nun sind wir sieben Jahre weiter. In der Sache sind wir allerdings nur relativ wenig weitergekommen. Ich will dazu noch zwei, drei Anmerkungen machen.
Dass jetzt auf einmal so ein Druck entstanden ist, hat etwas mit der Empfehlung des Bundesrechnungshofs vom 30. September 1998 zu tun, der schlicht vorgeschlagen hat, aus den zurzeit bundesweit noch 23 bestehenden Landesversicherungsanstalten sechs zu machen. Er hat die Landesversicherungsanstalten und auch die Landesgesetzgeber aufgefordert, dafür zu sorgen, dass es hier zu einem stärkeren Konzentrationsprozess kommt.
Der Bund hat sich das auf Wiedervorlage gelegt, um dann selbst die Aktivitäten zu übernehmen, nämlich zum Frühjahr nächsten Jahres. Im Februar/März nächsten Jahres wird der Bund das Thema wieder aufrufen und sehen, wie sich die Strukturen verändert haben.
Wir bewegen uns hier im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Das heißt, wenn der Bund in das Verfahren geht, sind die Länder automatisch außen vor. Das ist eine Situation, an der wir als Land keinerlei Interesse haben können.
Es hat auch Bewegung gegeben. Zum 1. Januar dieses Jahres haben sich die LVAen Baden und Württemberg zu einer LVA zusammengeschlossen. Es gibt einen Beschluss des ZusammengehenWollens der LVAen Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, einen weiteren Beschluss der LVAen Rheinland-Pfalz und Saarland und einen Beschluss der LVAen Brandenburg und Berlin. Das heißt, es ist wirklich Bewegung eingetreten, und das ist auch gut so.
Wir haben hier in Niedersachsen die Gemengelage, dass es vor drei Jahren, 1999, Aktivitäten gegeben hat, zu einer freiwilligen und gemeinsam getragenen Fusion der drei LVAen in Niedersachsen zu kommen. Wir haben das seitens des Fachausschusses im Landtag immer einmütig unterstützt und begrüßt. Wir haben gesagt: Das, was bei anderen Versicherungsträgern - ich nenne nur beispielhaft die landwirtschaftlichen Krankenversicherungsträger - möglich war, nämlich zu einer einheitlichen Struktur zu kommen, aber die drei Standorte, um die es geht, zu erhalten und sie jeweils durch Ausgabeschwerpunkte zu verstärken, muss eigentlich auch bei den LVAen möglich sein.
Es hat eine Menge Verhandlungen, eine Menge Gespräche gegeben. Sie haben bisher leider nicht zu dem Ergebnis geführt, dass wir in Niedersachsen zu einer gemeinsamen LVA kommen, sondern die Selbstverwaltungen haben am 1. März beschlossen - und zwar die LVA Braunschweig und die LVA Hannover -, freiwillig zu fusionieren: im Gebietsraum der bisherigen LVA Hannover und der LVA Braunschweig.
Die LVA Oldenburg-Bremen hat beschlossen, sie möchte selbständig und unabhängig bleiben. Ich finde diesen Beschluss nicht glücklich. Aber wir haben seitens der Fraktion immer erklärt - das haben wir auch den Gesprächspartnern erklärt -: Für uns hat die Souveränität der Selbstverwaltung Vorrang.
Sie sind gewählt, und wenn sie diese Auffassung vertreten, dann nehmen wir das zur Kenntnis.
Das bedeutet, es gibt für uns überhaupt keinen Grund, dem Begehren der beiden LVAen Hannover und Braunschweig nicht zu entsprechen. Dafür brauchen wir ein Landesgesetz. Dazu gibt es auch viele Diskussionen - Sie wissen das; wir alle haben in den letzten Tagen viele Briefe bekommen -, ob die Zuständigkeit so gegeben ist oder nicht. Ich will nur an einer Stelle sagen: Der Verband der Rentenversicherungsträger hat die Zuständigkeiten in einem Gutachten relativ klar festgelegt und sagt auch, die Länder können das. Ich denke, wenn die sich auf Verbandsebene einig sind, dann brauchen wir nicht darunter einen Streit zu führen, der, glaube ich, eine ganz andere Interessenlage beinhaltet.
Also, für uns ist klar: Wir wollen dem entsprechen, was diese beiden LVAen beschlossen haben. Nur,
wir nehmen genauso zur Kenntnis, dass die Selbstverwaltung der dritten LVA gesagt hat, sie will das nicht. Sie hat - das wissen Sie auch - einen ergänzenden Beschluss gefasst, nämlich sich darüber hinaus gebietsmäßig noch auszuweiten. Das könnte nur der Bundesgesetzgeber; an dieser Stelle hätten wir keine Chance mehr. Das wäre aber nach meiner Ansicht auch nicht zielführend.
- Davon können Sie ausgehen, Frau Pothmer. Der Ministerpräsident ist nicht nur Ministerpräsident, sondern gehört auch der SPD-Fraktion an. Wir haben das intensiv diskutiert und legen hier einmütig etwas vor. Damit ist die Frage, denke ich, beantwortet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch etwas zum Wirtschaftsfaktor dieser drei Landesversicherungsanstalten sagen: Es sind zusammen 4 500 Beschäftigte, davon haben die beiden fusionswilligen LVAen 3 800, und die LVA Oldenburg-Bremen hat 700 Beschäftigte. Sie bewegen zusammen 12 Milliarden Euro pro Jahr. Das heißt, das ist ein richtig großes Wirtschaftsunternehmen hier im Land Niedersachsen. Von daher müssen wir, glaube ich, alles daransetzen, dass wir diesen Wirtschaftsfaktor im Land nicht schwächen, sondern stärken.
Wir wollen mit diesem Entschließungsantrag noch einmal klarstellen: Wenn es zwei starke Landesversicherungsanstalten im Land geben soll, dann soll versucht werden, diesen Weg auch zu gehen. Es soll den beiden Interessen Rechnung getragen werden, es soll aber auch genauso deutlich werden, dass wir diesen Gesetzentwurf heute einbringen, um dem, was im Februar, März auf uns zukommt, zuvorzukommen, um dem Bund zu signalisieren: Hier gibt es eine freiwillige Vereinbarung auf der Ebene der Selbstverwaltung, das wollen wir nicht behindern, sondern wir wollen das stützen.
Ich will auch hier das sagen, was ich im Ausschuss gesagt habe. Ich kann eigentlich alle Kolleginnen und Kollegen nur bitten, noch einmal das Gespräch zu suchen und nicht dahin gehend politisch Einfluss zu nehmen, dass sie sagen: Wir kommen mit
Kirchturmspolitik weiter. Denn aus Landesgesichtspunkten kommen wir damit nicht weiter. Vielmehr sollten wir sagen: Könnt ihr nicht den Weg gehen, den die anderen auch beschritten haben? Könnt ihr nicht den Versuch machen, unter den Überschriften „Sicherung der drei Standorte“, „Sicherung der Zuständigkeit hier im Land Niedersachsen“ und „Stärkung der drei Bereiche“ zu einer Landes-LVA zu kommen? - Ich fände das einen guten Weg.
- Nein, Sitz muss überhaupt nicht automatisch Hannover sein. Die neue LVA von Hannover und Braunschweig heißt im Übrigen auch nicht LVA Hannover-Braunschweig, sondern sie heißt LVA Braunschweig-Hannover. Jeder wird Ihnen sagen, dass die Braunschweiger partizipiert haben.
Wenn Sie sich die Entwicklung bei den landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträgern ansehen, wo wir exakt diese Debatte hatten, wo wir auch moderiert haben, dann werden Sie feststellen: Auch da hat es funktioniert.
Ich will das hier nicht emotionalisieren. Ich glaube, es hängt an einigen ganz wenigen Personen, dass es nicht funktioniert. Aber wir wollen zumindest für die, die den Zusammenschluss wollen, den Weg frei machen. Ich hoffe, dass wir das genauso einmütig hinbekommen, wie wir das Thema bisher im Sozialausschuss einmütig behandelt haben. Insofern wünsche ich mir eine sehr konstruktive Beratung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im März hat uns die CDU-Fraktion einen 26-PunkteAntrag vorgelegt, der von ihren Parteitagsbeschlüssen komplett abgeschrieben war.
Sie haben es noch nicht einmal für sinnvoll erachtet, die Beratungen hier abzuwarten. Sie bringen stattdessen heute zwei Anträge mit 34 Punkten ein, die eine komplette Abschrift Ihres CDUWahlprogrammes darstellen.
Ich will Ihnen deutlich machen: Keinen einzigen dieser Punkte haben Sie in 16 Jahren auch nur ansatzweise umgesetzt, meine Damen und Herren!
Ich finde das schon plump und entlarvend, weil es Ihnen - das ist auch in Ihrer Rede, Herr Wulff, eben deutlich geworden - gar nicht um eine objektive, sachliche Beratung geht. Es geht um plumpe Wahlkampfshow, wobei bei Ihnen alles im Vordergrund steht, aber mit Sicherheit nicht die Arbeitslosen.
Herr Gansäuer stellt sich hier wieder staatstragend hin und fordert, wie ich finde, zu Recht, dass es eine gemeinsame Aufgabe sei, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und dass dazu alle an einem Strang ziehen müssten.
- Genau! - Deshalb ist es meines Erachtens absolut sinnvoll, dass erstmals eine unabhängige, überparteiliche Kommission
Vorschläge auf den Tisch legt, die von allen bearbeitet werden könnten. Sie tun das aber nicht. Ihr Kanzlerkandidat redet stattdessen vom „HartzGequatsche“. Meine Damen und Herren, ich finde das ungeheuerlich, und ich empfinde diesen Umgang als eine Verhöhnung der Betroffenen.
In Wahrheit ist diese Gesellschaft seit zwei Jahrzehnten nicht in der Lage, einen Konsens bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herzustellen. Alle Interessengruppen müssten ideologischen Ballast beiseite schieben, und sie müssten bereit sein, Kompromisse einzugehen. Ich finde, Hartz hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Die SPD bekennt sich unter dieser Überschrift ausdrücklich dazu. Sie haben eben deutlich gemacht: Sie nicht.
Ich darf daran erinnern, dass die HartzKommission nicht als Wahlkampfinstrument eingesetzt wurde,
sondern nach der Aufdeckung erheblicher Schwachstellen in der Bundesanstalt für Arbeit eingesetzt wurde, um sofort zu reagieren. Das war
am 22. Februar. Hätte die Bundesregierung das nicht getan, hätten Sie ihr zu Recht Tatenlosigkeit vorgeworfen. Nun hat sie reagiert, und nun werfen Sie ihr vor, dass sie etwas getan hat. Was wollen Sie eigentlich, meine Damen und Herren?
Ich finde, dass auch nach Ihrem heutigen Vortrag nicht klar ist, welche Position die CDU zum HartzKonzept überhaupt vertritt. Die Aussagen führender Politiker der Union lesen sich in den letzten drei Monaten wie eine Chronik der Hilflosigkeit und Verantwortungslosigkeit.
Ich will Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen. Am 24. Juni erklärt Lothar Späth, das sei ein richtig mutiges Konzept mit interessanten, revolutionären Vorschlägen. Am 24. Juni erklärt Herr Goppel, die Hartz-Vorschläge seien mit der Union problemlos umzusetzen. Am 27. Juni erklärt Herr Merz, Teile der Vorschläge seien überlegenswert. Und der Gleiche kritisiert wenige Tage später Herrn Späth, dieser habe viel zu vorschnell die Vorschläge der Hartz-Kommission begrüßt. Am 8. August erklärt der Sprecher der ostdeutschen CDU-Abgeordneten, dieses seien endlich Schritte in die richtige Richtung. Am 9. August - das ist noch gar nicht lange her - sagt Herr Wulff: Bei den Hartz-Vorschlägen ist manches Vernünftige dabei. Vieles ist von uns abgeschrieben.
Der Gleiche fasst in seiner Funktion als stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei am 16. August einen Beschluss, in dem CDU und CSU die Hartz-Vorschläge komplett ablehnen.
Meine Damen und Herren, das ist die neue Geradlinigkeit der CDU! Ich bin mir sicher, dass wenigstens einige der Redlichen in Ihren Reihen diesen Eiertanz für höchst peinlich halten. Ausgerechnet Herr Wulff wirft dem Bundeskanzler am 25. August vor, es sei eine einzigartige Beweglichkeit, dass er die Vorschläge von Hartz begrüße. Das, was Sie machen, entspricht einem völlig orientierungslosen Brummkreisel!
Wenn die vorliegenden CDU-Anträge ernst genommen werden sollen, muss schon einmal geklärt werden, was hier eigentlich los ist. Ist denn nun alles Mist, was von Hartz vorgelegt wurde?
Dann können Sie alles ablehnen. Oder ist es alles abgeschrieben? Dann müssen Sie einmal deutlich machen, hinter welchen Punkten Sie stehen. Dann können Sie nicht pauschal sagen: Wir lehnen das alles ab.
Ich will einmal auf drei oder vier Punkte eingehen. Sie fordern, die Zumutbarkeitsregelung zur Arbeitsaufnahme müsse verschärft und die Beweislast umgekehrt werden. Hartz schreibt das rein; Sie lehnen Hartz aber ab.
Sie fordern, die Schaffung regulärer Arbeitsplätze in privaten Haushalten zu fördern. Hartz schreibt das rein; Sie lehnen Hartz komplett ab.
Hartz fordert, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dürfe nicht zulasten der Kommunen gehen. Das praktiziert übrigens die Bundesregierung in Form von Modellversuchen schon lange, u. a. auch in Niedersachsen. Hartz ist der Erste, der sagt, wo zusammengeführt werden soll und wie es finanziert werden soll.
- Gerade das sagt er. Lesen Sie doch wenigstens die Papiere, bevor Sie darüber reden!
- Hartz schreibt deutlich, dass bei Job-Centern zusammengeführt wird. Er sagt auch, wen er dort zusammenführt, und er sagt, dass dieses nicht zulasten der Kommunen geht. Das bedeutet eine Entlastung der Sozialhilfekosten der Kommunen um ein Drittel. Deshalb weiß ich gar nicht mehr, was Sie mit Ihrer Sonthofener Frontalopposition hier eigentlich betreiben wollen. Ich finde, in der
Frage haben Sie sich schon lange ins Abseits manövriert. Und das ist auch gut so; da gehören Sie auch hin.
In Ihren Aussagen zur Leiharbeit fordern Sie, es solle Leiharbeit geschaffen werden - das fordert auch Hartz, den Sie bekanntlich ablehnen -, übrigens etwas, was in Niedersachsen schon lange praktiziert wird. Wir hatten in Niedersachsen sogar ein Sonderprogramm aufgelegt. Das ist deshalb nicht abgerufen worden, weil die Arbeitgeber den Bedarf auf einmal nicht mehr erkannt hatten. Aber immerhin nimmt Herr Wulff mit diesem Antrag seine Forderung nach mehr Leiharbeit wieder auf. Das war am 21. August. Am 25. August sagt derselbe Wulff in einem Interview des Tagesspiegel:
„Das Problem auf dem Arbeitsmarkt besteht doch nicht darin, dass die Firmen händeringend Leiharbeiter suchen.“
Jetzt muss ich fragen: Was wollen Sie eigentlich? Stehen Sie hinter Ihrem Antrag? Ist das nötig? Oder wollen Sie nur ein Schaugeplänkel, indem Sie sagen: Wir brauchen es eigentlich nicht; weil Hartz es vorgeschlagen hat, sind wir dagegen? Ich finde, das ist ein Schaukelstil, den wirklich auch der Letzte bemerkt. Wenn Stoiber das liest, dürfen Sie wahrscheinlich noch einmal mit auf den Brocken hoch, aber er wird froh sein, wenn Sie oben bleiben.
Sie fordern eine bedarfsgerechte, vielfältige Kinderbetreuung. Ich glaube, das kann jeder unterschreiben. Aber die Wahrheit in 16 Jahren Kohl sah anders aus. Es war die rot-grüne Koalition, die endlich auch für arbeitslose Frauen mit Kindern einen ausreichenden Schutz in der Arbeitslosenversicherung geschaffen
und mit dem Job-AQTIV-Gesetz auch den Bezug von Mutterschaftsgeld und die Erziehung eines Kindes bis zum dritten Lebensjahr in die Versicherungspflicht einbezogen hat. Es war die rot-grüne Koalition, die einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit verankert hat, und es war die rot-grüne Koalition, die bei Qualifizierungsmaßnahmen durch das Arbeitsamt ergänzend für Kinderbetreuung
130 Euro monatlich zur Verfügung stellt. Dieses alles haben Sie nicht nur abgelehnt, sondern Sie machen in Ihrem Wahlprogramm ausdrücklich klar, dass Sie Teile davon wieder zurücknehmen werden.
Insofern ist, glaube ich, schon deutlich, wer sich um Kinder und Familien wirklich kümmert und wer nicht.
Das gilt im Übrigen auch für Niedersachsen. In Niedersachsen wurden seit 1990 60 000 Kindergartenplätze geschaffen. In den nächsten fünf Jahren wird die Anzahl der Ganztagsschulen in Niedersachsen verdreifacht. Zum Schuljahresbeginn 2002/2003 gibt es 1 350 Verlässliche Grundschulen. Auch dieses alles haben Sie, obwohl Ihnen das Wohl der Familien ja so am Herzen liegt, hier im Landtag abgelehnt.
Um auch das noch deutlich zu machen: Die KohlRegierung ist wegen ihrer mangelhaften Unterstützung der Familien erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt worden.
Es war die rot-grüne Regierung, die damit angefangen hat, die materielle und finanzielle Verbesserung von Familien auf den Weg zu bringen. Das hat dazu geführt, dass zwischenzeitlich das Kindergeld dreimal auf nun immerhin 154 Euro erhöht wurde.
Tatsache ist, dass die CDU-Opposition Familienpolitik und Kinder wirklich erst in der Oppositionszeit entdeckt hat. Davor spielten Familien und Kinder bei Ihnen überhaupt keine Rolle. Wenn ich mir angucke, welches Frauen- und Familienbild Herr Stoiber am vergangen Sonntag vermittelt hat,
dann weiß auch jeder, was davon nach der Wahl zu halten und zu erwarten ist.
Nun sagen Sie immer wieder etwas zum Niedriglohnbereich und zum Kombilohn-Bereich. Das fordern Sie auch heute wieder. Gleichzeitig reden Sie von Vereinfachung der Bürokratie. Ich halte es schon für einen irren Vorschlag zum Abbau der Bürokratie, wenn Sie in dem Antrag auf der einen Seite die Sozialversicherungsabgaben durch Steuern ersetzen und diese dann vom Finanzamt eintreiben lassen wollen, um sie dann wieder der Sozialversicherung zuzuführen. Das muss ein ganz, ganz heller Kopf erfunden haben. Auf diese Art und Weise sorgt er gleichzeitig auch dafür, dass 1,5 Milliarden Euro zusätzlich im System der Sozialversicherung fehlen. Das ist sicherlich ein Beitrag zur Erreichung Ihres Ziels, die Abgaben unter 40 % zu drücken.
Ich will Ihnen auch hier sagen, wie das bei der Regierungsübernahme aussah. Es gab im Geringverdienerbereich 7 Millionen Geringverdiener, meistens Frauen, die von Altersarmut und Sozialhilfebezug bedroht waren. Es wurden immer mehr Vollzeitstellen gegen den Willen der Betroffenen in versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse aufgestückelt, und der Sozialversicherung wurde so der stolze Betrag von 15 Milliarden DM entzogen. Wir haben Schluss gemacht mit dem unsozialen Umgang mit diesen lohnabhängig Beschäftigten, und darauf sind wir stolz!
Zu Ihrem Allheilmittel Kombilohn - das wird ja auch gerade immer von der Bayerischen Staatsregierung gefordert; Herr Stoiber will 800 000 neue Arbeitsplätze schaffen - ist zu sagen: Tatsache ist, dass es in Bayern kein einziges Kombilohn-Modell gibt. Es wäre ganz nett, wenn er mal damit anfangen würde. Dann könnte er die Erfahrungen einbringen und die Forderungen gegebenenfalls auf Bundesebene wirklich untermauern. Bisher hat er sich sehr davor geziert. Auch hier hat Rot-Grün mit der bundesweiten Einführung des Mainzer Modells die gesetzliche Grundlage für Kombilöhne überhaupt erst geschaffen. Es waren nicht Sie. Wir haben gehandelt, Sie haben geredet!
Wenn ich jetzt Ihre Forderung lese, man solle älteren Arbeitnehmern zukünftig die Möglichkeit
einräumen, sich ihr Kündigungsklagerecht durch eine Abfindung abkaufen zu lassen, muss ich Ihnen sagen:
Die Realität ist doch eine ganz andere. Bei betriebsbedingten Kündigungen fliegen heutzutage noch immer die älteren Arbeitskräfte zuerst raus. Sie wollen das zementieren und gerade für ältere Beschäftigte das System von heuern und feuern auch noch gesetzlich verankern.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir lehnen amerikanische Verhältnisse ab, wo die Beschäftigten zum Spielball von Unternehmerinteressen werden.
Ich finde, wer so viel soziale Unausgewogenheit als Programm niederschreibt, der muss sich auch nicht wundern, dass er erst einmal, so wie Sie, Herr Wulff, aus dem Kompetenzteam für den Bereich Soziales und Gesundheit herausgeflogen ist, nachdem Horst Seehofer genesen war. Seitdem spielen Sie bei diesem Thema keine Rolle mehr. Auch im Kompetenzbereich Arbeitsmarkt wurden Sie durch den Politrentner Lothar Späth ersetzt. In der CDU/CSU hat offensichtlich niemand eine Chance, der nicht entweder Bayer ist oder wenigstens das Rentenalter erreicht hat.
Herr Wulff wird nach meiner Einschätzung nach dem 22. September, aber vor allem nach dem 2. Februar nächsten Jahres, sehr dankbar dafür sein, dass die rot-grüne Regierung im Rahmen der Rentenreform die Frühverrentung neu geregelt hat. Sie werden sie ab 3. Februar brauchen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, ich will Ihnen ausdrücklich attestieren, dass ich Ihnen gerne zuhöre. Sonntags gucke ich immer mit meiner Tochter die Sendung mit der Maus, und dann weiß ich, wie weit Sie von diesem Niveau noch entfernt sind.
Zum Thema Kombilohn haben Sie gerade folgenden Einstieg gewählt: 128 Beschäftigte haben Sie geschaffen; das ist doch erbärmlich.
- Vielen Dank! 228 Beschäftigte haben Sie geschaffen; das ist doch erbärmlich.
Für diese 228 Beschäftigten ist das nicht erbärmlich, sondern Arbeit und Brot. Ich finde es unanständig, wie Sie das hier bewerten!
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Die von Ihnen bei jeder Gelegenheit bekämpfte Steuerreform - vielleicht erinnern Sie sich einmal daran - ist nur deshalb zustande gekommen, weil CDU-geführte Bundesländer dieser im Bundesrat zugestimmt haben.
Die haben ihr deshalb zugestimmt, weil denen die tatsächlichen Verbesserungen wichtiger waren als
Ihre unseriöse Wahlpropaganda, von der sie nämlich gar nichts hätten.
Sie versprechen Steuererleichterungen in einer Größenordnung von 29 Milliarden Euro.
Gleichzeitig wollen Sie Familiengeld in einer Größenordnung von 25 Milliarden Euro einführen. Ihr früherer Bundesfinanzminister sagt dazu:
„Jede Steuersenkung, auch wenn Sie noch so erwünscht ist, muss erwirtschaftet werden, entweder durch Ausgabenkürzungen oder durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.“
Das hat Herr Waigel am 8. Juli diesen Jahres gesagt. Da Sie Steuererhöhungen ausschließen, bleibt es bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Es steht auch zwischenzeitlich fest, wie Sie das machen wollen. Roland Koch sagte am 17. Juni: Wir machen das nach dem Vorbild der Petersberger Beschlüsse.
Friedrich Merz sagte am 13. Juli: Wir werden uns in Richtung Petersberg bewegen. Und Herr Möllring sagte gerade: Das ist auch richtig so. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was u. a. in den Petersberger Beschlüssen steht: Kürzung der Arbeitnehmerpauschale, Kürzung des Arbeitnehmerpauschbetrages für Werbungskosten,
Streichung der Steuerfreiheit für Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, Wegfall der Steuerfreiheit für Geburts- und Heiratsbeihilfen - das ist Ihnen natürlich unangenehm -, Einschränkung der Steuerfreiheit für Arbeitnehmerrabatte, Streichung von Lohnersatzleistungen mit 50 % und Kürzung des Arbeitslosengeldes, der Arbeitslosenhilfe, des Schlechtwettergeldes. Das alles haben
Sie in Deutschland schon einmal gemacht. Das Ergebnis waren 4,8 Millionen Arbeitslose, meine Damen und Herren.
Ich habe - das hat Ihnen der Ministerpräsident auch schon angeraten - noch einen Vorschlag für Ihr Kompetenzteam: Ich würde Altbundeskanzler Kohl als Finanzminister berufen, weil er meines Erachtens der einzige ist, der bei Ihnen in der Lage ist, Geld zu vermehren und gleichzeitig Steuern zu sparen.
Auch Ihre Aussagen zur Sozialversicherung finde ich höchst interessant. Tatsache ist, dass der Rentenversicherungsbeitrag unter der rot-grünen Koalition von 20,3 % auf 19,1 % sank. Hätten Sie so weiter gemacht, wären allein die Rentenversicherungsbeiträge auf mehr als 28 % gestiegen.
Bei der Situation der Sozialversicherung blenden Sie immer gerne eines aus: Es war nicht die jetzige Bundesregierung, sondern die Kohl-Regierung, die der Sozialversicherung 100 Milliarden DM entzogen und damit den Aufbau Ost finanziert hat, meine Damen und Herren. Sie haben die doch Pleite gemacht, und jetzt beschweren Sie sich über das Ergebnis!
Gestatten Sie mir abschließend einen Hinweis zu Ihrer sozialpolitischen Kompetenz. Ich erlaube mir, mir ab und zu die Internetseite der CDU anzusehen. Das ist immer sehr aufschlussreich.
- Ja, da kann ich etwas lernen. Ich sage Ihnen auch gleich, was ich dort gelernt habe. Ich habe mir vorgestern die Homepage angesehen und wollte wissen, welche Beiträge Sie zum Sozialstaat liefern. Um das nicht ganz so peinlich für Sie zu gestalten, habe ich nur die Rubrik „Beiträge im CDU-Forum zur Zukunft des Sozialstaates in den letzten 100 Tagen“ aufgerufen.
Wissen Sie, was dort stand? - Nichts! Null Beiträge sind dort enthalten. Das ist ja auch völlig klar: Weil Sie nichts mehr zu sagen haben. Seit 100 Tagen herrscht bei Ihnen auf dem Gebiet der Sozialpolitik Funkstille!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten dankenswerterweise schon in der letzten Sitzung des Fachausschusses Gelegenheit, über dieses Thema zu diskutieren, weil Sie uns das entsprechend angekündigt hatten. Bereits dort hatte ich gesagt: Im Grundsatz spricht gegen die Forderungen überhaupt nichts. Wir haben über unseren Antrag betreffend Gesundheitsförderung von Kindern im Ausschuss ja schon diskutiert und darauf hingewiesen, dass wir gern ein flächendeckendes Hör-Screening hätten. Außerdem haben wir darauf hingewiesen, dass wir die Landesregierung bitten werden, die vorhandenen Modelle im Gespräch mit den Kassen auf Niedersachsen auszuweiten, weil Behinderungen auf diese Weise frühzeitig erkannt werden können bzw. rechtzeitig vorgebeugt werden kann. Es ist sinnvoll - das ist eine Grundsatzforderung, die schon seit Jahren gestellt wird -,
Vorsorge und Prävention auszubauen, um so die Akutversorgung minimieren zu können.
Das Gleiche gilt sicherlich für das AugenScreening bei Neugeborenen, wobei Sie als Mediziner besser wissen als ich, dass all das dort an Grenzen stößt, wo der Facharztstreit über die Zuständigkeiten beginnt. Dann werden wir alle Lobbyisten hier stehen haben, und alle Arztgruppen werden uns erklären, warum gerade sie dafür geeignet sind, die, die es beantragen, aber nicht. Das ist ein Spielchen, mit dem wir leben müssen.
An einer Stelle muss ich Frau Pothmer aber wirklich Recht geben; das ist gar keine Frage. Wenn sich Herr Wulff mit seinen bundespolitischen Vorstellungen durchsetzt, hat Ihre Forderung nach einem Screening für alle Neugeborenen - so haben Sie dies in Ihren Antrag hineingeschrieben - keine Chance, weil Herr Wulff in seinen politischen Publikationen - auch mündlich - immer wieder darauf hingewiesen hat, dass für ihn eine Wahlleistung, die man abgeben bzw. zukaufen kann, ausdrücklich Vorsorge und Rehabilitation ist. Das können Sie an vielen Stellen nachlesen. Wenn Sie es mit Ihrem Antrag nun tatsächlich ernst meinen, dann gehen Sie entweder davon aus, dass Sie die Bundestagswahlen nicht gewinnen - dann können Sie das nämlich nicht durchsetzen; das ist Tatsache -, oder davon aus, dass Sie in der Lage sein werden, Ihren Fraktionsvorsitzenden zu überzeugen. Das ist doch völlig klar.
Wenn ich sage, die Leute könnten Vorsorgeuntersuchungen entweder abwählen oder hinzuwählen, dann mache ich eine flächendeckende Versorgung zunichte. Damit mache ich auch anständige Auswertungen zunichte, weil ich keine repräsentative Basis mehr bekomme. Insofern haben Sie an dieser Stelle ein Problem. Ich meine aber, dass Sie es nicht haben werden, weil die Bundestagswahl so ausgehen wird, wie wir es erwarten. Dann kann Ihr Antrag richtig auf den Weg gebracht werden, und dann wird der Rehabilitation sicherlich Vorrang eingeräumt - und der Prävention auch, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle immer wieder fest, dass die Aufmerksamkeit des Hauses nach der Mittagspause nicht mehr so ausgeprägt ist und es immer etwas länger dauert, bevor die Mittagspause beginnt. Insofern will ich Sie mit dem Thema auch nicht langweilen. Das Thema geht uns zwar alle an. Aber ich bringe den Antrag jetzt nur formal ein und wünsche uns im Ausschuss eine angenehme Beratung.
Sehr geehrte Frau Kollegin Apothekerin - -
- Ja, ist doch in Ordnung.
Ich wollte nur kurz darauf hinweisen - -
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Ausgaben für Arzneimittel in Niedersachsen allein im vergangenen Jahr um mehr als 11 % gestiegen sind. Inzwischen werden für Arzneimittel pro anno 42 Milliarden DM ausgegeben. Damit sind die Arzneimittelkosten zum ersten Mal der zweitgrößte Ausgabeblock in Deutschland. Es kann kein vernünftiges Gesundheitssystem sein, wenn wir zwischenzeitlich für Arzneimittel mehr ausgeben als für die ärztliche Behandlung.
Meiner Meinung nach muss deutlich werden, dass dies gegen das Selbstverständnis eines jeden Arztes verstößt. Dieser völlig unkontrollierte Arzneimittelmarkt mit deutlichen Mengenzunahmen in jedem Jahr und mit einer deutlich höheren Verschreibungsdichte ist seit Jahren nicht zu regulieren gewesen. Herr Seehofer hat dies versucht – das vergessen Sie manchmal -, indem er die Budgets eingeführt hat. Frau Schmidt hat die Budgets wie
der abgeschafft. Auch Sie haben dies gefordert und haben mit Herrn Seehofer somit nicht mehr auf einer Linie gestanden. Frau Schmidt hat sie abgeschafft in der Hoffnung, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Ärzte bezüglich ihres Verschreibungsverhaltens wirklich ernst zu nehmen ist. Tatsache ist: Wir müssen eine explosionsartige Entwicklung verzeichnen. Tatsache ist auch, dass dieser Sektor jahrelang allein deshalb nicht steuerbar gewesen ist, weil auf der anderen Seite eine starke Lobby aus Pharmaindustrie und auch Ärzteschaft besteht, die jede vernünftige Planung in diesem Segment - bisher jedenfalls - erfolgreich zunichte gemacht hat.
Angesichts dieser Situation macht auch der Arzneiverordnungsreport 2001 deutlich, dass allein das Vertrauen auf den ärztlichen Sachverstand und auf die ärztliche Therapiefreiheit eben nicht zu einem rationalen Einsatz von Arzneimitteln führt.
Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass wir in Deutschland nach wie vor 10 000 offiziell nicht zugelassene Medikamente legal an die Patientin und den Patienten bringen. Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen der Zulassung dadurch entziehen können, dass sie einfach ihre Zulassungsanträge für mehr als 5 000 Medikamente zurückziehen, die noch bis zum Jahr 2003 ohne jede Wirksamkeitsprüfung an die Patientin und den Patienten gebracht werden dürfen. Mir kann auch niemand erklären, warum wir in Deutschland 50 000 Medikamente benötigen, während andere europäische Länder mit einem Zehntel dieser Menge auskommen. Mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung hat dies jedenfalls nichts zu tun. Sie wissen auch, dass dies einer der kritischsten Punkte überhaupt ist.
Es kann auch nicht sein, dass immer noch deutlich teurere Medikamente verordnet werden, während es auf dem Markt wesentlich günstigere Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff gibt. Entscheidend ist nicht der Name des Medikaments, sondern entscheidend ist ausschließlich der Wirkstoff des Medikaments.
- Das ist von Ihnen bislang medizinisch nicht bestritten worden, es sei denn, Sie tun dies, seit Sie auf Bundesebene für Sozialpolitik zuständig sind.
Die Aut-idem-Regelung ist deshalb auch der erste richtige Schritt in diese Richtung, weil - da sind wir uns einig, Frau Zachow - die fachliche Qualifikation von Apothekerinnen und Apothekern meines Erachtens im Arzneimittelsektor bisher zu wenig einbezogen worden ist. Ich habe - Sie sicherlich auch - bei der Aut-idem-Regelung eine sehr interessante Debatte zwischen Ärzteschaft auf der einen Seite und Apothekerinnen und Apothekern auf der anderen Seite zur Kenntnis genommen. Dabei wird den Apothekern auf einmal jede Qualifikation abgesprochen. Es kommt zu einer völlig schizophrenen Situation: Wenn jemand um fünf Minuten vor 6 Uhr in eine Apotheke kommt, um ein Medikament zu holen, das dort nicvht vorrätig ist, wird eer mit dem Hinweis wieder nach Hause geschickt: „Leider habe ich das Medikament nicht da, ich muss es Ihnen besorgen.“ – Wenn dieselbe Person aber um fünf Minuten nach 6 Uhr, nämlich in der Notfallzeit, in die Apotheke kommt, bekommt er ein anderes Medikament mit dem gleichen Wirkstoff. Dann nämlich ist nicht das Rezept, sondern allein die fachliche Qualifikation des Apothekers entscheidend, und die Patientin oder der Patient geht zufrieden gestellt nach Hause.
Es kann doch nicht in Ordnung sein, dass ich mich auf der einen Seite - völlig zu Recht - auf die Qualifikation dieses Berufsstandes verlasse, aber dem auf der anderen Seite ärztliches Standesdenken entgegensteht, weil ein bestimmter pharmazeutischer Industriebereich bevorzugt werden muss. Hier stimmt doch etwas nicht im System.
Insofern finde ich das, was von den Apothekern vorgetragen wurde, absolut in Ordnung.
Ich möchte hinzufügen, meine Damen und Herren, dass es auch nicht sein kann, dass ständig neue Medikamente auf den Markt gebracht werden, bei denen es nur minimale Veränderungen gibt. Wir haben es in Wirklichkeit mit keiner großen Veränderung zu tun. Aber es wird der Versuch gemacht, den gleichen Wirkstoff zu deutlich höheren Preisen am Markt zu platzieren. Wir im Gesundheitswesen finanzieren das alles mit unseren Beiträgen. Auch hier ist irgendetwas nicht in Ordnung. Deshalb fordern wir, dass der zusätzliche therapeutische Nutzen durch eine zusätzliche unabhängige Kommission zu prüfen ist.
Der nächste Aspekt, der nichts mit vernünftigem Umgang mit Beiträgen und Medikamenten zu tun hat, ist die schlichte Feststellung, dass zwischenzeitlich jedes Jahr 4 bis 5 Milliarden DM - ich sage bewusst D-Mark - auf den Müll marschieren. Das sind mehr als 10 % des Gesamtbudgets, das für Arzneimittel aufgebracht wird. Dies wissen wir alle. Deshalb ist unsere Forderung - das ist übrigens auch keine neue -, dass wir therapiegerechte Packungsgrößen oder Einzelabgaben bekommen, so wie das in anderen europäischen Ländern durchaus gang und gäbe ist.
Meine Damen und Herren, noch etwas ist erstaunlich, nämlich dass es beim Arzneimittelkonsum regionale Unterschiede gibt, die offensichtlich auch etwas damit zu tun haben, dass der Arzneimittelverbrauch innerhalb der Europäischen Union sehr stark mit dem jeweiligen Lebensstandard in den Ländern korrespondiert. Sie müssen sich nur in der Europäischen Union umsehen. In Irland gibt es einen Pro-Kopf-Verbrauch von 240 DM jährlich als unterste Marge, Belgien liegt bei 750 DM, und Deutschland steht mit 700 DM gleich an zweiter Stelle. Da stimmt doch etwas nicht. Das hat doch nichts damit zu tun, dass es innerhalb der Europäischen Union derartige Verwerfungen bei der Morbidität gibt, sondern es hat etwas mit Wohlstandsdenken und teilweise mit der Wahrnehmung zu tun, dass manche Arzneimittel mit Lebensmitteln verwechseln.
Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass hier deutliche Regularien eingezogen werden müssen. Ich erwarte hier und da von Ärzten eine andere Beratung, was Patientinnen und Patienten in ihrer Erwartungshaltung betrifft, aus jedem Praxisbesuch mit einem Medikament herausgehen zu müssen. Wir alle wissen, dass es manchmal wesentlich sinnvoller ist, den Patienten zu einer gesünderen Lebensweise zu bringen und ihm klar zu machen, dass Bewegung und eine andere Ernährung wesentlich effektiver sind als das teure Medikament.
Diese Entscheidung und diese Beratung werden angesichts des Wettbewerbsdrucks zwischen den Ärzten und den ärztlichen Praxen teilweise nicht umgesetzt. Wir vertreten in unserem Antrag die Auffassung, dass sich unter medizinischem Verständnis stärker eingebracht werden muss und dass man nicht Wettbewerbsgründen nachgeben darf.
Sie haben den Versandhandel angesprochen. Ich kenne die Debatte, die in vielen Bereichen lang und breit geführt wird. Wir haben sehr deutlich gesagt, dass wir den Versandhandel zulassen wollen - aber nur mit klaren Qualitätsstandards. Wir möchten nicht, dass der Versandhandel das Versandhaus wird, bei dem man ohne weiteres Zugang zu schwersten Medikamenten hat.
Eines ist klar - und das wissen Sie auch -: Wir entsprechen damit exakt einer Forderung des Runden Tisches beim Bundesgesundheitsministerium - und zwar des letzten Runden Tisches -, bei dem sich alle Akteure in dieser Frage einig waren und gesagt haben, dass der Internet-Versandhandel zugelassen werden soll. Ich sage noch einmal ergänzend: allerdings mit Qualitätsstandards und Qualitätsmerkmalen.
- Es sitzen doch auch Ihre Interessenvertreter mit am Runden Tisch und tragen diese Entscheidung mit. Das wird von den Ärzten, von den Verbänden und von den Kassen mitgetragen. Es ist doch keine sozialdemokratische Erfindung, die ich hier vorbringe. Der Versandhandel ist inzwischen in Belgien, in Holland, in Irland, in England und zum Teil in der Schweiz sowie in den Vereinigten Staaten gang und gäbe. Er ist auch nicht unter der Überschrift „europäisches Recht“ zu verhindern. Es wird jede Klage verloren werden, wenn sich Deutschland nicht den europäischen Normen anpasst. Deshalb sind wir für die Öffnung unter gleichzeitiger Vorgabe der Standards.
Als letzten Punkt möchte ich erwähnen, dass die Krankenversicherungskarte hin zu einem Gesundheitspass oder zu einer Gesundheitskarte entwickelt werden soll. Ich sage deutlich: auf freiwilliger Basis. Dass das ein Stück Patientensicherheit ist, kann niemand bestreiten. Es muss endlich ein Instrument gefunden werden, mit dem bei einem Patienten, der sich von einem Arzt zum anderen bewegt oder der in die Apotheke geht und dort ein freiverkäufliches Medikament erwirbt, festgestellt werden kann, welches Präparat er gegenwärtig nimmt, welche Wirkstoffe er in sich hat, welche Wechselwirkungen entstehen und ob das Medikament gefährlich ist oder nicht. Wir alle kennen Beispiele, in denen Patientinnen und Patienten vor operativen Eingriffen entgiftet werden müssen,
weil sie bei unterschiedlichen Ärzten gewesen sind, die davon nichts wissen, mehrfach sogar den gleichen Wirkstoff verordnet bekommen haben und deswegen völlig überbelastet sind. Ein solches Gesundheitswesen ist für den Betroffenen nicht gesund. Da muss etwas geschehen.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass der Patientenpass auf freiwilliger Basis ein gutes Instrument ist. Dieser Patientenpass - um auch das klar zu machen - wurde vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung - weil Sie gerade gefragt haben, wer in Berlin regiert - von der Bundesgesundheitsministerin, der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sowie den privaten und gesetzlichen Krankenkassen als gemeinsame Linie vereinbart. Die Einzige, die das nach dem Redebeitrag nicht wahrhaben will, ist die CDU-Fraktion.
- Sie haben das sehr kritisch gesagt. - Wir sind an dieser Stelle wesentlich weiter, weil wir uns hinsichtlich der Bedeutung und Nutzung des Patientenpasses mit großen gesellschaftlichen Gruppen im Einklang befinden. Insofern kann ich Ihnen nur sagen, dass die meisten Positionen, die in diesem Antrag vertreten werden, durchaus schon einmal Positionen der CDU gewesen sind. Unter Wahlkampfgedröhne vergessen Sie alles, insbesondere das, was Herr Seehofer früher gemacht hat.
- Ich kann das nur in Erinnerung rufen. Wenn das nicht so ist, ist es ja noch viel besser, Frau Kollegin. Dann werden wir im Ausschuss einvernehmliche Beratungen haben. Darauf freue ich mich. Das steht im Widerspruch dazu, was Frau Zachow hier vorgetragen hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier bewusst unterstrichen, dass wir nicht den Versandhandel aus dem Ausland propagieren,
und ich habe bewusst deutlich gemacht, dass die Qualifikation der Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland bisher nicht berücksichtigt wird. Deshalb bitte ich Sie, hier nicht wider besseres Wissen solche boshaften und böswilligen Reden zu halten, die damit überhaupt nichts zu tun haben.