Protocol of the Session on May 16, 2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsi- dent!)

Zur heutigen Tagesordnung einige kurze Anmerkungen: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 14 - Aktuelle Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.50 Uhr enden.

Ich möchte Sie noch auf eine Veranstaltung hinweisen: In der Portikushalle wird Ihnen um 14.15 Uhr das Blasorchester der Musikakademie in Perm eine Darbietung bringen. Ich empfehle diese Veranstaltung Ihrer Aufmerksamkeit, vor allem Ihren Ohren.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Finanzminister Aller, von der Fraktion der SPD Herr Collmann, Herr Groth, Frau Merk sowie Frau Dr. Andretta und von der Fraktion der CDU Frau Pruin vormittags.

Wir sind damit bei

Tagesordnungspunkt 14: Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde liegen drei Beratungsgegenstände vor:

a) Ministerpräsident Gabriel erdrückt den ländlichen Raum - Menschen in der Fläche wieder Luft zum Atmen geben - Antrag der Fraktion der CDU Drs. 14/3377 -, b) Schicht im Schacht? Endlich ernst machen mit der vergleichenden Endlagersuche in der gesamten Bundesrepublik! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Dr. 14/3382 und c) Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt Tariftreue jetzt sichern - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/3384.

Es stehen insgesamt 60 Minuten Redezeit zur Verfügung, die gleichmäßig auf die drei Fraktionen aufzuteilen sind. Das heißt, jede Fraktion kann höchstens über 20 Minuten Redezeit verfügen. Wenn mehrere Themen zur Aktuellen Stunde vorliegen - so wie heute -, bleibt es jeder Fraktion überlassen, wie sie ihre 20 Minuten für die einzelnen Themen verwendet. Jeder Redebeitrag - auch von Mitgliedern der Landesregierung - darf höchstens fünf Minuten dauern. Nach vier Minuten Redezeit werde ich durch ein Klingelzeichen darauf hinweisen, dass die letzte Minute der Redezeit läuft. Erklärungen und Reden dürfen nicht verlesen werden.

Ich eröffne die Beratung zu

a) Ministerpräsident Gabriel erdrückt den ländlichen Raum - Menschen in der Fläche wieder Luft zum Atmen geben - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3377

Das Wort hat der Abgeordnete Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich zitiere jetzt nicht die CDU-Landtagsfraktion, sondern den Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund,

(Zurufe von der SPD)

der davon spricht, dass ein Schließungsrausch über Niedersachsen geht und immer mehr Behörden, Einrichtungen und infrastrukturell notwendige Institutionen des ländlichen Raumes vernichtet werden. Es gibt in Niedersachsen einen Abzug von Behörden. Wenn mal etwas Neues, Innovatives eingeführt wird - wie das elektronische Mahngericht -, geht es in einen Ballungsraum.

Die Zusage des Ministerpräsidenten, wenigstens im Landes-Raumordnungsprogramm eine Bestimmung vorzusehen, damit der ländliche Raum bei Behördenstandorten berücksichtigt werden soll, fehlt gänzlich. Wir haben das gestern gehört.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!)

Niedersachsen hat die geringste Polizeidichte Deutschlands, und in Flächenlandkreisen, in großen Räumen, ist nachts gerade noch ein Polizeifahrzeug im Einsatz. Es gibt einen Rückzug der Sparkassen. Der Ministerpräsident ist völlig falsch aufgestellt, wenn er meint, man könne die Probleme in diesem Bereich lösen, indem man die Vergabegrenzen bei Krediten anhebt und dann Basel II beispielsweise gar nicht anwendbar sei. Es geht nicht um die Zinskonditionen für mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum, sondern es geht letztlich darum, ob sie im ländlichen Raum überhaupt noch eine Sparkasse oder eine Genossenschaftsbank vorfinden, die ihnen Kredite gibt.

(Möhrmann [SPD]: Jedenfalls finden sie kaum noch eine Privatbank vor!)

- Herr Möhrmann, wir erleben in diesen Tagen eine Initiative Ihrerseits, die zur Beratung ansteht, um den Apotheken durch Förderung des Versandhandels und durch die Abschaffung der Bevorratungspflicht für Impfstoffe den Garaus zu machen. Wir erleben, dass Sie im Bundeskabinett in diesen Tagen die Bedingungen für Buchhandlungen verschlechtern und für Buchklubs einseitig begünstigen. Als dann der deutsche Kulturstaatsminister Nida-Rümelin gefragt wurde, ob das nicht zum flächendeckenden Aus für Buchhandlungen führt, hat er wörtlich erklärt: Wenn das so käme, könnte man das Gesetz ja wieder ändern. - Das ist Ihr Umgang mit Institutionen und Einrichtungen in der Fläche Deutschlands und Niedersachsens!

(Beifall bei der CDU - Frau Pawelski [CDU]: So ist es!)

In den letzten Jahren wurden im ländlichen Raum zehn Krankenhäuser geschlossen. Die Tatsache, dass Sie die zweitgeringsten Investitionskostenzuschüsse in Deutschland zahlen, führt dazu, dass wir auf die Folgen der Fallkostenpauschale am allerwenigsten vorbereitet sind. 30 % der Krankenhäuser in der Fläche Niedersachsens stehen in Gefahr, bis 2012 geschlossen zu werden. Sie tun überhaupt nichts dagegen.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt haben Sie die Schließung von 117 Lotto/Toto-Annahmestellen gebilligt und abgesegnet. Man könnte sich fragen, was das den Niedersächsischen Landtag angeht; das sei eine Frage von minderer Bedeutung. Aber wenn Sie in die kleinen Dörfer und Gemeinden Niedersachsens gehen, dann werden Ihnen die Leute sehr schnell sagen, dass die Existenz einer Kneipe oder eines Dorfladens gerade an dieser Einrichtung hängt, weil die Menschen dadurch im ländlichen Raum verbleiben, verweilen und Geschäfte tätigen.

Jetzt gibt es die Entwicklung, dass die Kommunen Niedersachsens existenziell in Gefahr gebracht werden. Sie kürzen den kommunalen Finanzausgleich jährlich um 500 Millionen Euro.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Das hat zur Folge, dass gerade die Struktur der kreisangehörigen Gemeinden nicht so bleibt, wenn wir die Politik nicht grundlegend verändern. Manche Gemeinde in Niedersachsen liegt geografisch mittendrin, aber infrastrukturell voll daneben, weil Sie die Mittel für den Landesstraßenbau um 70 % gekürzt und das Radwegeprogramm an Landesstraßen gestrichen haben. Beim Schienenverkehr wird mancher Ort zur Durchfahrtsstation anstatt zum Haltepunkt.

Ich fordere Sie dazu auf, dass wir im Landtag einen Konsens über die Wichtigkeit des ländlichen Raums erzielen und gegebene Zusagen auch einhalten. Herr Gabriel hat am 8. Dezember 2000 erklärt, dass er und Uwe Bartels entschieden hätten, „das bisherige Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufzuwerten und zu einem Ministerium für den ländlichen Raum zu entwickeln.“ Als wir dies eingefordert haben, Herr Minister Bartels, haben Sie es lächerlich gemacht und zurückgewiesen. Die Absicht, das Ministerium aufzuwerten und zu einem Ministerium für den ländlichen Raum zu machen, stammt von Ihrem Ministerpräsidenten. Wir erwarten, dass Zusagen in diesem Land auch eingehalten werden!

(Beifall bei der CDU)

Wir haben dieses Thema zur Aktuelle Stunde angemeldet, weil wir vermeiden möchten, dass es durch Ihre Art, über Gutachten zu reden, zu einer völlig falschen Gewichtung kommt. Sie verniedlichen, wenn Sie erklären, dass im ländlichen Raum mehr Kinder seien. Das hat nie irgendjemand

bestritten. Darauf haben wir immer hingewiesen. Sie haben aber geringen Anteil daran, Herr Plaue, dass im ländlichen Raum mehr Kinder sind als in der Stadt Hannover.

(Möhrmann [SPD]: Sie haben wahr- scheinlich einen großen Anteil daran! - Plaue [SPD]: Welchen Anteil haben Sie denn daran, Herr Kollege? Sie le- ben doch gar nicht im ländlichen Raum!)

Sie erklären außerdem, dass wir im ländlichen Raum mehr Mittel von der Europäischen Union verteilen könnten. Sie verschweigen aber die Wahrheit, Herr Plaue. Sie verschweigen, dass Bayern deswegen wenig Mittel von der Europäischen Union bekommt, weil sich der ländliche Raum dort gut entwickelt hat, während er sich in Niedersachsen am schlechtesten entwickelt hat. Deswegen fließen hierher mehr Fördermittel.

(Beifall bei der CDU)

Sie verschweigen, dass gerade 11 % der Mittel, mit denen Sie sich immer profilieren wollen, aus dem niedersächsischen Haushalt stammen - 11 %; der Nachweis ist in der letzten Debatte hierzu gerade geführt worden – und dass diese Mittel 2006 auslaufen. Sie sollten weniger selbstgerecht sein. Ihr Kollege Mientus hat im letzten Plenarsitzungsabschnitt gefragt: Wo haben wir uns bisher Gedanken darüber gemacht, dass die Strukturhilfemittel 2006 auslaufen? – Die Antwort gibt Ihr Kollege Mientus selber: Nirgends! – Nirgends hat sich die Landesregierung Gedanken darüber gemacht, dass die Strukturhilfemittel 2006 im Zusammenhang mit der Osterweiterung der Europäischen Union wegfallen bzw. nach neuen Bedingungen vergeben werden. Auf diese Situation müssen wir unsere ländlichen Räume vorbereiten. Dafür tun Sie aber nichts. Das ist das Problem, das wir mit Ihnen haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Plaue.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wulff, das war wieder einmal überhaupt nichts.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Sie tragen Ihre sattsam bekannten Vorurteile wie eine Monstranz vor sich her, nehmen die Fakten aber nicht zur Kenntnis – nach der Melodie, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Herr Kollege Wulff, wen wollen Sie eigentlich davon noch überzeugen? - Selbst die Wahlkampfsprüche, die Sie draußen im Lande machen, nehmen die Menschen doch nicht mehr zur Kenntnis,

(Busemann [CDU]: Kommen Sie doch endlich einmal zur Sache!)

weil sie merken, dass die Wirklichkeit in Niedersachsen zum Glück eine ganz andere ist. Diese Wirklichkeit erklärt die ländlichen Räume zu Gewinnern der Regionalentwicklung der vergangenen Jahre, aber nicht zu Verlierern, wie Sie dies suggerieren wollen.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Das hat etwas damit zu tun, Herr Kollege Wulff, dass Sie sich in Bayern offensichtlich besser auskennen als in Niedersachsen. Wenn Sie darauf hinweisen, wie gut es angeblich in Bayern sei, dann frage ich Sie, woran es denn eigentlich liegt, dass Niedersachsen das einzige Bundesland ist - das gilt insbesondere für die ländlichen Räume -, das eine positive Bevölkerungsentwicklung durch Zuwanderung zu verzeichnen hat. Wenn das stimmen würde, was Sie sagen, müssten die Menschen nach Bayern, nicht aber nach Niedersachsen ziehen. Umgekehrt ist das aber richtig: Die Menschen vertrauen der Infrastruktur, die wir hier in Niedersachsen haben.

(Beifall bei der SPD)

Man könnte sich in aller Ruhe auf den Standpunkt stellen, dass es sich hierbei um das typische Gerede eines Oppositionsführers handelt.