Christian Schäfer
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Last Statements
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst noch einmal ein, zwei Worte zum 8. Mai 1945 zu sagen, dem man, wie ich finde, mit dem Begriff Tag der Befreiung nicht ganz gerecht wird. In der Tat haben die Deutschen das damals zu einem großen Teil gar nicht als Befreiung gesehen. Ich habe neulich einen Artikel zu der Geschichte, eine Umfrage aus dem Jahr 1949 gelesen. Da haben auf die Frage, finden Sie es richtig, dass Juden, Osteuropäer und Behinderte in Konzentrationslagern vernichtet wurden, um die Interessen des deutschen Volkes zu schützen, fast 40 Prozent mit ja geantwortet.
Das heißt, dass die Geschichte des Nationalsozialismus nicht am 8. Mai 1945 zu Ende ist, sondern menschenverachtendes Denken, Rassismus und die Bereitschaft zu Kulturbrüchen sind weit hineingetragen worden in die Geschichte der beiden deutschen Staaten, auch weit über die vierziger Jahre hinaus. Wir haben in den fünfziger und sechziger Jahren, ich bin in den siebziger Jahren zur Schule gegangen, immer noch damit zu tun gehabt. Es gibt kein Datum, an dem das aufgehört hat, wir müssen immer wachsam bleiben.
Wir haben auch andere Menschenrechtsverletzungen in der deutschen Geschichte gehabt, und jetzt komme ich einmal auf diese sozialistische, geradezu Kühnert’sche Idee der Residenzpflicht. Eine solche Residenzpflicht hat es gegeben in Deutschland, nämlich in der DDR. Die Menschen machen das nicht mit, die lassen sich nicht zwingen, die gehen weg. Die SED, die sich nach der Umbenennung und Fusion heute DIE LINKE nennt, hat vor etwas mehr als dreißig Jahren Menschen erschießen lassen, wenn sie dieser Residenzpflicht nicht nachkommen wollten.
Warum gehen Leute weg? Die Leute gehen weg, weil die Bedingungen nicht mehr stimmen. Wir haben sowohl in Bremen als auch in Deutschland insgesamt ein Immigrationsproblem. Wir haben hier neulich über Medizin geredet, über die Idee, ob wir in Bremen einen Studiengang Medizin einführen sollen. Wussten Sie, dass zahlenmäßig 25 Prozent der Medizinstudentinnen und -studenten, also der Absolventen eines Medizinstudiums in Deutschland, 25 Prozent dieser Zahl jedes Jahr in andere Länder immigriert, um dort den Beruf des Arztes auszuüben, weil die Bezahlungs- und Abgabebedingungen in Deutschland so schlecht sind?
Ein Chefarzt in einem Krankenhaus in Deutschland verdient netto weniger als ein LKW-Fahrer für Walmart in den USA. Also, wer will die motivieren, hier zu bleiben?
Wir haben natürlich auch in Bremen ein Immigrationsproblem, weniger, dass die Leute hier hinein pendeln, weil die Arbeitsplätze da sind. Ja, wir haben eine starke Wirtschaft in Bremen. Ja, wir haben Arbeitsplätze dazugewonnen, das ist alles ganz gut. Aber die Leute gehen aktiv weg. Wenn Sie den Monitor der Hans-Böckler-Stiftung, die ist SPDnah, wenn Sie betrachten, was da in der letzten Woche an Migrationsbilanzen aus Städten und ländlichen Kreisen zu lesen war, da war auf der Deutschlandkarte, außer dem Ruhrgebiet, Bremen und Bremerhaven rot gemarkert.
Gut, also die Leute gehen hier weg, zwischen 200 und 300 Personen pro 100 000 Einwohner, weil sie es hier einfach unattraktiv finden. Das Wanderungssaldo, Asyl und Einwanderung aus dem Ausland ausgenommen, ist in Bremen negativ, die Leute gehen aktiv weg, weil sie keine vernünftigen Schulen finden, weil die medizinische Versorgung schlechter ist, weil alle Rahmenbedingungen schlechter sind. Das ist das Ergebnis von siebzig Jahren SPD.
Um zu dem Thema Einkommen zu kommen: Natürlich hat sich das Einkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten negativ entwickelt. Das hat drei Gründe. Das eine ist, dass das Einkommen in den letzten zwanzig, dreißig Jahren generell nicht so stark gestiegen ist, wie es vielleicht wünschenswert gewesen wäre. Das Zweite ist aber die Abgaben- und Steuerpolitik. Während die Steuerbelastung für die Unternehmen immer weiter gesenkt wurde, ist die Abgabenbelastung für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weiter gestiegen. Wir haben die Beitragsbemessungsgrenzen immer mit der Gehaltsentwicklung nach oben angepasst, die Stufen für die Steuerprogression aber nicht. Das heißt, Sie kommen kaufkraftbereinigt heute in den Genuss des Spitzensteuersatzes bei der Hälfte des Einkommens, das noch vor dreißig Jahren nötig
war. Wenn Sie das mit anderen umliegenden Ländern vergleichen, haben Sie mit dem gleichen Brutto erheblich weniger netto in Deutschland als in jedem beliebigen Nachbarland, außer vielleicht in Belgien.
Auch dazu gab es im Focus im letzten Artikel eine schöne Gegenüberstellung, da wurden Nettogehälter in Deutschland mit denen in Österreich verglichen. Ich habe das in einer früheren Rede hier schon einmal erwähnt, gerade im Bereich des Niedriglohnsektors oder der geringen Einkommen in der Höhe von 2 000 oder 3 000 Euro brutto im Monat haben Sie in Österreich über zehn Prozent mehr netto. Ganz nebenbei bekommen Sie auch eine Rente, von der Sie leben können und die Sie nicht in eine staatlich gesteuerte Altersarmut stürzt, weil Sie verpflichtet sind, Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen in einem System, das wenig mehr als die Grundsicherung leistet.
Wir sind aufgefordert, bundesweit an unseren Steuer- und Abgabegesetzen fundamentale Reformen vorzunehmen, um Arbeit von Abgaben und Steuern zu entlasten. In Bremen sind wir aufgefordert, Bremen als Wohnort interessanter zu machen. Das sind die Klassiker, bei denen Rot-Grün versagt, das ist die Bildungspolitik, das Thema Gesundheitsversorgung, die in Bremen erheblich schlechter ist als im Umfeld und diese anderen Dinge.
In diesem Sinne wünsche ich der neuen Regierung, an der hoffentlich die SPD nicht mehr beteiligt ist, viel Erfolg. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir hatten in dieser Woche den Earth Overshoot Day. Wir haben auf der Welt alle Ressourcen verbraucht, die wir in diesem Jahr regenerativ wieder erzeugen können, weil jetzt schon viel mehr Menschen auf diesem Planeten sind, als wir sinnvoll ernähren und versorgen können.
Wenn wir versuchen, das in monetäre Dimensionen zu fassen und sagen: Wir nehmen das Welteinkommen geteilt durch die Anzahl der Menschen, die auf diesem Planeten leben, teilen erneut durch diesen Earth Overshoot Day, verlängern das auf zwölf Monate und sagen, wir möchten unsere natürlichen Ressourcen nicht weiter verbrauchen, dann kämen wir, wenn wir die Ressourcen gerecht verteilen, auf einen Betrag von 400 oder 500 Euro im Monat, der jedem Menschen auf diesem Planeten zur Verfügung stünde.
Wir stellen also fest: Bei der Technologie, die wir heute haben, bei den Ressourcen, die wir auf diesem Planeten zur Verfügung haben, den Fischen, die in den Meeren sind, den Lebensmitteln, die wir erzeugen können, kommen wir gemessen an unserem Anspruch für ein menschenwürdiges Leben mit der Anzahl der Menschen in einen Konflikt. Nicht nur, dass wir bereits in einem Konflikt sind, dieser Konflikt verschärft sich jeden Tag, denn die Bevölkerung auf diesem Planeten wächst jeden Tag um – Frau Steiner, was schätzen Sie? – eine Viertelmillion Menschen. Jeden Tag kommen auf diesem Planeten eine Viertelmillion Menschen hinzu. Die bedeuten entweder, wir beuten unsere Ressourcen noch kompromissloser aus und zerstören unsere Umwelt, oder, wenn wir ein Gerechtigkeitsempfinden haben, es bleibt für jeden noch weniger übrig und wir drücken die Leute im Schnitt noch weit unter das Maß, das wir hier in Deutschland als Hartz-IV-Niveau bezeichnen.
Wenn wir diese Situation irgendwie in den Griff bekommen wollen, dann hilft es nur, dass wir weltweit ähnlich wie in der Klimadebatte auf eine Bevölkerungsmanagementdebatte kommen und den Zuwachs der Menschen stoppen und die Zahl der Menschen aktiv managen.
Es gibt weltweit kein einziges Land, keine einzige Religionsgemeinschaft, die für ihr eigenes Land oder für ihre Religionsgemeinschaft dieses Ziel befürwortet. Es ist kein einziges Land, außer China, das nicht ein Programm im Betrieb hat, dass die eigene Geburtenrate weiter steigert.
Das führt uns alles in ein komplettes Desaster. Wenn jemand einen Kinderwunsch hat,
kann ich das verstehen, dann ist es eine sinnvolle Maßnahme, ein Kind zu adoptieren, davon gibt es genügend.
Die Reproduktionsmedizin, jegliche politische Maßnahme, die Zahl der Geburten im eigenen Land zu erhöhen, ist kontraproduktiv, weil sie uns weiter in dem Dreiecksdilemma zwischen Gerechtigkeit, natürlichen Ressourcen und Anzahl der Menschen, durch die wir das teilen müssen, hält. Wir sind zu viele Menschen auf diesem Planeten – wir werden jeden Tag eine Viertelmillion Menschen mehr – und jede Maßnahme, die zu zusätzlichen Geburten führt, ist kontraproduktiv. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Schade eigentlich, dass Herr Erlanson die Häppchen wieder mitgenommen hat. Ich komme gleich noch einmal vorbei.
Ja, das war eigentlich der Grund. Wir haben jetzt ganz viel über Informationen geredet, über die
Frage, ob Zucker ungesund oder gesund ist, und es ist einfach so: Natürlich macht die Dosis das Gift. Wir brauchen Zucker als Treibstoff und irgendwann ist Zucker zu viel. Ich glaube aber, dass Informationen hier nicht der einzige Aspekt sein dürfen bei der ganzen Geschichte.
Nehmen wir einmal ein anderes Beispiel, nehmen wir einmal das Thema Alkohol. Da gibt es viele Leute, die sagen, ein Glas Wein sei gesund, aber wenn jemand anfängt, eine Flasche Schnaps in seinem Aktenregal oder in seinem Schreibtisch zu verstecken, und die herauszieht und sich heimlich damit betrinkt, dann kann man davon ausgehen, dass er ein Suchtproblem hat und dass er auch weiß, dass er etwas tut, das falsch ist. Deswegen versteckt er es ja. Er ist sich seiner Handlungsweise bewusst, aber er kann nun einmal nicht anders, es ist eine Sucht.
Der deutsche Begriff für Adipositas ist Fettsucht. Fettsucht ist natürlich ein etwas unzutreffender Begriff, denn es geht hier nicht um die Fettsucht, die Sucht nach Fett, sondern es ist eine Esssucht. Es ist eine Essstörung, eine Krankheit. Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon mit adipösen Menschen zu tun hatte, wir haben ja den einen oder anderen hier im Hause, der da an der Grenze ist, und wir kennen das vielleicht aus dem familiären Umfeld, aus dem Freundeskreis.
Womöglich kennen Sie die Beobachtung, dass die Leute ihr Essverhalten vor sich selbst und vor ihren Freunden und ihrer Familie verstecken. Da werden Dinge gekauft, von denen man genau weiß, dass sie ungesund sind, dass sie zu viele Kalorien haben, und dann werden sie versteckt oder sie werden angebrochen und in einem Anfall der Klarheit wieder entsorgt und weggeworfen. Um es kurz zu machen: Esssucht ist eine Störung, eine Krankheit, die verschiedene mögliche Ursachen hat, auch psychische Ursachen. So eine Krankheit gehört behandelt. Eine simple Ampel, die mich informiert, wie viele Kalorien ein Nahrungsmittel beinhaltet und welche Nährstoffe darin sind, kann ja ganz gut sein, wenn ich mit dieser Information verantwortlich umgehen kann.
Aber der Punkt ist nun einmal, dass adipöse Menschen mit dieser Information nicht verantwortlich umgehen können. Die machen es nicht deshalb nicht, weil sie nicht wissen, dass das, was sie ihrem Körper da antun, ungesund ist, sondern weil sie nicht anders können, weil sie nun einmal eine Sucht haben. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie diese Debatte zu später Stunde und dass wir den Beratungsgegenstand von der Konsensliste haben nehmen lassen, aber ich finde, eine Änderung der Bremischen Landesverfassung verdient es, zumindest einmal erwähnt und nicht einfach nur innerhalb einer Konsensliste ohne besondere Nennung durchgeschoben zu werden.
Frau Präsidentin, Sie hatten in Ihrer Rede zu Ihrer Wahl etwas gesagt, ich zitiere einmal, Sie wollten eigene Fußabdrücke hinterlassen. Sie haben gesagt, was Ihnen besonders am Herzen liege, sei eine lebhafte Debatte für eine lebendige Demokratie. Ich habe mir das aufgeschrieben, weil ich finde, das kann man nur unterstützen. Das ist richtig so. Es ist etwas, das wir brauchen, und es berührt – ich weiß nicht, ob Ihnen das bewusst ist –
ein ganz großes Manko,
das wir hier in diesem Parlament haben, nämlich eine große Distanz zwischen denen hier darin und denen da draußen.
Dazu komme ich. Wenn Sie mir die Zeit dazu geben, komme ich dazu.
Wir haben in dieser Verfassungsänderung als erstes Thema den Punkt, dass wir sagen: Die Leute, die in die Deputation, in den Ausschuss entsendet werden, sollen nicht mehr gewählt, sondern ernannt werden. Dahinter steht natürlich die Erkenntnis, dass eine wirkliche Wahl ja gar nicht stattfindet. Es ist im Prinzip nur eine Liturgie. Natürlich wissen wir alle, dass die Fraktionen bestimmen, wer in diese Ausschüsse und in diese Deputationen geht, und da sagen wir: Wozu müssen wir diese Wahl eigentlich noch durchführen? Wir können das durch die Fraktionen bestimmen lassen, das ist vielleicht effektiver, das ist effizienter.
Was passiert aber eigentlich, wenn wir das weiterdenken? Was ist eigentlich mit anderen Wahlen, zum Beispiel mit der Wahl zur Präsidentin dieses Parlamentes? Auch das ist ja nicht wirklich eine Wahl, sondern es ist ein Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion und wird so durchgesetzt. Wollen wir uns das auch sparen? Was ist zudem eigentlich mit den Debatten? Auch in diesen Debatten und in Abstimmungen findet ja nicht wirklich eine Abstimmung statt, sondern in der Regel heben die Mitglieder einer Fraktion ihren Arm dann, wenn der oder die Fraktionsvorsitzende den Arm hebt. Auch das ist letztlich nur eine Liturgie, aber es ist doch unsere einzige Ausdrucksform, die wir hier in diesem Parlament haben, die wir damit sozusagen ad absurdum führen, und wir entwerten unser Parlament damit.
Des Weiteren: Was diese Ordnungsrufe betrifft, gibt es natürlich Grenzen dessen, was man sagen darf. Dafür hat man ein Strafrecht. Es gibt Volksverhetzung, es gibt Beleidigung, all das darf man nicht sagen. Im Sinne einer lebendigen Debatte, für eine lebhafte Debatte, für eine lebendige Demokratie müssen wir aber doch dafür sorgen, dass alle
Bevölkerungsgruppen in dieser repräsentativen Demokratie hier auch in diesem Parlament vertreten werden können, ohne dass es da irgendwelche Maulkörbe gibt. Dann sagen Sie natürlich: Die Würde des Parlamentes, da geht es um keinen Maulkorberlass.
Aber ich sage Ihnen, was früher die Majestätsbeleidigung war, kann jetzt womöglich die Gefährdung der Würde des Parlamentes sein. Alles, was gegen die Opposition verwendet werden kann, wird auch gegen diese Opposition verwendet. Wir stellen das im Bundestag fest, in dem die stärkste
und bedeutendste Partei der Opposition immer noch keinen Parlamentspräsidenten hat. Wir stellen das bei einem Spitzenkandidaten der Union zur Europawahl fest, der fordert, die stärkste deutsche Oppositionspartei von der Finanzierung auszuschließen. Wir stellen das fast bei einem Berliner Gericht fest, das vollkommen in Ordnung findet, dass Kinder von Mitgliedern der stärksten deutschen Oppositionspartei aus einer Privatschule ausgeschlossen werden. Meine Damen und Herren, was hat das mit Würde zu tun?
Wir können natürlich Würde reklamieren, Sie können Würde fordern, aber ich sage einmal: Ich habe noch nie so viel über Gesundheit reden gehört wie im Wartezimmer eines Arztes. Niemand interessiert sich so sehr für Geld wie jemand, der kurz vor der Pleite steht. Es ist also gewiss kein Zufall,
dass die Würde ausgerechnet in diesem Parlament eine solche Rolle spielt, denn es ist kein Geheimnis, Sie alle wissen das: Noch nach den Journalisten genießen die Politiker das geringste Ansehen aller Berufsgruppen in diesem Land und das ist kein Zufall.
Sie kommen dann und sagen, Sie möchten die Wahlbeteiligung erhöhen. Richtig so! Sie schimpfen außerdem auf Protestwähler, aber ich sage Ihnen etwas: Es ist keine Protestwahl, es ist ein Misstrauensvotum, und wenn Vertrauen fehlt, ist doch die Frage, ob die Verantwortung dafür, dass Vertrauen fehlt, bei demjenigen liegt, der das Vertrauen verloren hat, oder ist die Verantwortung bei denjenigen, die dieses Vertrauen verspielen?
Jeden einzelnen Tag! Ich sage Ihnen, Würde, die sich zusammensetzt aus Vertrauen und auch aus Respekt, lässt sich nicht qua Gesetz einfordern, und sie lässt sich nicht erreichen, indem man eine lebendige Debatte nur scheinbar führt und in Wirklichkeit die Opposition auszugrenzen versucht. Das ist nicht demokratisch. Vertrauen und Respekt muss man sich verdienen. In diesem Sinne! – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich würde gern noch einen oder zwei andere Aspekte in die Debatte einbringen.
Was wir die ganze Zeit machen ist, wir nehmen statistische Auffälligkeiten, die es eindeutig gibt und setzen diese in Relation zu individuellen Schicksalen und ziehen daraus unsere Interpretationen. Das ist natürlich immer sehr, sehr schwierig. Es gibt durchaus auch andere statistische Auffälligkeiten, auf die ich gleich komme. Dagegen werden Sie sich sicherlich wehren, dass ich diese in diesem Zusammenhang aufzeige, aber das ist eben so, wenn man statistische Auffälligkeiten verallgemeinert.
Ein weiterer Aspekt der mir in der Debatte zu kurz gekommen ist, ist die Tatsache, dass wir uns auf das Einkommen beschränken. Geld an sich hat ja keinen Wert. Geld ist nur ein Gutschein zur Verrechnung. Das einzige, das einen Wert hat, ist die Dienstleistung, die Arbeit die ich erbringe oder die Ware oder die Dienstleistung, die ich kaufe. Geld ist nichts weiter, als eine Berechnungseinheit und insofern muss Geld fließen und der Effekt, den das Ausgeben von Geld hat, der findet auf zwei Seiten statt. Auf der Einnahmenseite, auf dem Verdienst aber auch auf der Ausgabenseite, wenn ich das Geld nämlich ausgebe.
Da wundert es mich, dass das Thema Pink Tax noch nicht genannt wurde. Es ist tatsächlich so, dass Produkte für Frauen deutlich teurer sind, als vergleichbare Produkte für Männer. Also nehmen wir beispielsweise die Rasierklinge. Ich gehe davon aus, dass am Ende in den Rasierern die gleiche Rasierklinge steckt. Ein pinker Rasierer für oder gegen die Körperbehaarung kostet deutlich mehr, als ein schwarzer Rasierer für ein männliches Gesicht. Jetzt könnte man sagen: Böse Industrie, die lassen die Frauen zur Ader, weil die Frauen bereit sind, mehr Geld für solche Produkte auszugeben. Das sind die Frauen tatsächlich. Frauen sind bereit mehr für solche Produkte auszugeben. Woran liegt das im statistischen Schnitt eigentlich?
Jetzt komme ich einmal auf eine statistische Auffälligkeit, die mir zumindest spontan aus zwei Quellen bekannt ist, das eine ist die Nielsen-Studie „Women of tomorrow“ und das andere ist die altbekannte Rheingold-Studie, der zufolge international, das ist nicht nur in Deutschland so, das ist in der gesamten westlichen Welt so, 80 Prozent aller Käufe, aller Kaufentscheidungen von Frauen durchgeführt werden. 80 Prozent! Die Frauen stehen nur für ein Drittel aller Einkommen in dieser Weltregion, geben aber 80 Prozent allen Geldes aus.
Jetzt könnte ich natürlich sagen: Prima, insofern ist mir das mit dem Gender Pay Gap egal, das Geld, das ich verdiene, spielt keine Rolle. Die erste Hälfte nimmt der Staat und die zweite Hälfte nimmt meine Frau. Ganz so ist es nicht, etwas gebe ich selbst auch aus, aber in der Tat ist das so: Wir haben einen Ausgaben Gap der Männer gegenüber den Frauen. Die Frage ist: Was macht eigentlich mehr Spaß, das Geld zu verdienen oder das Geld auszugeben? Tatsächlich gibt es da geschlechtliche Unterschiede und auch dazu gibt es Untersuchungen. Frauen entspannen sich beim Geldausgeben, während das für Männer ganz häufig eine Stresssituation ist.
Ich will das nicht verallgemeinern, ich bin tatsächlich der Meinung, dass jedes Individuum individuell wahrscheinlich ein völlig unterschiedliches Verhältnis zum Thema Verdienst, Geld, Ausgaben, Präferenzen hat. Es gibt aber in der Tat, und das mag die Gender-Ideologie vielleicht nicht so gern hören, auf statistischer Ebene geschlechtsbezogene Auffälligkeiten und Abweichungen. Über
eine große Anzahl von Frauen, gibt es andere Präferenzen, als über eine große Anzahl von Männern.
Das gilt, was die Ausgaben und die Bereitschaft Preise zu zahlen angeht, genauso, wie die Frage: Möchte ich Überstunden machen oder möchte ich lieber Qualitätszeit mit meiner Familie verbringen, fokussiere ich mich auf die Karriere oder fokussiere ich mich auf andere Dinge, die mir wichtig sind. Da gibt es geschlechtsspezifische Differenzen und ich glaube, die werden die relativ marginale Abweichung von sechs Prozent hinreichend erklären, wenn man das untersucht.
Ich zumindest sehe keine strukturelle Diskriminierung von Frauen. Es ist mir in meinem gesamten Berufsleben noch nicht vorgekommen, dass ich Zeuge davon geworden bin, dass in einer Firma eine Frau auf einer gleichen Stelle schlechter bezahlt wurde, als ein Mann. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gerade gefragt, ob ich eigentlich selbst ein armes Kind war. War ich ein armes Kind, weil meine Eltern in den ersten Jahren meiner Kindheit weniger verdient haben als die Hälfte dessen, was der Durchschnitt verdient hat? War ich ein armes Kind, weil meine Eltern sich keinen Fernseher leisten konnten – gut, das war vielleicht damals normal – keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank? Oder war ich vielleicht gar kein armes Kind, weil meine Eltern eine gewisse Bildung hatten, eine gewisse kulturelle Ressource, aus der sie schöpften, weil sie dafür gesorgt hatten, dass ich anständig geimpft war, dass ich anständig ernährt wurde? Meine Mutter hat für mich gekocht, man hat auf meine Bildung geachtet, man hat mich zur Schule geschickt, dafür gesorgt, dass ich etwas lernte.
Wenn wir uns heute das Thema Kinderarmut anschauen, wie es die OECD zum Beispiel betrachtet, dann stellen wir fest: Ja, wir sind hier in Deutschland offensichtlich ein Problemgebiet, weil die Kinderarmut in Deutschland im Gegensatz zum OECD-Trend überdurchschnittlich steigt. Aber mir greift diese Diskussion, was das Pekuniäre angeht, was das Geld angeht, zu kurz.
Im Ruhrgebiet gab es beispielsweise eine Untersuchung über Gesundheit. 80 Prozent aller Kinder in bürgerlichen Vierteln sind gesund, in prekären Stadtvierteln sind es nur 10 bis 15 Prozent. Wenn wir uns anschauen, was für Gesundheitseinschränkungen das sind, dann finden wir dort chronische Krankheiten. Gut, das mag direkt armutsbezogen sein. Wir finden aber zum Beispiel auch Probleme durch mangelhaften Impfschutz. Wir haben hier eine Krankenversicherung, kein Mensch muss aus pekuniären Gründen seinen Kindern einen mangelhaften Impfschutz angedeihen lassen. Wir sehen ganz erheblich Probleme mit Überernährung, Übergewicht, Fehlernährung. Wir sehen motorische Defizite, weil die Kinder irgendwo vor dem Fernsehen geparkt werden.
Und wenn wir uns das weltweit anschauen, dann stellen wir fest, es gibt nun einmal arme Milieus, beispielsweise das Milieu der vietnamesischen Einwanderer in den USA, die viel weniger materielle Ressourcen zur Verfügung haben als der Durchschnitt, die aber so ausgeprägte Familienwerte haben und einen solchen kulturellen Zusammenhalt, dass sie ihre Kinder vor den Auswirkungen dieser Armut nachhaltig schützen. Die nachkommenden Generationen der vietnamesischen Einwanderer in den USA sind extrem erfolgreich. Ähnlich ist es im Übrigen in Europa bei dem Nachwuchs der Landwirte zu beobachten, die auch grundsätzlich weit weniger verdienen als der Durchschnitt, aber über hohe kulturelle Kompetenz dafür sorgen, dass aus ihrem Nachwuchs etwas wird.
Worauf ich hinaus will, ist, dass die Diskussion, wie viel Geld jetzt pro Kind ausgegeben wird, zu kurz greift. Kinder brauchen Bildung, Kinder brauchen einen kulturellen Background, und da reicht es nicht, wie es in Entwicklungsländern mit bestimmten Programmen gemacht wird, dass jedes Kind einen Laptop bekommt. So ein 100-Dollar-LaptopProgramm gibt es da in der Entwicklungshilfe. Es gibt in den skandinavischen Ländern die Überlegung, allen Kindern einen Gratis-PC und einen Gratis-Internetzugang bereitzustellen. Das reicht nicht. Wir müssen an den kulturellen Defiziten der Eltern ansetzen, die wir massiv in dieser Gesellschaft vorfinden. Wir haben Bildungsdefizite, wir haben soziale Defizite, und wir müssen das Thema Bildung viel ganzheitlicher betrachten, als wir das heute unter ökonomisierten Berufserfordernisgesichtspunkten tun. Armut ist nun einmal im Zweifelsfall auch eine kulturelle Armut und nicht nur eine finanzielle. Ich gebe zu, das finanzielle Element ist ein wichtiger Aspekt, aber er greift aus meiner Sicht viel zu kurz. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jeder, der arbeitet, macht Fehler. Das ist in jedem Beruf so, das macht ein Politiker, das macht ein Senator, das macht ein Unternehmer. Fehler zu machen, ist ein Bestandteil einer jeden Arbeit. Der Trick ist, zu erkennen, wenn Fehler gemacht werden, zu diesen Fehlern zu stehen und diese Fehler rechtzeitig zu korrigieren. Denn je länger man eine falsche Entscheidung unkorrigiert lässt, desto größer ist der Schaden, der letztlich entsteht, desto größer ist der Zeitverlust, den man hat, und desto weniger Möglichkeiten hat man, zu korrigieren.
Dass der OTB ein Fehler sein würde, war uns allen ganz, ganz lange bewusst. Ich bin jetzt seit annähernd vier Jahren in diesem Parlament. Eine meiner ersten Reden zu diesem Thema war er eine dezidierte Analyse des Prognos-Gutachtens mit entsprechenden Zahlen, die ich damals hier vorgetragen habe. Ich will uns jetzt ersparen, diese zu wiederholen, dass ganz deutlich war, dass dieses Prognos-Gutachten falsch war, dass die Annahmen falsch waren. Es hat gar nicht so sehr mit der Deckelung zu tun, sondern es hatte etwas mit der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der Windwirtschaft in Bremerhaven zu tun, die im Übrigen in den letzten vier Jahren nicht besser geworden ist.
Die technische Entwicklung ist vorangeschritten, Herr Eckhoff hat das gesagt, der Preisdruck wird größer, die Wirtschaftlichkeit der Anlagen wird größer, die Generatorengenerationen sind vorangeschritten, die in Bremerhaven ansässigen Firmen sind mittlerweile weit abgehängt. Wir hätten das alles vor vier Jahren wissen können. Wir hätten auch wissen können, dass dieser OTB im Gerichtsverfahren scheitern wird, und wir hätten rechtzeitig überlegen können, was man stattdessen macht. Aber heute noch tun Sie so, als ob das alles richtig wäre, und Sie verschlafen die Möglichkeiten, zu korrigieren.
Die CDU tut so, als ob man das einfach in einen Schwerlast-Terminal umwidmen könnte, bei dem uns allen auch begreiflich ist, dass das nicht passieren wird. Wir müssen diesen falschen Weg beenden, und wir müssen die Ressourcen, die wir haben, nutzen, um uns auf das schwere Wetter vorzubereiten, das noch kommt. Ich stimme Ihnen zu, der Hafen in Bremerhaven ist der wesentliche Bestandteil der Wirtschaft. Die Menschen verdienen ihr Geld im Hafen. Womit wird denn dort im Moment Geld verdient? Was wird denn dort im Moment umgeschlagen? Das sind Autos. Glauben Sie, dass das so weitergeht?
Ich rede hier noch nicht einmal von der Diesel-Thematik auf den europäischen Märkten. Was glauben Sie, was der Brexit mit den Autoexporten macht? Was glauben Sie, was der drohende Handelskrieg mit den USA macht? Was glauben Sie, was die Umstellung auf Elektromobilität macht, wenn die Komponenten in China gefertigt werden? Da entstehen Risiken und Schwierigkeiten, die wir zu meistern haben. Und wenn Herr Prof. Dr. Hilz sagt: Was nun? Dann würde ich sagen: Lassen Sie uns darauf vorbereiten. Lassen Sie uns Konzepte entwickeln, wie wir den Hafen zukunftssicher machen, und lassen Sie uns nicht weiter auf einem Pferd sitzen, das längst tot ist. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sozialversicherungen in Europa zu harmonisieren wird ein schwieriges Unterfangen, weil die Sozialversicherungen in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedliche Schnittstellen zu den einzelnen Steuersystemen haben. Bei der Gesamtfinanzierung gibt es durchaus Divergenzen. In dem einen Land werden bestimmte Dinge aus Arbeitgeberbeiträgen finanziert, in anderen Ländern ist das paritätisch. In anderen Ländern, wie beispielsweise Italien, wird die komplette Krankenversicherung aus Steuermitteln finanziert.
Wenn Sie das harmonisieren wollten, müssten Sie die kompletten Steuer- und Sozialversicherungsregeln in allen europäischen Ländern harmonisieren. Viel Spaß. Da sehe ich einigen Widerstand bei den Ländern, die betroffen sind. Denn mitnichten ist das so, dass wir uns mit breiter Brust hinstellen können und sagen, wir haben hier ein besonders gutes Sozialsystem.
Unser Sozialsystem ist, wenn man es direkt mit anderen europäischen Systemen vergleicht, in vielerlei Hinsicht defizitär. Die Abgabenquote, insbesondere durch die Sozialabgaben, ist in Deutschland so
hoch wie nirgendwo sonst. Ich wiederhole mich gern. Nach Belgien haben wir die höchste Abgabenquote auf Einkommen durch Arbeit in der gesamten OECD. Wenn ich uns mit unserem direkten Nachbarn vergleiche, mit Österreich, dann haben wir in dem Bereich der Niedrigeinkommen, sagen wir einmal 2 500 Euro brutto im Monat, hier in Deutschland durch die Sozialversicherungsbeiträge und Steuern ungefähr 15 Prozent weniger Netto vom Brutto als die Kollegen in Österreich.
Wenn ich weitergehe auf Besserverdienende, 90 000 Euro im Jahr, bei einem Alleinverdiener mit 90 000 Euro im Jahr hat ein Österreicher fast 7 000 Euro netto mehr im Jahr zur Verfügung als in Deutschland.
Jetzt könnte man sagen, na gut, dafür haben wir in Deutschland ein besonders großartiges System. Was soll denn daran so großartig sein? Die Rentenversicherung? Ich habe das einmal durchgerechnet. Für eine junge Frau, die heute in ihren Beruf eintritt und 2 500 Euro brutto verdient: Wenn ich das für die deutsche Rentenversicherung durchrechne, hat sie inflationsbereinigt einen Rentenanspruch von 700 Euro. Da sind wir wieder bei dieser Grundsicherung, weil unser Sozialsystem nicht funktioniert.
Die Österreicher allerdings, die Österreicher kämen auf eine Rente, die liegt bei mehr als dem Doppelten, bei mehr als dem Doppelten. Also tun wir nicht so, als ob unser Sozialsystem besonders effizient wäre. Unser Sozialsystem ist teuer, unser Sozialsystem ist ungerecht, und unser Sozialsystem verhindert, dass die Menschen adäquat für ihr Alter vorsorgen können. Nicht nur ist die Rentenversicherung Makulatur, sondern die Menschen werden so stark belastet, dass sie auch privat nicht vorsorgen können.
In der gesamten EU ist die Sparquote und die Eigentumsquote nirgendwo so gering wie in Deutschland. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendein EU-Land, das bei Sinnen ist, das deutsche System als Vorbild betrachtet. – Danke sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Dass wir alle vollkommen von unserem Sozialsystem überzeugt und begeistert sind, ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass wir Politiker uns von der Pflichtteilnahme an diesem Sozialsystemen haben befreien lassen und unsere Altersvorsorge nicht mit der gesetzlichen Rentenversicherung machen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wird Sie sicherlich nicht verwundern, wenn ich eingangs meines Beitrags auf § 16a Absatz 2 des Grundgesetzes verweise, demzufolge niemand ein Anrecht auf ein Asylverfahren in Deutschland hat, der aus einem sicheren Drittland kommt. All diejenigen, die hier im Moment ein Asylverfahren bekommen und aus einem sicheren Drittland kommen, – –. Im Prinzip dürften Hunderttausende von Asylverfahren nicht durchgeführt werden. Wenn es aber eine Gleichheit im Recht gibt, muss es auch eine Gleichheit im Unrecht geben.
Wenn wir uns schon entgegen unserem § 16a entscheiden, diesen Leuten ein Asylverfahren zu gewähren, dann verstehe ich nicht, warum wir bestimmten Menschen dieses Asylverfahren nicht gewähren und anderen ja. Ich verstehe nicht, warum ein Asylbewerber aus Ghana ein solches Asylverfahren bekommt und ein Asylbewerber aus Algerien nicht. Selbst wenn von 15 000 Asylbewerbern aus dem Maghreb und Georgien nur 500 anerkannt werden, müsste man doch die Frage stellen, was denn eigentlich mit diesen 500 ist. Was ist mit diesen 500 anerkannten Asylbewerbern, die womöglich nicht anerkannt worden wären, wenn ihre Heimatländer als sichere Herkunftsländer eingestuft worden wären? Entspricht das nicht einer Benachteiligung gegenüber Menschen aus, sagen wir einmal, Nigeria, die nach unserem Grundgesetz genauso wenig ein Anrecht auf ein Asylverfahren hätten, aber dieses eingeräumt bekommen haben?
Um es kurz zu machen, wir lehnen Ihren Antrag ab, was die Definition von sicheren Herkunftsstaaten angeht, weil er aus unserer Sicht das individuelle Recht auf Asyl unterminiert. Dennoch legen wir Wert auf die Feststellung, dass nicht nur 99 Prozent dieser Asylverfahren, die in Deutschland durchgeführt werden, völlig unnötig durchgeführt werden,
weil sie nach unserem eigenen Grundgesetz eigentlich nicht durchgeführt werden dürfen. Sie spielen auch überhaupt keine Rolle, denn wie das Asylverfahren auch ausgeht, die Menschen dürfen sowieso hier bleiben. Die Duldungspraxis ist so verbreitet, dass im Prinzip jeder, der seinen Pass verliert oder anderen Gründe vorschiebt, nicht zur Ausreise gezwungen werden kann. Darüber hinaus haben wir sogar noch ein Kontingent von 1 000 Visa zum Familiennachzug für subsidiär Geschützte pro Monat, das im Moment auch ausgeschöpft wird. Wir, um es ganz deutlich zu sagen, lehnen die Einwanderung bildungsferner Schichten unter dem Deckmantel des Asyls ab. Das Asylrecht selbst ist aber ein hohes Gut und wir wollen es für alle gleichsam erhalten. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Ich bin über das Wort Ausbildungsbetriebsquote gestolpert. Das kannte ich, ehrlich gesagt, gar nicht. Es ist ja eine Schande, wenn so wenige Betriebe ausbilden. Im Grunde genommen, zählt aber ja nicht die Anzahl der Betriebe, sondern es zählen die Anzahl der Arbeitsplätze und die Anzahl der Auszubildenden.
Wenn wir uns das einmal anschauen, dann liegt lediglich bei den kleinen Betrieben unter zehn Mitarbeitern die Ausbildungsbetriebsquote unter 50 Prozent, ab zehn Mitarbeitern beträgt die Ausbildungsbetriebsquote schon 50 Prozent, ab 50 Mitarbeitern ist die Ausbildungsbetriebsquote schon bei 70 Prozent, und bei über 500 Mitarbeitern liegt die Ausbildungsbetriebsquote schon bei über 90 Prozent. Also können wir nicht sagen, dass die bremische Wirtschaft nicht ausbildet.
Was die kleinen Betriebe unter zehn Mitarbeitern angeht, ich arbeite selbst in solch einem Betrieb, und wir hätten überhaupt nicht den Bedarf für einen Auszubildenden. Was wir in der Tat machen, ist, wir haben hin und wieder Praktikanten, und wenn gute dabei sind, kann es durchaus dazu führen, dass ehemalige Praktikanten in der Zukunft bei uns Mitarbeiter werden. Obwohl ich sagen muss, dass die Anzahl der Praktikanten bei uns abgenommen hat. Das hat auch mit dem Mindestlohngesetz zu tun, weil wir jetzt peinlich darauf achten, dass wir nur noch notwendige und keine freiwilligen Praktika mehr anbieten, aber das ist eben ein kleiner Kollateralschaden des Mindestlohns. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Irgendwie klingt die Vorstellung ein bisschen naiv, dass mir die Banken Flyer in die Hand drücken, worin steht, wir machen nur gute Sachen, keine bösen Sachen. Wir sind die Guten. Wir haben das Gütesiegel der Bürgerschaftsfraktion Bündnis 90/Die Grünen oder so etwas. Das können Sie ja machen, vielleicht ist das für die Bank eine tolle Sache. In Wirklichkeit sind die Dinge aber viel komplizierter. Das, was wir für gut oder für schlecht halten, entspricht ja unserem variierenden Wertesystem, vielleicht interessieren wir uns noch nicht einmal dafür. Herr Prof. Dr. Hilz hatte das gesagt.
Vielleicht stellen wir solche Ansprüche, aber dann sind diese Ansprüche unterschiedlich. In der Tat gibt es für all diejenigen von uns, die besondere Ansprüche haben, entsprechende Angebote. Wenn
wir Wert auf eine genossenschaftliche Einstellung legen, dann haben wir die Volksbanken, wir haben die Sparkassen, die in die lokalen Infrastrukturen investieren. Sie können zu einer Bank der Ökologiebewegung gehen, wenn Sie vorwiegend nachhaltige Energieproduktionen unterstützen wollen. Es gibt in Deutschland sogar eine Halal-Bank, die am Markt ist, wenn Sie diesbezüglich irgendwelche besonderen Vorstellungen haben.
Vor allem, was darüber hinausgeht, bleibt es Ihnen völlig unbenommen, die Geschäftsberichte der Unternehmen zu lesen, deren Produkte Sie konsumieren. Darin steht das ja alles. Sie können es recherchieren, dass die Deutsche Bank irgendwo wahrscheinlich auch einmal einen Panzer finanziert. Das ist ja kein Geheimnis. Es ist nicht so, dass das hinter verschlossen Türen stattfindet. Entweder Sie interessiert das, und Sie haben etwas dagegen, dann gehen Sie eben nicht zu dieser Bank, oder Sie sagen, es ist mir egal, für mich spielt das keine Rolle, ich möchte jemanden, der mein Girokonto verwaltet, mir gegebenenfalls einen Kredit gibt oder Zinsen anbietet.
Das ist Ihre persönliche Entscheidung, Ihre Konsumentenentscheidung. Es ist übrigens auch nicht nur bei Banken so. Es ist wahrscheinlich der Energielieferant Ihres Autos, wenn Sie eines haben, der womöglich ökologischen Gesichtspunkten aus Ihrer Sicht nicht hinreichend Rechnung trägt oder der Lieferant des Lithium-Akkus Ihres Fahrzeugs, oder wenn Sie das nächste Mal am Buffet stehen und bei den Geflügelbeinchen zugreifen, fragen Sie sich vielleicht, aus welcher Massentierhaltung dieses Geflügelbeinchen wohl stammt.
Kurzum, es ist unsere Verantwortung als Konsument, uns zu informieren. Wir können das tun. Die Informationen sind vorhanden. Hier besteht aus meiner Sicht keine Veranlassung für zusätzliche Bürokratie und schon gar nicht für grobe Vereinfachungen, die bestimmte Geschäftskonzepte unter Generalverdacht stellen, weil sie womöglich Geschäfte machen, die mit unserer persönlichen Moralvorstellung kollidieren. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die gute Nachricht vorweg: Solche Isoliermaterialien, wie sie im Grenfell Tower in London verwendet worden sind, sind in Deutschland verboten. Brennbare Materialien an der Isolierung in der Außenfassade sind nur bei Gebäuden bis zu 22 Metern Höhe zugelassen. Das ist das, was die Feuerwehr mit der Leiter noch erreichen kann. Selbst wenn sie zugelassen sind, bei niedrigen Gebäuden, sind horizontale Brandriegel vorgeschrieben, sodass sich ein Brand in einer solchen Fassade möglichst nicht ausbreiten kann. So weit die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht ist: Diese Vorschrift gilt auch in England. Das ist nämlich eine EU-Vorschrift, und noch ist Großbritannien Teil der EU. Auch im Grenfell Tower hätten diese Isoliermaterialien gar nicht verwendet werden dürfen, wurden sie aber. Was nützt mir denn eine Bauvorschrift, wenn ich sie nicht überprüfe? Das ist ungefähr genauso, wie wenn ich sage: Wir haben auf der Kurfürstenallee Tempo 50, das wird schon gutgehen, die Leute dürfen ja nicht schneller fahren. Also, ich halte mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung, weil ich weiß, dass dort eine Radarfalle steht. Wenn
wir wollen, dass Gesetze und Vorschriften eingehalten werden, dann müssen wir das überprüfen. Wenn wir hinreichende Annahmen oder Verdachtsmomente haben, dass da etwas im Argen liegen kann, dann müssen wir dem nachgehen. Meines Wissens hat es das in Wuppertal schon gegeben. In Wuppertal sind Häuser überprüft worden, bei denen man den Verdacht hatte, dass brennbare Materialien verwendet worden sind.
Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen überfragt, wie das in einem Bundesland wie Bremen funktioniert, was in dem Zusammenhang die Aktenlage ist, ob es da irgendwelche Zentralregister gibt, in denen die verwendeten Baumaterialien aufgeführt sind, in denen man das stichprobenweise überprüfen kann. Grundsätzlich halte ich aber die Idee, nicht einfach den Bauherren zu vertrauen, dass sie die Bauvorschriften schon einhalten, sondern die Einhaltung dieser Vorschrift zu überprüfen, nicht nur für sinnvoll, sondern für dringend geboten, weil ein Feuer in einem Hochhaus nun einmal eine lebensbedrohliche Situation ist, die man nicht leichtfertig auslösen sollte. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hinterher ist man immer schlauer, und so sehr es mich reizen würde, die Finanzsenatorin für irgendwelche Fehleinschätzungen in der Vergangenheit an das Kreuz zu nageln, möchte ich einfach einmal daran erinnern, wie es eigentlich war, damals vor Lehman, in der Welt und in dem Bremen, in dem wir lebten.
Wir lebten in einer Welt des Wachstums. Die Bevölkerung ist von den Sechzigerjahren bis zum Jahr 2009 von drei Milliarden auf sieben Milliarden Menschen gewachsen. Die Schwellenländer erlebten ein Wirtschaftswachstum ohnegleichen. China wurde in der Weltwirtschaft immer bedeutender. Unsere eigene Wirtschaft wuchs. Der Kalte Krieg
war beendet. Wir waren auf einem Weg, in dem die Globalisierung uns allen eine fette Rendite einbrachte.
Wir in Bremen waren ganz vorn dabei. Wir hatten Bremerhaven, es gab hier die Häfen, wir hatten unsere Schifffahrtsindustrie, unsere Reeder. Einmal ganz im Ernst, wenn wir jetzt die Uhr zurückdrehten, wer von uns würde sagen, also jetzt reden wir über Klumpenrisiken? Wir hier in Bremen, wir wollen doch jetzt nicht einseitig auf die Schifffahrt setzen, wir machen doch jetzt – keine Ahnung – Schweinezucht oder so etwas. Das haben wir nicht gemacht, wir haben auf die Schifffahrt gesetzt. Wir haben festgestellt, das funktioniert nicht.
Es war ehrlicherweise nicht ein einzelne Bank in Amerika, die das Kartenhaus zum Einstürzen gebracht hat. Lehman-Brothers war ein einzelnes Ereignis, das eine grundsätzliche Unwucht auf die Tagesordnung gebracht hat. Solch eine grundsätzliche Unwucht besteht heute noch und diese beschäftigt uns in allen unseren Diskussionen, die wir die ganze Zeit führen, auch heute Morgen. Diese Unwucht, dass in einer begrenzten Welt, auf einem begrenzten Planeten, unbegrenztes Wachstum nicht möglich ist. Wachstum geht nicht in einer Welt, die nicht mitwachsen kann, auf der wir immer mehr Menschen haben, da können wir nicht gleichzeitig das Klima schützen, die Ressourcen gerecht verteilen und alle Menschen mit Wohlstand bedenken. Diese Erkenntnis, vor der wir uns alle so fürchten und die wir alle so nach hinten schieben, die hat uns nicht nur damals gehindert, die Risiken bei der Bremer Landesbank oder bei der Nord/LB zu sehen. Das betrifft das Geschäftsrisiko unseres Geschäftsmodells unserer Republik Deutschland, unseres Geschäftsmodells Europäische Union oder unserer gesamten globalen Zivilisation. Wir laufen hier auf viel grundlegendere Probleme zu als auf die Frage, ob eine Bank Schiffsbeteiligungen im Portfolio hat, die sie nicht mehr bedienen kann.
Die Prämisse, die wir voraussetzen, dass unser gesamtes Wirtschaftssystem und unsere Gesellschaft auf Wachstum aufgebaut sind, kann nicht funktionieren. Dieser Erkenntnis müssen wir uns stellen. Das ist eigentlich das, was wir aus einem relativ begrenzten Schaden, wie es diese Landesbanken betrifft, so schmerzlich er sein mag, lernen müssen. Das ist die Lektion, die wir lernen müssen, dass wir nicht an diesen lieb gewonnen Illusionen festhalten können, dass alles immer so läuft, wie wir es wollen. Wir leben in einer begrenzten Welt. Wir werden wirtschaftliche Verwerfungen haben. Wir werden unseren Wohlstand nicht halten können. Wir
werden uns unglaublich ins Zeug legen müssen, unsere Umwelt – das betrifft nicht nur das Klima – irgendwie im Griff zu halten.
Wir tun immer so, als ob irgendeine Anlageanalyse oder irgendeine Vorstandsentscheidung oder irgendein Aufsichtsrat das lösen könnte. Das kann er nicht. Unser Geschäftsmodell ist grundsätzlich desolat, und wir werden in Zukunft lernen müssen, ein neues zu entwickeln. Die Ansätze dazu sehe ich, ehrlich gesagt, noch nicht, aber wir sind ja noch jung. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wiederhole noch einmal eine Zahl von gestern: Die Sozialleistungsquote in Deutschland liegt, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, bei 30 Prozent. Das tut
sie seit den Siebzigerjahren mit kleinen Schwankungen. Hier sind wir ziemliche Weltspitze. Jetzt könnten wir sagen: Sehr gut, wir geben ganz viel Geld für Sozialleistungen aus. Man könnte aber auch sagen, wo ist eigentlich der Erfolg dieser hohen Sozialleistungsquote, wenn weiterhin so viele Menschen als Transferleistungsempfänger von Sozialleistungen abhängig sind und wenn so viele Geringverdiener von ihrer Arbeit nicht auskömmlich leben können. Deswegen haben wir ja diese Diskussion über den Mindestlohn und so weiter, und so weiter, und so weiter.
Es gibt im Internet zwei Rechner, die Sie sich anschauen können. Das eine ist „Brutto-Netto-Rechner.info“. Dort können Sie einfach einmal ein fiktives Gehalt eingeben und schauen, was in Deutschland netto übrigbleibt. Zudem gibt es einen zweiten Rechner. Der heißt „Bruttonetto.Arbeiterkammer.at“. Dort haben Sie das Gleiche für Österreich. Hier können Sie feststellen, dass, wenn wir über geringe Einkommen reden – wir hatten das hier gestern besprochen – zum Beispiel in dem Bereich des Mindestlohns, Sie bei einem Bruttoeinkommen von 2 000 Euro im Monat in Österreich 150 Euro im Monat weniger zahlen als in Deutschland. Wenn Sie sehr viel verdienen, also ich rede von jemandem wie Ihrem Kollegen Herrn Merz, der zahlt in Österreich erheblich mehr als bei uns, weil dort ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent existiert.
Ich glaube, wenn wir den Erfolg unseres Sozialsystems bemessen wollen, dann kann man es nur daran bemessen, ob wir die Leute aus dem Transferleistungsbezug herausbekommen, in den Arbeitsmarkt integriert bekommen und ob wir der Tatsache Rechnung tragen, dass manche Leute eben weniger verdienen und auch nicht so viel abgeben können. Dies tun wir nicht richtig. Ich möchte jetzt nicht über Arbeitsmaßnahmen reden, sondern über die fiskalischen Probleme. Die Transferleistungsentzugsquote bei Geringverdienern ist abstrus. Jemand, der mit Frau und zwei Kindern von Hartz IV lebt, erhält das Gleiche wie ein Facharbeiter. Das kann so nicht sein.
Man könnte sich natürlich sehr gut über neue Systeme unterhalten. Ich kann das System mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nachvollziehen. Ich kann das mit dem Bürgergeld nachvollziehen. Ich kann auch Ihr Flat-Tax-System nachvollziehen. Wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man fest, Sie reden alle von dem Gleichen. Sie nutzen
bloß unterschiedliche Bezeichnungen. Es geht dabei im Prinzip darum, einen prozentual angemessenen Teil seines Einkommens als Abgabe zu zahlen und eine Gutschrift im fixen Bereich zu erhalten, was als negative Einkommensteuer wirkt, wenn man gar nichts verdient, und für ein Auskommen reicht.
Das bekommen wir aber nicht hin. Wir bekommen so ein System nicht von heute auf morgen umgestellt, sondern wir müssen schauen, wie wir mit dem bisherigen System arbeiten und es verbessern können. Auch dabei, glaube ich, kann ein Blick über die Grenze helfen. Wenn man sich Österreich anschaut: Denen gelingt es, die Progression in einem Bereich des Niedriglohns zu mindern, in dem ja gar keine Einkommensteuer anfällt. Dort bekommen es die Österreicher beispielsweise mit der so genannten Negativsteuer hin. In Österreich ist die Negativsteuer im Wesentlichen eine Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge.
So etwas könnte eine Maßnahme sein, die hilft, diese Progressionsungerechtigkeiten im Niedriglohnsektor anzugehen und es auch attraktiver zu gestalten, aus Hartz IV heraus einen Job anzunehmen, weil das natürlich kein Job als Gehirnchirurg oder Fachingenieur sein wird, denn die Leute sind, wenn sie Hartz IV beziehen, in der Regel niedrig qualifiziert oder gar nicht qualifiziert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die sehr hohe Einkommen erzielen werden.
Wie bekommen wir es aber hin, dass diese Menschen von ihrem Einkommen eine anständige Summe behalten können und dann substantiell besser dastehen als im Transferleistungsbezug. Wenn wir das hinbekommen, werden wir es schaffen, dass wir mehr Leute in Arbeit bekommen und dann werden wir es unter dem Strich auch schaffen, dass wir die Sozialleistungsquote von 30 Prozent gesenkt bekommen. Wenn wir die auch nur auf 28 Prozent kommen, dann haben wir schon wieder zwei Prozent des BIP, die wir für Bildung, für Straßenbau, für Brückenbau und weiteres ausgeben können. Da fallen einem noch eine ganze Menge anderer Bereiche ein.
Ich glaube, insgesamt ist es fraktionsübergreifend Konsens, dass unser System Mängel hat, aber unsere Fraktionsdisziplin und unsere eigene Terminologie verhindern, dass wir zueinanderkommen und konstruktiv an einer Reform arbeiten. Ich sehe eigentlich keinen parteiübergreifenden Ansatz hinsichtlich einer solchen Reform.
Vielleicht klären Sie mich aber ja auf. Vielleicht weiß ich das auch nur nicht. Ich glaube aber, das wäre notwendig. Ich glaube, dass wir hier an einem Strang ziehen müssen, um zu verhindern, dass unser schwerfälliges Sozialleistungssystem am Ende an sich selbst zugrunde geht, weil es einfach nicht mehr finanzierbar ist und weil es Ungerechtigkeiten beinhaltet – auch für diejenigen, die in Deutschland die höchsten Abgaben auf der ganzen Welt schultern müssen. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wer Vollzeit arbeitet, soll davon leben und für sein Alter angemessen vorsorgen können. Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Wir stellen fest: Immer mehr Menschen können das nicht, und das hat noch nicht einmal etwas mit einem Mindestlohn zu tun. Wenn ich davon ausgehe, dass ein Alleinstehender im Monat 2 100 Euro brutto verdient, dann hat er netto 1 430 Euro zur Verfügung, sein Arbeitgeber muss allerdings inklusive Sozialabgaben 2 506 Euro bezahlen. Wenn er das in Rechnung stellt, fällt auch noch eine Mehrwertsteuer darauf an, beispielsweise beim Handhandwerksbetrieb. Das heißt, insgesamt ist er bei 3 000 Euro Kosten und einer Mehrwertsteuer, die er zahlt, auf etwas, das bei demjenigen, der so wenig verdient, 1 400 Euro im Monat bedeutet.
In dem Bereich Geringverdiener haben wir eine Gesamtabgabenquote von Steuern und Sozialabgaben, die bei über 50 Prozent, bei 52 Prozent liegt. Das, meine Damen und Herren, macht das System dysfunktional. Wenn Sie zwei Leute haben, die zehn Euro verdienen, 20,00 Euro oder 100 000,001153 Reichsmark, das ist völlig egal, es
ist ja nur eine Zahl, die aber das Gleiche verdienen und der eine ist Maler, der andere ist Maurer. Der Maler möchte bei dem Maurer malen und der Maurer möchte bei dem Maler mauern, dann stellt er fest, dass der jeweils andere sich für das, was er in einer Stunde verdient, von seinem Nachbarn nur eine halbe Stunde Arbeitskraft leisten kann.
Das macht unser System so unzweckmäßig, und das macht es so schwierig, von dem, was übrig bleibt, anständig zu leben und für die Zukunft vorzusorgen, zumal ja auch unser Rentenversicherungssystem immer ungeeigneter wird. Wir haben mittlerweile die niedrigsten Renten in ganz Europa.
Meine Damen und Herren, seit 25 Jahren, seit Mitte der Neunzigerjahre, sinkt die Kaufkraft der ärmeren 40 Prozent dieser Bevölkerung. 40 Prozent ist keine Randgruppe, das ist fast die Hälfte. Bis fast ans Durchschnittseinkommen beklagen Sie, wenn Sie dazu gehören, seit 25 Jahren einen Kaufkraftverlust. Das ging los mit den Kosten der Wiedervereinigung, die haben wir gern getragen. Das ging weiter mit einer dysfunktionalen Währungsunion, die wir auch heute mit allen Anstrengungen nicht funktional bekommen haben.
Heute haben wir zusätzliche Kosten durch eine forcierte Masseneinwanderung, die wir tragen müssen. Wir bekommen für das, was wir versuchen, für die Zukunft privat vorzuhalten, keine Zinserträge mehr und das macht einen ganz großen Teil dieser Bevölkerung arm. Ob der Mindestlohn bei zehn Euro, 12,00 Euro oder 15,00 Euro liegt, spielt dabei keine Rolle. Das Problem ist, dass wir die Leistungsträger dieser Gesellschaft, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Arbeitnehmer zu stark belasten.
Darum müssen wir uns kümmern. Es kann nicht sein, dass wir in einem Bereich, von dem wir sagen, das ist eigentlich zu wenig Geld, um davon anständig leben zu können, eine so hohe Abgabenquote haben. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, dass wir höhere Steuerfreibeträge als Grundfreibeträge haben, und wir müssen darüber nachdenken, dass wir die Progression, die wir aus dem Einkommensteuerrecht kennen, auch auf die Sozialbeiträge anwenden.
Für die meisten Leute funktioniert das nämlich umgekehrt. Verdienen Sie unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze, zahlen Sie und ihr Arbeitgeber insgesamt 40 Prozent Sozialabgaben. Sind Sie Einkommensmillionär, sind Sie außen vor. Diese 40 Prozent zahlt derjenige, der 500 Euro, der 800 Euro im Monat verdient genauso wie derjenige, der 5 000 Euro im Monat verdient. Das führt dazu, dass die Gesamtprogression aus Steuern und Sozialabgaben in unserem Land so ist, dass sie bei geringfügig Beschäftigten ungefähr bei 35 Prozent anfängt, dann ganz schnell auf über 50 Prozent steigt und bei einem Single bis zu einem Monatseinkommen von 5 000 Euro bis 6 000 Euro in diesem Bereich bleibt. Danach sinkt sie wieder ab.
Bei Einkommensmillionären liegt sie bei ungefähr 45 Prozent. Das ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung. Wir haben einen großen Teil der Bevölkerung wirtschaftlich abgehängt, und ich sage es noch einmal: Das sind die Leistungsträger. Wir leben in diesem Land von dem, was unsere Arbeiterinnen und Arbeiter, unsere Arbeitnehmer mit ihrer Arbeit erwirtschaften. Das wird viel zu stark belastet. Im Übrigen, wir hatten heute Morgen das Gespräch zum Thema Infrastruktur und was das alles kostet. Es ist tatsächlich so, dass uns eine Erhöhung der Abgabenlast nicht weiterführt. Wir sind – mit Ausnahme von Belgien – bereits bei der höchsten Abgabenquote in der OECD.
Wir müssen zusehen, dass wir unser Land effizienter gestalten, und dazu gehört auch ein Umbau des Sozialsystems. Es kann nicht sein, dass wir Geringverdiener immer stärker belasten und deshalb immer stärker in Transferleistungen und in ein aufgeblähtes Sozialsystem kommen. Nur um einmal eine Zahl in den Raum zu werfen: 30 Prozent unserer gesamten Wertschöpfung, 30 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes gehen mittlerweile in den Sozialetat. Das war Anfang des Jahrhunderts schon einmal so, im Jahr 2004 schon einmal in diesem – –.
Das ist im Vergleich zu dem, was wir aus den Siebziger-, aus den Sechzigerjahren kennen, als wir Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt haben, doppelt oder dreifach so viel, und was hat es uns gebracht? Was hat es uns gebracht? Die Kaufkraft sinkt! Ich glaube, dass eines der Grundprobleme, an denen unser System heute krankt, die zu hohe Belastung von einfacher Arbeit mit Abgaben ist. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Schwimmen in der Natur, in einem Teich, in einem See, in einem Fluss oder gar im Meer ist sicherlich ein ganz besonderes Erlebnis, das beson
ders schön ist, aber auch gewisse Gefahren beinhaltet, und was die Schwimmer angeht, würde ich sagen, das ist eindeutig etwas für Fortgeschrittene.
Ich selbst habe einige Jahre an der Ostsee gelebt, direkt am Strand, und dort war das Leben im und am Wasser Teil unseres Alltags. Wir haben unsere Kinder natürlich auch an den Wassersport herangeführt und sie segeln lassen; Optimisten-Segeln war da eine große Sache. Selbst dort hat man aber bei dem Training für das Opti-Segeln beispielsweise Kentertrainings und solche Sachen in einer kontrollierten Umgebung im Schwimmbad durchgeführt, wo denn sonst, weil im Schwimmbad kann man sehen, was im Wasser und unter Wasser passiert, und dort hat man eine entsprechende Kontrolle, wenn etwas misslingt.
Die Natur ist wild. Die Natur ist unberechenbar. Sie wissen nicht, was in der Natur passiert. Ich rede jetzt gar nicht von dem offenen Meer, wo Sie Strömungen haben und Wettereinflüsse und Winde. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich hier meine erste Kanutour unternahm, als ich nach Bremen gekommen bin, das war hier an der Wümme. Dann mussten wir dort aussteigen, weil das Kanu nicht mehr vollkommen funktionsfähig und manövrierfähig war, und das Erste, was mir passiert ist, ich habe mir meinen Fuß aufgeschnitten, weil in dem Sediment des Bodens eine Scherbe oder ein spitzer Stein oder sonst etwas war. Auch das finden Sie in Badeseen und eben auch in der Natur.
Wie gesagt, das Erlebnis, in der Natur zu schwimmen, ist toll, ich kann es jedem nur empfehlen, aber Sie sollten ein sicherer Schwimmer sein, um das auszuprobieren, und um das zu lernen, dafür haben wir Schwimmbäder. In den Bädern haben wir, wie schon eingangs erwähnt, die Infrastruktur, die Umkleidekabinen, dort haben wir die Toiletten und all das, und ich finde, wir haben überhaupt gar keinen Grund, an diesem Konzept irgendetwas zu ändern. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Kann sich jemand von Ihnen noch an die Air Berlin erinnern oder vielleicht, noch länger zurück, die LTU? Die gibt es nicht mehr. Wenn Sie heute in Düsseldorf auf den Flughafen gehen, dann sehen Sie Etihad Airways und Emirates, aber nicht mehr LTU und Air Berlin. Woran liegt das? Luftfahrt ist ein internationales Geschäft, sie können das von jedem beliebigen Heimatflughafen aus betreiben, und unsere Sozialabgaben, unsere Betriebsräte und unsere Steuern sind nur bei uns so, wie sie sind, und nirgendwo sonst auf der Welt. Deswegen können Sie eine solche Fluggesellschaft von anderer Stelle aus günstiger betreiben und haben einen Wettbewerbsvorteil gegenüber deutschen Unternehmen. Sie können das als nationaler Carrier mit einem Hochqualitätsangebot wie beispielsweise die Lufthansa vielleicht auffangen, aber in dem Bereich der Billigflüge, der Charterflüge sicherlich nicht.
Jetzt kann man natürlich über Billigflüge geteilter Ansicht sein. Es gibt negative Aspekte der Billigflüge. Wenn wir uns die Zunahme des Flugverkehrs anschauen, ich weiß nicht, wer sich von Ihnen solche Websites anschaut wie Flightradar24, auf der Sie sehen, was da gerade über uns in der Luft ist: Es ist immens! Man kann das aus ökologischen Gründen ablehnen und sagen, das ist viel zu viel Flugverkehr, aber es bedeutet auch, dass unsere jungen Leute Europa und die Welt kennenlernen, weil sie über das Wochenende nach London oder nach Mailand reisen können und es bezahlbar ist. Das bedeutet auch für Städte wie Bremen, dass wir Besucher aus dem Ausland haben. Wenn wir wollen, dass Billigflüge in dieser Form nicht durchgeführt werden, weil wir möchten, dass unsere Ideen von Arbeitnehmermitbestimmung, von Sozialabgaben und von Besteuerung vollumfänglich durchgesetzt werden, dann bedeutet das, dass unsere jungen Leute nicht die Gelegenheit haben und
dass wir auf diese Besucher verzichten müssen. Es bedeutet, dass solche Unternehmen wie Ryanair im Zweifelsfall sagen, dann haben wir eben in Bremen keine Basis mehr. Dann haben wir statt schlecht bezahlter Arbeitsplätze gar keine Arbeitsplätze mehr. Das ist die Alternative. Kein junger Mensch wird für 500 Euro ein Wochenende nach London fliegen, das kann er sich schlicht und ergreifend nicht leisten.
Das Flugpersonal von Ryanair, das aus Rumänien, aus Bulgarien, aus Portugal kommt, ich glaube, diese Beschäftigten sind ganz froh, dass sie diesen Job haben. Jetzt haben sie ihn nicht mehr, weil diese Basis geschlossen wird.
Wenn ich eine Dienstleistung anbieten kann, die zugegebenermaßen schlecht bezahlt ist, dann habe ich die Wahl: Entweder ich akzeptiere, dass sie schlecht bezahlt ist, oder vielleicht sollte ich das nicht tun. Dann kann ich diese Dienstleistung nicht durchführen. Es ist aber unmöglich, für die Dienstleistung in diesem Umfang diese hohen Preise durchzusetzen, weil der Markt dafür überhaupt nicht vorhanden ist. Die Geschichte von Air Berlin und LTU sollte Ihnen das eigentlich zeigen. Diese Arbeitsplätze wird es zu den Konditionen, wie wir sie uns vorstellen, nicht geben. Das heißt, unsere Alternative ist, entweder zu sagen, es gibt diese Billigflüge gar nicht mehr, dann müssen wir auf die Touristen verzichten, und dann müssen wir darauf verzichten, dass unsere jungen Leute Europa günstig kennenlernen können, oder ja zu sagen.
Dann gibt es die Standards, aber das hängt nicht an dem Sitzplatzabstand, denn den kann man gar nicht mehr verringern, nebenbei bemerkt, die Standards für die Sitzabstände stammen aus den Fünfzigerjahren aus dem Nahverkehr von Chicago, also das ist nicht mehr weiter minimierbar, sondern das liegt an der ökonomischen Ausrichtung, an der Bezahlung und an der Besteuerung dieser Unternehmen. Das ist eine Entscheidung, die man treffen muss. Die muss man bewusst treffen.
Ich habe immer den Eindruck, dass wir uns nur die attraktivsten Teile sichern wollen, ohne die Nachteile in Kauf zu nehmen. Wir sagen, ja, wir sind froh, wir sind eine Tourismusstadt, und wir haben Besucher, die kommen hierher. Wir sind freuen uns, dass wir eine Ryanair-Basis haben, aber diese
Beschäftigten sollen bitte die gleichen Arbeitsbedingungen wie die Lufthansa haben. Es tut mir leid, wenn sie das tun, dann müssen sie auch die gleichen Preise nehmen wie die Lufthansa, und wenn sie das durchführen, dann kommt eben keiner mehr nach Bremen. Das ist die Alternative. Wenn Sie wollen, dass keiner mehr nach Bremen kommt, setzen Sie das durch. Wenn Billigflieger eine Alternative sind, dann werden sie das in der Zukunft vom Ausland machen, weil sie es aus Bremen nicht mehr können. Halten Sie das für eine gute Idee?
Ich nicht. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hätte nicht gedacht, ausgerechnet von der Fraktion DIE LINKE eine solche materialistische, elitäre und standesbewusste Argumentation zu hören. Das ist ja ganz furchtbar, dass eine studentische Hilfskraft auch einmal an der Garderobe aushelfen muss. Was denken Sie eigentlich, was Auszubildende machen müssen?
Was denken Sie eigentlich, was Auszubildende für ihre Ausbildung bekommen? Das hat doch mit Unrecht nichts zu tun. Ausbildung, ob es eine berufliche oder eine studentische Ausbildung ist, ist eine Investition in die berufliche Zukunft. Das ist eine Investition, die die Gesellschaft tätigt, das ist aber auch eine Investition, die derjenige tätigt, der diese berufliche Zukunft anstrebt. Was Sie hier vorschlagen, ist eine einseitige Bevorzugung und Privilegierung von Leuten, –
die studieren und für ihre Assistenzleistungen außerhalb dessen bezahlt werden sollen, was die Universität bereit ist, dafür zu bezahlen. Das ist elitär, das ist standesbewusst, –
das ist materialistisch und das ist völlig außerhalb – –.
Machen wir das einmal.
Ich kenne mich da durchaus aus, weil ich studiert und auch als Hilfskraft gearbeitet habe. Im Übrigen damals, in den 80er Jahren, war das ehrenamtlich, das hat mich nicht gestört. Ich habe dabei etwas gelernt. Jeder, der in seine Ausbildung investiert, wird womöglich auch einmal Dienstleistungen vornehmen müssen und das tut ein Auszubildender jeden Tag.
Aber Sie mit Ihrer Elfenbeinturm-Hochschulpolitik und verhätschelnden Politik sind einfach völlig neben der Spur. Sie sind doch eigentlich die Partei, die für sozialen Ausgleich und für soziale Gerechtigkeit da ist. Wieso wollen Sie einen Teil derjenigen, die sowieso schon eine privilegierte Berufsausbildung haben, besonders privilegieren und um die anderen, die Auszubildenden, kümmern Sie sich überhaupt nicht?
Das ist einfach nicht ausgewogen. Insofern lehnen wir Ihren Antrag selbstverständlich ab. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Frau Görgü-Phillip! Sie haben mich vorhin daran erinnert, dass ich selbst ein verhinderter Migrant bin, und ich gebe das zu. Migration kann eine Lösung sein für persönliche Lebenskonzepte. Sie kann auf individueller Ebene Sinn machen und die Menschen weiterbringen. Ich bleibe aber dabei, Migration halte ich für keinen Lösungsansatz für globale Probleme. Globale Verwerfungen, globalen Probleme lassen sich angesichts der schieren Zahl der Menschen, die von diesen globalen Problemen betroffen sind, durch Migration schlecht lösen.
Ich weiß nicht, wie das Ihnen gegangen ist. Als ich eben durch die Reihe der Demonstranten hier ins Haus gekommen bin, habe ich mich gefragt: Worum geht es eigentlich? Geht es um Seenotrettung? Geht es um Ertrunkene? Oder geht es um etwas ganz anderes? Da standen nämlich Leute mit einem Jackett an, und da stand: Open border, please. Frau Leonidakis hatte in ihrer Rede mehrfach den Begriff Grenzabschottung verwendet. Also, um was geht es jetzt? Geht es jetzt um Ertrunkene, die gerettet werden müssen? Oder geht es um die Frage: Möchten wir möglichst viele Migranten nach Europa holen?
Ich tue jetzt im ersten Teil einmal so, als geht es hier wirklich um die Ertrunkenen, als geht es hier
wirklich um Seenotrettung. Es gibt verschiedene Theorien über Pull- und Push-Faktoren, und ob sich das Ertrinken von Bootsflüchtlingen vermeiden ließe, wenn man Bootsfahrten per se unterbindet. Und da gibt es in der Tat ein paar historische Versuche oder Beispiele, die da unternommen wurden. Unter anderem will ich einen anführen: Das Land Australien, das im September 2001 eine Politik verabschiedet hatte, die es vollkommen untersagt hatte, per Boot das Land zu betreten.
Jeder, der per Boot nach Australien kam, wurde postwendend zurückgeschickt mit dem Ergebnis, dass überhaupt niemand mehr kam. Dann hat die Labour-Regierung in Australien wieder eine Wahl gewonnen, bis 2013 diese Politik ausgesetzt und hat gesagt, wir wollen human sein, wir wollen es den Geflüchteten ermöglichen, nach Australien zu kommen.
In der Folge ist die Zahl der Bootsflüchtlinge geradezu explodiert, die Zahl der Boote, die nach Australien gekommen sind, ist explodiert. Es sind 1 200 Ertrunkene aktenkundig in der Zeit, die Australier reden von 1 200 Labour-Toten. Die Administration, die darauf folgte, Tony Abbott im Jahr 2013, hat wiederum für eine Nulltoleranz-Politik, was die Bootsflüchtlinge angeht, gesorgt, mit dem Ergebnis, dass heute niemand mehr bei dem Versuch stirbt, per Boot Australien zu erreichen.
Ich will als Beispiel auch mit einem aktuellen Bezug Spanien anführen. Spanien hatte, und da können sich vielleicht die Wenigsten daran erinnern, noch vor der aktuellen Migrationskrise 2006 das Problem, dass sehr viele Bootsmigranten von Marokko aus auf die kanarischen Inseln gefahren sind. Vielleicht erinnern Sie sich an die Fernsehbilder, als an den Hotelstränden die Schlauchboote landeten. Die Kanarischen Inseln sind von Marokko nicht ganz weit weg. 2006 sind 3 200 illegale Einwanderer von Marokko aus nach Spanien auf die Kanarischen Inseln eingereist.
Die Spanier haben das ganz still und leise gelöst. Da hat die EU gar nicht viel von mitbekommen. Was die Spanier gemacht haben: Sie haben ein bilaterales Abkommen mit Marokko geschlossen, das dafür sorgt, dass jeder, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, der aus Marokko aus nach Spanien einreist, postwendend zurückgeschickt werden kann. Sie haben des Weiteren bilaterale Abkommen mit den dahinter liegenden Ländern Gambia, Senegal und so weiter geschlossen, wonach diese Länder ihre Migranten zurücknehmen müssen.
Sie haben die Guardia Civil in Marokko eingesetzt, um von vornherein zur verhindern, dass diese Bootsreisen angetreten werden mit dem Ergebnis, dass 2012, nachdem diese Maßnahme in Kraft war, nur noch 170 Menschen versucht haben, mit dem Boot über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln zu kommen. Also auch hier ein großer Erfolg in der Verhinderung von Seenot.
Ich weiß, es wird hier über die italienische Zurückweisung geredet, wo man sagt, man kann doch Leute aus Seenot nicht nach Libyen zurückschicken. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern können, dass auch das eine Geschichte hat. Es ist aktuell nicht das erste Mal, dass Italien Leute nach Libyen zurückschickt. 2009 haben sie das schon einmal gemacht hat. Da hat ein italienisches Schiff Bootsflüchtlinge im Mittelmeer vor Lampedusa aufgenommen, das waren 13 Eritreer und elf Somalier, und haben sie postwendend nach Libyen zurückgeschickt, woraufhin diese Zurückgeschickten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen haben, und der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat gesagt: Das durften die nicht.
Das durften die nicht. Sie hätten in Europa einen Asylantrag stellen können, und zwar nicht, weil sie in Europa gewesen sind, sondern weil sie auf einem Schiff unter europäischer Flagge waren. Das ist das, was wir heute vergessen. Das europäische Recht findet in diesem ganzen Rahmen überhaupt nur deshalb Anwendung, weil wir dort Schiffe unter europäischer Flagge einsetzen. Täten wir das nicht, würden dort Schiffe eingesetzt, die beispielsweise unter liberianischer Flagge fahren würden, stellte sich das Problem überhaupt nicht.
Eine Zurückweisung wäre juristisch ohne weiteres möglich und auch sinnvoll im Sinne des eben Ausgeführten, dass sie, wenn die Leute erkennen, dass sie null Chance haben, mit irregulären Bootsreisen über das Mittelmeer in das Land ihrer Träume zu kommen, diese Bootsreisen gar nicht erst antreten.
Zu dem zweiten Teil der Vermutung, dass es gar nicht um die Seenotrettung als solche geht, sondern darum, Einwanderung zu ermöglichen, Migration. Die Fraktion der CDU hat eben gesagt, es geht auch um die Bekämpfung der Fluchtursachen, um das zu verhindern. Ich möchte erinnern an Milton Friedmann, der schon in den Siebzigerjahren ausgeführt hat, dass man einen hervorragenden Sozialstaat haben kann. Man kann auch offene Grenzen haben. Aber ein hervorragender Sozialstaat und offene Grenzen zusammen, schließen
sich leider angesichts der sehr, sehr vielen Leute, die sich für diesen Sozialstaat interessieren, aus.
Wir können das in Afrika festmachen, es sind je nach Zahlen 50 oder 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Es sind irrsinnig viele Menschen, die in Afrika keine Perspektiven haben, die nach Europa kommen werden. Und egal, wie sehr wir ihnen helfen möchten, es sind auf jeden Fall mehr, als wir aufnehmen können. Zu den Fluchtursachen:
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine freie unabhängige Presse, ein freier unabhängiger Rundfunk sind nicht nur eine Säule der Demokratie, sondern ein Merkmal der Demokratie. Man nennt es auch die vierte Gewalt. Wenn wir uns nicht so sehr
auskennen, wie es in anderen Ländern funktioniert, dann ist es häufig der Rundfunk, der uns zeigt, dass da etwas nicht stimmt. Wir haben es damals in der DDR gesehen mit der Aktuellen Kamera, die einfach Staatspropaganda ausgestrahlt hat. Demzufolge war es sinnvollerweise auch verboten, westliche Fernsehsender zu empfangen. Wir sehen es heute beispielsweise in der Türkei, wenn wir dort in entsprechenden Zeitungen Berichte sehen, die lediglich der Regierung huldigen, aber nicht hinterfragen, was passiert ist.
Wir lernen dabei, dass ein Merkmal unabhängiger und freier Presse ist, die aktuelle Regierungspolitik zu hinterfragen, kritisch zu sein, unbequem zu sein und zum Teil auch ein bisschen die Position der Opposition einzunehmen. Immer zu fordern, dass erklärt wird, was macht ihr da eigentlich und ist das alles richtig, die Bedenken aufnimmt, die die Leute haben. Eine Demokratie ist im Wesentlichen ein Bottom-up-Projekt und keine Top-down-Regierungsform.
Jetzt können wir uns darüber beklagen, dass die öffentlichen Rundfunkanstalten in Europa in einer Vertrauenskrise sind. Da kann man natürlich sagen, das sind die Populisten, die sind schuld mit ihrer Gegenpropaganda, mit ihren Fake News und ihren sozialen Netzwerken. Wie das aber immer so ist, wenn man mit seinem Auto auf der Autobahn unterwegs ist, und es kommen einem ganz viele Leute auf der eigenen Spur entgegen, vielleicht ist man ja selbst nicht ganz auf der richtigen Spur unterwegs und das ist der Grund, warum man auf so viel Gegenverkehr trifft.
Wenn ich sage, dass es ein Zeichen dafür ist, dass ein Rundfunk unabhängig und frei ist, dass er sich kritisch gegenüber der Regierung verhält und ich schaue mir an, wie das bei uns eigentlich aussieht, dann stelle ich fest, dass unser öffentlicher Rundfunk sich vor allen Dingen kritisch gegenüber der Opposition verhält. Unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nicht nur damit befasst, Fakten und Nachrichten zu verteilen, die natürlich auch nach subjektiven Auswahlkriterien geteilt werden können, sondern über das Mittel von Spielfilmen und Wissenschaftsbeiträgen wird auch belehrt und wird auch Meinung transportiert. Da fragt man sich in einer Demokratie, in der man sagen kann, ich mag die Alternative für Deutschland nicht, es ist eine ganz furchtbare Partei, aber immerhin, in den östlichen Bundesländern wählt bald jeder Fünfte diese Partei. Wie kann es denn sein, dass wir versuchen, wir haben das ja zu Anfang dieser Legislaturperi
ode versucht, diese Partei mit Tricks aus dem Rundfunkrat rauszuhalten, weil wir nicht wollen, dass diese Leute Einfluss auf unsere Medien haben.
Die virtuelle Allparteienkoalition im sozialdemokratischen Einverständnis sagt aber, wir sind natürlich die Guten, wir müssen dafür sorgen, dass wir diesen Einfluss behalten, dass wir den Leuten erklären, was richtig und was falsch ist. So kommt das bei den Leuten an. Das ist der Vertrauensverlust. Das ist nicht nur, dass sie in den Nachrichten eine Nachricht nicht sehen, die sie vielleicht gern gesehen hätten, es ist nicht nur, dass sie eine Nachricht sehen, bei der sie sagen, na, hat die Kamera das wirklich so aufgenommen wie es wirklich war.
Sondern es sind eben auch die Beiträge wie Tatort, in den uns immer wieder erklärt wird, wer eigentlich die Bösen und wer die Guten sind. Das stimmt für viele von uns überhaupt nicht überein mit dem, was wir im alltäglichen Leben erleben. Dieser Verdacht, den wir da erzeugen, indem wir dieses Instrument der freien Presse im Falle des öffentlichen Rundfunks als ein Instrument benutzen. Das ist falsch, wir dürfen das nicht benutzen. Wir müssen da ganz deutlich reformieren, zurückgehen. Wir müssen diesen Rundfunk unabhängiger sein lassen. Wir müssen darauf verzichten, unsere Sicht von dem, was richtig und was falsch ist, über die Medien den Leuten mitzuteilen und den Leuten das beizubringen, denn Demokratie ist Bottom-up, es ist niemals Top-down. Weil wir das immer wieder vergessen, werden wir mit unserem Rundfunk scheitern. Ich sage Ihnen das. Dieser Rundfunk erfährt einen Vertrauensverlust, diese 17 Euro irgendetwas, das ist doch ein Spaß, das interessiert doch keinen wirklich, ohne eine Reaktion holen sich die Leute ein Netflix-Abo oder Amazon-Abo für zehn Euro.
Der Punkt ist, diese Leute vertrauen diesem öffentlichen Rundfunk nicht mehr. Dann fangen sie an, eine eigene Öffentlichkeit zu nutzen, zum Beispiel über die sozialen Medien und Facebook, da sind natürlich keine Journalisten, keine Profis, sie bringen ihre Meinung da zutage. Und was erfahren Sie? Sie erfahren Widerstand aufseiten der Politik, aufseiten des offiziellen Rundfunks, die sagen, ihr sagt doch die Unwahrheit, ihr hetzt, ihr seid Hassredner. Das erzeugt noch mehr Widerstand. Das wird dafür sorgen, dass die – wie Sie sie nennen – populistischen Parteien immer stärker werden. Sie machen genau das, was dazu führt, dass diese Parteien immer stärker werden. Sie sind auf dem falschen Weg. Deswegen ist der Antrag der Fraktion
der FDP ein erster Ansatz. Wenn wir das nicht wollen, dass dieses System kippt und dass irgendwann die Akzeptanz für diesen Rundfunk völlig fällt, dann müssen wir diesen Rundfunk reformieren, verschlanken und wir müssen uns darauf besinnen, wofür er wirklich da ist.
Wir müssen uns auch überlegen, wie kann es eigentlich sein, dass in einer freien Presse, wenn eine Umfrage, ich habe das eben bei „Statista“ nachgelesen, eine Umfrage bei den Journalisten erfolgte, wen würden sie wählen, wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, doppelt so viele Journalisten sagen, wir wählen die Grünen und die SPD wie alle anderen Parteien zusammengenommen. Ich glaube die Grünen sind mit 27 Prozent bei den Journalisten auf Platz Nummer eins. Nichts gegen die Grünen, nichts gegen Journalisten. Worauf ich hinaus will, ist, wenn diejenigen, die öffentliche Meinung machen, in ihrem Meinungsspektrum nicht das abbilden, was in der Gesellschaft an Meinungsspektrum vorhanden ist, dann ist das nicht gut. Das ist auch ein Vertrauensverlust und deswegen bitte ich um Selbstkritik und wir werden den Antrag der Fraktion der FDP unterstützen. – Vielen Dank!
Angesichts der gestrigen Diskussion darüber, wie man zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr attraktiver gestalten kann und angesichts der Erfahrungen in anderen Ländern, dass kleine Elektrofahrzeuge in Kombination mit dem öffentlichen Nahverkehr auch durchaus eine Verkehrsalternative im Innenstadtbereich sein können, halten Sie es für die Zukunft für wünschens- oder erwägenswert, solche Fahrzeuge eben nicht als Spielzeuge zu betrachten, sondern auch als sinnvolle Ergänzung zum Personenverkehr für kurze Strecken, also für kleine und mittlere Distanzen in der Stadt?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei einem so wichtigen Thema wie dem Extremismus finde ich es schade, wenn wir es nicht schaffen, aus unserer eigenen politischen Ecke herauszukommen. Es ist natürlich klar, dass diejenigen, die auf der rechten Seite des Parlamentes sitzen, eher den Linksextremismus, und diejenigen, die auf der linken Seite des Parlamentes sitzen, eher den Rechtsextremismus als Problem sehen. Und wir alle gemeinsam sehen den Islamismus als Problem.
Aber weder rechte Positionen sind ein Problem noch sind linke Positionen ein Problem, noch ist das Bekenntnis zum Islam das Problem. Der Extremismus selbst ist das Problem.
Die Frage ist, warum wir in unserer Gesellschaft gerade in dieser Zeit immer stärker die Tendenz haben, extremistisch zu denken und zu agieren. Ich will das auf eine persönliche Ebene runterbrechen. Vielleicht hat Ihnen die Beobachtung, schlimmstenfalls die eigene Erfahrung, schon gezeigt, wie eine Auseinandersetzung in einer Meinungsverschiedenheit eskalieren kann. Man ist unterschiedlicher Meinung, man tauscht vermeintlich vernünftige Argumente aus, und man kann den Gegner in der Auseinandersetzung nicht überzeugen. Dann kann es passieren, dass die Situation eskaliert. Man wird dann harscher, vereinfacht, polarisiert, beleidigt vielleicht jemanden. Man macht globalisierte Vorwürfe, stellt jemanden in die Ecke. Und irgendwann, wenn man nicht weiterkommt, wird man sogar laut. Man schreit sich vielleicht an. Das kann so weit gehen, dass man Gewalt – auch körperliche Gewalt – anwendet. Man findet das in Ehen, man findet das im Freundeskreis. Es kann sogar sein, dass das in Gruppen eskaliert. Wir haben das gerade am Bahnhof wieder gesehen, da stehen sich Leute mit Kanthölzern gegenüber und sagen, wir tragen das jetzt aus.
Auf staatlicher Ebene ist das in der Vergangenheit auf dem Schlachtfeld in Form von Kriegen ausgetragen worden. Diese Eskalation von Meinungsverschiedenheiten haben wir in unserem System, in der Demokratie, dadurch in den Griff bekommen, dass wir einen Modus Operandi gefunden haben, mit unseren Meinungsverschiedenheiten konstruktiv umgehen, über diese Meinungsverschiedenheiten diskutieren und dem Inhaber der anderen Meinung zuhören, versuchen, ihn zu überzeugen. Aber wenn wir ihn nicht überzeugen können, dann handeln wir das aus. Nicht alle Entscheidungen, die wir treffen, sind Entscheidungen, die wir selber für richtig halten. Wir akzeptieren die Entscheidung, die eine Mehrheit trifft, weil sie das Zusammenleben vernünftig macht und weil diese Spielregeln für alle am besten funktionieren.
Wenn wir nach Außen gucken, stellen wir fest, es funktioniert nicht, oder es funktioniert nicht bei allen. Viele Leute radikalisieren sich. Sie vereinfachen ihre Botschaft, sie radikalisieren sich in der Wahrnehmung ihrer Botschaft bis hin zu dem Punkt, dass sie undemokratische, gewalttätige, extremistische Aktionen für notwendig halten, um sich durchzusetzen.
Es ist ganz einfach, immer nach außen zu gucken und zu sagen, die da draußen sind ein Problem. Wir haben das Problem auch hier. Wir haben das Prob
lem bei uns direkt. Herr Timke hat das eben angesprochen. Es ist natürlich so, dass Politiker, Repräsentanten von Parteien, offen vom Verfassungsschutz beobachtete, vermeintliche oder tatsächlich extremistische Organisationen unterstützen. Wir haben gehört von den Unterstützern der Roten Hilfe, übrigens eine Gruppierung, die der Meinung ist, dass die Rote Armee Fraktion ein sinnvolles und wichtiges Projekt war. Wir haben gerade wieder aktuell einen Fall eines Politikers, der in seinem Wahlkreisbüro ein Mitglied der Identitären Bewegung beschäftigt, eine Gruppierung, die mehr oder weniger offen rassistisch agiert.
Wer gehen wir mit so etwas um? Ich finde es richtig, solche Dinge transparent zu machen, unsere Kollegen zu stellen, unsere Kollegen darauf anzusprechen und auch dem Wähler deutlich zu machen, wen er da wählt. Aber auch hier gilt: Wir müssen selbst die Grundsätze der Demokratie wahren und den politischen Gegnern die gleichen demokratischen Rechte zubilligen, die wir selbst für uns in Anspruch nehmen. Demokratie ist nicht nur für Meinungsfreunde gedacht, sondern auch für den politischen Gegner.
Wenn dann in dem Falle des Politikers, der diesen Angehörigen der Identitären Bewegung in seinem Wahlkreisbüro anstellen möchte, dazu führt, dass demokratisch gewählte Politiker hingehen und eine Demonstration maßgeblich mitbestreiten, die diesen Abgeordneten daran hindern wollen, überhaupt ein Wahlkreisbüro zu eröffnen, und sagen, wir wollen von euch kein Wahlkreisbüro in unserer Stadt, in unserem Stadtteil, dann ist diese Verhalten zutiefst undemokratisch. Es ist der erste Schritt auf dem Weg in Richtung Extremismus. Dieses Verhalten ist eines Parlamentariers unwürdig. Insbesondere ist dieses Verhalten einer Senatorin unwürdig. Schade, dass Frau Stahmann jetzt gerade nicht da ist.
Wir müssen nicht nur Linksextremismus erforschen, Rechtsextremismus oder Islamismus. Wir müssen Extremismus insgesamt erforschen. Wir müssen Erkenntnisse darüber gewinnen, was Leute dazu bringt, den Pfad der konstruktiven Auseinandersetzung zu verlassen. Wir müssen uns selber, uns Parlamentariern, einen Verhaltenskodex geben, der uns immer wieder daran erinnert und dazu verpflichtet, selbst die demokratischen Grundregeln uneingeschränkt anzuwenden, auch
wenn es um den politischen Gegner geht. Darum würde ich bitten. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wenn ich eine krasse Ausnahmeerscheinung bin, einer von 83, der sich vielleicht nicht in Bremen wohlfühlt, ich gebe es zu, es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich in Bremen bin: Ich verdiene hier mein Geld. Ich wäre gern woanders, aber das hat damit nichts zu tun.
Ich weiß, dass Sie mich gern woanders hätten. Tut mir leid, ich hätte Sie auch gern woanders.
Es sind aber eben nicht alles nur Verpackung und nur Image. Es ist nicht nur das Image in Bremen, das schlecht ist. Das, was Bremen bietet, ist schlecht, und das macht es uns als Unternehmen schwer, Mitarbeiter zu werben, weil diese hier Probleme bekommen. Ich habe Mitarbeiter gehabt, die sind aus Hannover gependelt und sind mit ihrer Familie nicht nach Bremen gezogen, weil sie Kinder hatten und weil sie ein Problem hatten, ihr Kind in Bremen in die Kita zu schicken. In Hannover ging das.
Ich habe mich neulich noch auf einem parlamentarischen Abend unterhalten mit einer Frau, die aus Frankfurt hier hingekommen ist, eine Arbeit angenommen hat, die ganz explizit nach Lilienthal gezogen ist, weil sie es ihren Kindern nicht zumuten wollte, im Bremer Bildungssystem beschult zu werden.
Bremen versagt in allen politischen Bereichen. Es bietet die schlechteste Bildung in ganz Deutschland. Es bietet die höchste Arbeitslosigkeit. Es bietet eine beschissene innere Sicherheit. Bremen ist voller Defizite.
Das Wort beschissen nehme ich zurück, sagen wir die defizitärste.
Ich rege mich gerade darüber auf, weil wir denken, es ist ein Darstellungsproblem. Nein, es ist kein Darstellungsproblem, es ist ein Problem der Inhalte. Wir haben hier echte Defizite und wir müssen diese Defizite angehen. Gerade von der Opposition
will ich doch erwarten, dass sie diese Defizite benennt und nicht sagt, das ist hier ein Imagethema.
Wir haben kein Imageproblem, wir haben ein tatsächliches Problem, dass wir hier seit 70 Jahren eine fehlgeleitete Politik in ganz vielen Bereichen machen und dass wir glauben, als Bundesland mit 650 000 Einwohnern alles anders machen zu können. Oh, was Wunder, in fast jedem Vergleich auf nationaler Ebene haben wir die rote Laterne! Gerade noch im Mai ist im Nachrichtenmagazin „FOCUS“ eine Studie erschienen zum Thema „Lebensqualität“ mit 401 Städten in Deutschland, da liegen wir in fast allen Bereichen auf dem letzten Platz. Fragen Sie sich doch einmal, warum! Ist das ein Imageproblem, oder ist es ein Problem, das daran liegt, dass wir uns nachhaltig verweigern, diese Probleme, die wir hier haben, anzuerkennen und anzugehen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gerade so viele Dinge gelernt, ich weiß gar nicht, wie ich das alles behalten und einsortieren soll. Ich würde gern einen Bogen schlagen zu der Diskussion gestern in der Stadtbürgerschaft. Dort wurde ich angesichts meiner Vorbehalte gegenüber einer
Steuerlast für Unternehmer von über 50 Prozent als hartherzig und tendenziell fremdenfeindlich dargestellt, weil ich infrage gestellt habe, ob wir eigentlich mit den Steuergeldern immer so verantwortlich umgehen. Ich finde es ganz gut, dass wir heute über die Ausgaben reden, denn überall ist die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben der Schlüssel zum Erfolg, völlig egal, ob wir von einem Bundesland reden, einem Gesundheitszentrum oder einer Privatuniversität. Es ist die Balance, auf die es da ankommt.
Was die GeNo angeht, genauso was die Universität angeht, verstehe ich natürlich den Ruf, Gesundheit ist wichtig, Gesundheit muss eine Priorität haben, Bildung ist wichtig, Bildung muss eine Priorität haben. Das ist aber nichts weiter als eine Worthülse und eine Floskel. Wir müssen schauen, was passiert eigentlich mit dem Geld und warum müssen wir beisteuern und was geht da schief. Auf diese Fragen finde ich zu wenig Antworten. Was die GeNo angeht, da haben wir hohe Zahlen, die notwendig sind, aber ich sehe eigentlich keine Analyse. Wie gehen wir zum Beispiel mit der Erkenntnis um, dass wir hier in Bremen ein schlechteres Gesundheitssystem haben, überhaupt in Deutschland ein schlechteres Gesundheitssystem als beispielsweise in den Niederlanden und in Dänemark, bei einer höheren Anzahl von Betten pro Einwohner. Wie gehen wir damit um, dass beispielsweise der Chef der AOK fordert, mehr auf Qualität zu achten, als auf Quantität und einfach einmal die Behauptung in den Raum stellt, dass wir dort nicht nur eine bessere medizinische Versorgung gewährleisten können, wenn wir an die Struktur herangehen, sondern unter anderem auch besser wirtschaften.
Was die Jacobs University angeht, ist wirklich erstaunlich, dass wir da in Form eines Nachtragshaushaltes darüber reden, denn diese Problematik der Jacobs University ist lange bekannt. Es ist eine Universität, die den Anspruch hat, eine Privatuniversität zu sein. Sie sieht sich selbst in der Tradition von Harvard und Yale als Eliteuniversität bis hin zu Graduierungszeremonien mit Talaren und Hüten, das volle Programm. Es fehlt aber Geld. Das ist auch ganz klar, wir haben hier in Deutschland nicht so die Tradition der Privatuniversitäten wie im USamerikanischen Bereich, bei uns ist in der Regel die Bildung frei. So steht in dem Foyer der Jacobs University ein Slogan, ganz groß, dort steht: Jung oder alt, reich oder arm, Frau oder Mann, jeder hat das Recht auf eine gute Bildung. Das ist auch das, was wir in Deutschland alle für richtig halten. Nur ist die Frage, wie eine Privatuniversität damit umgeht.
Die Privatuniversität hat Studiengebühren, die liegen zwischen 10 000 und 30 000 Euro im Jahr. Schätzen Sie einmal, wie viel Prozent der Studenten in den vergangenen Jahren diese Studiengebühren bezahlt haben? Zehn Prozent! Alle anderen haben entweder Stipendien, Darlehen oder Ermäßigungen bekommen. Ich kenne das aus meinem persönlichen Umfeld. Junge Leute, deren Eltern sich das locker leisten können, die Studiengebühren in der Jacobs University zu finanzieren, auch die bekommen ein Stipendium angeboten, weil es in der Jacobs University wohl vollkommen normal ist, sich die guten Studenten zu kaufen. Die schauen, zu Recht, auf die Qualifizierung, aber nicht auf das Geld. Dazu kommt, dass diejenigen aus dem Ausland, die über Kredite, über Darlehen ihr Studium finanzieren, zu einem sehr großen Teil diese Darlehen nicht zurückzahlen, wenn sie wieder ins Ausland zurückgehen.
Forschen ist teuer. Nicht nur das Forschen ist teuer, auch der ganze Ansatz der Jacobs University ist teuer. Er ist gut, sicherlich, aber er ist auch teuer. In der Jacobs University hatten wir in den vergangenen Jahren bei 1 300 Studierenden 130 Professoren, das ist an keiner öffentlichen Universität so in der Form vorzufinden. Wenn das Geschäftskonzept funktioniert, wenn das nachhaltig ist, wenn es sich trägt, wenn das Leute finanzieren, super. Jetzt geht es aber darum, dass eine private Universität durch öffentliche Gelder finanziert wird. Eine private Universität, die sich eine erheblich bessere Ausstattung und erheblich bessere Rahmenbedingungen gönnt als öffentliche Universitäten. Da frage ich mich, wo ist da die Gerechtigkeit? Wo ist da die Bildungsgerechtigkeit? Ich frage mich, wenn wir schon annähernd 50 Millionen Euro in die Hand nehmen, um eine private Universität zu fördern, mal ganz abgesehen von den Gründen, kleiner Einschub, diese 5 300 Euro, die als Begründung genannt werden, also das ist doch geradezu absurd. Zu sagen, ich habe hier 1 400 Studierende ins Land bekommen und die Begründung dafür, warum das gut ist, es kommen Transferleistungen aus anderen Bundesländern. Also Transferleistungen sind kein Geschäftsprinzip, auch wenn das die Haushaltspolitik von Rot-Grün über Jahrzehnte ist.
Sondern Geld muss erwirtschaftet werden.
Nein. Ich komme jetzt aber auch zum Ende. Also die Gründe, die sind fragwürdig. Aber wenn wir dann schon 50 Millionen Euro ausgeben, frage ich mich, was machen wir denn eigentlich mit dem Geld? Gewinnen wir dafür irgendeine Kontrolle, dass es strukturell in Zukunft etwas anders läuft. Was machen wir mit der Gerechtigkeitslücke, was machen wir mit diesen Bedenken --
die DIE LINKE hat --. Noch einmal, ich finde, Bildung ist wichtig, wenn jemand ein privates Konzept hat, super. Es kann aber doch nicht sein, dass jemand hingeht, und sagt, ich mache ein privates Konzept, bei dem die Leute selber zahlen sollen, die Leute zahlen aber gar nicht, die öffentliche Hand muss es zahlen, und diese Universität gönnt sich Privilegien, die öffentliche Schulen nicht bekommen. Das finde ich, ist eine Gerechtigkeitslücke.
Das finde ich ganz persönlich. Ich teile auch die rechtlichen Bedenken der LINKEN. Ich sehe vom Senat nichts, nichts, nichts inhaltlich, was uns erklärt, wie es mit der GeNo in Zukunft weitergehen soll. Von dem Zukunftskonzept sehe ich nichts. Ich sehe keine inhaltlichen Vorschläge, wie es mit der Jacobs University weitergehen soll. Ich sehe nur, dass wir schon wieder Geld ausgeben wollen, insgesamt 250 Millionen Euro, das ist das Einzige, was Rot-Grün kann, anderer Leute Geld ausgeben. Aber irgendwann vergeht den Leuten, die das bezahlen müssen, auch die Lust an der Sache. – Danke sehr!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was uns umtreibt, wenn wir von den Tätigkeiten von Extremisten in Form von beispielsweise Anschlägen erfahren haben, genauso wie das, was uns umtreibt, wenn wir darüber nachdenken, wie man so etwas vorbeugen kann, ist die Frage nach dem Warum. Warum radikalisiert sich jemand, warum geht jemand diesen Weg, warum ist jemand gewaltbereit, warum verfängt sich jemand in ein solches Weltbild?
Wenn wir uns einmal ansehen, was national und international an Erklärungsversuchen in der Diskussion ist, dann sind das zum großen Teil Erklärungsversuche, es gibt Belege, aber es ist nicht evident. Es gibt Belege dafür, dass nicht vorhandene Väter, dass mangelnde Bildung, dass mangelnde religiöse Bildung, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit Dinge sind, die die Menschen radikalisieren. Es gibt aber auch Leute, die in prekären Verhältnissen leben, die sich nicht radikalisieren, und genauso gibt es Personen, die sich radikalisieren, die aus guten Verhältnissen kommen und sehr hoch gebildet sind. Wir erinnern uns an die Attentäter vom 11. September. Die Studenten aus Hamburg waren Ingenieurstudenten eines Ingenieurstudienganges und konnten Flugzeuge fliegen, leider.
Das heißt, wir sind in vielerlei Hinsicht ahnungslos. Wir haben eine Idee, warum sich Leute radikalisieren, aber wir wissen es nicht. Es gibt Vorschläge, dass man mit Sozialarbeitern arbeitet, mit Sozialarbeitern, die womöglich einen religiösen Hintergrund haben, mit muslimischen Sozialarbeitern. Wir haben einerseits das Problem, dass auf dem freien Markt so gut wie keine Sozialarbeiter verfügbar sind. Die sind im Moment alle gebunden. Dazu kommt andererseits, dass der Islam vielleicht gar keine so große Rolle spielt, wie man immer denkt. Dass der Islam vielleicht eine Eintrittskarte sein kann, um ins Gespräch zu kommen mit diesen Leuten, dass es aber in Wirklichkeit gar nicht darum geht, wie der Islam auszulegen ist. Herr Röwekamp hat es angesprochen, der Islam ist womöglich nur eine Entschuldigung dafür, radikal zu werden, genauso wie es die Rechtsradikalen mit dem Nationalismus machen oder die Linksradikalen mit der Revolution.