Protocol of the Session on December 15, 2016

Ich eröffne die 34. Sitzung der Bür gerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich die Klasse 9 d der Oberschule Roter Sand und eine Gruppe der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme der Grone-Schule.

Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgenden Eingang bekannt, bei dem inter fraktionell vereinbart wurde, ihn nachträglich auf die Tagesordnung zu setzen: Es handelt sich um den Tagesordnungspunkt 89, Armutsbekämpfung gehört auch in dieser Legislaturperiode ganz oben auf die politische Agenda!, Dringlichkeitsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 19/880.

Die übrigen Eingänge bitte ich dem heute verteilten Umdruck zu entnehmen.

Eingang gemäß § 21 Satz 1 der Geschäftsordnung

Gesetz zur Änderung der Gebührenbefreiungstatbe stände Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 14. Dezember 2016 (Drucksache 19/881)

Diese Angelegenheit kommt auf die Tagesordnung der Januar-Sitzung.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Mehmet-Ali Seyrek zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Änderung der Bremischen Landesverfassung zur Neugestaltung des Immunitätsrechts – Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Han sestadt Bremen Antrag des nicht ständigen Ausschusses nach Artikel 125 der Bremischen Landesverfassung zur Änderung des Immunitätsrechts vom 12. Dezember 2016 (Drucksache 19/871) 3. Lesung Wir verbinden hiermit: Neugestaltung des Immunitätsrechts – Änderung der Anlage 2 zur Geschäftsordnung

Bericht und Antrag des nicht ständigen Ausschusses nach Artikel 125 der Bremischen Landesverfassung zur Änderung des Immunitätsrechts vom 12. Dezember 2016 (Drucksache 19/872)

Die Bürgerschaft (Landtag) hat das Gesetz zur Än derung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen in ihren Sitzungen am 16. Juni 2016 in ers ter und am 14. Dezember 2016 in zweiter Lesung beschlossen.

Wir kommen jetzt zur dritten Lesung.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer als Berichterstatterin.

Sehr ge ehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wollen heute in dritter Lesung die Neugestaltung des Immunitätsrechts beschließen. Lassen Sie mich vorweg Folgendes sagen: Die Immunität ist historisch betrachtet ein traditionelles Sonderrecht des Par laments, sie soll das Parlament vor Pressionen und sonstigen Maßnahmen der Exekutive schützen, die seine Arbeitsfähigkeit, insbesondere seine Aufgabe als Kontrollorgan der Regierung, beeinträchtigen können. Die Immunität soll dazu beitragen, dass das Parlament in kritischen Situationen handlungsfähig bleibt.

Der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss legte der Bürgerschaft bereits zur Neugestaltung des Immunitätsrechts einen Antrag vor. Die Bürgerschaft hat das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung in ihrer Sitzung am 13. Juni 2016 in erster Lesung beschlossen. Zudem wurde von uns ein nicht ständi ger Ausschuss gemäß Artikel 125 Landesverfassung eingesetzt. Dieser Ausschuss hat insgesamt viermal getagt, zum ersten Mal am 24. August dieses Jahres.

Am 18. Oktober hat der Ausschuss zudem eine An hörung durchgeführt, zu der alle Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft eingeladen waren. Die Anhörung hatte das Ziel, alle Abgeordneten – weil alle 83 Abgeordneten von der Änderung des Im munitätsrechts betroffen sind – über das geplante Änderungsvorhaben zu informieren und auch noch einmal eine Einschätzung von der Polizei, der Staats anwaltschaft und der Anwaltskammer einzuholen.

An dieser Stelle – und das möchte ich im Namen des gesamten Parlaments machen – möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Dr. Heinke von der Kriminalpoli zei Bremen, bei Herrn Kuhn von der Oberstaatsan waltschaft und Herrn Büsing, dem Präsidenten der Hanseatischen Anwaltskammer Bremen, bedanken, die sich an dem Tag die Zeit genommen haben, mit uns gemeinsam die Novelle des Immunitätsrechts zu beraten.

(Beifall)

Lassen Sie mich in den Dank auch Frau Schneider und Herrn von Wachter von der Bremischen Bürgerschaft einschließen, die diese Anhörung mit vorbereitet und mit organisiert haben.

(Beifall)

Neben den Einschätzungen der Polizei, der Anwalts kammer und der Staatsanwaltschaft stellte auch die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft dem Ausschuss schriftlich die Handhabung der Ham burgischen Immunitätsregelung dar, denn das neue Immunitätsrechts soll sich jetzt an der Hamburger Regelung orientieren.

Wie war es bisher? Bisher konnten wir in Bremen Widerspruch gegen die Aufhebung der Immunität innerhalb einer bestimmten Frist erheben, wenn Er mittlungen bei einem Anfangsverdacht durchgeführt werden sollten. Hierüber wurden die Mitglieder des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses vom Präsidenten der Bürgerschaft informiert. Das führte – und das ist auch der Hintergrund für die No vellierung – in vielen Fällen aber auch dazu, dass es entweder zu einer negativen Publizität gekommen ist oder dass Ermittlungen gefährdet wurden, wenn im Vorfeld in den Medien darüber berichtet worden ist.

Als problematisch wurde in der Anhörung seitens der Staatsanwaltschaft die Ausgestaltung des Reklamati onsrechts als Minderheitenrecht eingeschätzt, so stand es im ersten Entwurf, weil damit eine Information aller Abgeordneten über eingeleitete Ermittlungsverfahren verbunden sei, um diese überhaupt in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung über die Aussetzung der Ermittlungen zu treffen. Damit würde die gebotene Vertraulichkeit von Immunitätsverfahren, die Anlass für eine Neuregelung ist, infrage gestellt.

Dazu merkte die Staatsanwaltschaft an, dass qua lifizierte Ermittlungsmaßnahmen wie insbesondere Durchsuchungen und Telekommunikationsüber wachungsmaßnahmen vor allem dann Erfolg ver sprechend seien – das kann sich jeder denken –, wenn sie unbeeinflusst von äußeren Einflüssen und Kenntnisnahme vollzogen werden könnten. Wenn die Durchführung solcher Maßnahmen von einer Genehmigung des Parlaments abhängig gemacht werde, müssten die Entscheidungsträger über den Sachverhalt informiert werden, und dies berge die Gefahr in sich, dass die strafprozessuale Maßnahme frühzeitig in der Öffentlichkeit bekannt würde. Damit werde ein Aufklärungserfolg vereitelt. Die Polizei schloss sich auch dieser Kritik an.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme führte die Ham burgische Bürgerschaft aus, nach Artikel 15 der Hamburger Verfassung bestehe kein Hindernis für die Einleitung von Ermittlungsverfahren, solange und soweit hiermit keine freiheitsbeschränkenden

und gleichzeitig die Ausübung des Mandats beein trächtigenden Maßnahmen verbunden seien. Dieser Auffassung folgten auch die Ausschussmitglieder. Es war ein sehr wichtiges Thema, dass sowohl freiheits- als auch mandatsbeschränkende Maßnahmen nicht einfach eingeleitet werden dürften.

Zur Klärung der Frage, ob eine Maßnahme unter dem Einwilligungsvorbehalt der Bürgerschaft stehe – wie in Hamburg –, sei eine Betrachtung der konkreten Einzelmaßnahme und deren Auswirkung auf die Mandatsausübung erforderlich. Bei der Auslegung des Merkmals „Beeinträchtigung der Mandatsaus übung“ sei zu berücksichtigen, dass die Immunität nicht dem einzelnen Abgeordneten, sondern dem Parlament insgesamt diene. In Anlehnung an die Regelung in Hamburg sind nach dem geänderten Ge setzentwurf jetzt Maßnahmen unterhalb der Schwelle von Verhaftungen oder Freiheitsbeschränkungen ohne weitere Genehmigung durch die Bremische Bürgerschaft zulässig.

Die Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Aufhebung der Immunität wird auf den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss übertragen, der mit qualifizierter Mehrheit entscheiden muss. Auf das Reklamationsrecht soll zukünftig verzichtet werden.

Der Schutz des Artikels 95 Absatz 1 der Bremer Lan desverfassung erstreckt sich somit auf Verhaftungen sowie sonstige die Freiheit und die Ausübung des Mandats beschränkende Maßnahmen. Das heißt, Ab geordnete dürfen ohne Einwilligung der Bürgerschaft während der Dauer ihres Mandats nicht verhaftet oder sonstigen ihre Freiheit und ihre Ausübung ihres Mandats beschränkende Maßnahmen unterworfen werden, es sei denn, sie werden bei der Ausübung einer Straftat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen.

Der nicht ständige Ausschuss nach Artikel 125 Bremer Landesverfassung zur Änderung des Immunitätsrechts empfiehlt der Bürgerschaft mehrheitlich mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP und bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE den uns heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bremischen Landesverfassung in dritter Lesung zu beschließen.

Da ich heute hier für den Ausschuss spreche und wir interfraktionell vereinbart haben, dass nicht jede Fraktion zum Gesetzesantrag Stellung nimmt, möchte ich jetzt das Abstimmungsverhalten der LINKEN darlegen. Die Fraktion DIE LINKE hatte den ersten Antrag im Juni dieses Jahres mitgetragen. Dieser Ent wurf, der an der Hamburger Regelung angelehnt war, sah ein Reklamationsrecht der Bürgerschaft vor. Der heute vorliegende Antrag, der dieses Reklamations recht nicht mehr enthält, wird von der Fraktion nicht mehrheitlich geteilt. Zum einen wird die rechtliche Argumentation der Bürgerschaftsverwaltung nicht nachvollzogen, die der Auffassung ist, die Hamburger Regelung sei nicht auf Bremen übertragbar.

Das bisherige Immunitätsrecht stößt aber auch in der Fraktion DIE LINKE auf Kritik. Es wird als nicht mehr zeitgemäß betrachtet, dass die Polizei derzeit keine entlastenden Tatsachen ermitteln darf, sodass es zwangsläufig zu einem staatsanwaltschaftlichen Verfahren und einem Aufhebungsantrag mit der häufigen Folge einer öffentlichen Stigmatisierung kommt. Dies rechtfertigt auch für DIE LINKE dem Grunde nach eine Änderung der bisherigen Rege lung. Einzelne Abgeordnete wollen inzwischen das geltende Recht beibehalten. Die Fraktion DIE LINKE gibt daher die Abstimmung frei. – Soweit mein Be richt, herzlichen Dank!

(Beifall)

Als Nächste hat das Wort die Ab geordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich persön lich finde es bedauerlich, dass wir in keiner Lesung eine Debatte über diese Änderung der Verfassung geführt haben. Wie meine Kollegin Frau Dr. Schaefer soeben schon ausgeführt hat, hat unsere Fraktion die Abstimmung freigegeben, und ich finde das auch sehr gut. Ich möchte Ihnen gern ganz kurz erläutern, warum ich gegen den Gesetzesentwurf stimmen werde.

Die Immunität der Abgeordneten ist als eine Lehre aus der Geschichte anzusehen, und ein Parlament, das seine Mitglieder nicht schützen kann, macht sich auch ein Stück weit wehrlos. Es wurde unter anderem wurde diskutiert, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, das im Augenblick noch geltende Immunitätsrecht beizubehalten. Das ist eine Behauptung, die ich nicht nachvollziehen kann, wenn ich mir die aktuelle politische Großwetterlage ansehe. Ich verweise auf die Vorfälle in der Türkei und letztendlich auch auf die Wahl in Amerika. Dort soll es nach Ermittlungen durchaus zu einer Wahlbeeinflussung gekommen sein. Das hat jetzt im Kern nichts mit unserem Immuni tätsrecht zu tun, es sind jedoch Anzeichen dafür, wie unsere politische Verfasstheit auch in demokratischen Staaten aussieht.

Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass eine erstark te Rechte durchaus zu solchen öffentlichen Mitteln greift, um eben auch Abgeordnete mürbe zu machen. Mit der vorgesehenen Verfassungsänderung gibt die Bürgerschaft das Recht auf, Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete zu stoppen oder gar nicht erst zuzulassen. Der erste Gesetzentwurf, das wurde vorhin auch schon dargestellt, orientierte sich an der Hamburger Regelung. Danach sind die Ermittlungen zwar grundsätzlich freigegeben, aber das Reklamati onsrecht wurde beibehalten. Dieser Regelung haben wir zugestimmt.

Nach der Anhörung gab es keine Möglichkeit mehr, eine Formulierung zu finden, die das Reklamations recht der Bremischen Bürgerschaft beinhaltete. Der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss folgte nicht den Einwänden und sprach sich mehrheitlich gegen ein Reklamationsrecht aus.

Heute sollen nicht die Hamburger Regelungen be schlossen werden, sondern der gänzliche Verzicht der Bürgerschaft, sich zu Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete verhalten zu können. Die Auffassung, es werde niemand kommen, um damit Missbrauch zu treiben, halte ich für nicht nachvollziehbar.

Die Änderung, dass Abgeordnete zukünftig nur noch dann gegen die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit geschützt sein sollen, wenn sie die Ausübung ihres Mandats beschränkt, halte ich ebenfalls für falsch und für schwierig. Meiner Auffassung nach ist es nicht eindeutig geregelt, wie die Situation zu bewerten ist, wenn sich Abgeordnete an Demonst rationen beteiligen oder sich einmischen, in deren Verlauf es zum Einschreiten der Polizei kommt.

Ich bin der Meinung, dass mit dieser Änderung nichts besser wird. Bisher ist die Aufhebung der Immunität zum Teil geräuschlos erfolgt, weil es um Bagatellen ging. Des Weiteren zu glauben, Ermittlungen gegen Abgeordnete wegen Besitz von Drogen oder Betrugs verdacht würden in Zukunft ebenfalls geräuschlos über die Bühne gehen, weil die Immunität nicht mehr aufgehoben werden muss, halte ich für blauäugig.

Ich weiß, dass es unpopulär ist – es ist meines Erach tens aber ein wichtiger Punkt –, für die Immunität einzutreten. Ich kann es verstehen, dass jegliche Privilegien von Abgeordneten von der Öffentlichkeit sehr kritisch beäugt werden, aber in diesem Fall möchte ich, dass wir die im Augenblick noch geltende Regelung durchhalten.

Es ist mir ein besonderes Anliegen – und damit kom me ich an das Ende meiner Ausführungen –, darauf hinzuweisen, dass wir auch an uns nachfolgende Abgeordnete denken müssen. Wenn ich das alles zusammennehme, komme ich zu dem Schluss, dass ich dieser Änderung der Landesverfassung nicht zustimmen kann. – Herzlichen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.