Margarete Bause
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Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für diese Gelegenheit und herzlichen Dank für Ihren Beifall. Eine Woche vor der Bundestagswahl bei der Eröffnung des Oktoberfests hat Herr Seehofer zu mir gesagt: Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Einzug in den Bundestag schaffen. – Nach einer Kunstpause fügte er hinzu: Damit ich Sie im Landtag los bin.
Zumindest in dieser Hinsicht hat sich der Wunsch des Bayerischen Noch-Ministerpräsidenten in Bezug auf das Wahlergebnis erfüllt. Ich bin Bundestagsabgeordnete, und heute ist meine letzte Landtagssitzung. Heute Vormittag habe ich bei der Frau Präsidentin den Verzicht auf mein Landtagsmandat zum 24. Oktober unterschrieben. In genau einer Woche findet in Berlin die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages statt. Dann bin ich offiziell Bundestagsabgeordnete. Im Landtag sind Sie mich dann los.
Manche freuen sich, manche können ihr Bedauern schlecht unterdrücken.
Wir haben uns in den vergangenen Jahren nichts geschenkt, gerade mit Blick auf die rechte Seite des Hauses und auf die Regierungsbank. Ich muss gestehen: Es hat mir durchaus Spaß gemacht.
Gerade eine absolute Mehrheit braucht eine angriffslustige und scharfe Opposition. Das gehört zur Demokratie.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie groß jetzt die Freude darüber ist, dass wir in Zukunft in Berlin miteinander zu tun haben werden, Herr Herrmann.
Aber möglicherweise sorgen Ihre Parteifreunde, Herr Seehofer, dafür, dass Ihnen das persönlich erspart bleibt.
Noch vor Kurzem hätte es kaum jemand für möglich und noch weniger für machbar gehalten – ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Winfried Kretschmann hat nach der Wahl im Hinblick auf ein mögliches JamaikaBündnis gesagt: Wir haben uns nicht gesucht, aber jetzt müssen wir uns finden.
Es ist eine Binsenweisheit, dass uns vieles trennt und manches sogar unvereinbar ist. Aber die Zeiten haben sich verändert, und die politische Situation hat sich sowieso auch verändert. Absolute Mehrheiten wird es in Zukunft auch in Bayern nicht mehr geben.
Stellen Sie sich schon einmal darauf ein. Auch Zweier-Bündnisse haben in immer weniger Fällen eine Mehrheit.
Das heißt: Das eingeübte Lagerdenken, Herr Huber, hilft nicht weiter. Hingegen helfen ein kühler Kopf, Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und ernsthaftes sowie hartes Verhandeln. Das werden wir auch tun. Damit das gelingen kann, gibt es ein paar Voraussetzungen: Erstens. Augenhöhe und gegenseitiger Respekt. Zweitens. Keine Tricks und keine Fouls. Drittens. Offenes Visier statt Schützengraben. Viertens. Die Bereitschaft, die Probleme zu lösen und sich nicht gegenseitig zu demontieren.
Wenn der Wille zur Zusammenarbeit da ist, können auch Bündnisse über Lagergrenzen hinweg erfolgreich arbeiten. Das sehen wir in Hessen, und das sehen wir in Schleswig-Holstein. Wo der Wille fehlt und ein Bündnis von Taktik und Tricks geprägt ist, wird es schiefgehen. Sorgen wir dafür, dass wir unserer Verantwortung und dem Wählerauftrag gerecht werden. Versuchen wir alles, um österreichische Verhältnisse in Deutschland zu verhindern. Stellen wir uns gemeinsam gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Suchen wir – –
Das ist jetzt wieder der pawlowsche Reflex. Stellen wir uns gemeinsam gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Suchen wir nach Lösungen für die zukünftigen Herausforderungen, nicht nach Sündenböcken. Zukunft wird aus Mut gemacht, nicht aus Angst und Ängstlichkeit.
Zum Schluss möchte ich mich bedanken. Danke für viele gute Gespräche und bereichernde Begegnungen. Danke für Vertrauen und Freundschaften, auch über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg. Danke für 18 gute, herausfordernde und prägende Jahre im Bayerischen Landtag. Es hat Spaß gemacht, und jetzt freue ich mich auf die neuen Aufgaben. Servus, pfiat eich und reißt‘s eich zamm.
Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Selbst nach fast 18 Jahren im Landtag gibt es immer noch Dinge, die man zum ersten Mal macht. So stehe ich heute zum ersten Mal hier, um für die Opposition die Worte zur Verabschiedung in die Sommerpause zu sprechen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei Markus Rinderspacher und den Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, die mir die Gelegenheit geben, an dieser Stelle vor dem Plenum zu reden. Der Grund dafür ist eine besondere Situation; denn es ist wahrscheinlich meine letzte Rede hier im Bayerischen Landtag.
Ich höre das Bedauern. Danke schön.
Wenn die Wählerinnen und Wähler es wollen, werde ich ab Herbst dieses Jahres dem Deutschen Bundestag angehören. Ich freue mich sehr über diese Geste, lieber Markus, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Sie zeigt, dass es in der Politik bei aller Konkurrenz auch Großzügigkeit gibt, und sie zeigt, dass Demokratie nicht allein davon lebt, die eigenen Ansprüche und Rechte durchzusetzen, sondern auch von Souveränität und einem guten Miteinander. Oder wie wir hier in Bayern sagen: Leben und leben lassen. Ich glaube, es würde dem Landtag guttun, wenn wir alle gemeinsam und öfter nach diesem Grundsatz handelten.
Zum Abschied gehört als Erstes der Dank, der Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landtagsamts in allen seinen Abteilungen für ihre stete Hilfsbereitschaft, für ihre Zuverlässigkeit und für ihre große Einsatzbereitschaft. Danke an die Polizistinnen und Polizisten und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pforte dafür, dass sie immer für unsere Sicherheit da sind. Danke an den Sanitätsdienst, der im Notfall immer schnell zur Stelle ist. Danke an die Reinigungskräfte, die wohl am besten mitbekommen, dass zwar vom papierlosen Landtag geredet wird, dass wir aber noch weit davon entfernt sind. Danke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien und in den Fraktionen. Danke an die Vertreterinnen und Vertreter
der Medien, die uns auf die Finger schauen, die berichten, die kommentieren, die kritisieren und die kontrollieren.
Ohne freie Medien gibt es keine Demokratie. Das sehen wir momentan in Ländern wie der Türkei, in Russland oder in China, aber auch in Europa, so in Polen oder in Ungarn. Deswegen sollten wir die Pressefreiheit bei uns gegen jegliche Einschränkungen verteidigen, auch beim G-20-Gipfel.
Und wir sollten sie bei internationalen Gesprächen, etwa mit Putin oder Orbán, immer wieder deutlich einfordern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie braucht nicht nur Freiheit. Demokratie braucht auch Zeit. Information, Gespräche, Bürgerbeteiligung, Austausch von Argumenten und Meinungen, das Finden von Kompromissen, Widerspruch, Rechtsmittel, Gerichtsentscheidungen – all das braucht Zeit, und das ist auch gut so. Aber wir sollten die Zeit auch nutzen. Immerhin ist sie kostbar, und wir alle haben zu wenig davon. Manchmal habe ich mich in den zurückliegenden Jahren gefragt, ob wir uns die eine oder andere Zeitschleife nicht hätten sparen können.
Ich denke insbesondere an das G 8 bzw. das G 9.
14 Jahre nach der Einführung des G 8 schaffen wir es in diesen Tagen wieder ab und geben den Schülerinnen und Schülern mehr Zeit zum Lernen. 14 Jahre Reform, Nachbesserungen der Reform, Nachbesserungen der Nachbesserungen, Reform der Nachbesserungen und Reform der Reform. Ich bin mir sicher, Sie widersprechen mir nicht – einige Kolleginnen und Kollegen allenfalls kaum –: Wir hätten diese Zeit viel sinnvoller nutzen können.
Oder denken wir an den Bau der Stromleitungen: Erst Ja, dann Nein, dann doch wieder Ja. Auch hier sind wir nicht gerade sorgsam mit unser aller Zeit umgegangen.
Oder denken wir an den Atomausstieg: 30 Jahre heftiger politischer Streit, dann Ausstieg unter Rot-Grün, dann Wiedereinstieg unter Schwarz-Gelb, dann Fukushima, dann Ausstieg mit allen. Auch diese Zeit hätten wir alle miteinander sinnvoller nutzen können.
Mir fällt in diesem Zusammenhang der Begriff des rasenden Stillstands ein. Es wird etwas reformiert und als Erfolg gefeiert. Dann wird die Reform zurückgedreht. Das wird dann auch als Erfolg gefeiert, und zwar von denselben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich hat sich auch viel geändert. Unser Land ist heute nicht mehr dasselbe wie vor 30 Jahren, als ich zum ersten Mal im Landtag war, oder vor 20 oder vor 10 Jahren. Damals mussten sich Frauen noch rechtfertigen, wenn sie Karriere machen wollten. Heute müssen sich Unternehmen, Institutionen und Parteien rechtfertigen, wenn Frauen bei ihnen keine Karriere machen können.
Damals war die Ehe für alle undenkbar. Heute stimmen sogar einige Kolleginnen und Kollegen der CSU dafür, und alle feiern fröhlich beim Christopher Street Day.
Nicht alle. Okay. Aber sogar Kolleginnen und Kollegen der CSU in München.
Damals war die Ganztagsschule noch als "Zwangstagsschule" verhöhnt, und heute setzen sich alle für eine Ganztagsgarantie ein.
Ich bin dankbar, dass ich ein Stück weit zu diesen Veränderungen beitragen durfte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zeit ist kostbar, auch und gerade in der Politik. Und doch tun wir oft so, als hätten wir unendlich viel davon und als hätte es keine Folgen, wenn wir nicht rechtzeitig handeln. Das gilt insbesondere beim Schutz unseres Klimas, beim Schutz unserer Lebensgrundlagen.
In der letzten Woche hat das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" einen unbedingt lesenswerten Text dazu veröffentlicht. Unter der Überschrift "Urlaub war uns wichtiger als eure Zukunft, sorry" schreibt der Autor einen vorweggenommenen Entschuldigungsbrief an unsere Kinder. Ich möchte zitieren:
Liebe künftige Generationen,
sorry. Das mit der schmelzenden Arktis, das mit dem abgeholzten Regenwald, das mit den leergefischten Meeren, das waren wir. Wir haben euren Planeten ausgebeutet, eure Natur kaputt gemacht, euer Klima auf Jahrhunderte hinaus geschädigt. Unsere Wissenschaftler hatten uns
zwar seit Jahrzehnten gewarnt, in immer eindringlicheren, verzweifelteren Worten, aber wir haben es nicht ernst genommen. Nicht ernst genug.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Herausforderungen, die nicht darauf warten, bis wir zu Einsichten gelangen. Die rasanten Veränderungen unseres Klimas, die Überhitzung der Erdatmosphäre, sind so ein Thema, und nicht nur eines unter vielen. Es ist schlicht eine Frage des Überlebens.
Der frühere US-Präsident Barack Obama hat einmal gesagt: Unsere Generation ist die erste, die die Folgen der Klimaerhitzung spürt, und sie ist vielleicht die letzte, die noch etwas dagegen tun kann.
Rechtzeitiges Handeln ist auch für unsere Demokratie wichtig; denn es eröffnet größere Freiheiten, um das Ziel Klimaschutz zu erreichen. Rechtzeitiges Handeln befördert auch den demokratischen Konsens. Spätes oder gar zu spätes Handeln nimmt uns Freiheit, die Freiheit, auf demokratischem Weg zu entscheiden, wie wir unser Klima schützen. In den Jahren, in denen ich hier in diesem Landtag sitze, haben wir aus diesem Hohen Haus heraus nur wenig in Richtung eines wirksamen Klimaschutzes angeschoben. Der Soziologe Ulrich Beck hat die Situation einmal so auf den Punkt gebracht: Wir erleben verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre.
Wir sind uns einig, aber es geht kaum etwas voran. Klimaschutz ist das, worum sich viele lieber erst später kümmern wollen, und das seit Jahrzehnten. Jedes Jahr wird unser Zeitfenster ein Stück kleiner. Mit jedem Jahr, in dem wir das Notwendige weiter vor uns herschieben, werden wir ein Stück mehr von Handelnden zu Getriebenen. Und deshalb möchte ich diese Schlussrede nutzen, um einen Appell zu formulieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kümmern wir uns alle miteinander mehr um die relevanten Themen – gern auch in leidenschaftlichem Streit um den richtigen Weg. Nutzen wir die Zeit, um uns um die Fragen zu kümmern, die uns unsere Kinder und Enkelkinder einmal stellen werden. Sorgen wir dafür, dass wir uns bei unseren Nachkommen nicht entschuldigen müssen, weil wir ihre Lebensgrundlagen zerstört haben, sondern dass wir guten Gewissens sagen können: Es stand Spitz auf Knopf, aber wir haben die Kraft und den Mut gehabt, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen eine gute Zeit.
Kolleginnen und Kolle gen! Das Bayerische Integrationsgesetz ist wohl eines der umstrittensten in dieser Legislaturperiode. Schon im Gesetzgebungsverfahren, in der Ersten Lesung, in den Ausschussberatungen, in der Zweiten und Dritten Lesung, bei den Anhörungen, die der Landtag durch geführt hat, bei den Stellungnahmen der Verbände, der Kirchen, der verschiedensten Organisationen, bei all diesen Gelegenheiten ist nicht nur festgestellt wor den, dass dieses Gesetz nicht der Integration dient, sondern vielmehr der Ausgrenzung bestimmter Bevöl kerungsgruppen und der Spaltung der Gesellschaft, sondern es ist auch darauf hingewiesen worden, dass dieses Gesetz von seiner grundsätzlichen Zielrichtung her, aber auch in vielen einzelnen Bestimmungen mit unserer Verfassung nicht übereinstimmt.
Wir und die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben immer wieder darauf hingewiesen, dass dieses Ge setz in dieser Form nicht den Landtag passieren darf. Sie haben es mit Ihrer Mehrheit trotzdem durchge setzt. Wir lassen aber nicht locker; denn ein Gesetz, das an so vielen Stellen ganz offensichtlich in Wider spruch zu den Vorschriften der Bayerischen Verfas sung steht, muss auch vom Bayerischen Verfas sungsgerichtshof überprüft werden.
Deswegen hat auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine sogenannte Meinungsverschiedenheit einge reicht. Wir wollen, dass der Verfassungsgerichtshof
überprüft, ob dieses Gesetz tatsächlich verfassungs gemäß ist. Es gibt viele gravierende Anhaltspunkte dafür, dass die Verfassungsmäßigkeit verletzt ist. Als verfassungswidrig sehen wir am Bayerischen Integra tionsgesetz insbesondere Folgendes an:
Zum einen stellt das Integrationsgesetz das Ziel einer Integrationspflicht auf. Dieses soll die bayerischen Be hörden verpflichten, die Integrationspflicht durchzu setzen. Das ist ein Verstoß gegen die Kompetenzord nung des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber im Bereich der Integration ist in erster Linie der Bundes gesetzgeber; er hat ein Integrationsgesetz erlassen, das von seiner Zielrichtung und von der ganzen Auf fassung von Integration her in Widerspruch zum Bayerischen Integrationsgesetz steht. Die Vorstellung des Bundesgesetzes von Integration ist geprägt von gegenseitiger Akzeptanz; die Vorstellung von Integra tion im Bayerischen Integrationsgesetz ist geprägt von Assimilierung. Das ist ein deutlicher Widerspruch. Hier hat der bayerische Gesetzgeber seine Kompe tenzbefugnisse überschritten. Es steht dem Bundes gesetzgeber zu, die Integration zu regeln. Deswegen sehen wir einen Verstoß gegen die Kompetenzord nung des Grundgesetzes.
Zum Zweiten sehen wir einen Verstoß gegen das Zi tiergebot des Grundgesetzes. Am Ende Ihres Integra tionsgesetzes in Bayern wird in einer Generalklausel darauf verwiesen, dass Grundrechtseinschränkungen pauschal und unbestimmt vorgenommen werden. Das geht in dieser Form nicht. Sie können nicht in einer Pauschalklausel einfach mal so nebenbei Grundrech te einschränken. Hier sehen wir einen Verstoß gegen das Zitiergebot des Grundgesetzes.
Wir sehen weiter einen Verstoß gegen den Bestimmt heitsgrundsatz. Gesetze müssen klar, verständlich und nachvollziehbar sein, insbesondere mit den Be grifflichkeiten, die dort zentral sind und dort verwendet werden. Ihr zentraler Begriff ist da die Leitkultur. Trotz mehrfacher Nachfragen und Aufforderungen haben Sie es bis heute nicht geschafft, nachvollziehbar zu erklären, was denn diese ominöse Leitkultur nun an geblich sein soll, an die sich alle halten sollen. Wer sich nicht daran hält, wird sogar noch mit Sanktionen bedroht. Wenn man jemandem eine Strafe androht, dann soll er wenigstens wissen, woran er sich halten soll. Dass man jemandem zur Begrüßung nicht die Hand gibt, mag vielleicht respektlos sein, aber sollte nicht einer Sanktion unterliegen. Sie verstoßen hier also gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Grund gesetzes; auch hier sehen wir eine Verfassungswid rigkeit.
Das Integrationsgesetz missachtet die Gemeinwohl bindung. Es widerspricht der Gemeinwohlbindung des
Gesetzgebers, das Handeln der staatlichen Behörden an der Leitkultur auszurichten, wie Sie das im Integra tionsgesetz verlangen. Der Gesetzgeber ist gerade daran gehalten, kulturelle Gehalte für alle gleicherma ßen zu ermöglichen und nicht eine Kultur höherwertig als eine andere darzustellen. Also: Hier verlässt der Gesetzgeber die Neutralität und identifiziert sich mit sehr speziellen Vorstellungen, was denn nun unsere Kultur oder gar unsere Leitkultur ausmachen soll.
Das Integrationsgesetz verstößt auch in einzelnen Be stimmungen gegen Vorschriften der Verfassung. Zum Beispiel wird die Rundfunkfreiheit eingeschränkt; Kol lege Rinderspacher hat schon darauf hingewiesen. Die Meinungsfreiheit wird mehrfach eingeschränkt. In Artikel 17, wo es um den sozialen Wohnungsbau geht, sehen wir die Gefahr, dass bestimmte Bevölke rungsgruppen diskriminiert werden. Das widerspricht dem Antidiskriminierungsgrundsatz. Auch die Rege lungen zu Straf und Untersuchungsgefangenen grei fen in die Grundrechte der Betroffenen ein und sind so ebenfalls nicht verfassungskonform.
Wir sind gespannt auf das Urteil des Verfassungsge richtshofs, und wir sind uns sehr sicher, dass dieses Integrationsgesetz, wie Sie es hier mehrheitlich verab schiedet haben, nicht den Segen des Bayerischen Verfassungsgerichtes bekommt. Wir freuen uns auf das Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Ich glaube, dass es gut ist, dass dieses Gesetz noch einmal vom Verfassungsgericht überprüft wird, und dass es so nicht bestehen bleiben kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kirchenasyl ist nicht strafbar. Der Aufenthaltsort der Geflüchteten ist bekannt. Deswegen ist es eben keine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Die Kirchengemeinden beziehen sich ja gerade auf eine Vereinbarung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Kirchen von vor zwei Jahren. In dieser Vereinbarung ist ein Kompromiss getroffen worden. Auf der einen Seite darf sich die Kirche nicht in staatliche Angelegenheiten einmischen; auf der anderen Seite muss der Staat die jahrhundertealte Tradition des Kirchenasyls respektieren. Ich kenne kein anderes Bundesland, in dem in dieser Art und Weise gegen das Kirchenasyl vorgegangen wird.
Hier steht Bayern unrühmlich an der Spitze. Dieser Spitzenplatz Bayerns ist wirklich eine Schande.
In den Kirchengemeinden entsteht zunehmend das Gefühl, dass systematisch und gezielt eingeschüchtert wird. Jede Woche gibt es zwei bis drei neue Ermittlungen gegen Kirchengemeinden und gegen Pfarrerinnen und Pfarrer, die Kirchenasyl gewähren. Das kann doch nicht in Ihrem Sinne sein.
Ich sehe hier Herrn Blume und Herrn Söder, die Mitglieder der Synode sind. Herr Unterländer ist erst vor Kurzem in eine herausragende Position der katholischen Kirche gewählt worden. Sie sind praktizierende Christen. Daher möchte ich von Ihnen gerne eine klare Antwort auf die folgende Frage hören: Wollen Sie das Institut des Kirchenasyls schützen und bewahren, oder wollen Sie die Kirchen kriminalisieren und der Strafverfolgung aussetzen? Hierzu wäre von Ihnen ein klares Wort erforderlich.
Bayern hat bundesweit die größte Anzahl an Kirchenasylen. Nahezu 50 % aller Kirchenasyle gibt es in Bayern. Das ist sicher nicht aus Jux und Tollerei so, sondern weil die bayerische Abschiebe- und Flüchtlingspolitik besonders rigide ist. Zum Glück gibt es in Bayern die Kirchengemeinden als letzten Zufluchtsort. Wir sollten alles dafür tun, damit diese Zufluchtsorte erhalten bleiben. Die Menschen, die Kirchenasyl gewähren, sollten weder eingeschüchtert noch verächtlich gemacht werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die CSU diese Praxis unterstützt und gutheißt. Ich erwarte von Ihnen ein klares Bekenntnis zum Kirchenasyl, ansonsten können Sie sich den Gottesdienstbesuch an Ostern wirklich schenken.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten heute darüber streiten, was wir für gute Integration brauchen. Wir sollten debattieren, welcher Weg der beste ist, wie wir fördern und wie wir fordern, damit wir am Ende die Weichen so stellen, dass Integration in unserem Land tatsächlich gelingt.
Wir GRÜNE haben dafür einen Gesetzentwurf vorgelegt, einen Gesetzentwurf für Integration und Partizipation. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, diesen Gesetzentwurf haben Sie erst gar nicht diskutieren wollen; denn Sie wollen gar nicht über gute Integration reden. Ihnen – da blicke ich besonders auf Sie, Herr Kollege Kreuzer, und auf die Regierungsbank – geht es um etwas völlig anderes:
Ihnen geht es um die Frage, wie Sie den drohenden Verlust Ihrer absoluten Mehrheit bei den nächsten Wahlen verhindern können.
Es geht Ihnen um reines Machtkalkül, nicht um bessere Lösungen. Ihr Mantra ist doch Macht um der Macht willen. Dafür sind Sie bereit, unser ganzes Land einen hohen Preis zahlen zu lassen.
Sie treibt nicht die Sorge, dass unser Land die Anzahl der Geflüchteten nicht verkraften könnte. Es geht Ihnen auch nicht um die Ängste derer, die sich sozial abgehängt sehen. Schon gar nicht geht es Ihnen um diejenigen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Die einzige Sorge, die Sie umtreibt, ist Ihr Wahlergebnis bei der nächsten Landtagswahl.
Sie setzen dabei auf eiskaltes Kalkül. Ihr Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist Teil genau dieses Kalküls. Deshalb ist das kein Integrationsgesetz. Deshalb ist es ein Spaltungsgesetz.
Es ist ein vergiftetes Gesetz mit einer vergifteten Sprache, zusammengebraut nicht im Sozialministerium, sondern in der Giftküche der Staatskanzlei.
Kolleginnen und Kollegen, bei Ihrem Gesetzentwurf fangen die Probleme schon in der Präambel an. Da taucht gleich der unsägliche Begriff der Leitkultur auf, ein Begriff, von dem Sie selbst nicht sagen können, was er bedeutet. Ihre grotesken sprachlichen Verrenkungen sind Realsatire. Aber es geht Ihnen gar nicht um den Inhalt dieses Begriffs. Der Begriff hat keinen
konkreten Inhalt. Er hat nur ein Ziel, nämlich klarzumachen, dass Sie Integration gar nicht wollen. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann vielleicht Alois Glück. Sie erinnern sich: Er war einmal Ihr Fraktionsvorsitzender. Er hat in einem bemerkenswerten Aufsatz unter dem ausdrücklichen Bezug auf die schwierige Debatte um die Leitkultur Folgendes gesagt:
Wer fühlt und erlebt, dass er eigentlich unerwünscht ist, wird sich der Anstrengung zur Integration nicht stellen. Wir würden es mit einer solchen Erfahrung auch nicht tun.
Alois Glück sagt damit: Ihr Leitkult fördert die Integration nicht; er behindert die Integration.
Genau dieser Leitkult ist laut Präambel der einzige Sinn und Zweck Ihres Gesetzes. Der Zweck Ihres Gesetzes ist also, Integration zu behindern. Da, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, sind wir mit Alois Glück einer Meinung und mit vielen, vielen anderen kritischen Stimmen aus der gesamten Gesellschaft, die Ihr Gesetz in den Diskussionen und in den Anhörungen hier im Landtag in Bausch und Bogen zerrissen haben, aus der Wirtschaft, den Kammern, den Unternehmen, deren Integrationsbereitschaft, deren Bereitschaft, Geflüchteten Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, Sie abwürgen, aus der Wissenschaft, insbesondere auch aus der Rechtswissenschaft, den Verbänden, aus den Kommunen und insbesondere aus den Kirchen.
Einer der Höhepunkte in der Debatte zu Ihrem Spaltungsgesetz war die Stellungnahme von Prälat Lorenz Wolf vom Katholischen Büro. In der Anhörung hat er Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Nachhilfeunterricht in Sachen christliches Menschenbild erteilt – Ihnen, die Sie sich eine christliche Partei nennen und in Ihrem Grundsatzprogramm geschrieben haben, dass Ihre Grundlage und Orientierung das christliche Menschenbild sei. Prälat Wolf hat Ihnen in der Anhörung in Erinnerung gerufen, was das denn eigentlich ist. Er hat gesagt: " …das christliche Menschenbild … umfasst … die voraussetzungs- und bedingungslose Gleichheit aller Menschen."
Die voraussetzungslose und bedingungslose Gleichheit aller Menschen. Das sollten Sie sich rahmen lassen und unter das Kruzifix in Ihren Fraktionssaal hängen, damit Sie sich das immer wieder in Erinnerung rufen können;
denn genau diesen Grundwert treten Sie mit diesem Integrationsgesetz mit Füßen.
Kardinal Reinhard Marx hat es so formuliert: "Du bist nicht zuerst gläubig oder ungläubig, Christ oder Muslim – nein, du bist zuerst Mensch". Das ist das christliche Menschenbild, und das ist mit Ihrer Leitkultur unvereinbar.
Gehen wir weiter zu Artikel 10. Darin wollen Sie den Rundfunk auf die Vermittlung der Leitkultur verpflichten – ein unerträglicher Eingriff in die Pressefreiheit. Offenbar wollen Sie die Redaktionen zu Zwangskomplizen Ihrer verfehlten Politik machen. Wie soll das eigentlich praktisch aussehen? Schaut dann künftig jeder Redakteurin ein Leitkultzensor über die Schulter, oder wie haben Sie sich das gedacht? Was passiert mit denen, die sich nicht daran halten? Vor wem und wofür müssen sie sich dann verantworten? – Diese schleichende Gleichschaltung machen wir nicht mit, Kolleginnen und Kollegen, und ich bin mir sicher, die Mehrheit unserer Bürgerinnen und Bürger auch nicht.
Völlig absurd wird es in den Artikeln 13 und 14: Wer zum Ausdruck bringt, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt, kann zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte verpflichtet werden. Wer dazu auffordert, die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten, soll bis zu 50.000 Euro Geldbuße bezahlen.
Nur zur Klarstellung: Sie meinen damit nicht die Reichsbürger. Sie meinen damit auch nicht die Pegida-Aufmärsche. Da drücken Sie gerne einmal das rechte Auge zu.
Nein, Ihnen geht es um ein bayerisches Sonderstrafrecht gegenüber Ausländerinnen und Ausländern,
und das widerspricht nicht nur unserer Verfassung, sondern das zeigt, dass Ihnen keine Idee zu absurd ist, um Integration zu behindern und die Gesellschaft zu spalten.
Kolleginnen und Kollegen, wir debattieren Ihr Gesetz zur Weihnachtszeit. Dort steht ein Nikolaus, oder ist es ein Weihnachtsmann? – Hier sehe ich es gerade nicht, ich muss einmal den Herrn Söder fragen.
Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe,
der christliche Grundwert schlechthin. Genau diesen Wert der Nächstenliebe entsorgen Sie mit Ihrem Spaltungsgesetz,
und konservative Tugenden wie Anstand, Respekt und Haltung gleich mit.
Welche Folgen es hat, wenn die einen subtil und die anderen voller Hass gegen Einwanderer hetzen, sehen wir in Österreich. Dort nähert sich vor allem die konservative ÖVP immer mehr der rechtsnationalen FPÖ an. Fehlender Mut und fehlendes Rückgrat der Konservativen haben zwei Folgen: zum einen ein tief gespaltenes Land und zum anderen eine konservative Partei, die sich selbst abschafft. Ich finde, das sollte Ihnen ein warnendes Beispiel sein.
Wir können aber noch etwas aus Österreich lernen, Kolleginnen und Kollegen, nämlich wie man mit Weltoffenheit und einem leidenschaftlichen Bekenntnis zu Europa Mehrheiten gewinnt.
Alexander Van der Bellen hat das eindrucksvoll gezeigt, und das macht Mut. Das demokratische Europa ist erleichtert. Ein Grüner wird Bundespräsident in Österreich und nicht ein Nazi,
unterstützt auch von den Genossen und von vielen, vielen Wählerinnen und Wählern.
Unser Ministerpräsident, Herr Seehofer, hat die Wahl Van der Bellens so kommentiert: Unter den gegebenen Umständen sei das zu begrüßen. – Also noch freudloser geht es wohl nicht. Ich habe auch noch nicht mitbekommen, dass Herr Seehofer Alexander Van der Bellen zur Wahl gratuliert hätte, anders als bei Donald Trump, dem er nicht nur sofort gratuliert hat, sondern den er sogar noch nach Bayern eingeladen hat. Jetzt frage ich: Wann kommt die Gratulation, und wann ergeht die Einladung an Alexander Van der Bellen nach Bayern?
Kolleginnen und Kollegen, wer Nationalisten und Populisten hofiert – wie Sie das gerade wieder getan haben, Herr Kreuzer –, der macht sie erst stark. Wir sehen das in Österreich, in Frankreich, in Großbritannien, und wir werden das auch bei uns sehen, wenn Sie so weitermachen. Ihr Ortsverband in Viechtach hat das sehr gut auf den Punkt gebracht. Ich zitiere aus einem bemerkenswerten Positionspapier der CSU Viechtach: "Uns ist es lieber, die Radikalen der AfD sitzen erkennbar rechts außen als unerkennbar unter uns."
Das sagt der CSU-Ortsverband Viechtach, und ich frage mich, was Herr Brunner, der dort der Stimmkreisabgeordnete ist, zu einem solchen Positionspapier sagt. Vielleicht hören wir das heute noch in dieser langen Nacht.
Ich sage Ihnen: Ihre Politik ist nicht nur verantwortungslos, Sie werden damit auch keinen Erfolg haben.
Lassen Sie mich noch einmal Alois Glück zitieren:
Eine zu starke Orientierung an den Wahlergebnissen mit dem Blick nach rechts kann … ein schleichender Prozess des Verlustes der Grundsubstanz … der C-Parteien – das christliche Menschenbild und das Menschenbild nach Art. 1 Grundgesetz werden.
Glück warnt vor einer Entfremdung des Teils der Wählerschaft, dem das Christliche und Soziale wichtig ist, und er sagt, in diesem Spektrum habe bereits eine erhebliche Erosion begonnen.
Es ist ja nun nicht so, dass mich die Aussicht auf die Erosion der CSU in tiefe Trauer stürzen würde. Das ist Ihr Problem. Mich versetzt aber die schleichende Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in Sorge,
die Sie hier eiskalt kalkuliert seit Monaten praktizieren.
Ihr Gesetz, das Sie hier vorlegen, ist nichts anderes als eine weitere Dosis Gift, die zu mehr Hass, zu mehr Ausgrenzung und mehr gesellschaftlicher Spaltung führt. Deshalb darf dieses Gesetz nicht in Kraft treten, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie gegen dieses Spaltungsgesetz, und stimmen Sie unserem Gesetz für Zusammenhalt zu.
Wer ausgrenzt, der spaltet. Wer spaltet, der schwächt das Land. Zusammenhalt dagegen macht uns stark; denn nur gemeinsam gewinnen wir.
Das schaffen Sie auch gar nicht.
Herr Kollege Huber, ich darf Ihnen den gesamten Beitrag von Alois Glück, ein Positionspapier für die Strategie der CSU noch einmal ans Herz legen. Ich weiß nicht, ob Sie es kennen. Ich kann es Ihnen gerne zur Verfügung stellen, auch wenn es mir vielleicht gar nicht so recht wäre.
Es ist aber ein kluges Papier. Es ist ein kluges Papier, aus dem ich hier zitiert habe. Ich kann Ihnen gerne zur Verfügung stellen, was Alois Glück in Bezug auf die Spaltung, auf das Verhindern von Integration gesagt hat.
Wenn Sie es brauchen sollten, können Sie es nach der Sitzung gerne von mir bekommen.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! "Ungarn hat den ersten Stein aus der Mauer geschlagen" – mit diesen Worten hat Helmut Kohl den Beitrag Ungarns zum Fall der Mauer im Jahr 1989 beschrieben. Er hatte recht; denn Ungarn hatte nicht nur seit dem Frühjahr 1989 damit begonnen, den Grenzzaun zu Österreich abzubauen; nein, das Land hatte noch etwas viel Unerhörteres getan: Auf Betreiben des Reformers Imre Pozsgay war Ungarn der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten. Wer nun nach Ungarn geflohen war – und das waren in jenem Jahr viele Tausende DDR-Bürgerinnen und –bürger –, der konnte nicht mehr einfach abgeschoben werden. Schließlich standen die Flüchtlinge unter dem Schutz der Genfer Konvention.
Durch die mutige Politik der damaligen ungarischen Regierung wurde nicht nur die deutsche Wiedervereinigung möglich, sondern auch die Spaltung Europas konnte überwunden werden.
Das gemeinsame Europa als politischer Raum, der auf Werten wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte aufbaut, war die Folge der ungarischen Politik im Jahr 1989. Unser Land sowie ganz Europa schuldet diesen mutigen ungarischen Politikern Dank.
Wir schreiben jetzt das Jahr 2016. Der Unterschied zwischen der damaligen ungarischen Regierung und der jetzigen könnte größer nicht sein. Damals waren es Politiker, die sich mutig für die Freiheit entschieden haben, die es ermöglicht haben, dass Menschen frei reisen und frei ihre Meinung sagen können, und die das Land in die Demokratie geführt haben.
Heute ist es eine Regierung, die das Land abschottet, die die Flüchtlinge eher wie Vieh als wie Menschen behandelt, die die Kulturschaffenden auf das Nationalgefühl verpflichtet und die Kritik an der Politik der Re
gierung pauschal als "unpatriotisch" verunglimpft. Was das in Ungarn bedeutet, wissen einige von Ihnen ganz sicher. Das bedeutet nämlich, dass diese Kritiker in Ungarn in Lebensgefahr schweben.
Es ist eine Regierung, die die Pressefreiheit erstickt und die unliebsame Medien zum Schweigen bringt, wie erst kürzlich die Zeitung "Volksfreiheit", die größte unter den noch verbliebenen regierungskritischen Medien, eine Regierung, die Europa nicht mehr als Wertegemeinschaft, sondern bestenfalls noch als Freihandelszone begreift.
Die treibende Kraft hinter all diesen Entwicklungen heißt Victor Orbán. Seine Politik ist durchdrungen von nationalistischem und autoritärem Denken. Er führt sein Land knapp drei Jahrzehnte, nachdem es sich von der kommunistischen Diktatur befreit hat, in eine neue Unmündigkeit. Genau dieser Victor Orbán ist – ebenso wie sein Bruder im Geiste Wladimir Putin – anscheinend einer der wichtigsten Partner der CSUStaatsregierung.
Das nächste Kapitel dieser unglückseligen Geschichte schlägt nun Herr Seehofer auf, und zwar bei einem Festakt zum Gedenken an den Ungarn-Aufstand, genau hier im Bayerischen Landtag. Ich finde, es ist schon zynisch genug, wenn Orbán selbst die Freiheit mit Füßen tritt und hier derer gedenkt, die im Kampf für die Freiheit ihr Leben gelassen haben. Seinerzeit sind rund 2.500 Menschen in den Kämpfen umgekommen. Unerträglich wird es, wenn ihm der Bayerische Ministerpräsident in dieser Politik auch noch zur Seite springt.
Ja, man kann und sollte mit Victor Orbán reden, aber man muss als demokratischer Politiker die Werte unserer Verfassung und die Werte unseres freiheitlichen Europas klar und unmissverständlich benennen. Man muss seine Kritik an diesem Maßstab kritisieren und sich auf die Seite der Meinungsfreiheit, der Menschenrechte und der Menschenwürde stellen. Das ist die Aufgabe eines bayerischen Ministerpräsidenten!
So, wie Herr Seehofer bisher aufgetreten ist, fällt er den Menschen in Ungarn in den Rücken, die sich für Freiheit, für Menschlichkeit, für Menschenrechte und für die Demokratie einsetzen. Das ist der eigentliche Skandal.
Wir leben mit Ungarn in einem gemeinsamen Europa. Es geht uns eben etwas an, wenn in unserer Nachbarschaft eine Demokratie Stück für Stück einfach verschwindet und in einen autoritären Staat umgewandelt wird.
Bei Ihren bisherigen Treffen mit Herrn Orbán ging es gerade nicht um Freiheit, um die Menschenrechte, um die europäischen Werte. Es ging Ihnen um ein Geschäft zum gegenseitigen Nutzen; man auch kann sagen: Es ging Ihnen um einen schmutzigen Deal. Sie haben deutlich gemacht, dass Herr Orbán in Deutschland Verbündete hat. Die CSU-Regierung konnte Orbán gut benutzen als Kronzeugen gegen die eigene Bundeskanzlerin. Das nenne ich einen schmutzigen Deal zum Schaden der Menschen, die für die Meinungsfreiheit kämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte Ungarn im Jahr 1989 so engstirnig gedacht, dann würde heute möglicherweise immer noch eine Mauer durch Europa gehen. Die Lehre aus der europäischen Geschichte ist doch, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nicht von selbst kommen. Sie müssen politisch erkämpft werden, immer wieder aufs Neue. Es scheint, als hätten Sie von der CSU diese Lektion bereits vergessen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, dass wir heute die Einsetzung der Enquete-Kommission zur Integration in Bayern beschließen. Ich freue mich, dass sich am Ende alle Fraktionen unserer Initiative angeschlossen haben. Zuerst haben wir einen gemeinsamen Antrag mit der SPD-Fraktion eingebracht. Danach haben sich die FREIEN WÄHLER und die CSU dem Antrag angeschlossen. Der Weg dorthin war nicht ganz leicht. Jetzt liegt jedoch ein guter gemeinsamer Antrag vor, der eine spannende und sehr wichtige Diskussion in der Enquete-Kommission erwarten lässt. – Herzlichen Dank für diese gemeinsame Initiative.
Die Enquete-Kommission ist nötig, sie ist sogar längst überfällig. Andere Landtage haben schon in den Jahren 2010 und 2011 Enquete-Kommissionen zum Thema Integration eingerichtet. Dazu zählen die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz. Diese Kommission ist auch deshalb überfällig, weil wir auch in Bayern längst in einer Einwanderungsgesellschaft leben, selbst wenn Sie von der CSU sich schwertun, diese Realität anzuerkennen. Zunächst brauchen wir eine umfassende Bestandsaufnahme mithilfe von Daten und Fakten. Wie verläuft die Zuwanderung, die Migration und Integration in unserer Gesellschaft eigentlich? Was sind gelingende Projekte? Wo hapert es? Wo befinden sich Integrationshürden und Integrationshindernisse? Wie können wir eine ressortübergreifende und langfristig ausgerichtete Integrationspolitik auf den Weg bringen? Wie gestalten wir Integrationspolitik aktiv? – Je erfolgreicher wir Integration gestalten, desto besser steht es um die Zukunftschancen Bayerns. Darüber besteht mittlerweile Konsens.
Im Übrigen haben wir unseren Wohlstand in Bayern gerade auch der permanenten Migration und somit auch den Migrantinnen und Migranten und den Flüchtlingen zu verdanken.
Mit der Enquete-Kommission erkennen wir an, dass Zuwanderung in Zeiten der Globalisierung den Normalzustand darstellt. Es handelt sich nicht um eine zeitlich befristete Ausnahme, wie Sie das von der CSU gerne sehen. Im Rahmen einer Veranstaltung im Landtag hat Herr Alois Glück vor Kurzem in einem sehr bemerkenswerten Vortrag deutlich gemacht, dass Zuwanderung kein vermeidbarer Betriebsunfall sei – das hat er so genannt –, sondern in einer globalisierten Welt der Normalzustand. Außerdem hat er deutlich gemacht, dass die Einstellung zu Flüchtlingen und Migranten für die Aufgabe der Integration von ausschlaggebender Bedeutung ist. Das ist eine zentrale Aussage. Wir sollten sagen: Sie sind eine Chance für uns. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, unseren Wohlstand in einer globalisierten Welt weiter auszubauen. Es ist entscheidend, welche Maßnahmen wir ergreifen. Es ist ein Unterschied, ob wir die Türen schließen oder sagen: Sie sind mitten in unserer Gesellschaft, und wir tun alles dafür, dass sie optimale Chancen haben, weil wir alle davon profitieren, weil wir alle dadurch gewinnen.
Ziel der Enquete-Kommission ist es, konkrete Konzepte für eine erfolgreiche und zukunftsgerichtete Integrations- und Migrationspolitik zu entwickeln. Außerdem soll erarbeitet werden, wie die Potenziale
erfolgreicher anerkannt, gefördert und nutzbar gemacht und Integrationshemmnisse und Integrationshürden abgebaut werden können.
Herr Zellmeier, ich hielte es für sinnvoll, wenn Ihre Fraktion das Leitkult-Gesetz zurücknehmen würde, bis wir in der Enquete-Kommission auf der Basis von Fakten und Daten und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten sowie Betroffenen Empfehlungen erarbeitet haben. Auf dieser Grundlage können wir sinnvoll diskutieren. Wir sollten nicht mit verfehlten Vorschlägen und auf einer völlig unzutreffenden Faktenbasis eine falsche Politik wie in Ihrem Integrationsgesetz betreiben. Ich empfehle Ihnen, die EnqueteKommission als Chance zu begreifen und Ihr Integrationsgesetz zurückzuziehen. Erarbeiten wir zusammen mit den Expertinnen und Experten sowie den Betroffenen Empfehlungen. Auf diese Weise haben wir die Chance, eine gute Integrationspolitik für Bayern zu gestalten.
In der Enquete-Kommission werden wir streiten – das ist klar. Wir haben uns um den richtigen Weg schon bei ihrer Einsetzung gestritten. Das gehört zur Demokratie. Es macht nichts, dass wir in dieser EnqueteKommission nicht alle einer Meinung sein werden. Das gehört sich auch so. Wir werden jedoch auf der Basis von Fakten streiten und nicht auf der Basis von Gerüchten oder Befürchtungen, die durch den Raum wabern. Wenn wir auf der Basis von Daten und Fakten um den richtigen Weg streiten, ist das in Ordnung. Ich hoffe, dass wir mit der Enquete-Kommission die ideologische Debatte, die Sie so gerne führen, endlich überwinden können.
Bayern geht mit dieser Enquete-Kommission einen wichtigen Schritt weiter auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Integrationspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzen wir gemeinsam diese Chance.
Herr Kollege Dr. Fahn hat gerade gesagt, Integration sei Chefsache. Das sehen wir auch so. Deswegen werde ich selber dieser Enquete-Kommission angehören. Meine Kollegin Christine Kamm wird mich dort vertreten. Unser Experte ist Michael Stenger, der Ihnen als Erfinder der "SchlaU-Schule" bekannt ist. Das ist ein unglaublich erfolgreiches Integrationsprojekt. Wir freuen uns, zusammen mit den anderen Expertinnen und Experten und mit Ihnen eine zeitgemäße Integrationspolitik für Bayern zu entwickeln.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Zuwanderung
und Integration ist keines, das uns erst seit wenigen Monaten beschäftigt. Es beschäftigt uns seit vielen Jahren. Wir GRÜNE haben zum Beispiel zum ersten Mal im Jahr 2001, also vor 15 Jahren, einen Gesetzentwurf zur Integration zur Diskussion gestellt.
In all den Jahren gab es viele Debatten, vor allen Dingen auch viele Informationsreisen in klassische Einwanderungsländer, damit wir lernen, wie Integration gelingt, was andere Länder besser machen, was wir von ihnen lernen können. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Delegationsreise im Jahr 2008 nach Québec. Mitglieder dieser Delegation waren Alois Glück – er war damals noch der Präsident des Bayerischen Landtages –, Georg Schmid – er war damals Ihr Fraktionsvorsitzender –, Peter Paul Gantzer, Linus Förster und meine Person. Bei dieser Reise waren wir unter anderem in einem Integrationszentrum in Québec, einem Integrationszentrum, wie wir es in unserem Gesetzentwurf heute auch für die Kommunen in Bayern vorschlagen. Dort wurden wir von einer Dame mit einem herzlichen "Grüß Gott!" begrüßt. Sie hat uns in einer Powerpoint-Präsentation gezeigt, was Québec alles für gelingende Integration tut. Dies hat sie uns in einem wunderbaren Deutsch erklärt. Am Ende dieses Vortrags hat Alois Glück gesagt, dies sei sehr beeindruckend gewesen, aber am meisten habe ihn beeindruckt, wie gut sie Deutsch spreche. Er fragte: "Wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?". Daraufhin hat die Leiterin dieses Zentrums gesagt, sie sei eigentlich Bürgerkriegsflüchtling aus dem Kosovo, sei in den Neunzigerjahren aus dem Kosovo nach Bayern geflohen, sei in München gewesen, habe dort fünf Jahre lang als Altenpflegerin gearbeitet, und in dieser Zeit habe sie natürlich Deutsch sprechen gelernt. Alois Glück fragte: "Aber, liebe Frau, wieso sind Sie denn dann ausgewandert? Solche Frauen wie Sie brauchen wir doch in Bayern!" Die Dame antwortete: "Das wollen Sie nicht wissen." Alois Glück entgegnete: "Natürlich will ich das wissen. Das interessiert uns." Daraufhin hat sie gesagt: "Weil Sie mich ausgewiesen haben."
Sie von der CSU scheinen aus Ihren Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt zu haben. Zuwanderung und Integration sind für Sie bis heute ein Angstthema. Wie muss es eigentlich um Ihre eigene Identität bestellt sein, wenn Sie Verschiedenheit nur als Bedrohung wahrnehmen können?
Integration ist eine Zukunftsaufgabe für unsere Gesellschaft und keine Strafaufgabe, wie Sie sie definieren. Integration ist eine große Zukunftschance, und ein Integrationsgesetz muss Lust machen aufs Mitmachen, Lust darauf, Teil dieser Gesellschaft sein zu
können. Ein Integrationsgesetz darf nicht Misstrauen, Unterordnung und Ausgrenzung festschreiben, so wie Ihr Gesetzentwurf das tut.
Mit Ihrem Gesetzentwurf führen Sie nicht zusammen; Sie spalten unsere Gesellschaft. Was Sie hier anbieten, ist kein Integrationsgesetz fürs 21. Jahrhundert; es ist ein reaktionäres Mottenkistengesetz.
Im Kern geht es bei der Integration um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen – in einer Gesellschaft, in der wir uns achten und uns gegenseitig helfen, in einer Gesellschaft, in der wir in dem anderen Menschen zuerst den Mitmenschen sehen und nicht den vermeintlich Andersartigen, in einer Gesellschaft, in der wir Menschen nach ihrem Verhalten und nicht nach ihrer Herkunft beurteilen, oder in einer Gesellschaft, in der wir fremden Menschen zunächst mit Misstrauen begegnen, uns von ihnen bedroht fühlen, sie als Menschen zweiter Klasse sehen und ihnen sogar die gleiche Würde wie uns selbst absprechen. Ich finde, die Antwort fällt nicht schwer, die Antwort ist eindeutig: Es geht darum, die besten Zukunftschancen für die Menschen, für die Wirtschaft, für Bayern herzustellen und zu gestalten.
Es geht um Integration, bei der wir alle gewinnen. Diese werden wir nur bekommen, indem wir die Menschen zusammenführen, und nicht, indem wir die Menschen mit Angst und Vorurteilen gegeneinander aufbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Einwanderung gehört zur Geschichte unseres Landes. Sie hat unsere Gesellschaft geprägt. So kamen zum Beispiel die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter kamen Anfang der Siebzigerjahre aus Italien und der Türkei. Die Aussiedler in den Neunzigerjahren kamen vorwiegend aus Russland und Kasachstan; Bürgerkriegsflüchtlinge kamen aus dem zerfallenden Jugoslawien, und es kamen Menschen aus anderen EU-Staaten. Viele von ihnen sind geblieben, und sie haben unser Land reicher gemacht, weil sie ihre eigene Geschichte, ihre Kultur, ihre Identität mitgebracht und weil sie sich in unsere Gesellschaft eingebracht haben, weil sie neue Ideen und andere Perspektiven haben und eingebracht haben. Reicher aber auch, weil der Wohlstand, den wir heute in Bayern haben, ohne die Eingewanderten gar nicht denkbar wäre.
So alt wie die Geschichte der Einwanderung ist aber auch das Geraune über drohende Überfremdung. Bei diesem Geraune spielen Sie von der CSU regelmäßig die Hauptrolle. Dieses Geraune hat sich als haltlos erwiesen. Im Großen und Ganzen sind die Eingewanderten in unserem Land gut integriert. Dass das so ist, liegt vor allem an den Eingewanderten selbst, und es liegt an den Menschen, die den Eingewanderten die Türen und die Herzen geöffnet haben. Integration hat bislang einigermaßen gut funktioniert – trotz und nicht wegen der Politik der CSU.
Es gibt aber auch Defizite, was die Schulabschlüsse angeht, was die Karrieremöglichkeiten im Beruf angeht, was andere Aufstiegsmöglichkeiten angeht, was die Vertretung in den Spitzenpositionen angeht. In allen diesen Bereichen sind Menschen mit Migrationsgeschichte in unserem Land deutlich unterrepräsentiert. Das ist aber ein soziales Problem und kein kulturelles Problem, als das Sie es darstellen wollen. Statt Migranten zu fördern und ihnen Chancen zu geben, haben Sie ihnen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das zu ändern, ist eine politische Aufgabe, und hierbei haben wir deutlichen Nachholbedarf. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch der wirtschaftlichen Vernunft, wenn wir uns zum Beispiel den allseits beklagten Fachkräftemangel anschauen.
Diese Lehren sollten Sie, sollten wir beherzigen, wenn es nun um die Integration der Menschen geht, die in erster Linie aus dem Nahen und Mittleren Osten zu uns kommen. Was können wir tun, damit Integration gelingt? – Wir wissen es aus vielen anderen Ländern und von guten Beispielen: Es ist nicht so schwer. Erstens geht es um Bildung und Förderung von Anfang an und ausnahmslos für alle.
Wir brauchen zweitens klare und für alle verbindliche Regeln, auf die man sich verlassen kann, keine ungefähren Begriffe, keine dauernden Änderungen von gesetzlichen Vorgaben, sondern klare und verlässliche Strukturen für alle. Wir brauchen überschaubare Strukturen, damit man überhaupt weiß, wohin man sich wenden kann, wenn man eine Frage hat, und nicht 20 Ämter abklappern muss, um zu einer Klärung zu kommen. Wir brauchen Ansprechpersonen, die Orientierung geben und helfen; wir brauchen das Engagement von Ehrenamtlichen, das vom Staat gefördert und unterstützt werden muss. Das Allerwichtigste ist der Respekt für die Würde des Gegenübers – das
zeigen uns die Beispiele von Menschen, die sich hier eine neue Heimat und ein neues Leben erfolgreich aufgebaut haben.
All das steht in unserem Entwurf für ein Integrationsund Partizipationsgesetz. Darin geben wir klare Integrationsziele vor und verankern das Recht auf schulische Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Bildung ist ein Kinderrecht, und daran darf nicht gerüttelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Land ist vielfältig. Wir haben verschiedenste Traditionen, wir haben unterschiedliche Bräuche; wir leben und wir lieben so, wie wir es für richtig halten: in einer klassischen Ehe mit Kindern, ohne Kinder, alleinerziehend, gleichgeschlechtlich oder heterosexuell. Wir sind christlich, muslimisch, jüdisch oder haben überhaupt keine Religion. Menschen sind unterschiedlich, aber was uns eint, sind die Werte, die in unserer Verfassung festgeschrieben sind: das gleiche Recht auf Würde und persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, gegenseitiger Respekt, die Ermöglichung von Vielfalt, das Füreinander, das Miteinander – das ist der Wertekern unserer Gesellschaft.
Tradition und Religion sind für viele Menschen Teile ihrer persönlichen Identität und haben deshalb auch einen wichtigen Platz in ihrem Leben. Wer aber glaubt, dass eine bestimmte Tradition oder Religion einer anderen überlegen ist, wer glaubt, den Menschen vorschreiben zu können, wie sie ihr Leben führen sollen, höhlt genau diesen Wertekern aus,
so wie Sie von der CSU es mit Ihrem Leitkult unter Anleitung der Hohepriester Kreuzer und Seehofer machen: Sie tanzen um diesen Leitkult herum wie um ein Goldenes Kalb – das ging schon einmal fürchterlich schief. Ihr Leitkult ist auch der wesentliche Grund, warum Ihr Gesetz ein Spaltungsgesetz und kein Integrationsgesetz ist. Sie können selbst nicht einmal sagen, was Leitkult sein soll, aber alle sollen sich ihm unterordnen: die Zugewanderten, die Urbayern, die Kindergärten und Schulen, die Medien und die Justiz. Sie wollen Bevormundung statt Selbstbestimmung, und das ist nicht das, was unsere Verfassung vorsieht. Sie höhlen damit unseren demokratischen Wertekern aus.
Das ist nicht demokratisch, das ist autoritär. Ihr Leitkult schafft eine Aufteilung in Menschen erster und zweiter Klasse. Sie befinden sich mit Ihrem Gesetzentwurf auf einem demokratischen Irrweg. Deshalb fordern wir Sie auf: Ziehen Sie ihn zurück, überantworten Sie ihn dem Papierkorb! Setzen wir uns zusammen; lassen Sie uns ein Integrationsgesetz für das 21. Jahrhundert schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vordergründig sieht es so aus, als würde das Integrationsgesetz darüber entscheiden, wie die Eingewanderten in unserer Gesellschaft leben. Das ist ein Irrtum. Ein Gesetz, das wir hier beschließen, hat Folgen für uns alle, für jeden von uns und das gesamte Land. Sie wollen für alle verbindlich festlegen, was "normal" ist, und alle anderen sollen sich daran anpassen oder wenigstens nicht weiter auffallen. Genau das ist Ihr Leitkult. Sie wollen in Wirklichkeit zurück in die miefigen und spießigen 50er-Jahre, weil Sie im Kern die gesellschaftliche Emanzipation der 60er- und 70er-Jahre nie wirklich akzeptiert haben.
Man hat das Gefühl, dass es nur so staubt, wenn man Ihren Gesetzentwurf durchblättert, und dass als Nächstes die Sittenpolizei an der Tür klopft. Sie wollen keine aufgeklärte und vielfältige Gesellschaft, Sie wollen Einheit durch Einfalt. Die moderne, aufgeklärte und weltoffene Gesellschaft von heute braucht aber etwas anderes. Sie braucht Einheit in der Vielfalt, und genau das finden Sie in unserem Gesetzentwurf.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, Ihr Gesetz schaffe nicht Menschen erster und zweiter Klasse. Wie würden Sie es denn bezeichnen, wenn den einen Kindern der Besuch der Schule erlaubt wird, während anderen Kindern der Besuch der Schule verboten ist? – Sie beschreiben in Artikel 17a des Gesetzentwurfs explizit, dass Kinder, die in Ausreisezentren leben müssen, von der Schulpflicht entbunden sind. Das bedeutet im Klartext, dass sie nicht in die Schule gehen dürfen. Aus meiner und
unserer Sicht ist das ein ganz eindeutiger Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
Wie würden Sie es beschreiben, wenn Sie eine bestimmte Gruppe von Ausländern, nämlich die NichtEU-Ausländer, in Bezug auf den Besuch einer öffentlichen Einrichtung wie eines Schwimmbades oder einer Bibliothek unter Vorbehalt stellen? -Die eine Gruppe von Ausländern darf in die Einrichtung, während die andere Gruppe dies nicht darf. Insofern schaffen Sie Menschen erster und zweiter Klasse. Das ist das große Problem Ihres Gesetzentwurfs: Sie schaffen Menschen erster und zweiter Klasse und spalten damit die Gesellschaft.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kreuzer, Sie wollen die Kontrollen an der Grenze zu Österreich ausweiten. Sie behaupten, wegen der Sicherheitslage. Ich sage Ihnen: Tatsächlich ist es die Freizügigkeit in Europa, die Ihnen ein Dorn im Auge ist.
Ihnen passt die ganze Richtung der europäischen Integration nicht. Sie wollen zurück zu einem Europa der Schlagbäume und der Grenzzäune und blicken augenblicklich sehnsüchtig nach Österreich, wo die Große Koalition die Restbestände ihrer Werte entsorgt hat.
Asylrecht abschaffen, Grenzzäune bauen, wie jetzt am Brenner und die europäische Idee opfern in der Hoffnung, die Macht weiter zu behalten: Was passiert, wenn man rechtspopulistische Politik macht, um Rechtspopulisten zu schwächen, können Sie im Moment hervorragend in Österreich beobachten. Was passiert in Österreich? – Das fremdenfeindliche Gift spaltet die Gesellschaft. Am Ende siegt das reaktionäre Original. Das hat die Wahl am letzten Sonntag ge
zeigt. Zumindest vorerst siegt das reaktionäre Original.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, für seine Überzeugungen zu kämpfen, für Menschlichkeit und für ein gemeinsames Europa. Ich bin davon überzeugt, dass Alexander Van der Bellen am 22. Mai der nächste Präsident von Österreich wird, nicht der Rechtsaußen Norbert Hofer.
Wie ist die Konstellation? – Auf der einen Seite sind die Rechten, die das Klima vergiften, auf der anderen Seite die GRÜNEN, die für Menschlichkeit und Weltoffenheit stehen. Dazwischen stehen in Wien SPÖ und ÖVP, die sich ins Hemd machen und nicht mal in der Lage sind, eine Empfehlung für den liberalen Kandidaten auszusprechen. Damit schwächen sie das Land und sich selber.
Was machen Sie von der CSU? – Sie würden sich am liebsten in die Zaunbaubrigade einreihen. Sie bieten gleich bayerische Polizisten an, um den Brenner dichtzumachen. Wissen Sie, was der Brenner bedeutet? – Der Brenner ist das Symbol der europäischen Integration.
Am Brenner zeigt sich, ob Europa eine Zukunft hat oder ob es in die Nationalstaaterei und in die Kleinstaaterei zurückfällt. Was am Brenner momentan passiert und wozu Sie im wahrsten Wortsinn noch Schützenhilfe leisten wollen, verstößt gegen alle europäischen Regeln. Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Europäerinnen und Europäer.
Der Einsatz bayerischer Polizistinnen und Polizisten am Brenner würde zudem einen Verstoß gegen unsere Verfassung darstellen. Sie dürfen dort gar nicht arbeiten. Das ist außerdem vollkommen unsinnig. Vielleich sollten Sie mal nachrechnen, wie viele Überstunden bayerische Polizeibeamtinnen und –beamte vor sich herschieben. Sie kommen mir vor wie einer, der kein Geld mehr hat, aber trotzdem eine Lokalrunde nach der anderen schmeißt.
Die bayerische Polizei ist zuständig für die Sicherheit in unserem Lande, nicht dafür, Sie in Ihrem falschen politischen Kalkül zu unterstützen.
Wir alle wollen den Terror bekämpfen und ihn an der Wurzel packen. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wie wäre es, wenn Sie, anstatt Zäune zu bauen, entschlossen gegen die Geldwäsche vorgehen würden?
Wie wäre es, wenn Sie dem Terrorpaten Nummer Eins, Saudi-Arabien klar machen würden, dass Sie sein perfides Spiel nicht dulden? – Es wäre besser, wenn Sie diesem Regime nicht auch noch Waffenlieferungen in Aussicht stellten wie dies Herr Seehofer bei seinem letzten Besuch getan hat.
Wie wäre es, wenn Sie den Einwanderern in unserem Land ein echtes Integrationsangebot machen würden, anstatt ihnen zu signalisieren, dass sie sowieso nicht dazugehören? – So packt man den Terror an der Wurzel, nicht durch mehr Schlagbäume. Schlagbäume bekämpfen nicht den Terror. Sie bekämpfen die Freiheit.
Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, spalten unseren Kontinent und unsere Gesellschaften. Sie spielen denjenigen in die Hände, denen ein modernes, weltoffenes, menschliches und vielfältiges Bayern ein Graus ist. Wollen Sie ihnen die Stirn bieten, oder wollen Sie sie unterstützen? – Das ist die Frage, auf die Sie eine Antwort geben müssen.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine bizarre Situation. Da werfen die einen Vereinfacher den anderen Vereinfachern Vereinfachung vor, versuchen, sich gegenseitig zu überbieten. Und die Einzigen, die davon profitieren, sind die Leute von der AfD.
Es ist bizarr: Die CSU droht der eigenen Regierungschefin mit einer Verfassungsklage. Sie droht der Regierung, der sie selber angehört, mit einer Klage. Sie drohen mit einer Verfassungsklage gegen sich selber.
Angeblich - so habe ich gelesen - klagt ja nur die CSU-Regierung in Bayern, nicht die CSU als Teil der Regierung in Berlin. Ich muss Ihnen sagen: Das kann ich mir politisch nicht mehr erklären, sondern nur mehr pathologisch. Man nennt das Bewusstseinsspaltung.
Was bezwecken Sie mit Ihren Dauerattacken, mit Ihren Drohungen, mit Ihren sich überschlagenden Scharfmacherparolen? Was bezwecken Sie mit Ihrer sich dauernd schneller drehenden Eskalationsspirale?
Was bleibt Ihnen denn noch, wenn alle Brandbriefe geschrieben sind, wenn die Verfassungsklage eingereicht ist und letztlich scheitern wird? Was Ihnen dann noch bleibt, ist der Austritt aus der Bundesregierung, ist der Bruch der Koalition. Mit dieser Drohung machen Sie mächtig Eindruck.
Auch Ihnen müsste schon aufgefallen sein: Es braucht Sie nicht für die Regierungsmehrheit in Berlin. Das ist Ihr eigentliches Problem. Sie sind verzichtbar für die Regierungsmehrheit in Berlin. Davor haben Sie Panik. Das ist das eigentliche Problem.
Je mehr Sie sich aufmandeln, desto mehr demonstrieren Sie Ihre Schwäche. Die ganze Farce mit Ihrer angekündigten Klage zeigt nichts anderes als Ihre Hilflosigkeit.
In der Sache bewirken Sie nichts. Das haben Sie offen zugegeben. Die Bundeskanzlerin muss Ihre Klage nicht wirklich fürchten. Jedoch haben Ihre Äußerungen, hat Ihr Dauerstakkato, hat Ihr kopfloser, panischer Aktionismus eine Wirkung. Sie bewirken, dass die schon bestehende Verunsicherung in der Bevölkerung nochmals steigt. Die Leute wissen wirklich nicht mehr, woran sie sind. Da ist das Gerede von Notstand, von Notwehrmaßnahmen. Das bewirkt, dass die Menschen fragen: Was kommt denn da noch alles? Woran können wir uns noch festhalten? Davon profitieren dann genau die, die Sie angeblich kleinhalten wollen.
Herr ZeIlmeier, hören Sie zu. Ich sage Ihnen: Wer den rechten Mob füttert, bewirkt, dass er wächst, und nicht, dass er schrumpft.
Sie sollten nicht weiter permanent Angstpolitik betreiben, sondern die Werte unseres Grundgesetzes besonnen verteidigen.
Glauben Sie denn wirklich, dass wir einfach mal so unsere Grenzen schließen können, und dann wäre alles wieder gut? Ist Ihnen schon aufgefallen, dass wir im 21. Jahrhundert leben? Wir leben in einer globalen, vernetzten Welt. Von dieser profitieren wir übrigens alle, und die Wirtschaft profitiert davon. Sie sagen doch immer, wie wichtig es ist, die Wirtschaft zu unterstützen. In dieser globalen, vernetzten Welt können wir nicht einfach mal den Schalter umdrehen und die Grenzen dichtmachen. Davon würde nämlich der allergrößte Schaden ausgehen.
Wollen Sie denn wirklich diesen Überbietungswettbewerb der verschiedenen Länder in Ihrem Sankt-Florians-Prinzip? Nach der Methode: Wir machen die Grenzen dicht. Dann müssen aber auch die Nächsten die Grenzen dichtmachen, auch die Übernächsten müssen die Grenzen dichtmachen. Dies endet dann am Mittelmeer. Wollen Sie denn, dass die Flüchtlinge dort stranden oder am rettenden Ufer möglicherweise gar nicht erst ankommen? Wollen Sie, dass Hunderttausende von Menschen in den europäischen Ländern hin- und hergeschoben werden? – Das ist keine konstruktive Politik, auch keine menschliche Politik.
Ihr Spiel ist auch deswegen so gefährlich, weil Sie damit letztendlich Europa aufs Spiel setzen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht die Flucht vor der europäischen Verantwortung. Was wir jetzt brauchen, ist mehr europäische Verantwortung. Herr Rinderspacher hat das gesagt. Es geht um mehr europäische Solidarität statt um das Dichtmachen von Grenzen. Wenn jeder danach schaut, dass er möglichst wenig Flüchtlinge aufnehmen muss, dann ist das ein Versagen unserer Verantwortung und der europäischen Verantwortung.
Die Bundeskanzlerin hat in der Tat verstanden, dass wir die Probleme europäisch anpacken und lösen müssen. Auch Ihr Entwicklungshilfeminister Gerd Müller hat das verstanden. Es gibt also doch noch Hoffnung, dass einige in Ihren Reihen der Vernunft nicht ganz abgeneigt sind. Der Unions-Fraktionschef Kauder hat Sie vor Kurzem aufgefordert, Sie sollten endlich verbal abrüsten. Er hat gesagt: Wir sind hier nicht im Kasperletheater, sondern in einer der größten Bewährungsproben unseres Landes. Ich stimme ihm nicht oft zu, aber in diesem Punkt kann ich ihm zustimmen.
Deshalb brauchen wir keine weitere Eskalationsspirale, sondern konstruktive und besonnene Lösungen. Vielleicht sollten Sie sich den Rat einer weiteren Parteifreundin der CDU zu Herzen nehmen: Julia Klöckner hat vor Kurzem gesagt: einfach mal die Klappe halten und arbeiten.
Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Herr Kreuzer, Sie haben zu Beginn gesagt, man müsste sich mit der Realität auseinandersetzen. Das
muss man immer. Deswegen habe ich mir Ihren Antrag einmal angesehen, den Sie heute vorlegen. Der erste Satz lautet:
Nach wie vor gibt es einen ungebrochen starken Zuzug von Migranten aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen nach Deutschland. Dies ist im Wesentlichen zurückzuführen auf die Nichtanwendung geltenden Rechts...
Die Flüchtlinge kommen also nach Deutschland, weil das geltende Recht nicht angewendet wird.
Haben Sie vielleicht einmal ferngesehen? Haben Sie einmal geschaut, was in Syrien los ist? Wissen Sie, was dort passiert? – Dort werden Menschen ausgebombt und mit Fassbomben getötet. Dort haben Familien keine Zukunft. Deswegen kommen diese Leute nach Deutschland und nicht, weil unser Recht nicht angewendet wird.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass wir vor Ort Unterstützung leisten müssten. Jawohl. Ich lese aber kein Wort davon, dass wir uns einmal überlegen müssten, wie wir durch Rüstungsexporte und durch Waffenexporte in Krisenregionen zur Verschärfung dieser Situation beitragen. Der Bayerische Ministerpräsident war vor Kurzem in Saudi-Arabien und hat es geradezu als Erfolgsmeldung verkauft, dass künftig Waffenexporte nach Saudi-Arabien unterstützt werden. Ich frage mich: Was tun Sie denn, um Fluchtursachen zu bekämpfen, wenn Sie sich für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien einsetzen?
Auch zur Unterstützung der Flüchtlingslager in Jordanien, im Libanon und in der Türkei habe ich wenig gehört. Als das World Food Programme von 30 Dollar pro Monat und pro Kopf, was schon gering genug ist, auf 10 Dollar pro Monat und Kopf massiv heruntergekürzt wurde, habe ich keinen Aufschrei gehört, auch nicht von Ihren Vertretern in der Bundesregierung. Ich habe auch von Ihnen im Landtag keinen Aufschrei gehört. Diese Maßnahme hat dazu geführt, dass die Menschen in diesen Lagern keine Perspektive mehr gesehen haben. Deswegen haben sie sich auf den gefährlichen Weg über das Meer gemacht, um wenigstens hier eine Perspektive zu haben. Das ist die Realität.
Was wir in den letzten Tagen und Wochen insbesondere von Ihnen, aber auch von anderen Mitgliedern der Bundesregierung erleben, ist tägliches Chaos. Da weiß der eine nicht, was der andere tut. Kein Vorschlag ist ausgegoren, ist durchdacht. Vorschläge werden einfach so in die Welt gesetzt, um dann wieder zurückgezogen zu werden. Damit erschweren Sie die Arbeit vor Ort. Damit vergrößern Sie das Problem, anstatt Ordnung zu schaffen und sinnvolle Regelungen durchzusetzen.
In dem Gespräch in der Staatskanzlei – Herr Seehofer, Sie erinnern sich – habe ich auch davon gesprochen, wie kompliziert die Verfahren sind und was für eine massive Bürokratie dort herrscht. Sie selber haben gesagt, wenn man da einmal genau hinsähe, könnte man nur den Kopf schütteln. Flüchtlinge werden bis zu achtmal registriert, und man fragt sich, warum wir es in diesem normalerweise gut organisierten und reichen Land nicht geschafft haben, die Verfahren so zu organisieren, dass Flüchtlinge, wenn Sie hier ankommen, einmal registriert werden, sie eine Flüchtlingskarte bekommen und dann die Verfahren schneller funktionieren, besser ablaufen. Was jetzt passiert, ist hausgemacht, und das haben Sie mit zu verantworten.
Warum dauern die Verfahren so lange? - Das liegt natürlich am fehlenden Personal im Bundesamt, aber es liegt auch an den Doppelstrukturen. Es prüfen die Landespolizei, die Bundespolizei, die Landesbehörden, die Bundesbehörden. Die einen wissen nicht, was die anderen tun, und die Leidtragenden sind die Flüchtlinge, sind die Ehrenamtlichen, sind die Menschen vor Ort in der Kommune. Auch dieses Chaos muss schnellstmöglich beendet werden, und auch da sind Sie in der Verantwortung.
Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag von europaweiten Höchstgrenzen. Das kann man so beschließen, es ist aber weder mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wenn Sie Kontingente vereinbaren – das können Sie tun –, aber sich Flüchtlinge über das Kontingent hinaus durchschlagen, sich auf den Weg nach Europa machen und hier ankommen, dann haben sie das Recht, dass ihr Antrag geprüft wird, ob sie unter Artikel 16a des Grundgesetzes, unter die Genfer Flüchtlingskonvention oder unter die Europäische Menschenrechtskonvention fallen. Was Sie hier präsentieren, sind Scheinlösungen. Das ist weder rechtskonform noch praktikabel.
Ein weiterer Punkt ist der Familiennachzug. Auch hier zunächst ein Faktencheck: Es wird immer behauptet, Flüchtlinge zögen ihre ganzen Großfamilien nach, aber es ist so, dass Ehepartner, Ehepartnerin und Kinder das Recht auf Familiennachzug haben. In den letzten Tagen haben mehrere Vertreter der CDU deutlich gemacht, dass der Familiennachzug im Moment faktisch überhaupt keine Rolle spielt.
Herr Altmaier hat es gesagt, Herr Tauber hat es gesagt. Er spielt überhaupt gar keine Rolle, weil die Verfahren so lange dauern, dass sie noch nicht einmal den Antrag stellen können.
Wir wissen außerdem auch, dass immer mehr Familien direkt kommen. Immer mehr Kinder sind auf der Flucht; es ist bestürzend, was wir da erleben. Die Zahlen, die Sie in den Raum stellen, halten der Realität überhaupt nicht stand.
Was ist die Folge, wenn Sie jetzt sagen, wir begrenzen, erschweren, verhindern den Familiennachzug? Es werden sich noch mehr Familien, noch mehr Frauen und Kinder auf den gefährlichen Weg machen. Es werden noch mehr Kinder in den unsicheren Booten über das Mittelmeer schaukeln. Ich hoffe, Sie alle haben die Bilder von ertrunkenen Kindern am Strand der Türkei und am Strand in Griechenland noch im Kopf. Ich hoffe nicht, dass Sie wollen, dass noch mehr Kinder dieser Gefahr ausgesetzt werden. Ich hoffe nicht, dass Sie noch mehr Familien auf diesen unsicheren Weg zwingen wollen. Ich fordere Sie deswegen auf: Hören Sie auf mit solchen unqualifizierten Äußerungen!
Sie sprechen immer von geordneten Verfahren. Das bedeutet auch, wenn Sie den Familiennachzug erschweren – der Familiennachzug ist ja jetzt in gewisser Weise ein geordnetes Verfahren –, werden Sie zu noch mehr ungeordneten Verfahren kommen, weil die Familien natürlich versuchen, auf eigene Faust hierher zu kommen. Außerdem werden Sie durch diese Maßnahme den Bearbeitungsstau im Bundesamt verschärfen, weiter erhöhen, weil auch hier zusätzliche Prüfungen erforderlich sind.
Von Ihnen hören wir immer wieder, wie wichtig Ihnen der Schutz der Familie ist. In jeder Rede, in jeder Sonntagsrede hören wir Sie den Schutz der Familie beschwören. Ich frage mich: Gilt der Schutz der Familie nur für deutsche Familien? – Ich hoffe, er gilt auch für Familien in Syrien – zumindest sollten das Ihre christlichen Werte sein.
Zur Dublin-Verordnung hat sich Christine Kamm gerade schon geäußert. Das Dublin-III-Abkommen ist gescheitert. Das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen. Die Aussetzung der Dublin-Verordnung ist auch nicht aus Jux und Tollerei erfolgt, sondern sie wurde ausgesetzt, weil sie nicht mehr funktioniert. Dieses System war von Anfang an verfehlt, und gerade in den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass es in dieser Form gar nicht mehr funktionieren kann. Die Rückführungsquote ist sehr gering, und es wird ein wahnsinniger bürokratischer Aufwand verursacht. Die Kräfte des Bundesamtes müssen wir wirklich für andere Dinge einsetzen und nicht für diesen völlig überflüssigen bürokratischen Aufwand, der nur dazu führt, dass die einen Flüchtlinge dorthin abgeschoben werden und gleichzeitig andere wieder nach Deutschland zurückkommen. Unter dem Strich haben wir damit überhaupt nichts geändert, aber wir haben viel Bürokratie und viel Verängstigung sowie Verunsicherung bei den Flüchtlingen.
Was Sie hier geschildert haben, löst auch kein Problem. Meine Bitte an Sie ist deshalb noch einmal: Hören Sie endlich auf, täglich immer weiter Chaos zu stiften. Es vergeht kein Tag, an dem Sie nicht mit neuen Forderungen, mit neuen Ideen kommen, noch bevor die beschlossenen Gesetze überhaupt in Kraft getreten sind und man sagen kann: Was bewirken eigentlich die Maßnahmen, die wir hier alle miteinander beschlossen und um die wir alle miteinander gerungen haben?