Protocol of the Session on October 15, 2015

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 54. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch an eine Persönlichkeit erinnern, die dem Hohen Haus zwar nicht angehörte, ihm aber immer sehr verbunden war.

(Die Anwesenden erheben sich)

Ich darf bekannt geben, dass Herr Bernhard Ücker am 23. September in Gmund am Tegernsee im Alter von 94 Jahren verstorben ist. Herr Ücker war bis zu seinem Ruhestand 1988 einer der bekanntesten Journalisten Bayerns. 1945 gehörte er zu den ersten Reportern von "Radio München", dem Vorläufer des Bayerischen Rundfunks. Einem großen Publikum wurde er durch seine Kommentare zur bayerischen Landespolitik bekannt. Von 1953 bis 1988, also 35 Jahre lang, verfasste er den Wochenkommentar "Aus dem Maximilianeum", der zu den meistgehörten Sendungen des Bayerischen Rundfunks zählte. Seine mehr als 1.100 Kommentare sind mittlerweile als Dokumente der Zeitgeschichte im Münchner Institut für Zeitgeschichte archiviert. Herr Ücker hat sich um die mediale Vermittlung von Politik ganz allgemein und des Landtags im Besonderen in unserem Lande große Verdienste erworben. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. –

Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Nun darf ich noch einige Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Jeweils einen halbrunden Geburtstag feierten am 8. Oktober Frau Kollegin Claudia Stamm, am 11. Oktober Herr Kollege Otto Lederer sowie ebenfalls am 11. Oktober Herr Kollege Martin Stümpfig. Am 12. Oktober feierte Herr Kollege Walter Nussel einen runden Geburtstag und am 14. Oktober Herr Kollege Martin Bachhuber. Heute darf sich Herr Kollege Robert Brannekämper über einen runden Geburtstag freuen.

(Allgemeiner Beifall)

Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Polizei am Limit - die Staatsregierung muss handeln!"

Die Regeln der Aktuellen Stunde brauche ich nicht im Einzelnen vorzutragen. – Erste Rednerin ist Frau Kollegin Gottstein von den FREIEN WÄHLERN. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Ich sehe die Zeit. Ich weiß, ich habe Herrn Bocklet hinter mir.

Und Ihre Fraktion vor sich.

Das ist manchmal schon besser als hinter sich.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion und aus den anderen Fraktionen! Eine ganz einfache Frage, der Morgenstunde angepasst; Sie müssen dabei noch nicht viel denken. Als Sie diesen Montag oder Dienstag Ihren Koffer für die Sitzungswoche hier in München gepackt haben, wussten Sie da, wann Sie wieder nach Hause kommen würden? Konnten Sie Ihren Partner, Ihrer Partnerin und Ihren Kindern sagen, wann Sie wieder da sein werden?

(Zurufe: Nein!)

Wussten Sie, wie viel Kleidung Sie einpacken müssen, um für die Zeit, in der Sie nicht zu Hause sind, immer etwas zum Wechseln zu haben? Haben Sie Arzttermine, Behördengänge und andere private Termine so gelegt, dass Sie sie wahrnehmen können, wenn Sie wieder daheim sind? Ich weiß, auch bei Politikern gibt es Unregelmäßigkeiten.

(Zurufe: Oh! – Weitere Zurufe)

Ich denke, wir haben ein ernstes Thema vor uns. Im Normalfall jedenfalls haben Sie diese Fragen beantworten können.

Unsere Bereitschaftspolizei kann das momentan nicht. Es sind Selbstverständlichkeiten im täglichen Leben, die wir unserer Bereitschaftspolizei momentan – nicht für einen Zeitraum von drei, vier Wochen, sondern für einen längeren Zeitraum, das ganze Jahr und seit dem G-7-Gipfel gehäuft – nicht zugestehen. Die Bereitschaftspolizei hat zwei Aufgaben: die Unterstützung anderer Teile der Polizei und die Ausbildung künftiger Polizistinnen und Polizisten.

Wie schaut die Wirklichkeit momentan aus? - Die Vorschrift besagt: ein einsatzfreies Wochenende pro Monat für jeden Einsatzzug. Wie schaut die Realität aus? - Die Vorschrift wird nicht mehr eingehalten. Manche Polizistinnen und Polizisten – wir haben die Pläne – sind inzwischen gehäuft bis zu elf Wochenenden nicht zu Hause. Vorschrift: ein verbindlicher 14Tage-Einsatzplan für jeden Einsatzzug. Die Praxis: fast täglich neue Planung, keine Planungssicherheit mehr für die Beamten für private und familiäre Angelegenheiten.

Das ist der Grund, warum wir eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema einberufen haben; denn wir glauben, so geht es nicht weiter. Für die Bereitschaftspolizei ist ganz klar der Landtag zuständig, und wir haben eine Fürsorgepflicht. Die Beamten und Beamtinnen sind am Limit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Woher kommen die Probleme? Es gibt zu wenige Bundespolizisten und zu wenig Bereitschaftspolizei in den anderen Bundesländern. Das ist uns klar. Deswegen müssen bayerische Polizeibeamte – trotz der nicht mehr zu bewältigenden Lage in Bayern; wir haben es gehört – nach wie vor bei Großveranstaltungen, Demonstrationen und Fußballspielen außerhalb Bayerns helfen. Für die anderen Bundesländer rechnet es sich anscheinend, dass sie ihre Bereitschaftspolizei abgebaut haben. Aber unser Freistaat – im Konkreten: die Bayerische Staatsregierung – trägt das mit. Oft wird vergessen, dass die CSU diese Regierung stellt.

Ich komme zu einem weiteren Problempunkt. Es reicht nicht aus, einfach mehr Polizisten in Aussicht zu stellen. Dazu bedarf es zum einen entsprechender Ausbildungsseminare. Zum anderen sind die Stellen zu etatisieren. Wir wollen das heute wieder zum Thema machen. Es ist bereits in der dritten Legislaturperiode in Folge unser Anliegen, für jede Hundertschaft die Etatisierung zu erreichen und sie nicht quasi "mitlaufen" zu lassen.

Ferner erreichen viele Polizeizüge nicht mehr die notwendige Größe. Die einen Kollegen sind krank, die anderen müssen endlich Urlaub nehmen. Dies hat zur Folge, dass letztlich immer dieselben Polizisten unterwegs sind. Wenn man sich mit ihnen unterhält, hört man von vielen – das ist nicht zum Lächeln –: Wir können nicht mehr, unsere Familien machen nicht mehr mit.

Auch wir freuen uns natürlich, wenn 500 zusätzliche Polizeidienstanwärter in Aussicht gestellt werden. Das ist dringend notwendig. Allerdings ist momentan nirgendwo im Haushalt erkennbar, woher das Personal

kommen soll. Um die Ausbildung zu ermöglichen, müssen Kollegen aus dem Einsatz abgezogen werden, was die Personalsituation weiter verschärft. Auch für dieses Problem müssen kreative Lösungen gesucht werden.

Wir fordern eine Etatisierung der Ausbildungseinheiten. Die angestrebten Ausbildungszahlen müssen endlich die Realität widerspiegeln. Dazu gehört eine deutliche Erhöhung des ausgewiesenen Lehrpersonals.

Wir fordern eine Erhöhung der Basisgröße der Einsatzzüge.

Herr Innenminister, Sie spucken oft – manchmal können wir sagen: Gott sei Dank! – große Töne. Spucken Sie sie in diesem Zusammenhang bitte auch den anderen Bundesländern gegenüber! Dann müssen Sie halt Ihre Drohkeule auspacken und sagen: So nicht! Momentan sind deutlich weniger Einsätze bayerischer Polizeibeamter in anderen Bundesländern möglich. Fordern Sie umgekehrt von den anderen Bundesländern verstärkt polizeiliche Unterstützung bei Fußballspielen, Demonstrationen usw. in Bayern an, sodass nicht alles auf dem Rücken der bayerischen Beamten und Beamtinnen ausgetragen wird.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Treten Sie in der EU stärker auf! Diese Forderung richtet sich nicht nur an den Ministerpräsidenten, sondern an die gesamte Bayerische Staatsregierung. Wenn wir keine EU-weite Absprache wegen der Flüchtlinge zustande bekommen, dann können von anderer Seite auch keine Vorschriften gemacht werden, wie die bayerische Polizei ihre Schicht- bzw. Arbeitszeitmodelle auszugestalten hat.

Lösen Sie die technischen Probleme! Ich bin erschrocken, dass ich auf meine Anfrage vom 30. September 2015 erfahren habe, dass bei der Registrierung im Prinzip doppelte Arbeit geleistet wird. Die Staatsregierung schreibt in ihrer Antwort:

Eine Schnittstellenproblematik resultiert aus den unterschiedlichen Systemen des Bundes und der Länder und datenschutzrechtlichen Vorschriften. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat den Bund mit Beschluss vom 24.09.2015 aufgefordert, hierzu eine Lösung zu erarbeiten.

Jahrelang arbeiten Institutionen nebeneinander her. Das kostet Personal. Vor einem Monat kommt die Staatsregierung darauf, dass dieser Zustand geändert werden müsse.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Wir entnehmen dem Haushalt, dass das Personal auch in den Koordinierungsstellen und der Stabsstelle erhöht wird. Wir bitten Sie darum, es nicht zu einer "Verkopfung" kommen zu lassen. Sie dürfen die Basis nicht vergessen.

Wir reden oft mit Polizisten; wir wissen, Sie auch: Polizei – das ist ein Job fürs Leben. Wir müssen sehr gut aufpassen und dürfen die jungen Polizisten nicht gleich nach der Ausbildung verheizen. Das passiert jedoch momentan. Es gibt ein Leben neben dem Beruf – auch für Polizeibeamte. Sie haben Anspruch auf planbare Freizeit und auf ein Familienleben. Unsere Verteidigungsministerin wird für ihren Ansatz, die Familien der Soldaten nicht zu vergessen, oft belächelt. Man hört oft, nun passe die Bundeswehr schon auf die Kinderchen auf. Das ist aber der richtige Weg, wenn wir gute Leute in solchen Positionen haben wollen. Dieser Aspekt wird in der Polizei momentan vernachlässigt. Auch ich sage Ihnen: Die Familien machen das nicht lange mit. Die Belastung wirkt sich auf die Kinder und die Partner aus. Das ist nicht Ausdruck der Fürsorge eines Staates für seine Beamtinnen und Beamten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Wir fordern von der privaten Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass Väter und Mütter Familie und Beruf vereinbaren können. Wir selbst werden diesem Anspruch im Bereich der Polizei in keiner Weise gerecht.

Wenn man mit Polizeivertretern spricht, stellt man fest, dass sie nicht sofort losjammern. Man hört vielmehr: Wir sind dazu da, Lösungen zu suchen, Jammern ist nicht unser Job. – Aber es ist die Aufgabe unseres Staates, unserer Regierung und des Bayerischen Landtages, dafür zu sorgen, dass die Beamten ihrer Arbeit, die für die meisten Berufung ist, unter den richtigen Rahmenbedingungen nachgehen können. Wir sind dafür verantwortlich; denn diese Leute sorgen dafür, dass unsere Sicherheit – nach wie vor die Basis unseres materiellen und ideellen Wohlstandes – garantiert ist.

Ich danke an dieser Stelle nochmals allen, die sich so intensiv engagieren. Ich habe vorhin die Bereitschaftspolizei herausgegriffen. Der Dank gilt natürlich allen Beamtinnen und Beamten sowie den Angestellten in der Polizei. Ihnen allen wünsche ich eine Besserung der Situation.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Frau Kollegin Gottstein. Sie haben mit Ihrer Rede punktgenau geendet. Das soll hier lobend vermerkt werden. – Als Nächster ist Herr Kollege Länd

ner von der CSU dran. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrte Frau Kollegin Gottstein, herzlichen Dank dafür, dass Sie dieses Thema zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht haben, auch wenn das "aktuell" vielleicht in Klammern gesetzt werden kann. Die Debatte gibt dem Hohen Haus Gelegenheit, allen Beteiligten für die Bewältigung der großen Herausforderungen in den vergangenen Wochen und Monaten ein aufrichtiges Wort des Dankes zu sagen.

(Eva Gottstein (FREIE WÄHLER): Das habe ich gerade gemacht!)

Unser besonderer Dank gilt den Einsatzkräften unserer bayerischen Polizei, die seit Monaten Herausragendes leisten.

(Beifall bei der CSU, der SPD und den FREI- EN WÄHLERN)

Wir hatten ein planbares Ereignis, den G-7-Gipfel. Gegenwärtig haben wir es mit einer Herausforderung zu tun, deren Ausmaß sicherlich nicht nur die Politik, sondern auch die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes überrascht hat. Die hohe Zahl der Flüchtlinge ist eine Herausforderung, mit der das Ehrenamt und das Hauptamt, die Beamtinnen und Beamten, der Bayerische Landtag und viele weitere Lebensbereiche täglich konfrontiert sind und die von allen Beteiligten hervorragend gemeistert wird. Ich möchte hier auch einmal sagen: Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine großartige Anstrengung der gesamten Bevölkerung Bayerns, seien es nun Beamtinnen und Beamte oder ehrenamtlich Tätige. Auch hier ein aufrichtiges "Vergelt’s Gott" an alle, die sich beteiligen!