Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 42. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie wurde wie immer vorab erteilt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich zu erheben, damit wir eines ehemaligen Kollegen gedenken können.
Am 26. März verstarb im Alter von 85 Jahren Dr. Reinhold Kaub. Er gehörte dem Landtag von 1967 bis 1978 an und vertrat für die SPD-Fraktion den Wahlkreis Oberbayern. Dr. Reinhold Kaub engagierte sich in mehreren Ausschüssen, darunter im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes, im Ausschuss für Geschäftsordnung und Wahlprüfung sowie im Ausschuss für Landesentwicklung und Umweltfragen. Als parlamentarischer Geschäftsführer der SPDFraktion und Mitglied des Ältestenrats war er mitverantwortlich für die reibungslosen Abläufe im Hause.
In seinem politischen Wirken im Bayerischen Landtag hat sich Herr Dr. Reinhold Kaub vor allem für den Natur- und Landschaftsschutz eingesetzt. Die Sorge und das Engagement für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen waren auch ein Schwerpunkt seiner kommunalpolitischen Arbeit in seiner Heimat Starnberg. Insbesondere lag ihm der freie Zugang zu den bayerischen Seen am Herzen, weswegen der promovierte Jurist auch "Seedoktor" genannt wurde. Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Am 7. April feierte Herr Kollege Wolfgang Fackler einen runden Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.
Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Bayern 2025: Mit Offenheit, Beteiligung und Veränderungsbereitschaft Zukunft gewinnen"
Die Redezeiten sind, was den Ablauf der Aktuellen Stunde anbelangt, bekannt. – Als Erster darf ich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Bause das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.
Während Bayern nach klassischen Kennzahlen führt, zeigt sich ein anderes Bild bei den Zukunftsindikatoren. Im nationalen Vergleich kommt Bayern bei Einkommensverteilung, Start-upQuote, Bildungsmobilität, Internetzugang und Ressourcenproduktivität nicht über das Mittelfeld hinaus. Auch im internationalen Vergleich bleibt der Freistaat insgesamt zurück – insbesondere bei Bildungsmobilität und Start-up-Quote kann Bayern den Anschluss nicht halten.
Das ist das Fazit einer aktuellen Studie von McKinsey mit dem Titel "Bayern 2025", und das klingt doch deutlich anders als die Dauerschleife "Alles ist super, super, super" des Herrn Ministerpräsidenten und anders als die permanente Selbstbeweihräucherung der CSU.
Bayern liegt bei der Zukunftsfähigkeit im Mittelfeld, und das tut weh. Das ist ein Schuss vor den Bug des Ministerpräsidenten und seiner Staatsregierung. Der Befund, dass Bayern bei den klassischen Kennzahlen gut, aber bei den Zukunftsindikatoren nur Mittelmaß ist, ist nicht neu. Schon in den letzten Jahren gab es immer wieder relevante Studien, zuletzt eine des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die immer das gleiche Bild gezeigt haben: Beim Bestandsranking ist Bayern vorne, bei der Dynamik und der Zukunftsentwicklung aber allenfalls im Mittelfeld. Da haben uns andere Länder wie Niedersachsen, Sachsen oder Brandenburg längst überholt.
McKinsey diagnostiziert radikale weltweite Veränderungen, die tiefgreifende Auswirkungen darauf haben, wie wir auch hier in Bayern in Zukunft arbeiten, wie wir kommunizieren und wie wir zusammenleben. Digitalisierung, Rohstoffknappheit und Migration – ich nenne nur einige Stichworte – sind die grundlegenden Entwicklungen, die uns im Moment und in Zukunft begleiten.
Die klassischen Kennzahlen wie das BIP reichen nicht mehr aus, wenn es um Zukunftsfähigkeit geht; denn da geht es um andere Stärken; das hat die McKinseyStudie noch einmal auf den Tisch gelegt. Da geht es um Bildung für alle, um eine gerechte Einkommensverteilung, um gelingende Integration, um Bürgerbeteiligung, um Ressourcenproduktivität, um Nachhaltigkeit, um den Internetzugang für alle und um wirtschaftliche Kreativität und nicht um Größe.
In all diesen Bereichen haben wir Aufholpotenzial, wie das die Studie freundlich formuliert. Bei der Bildungsmobilität, also der Chance von Kindern aus Nichtakademiker-Familien, einen Hochschulabschluss zu erreichen, hat uns die Studie die Rote Karte gezeigt. Da liegen wir im internationalen Vergleich im unteren Drittel, da blinkt die Ampel auf Rot.
Schlecht sieht es auch aus bei der Schulabbrecherquote, bei der Abiturientenquote von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und bei Ganztagsschulangeboten. Die Schere bei der Einkommensverteilung ist in Bayern vergleichsweise groß, und auch beim Internetzugang und bei der Nachhaltigkeit müssen wir besser werden.
Im internationalen Vergleich hinkt Bayern stark hinter den Vergleichsländern her, die ihre Ressourcenproduktivität im selben Zeitraum zum Teil mehr als verdoppeln konnten …
Und schließlich: Wenn wir nicht rechtzeitig und wenn wir nicht richtig handeln, dann sind 40 % der bayerischen Jobs gefährdet - so die Studie von McKinsey. Die Autoren der Studie belassen es aber nicht bei der Analyse, sondern unterbreiten auch Vorschläge und benennen konkrete Projekte. Nicht alle muss man gut finden; auch wir tun das nicht. Aber jeder – auch Sie von der CSU und von der Staatsregierung – sollte sich mit den grundlegenden Entwicklungen, die in der Studie skizziert werden, auseinandersetzen, um adäquate Antworten zu finden.
Was haben wir bisher stattdessen von Ihnen gehört? Einbunkern, Abwehren von Kritik, Herumkritteln im Detail, Schönreden der Lage. Sie reagieren, wie Sie regieren: mit der für Sie typischen Mischung aus Selbstgefälligkeit, Ideenlosigkeit und Mutlosigkeit.
Ein Ministerpräsident, dessen Zukunftsprojekte Betreuungsgeld und Ausländer-Maut heißen, zeigt, wie wenig er tatsächlich vom gesellschaftlichen Wandel versteht.
Wenn Sie es sich in der Gegenwart gemütlich machen, dann werden Sie in nicht allzu ferner Zukunft unsanft aus Ihrem Zufriedenheitsnickerchen aufschrecken.
Es reicht nicht aus, an ein paar kleinen Stellschrauben zu drehen oder in dem ohnehin unübersichtlichen Förderdschungel ein weiteres Förderprogramm aufzulegen. Es bedarf der Fähigkeit, alte Rezepte infrage zu stellen und neu zu denken; das wird in der Studie auf nahezu jeder Seite deutlich. Wir brauchen die grundlegende Bereitschaft zu Veränderungen, das heißt, die Bereitschaft, Probleme anders zu betrachten und Lösungen anders zu organisieren, als es viele Jahre lang der Fall war.
Es reicht nicht aus, die aktuellen Wirtschaftsmaßzahlen im Blick zu haben, sondern es geht auch um gesellschaftspolitische Veränderungen, die die Grundlage für künftigen Wohlstand bilden. Das Spannende an dieser Studie ist doch, dass die Wirtschaft nicht, wie es sonst immer der Fall ist, danach ruft, Steuern zu reduzieren, Stellen zu streichen oder die Angebotsbedingungen zu verbessern. Das, was in dieser Studie gefordert wird, lässt sich vielmehr auf den Punkt bringen: Schwarze Zahlen schreiben wir in Zukunft dann und nur dann, wenn wir grüne Ideen aufgreifen und umsetzen.
- Ich habe die Studie dabei und kann sie Ihnen zur Verfügung stellen, damit Sie das nachlesen können.
Grüne Ideen sind der Ausbau sicherer und sauberer Energie, bessere und gerechte Bildungschancen für alle, sauberes Wasser und gesundes Essen sowie eine Gesellschaft, die für neue Menschen und neue Ideen offen ist. Genau das ist es, was in Zukunft unseren Wohlstand ermöglichen wird. Es geht um gesellschaftliche Visionen und die daraus folgenden Innovationen, nicht nur um technische Optimierung.
Wir brauchen gerechte Bildungschancen für alle. Das lebenslange Lernen ist zu fördern. Menschen, die bisher nur wenige bzw. schlechte Bildungschancen hatten, müssen besseren Zugang zu Bildung erhalten. Dabei kann uns die digitale Technik helfen. Aber es braucht auch pädagogische Reformen. Alte Schule mit neuen Medien – das kann nicht funktionieren.
Ein weiterer Punkt betrifft die Zuwanderung. Diese ist als Chance und Bereicherung, nicht aber als Bedrohung zu begreifen. Dazu bedarf es der entsprechenden Politik. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz und weitere umfassende Integrationsmaßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn sich in der Bevölkerung Vorurteile oder rassistische Ressentiments äußern, gilt es, ihnen entgegenzutreten und sie nicht durch regierungsamtliche Rhetorik zu befördern.
Wer Bierzeltsprüche à la "Wer betrügt, der fliegt!" von sich gibt, der schadet nicht nur dem friedlichen Miteinander, sondern letztlich auch dem Wohlstand unseres Landes.
Unser gesamtes Energiesystem ist auf sichere und saubere Energie umzustellen. Dabei dürfen wir nicht auf halbem Weg stoppen. Es geht darum, dass wir uns von allen dreckigen Energieformen verabschieden.
Das Wachstum ist vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Wiederverwertung muss intensiviert werden. Mit der Verschwendung von wertvollen Rohstoffen muss es ein Ende haben. Es braucht Achtsamkeit beim Umgang mit Wasser, Boden und Luft.
Wir brauchen Mobilitätskonzepte für die Zukunft. Es muss Schluss damit sein, dass noch mehr Straßen gebaut werden, dass noch mehr Asphalt in die Landschaft gebracht wird. Die verschiedenen Mobilitätsformen sind miteinander zu vernetzen. Neue, umweltschonende Antriebstechnologien sind zu entwickeln.
Es geht darum, unsere Lebensmittel so zu erzeugen, dass sie gesund sind und Böden schonen anstatt unnötig Chemie einzusetzen und Tiere zu quälen.
Es geht auch um mehr Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe, um eine Kultur des Mitmachens und Mitentscheidens. Die Bürger sind frühzeitig in die Entscheidungsfindung einzubinden.
Auf allen diesen Feldern haben wir GRÜNEN nicht nur klare Vorschläge unterbreitet und Forderungen erarbeitet; nein, das ist genau unser grüner Markenkern. Sie von der CSU bekämpfen bis heute die genannten Punkte. Aber die Umsetzung ist notwendig, wenn wir in Zukunft unseren Wohlstand erhalten wollen. Deswegen frage ich: Wer kann denn die nötige Veränderung voranbringen? Sie, die sich gegen all diese Punkte sträuben, oder diejenigen in der Bevöl
kerung und in den Parteien, die seit Jahren diese Forderungen erheben und an der Umsetzung arbeiten?
Wir GRÜNEN haben uns nie nur daran orientiert, dass möglichst viele Güter und Dienstleistungen erzeugt werden. Wirtschaftlicher Wohlstand ist für uns ein Ziel - nicht vor, sondern neben anderen Zielen wie Nachhaltigkeit, ökologische Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Wenn nun klar wird, dass zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und einer umweltfreundlichen Wirtschaftsweise kein Spannungsverhältnis besteht, sondern dass sich beides gegenseitig bedingt, dann freut uns das. Wir sehen unsere Politik von einer Warte aus bestätigt, von der wir es nicht unbedingt erwartet hätten. Für die CSU und die Staatsregierung heißt das aber nichts anderes, als dass sie ihre komplette Politik auf den Prüfstand stellen müssen.