Tobias Utter

Appearances

19/4 19/7 19/32 19/42 19/73 19/74 19/76 19/84 19/89 19/101 19/102 19/108 19/116 19/117 19/131

Last Statements

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Freude und Erleichterung hat die Nachricht der Haftentlassung von Deniz Yücel nach über einem Jahr Untersuchungshaft bei vielen Menschen in Hessen ausgelöst. Viele haben sich auf sehr unterschiedliche Weise engagiert und nicht nachgelassen, seine Freilassung zu fordern. Als Beispiel sei nur an die regelmäßigen Demonstrationen in Flörsheim erinnert.
Allen, die daran beteiligt waren, dass Herr Yücel nach Hause, nach Hessen, kommen konnte, gilt unser Dank. Es ist ein großer Erfolg deutscher Diplomatie.
Aber dieser Erfolg darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Türkei in den vergangenen Jahren sehr weit von unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entfernt hat. Diese grundlegenden Differenzen werden durch die Freilassung Yücels nicht wesentlich geringer. Dieser Schritt ändert deshalb auch nichts an unseren Positionen zur Visafreiheit oder gar zur Aussetzung der EU-Beitrittsgespräche.
Die Unabhängigkeit der Gerichte wird durch den Fall Yücel – sowohl durch seine Verhaftung als auch durch seine Freilassung – in hohem Maße infrage gestellt. Wenn alles immer auf politische Anweisung geschieht, ist von Unabhängigkeit der Gerichte nichts mehr zu erkennen.
Noch immer sitzen Tausende Journalisten, oppositionelle Lehrer und Wissenschaftler ohne ausreichendes rechtsstaatliches Verfahren in türkischen Gefängnissen. Deshalb nehmen wir die Freilassung eines Journalisten, der zum Symbol für das Problem geworden ist, zwar mit Freude zur Kenntnis; wir stellen aber auch fest, dass das Grundproblem dadurch noch nicht gelöst ist. Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Gerichte, Einhaltung der Menschenrechte und die Pressefreiheit sind unverzichtbare Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie.
Auch wenn es unangenehm ist, ich kann es jetzt nicht auslassen: Es muss daran erinnert werden, dass der Verfolgung von Herrn Yücel dessen Recherchen vorausgingen, inwieweit der Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten in Korruptionsfälle verstrickt ist. Hier wäre ein lohnendes Betätigungsfeld für die türkische Justiz und den türkischen Geheimdienst, um entweder die Vorwürfe zu
widerlegen oder im anderen Fall die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Auch wir in der EU müssen allerdings wachsam sein. Die Mischung aus Korruption und organisiertem Verbrechen ist brandgefährlich. Der Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten zeigt, wie gefährlich es ist, über Korruption zu recherchieren. Aber auch der feige Mordanschlag gegen die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia macht deutlich, welchen Gefahren sich Reporter selbst in der EU ausgesetzt sehen, wenn sie Licht ins Dunkel der mafiösen Verstrickungen bringen wollen.
Weltweit werden Journalisten verfolgt, eingeschüchtert, verhaftet oder sogar ermordet. Es ist gut, dass die Zeitung „Die Welt“ nun kontinuierlich an das Schicksal der Kollegen erinnert.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung. Der Einsatz für Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung dürfen nicht davon abhängen, ob mir oder einer Mehrheit die Artikel und die darin vorgetragene Meinung gefallen. Menschenrechte gelten nicht nur für sogenannte „Biodeutsche“. Menschenrechte gelten für alle Menschen.
Abschließend noch einmal zur Türkei. Die Freilassung von Deniz Yücel kann als ein Zeichen gewertet werden, dass auch in der Türkei offenbar wieder mehr Interesse am Dialog und am gegenseitigen Respekt gegeben ist und dass die Türkei ein Zeichen des guten Willens setzen will. Die türkische Innen- und Außenpolitik ist in den vergangenen Monaten in die Irre gegangen. Die Türkei ist außenpolitisch isoliert und im Innern zutiefst gespalten. Jede grundlegende Kurskorrektur kann nur begrüßt werden.
Wir werden jedenfalls auch in Zukunft für den Dialog offen sein und mit unseren Partnern, vor allem natürlich in der Partnerregion Bursa, sprechen und nach Lösungen suchen. Wir unterstützen dabei alle, die für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintreten und daran mitarbeiten wollen, die traditionell engen und guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei in diesen schwierigen Zeiten zu pflegen und wieder zu verbessern. Wir wollen Freunde der Türkei bleiben.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rahmenvereinbarung zwischen der Hessischen Landesregierung und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen, vom 12. März 2014 hat sich bewährt. Dem Wunsch, dieser Regelung und Vereinbarung durch einen Staatsvertrag eine größere Beständigkeit und Wertigkeit zu verleihen, wollen wir gerne und ausdrücklich nachkommen.
Auch die Erhöhung der finanziellen Mittel zur Unterstützung der Arbeit des Landesverbands halten wir für ausgesprochen angebracht. In diesem Sinne soll der Staatsvertrag dazu beitragen, die Situation von Sinti und Roma in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens in Hessen weiter zu verbessern.
Der Schutz und die Unterstützung von anerkannten nationalen Minderheiten ist für die CDU generell ein wichtiges Thema. Wir zeigen mit dem Staatsvertrag einmal mehr, dass wir uns der mehr als 600-jährigen Geschichte der deutschen Sinti und Roma bewusst sind.
Aufgrund der systematischen Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma durch die nationalsozialistische Terror
herrschaft gibt es eine besondere Pflicht, für den Schutz dieser Minderheit einzutreten und jede Form von Diskriminierung zu bekämpfen.
Angesichts zunehmender rassistischer Ausfälle ist dieser Staatsvertrag ein positives Zeichen, das wir gemeinsam setzen können, dass Hessen sich zu seinen Verpflichtungen bekennt und auch weiterhin die notwendigen Konsequenzen aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zieht.
Ich stimme den Äußerungen der Vorredner ausdrücklich zu und will die Debatte nicht durch Wiederholungen verlängern. Deshalb erlauben Sie mir einen Hinweis: Unsere Landeszentrale für politische Bildung hat in größerem Umfang eine neue Publikation von Frau Karola Fings, „Sinti und Roma – Geschichte einer Minderheit“, erworben. In diesem Buch wird die Geschichte der Sinti und Roma auf wissenschaftliche Weise kompakt aufgearbeitet. Dieses Buch ist über unsere Landeszentrale erhältlich. Ich kann es jedem Kollegen nur empfehlen. In kurzer, aber einprägsamer Form wird die Geschichte dieser Minderheit dargestellt.
Auch ich freue mich sehr darüber, dass es jetzt so aussieht, dass wir diesen Staatsvertrag einstimmig miteinander beschließen können. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte der Mönch und Professor der Theologie Martin Luther 95 Thesen zum Ablasshandel. Ob er selbst an diesem Tag mit einem Hammer
die Thesen an die Pforte der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen hat, wie Philipp Melanchthon behauptet hat, ist nicht ganz sicher. Doch Luther selbst hat den 31. Oktober als den entscheidenden Tag für den Beginn der Reformation bezeichnet.
Die neue Technologie des Buchdrucks sorgte für eine rasende Verbreitung der Thesen, und aus einer Gelehrtendebatte wurde ein weltgeschichtliches Ereignis mit umwälzenden Folgen, die bis heute wirken.
500 Jahre später ist der 31. Oktober 2017 ein gesetzlicher Feiertag in ganz Deutschland. Damit wird die weltgeschichtliche Bedeutung der Reformation gewürdigt. Mit der Reformation sind kulturelle, intellektuelle, ethische und rechtliche Leistungen höchsten Ranges verbunden. Insbesondere trug das Reformationsgeschehen zur Entwicklung des mündigen Christen bei. Die Gläubigen sahen sich nicht nur von äußeren Zwängen und der Mittlerfunktion der Kirche befreit, sondern erkannten, dass der Glaube, innerster Kernbereich ihres Lebens, der kirchlichen und weltlichen Macht entzogen werden kann. Allein durch das Vertrauen auf die Gnade Gottes erfuhren sie sich zu einer neuen existenziellen Freiheit befähigt und berufen.
Dieses Freiheitsverständnis verweist auch heute noch auf die tiefe Dimension einer Erfahrung, die für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein des Menschen grundlegend sein kann. Es wurde zum Schlüsselereignis, auch für die spätere Herausbildung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Das Verständnis der Kirche als einer unhierarchischen und gleichberechtigten Gemeinschaft ihrer Glieder hatte darüber hinaus Folgewirkungen auch für die Entwicklung demokratischer Ideale.
Mit seiner genialen Übersetzung der Bibel ins Deutsche hat Martin Luther entscheidenden Einfluss auf die Entstehung des Hochdeutschen genommen.
Untrennbar verbunden mit der Reformation sind aber auch religiöse und machtpolitisch motivierte Gewaltexzesse und unzählige Opfer, wie beispielsweise der Dreißigjährige Krieg sie verursachte. Zugleich wurden aber auch Pazifizierungsmechanismen entwickelt – ich denke da an den Westfälischen Frieden –, und dem modernen Rechtsstaat wurde mit der Unterscheidung zwischen Staatskirchenrecht und Kirchenrecht der Weg bereitet. Das sind Entwicklungen, die bis in die Gegenwart nachwirken.
Dabei war die Reformation von Luther ursprünglich als innere Veränderung der Kirche gedacht, um zahlreiche Missstände abzubauen. Sie führte letztlich zu einer von Luther nicht beabsichtigten Spaltung der Kirche, aber auch zu einer Spaltung der deutschen Gebiete in katholische und protestantische.
Die Reformation revolutionierte nicht nur Kirche und Theologie, sondern sie setzte auch eine umfangreiche gesellschaftspolitische Entwicklung in Gang. Musik und Kunst, Wirtschaft und Soziales, Sprache sowie Recht und Politik – kaum ein Lebensbereich blieb von der Reformation unberührt.
Das soll hier ebenfalls nicht verschwiegen werden: Es gibt auch dunkle Seiten der Reformation. Dazu gehören z. B. die judenfeindlichen Spätschriften Martin Luthers, die im 20. Jahrhundert für antisemitische Propaganda herhalten mussten. Dass sich die evangelische Kirche anlässlich des Reformationsgedenkens deutlich von jeder Form des Anti
semitismus und der Judenfeindschaft distanziert, begrüßen wir daher ausdrücklich.
Hier, im Hessischen Landtag, möchte ich besonders auf die vielfältigen Impulse eingehen, die von Hessen kamen. Landgraf Philipp von Hessen sorgte auf seinem Territorium für einen weitgehend konfliktfreien Übergang zur Reformation, indem er auf der Homberger Synode – einer der ersten auf reformatorischem Boden überhaupt – und im Kasseler Landtag die kirchlichen und politischen Eliten miteinander diskutieren und entscheiden ließ. Der Reformation in der Landgrafschaft Hessen lag somit ein politischer Integrationsprozess zugrunde, der im weiteren Verlauf der Entwicklung auch für andere Territorien beispielhaft war.
Wegweisend für die Reformation war darüber hinaus das Marburger Religionsgespräch, in dem Luther und Zwingli um ein gemeinsames Verständnis vom Abendmahl rangen. Hinzu kommt, dass unter Mitwirkung des Straßburger Reformators Martin Bucer in Ziegenhain die Konfirmation erfunden wurde. Mit der Gründung der ersten evangelischen Universität in Marburg entstand eine herausragende Grundlage für die sich entwickelnde protestantische Tradition.
Auch nachreformatorisch erweist sich Hessen als Vorreiter. So wurde im August 1817 in der Idsteiner Unionskirche nach langem Ringen ein Konfessionsfrieden zwischen Lutheranern und Reformierten beschlossen. Die dort begründete Nassauische Union stellt ein besonderes Ereignis in der Weiterentwicklung des Protestantismus dar. Man kann also sagen: Hessen war auch später noch ein Pionierland der Reformation.
Es ist gut, dass sich die Landesregierung an einer Vielzahl von Projekten, Veranstaltungen und Ausstellungen im Rahmen des Reformationsjubiläums beteiligt und so zu einer gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Würdigung der Reformatoren und der Reformation beigetragen hat. Ein besonders erfolgreiches Beispiel für das vielfältige Engagement der Landesregierung ist die Förderung des Lutherwegs 1521, der auch über das Jubiläumsjahr hinaus Erinnerungsorte der Reformation erschließt und von nicht unerheblicher touristischer Bedeutung ist.
Die Errungenschaften der Reformation haben die abendländische Kultur geprägt und wirken auch heute, in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft, fort. Nach vielen schmerzhaften Auseinandersetzungen hat das Reformationsgeschehen mit dazu beigetragen, Regelungen zu schaffen, die ein friedliches Nebeneinander und inzwischen sogar ein ökumenisches Miteinander getrennter und einst verfeindeter Konfessionen ermöglichen. Für die Verständigung der Religionen sind diese Errungenschaften auch heute noch wichtig, und für unsere Rechtsordnung sind sie prägend.
Hessen hat heute eine multikonfessionelle Bevölkerung mit unterschiedlichen religiösen und spirituellen Traditionen. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung für unser Land. Das friedliche Miteinander der Religionen ist eine Errungenschaft unserer Zeit, die wir nicht durch Fanatiker, skrupellose Machtmenschen, Kriminelle, die ihre menschenverachtenden Verbrechen religiös bemänteln, oder ausländerfeindliche Populisten zerstören lassen dürfen.
In Hessen hat nach dem Zweiten Weltkrieg die keineswegs immer leichte Integration der Vertriebenen das ökumenische Miteinander vorangebracht. Die praktischen Herausforderungen des Alltags machten die Überwindung konfessioneller Differenzen notwendig. Für die CDU darf ich auch erwähnen: Damals vereinigten sich ganz bewusst Politikerinnen und Politiker beider Konfessionen zu einer Partei und gründeten somit die Christlich Demokratische Union Deutschlands.
Heute stehen wir erneut vor einer Herausforderung. Es geht um die Integration des Islams und um seine Rolle in unserer Gesellschaft, die aus evangelischen, katholischen, orthodoxen und jüdischen Gläubigen, aber auch aus Menschen ohne religiöse Bindung besteht. Die Erfahrungen der Reformation und der daraus mühsam erlernte Umgang mit religiösen Konflikten können uns dabei helfen. Der durch Reformation und Aufklärung verstärkte Prozess der institutionellen und theologischen Modernisierung und der rationalen Debatte über Glaubensfragen, den beide christlichen Konfessionen durchlaufen mussten, könnte auch für die Repräsentanten muslimischen Glaubens beispielgebend sein. Der Friede unter den Konfessionen und Religionen ist und bleibt eine entscheidende Voraussetzung für ein Gelingen des Zusammenlebens.
Zum Schluss und aus aktuellem Anlass möchte ich sagen: Während des Bundestagswahlkampfs warb die NPD mit einem Porträt von Martin Luther. Diesen fremdenfeindlichen Herren möchte ich abschließend folgendes Zitat von Martin Luther auf den Weg geben:
Unser Nächster ist jeder Mensch, besonders der, der unsere Hilfe braucht.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass der kirchenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion zu diesem Thema reden darf und damit hoffentlich auch eine neue Dimension der Diskussion auftut.
Vor einer Woche, etwa zu diesem Zeitpunkt, sprachen nicht nur der ehemalige US-Präsident Obama und Angela Merkel in Berlin auf dem Evangelischen Kirchentag, fast gleichzeitig fand im Palais am Funkturm ein Podiumsgespräch zum Thema „Sag die Wahrheit!“ statt. Bei dieser sehr gut besuchten Veranstaltung – die Halle war überfüllt –, die vom ZDF übertragen wurde, ging es um Lügen, Realität und Wahrhaftigkeit in den Medien, insbesondere im Netz und in den sozialen Medien. Das große Interesse über alle Generationen hinweg zeigte die Dringlichkeit des Themas. Wissenschaftler der verschiedensten Fachrichtungen und der Bundesinnenminister Thomas de Maizière diskutierten lebhaft mit dem Publikum.
Dabei wurde sehr deutlich, viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt, in denen das Recht, das unbestritten gilt, derzeit keine Anwendung findet. Dort wird gehetzt, dort wird beleidigt, und dort wird Hass verbreitet, häufig unter dem Deckmantel der Anonymität und daher meist ohne irgendeine Konsequenz für die Täter. Das ist nicht Theorie, das ist leider Realität. Das bedeutet nämlich, dieses Verhalten gefährdet und bedroht schon jetzt die Meinungsfreiheit.
Es ist z. B. auffällig, wie häufig Frauen Opfer von sexualisierten und vulgären Beleidigungen werden, ganz offen mit dem Ziel, sie aus dem Diskurs zu verdrängen. Studien zeigen, dass dies leider sogar schon gelingt. Frauen beteiligen sich immer weniger an Diskussionen im Netz. Insgesamt geht die Beteiligung von Frauen dort zurück, weil sie sich den Beleidigungen nicht aussetzen wollen. Das finde ich in einer demokratischen Gesellschaft unerträglich.
Der jetzige Zustand gefährdet die Meinungsfreiheit, Handeln ist also notwendig.
Die Betreiber von sozialen Medien haben ein Privileg. Anders als z. B. Presseverlage haften sie nicht in vollem Umfang für die Inhalte, die über sie verbreitet werden. Das Telemediengesetz verlangt lediglich, dass rechtswidrige Inhalte unmittelbar gelöscht werden, sobald der Betreiber von ihnen Kenntnis erlangt. Unsere ernüchternde Erkenntnis ist aber, dass viele Plattformen dieser Forderung überhaupt nicht nachkommen.
Es ist ein komplizierter Prozess, bis selbst eindeutig rechtswidrige Aussagen entfernt werden. Die Meldeportale sind zu kompliziert, das Verfahren ist undurchsichtig, und häufig gibt es niemanden, der am Ende als Ansprechpartner erreichbar ist. Hier entsteht der fatale Eindruck, dass strafbares Verhalten völlig sanktionslos hingenommen wird. Ich bin der festen Überzeugung: Dieser Zustand muss geändert werden. Unternehmen, die Milliardengewinne machen, müssen Geld investieren, damit das Netz nicht zu einem Eldorado für Fanatiker und Pöbler wird.
Der Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings muss ich als Vertreter der CDU
schon sagen: Es hat ein bisschen lang gedauert, und wir sind noch nicht ganz zufrieden mit dem, was nun zur ersten Lesung vorgelegt wurde.
Es ist aber durchaus üblich, dass Verbesserungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens möglich sind. Was beispielsweise die Löschverpflichtung angeht, die die sozialen Netzwerke in völliger Eigenregie umsetzen sollen, das scheint für mich noch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.
Erwähnenswert ist es in diesem Zusammenhang, dass es schon in den verschiedensten Bereichen des Medienrechts die Einbeziehung von neutralen und allgemein anerkannten Akteuren gibt. Das könnten wir uns an dieser Stelle auch gut vorstellen.
Für uns als CDU-Fraktion ist besonders wichtig, einen Mechanismus zu finden, der rechtswidrige Inhalte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt, ohne dass dadurch eine zu weitgehende Löschpraxis, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam, die Meinungsfreiheit einschränken wird.
Es wäre sicherlich hilfreich gewesen, wenn man die Länder bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs frühzeitig einbezogen hätte. Aber durch die Beratungen des Bundesrats und durch die Diskussionen im Bundestag kann noch einiges verbessert werden. Das Gesetz ist ein bisschen spät gekommen, und es ist noch nicht ganz optimal. Es geht aber in die richtige Richtung. Die CDU wird daran mitarbeiten, damit etwas Gutes dabei herauskommt.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr van Ooyen, ich befürchte, Herr Putin kann sich das auch so vorstellen.
Die Römischen Verträge, die Geburtsurkunde der Europäischen Union, werden 60 Jahre alt. Am 25. März 1957 unterzeichneten die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland in Rom die Römischen Verträge: den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft sowie den Vertrag über gemeinsame Organe in der EWG. Diese Verträge, die in der Folgezeit weiterentwickelt und ergänzt wurden, bis hin zur Schaffung der EU, gelten als Gründungsdokumente der europäischen Integration.
Die europäische Einigung hat uns eine nie gekannte Phase des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands gebracht.
Doch steht die Einheit Europas verstärkt unter Druck durch Nationalisten und Populisten von innerhalb und außerhalb Deutschlands und Europas. Umso wichtiger ist es, dass Menschen bereit sind, sich für Europa einzusetzen und zu engagieren.
Die vielen Kundgebungen der „Pulse of Europe“-Bewegung sind deshalb ein ermutigendes Zeichen, dass sich sehr viele Menschen gerade auch in Hessen klar und sichtbar zur europäischen Einheit bekennen. Auch sie erkennen, dass es in Demokratien wichtig ist, den Populisten und Nationalisten nicht das Feld zu überlassen, sondern der
schweigenden Mehrheit eine Stimme zu geben – eine Stimme für Frieden, Freiheit und Demokratie und für gute Nachbarschaft in Europa.
Auch die Bürgerinnen und Bürger der Niederlande haben ganz überwiegend ein proeuropäisches Signal gesendet. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich erfreut über den Ausgang der Wahlen. Sie begrüßte – wörtlich –, „dass eine hohe Wahlbeteiligung zu einem sehr proeuropäischen Ergebnis geführt hat“. Sie sprach von einem klaren Signal, und das nach Tagen, in denen die Niederlande Vorwürfe zu ertragen hatten, die aus der Türkei kamen und die völlig inakzeptabel sind.
Der bisherige Ministerpräsident Mark Rutte wird wohl mit einem neuen Koalitionspartner weiterregieren können.
Natürlich mit mehreren, wie in den Niederlanden üblich.
Die niederländische Partnerpartei der CDU, die CDA, hat deutliche Stimmengewinne zu verzeichnen und könnte einer künftigen Regierungskoalition angehören.
Schon bei der Wahl des Bundespräsidenten in Österreich hat sich gezeigt, dass der Aufschwung der Rechtspopulisten in Europa an Grenzen stößt. Ich hoffe, dass auch in Frankreich eine deutliche Mehrheit diejenigen Kräfte stärken wird, die für ein einiges und in Freundschaft verbundenes Europa eintreten.
Rechtspopulisten wie Herr Wilders und Frau Le Pen wollen unser gemeinsames europäisches Haus einreißen. Dem müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.
Die Europäische Kommission hat ein Weißbuch zur Zukunft Europas vorgelegt, in dem Wege zur Wahrung der Einheit der 27 Mitgliedstaaten vorgestellt werden. Nach dem Brexit-Votum der Briten muss die EU nach Ansicht von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein neues Kapitel aufschlagen. Juncker präsentierte fünf Szenarien zur Zukunft der Union bis zum Jahr 2025. Sie reichen von „weiter so wie bisher“ bis zu „viel mehr gemeinsames Handeln“. Es umfasst auch die Idee eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten.
Juncker legte sich bewusst nicht auf ein bevorzugtes Modell fest, um eine offene Diskussionen in den kommenden Monaten zu ermöglichen. Das Weißbuch sei der Beginn und nicht das Ende eines Prozesses. Er hoffe nun auf eine ehrliche und umfassende Debatte mit den Mitgliedstaaten.
Wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Herausforderungen wir in Europa, welche wir auf nationaler und welche wir auf regionaler Ebene anpacken wollen.
Besonders im Bereich der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Flüchtlingspolitik brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. Freier Handel und fairer Wettbewerb haben Europa groß gemacht. Die Rückkehr zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts wäre ein Irrweg.
Denn Europa ist und bleibt unsere Zukunft. Bei aller notwendigen Kritik an Details müssen wir uns immer in Erinnerung rufen, wie sehr wir alle von der Einheit Europas
profitieren. Diese Einheit in Frieden, Freiheit und Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit.
Ich komme zum Ende. – Wir werden weiter entschlossen für eine gute europäische Union eintreten.
Zum Schluss noch ein Tweet von „Pulse of Europe“. Das ist ein Zitat von Jacques Delors: „Europa ist gesünder, als viele glauben. Die echte Krankheit Europas sind seine Pessimisten.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der kanadische Premierminister Trudeau hat im Februar vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gesprochen. Dabei sagte er: „Die ganze Welt profitiert von einer starken EU“. Dies waren klare Worte, die man nicht von jedem Politiker jenseits des Atlantiks so hört. Den Freihandelsvertrag CETA nannte er einen „Meilenstein“ in der Zusammenarbeit von Europäischer Union und Kanada.
Er betonte, dass dieser Vertrag beiden Seiten nützt. In den kommenden Jahren können 99 % der Zölle zwischen Kanada und der EU wegfallen. In einer Pressekonferenz betonte Trudeau, man befinde sich in einer globalisierten Welt. In dieser globalisierten Welt müssten Regierungen besser zusammenarbeiten, um Arbeitnehmerrechte und Klimaschutz zu stärken und um der Mittelschicht sowie kleinen und mittleren Unternehmen neue wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen.
Vor dieser Pressekonferenz, am 15. Februar, hatte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit dem Handelsabkommen zugestimmt. Mit dieser Zustimmung gelten vorläufig die Teile des Vertrags, für die die Europäische Union allein zuständig ist. Für die endgültige Inkraftsetzung muss der Handelsvertrag von 38 nationalen und regionalen Parlamenten ratifiziert werden. Dieses Verfahren kann allerdings mehrere Jahre dauern.
Die Bundesregierung wird den Entwurf für ein Ratifizierungsgesetz vorlegen. Dann wird die Landesregierung prüfen, ob die Schutzstandards, insbesondere zum Schutz des Lebens, der Gesundheit, des geistigen Eigentums, der Arbeitnehmerrechte, des Umwelt- und Tierschutzes und des Daten- und Verbraucherschutzes, gewahrt bleiben.
Im Rahmen der Verhandlungen gab es 37 ergänzende Protokollerklärungen, die die Bedenken der öffentlichen Diskussion aufgenommen haben. Ihre Auswirkungen auf Hessen werden geprüft. Für DIE LINKE steht das Ergebnis der Prüfung bereits fest. Ich befürchte allerdings: Das stand schon fest, bevor überhaupt mit den Verhandlungen begonnen wurde. Im Gegensatz zu linken und rechten Nationalisten sehen wir in Freihandelsabkommen große Chancen für Unternehmen und Verbraucher, wenn sie denn fair ausgehandelt werden.
CETA kann zu zusätzlicher Wertschöpfung, Arbeitsplätzen und höheren Einkommen führen. Insbesondere für Hessen mit seiner stark exportorientierten Wirtschaft können sich durch Zollabbau und gemeinsame Standards enorme Chancen ergeben.
CETA wird laut aktuellen Studien zu einer Ausweitung des Handels zwischen beiden Wirtschaftsräumen um über 20 % führen. CETA hat meiner Meinung nach durch die Veränderung der weltpolitischen Lage an Bedeutung gewonnen. Der weltweite Freihandel, von dem Deutschland wie kaum ein anderes Land profitiert, wird derzeit nicht nur in den USA, sondern leider gerade auch bei uns populistisch diskutiert. Wir sollten uns vor einfachen Parolen hüten, die den Menschen nur Angst machen, sondern, wie wir es in unserem Antrag sagen, durch eine sachliche Prüfung feststellen, was für einen Nutzen dieses Abkommen für Hessen hat. Wir haben die Pflicht, diese Diskussion differenziert und sachlich zu führen. Ich glaube, dass durch die Zusatzerklärungen vor allen Dingen auch die Rechte der Verbraucher gut gewahrt bleiben. Die Investitionsschutzregelungen finde ich ausgesprochen modern, vor allen Dingen deshalb, weil man missbräuchlichen Klagen entgegengetreten ist und ein Berufungsverfahren ermöglicht hat. Insgesamt muss man sagen, dass die Bundesrepublik bisher mit Investitionsschutzabkommen eher positive Erfahrungen gemacht hat.
Wir wollen, dass das auch so bleibt; auch die Schiedsgerichtsbarkeit muss natürlich den modernen Entwicklungen angepasst werden. Das Abkommen wird den Zugang von europäischen Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen in Kanada erleichtern. Die Unternehmen können sich zukünftig auch auf Provinz- und Kommunalebene in Kanada an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Dadurch eröffnen sich große Chancen, besonders im Bereich des Beschaffungsmarktes. Dort sind vor allen Dingen auch kleine und mittlere Unternehmen unterwegs. Der Europäischen Kommission ist es auch gelungen, dass Herkunftsbezeichnungen von landwirtschaftlichen Produkten verpflichtend bleiben.
Ich komme zum Schluss. – Das war wohl eine der letzten Reden von Herrn van Ooyen, doch wieder einmal finde ich leider kaum einen Punkt der Gemeinsamkeit.
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle sagen, dass Herr van Ooyen seine Argumente hier immer ruhig und in einem angemessenen Ton vorgetragen hat. Dafür bin ich ihm dankbar.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Umsturz einer demokratisch legitimierten Regierung durch Militär oder andere Kräfte, auch jeder Versuch dazu, ist falsch, ist undemokratisch und ist zu verurteilen.
Das gilt auch für den zum Glück gescheiterten Putsch türkischer Militärs vom 15. Juli. Es ist gut, dass die Menschen in dieser Nacht ihre Demokratie verteidigt haben. Eine türkische Militärdiktatur könnte kein Partner für Europa, Deutschland und Hessen sein.
Die Vorgänge in der Türkei werden in Deutschland und besonders in Hessen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Unsere Beziehungen sind eng und zahlreich. Aber nun steht das alles auf dem Spiel. Auch unsere Partnerschaft mit der Provinz Bursa leidet unter der aktuellen Entwicklung. Die Türkei ist ein wichtiger Verbündeter, ein wichtiger Partner, ja, auch ein langjähriger Freund. Deshalb beunruhigt uns die Situation in der Türkei jetzt ganz besonders.
Die Türkei spielt eine wichtige Rolle für Europa und für die Gemeinschaft der freien Staaten. Doch sie scheint das jetzt zu verlassen. Wir sind auch dadurch betroffen, dass allein in Hessen 160.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben.
Ich erfahre es auch immer im Gespräch, wie gespalten diese Gemeinden sind. Sie sind in der jetzigen Situation hinund hergerissen, nicht wissend, wo ihre Loyalität ist und wie sie sich verhalten sollen. Beschuldigungen und Hass spalten die Familien. Das ist ganz schlecht.
Es gehört aber auch dazu, dass man in einer Partnerschaft offen ausspricht, was einen besorgt, und offen sagt, was nicht geht. Für eine gute Partnerschaft mit uns ist es nicht akzeptabel, Grundlagen des Rechtsstaats und der Demokratie auszuschalten. Für eine gute Partnerschaft mit uns ist es nicht akzeptabel, führende Politiker und Abgeordnete, intellektuelle Journalisten und Andersdenkende festzunehmen und ohne Prozess einzusperren. Für eine gute Partnerschaft mit uns ist es nicht akzeptabel, Zehntausende Bedienstete, Lehrer, Professoren wegen ihrer politischen Ansichten zu entlassen oder zu drangsalieren.
Heute, was für eine Ironie, ist in der Türkei der Tag der Lehrerinnen und Lehrer. So viele Lehrerinnen und Lehrer haben dort keine Arbeit mehr.
Natürlich ist eine Strafverfolgung als Folge des Putsches erforderlich und auch legitim, aber die muss transparent und mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen. Jeder Einzelfall muss geprüft werden. Auf keinen Fall können massenweise und pauschal Menschen in Haft genommen werden, ohne zu prüfen, ob sie irgendetwas damit zu tun hatten.
Ohne Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit kann es keine Demokratie und keinen Rechtsstaat geben.
Für eine Partnerschaft mit uns, wenn man sie will – Herr Schäfer-Gümbel hat es auch gesagt –, ist die Einführung der Todesstrafe ein Punkt, zu dem wir sagen: Da geht es nicht weiter. Dann machen auch Verhandlungen über die Mitgliedschaft in der EU keinen Sinn mehr.
Man will es gar nicht sagen, dieses fürchterliche Gesetz, um Kindesmissbrauch durch Eheschließung zu legitimieren, ist weit weg von unseren Werten.
Europa hat bei dieser Frage nicht gekuscht. Wir sagen eindeutig, was wir davon halten. Auch wenn man sich die Beitrittsverhandlungen anschaut, muss man sagen, dass sie seit einiger Zeit auf der Stelle treten; nicht, weil Europa nicht wollte, sondern weil in der Türkei nur Rückschritte zu beobachten sind.
Für mich ist es ganz klar, wer Mitglied der EU werden will, der muss diese Werte nicht nur anerkennen, sondern er muss sie auch leben. Deshalb glaube ich, dass die Beitrittsverhandlungen so nicht weitergeführt werden können.
Der Gesprächsfaden muss aber unbedingt aufrechterhalten werden. Wir müssen Wege finden, im Gespräch zu bleiben. Der Austausch muss weitergehen. Wir müssen über die Werte reden. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen,
auch mit der türkischen Gemeinde in unserem Land zu reden.
Ich wünsche mir auch, dass wir wieder mit unseren Partnern in Bursa reden können und uns das Gespräch nicht verweigert wird.
Ich wünsche mir eine demokratische Türkei, in der die Menschenrechte geachtet werden, Gerichte unabhängig urteilen, Minderheiten geschützt sind und jeder seine Meinung frei sagen kann.
Ich wünsche mir, dass unsere Partnerschaft mit Bursa einen Beitrag leisten kann, Konfrontation und Verbitterung zu überwinden.
Auch nach der dunkelsten Nacht kommt irgendwann ein neuer Morgen.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mitglieder der CDU-Fraktion begrüßen ausdrücklich den Staatsvertrag, der von Herrn Dr. Gutmark und dem Ministerpräsidenten unterzeichnet wurde und der uns nun als Gesetzentwurf vorliegt.
Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und trotzdem ein Wunder, dass es angesichts unserer Vergangenheit und Geschichte möglich war, dass das jüdische Leben in Hessen so tiefe und neue Wurzeln hat gründen können. Dieser Gesetzentwurf nimmt die Verpflichtung auf und führt das fort.
Nur zwei Jahre nach Kriegsende und den unvorstellbaren Gräueltaten der Schoah kehrten im Jahr 1947 rund 1.000 Juden nach Hessen zurück. Heute, 2016, zählen die jüdischen Gemeinden in Hessen zu den mitgliederstärksten und aktivsten in ganz Deutschland. Aus diesem unvorstellbaren Geschenk des Vertrauens in die bundesrepublikanische Demokratie und Gesellschaft erwuchs seither nicht nur eine enge Partnerschaft zwischen dem Land Hessen und den jüdischen Gemeinden, sondern auch ein sehr lebendiges Miteinander zwischen jüdischen und nicht jüdischen Bürgern.
Das wurde bereits erwähnt: Als erstes Bundesland hat Hessen 1986 diese Beziehungen in einen Staatsvertrag gegossen, der mit dem der christlichen Kirchen vergleichbar ist.
Die Verlängerung, die Verbesserung und die Modifizierung des Staatsvertrags finden unsere einhellige Zustimmung. Die Mitglieder der CDU-Fraktion befürworten das ganz ausdrücklich. Auf die Einzelheiten sind der Ministerpräsident, aber auch Herr Quanz bereits eingegangen. Mit diesem Staatsvertrag kann das religiöse und kulturelle Leben der jüdischen Gemeinden in Hessen weiter gestärkt und kontinuierlich ausgebaut werden. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das nach 1945 überhaupt wieder möglich wurde.
Heute gibt es in Hessen jüdische Kindergärten, Schulen, Museen und Kulturzentren. Zum einen geben sie Zeugnis der Vergangenheit. Aber sie sind auch Zeugnis für das lebendige und vielfältige heutige jüdische Leben in unserem Bundesland.
Bedauerlicherweise sind allerdings auch heute noch erhebliche Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der jüdischen Einrichtungen nötig. Das wollen wir gerne leisten, weil es notwendig ist. Doch das sorgt immer wieder für ein Gefühl der Beklemmung.
Wir erkennen in der Religionsfreiheit ein sehr hohes Gut, das wir verteidigen wollen. Unsere Geschichte verpflichtet uns zu einem ganz besonderen Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland.
Aber die jüdischen Gemeinden in Hessen sind sich nicht einfach selbst genug. Vielmehr bringen sie sich vorbildlich in das gesellschaftliche Leben ein. Ich wünsche mir, dass das so bleibt. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein,
dass die jüdischen Mitbürger und die jüdischen Gemeinden nicht nur ihr Gemeindeleben pflegen, sondern dass sie ein Teil unserer Gesellschaft sind, dass sie sich einbringen, mitgestalten und eine hörbare Stimme in unserer Gesellschaft sind.
Leider müssen wir immer wieder feststellen, dass es auch heute noch Formen des Antisemitismus in unserem Land gibt. Auf die Probleme wurde bereits hingewiesen. Doch der Kampf gegen den Antisemitismus gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.
Auch mit den Zuwanderern, die jetzt kommen, führen wir darüber den Dialog. Bei dem Stichwort „Zuwanderer“ möchte ich auch noch daran erinnern, welch große Leistungen die jüdischen Gemeinden in Hessen in den letzten Jahrzehnten bei der Integration der jüdischen Zuwanderer geleistet haben. Das war zum Teil eine sehr aufwendige Arbeit. Da haben sich sehr viele Gemeindemitglieder aufopferungsvoll engagiert. Es hat erleichtert, dass neue jüdische Bürger hier ihre Heimat haben finden können.
Mein letzter Satz: Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Staatsvertrag in diesem Haus auf große Zustimmung stoßen würde.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Stunden öffnen die Wahllokale in Großbritannien, und die britischen Wählerinnen und Wähler entscheiden darüber, ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibt oder die Union verlässt.
Mit unserem gemeinsamen Antrag wollen wir zum Ausdruck bringen, dass wir es begrüßen würden, wenn Großbritannien Mitglied der EU bleibt.
Großbritannien hat mutig im Zweiten Weltkrieg für Demokratie und Freiheit gekämpft und mit dem Sieg der Alliierten über das Naziregime einen wichtigen Grundstein für die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft gelegt. Die Einigung Europas hat eine nie gekannte Phase des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands gebracht, von dem auch Großbritannien profitiert hat.
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Vielfalt, die Wahrung der Menschenrechte und soziale Verantwortung sind die Grundlagen der Wertegemeinschaft Europäische Union. Wir sind davon überzeugt, dass der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union für beide Seiten vorteilhaft ist. Großbritannien ist ein wichtiger Teil der europäischen Wertegemeinschaft und seit jeher ein wichtiger und starker Partner Deutschlands und Hessens in vielen internationalen und auch innereuropäischen Fragen.
In einer globalisierten Welt mit ihren wachsenden Herausforderungen ist es sinnvoll, dass die europäischen Staaten ihren Einfluss und ihr Gewicht bündeln. Ein einiges Europa kann ein starker Akteur in der Welt sein. Ein Ausscheiden Großbritanniens aus dem Verbund würde die geostrategische Position Europas ebenso wie die Großbritanniens schwächen.
Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner Hessens und soll dies auch bleiben. Mehr als 8 % der hessischen Exporte gingen im letzten Jahr in das Vereinigte Königreich. Sollten die Handelsbeziehungen durch ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU beeinträchtigt werden, träfe dies unmittelbar sowohl die hessische als auch die britische Wirtschaft und würde beiden Seiten signifikanten Schaden zufügen.
Rund 11.500 britische Staatsbürger leben in Hessen, fühlen sich hier wohl und wollen gern Teil der Europäischen Union bleiben.
Die Entscheidung am morgigen Tag wird überschattet durch den feigen Mord an der Abgeordneten Jo Cox. Sie setzte sich für einen Verbleib in der EU ein und hat dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen. Unsere Anteilnahme gilt ihren Kindern und allen Angehörigen.
Leider muss man weltweit beobachten, dass politische Diskussionen immer intoleranter und polarisierender geführt werden. Populismus, egal, ob von links oder rechts,
der mit den niederen Instinkten im Menschen spielt, schadet der Demokratie und dem offenen politischen Diskurs. Mit Jo Cox hat dieser Extremismus ein großes Opfer gefordert. Es muss unser aller Anspruch sein, solchen Hass und seine Auswirkungen in politischen Debatten zu bekämpfen und nicht zu befeuern.
Die Briten werden morgen frei und souverän ihre Entscheidung treffen, und wir werden ihre Entscheidung natürlich
respektieren. Sollten die britischen Wählerinnen und Wähler sich für ein Verlassen der EU entscheiden, so bedeutet dies nicht das Ende der Freundschaft und Partnerschaft, und es wird darum gehen, die negativen Auswirkungen einer solchen Entscheidung zu begrenzen.
Doch ohne uns in die inneren Angelegenheiten des Vereinigten Königreichs einzumischen, bekennen wir, dass wir gerne den gemeinsamen Weg mit Großbritannien in der Europäischen Union fortsetzen wollen. Hessen will weiter gemeinsam mit Großbritannien in der EU für eine effiziente EU arbeiten.
Liebe Briten, wir würden uns freuen, wenn ihr bei uns im geeinten Europa bleibt. Daher: Please stay.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Pfingstmontag fand ein freudiges, aber auch etwas wehmütiges Ereignis statt. Freudig war die Tatsache, dass Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, seinen 80. Geburtstag im Kreise vieler Freunde und Vertreter aus Staat und Gesellschaft feiern konnte und dass man Rückblick auf eine eindrucksvolle Lebensleistung halten konnte. Gleichzeitig markierte diese Feier aber auch das Ende einer fast 33-jährigen Amtszeit. Das stimmt dann doch ein wenig wehmütig.
An dieser Stelle sei daran erinnert – liebe Rheinland-Pfälzer, jetzt heißt es tapfer sein –, dass das Bistum Mainz zum überwiegenden Teil ein hessisches Bistum ist und somit Kardinal Lehmann in erster Linie ein hessischer Bischof war. Daher ist es mehr als angemessen, dass der Hessische Landtag mit dieser Aktuellen Stunde seinen Dank und seine Anerkennung für die Leistungen von Kardinal Lehmann zum Ausdruck bringt.
Wir sind dankbar für sein jahrzehntelanges engagiertes Wirken als Seelsorger, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
Kardinal Lehmann ist ein Brückenbauer. Er baut Brücken zwischen den christlichen Kirchen und zu anderen Religionsgemeinschaften. Er verbindet hohe theologische Gelehrsamkeit mit sympathischer Volkstümlichkeit.
Als Mitarbeiter des berühmten Theologen Karl Rahner nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Darauf folgte eine beachtliche Universitätskarriere. In seinem Bischofsamt wirkte er als durchaus kritischer, aber auch verständnisvoller Partner der Politik. Er pflegte den Dialog mit den Politikern, aber wusste auch um die Nöte des politischen Alltags. Gespräche mit ihm über Gott und die Welt sind ein Genuss. Beim Auftreten gegenüber der Landesregierung achtete er stets auf einen engen Schulterschluss mit den evangelischen Kirchen.
Nach seinem Amtsverständnis hat ein Bischof auch Verantwortung für die Gesellschaft. Das Bistum Mainz engagiert sich in der Kinder- und Seniorenbetreuung, den Sozialstationen und in vielen anderen Bereichen. Es ist ein verlässlicher Partner im Bereich der Sozialpolitik.
Es ist kein Geheimnis, dass Kardinal Lehmann in manchen Fragen mutiger voranschreiten und stärker in die Gesellschaft hineinwirken wollte. Ich denke da z. B. an das Thema Schwangerenberatung, bei dem er sich mit seinen Überzeugungen nicht durchsetzen konnte. Aber auch so mancher Verdruss, der mit einem so hohen Amt verbunden ist, ließ ihn auf Dauer nicht seinen Humor verlieren. Herzhaft kann er über sich selbst lachen.
Schließlich konnte auch Rom seinem Charme nicht widerstehen und verlieh ihm – nachdem er bereits 18 Jahre Mainzer Bischof war – die Kardinalswürde. Er nahm zweimal an der Wahl eines Papstes teil. Ich glaube, mit dem jetzigen ist er sehr zufrieden.
In diesen Tagen wird besonders das erneute und große Engagement des Bistums für die Integration von geflüchteten Menschen deutlich. Das Bundesland Hessen kann beim Rückblick auf seine 70-jährige Geschichte für die Integrationsleistung der katholischen Kirche durchaus dankbar sein, sei es für die Integration der Heimatvertriebenen, der sogenannten Gastarbeiter oder der Spätaussiedler. Auch jetzt können wir bei den neuen Integrationsaufgaben von der Verwurzelung der katholischen Gemeinden in den Städten und Dörfern profitieren.
Die CDU ist eine Union aus katholischen und evangelischen Christen. Deshalb schätzen wir besonders das Engagement Kardinal Lehmanns für die Ökumene. Auch Hessen als Kernland der Reformation wird die 500. Wiederkehr der Reformation im nächsten Jahr in einem Zustand der lebendigen und aktiven Ökumene begehen, wie es vielleicht in den vergangenen 500 Jahren nicht denkbar gewesen wäre.
Gerne erinnere ich mich an den Besuch von Kardinal Lehmann im Hessischen Landtag. Seit 2009 organisieren Landtagsabgeordnete am Mittwoch einer Plenarwoche morgens früh eine Andacht. In der Regel nehmen etwa 20 Besucher daran teil – ich weiß, für manche ist das etwas zu früh. Als Kardinal Lehmann uns am 12. Dezember 2012
besuchte, waren allerdings 62 Besucher anwesend, und wir brauchten einen größeren Raum als sonst.
Schluss: Wir danken Kardinal Lehmann für seinen Dienst zum Wohle der Menschen und wünschen ihm einen erfüllten Ruhestand. Über Besuche im rechtsrheinischen Teil seines Bistums werden wir uns immer freuen.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit mehr als 600 Jahren leben Sinti und Roma in Deutschland. Leider mussten Sinti und Roma in der Vergangenheit und zum Teil auch heute noch zahlreiche Diskriminierungen erdulden. Trauriger Höhepunkt
war die systematische Verfolgung und Ermordung während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft.
Die Nazis machten sich Vorurteile der Bevölkerung bei der brutalen Umsetzung ihrer pseudowissenschaftlichen Rassenlehre zunutze. Sinti und Roma wurden Opfer des systematischen Mordens. Absicht war es auch, die Erinnerung an sie auszulöschen. Daher ist es besonders wichtig, die Erinnerung an die Opfer und an ihre Namen wachzuhalten.
Tatsache ist, die meisten Opfer haben keine Gräber. Sie wurden verscharrt. Kein Grabstein erinnert an sie. Deshalb kommt dem dauernden Erhalt und der Pflege der vorhandenen Gräber eine besondere Bedeutung zu. Die Gräber von Opfern nationalsozialistischer Gewalt sind historische Stätten der Erinnerungskultur, die mahnend bis in unsere Gegenwart hineinwirken. Diese Aufgabe sollen sie auch in der Zukunft haben.
Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass derzeit Gräber von Sinti und Roma, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt wurden, nicht unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen. Daher hat die Landesregierung im Bundesrat bereits 2012 eine entsprechende Initiative unterstützt, um solche Gräber auf Dauer zu erhalten. Eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz der Gräber muss allerdings noch gefunden werden. Es ist gut und richtig, dass wir als ersten Schritt im Haushalt 2016 50.000 € für den Erhalt der Grabstätten der Sinti und Roma als Verfolgte der NS-Gewaltherrschaft bereitgestellt haben.
Heute sind Sinti und Roma eine anerkannte nationale Minderheit in der Bundesrepublik und stehen unter einem besonderen staatlichen Schutz. Besonders schutzbedürftig ist ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität. Die Rahmenvereinbarung zwischen der Hessischen Landesregierung und dem Verband deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen – vom 12. März 2014 hat dies gut zusammengefasst. Dort findet sich auch der Appell der Landesregierung an die Friedhofsträger, entsprechenden Grabstätten ein ewiges Ruherecht zu gewähren.
Doch neben der Erinnerung an die traurige Vergangenheit bleibt es auch unsere Aufgabe, gegen Diskriminierung in unseren Tagen vorzugehen. Die Antidiskriminierungsstelle im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration leistet hier einen wichtigen Beitrag. Alle Menschen in Hessen, die Opfer von Diskriminierung werden, können sich an diese Stelle wenden. Doch auch Aufklärung und Prävention gehören zu ihren Aufgaben.
Der Internationale Tag der Sinti und Roma am 8. April jedes Jahres erinnert an die Geschichte, aber auch an die aktuelle Situation der Sinti und Roma.
Trotz etlicher Anstrengungen und Initiativen muss die Situation von Sinti und Roma, besonders in einigen Teilen Osteuropas, weiter als prekär bezeichnet werden.
Wir sind es den Opfern schuldig, ihrer zu gedenken, aber auch heute gegen jede Art von Diskriminierung vorzugehen. Pauschale Urteile über Volksgruppen und Religionsgemeinschaften haben zurzeit leider wieder Konjunktur. Dabei sollten wir es besser wissen. Erinnerung tut weiter not.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Staatsministerin Puttrich, herzlichen Dank für Ihre Regierungserklärung
und herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier und heute einmal mit etwas mehr Zeit darüber zu sprechen, was Europa für uns bedeutet und wie wir das Projekt europäische Einigung bewerten und weiter voranbringen können.
Die Europawoche 2015 ist ein guter Anlass, zu reflektieren und zu hinterfragen, was Europa heute konkret für uns bedeutet. Es ist auch in diesem Jahr wieder ein tolles Programm geworden, das Europa eine Woche lang in der Gesellschaft, besonders auch in den Schulen, in den Mittelpunkt rückt. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem zum einen die schrecklichen Nachrichten von den toten Flüchtlingen im Mittelmeer den Ruf nach einem besseren und solidarischeren Handeln der EU verstärken. Aber zum anderen feiern in ganz Europa Parteien, die die Europäische Union infrage stellen, Wahlerfolge. Dazu kommt noch der Eindruck, dass Russland ein Interesse an einer Destabilisierung der EU hat und dementsprechend handelt. Die Europawoche bietet die Gelegenheit, an die Grundlagen der Gemeinschaft zu erinnern, erreichte Erfolge ins Bewusstsein zu rufen und die aktuellen Herausforderungen zu benennen.
Es lohnt sich, daran zu erinnern, auf welchen Säulen der Prozess der europäischen Einigung fußt. Nach meiner Überzeugung sind es drei Säulen, aus denen sich alles ableiten lässt, alles europäische Handeln vielleicht auch ableiten lassen muss.
Erstens. Europa verbindet eine gemeinsame, zum Teil tragische Geschichte, die Europa zuallererst als Friedensunion erfordert. Ich zitiere Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“
Dieses gemeinsame Ziel eines nicht selbstverständlichen Friedens war und bleibt die wichtigste Säule der europäischen Einigung.
Zweitens. Europa ist eine Wertegemeinschaft, die sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auf universale Menschenrechte, auf Toleranz und auf Freiheit gründet. Diese Werte speisen sich aus unserer hellenistisch-römischen und jüdisch-christlichen Tradition, und sie stiften den Sinn und das Band unseres Zusammenlebens. Dieser Konsens in Europa muss die zweite starke Säule der Integration sein.
Die dritte Säule ist die Wirtschaftsunion. Der gemeinsame Markt bringt gegenseitige Vorteile und schafft die Möglichkeit, in der weltweiten Wirtschaftspolitik als Partner wahrgenommen zu werden. Die erfolgreiche europäische Wirtschaft macht es möglich, dass wir in Europa unseren Bürgerinnen und Bürgern selbst in den Krisenländern soziale Leistungen bieten können, die im Rest der Welt sonst kaum zu finden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind drei starke Säulen, auf die sich unserer Überzeugung nach Europa gründet. Diese Säulen haben sich entwickelt, sind in den Jahren stärker geworden. Sie stehen stabil. Sie stehen stabil, ob
wohl sie immer wieder bedroht werden und ständig Herausforderungen ausgesetzt werden.
Ich möchte nun gern auf die Herausforderungen im Einzelnen eingehen. Ich glaube, dass wir Instrumente in der Hand haben, um ihnen zu begegnen – zum einen mittels Erinnerung und Information, zum anderen durch konkretes politisches Handeln. Die Friedensunion ist aus einer europäischen Geschichte unzähliger, unfassbar grausamer Kriege gewachsen. Die Geschichte europäischer Konflikte hat im Zweiten Weltkrieg einen traurigen Tiefpunkt erreicht. Dass sich auf den Ruinen dieser Geschichte eine Gemeinsamkeit entwickelt hat, die zu Frieden geführt hat, und wir nun seit 70 Jahren in Frieden und Freiheit in Europa leben können, ist etwas ganz Besonderes. Eigentlich bleibt es ein Wunder, dass sich die Feinde von einst, allen voran Frankreich und Deutschland, im Frieden zusammengefunden haben.
Ein Glücksfall ist die Aussöhnung mit Polen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einer tiefen Partnerschaft zwischen dem wiedervereinten Deutschland und der Republik Polen geworden ist.
Die Europäische Union hat 2012 den Friedensnobelpreis erhalten. Bei der Preisverleihung begründete das norwegische Nobelkomitee seine Entscheidung mit der stabilisierenden Rolle der EU bei der Umwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem Kontinent des Friedens. Die größte Errungenschaft der EU sei ihr erfolgreicher Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte.
Doch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der Frieden in Europa erneut bedroht: eine bestenfalls brüchige und fragile Waffenruhe in der Ukraine direkt an unseren Grenzen, das Säbelrasseln und verbale Drohungen Russlands gegenüber Mitgliedern der EU, unglaubliches Leid und unglaubliche Grausamkeit im syrischen Bürgerkrieg, im Jemen, in Libyen und durch die Extremisten und Terroristen des Islamischen Staates, spürbare Bedrohungen durch Extremisten in Europa, die mit brutaler Gewalt Angst und Schrecken verbreiten und den freien Gesellschaften einen Krieg aufzwingen wollen.
All das bedeutet: Der Frieden ist nicht selbstverständlich. Wir brauchen das Mittel der Erinnerung und der Information, um die Säule der Friedensunion zu stärken. Die Europawoche trägt dazu ganz wesentlich bei. Wenn ich das Programm lese, finde ich unzählige Veranstaltungen, die daran erinnern, dass unser Frieden nicht selbstverständlich ist. Besonders dankbar bin ich in diesem Zusammenhang für die Bereitschaft von Zeitzeugen des Krieges, gerade unseren Kindern zu erklären und sie daran zu erinnern, welch hohes Gut der Frieden ist.
Ich finde es auch gut, dass wir immer wieder aktuelle Jahrestage, wie z. B. kürzlich den 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und Buchenwald, zum Anlass ernsthaften Erinnerns nehmen.
Wir müssen aber auch politische Antworten auf die Bedrohung des Friedens geben. Für die Ukraine kann es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben. Hierfür brauchen wir die Diplomatie. Für ihre Bemühungen und jeden – wenn auch kleinen und vielleicht fragilen – Erfolg bin ich Kanzlerin Merkel, Präsident Hollande und anderen Beteiligten sehr dankbar.
Wir brauchen aber auch dort Sanktionen, wo gutes Zureden und der Appell an Menschlichkeit und Vernunft nicht ausreichen. Auch wenn es für manche in Europa schwer ist – ich denke an unsere exportorientierte Wirtschaft oder die Landwirtschaft, denen wichtige Absatzmärkte fehlen –, müssen wir hier entschlossen bleiben und dürfen nicht zurückweichen. Wir müssen zusammenhalten und zusammenbleiben. Das sage ich ausdrücklich auch unseren Freunden in Athen.
Ich bin auch davon überzeugt, dass Europa militärisch stark und handlungsfähig sein muss. Unsere Schwäche bringt andere in die Versuchung, auf veraltete Verhaltensmuster zurückzugreifen, die langfristig nur Leid, Elend und Unfreiheit bringen. Daher brauchen wir nach meiner Überzeugung mehr Integration im Bereich der Verteidigung und mittelfristig eine europäische Armee zur Verteidigung der Friedensunion.
Wir brauchen aber auch eine klare und entschlossene Antwort auf den extremistischen Terror im Nahen Osten und in unserer Mitte. Dem Islamischen Staat muss mit Härte begegnet werden. Wir müssen alles tun, damit sich vor Ort die gemäßigten Kräfte durchsetzen. Wir dürfen die massenhafte Tötung von Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Haltung nicht hinnehmen.
Wir brauchen Sicherheit, Freiheit und Toleranz in unserer Mitte. Erst letzte Woche wurde in Frankreich ein Anschlag auf zwei Kirchen in letzter Minute vereitelt, was vor einigen Monaten bei den schrecklichen Anschlägen in Paris leider nicht gelungen ist.
Wir müssen die Balance von Sicherheit und Freiheit immer neu austarieren und den Bedrohungen anpassen. Dazu gehören ein starker Staat und ein funktionsfähiger Sicherheitsapparat. Dazu gehört nach Überzeugung der CDU auch die Vorratsdatenspeicherung – in einem verträglichen Umfang. Dazu gehören aber auch konsequente Integration und die geistige Auseinandersetzung mit extremistischen Ideologien. Präventionsprogramme gegen den Extremismus müssen in ganz Europa ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, Frieden in Europa schaffen wir, indem wir deutlich machen, dass uns mehr verbindet, als uns trennt.
Damit bin ich unmittelbar bei der zweiten Säule der europäischen Einigung: der Werteunion. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Europa nur funktionieren kann, wenn wir uns über die fundamentalen Antworten auf die grundlegenden Fragen einig sind. Konflikte in Details können Sie nur dann einem Kompromiss zugänglich machen, wenn Sie sich über übergeordnete Werte und Ziele einig sind.
Die Werte unserer europäischen Gesellschaft fußen auf einer langen gemeinsamen Geschichte und auf gemeinsamen Traditionen. Wesentlich sind hier unsere geschichtlichen Wurzeln, von der griechischen und der römischen Kultur über Humanismus, Reformation und Aufklärung – zum Teil durch schreckliche Kriege – bis zur europäischen und zur deutschen Einigung, und unsere kulturelle und religiöse Prägung durch das Christentum mit seinen unterschiedlichen Konfessionen, was nicht heißt, dass die anderen Re
ligionen heute nicht auch Teil unserer europäischen Gesellschaften sind.
Daraus ist ein gesellschaftlicher Konsens in Europa entstanden, der von allen Staaten der Europäischen Union geteilt wird. Eckpunkte dieses Konsenses sind Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit der Rede, der Presse und der Religion sowie Toleranz. Diese Werte, die uns einen, müssen immer weiterentwickelt, auf die konkrete Herausforderung angewandt und an die nächste Generation weitergegeben werden.
Doch diese Wertebasis steht unter Beschuss: von Linksextremisten, die mit Verweis auf vermeintlich edle Ziele in Frankfurt Polizeiautos anzünden und damit die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten, die das System umstürzen und die Demokratie vernichten wollen.
Die Wertebasis steht aber genauso unter Beschuss von rechten Demagogen – von Le Pen über Wilders bis zu denen in Dresden –, die unter Verweis auf vermeintlich traditionelle Werte Toleranz und Humanität aufgeben. Unsere Wertebasis ist mehr als herausgefordert, wenn im Mittelmeer Hunderte Menschen auf der Flucht ertrinken. Staatsministerin Puttrich hat in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, dass Europa hier Verantwortung übernehmen und handeln muss.
Ich verstehe den Gipfel auch als einen ersten Schritt in diese Richtung. Die Herausforderung durch die Flüchtlinge und durch das große Leid werden wir nur gemeinsam bewältigen können. Es wird besonders deutlich, wie dringend Europa hier einig sein und gemeinsam handeln muss. Dies ist die Stunde der Solidarität der Europäer – auch mit den Flüchtlingen.
Ich bedauere sehr, dass der Entschließungsantrag der LINKEN so kurzfristig eingereicht wurde und wir daher eigentlich keine Möglichkeit haben, sinnvoll darüber zu beraten. Mein Appell ist, dass man – wenn man es wirklich ernst meint – diesen Antrag an den Ausschuss überweist und nicht hier darüber abstimmen lässt.
Es mag immer wieder Gründe geben, warum man sich über die EU ärgert. Die EU muss wirklich nicht alles regeln. Doch was uns Europäer verbindet, sind nicht die einzelnen Verordnungen, sondern die gemeinsamen Werte. Angesichts der Wahlen in Großbritannien ist es mir ein Bedürfnis, zu sagen – das möchte ich hier auch ansprechen –: Großbritannien gehört zu Europa. Gern können wir über den weiteren gemeinsamen Weg streiten, doch es soll weiterhin ein gemeinsamer Weg sein.
Entscheidend ist, dass wir Europäer uns nicht erneut in Nationalstaaten isolieren, sondern weiterhin neugierig aufeinander zugehen und unsere Nachbarn kennen- und verstehen lernen. Frau Beer, daher halte ich es ebenfalls nicht für eine gute Idee, dass der Deutschunterricht in Frankreich reduziert wird.
Sprachen zu lernen ist nämlich ein ganz persönlicher Einsatz für das Zusammenwachsen in Europa.
Das ist etwas, was eigentlich jeder machen kann. Ich probiere es gerade mit Polnisch. Das ist eine Herausforderung.
„Ja mówię po polsku“: Ich spreche Polnisch.
Das sind persönliche Beiträge zum Zusammenwachsen Europas. Jeder kann etwas tun, auch wenn es nur darin besteht, die Sprache eines Nachbarn zu lernen.
Die dritte Säule unserer Gemeinschaft ist die Wirtschaft. Walther Rathenau, der bedeutende deutsche Außenminister, sagte 1922, also im Jahr seiner Ermordung, den geradezu prophetischen Satz:
Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und das wird früher geschehen, als wir denken, so verschmilzt auch die Politik.
Die Wirtschaftsunion war lange Zeit die treibende Kraft der europäischen Einigung, weil sie sichtbaren, spürbaren und erlebbaren Nutzen bringt. Europa hat uns nicht nur Frieden, sondern vielen in der Welt auch unvorstellbaren Wohlstand gebracht.
Niemand profitiert vom gemeinsamen Markt so sehr wie wir in Deutschland, allen voran in Hessen. Über ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts ist mit Exporten innerhalb Europas verbunden. So sind der gemeinsame Markt für Waren und Dienstleistungen, der freie Handel in Europa und der freie Personenverkehr mit unglaublich vielen Vorteilen für alle Beteiligten verbunden.
Europa hilft uns beim Reisen: Es gibt keine Schlagbäume, keine Grenzkontrollen und keine Umtauschkurse, sondern wir können in Paris frühstücken oder in Mailand einen Cappuccino trinken, wann immer uns danach ist.
Europa hilft Anbietern und Verbrauchern beim Ein- und Verkauf. Ein großer Markt mit vielen Anbietern und vielen Nachfragern schafft Wohlstand und verteilt Wohlstand. Gemeinsame Standards schaffen Effizienz. Europa schafft den Austausch zwischen Menschen und Kulturen. Europa bietet Vielfalt.
Europa fördert auch. Wir haben noch in dieser Woche die Gelegenheit, darüber zu sprechen, was Europa für die Förderung des ländlichen Raums in Hessen bedeutet. EFRE und LEADER sind hier die Stichwörter; für die hessische Landwirtschaft ist GAP das Stichwort, für die Forschung Horizon 2020 und für den Austausch in Schule und Hochschule ERASMUS.
Doch auch die Erfolgsgeschichte Wirtschaftsunion steht unter Druck. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch lange nicht ausgestanden. Portugal, Spanien und Irland haben unter großen Anstrengungen Reformen angepackt und können bereits Erfolge vorzeigen. Europa hat in der Krise bewiesen, dass es solidarisch ist. Die Bereitschaft war und ist groß, die Probleme gemeinsam anzupacken.
Doch Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die momentane politische Entwicklung in Griechenland ist besonders bedauernswert, weil wichtige Zeit verschwendet wird. Grie