Protocol of the Session on September 27, 2017

Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir zu den ernsteren Abläufen der Tagesordnung kommen, möchte ich Sie über das Spiel der Landtagself unterrichten. Es war leider nicht so erfolgreich wie das letzte Spiel.

Am gestrigen Abend kam es in Niederseelbach zur dritten Begegnung zwischen der Landtagself und der Hessenauswahl des Hessischen Behinderten- und Rehabilitationssportverbands e. V. Zwei Sieger standen vor Spielbeginn schon fest, denn die beiden F-Jugend-Teams vom TV Idstein und vom SV Niederseelbach bekamen einen Scheck des Landtagspräsidenten überreicht, mit dem die Anschaffung neuer Trikots unterstützt werden soll.

Chancenlos war das Team von Coach Decker dieses Mal

(Zurufe: Oh!)

gegen die Truppe junger Männer mit intellektueller Beeinträchtigung – man möge das interpretieren, wie man will –, obwohl die letzten beiden Begegnungen gewonnen werden konnten.

Decker konnte nur auf zwei Auswechselspieler zurückgreifen, während der Hessenauswahl des Hessischen Behinderten- und Rehabilitationssportverbands e. V. eine volle Bank von Spielern mit einem Durchschnittsalter von nur 23 Jahren zum Auswechseln zur Verfügung stand. Bereits nach 15 Minuten musste man dem hohen Tempo Tribut zollen und lag mit 0 : 1 zurück. Zur Halbzeit stand es 0 : 3, und in der zweiten Hälfte war die Maxime, die Verluste nicht zu hoch ausfallen zu lassen.

Trotz der am Ende deutlichen 0:6-Niederlage war es aus Sicht der Parlamentself schön, zu sehen, wie sich die Mannschaft der Hessenauswahl des Hessischen Behinderten- und Rehabilitationssportverbands e. V., die zu Recht vor Kurzem Deutscher Vizemeister geworden ist, in den letzten drei Jahren sportlich entwickelt hat.

Auch im nächsten Jahr werden die sportlichen Botschafter des Parlaments wieder auf den hessischen Sportplätzen unterwegs sein, um parteiübergreifend das Runde in das Eckige zu bringen. Ich hoffe, dass wir dann von hier oben wieder ein paar Tore vermelden können.

(Allgemeiner Beifall)

Kolleginnen und Kollegen, damit eröffne ich die 116. Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Zur Tagesordnung. Erledigt sind die Punkte 1 bis 3, 12 und 44.

Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend aufklärungsbedürftige Fragen im Zuge der Arbeit des NSUUntersuchungsausschusses, Drucks. 19/5300. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 72 und kann mit Tagesordnungspunkt 57 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Ich sehe keinen Widerspruch.

Außerdem eingegangen ist ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend

Reformationsjubiläum 2017. Der Änderungsantrag hat die Drucksachennummer 19/5304.

In der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses und des Unterausschusses Justizvollzug, die gestern Abend stattfand, wurde zu dem Gesetzentwurf Drucks. 19/5222 zu 19/4970 ein Beschluss mit der Drucks. 19/5301 gefasst. Die dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs steht auf der Tagesordnung unter Tagesordnungspunkt 19 und wird am Donnerstag aufgerufen.

Heute tagen wir vereinbarungsgemäß bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 57, der zusammen mit Tagesordnungspunkt 72 aufgerufen wird. Danach folgt Tagesordnungspunkt 4 zusammen mit Tagesordnungspunkt 56. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 62.

Entschuldigt fehlen heute ganztägig Frau Staatsministerin Lucia Puttrich, Herr Abg. Timon Gremmels und Frau Abg. Nicola Beer.

Ich weise zudem darauf hin, dass an Ihren Plätzen der Taschenkalender 2018 ausliegt und dass der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung heute Abend im Anschluss an die Plenarsitzung in Sitzungsraum 204 M zusammenkommt.

(Unruhe)

Ich kann hier oben gut gegen die Geräuschkulisse ankämpfen, aber wir steigen jetzt in die Tagesordnung ein. Ich bitte daher um etwas mehr Ruhe.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 57 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend neueste Enthüllungen des NSU-Mordes in Kassel – Drucks.

19/5276 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 72:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend aufklärungsbedürftige Fragen im Zuge der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses – Drucks. 19/5300 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als Erster spricht Kollege Rudolph für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 15. September 2017 wurde im NSU-Untersuchungsausschuss die Zeugin Corryna Görtz auf Antrag von SPD, FDP und DIE LINKE als Zeugin geladen. Einen Tag vorher, am 14.09.17, gab es eine Pressemitteilung der CDU unter der Überschrift „Rechtsextremen wird erneut im NSU-Untersuchungsausschuss eine Bühne geboten“. Es wurde gefragt, warum diese Zeugin geladen werde, und gesagt, dass zum wiederholten Male Rechtsextremen eine Bühne geboten werde.

(Norbert Schmitt (SPD): Wer hat das gesagt?)

Die CDU hat das gesagt, einen Tag vorher.

(Norbert Schmitt (SPD): Unglaublich!)

Leider hat es sich bei der CDU so eingespielt, dass man schon vor der Zeugenvernehmung Bewertungen macht und behauptet, dass das alles nichts bringt. Ich finde, der Unter

suchungsausschuss, der über drei Jahre tätig ist, hat fast in jeder Sitzung Erkenntnisse gebracht, die uns vorher nicht bekannt waren. Bei diesem Thema, bei dem es um die Ermordung eines Mitbürgers geht – der neunte Mord einer Mordserie –, ist jedes Detail wichtig. Deswegen könnte man Pressemitteilungen vor der Vernahme von Zeugen zukünftig vielleicht einfach sein lassen. Auch das wäre eine Frage des guten Stils.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Zur Zeugin selbst. Frau Görtz war in diesen Jahren in Nordhessen durchaus in der Szene verwoben. Sie war aktiv unterwegs. Sie war die Lebensgefährtin eines bekennenden Rechtsextremen, den wir ebenfalls im Untersuchungsausschuss vernommen hatten. Sie stammt aus Thüringen. Wir wissen, dass dort das NSU-Netzwerk praktisch erst entstanden ist. Sie war dort mit vielen Leuten zusammen. Aus dieser Szene ist neben Frau Görtz Frau Zschäpe die bekannteste Person aus Thüringen. Frau Görtz hat mit weiteren Rechtsradikalen durchaus eine Schlüsselrolle in Kassel, in Nordhessen eingenommen.

Daraus ergaben sich wohl auch Hinweise auf Herrn See. Er war auch ein V-Mann. Aus hessischer Sicht war es interessant, dass die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag gefragt haben, ob man diesen Bereich untersuchen könne. Auch Herr See war im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Wir dürfen dazu nichts sagen, weil das eine nicht öffentliche Sitzung war. Aber auch das ist eine bekannte Person. Das ist durchaus durch die Presse gegangen.

Meine Damen und Herren, dem Untersuchungsausschuss liegen mehrere Informationen vor – deswegen gab es diesen Beweisantrag –, dass Frau Görtz Ende der Neunzigerjahre eine wichtige Rolle gespielt hat. Wir haben Frau Görtz vernommen. Ob das nicht beabsichtigt war, sei dahingestellt; aber die Frage des Kollegen Bellino, ob Frau Görtz das Internetcafé in Kassel kannte, beantwortete sie mit Ja. Wir haben im Ausschuss natürlich alle nachgebohrt. Sie war damals im offenen Vollzug in Baunatal. Sie hat auf Nachfragen erklärt, dass sie im Jahr 2005 bewusst mehrfach in dieses Internetcafé gegangen sei. Auf die Frage, warum sie das getan habe, sagte sie, dieses Internetcafé sei ihr empfohlen worden.

Nun muss man wissen – wenn man die Örtlichkeit kennt –: In Baunatal gab es auf dieser Strecke auch im Jahr 2006 – 40 Minuten Fahrt mit der Straßenbahn – mehrere Internetcafés, die man hätte besuchen können. Sie hat dann nicht weiter auf die Frage geantwortet, warum sie ausgerechnet dieses Café ausgesucht hat. Sie habe es von anderen Mitgefangenen gehört.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit es einmal deutlich wird: Es kann möglicherweise Zufall sein, dass Frau Görtz, eine Zeugin aus dem rechtsextremen Bereich, bis Ende des Jahres 2005 mehrfach in diesem Internetcafé war, in dem am 6. April 2006 Halit Yozgat ermordet wurde. Das kann ein Zufall sein; wir glauben aber langsam nicht mehr an Zufälle im Zusammenhang mit dieser grausamen Mordserie.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Man muss wissen, dass bei den Rechtsterroristen, die sich entweder selbst umgebracht haben oder anderweitig zu Tode kamen – ich will es bewusst offen formulieren, weil das

nicht abschließend geklärt ist –, eine Skizze dieses Internetcafés in Kassel gefunden wurde. Auch da kann man natürlich fragen: War das ein Zufall? – Aber, wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Zufälle innerhalb so kurzer Abstände machen uns schon mehr als stutzig. Ich will hinzufügen, dass auch ein anderer Zeuge, ein Polizeibeamter aus München, der sich im Jahre 2008 noch einmal die ganzen Dinge wie Telefongespräche und die Abläufe im Internetcafé angeschaut hat, am selben Tag, also am 15.09., klar erklärt hat, Herr Temme hätte an diesem 6. April 2006 etwas sehen müssen. Er war fast zur Tatzeit am Tatort, und damals wollte er angeblich nichts davon mitbekommen haben, dass jemand ermordet wurde.

Auch dieser Kriminalbeamte hat wie andere klar gesagt, nach seiner Auffassung hätte Herr Temme etwas sehen müssen. Daher stellt sich auch hier die Frage: War das alles Zufall? – Wir glauben Herrn Temme nicht – das haben wir im Ausschuss mehrfach wiederholt und hervorgehoben –, und deswegen reden wir über sehr viele Zufälle und Zufälligkeiten. Deswegen ist dieser Sachverhalt, der Mord an Halit Yozgat in Kassel, nach wie vor nicht aufgeklärt. Ich denke, es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in diesem Untersuchungsausschuss alles daranzusetzen, diese schreckliche Mordtat, die neunte Mordtat einer bundesweiten Mordserie, endlich aufzuklären. Dazu müssen alle ihren Beitrag leisten.

Das, was Frau Görtz im Untersuchungsausschuss erzählt hat, macht uns hellhörig. Herr Kollege Bellino, deswegen ist es leider sehr schade, dass Sie einen Tag später erneut eine Pressemitteilung herausgegeben haben, und zwar um 16:24 Uhr – damals lief die Vernehmung der Zeugin übrigens noch –, mit folgendem Inhalt:

Rechtsextremen wurde im NSU-Untersuchungsausschuss heute leider erneut eine Bühne geboten … Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet: Mit der Befragung der Zeugin G. aus der rechtsextremen Szene – die wegen nicht szenebezogenen Taten derzeit eine Haftstrafe verbüßt und aus dieser ausgeführt werden musste – wurde den Rechtsextremen zum wiederholten Mal und in besonderer Weise eine Bühne im NSU-Untersuchungsausschuss geboten.

Und es wird ausgeführt, die Opposition hätte auf die Vorladung verzichten sollen.

Herr Bellino, diese Pressemitteilung, die Sie vorher abgesetzt haben, ist Ihr Problem. Sie müssen wenigstens die Vernehmung abwarten und nicht so tun, als ob die Zeugin nichts gesagt hätte.

(Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Die hat die CDU abgegeben!)

Das ist ein Vorgang, der in gar keiner Weise akzeptabel ist. – Ich habe sie hier. Sie haben Ihren Pressesprecher dann natürlich beauftragt, das schnell von der Homepage zu nehmen. Sie ist trotzdem noch da. Diese Pressemitteilung findet man aber nicht mehr auf Ihrer Homepage, weil Ihnen das möglicherweise unangenehm ist. Das muss es auch sein, weil ich finde – ich sage das noch einmal –: Wir haben jetzt einen gemeinsamen Antrag initiiert, den ich richtig und gut finde. Da gibt es Handlungsbedarf. Der Hessische Landtag ist aber keine Ermittlungsbehörde – das haben wir alle gesagt –, deswegen bitten wir auch nur darum – so ist es auch auf Anregung des Kollegen Hahn formu

liert worden, was wir ausdrücklich unterstreichen –, dass die Ermittlungsbehörden jetzt tätig werden.

Ich finde, hier besteht dringender Handlungsbedarf. Der GBA hat sich wohl schon gemeldet. Deswegen bitten wir die Landesregierung, dem Generalbundesanwalt alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Wir erachten es als notwendig, dass weitere Aufklärung erfolgt. Die Mitzeugin von Frau Görtz muss vernommen werden; es müssen in diesem Umfeld möglicherweise noch andere Personen vernommen werden. All diese Fragen sind noch offen. Deswegen ist diese Mordserie noch immer nicht aufgeklärt. Auch dann, wenn in München vor dem Oberlandesgericht irgendwann ein Urteil gesprochen wird, bleibt noch immer die Aufklärung des Mordes in Kassel, eine besonders verwerfliche Tat. Ich glaube, wir sind es insbesondere auch der Familie schuldig, dass wir alles Menschenmögliche tun, um das aufzuklären.

Deswegen bin ich froh, dass wir diesen gemeinsamen Antrag heute auf den Weg bringen. Wir beantragen auch die Abstimmung über diesen Antrag. Gleichzeitig ziehen wir unseren Antrag, Tagesordnungspunkt 57, zurück. Dieser ist in diesen Antrag mit eingegangen; das ist konsequent und folgerichtig.