Luise Neuhaus-Wartenberg
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für mich ist es kaum zu fassen, wieder einmal wird hier eine Kleine Anfrage in einen Antrag gekleidet und damit das Plenum behelligt. Stellen Sie die Fragen doch einfach vorher, vielleicht hilft das zu verstehen und die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
Sie wollen, dass geprüft und berichtet wird. Nichts von dem, was Sie hier erzählt haben, Herr Dr. Weigand, steht in Ihrem Antrag. Ich kann dazu nichts finden.
Und überhaupt, was den gesamten Antrag angeht, wird er mit einer hochtrabenden Überschrift betitelt: „Gründergeist in Sachsen stärken – Unternehmertum effektiv fördern“. Meine Güte, da könnte man denken, da kommt mal was Großes. Nichts ist. Ich habe nichts Großes gefunden. Dann habe ich mich mit Ihrem Wahlprogramm beschäftigt und musste sehen, dass dort ein großer Wurf, was Wirtschaftspolitik angeht, auch nicht zu finden war, außer dass es Ihnen um deutsche Sachsen und um sächsische Deutsche geht.
Etwas anderes findet man bei Ihnen in der Wirtschaftspolitik auch nicht. Vernünftige Wirtschaftspolitik, die den
Menschen dient, können Sie einfach nicht mehr national denken. Sie haben keine Ahnung davon.
Es ist so, dass die Zahl der Firmengründungen rückläufig ist, doch ausgerechnet die Zahl der Unternehmensgründungen an Sachsens Hochschulen ist relativ konstant und liegt bei circa 100 im Jahr. Demgegenüber gab es im letzten Jahr – dem sollten wir uns widmen – in Sachsen über 24 000 Betriebsgründungen; das ist ein Viertel weniger als noch 2011. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht, und ich glaube, da müssen wir ran. Denn wenn es so weitergeht, schaffen wir es vielleicht, dass ab dem Jahr 2040 niemand mehr einen Betrieb in Sachsen gründet.
Das war ein Scherz. Trotzdem ist es nicht so witzig, wie es klingt. Denn Selbstständigkeit entsteht meiner Meinung nach aus zweierlei Gründen: entweder weil aus der Not eine Tugend gemacht werden muss oder weil man eine Idee oder einen Traum verfolgt. Unabhängig von den Gründen – und da bleibt es dabei, dass es immer weniger Gründungen werden, was vor allem in den ländlichen Regionen ein Problem ist – müssen wir darüber reden.
Es macht etwas mit dem Lebensgefühl der Leute, ob es den Handwerker, den Friseur oder den Konsum vor Ort noch gibt: so klein und doch relevant. Kleine und mittelständische Unternehmen sind wichtig für die Daseinsvorsorge. Wenn ich also einen großen Wurf landen will, damit Selbstständigkeit attraktiver wird, muss ich grundlegend herangehen.
Ich habe es im Plenum bereits oft gesagt: Meiner Meinung nach geht es zuallererst um Anerkennung, Anerkennung dafür, dass man etwas wagt und dass Selbstständigkeit Risiko bedeutet. Es geht im Kern um die gesellschaftliche Akzeptanz der Tatsache, dass es keine Schande ist, mit einer unternehmerischen Idee auch mal zu scheitern. Deshalb braucht es Sicherheit, dass die Betroffenen nicht ins Bodenlose fallen. Es braucht ein Mindestmaß an sozialer Absicherung, damit die Gesundheitsvorsorge gewährleistet ist und im Alter nicht nur die Grundsicherung bleibt. Diese Sicherheit gibt es aktuell nicht, trüge aber sehr zur Stärkung des Gründergeistes bei.
Zweitens. Es braucht ein grundlegendes Programm, Unternehmertum zu fördern, eines, das massive Investitionen in soziale, technische und kulturelle Infrastruktur in den Regionen beinhaltet. Das hätte so viele positive Effekte zur Folge. Zum einen steigert es nicht nur die Lebensqualität, sondern hilft eben auch dem Handwerker, der Friseurin oder dem Friseur oder dem Konsum vor Ort. Zum anderen: Indem die öffentliche Hand Aufträge auslöst und das auf Grundlage besserer Infrastruktur tut, können sich weitere Dienstleistungen entwickeln. Ach ja – genau diese Investitionen sollten die Kommunen aus ordentlich ausgestatteten Regionalbudgets und kommunalen Investitionspauschalen bestreiten dürfen.
Drittens müssen wir an die Förderprogramme für kleinere und mittlere Unternehmen heran. Denn eine große Anzahl von Betrieben kann die Fördermöglichkeiten nicht in Anspruch nehmen. Sie haben keine Zeit und auch nicht das Personal, um sich durch den Dschungel der Förderrichtlinien zu wühlen. Selbst wenn das geschafft ist, scheint es immer noch eine Katastrophe. Allein auf der Webseite der SAB finden sich über 30 unterschiedliche Förderprogramme. Dazu kommt noch der Aufwand der Abrechnung. Das heißt, es braucht dringend das Eindampfen der Anzahl von Programmen auf relativ wenige. Es braucht Unterstützung und Beratung, den bürokratischen Aufwand zu meistern. Selbstverständlich muss auch der Eigenmittelanteil gesenkt werden bzw. sind in bestimmten Fällen dann Einzelfallentscheidungen sogar zu streichen. Ich werde nicht müde zu betonen, dass die Betriebe im Osten dieser Republik kleinteiliger und damit kapitalschwächer sind als die im Westen. Das ist so und darauf muss man reagieren.
Ein Instrument förderpolitischer Maßnahmen sollten revolvierende Fonds sein. Die kleinen und mittelständischen Betriebe hätten dadurch mehr Handlungsspielraum, was die Entwicklung ihrer Produkte und deren Vermarktung angeht. Nicht zuletzt muss es eine stärkere Einbindung von Sparkassen und Genossenschaftsbanken in die Förderprogramme für Klein- und Mittelständler(innen) geben. Deren Verantwortung steht doch nun in ihren Statuten festgeschrieben. Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir in den letzten Jahren nicht immer wieder an deren Pflicht erinnert haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie sehen, müssen wir sehr dicke Bretter bohren, um Gründergeist tatsächlich zu stärken und Unternehmertum zu fördern. Ich habe – und das auch nicht zum ersten Mal – einige Vorschläge gemacht. Bei dem vorliegenden Antrag ist außer einem Danke für gar nichts und für geraubte Lebenszeit nichts geblieben. Wir lehnen ihn daher ab.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank Herrn Staatsminister für seine Ausführungen. In der Richtlinie heißt es – bei ganz viel Text – „die ihre Produkte oder Leistungen überwiegend innerhalb eines Radius von 50 Kilometer um die zu fördernde Betriebsstätte... absetzen und nicht nach Ziffer 3 Nr. 4 ausgeschlossen sind“. Die 50 Kilometer sind für mich fraglich; denn Sie wissen, wie die Situation im ländlichen Raum ist und dass gerade Handwerksbetriebe in den letzten Jahren keine andere Chance hatten, ihre Produkte außerhalb der 50 Kilometer zu verkaufen, auf Montage zu gehen usw.
Was machen wir mit einem Zimmereibetrieb, der in einem Nachbarort von Torgau ansässig ist, aber die Produkte nach Leipzig, Dresden, Chemnitz usw. verkauft hat, wenn er in eine neue Betriebsstätte investieren will?
Ich habe auch eine Frage zum Regionalen Wachstum, was das Verfahren selbst angeht.
Erste Frage: Wenn es tatsächlich so ist, wie Sie sagen, und diese Richtlinie so gut angenommen wird, dann würde mich unter Berücksichtigung der Erfahrungen der letzten Jahre interessieren, wie das die SAB bewältigen will? Hat man einen Plan, wenn es wie bisher weitergeht, dass dort stets genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Start sind?
Meine zweite Frage betrifft die Bewilligungsdauer: Was kann man Unternehmen sagen, wenn sie etwas beantragen, wie lange sie ungefähr warten müssen?
Ich habe auch noch eine dritte Frage: Wie läuft die Antragstellung – digital oder nicht digital?
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wer hier wofür zuständig ist, können wir im Nachgang miteinander besprechen. Ich würde jetzt gern meine Gedanken äußern, Herr Schiemann.
Im nächsten Jahr sind es – ja was eigentlich? – 30 Jahre Wiedervereinigung? Friedliche Revolution? Deutsche Einheit? 30 Jahre nach der Wende? 30 Jahre nach 1989? Nun, genau dieses Begrifflichkeitsdilemma beschreibt
eigentlich schon den Zustand, in dem wir uns befinden. Es herrscht eben keine Einigkeit. Vieles ist getan worden, keine Frage; das erkennen wir auch an. Aber dennoch taucht auf der Landkarte bei jedem Vergleich der Strukturdaten immer noch der Umriss der alten DDR auf, egal ob bei Einkommen, Vermögen, Wertschöpfung oder, oder, oder.
Fakt ist, dass der Aufholprozess eben nicht zu gleichwertigen Lebensbedingungen geführt hat und heute teilweise stagniert. Das liegt nicht nur daran, dass der sogenannte Aufbau Ost in großen Teilen nur ein Nachbau West war, sondern auch daran, dass der Osten ein Testfeld für neoliberale Umbaukonzepte in Größenordnungen war. Ein Wirtschaftsinstitut stellte kürzlich in einer Studie fest – darüber ist in diesem Landtag bereits gesprochen worden –, dass der Osten dem Westen um etwa 20 % hinterherhinke. Dabei ging es um Produktivitätsunterschiede in den Regionen. Allerdings wird es sich wohl eher um einen Unterschied zwischen Stadt und Land handeln.
Nun gut, wenn das nun endlich bekannt ist – wir sprechen seit Jahren darüber –, dann kann und muss es auch gesteuert werden. Über den Vorschlag des besagten Instituts, sich aus der Fläche zurückzuziehen, müssen wir nicht mehr diskutieren. Das stünde dann für die Fortsetzung der sogenannten Leuchtturmpolitik, werte CDU. Nein, alle Regionen müssen gefördert werden, völlig egal, ob Deutschland in Stadt und Land oder in Ost und West gespalten ist. Beides kann nicht gut sein, wirtschaftlich nicht, aber auch politisch nicht; und es bleibt der Fakt, dass der Abstand zwischen Ost und West immer noch besteht.
Nun ist die Arbeitsproduktivität nicht das alleinige Kriterium für gleichwertige Lebensbedingungen. Es geht vor allem auch um die Steigerung von Lebensqualität. Diese gelingt, indem man massiv in soziale, technische und vor allem auch kulturelle Infrastruktur investiert. Das heißt für uns ganz klar: Erst die Kita vorhalten, dann kommt die junge Familie. Erst ordentliches Breitband, dann das Architekturbüro oder der Handwerksbetrieb. Erst die fußläufigen Einkaufsläden, dann das Mehrgenerationenprojekt. Oder haben diejenigen von Ihnen, die im Besitz eines Hauses sind, sich erst auf das Grundstück gestellt, und dann wurde das Haus drum herum gebaut? Ich glaube kaum. Es braucht dafür einen politischen Willen, und zwar auch Ihren. Dort liegt meiner Meinung nach noch eine Menge Arbeit vor uns.
Auch was den Strukturwandel betrifft – es wurde bereits angesprochen; es steht in unserem Antrag –, so haben wir oft darüber debattiert. Das Geld ist beschlossen, aber ich hoffe, Ihnen ist klar, dass wir über eine ganze Region sprechen und nicht nur über einzelne Arbeitsplätze. Die Bundesebene hat viel Geld dafür in Aussicht gestellt, und was tun wir, gerade in Sachsen? Welchen Eindruck vermitteln wir nach außen? Wir krümeln mit einem sogenannten Ideenwettbewerb sächsische Mitmachfonds herum und loben dann allen Ernstes Preise in Höhe von
5 000 Euro aus. Dazu kann ich nur sagen: Donnerwetter, das nenne ich kleckern und nicht klotzen!
Aber ich kann Ihnen sagen – und das wissen Sie –: Meine Fraktion hat einen Plan dafür entwickelt, und ich empfehle der Staatsregierung deshalb eine Lektüre. Noch einmal: Werfen Sie einen Blick in den von uns vorgelegten Gesetzentwurf Sächsisches Strukturwandelfördergesetz – die Drucksachennummer muss ich Ihnen nicht mitteilen –, und zwar explizit auf den Punkt 11.
Im Übrigen: Der komplette Entwurf wurde von den Expertinnen und Experten hochgelobt. Wenn wir generell über Strukturwandel sprechen wollen, dann müssen wir auch die letzten 30 Jahre in den Blick nehmen, denn auch 1990 und danach hat es Fehlentscheidungen gegeben. Natürlich sprechen wir dabei auch über die Treuhand, und, Frau Dietzschold, ganz ehrlich: Ein paar Rechtsverstöße – das kann nicht Ihr Ernst sein.
Der MDR hat 2018 in seinem Magazin „Zeitreise“ Folgendes berichtet – ich zitiere –: „Unter teils dubiosen Umständen verscherbelte die Treuhand rund 50 000 Immobilien, knapp 10 000 Firmen und mehr als 25 000 Kleinbetriebe. Dass sie in zahllosen Fällen weder die Bonität der Käufer prüfte noch die Einhaltung der Verträge überwachte, ist aktenkundig. Die DDR war in diesen Jahren ein riesiger Schnäppchenmarkt. Die Treuhandanstalt ist hilflos gegenüber der Vielzahl von Vorwürfen, die überwiegend berechtigt sind. Das gab selbst der Treuhandchef Rohwedder 1991 unumwunden zu.“
Dass Sie ständig darstellen, dass es alternativlos war und ist – so kann man nicht miteinander umgehen. Das ist Quatsch. Das sind für mich keine Argumente, ob es eine Alternative gegeben hat oder nicht.
Trotz alledem kann man doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass damals Dinge schief- und falschgelaufen sind. Nicht einmal das tun Sie.
Auch der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg Henning Voscherau spricht 1996 in der „Welt“ vom „größten Bereicherungsprogramm für Westdeutsche, das es je gegeben hat“. Das muss man zur Kenntnis nehmen, und ich finde, dass die ostdeutsche Wirtschaft bis heute darunter leidet. Deshalb braucht es endlich eine unabhängige Kommission, die genau das aufarbeitet, was die Treuhand damals fabriziert hat.
Klar – es ist nun wirklich an der Zeit, mit verschiedenen anderen Ungerechtigkeiten aus dem Einigungsprozess aufzuräumen. Sprechen wir doch einmal über die sogenannten Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen. Wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow
zu Recht bemerkte, sind diese, bei rechtem Licht besehen, überhaupt keine Schulden. Auch der Direktor des VDW Sachsen Rainer Seifert spricht von „schuldlosen Schulden“, die eine gigantische Last seien und Investitionen hemmten. Das betrifft besonders die ländlichen Kommunen, weil dort der Leerstand höher ist und dies die Schuldentilgung erschwert.
Aber wie sind diese angeblichen Schulden denn entstanden? Zweckgebundene Zuweisungen aus dem Staatshaushalt der DDR wurden nach 1989 durch die Treuhandanstalt als Kredite zugewiesen. Allerdings hat es dazu nie einen Kreditvertrag gegeben. Diese willkürlich erzeugten Schulden sind dann später an Privatbanken verkauft worden. Das Ergebnis war eine Begünstigung der Banken durch Treuhandanstalt und Bundesregierung. Die Lasten aber tragen andere, nämlich noch immer die ostdeutschen Wohnungsunternehmen sowie die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Deshalb gehören diese Altschulden unserer Meinung nach gestrichen.
Und ja, die Liste weiterer Ungerechtigkeiten bleibt lang. Meine Kollegin Susanne Schaper hat bereits auf einige Missstände bei der Anerkennung von Rentenansprüchen hingewiesen. Ich möchte noch ein Beispiel hinzufügen. In der DDR durften die sogenannten mithelfenden Ehefrauen in den Handwerksbetrieben keinen Lohn erhalten, aber die Eheleute haben zusammen gearbeitet. Doch bis heute bekommen diese Ehefrauen keine Rente zuerkannt. Das ist doch ein Unding! Wenn nicht anerkannt wird, dass manches in der DDR anders war, und danach aber Nachteile daraus erwachsen, dann wird das zu Recht als ungerecht empfunden; das ist logisch.
Dies betrifft auch die Datschen- und Garagenbesitzer im Osten. Diese kämpfen seit der Einführung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes gegen eine völlig ungerechte Regelung. Es gibt nämlich keinen besonderen Kündigungsschutz mehr. Ihr Eigentum geht im besten Fall nur zwangsweise über, oder sie bezahlen am Ende auch noch die Kosten für die Beseitigung ihrer Datsche. Das ist doch keine Art! Deshalb braucht es einen angemessenen Ausgleich.
Natürlich haben alle diese Dinge auch Folgen; denn neben Gehalts- und Rentenlücken erleben die Menschen im Osten oft auch eine weitere Lücke: die der Repräsentanz – und damit beispielsweise auch der Anerkennung von 120 Abteilungsleitern. Deshalb ist es nicht richtig, was Sie sagten, Frau Dietzschold: dass es hierbei nur um Standorte von Bundesbehörden gehe. Von 120 Abteilungsleitern, die es in den 14 Bundesministerien gibt, kommen drei aus Ostdeutschland – nur drei! Und wenn von allen Universitätsrektorinnen und -rektoren nicht eine bzw. einer aus dem Osten stammt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Karrierechancen ungleich verteilt sind. Ich finde, dass dies eines weiteren Punktes in unserem Antrag würdig ist. Das hat überhaupt nichts mit Jammern zu tun. Aber um nach vorn zu denken und Lösungen zu finden, braucht es eine ordentliche Darstellung des Istzustandes. Das hilft alles nichts, und da müssen Sie durch.
Ich denke, dass sich der Landtag in Zeiten wie diesen, wenn sogar die Staatsregierung, Staatsministerin
Köpping, Veranstaltungen unter dem Begriff der Kolonialisierung durchführt – im Übrigen kann ich nur sagen, ich halte diesen Begriff für nicht besonders tauglich; aber sie finden eben statt –, mit dieser Grundsätzlichkeit nach 1989 oder 1990 beschäftigen sollte.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch einige Worte, Worte einer fast 39-Jährigen, die sowohl in der DDR als auch im Osten von Deutschland groß geworden ist. Wir – auch wir in diesem Hause – haben doch eine Frage zu beantworten: Warum werden die Konflikte im Osten und explizit auch in Sachsen viel härter ausgetragen als im Westen? Das hat sicher viele Ursachen. Jede einzelne Ursache findet sich so ähnlich auch anderswo; aber wenn wir verstehen wollen, was hier los ist, müssen wir begreifen, dass anscheinend im Osten und in Sachsen irgendwie alles kumuliert. 1990 wurde die Auflösung eines Staates und dessen Beitritt zu einem anderen beschlossen. Nicht trotz, sondern wegen dieses Fakts sollten die Menschen im Osten ihre Erfahrungen und Eindrücke einbringen und auch vertreten wissen.
Menschen haben 40 Jahre lang in einem Staat gelebt, den sie an Stellen geliebt, gehasst, verachtet, geschätzt, ertragen, bekämpft oder dafür gekämpft oder diesen Staat gar verlassen haben. Trotzdem bleibt es Teil ihres Lebens, und es bleibt auch Teil des Lebens ihrer Kinder, Enkel und Urenkel, Freundinnen und Freunde. Solange diese Erinnerung existiert, steht diese sehr oft im Gegensatz zu dem, was ihnen Politik von Forschung und Geschichte erzählt.
Ich finde, das ist ein Problem. Es geht um Anerkennung. Diese Erinnerung ist ebenso auch Teil der Leute, die nach 1989 in den Osten gekommen sind, und denjenigen, die in den Westen gegangen sind. Damit ist es die Geschichte von Menschen über die innerdeutsche Grenze hinaus.
Wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen, besonders von der CDU, nicht begreifen, dass es falsch ist, den Einzelnen als Bezugspunkt von allem zu erklären, und wir heute eher eine Stimmung der Enttäuschung über diese Idee haben, weil die Leute zu Recht fragen, was uns denn das alles gebracht habe, dann frage ich mich: Um Himmels willen, was war denn gut daran? Vielmehr sollte es wieder eine Politik geben, die nicht nur vom Einzelnen ausgeht, sondern von einem Raum der Solidarität. Das sollte doch tatsächlich in unser aller Interesse sein.
Vielen Dank.
Ich möchte mich erst einmal für die Debatte bedanken und eine Sache zur Kenntnis geben – da scheint mir die Staatsministerin Frau Klepsch nämlich ein ganzes Stück weiter zu sein als die CDU-Fraktion, weil sie sich tatsächlich mit unserem Antrag auseinandergesetzt und jetzt nicht über blühende Landschaften und dergleichen gesprochen hat.
Damit bin ich gleich beim Punkt, Frau Dietzschold. Nach dem Duden gibt es das Wort „Ostdeutsche“. Es ist ein sogenanntes substantiviertes Adjektiv, wird getrennt in Ost-deut-sche, das muss man zur Kenntnis nehmen. Aber vielleicht liegt es daran, dass Sie in der DDR-Ausgabe des Duden nachgeschaut haben.
Ansonsten haben wir sozusagen eine Aufgabe und ich glaube, unser Ansatz ist nicht, Salz in die Wunde zu streuen, darum geht es wirklich nicht.
Den Leuten ist über Jahre hinweg immer wieder erklärt worden, dass es alles ganz wunderbar ist, dass sie dankbar sein sollen, dass sie demütig sein sollen und dass es alles hier besser ist als die ganzen Jahre vorher. Und dann schauen sie in die Welt und sehen, das stimmt doch alles gar nicht. Das muss man doch zumindest zur Kenntnis nehmen und das muss man auch politisch thematisieren.
Ansonsten können Sie mir wieder Polemik vorwerfen oder wie auch immer, aber bei all den Zwischenrufen vorhin – ob bei meiner Kollegin Schaper oder bei mir, dass sie demütig sein soll usw. –, das können Sie alles machen, aber jeder hier – –
Nein, es geht gar nicht darum, dass Sie dazwischenrufen, es geht nur um die Qualität der Zwischenrufe.
Alle, die vor 1989 im Erwachsenenalter oder eben schon über das Erwachsenenalter hinaus waren – also jenseits von 18 Jahren; alle, wie Sie hier sitzen –, müssen sich eine Frage beantworten: Was haben Sie vor 1989 getan und was haben Sie nicht getan?
Nein, ganz einfach, das ist einfach nur eine Frage. Ich habe diese Frage an meine Eltern und meine Großeltern genauso, und die Frage habe ich hier auch im Raum,
und darauf hätte ich gern irgendwann mal eine Antwort.
Das Zweite ist: Es mag sein, dass für eine ganz bestimmte Generation das alles nicht mehr zu heilen ist und dass Sie sich mit Ihrem Status usw. abfinden müssen. Ich finde aber, dass wir, die nachfolgenden Generationen, eine Aufgabe haben.
Wenn junge Leute heutzutage mit Mitte/Ende 20/Anfang 30 ein Gefühl beschreiben und sagen, wir sind ostdeutsch – und wenn das an Stellen ein zutiefst negatives Gefühl ist –, dann haben wir eine Aufgabe, und die haben wir als Politik zu lösen.
Vielen Dank.
Vielen, Herr Präsident! Ich möchte auch von meinem Recht Gebrauch machen, eine Erklärung zu meinem persönlichen Abstimmungsverhalten abzugeben. Ich könnte es ganz praktisch machen und sagen: Ich schließe mich allem an, was bis dato gesagt worden ist.
Aber erstens ist es kein Klamauk, hier von seinen Rechten Gebrauch zu machen. Ich fühle mich beleidigt, und zwar von Ihnen.
Zweitens möchte ich sagen, dass ich zum Beispiel eine bin, die sich in Leipzig in der Eisenbahnstraße relativ viel herumtreibt, weil ich dort einkaufen gehe.
Ja, da können Sie lachen. Ich gehe dort einkaufen,
und zwar Obst und Gemüse, nichts anderes.
Ich bin aber allein im letzten halben Jahr mit meinem Sohn an der Hand dreimal kontrolliert worden. Auf die Frage meines Sohnes, was das soll, kann ich nur antworten: Wahrscheinlich habe ich die falsche Frisur. Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein.
Drittens müssen Sie sich an der Stelle ehrlich machen und hätten es heute mitteilen können, dass all das, was hier mit dem Polizeigesetz stattfindet, nur zu einer Sache taugt: am 1. September Stimmen von Wählerinnen und Wählern vom rechten Rand abzuholen, nichts anderes.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich würde gern die Gelegenheit zur Kurzintervention nutzen, um etwas klarzustellen. Ich beziehe mich auf den Redebeitrag der AfD jetzt gerade. Es gibt einen Grundsatzprogrammentwurf aus dem Jahr 2016. Da heißt es auf Seite 35 in Zeile 17 unter der Überschrift Arbeit, ALG I, maßgeschneidert: „Wir wollen das Arbeitslosengeld I privatisieren. Arbeitnehmern steht dann der Weg offen, mit eigenen und individuell maßgeschneiderten Lösungen für den Fall der Arbeitslosigkeit vorzusorgen. Dabei können private Versicherungsangebote ebenso eine Rolle spielen wie die Familie oder der Verzicht auf Absicherung zugunsten des schnelleren Abbaus von Ersparnissen.“
Ich bedanke mich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! 165 Fragen zu elf verschiedenen Themenkomplexen haben wir in unserer Großen Anfrage zur Wirtschaftspolitik gestellt – 165 Fragen und Antworten, die zudem nicht sehr überraschen, zumindest nicht uns. Die Sächsische Staatsregierung führt sich ja gern einmal wie der große Zampano auf, und dabei ist es richtig und notwendig, wenn wir als Oppositionsfraktion nachschauen, ob zu dick aufgetragen wurde und wird, und zu hinterfragen, ob Sachsen wirklich so spitze ist. Und siehe da: Viele Zahlen, die uns als Antworten auf unsere Fragen geliefert wurden, zeigen: Sachsen ist im bundesweiten Vergleich maximal Mittelmaß. Sachsen ist zum Beispiel Mittelmaß beim Wachstum des BIP. Berlin und Thüringen sind dabei auf einem ganz anderen Weg. Aber wen wundert es – dort regieren wir ja auch mit.
Genau, lachen Sie ruhig! – Das mit dem Mittelmaß klappt dann bei der Bruttowertschöpfung je Arbeitnehmer nicht mehr so ganz. Hierbei liegt Sachsen bundesweit an viertletzter Stelle.
Weiter geht es mit dem Mittelmaß bei den Bruttolöhnen und Gehältern je Arbeitnehmer. Schaut man sich die Zahlen und damit die Entwicklung der letzten Jahre an, so tritt Sachsen dabei nicht gerade als dynamisches Bundesland in Erscheinung. Wenn man nun die Steigerung der Bruttowertschöpfung und der Bruttolöhne je Arbeitnehmer vergleicht, dann landen von den etwa 12 600 Euro mehr an Bruttowertschöpfung nur 6 400 Euro als Bruttolohn bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dieses Verhältnis ist zwar bundesweit ungefähr gleich, aber deshalb noch lange nicht gut. Wenn es uns darum geht, Erwerbsarbeit anzuerkennen, warum nicht mit einem deutlicheren Plus in der Lohntüte? Zudem stärkt das die Binnennachfrage; aber darauf komme ich später noch einmal zurück.
Zunächst: Wer die Forderung nach Lohnsteigerung aufstellt, befindet sich damit sogar in Gesellschaft des IWF. Wie in der „WELT“ vom 15. Mai 2017 zu lesen war, forderte der IWF deutlich höhere Löhne sowie Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Kinderbetreuung und Flüchtlingsintegration sowie eine Senkung der Steuerlast
auf Arbeit. Natürlich sind Lohnerhöhungen Sache der Tarifparteien, darüber haben wir gestern diskutiert. Aber die Politik könnte ja mit einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von ebendiesen 12 Euro pro Stunde schon einmal vorlegen.
Ich denke, die Aufgabe einer zukunftsorientierten Regierung wäre es doch eigentlich, gerade in guten Zeiten die Weichen für die Zukunft zu stellen und auch einmal etwas Ungewöhnliches zu probieren und nicht nur den Status quo zu verwalten. Stattdessen lobt sie sich fortwährend, und ganz ehrlich: Wie viele Fragen unserer Großen Anfrage konnten nicht vernünftig beantwortet werden, weil es dazu keine statistische Erhebung gibt? Freiberufler: Fehlanzeige! Die Anzahl aller Freiberufler(innen) in Sachsen ist der Staatsregierung nicht bekannt, zumindest nicht in Gänze. Einige werden erfasst, andere nicht.
Woher generieren wir die Gewerbesteuer? Wir sprechen von Strukturen. Es gibt keine Erfassung, welche Wirtschaftszweige in welcher Region was beitragen. Wir sprechen über die originäre Einnahmequelle einer jeden Gemeinde. Wir arbeiten 2018 mit Messbeträgen aus dem Jahr 2013; und um den Bogen zu Ende zu spannen: Raten Sie doch einmal, welche Angaben zum Tagestourismus gemacht werden können! Richtig: keine. Aber gut sind wir, dessen bin ich mir sicher.
Letztes Beispiel war die aktuelle Bewertung Sachsens im Deutschen Startup Monitor 2018. Mit einer 3,1 liegt Sachsen knapp hinter Thüringen auf Platz zwei. Das ist ziemlich weit vorn, aber die Frage ist, ob das auch gut ist. Wir reden hierbei immerhin von einer Schulnote mit einem „befriedigend“. Ich frage, wie viele der Abgeordneten der Regierungskoalition und Mitglieder der Staatsregierung dafür überschwängliches Lob von ihren Eltern erhalten hätten? – Es ist eine Drei!
Wenn Sachsen hierbei scheinbar vorn liegt, so zeigt das doch nur, wie wenig sich in Deutschland insgesamt an den Bedürfnissen von Start-ups orientiert wird. Eine Baustelle bleibt das allemal.
Eine weitere Baustelle ist die Berufsausbildung: Das ist in den Fragen 132 bis134 erfasst. Die Zahlen der freibleibenden Stellen sind alarmierend. Im Schnitt gibt es je nach Branche drei- bis viermal mehr unbesetzte Lehrstellen als im Jahr 2009. Die Gründe mögen vielfältig sein, aber offenbar mangelt es den Ausbildungsberufen an Attraktivität. Ein Schritt könnte die Einführung eines flächendeckenden Ausbildungsmindestgehalts sein, das an branchenübliche Tarife gebunden und gegebenenfalls
durch eine Förderung mitfinanziert wird. Jeder Vorschlag sollte willkommen sein, sonst bleibt es beim üblichen Jammern über das händeringende Suchen nach Azubis.
Ich möchte noch eine Bemerkung zur Förderpolitik der Staatsregierung machen. Mein Kollege Nico Brünler wird dazu noch ausführlicher sprechen. Der „Fonds zur Rettung und Umstrukturierung von sächsischen Unternehmen“ wird künstlich hochgerechnet. Das Ausschöpfen des Fonds ist rückläufig; in den Jahren 2016 und 2017 ist nicht einmal die Hälfte des Planes für die Jahre von 2018 bis 2020 abgerufen worden. Die sächlichen Verwaltungsausgaben steigen dabei jedoch um 17 % bei gleichem avisiertem Mittelabfluss. Selbst wenn diese Tendenz stagniert, kann man davon ausgehen, dass statt der veranschlagten 16,5 Millionen Euro nur circa 6 Millionen Euro ausgereicht werden – und das bei einem Fonds, der für kleine und mittlere Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, die seit mindestens drei Jahren existieren und in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, eingerichtet ist. Es ist nicht nur so, dass hier ins Nichts gefördert wird, sondern es mangelt am Willen zur Bewertung der eigenen Politik. Das verwundert aber schon lange nicht mehr.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir wollen hier nichts streichen oder sparen. Uns geht es um Effektivität, um den einfachen Zugang, schlichtweg um Praxisnähe.
Die Beantragung vor allem für kleine und junge, unerfahrene Unternehmen auf der Grundlage der sogenannten Förderdatenbank ist kompliziert, da diese weiterhin selbst direkten Kontakt zu den öffentlichen Stellen suchen müssen. Junge Gründer und Gründerinnen von Unternehmen beantragen Mikrodarlehen. Die SAB verweist auf die Politik, das Ministerium auf die SAB, das ganze Verweisen dauert mehr als sechs Monate, und der Antrag ist weder angeschaut, geschweige denn bewilligt. Das ist kein Einzelfall. Ein einfacher Zugang zu Förderung sieht anders aus.
Was kleine und mittelständische Unternehmen nicht gebrauchen können, vor allem die ganz kleinen, sind Komplikationen. Dabei sind es gerade diese, die Handwerks-, Dienstleistungs- und Handelsbetriebe, die für einen Großteil unserer Lebensqualität, unseres Wohlbefindens sorgen. Doch stehen diese Betriebe noch immer in der zweiten Reihe, wenn es in Deutschland, so auch in Sachsen, um die Wirtschaft im Allgemeinen geht, weil seitens der Bundesregierung immer zuerst an den Export gedacht wird. Sachsen stimmt in diesen Chor wie selbstverständlich ein und macht kräftig mit.
Exporten im Wert von 41 Milliarden Euro standen im Jahr 2017 Importe im Wert von 24 Milliarden Euro gegenüber. Sachsen hat die größte prozentuale Steigerung der Exportquote von 2009 bis 2017 erreicht, und zwar von 21,4% auf 34 %.
Was die Exportquote selbst angeht, ist Sachsen zwar, gemessen am Bundesdurchschnitt, auch nur Mittelmaß und liegt um 5 % zurück, aber am Exportüberschuss ist es beteiligt. Dieser wird sogar von der EU gerügt, aber ohne Konsequenzen.
Nun habe ich von dieser Stelle aus schon einige Male darauf verwiesen, dass der Exportüberschuss des einen Landes Defizite in anderen Ländern bedeutet. Aber heute will ich auf etwas anderes hinaus. Die Exportorientierung hat mindestens noch einen zweiten Pferdefuß: Die internationalen Märkte erweisen sich zuweilen als wackelig, zum Beispiel weil der weltpolitische Ton rauer geworden ist. So schlagen die Unternehmen die Alarmglocken, weil es Embargos gegen Russland oder den Iran gibt, die USA mit Strafzöllen um sich werfen oder Großbritannien seine privilegierte Partnerschaft in der EU kündigt. Es ertönt der Ruf: Politik, mach was!
Ich würde dem entgegnen: Stärkt euer zweites Standbein durch Stärkung des Binnenmarktes! – Tja, und hier wäre dann Politik tatsächlich gefragt, indem ordentlich investiert wird in soziale, in technische und in kulturelle Infrastruktur. Schaut man sich die Exportquoten, wie in der Antwort zu den Fragen 39 und 40 der Großen Anfrage zu finden ist, von besonders exportorientierten Bundesländern, wie Baden-Württemberg, Bremen und dem Saarland an, die im Jahr 2009 zwischen 35 und 39 % lagen, und vergleicht sie mit dem Einbruch des BIP im Jahr 2009 infolge der Finanzkrise, dann fällt auf, dass der Einbruch in den genannten Ländern besonders groß war, nämlich bei 6,8 bis 9,8 %. Das Land Berlin hingegen, das mit etwa 10 % mit Abstand die niedrigste Exportquote hatte und hat, erlebte einen Rückgang des BIP von 0 %.
Während es von 2009 bis 2017 beim Wachstum des Bruttoinlandproduktes nur von Bayern übertroffen wird, liegt die Exportquote im Jahr 2017 immer noch bei nur 11,2 %. Davon sind selbst Mecklenburg-Vorpommern mit 16,6 % und Brandenburg mit 18,2 % ein gehöriges Stück entfernt. Der Bundesdurchschnitt ist fast viermal so hoch. Darüber lohnt es sich doch, finde ich, einmal nachzudenken.
Es scheint jedenfalls nichts an einer Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge, was vor Ort vor allem kommunale Daseinsvorsorge bedeutet, vorbeizugehen. Dazu muss gehörig Geld in die Hand genommen werden, am besten mit einer – wie wir sie gefordert haben – Kommunalpauschale oder mit Regionalbudgets, die diesen Titel verdienen.
Diese Investitionen vor Ort zusammen mit einem modernen Vergabegesetz – auch das war unser Vorschlag – sind ein geeignetes Mittel, damit es endlich zu den dringend benötigten regionalen Wirtschaftskreisläufen kommt. Kurz gesagt, liebe Staatsregierung: Hört zu, nehmt Bedenken mit, passt eure Politik an!
Nun lautet das Thema der Großen Anfrage „Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Sachsen“. Machen wir uns aber erneut klar, dass wir fast ausschließlich von kleinen und mittelständischen Unternehmen sprechen. Die großen DAX-Unternehmen werden sich hier vermutlich nicht mehr ansiedeln. Das Jammern darüber hilft nichts. Wir müssen aus dem schöpfen, was da ist. Wir müssen erhalten und fördern.
Um hierzu einmal die Sprache der Staatsregierung zu übernehmen: Das geht in Sachsen, und es kann richtig gut gehen.
Dafür brauchen wir als Politik einen anderen Begriff von Unternehmen. Was heißt es, etwas zu unternehmen? Viele Betreiber und Betreiberinnen kleiner Betriebe sagen mir, dass es ihnen nicht zuerst um Wachstum oder ums große Geld gehe, sondern sie wollen machen, was sie können, und damit selbstverständlich auch ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie wollen selbstständig sein und leben können, also auch ihr Leben planen können. Doch häufig höre ich von ihnen, dass eines fehlt: Anerkennung und Wertschätzung. Sie sagen auch: Gesehen werden immer nur die Großen. Die kleinen Betriebe werden übersehen, wenn eines anzuerkennen gilt: Selbstständigkeit bedeutet Risiko. Ja, es braucht auch Leute, die etwas wagen. Dieses Risiko muss dadurch anerkannt werden, dass die Möglichkeit des Scheiterns mitbedacht wird und die Betreffenden dann nicht ins Bodenlose fallen. Woran es fehlt, ist, dass Selbstständigkeit ein Mindestmaß an sozialer Absicherung erfährt; dass die Gesundheitsversorgung gewährleistet ist und im Alter nicht nur die Grundsicherung bleibt.
Deshalb muss für abhängig Beschäftigte genau so wie für Selbstständige gelten: Wirtschaft ist für den Menschen da. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der Union daran erinnern, was gerade Ihre Partei im Ahlener Programm im Jahr 1947 festgeschrieben hat: Arbeiten und Wirtschaften beinhalten immer auch die soziale Sicherheit. Das ist ein zutiefst schlauer Gedanke.
Aktuell ist diese Sicherheit nicht spürbar, und so, das haben mir Selbstständige auch erzählt, neigen Menschen rechten politischen Kräften zu, die eine vermeintliche Sicherheit in der Vergangenheit nationalistischer Borniertheit versprechen. Lösungen für die Zukunft lassen sich aber nur im Vorwärtsgehen finden. Was es braucht, um die sächsische Wirtschaft zu stärken und die Menschen wieder mitzunehmen, ist der politische Wille, die Menschen am Wachstum zu beteiligen, ihnen endlich wieder mehr Sicherheit zu geben und in gutes Leben für alle zu investieren. Ansonsten überlassen wir dieses Land undemokratischen Populisten.
Unsere Fraktion arbeitet gern mit allen zusammen, die sich dem entgegenstellen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Pohle hat es an Stellen schon gesagt. Ich kann es ganz kurz machen. Ein weiteres Mal liegt hier ein Antrag vor, der sich in einer Reihe Kleiner Anfragen hätte erledigen lassen können. Das geht dann zum Beispiel so: Statt wie in Punkt 1.8 die Staatsregierung aufzufordern, zu berichten, wie viele Handwerksbetriebe in Sachsen in den Jahren 2017 und 2018 eine Nachfolgeregelung getroffen haben bzw. eine Schließung planen, kann die Kleine Anfrage gestellt werden:
Achtung: Wie viele Handwerksbetriebe in Sachsen haben nach Kenntnis der Staatsregierung in den Jahren 2017 und 2018 eine Nachfolgeregelung getroffen bzw. planen eine Schließung? – Das ginge ganz unkompliziert; aber nein, es muss dem Plenum Zeit geraubt werden. Es soll hier wohl politische Kompetenz in Sachen Handwerk vorgegaukelt werden. Denn im Landtagswahlprogramm der AfD von 2014 findet sich im Punkt 3.2.2 das Thema auf exakt vier Zeilen wieder. Da geht es ausschließlich um die Sicherung von Qualifikationsniveaus.
Nun kann man den Fragen entnehmen, dass es um die Einführung einer Gründungsprämie für Meisterinnen und Meister und darüber hinaus eines Bonus für Technikerinnen und Techniker geht. Woher aber dieser plötzliche Sinneswandel? Im Punkt 3.2.8 eben Ihres Wahlprogramms steht unter dem Titel „Reduzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen“ – im Übrigen vielleicht ein Hinweis an alle Erwerbslosen im Lande, die denken, sie könnten von dieser Partei, von dieser AfD hier, irgendetwas erwarten – ich zitiere –: „Nahezu alle Programme zur Erleichterung des Einstiegs oder Wiedereinstiegs in das Berufsleben führen zu Mitnahmeeffekten und Wettbewerbsverzerrung, nicht aber zur Schaffung von Arbeitsplätzen.“ Was sind denn aber benannte Gründungsprämien und Boni anderes als arbeitsmarktpolitische Maßnahmen? Wem wollen Sie hier irgendetwas vormachen? Das nenne ich Selbstentzauberung, Selbstentlarvung par excellence.
Und noch etwas: Es gab mit Stand zum 30.06.2018 laut Zahlen des Sächsischen Handwerkstages 56 475 Handwerksbetriebe in Sachsen. Sie sind ein wesentlicher Pfeiler der sächsischen Wirtschaft und mit der Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen ein wichtiger Garant unserer Lebensqualität. Das unterschreiben wir hier sicherlich alle. Aber wussten Sie auch, dass etwa ein Fünftel der Betriebe von Frauen geführt wird? Über 10 000 Handwerkerinnen und Technikerinnen tauchen in Ihrem Antrag überhaupt nicht auf.
Das geht nicht mit uns. Wir lehnen diesen Antrag entschieden ab.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Erinnern, auch an in der DDR begangenes Unrecht, bleibt dauernde Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft, bleibt selbstredend auch Aufgabe dieses Landtags. Auch meine Partei und meine Fraktion bekennen sich dazu und wissen sich da mit den Vielen der demokratischen Zivilgesellschaft und der parlamentarischen Vertretungen einig.
Der hier vorliegende Antrag und die Frage der Verwendung der sogenannten PMO-Mittel ist da allerdings nur ein kleiner Baustein, der sich offenbar am Antrag der Fraktion von Rot-Rot-Grün in Thüringen orientiert. Dort heißt es nämlich ganz konkret: Aufarbeitung ist fester Bestandteil der demokratischen Kultur von morgen. Die Regierungskoalition in Thüringen unter einem linken Ministerpräsidenten hat uns hier in Sachsen ins Stammbuch geschrieben, wie vielfältig sich ein Landtag mit dem Thema der Aufarbeitung und Versöhnung beschäftigen kann, und hat seine Landesregierung mehrmals zu Bundesratsinitiativen und Initiativen im Rahmen der OstMinisterpräsidenten-Konferenz auf diesem Gebiet aufgefordert, die leider viel zu häufig an unserer Sächsischen Staatsregierung scheiterten. Darauf komme ich später noch einmal beispielhaft zurück.
Ich kann also erst einmal der Fraktion der GRÜNEN eigentlich dankbar sein, für die hier vorgelegte Initiative, die sich allerdings aufgrund ihrer Wichtigkeit für die regierungstragenden Fraktionen gehört hätte. Die bestehende Verwaltungsvereinbarung zur Abrechnung und Verteilung des PMO-Vermögens, also des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, bietet bereits die Möglichkeit, Gelder in die Pflege der Erinnerungskultur zu stecken, etwa wenn es um Maßnahmen für kulturelle Zwecke geht. Allerdings können diese Mittel nur zu investiven und investitionsfördernden Maßnahmen verwendet werden. Damit werden, und das erkennen die GRÜNEN völlig zu Recht an, Entschädigungsleistungen für noch immer vergessene Opfergruppen unmöglich gemacht. Ebenso wird dadurch nur über Umwege eine Nutzbarmachung der Gelder für die politische Bildung
und wirtschaftliche Stärkung der nachfolgenden Generationen und der wichtigen Frage, welche Lehren wir für die heutige Zeit zur Wahrung unserer Demokratie daraus ziehen, möglich.
Eine im Antrag angemahnte Änderung der Vereinbarung ist also sinnvoll. Es sollte aber nicht bedeuten, dass Maßnahmen der öffentlichen Hand zur Förderung der wirtschaftlichen Umstrukturierung und sozialen Zwecken gar nicht mehr aus diesen Geldern finanziert werden. Es spricht allerdings nichts gegen verstärkte Zuwendungen für Aufarbeitung, Aufklärung und Wiedergutmachung.
Apropos verstärkte Zuwendungen: Es war so berechenbar, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, wenn Sie hier den Vorwurf anbringen, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätte die Haushaltsverhandlungen für das künftige Geldausgeben abwarten sollen, dann sollten Sie sich einmal an die eigene Nase fassen. So wie die Koalition, aber vor allem die CDUFraktion in letzter Zeit mit Ankündigungen und Versprechen um sich werfen, ist das nicht nur ein Vorgriff auf den kommenden, sondern auf mehrere kommende Haushalte.
Vom Geldausgeben komme ich zur Wiedergutmachung. Ich möchte daran erinnern, dass das geltende Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nach wie vor wichtiger Verbesserungen bedarf. Ich nenne zunächst nur drei Punkte.
Erstens werden bestimmte Opfergruppen wie etwa Verurteilte wegen asozialen Verhaltens nach § 249 StGB der DDR im Zusammenhang mit den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 und Betroffene von Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit nicht erfasst.
Zweitens. Anspruchsberechtigte erhalten auf Antrag Zahlungen, wenn sie in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind. Das heißt, sie erhalten die Unterstützung als Armutslinderung unter Offenlegung ihres Einkommens. Dabei muss es doch völlig unabhängig davon zuallererst um die Würdigung des Engagements der Betroffenen für Freiheit und Bürgerrechte gehen.
Drittens. Anträge können nur bis zum 31.12.2019 gestellt werden. Welchen Grund sollte es für die Befristung geben? Es gibt dazu eine Bundesratsinitiative, die der Bund dann bitte auch umsetzen müsste. Es ist allgemein anerkannt, dass Betroffene oft viel Zeit brauchen, ihre teils traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag hat einen diesbezüglichen Antrag eingebracht, der überraschend keine Mehrheit fand. Es lohnt sich aber, in das Plenarprotokoll zu schauen. Sie werden eine der abstrusesten Begründungen – hier durch den CDU-Abgeordneten Arnold Vaatz – finden und lesen können, um einen Antrag abzulehnen. Vaatz schrieb – denn die Reden sind alle zu Protokoll gegeben worden – auf Seite 7 044 des Plenarprotokolls: „Der wirkliche Hintergrund ihres Antrags scheint auch nicht die Sorge um die SED-Opfer zu sein,
weil sie diesen in allen ihren Verlautbarungen genauso feindselig gegenüber stehen, wie zu SED-Zeiten. Nein, Ihr Antrag ordnet sich in Ihr permanentes Bestreben ein, diesen Staat, in dem die DDR aufgegangen ist, durch Überforderung zu zerstören, um die Genugtuung zu haben, dass nicht nur Ihr Staatsgebilde, sondern die verhasste BRD am Ende scheitert. Dem dient auch Ihre Forderung nach einer Beweislastumkehr.“
Tja, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was soll ich dazu noch sagen? Sie von der CDU. In jedem Fall ist noch eine Menge in Sachen Wiedergutmachung zu tun. Das führt mich an den Beginn meiner Rede zurück. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow ist bereits vor zwei Jahren auf die anderen Ost-MPs zugegangen und hat dafür geworben, gemeinsam eine Lösung für die Zwangsumgesiedelten in der DDR zu finden, die in der Bundesrepublik erneut unsäglich behandelt wurden. Zwar wurden sie rehabilitiert, das stimmt, aber entschädigt wurden sie nicht. Oftmals wurde ihnen im Zuge der Vermögensklärung für ihre enteigneten Gebäude und landwirtschaftlichen Flächen ein sogenannter Nullbescheid ausgestellt. Ihnen wurde vorgerechnet, dass sie auch aus heutiger Sicht eigentlich sogar draufzahlen müssten und ihnen deshalb kulanterweise die Schulden erlassen wurden.
Bis heute gibt es für diese Opfergruppe keine Entschädigung, bis auf eine sogenannte Insellösung in Thüringen, wo es ein paar Jahre pauschale Entschädigungszahlungen gegeben hat. Das Werben Thüringens, sich gemeinsam auf Bundesebene dieses unsäglichen Zustandes anzunehmen, quittierte Sachsen immer wieder mit der Aussage, das betrifft uns nicht wirklich, deshalb interessiert uns das nicht. Ich finde, die Sächsische Staatsregierung sollte sich hier unbedingt hinterfragen; denn auf die biologische Lösung zu warten ist meiner Meinung nach keine Form von Aufarbeitung.
Ich muss aber noch etwas Grundsätzliches zur Aufarbeitung überhaupt sagen. Mit dem Antrag sollen künftig auszuschüttende Gelder stärker für die Aufarbeitung nutzbar gemacht werden.
Nun sehe ich mir aber die Welt an und stelle mir die Frage, ob der aufgekommene Rechtspopulismus, der Nationalismus, die Ablehnung internationaler Solidarität und sogar grundlegender demokratischer Prinzipien Folgen eines Mangels der Aufarbeitung von DDRUnrecht sind.
Ich frage, ob eine Verstärkung geeignet ist, Vorstellungen von einer offenen, demokratischen Gesellschaft in den Köpfen wachsen zu lassen. Das liegt meines Erachtens auch daran, dass Aufarbeitung vom Wollen und Mittun aller lebt. Das gilt eben auch für die ehemaligen Blockparteien und nicht nur für die SED.
Aufarbeitung bestand und besteht bis heute oft in der Verkürzung auf den Unrechtsstaat und der Gleichsetzung von NS-Diktatur und DDR-Diktatur. Meiner Meinung nach macht das etwas mit den Leuten im Osten, deren Biografien auf Schlagworte reduziert und damit entwertet wurden und deren Erwartungen – wir erinnern uns an das Versprechen der blühenden Landschaften – enttäuscht wurden.
Wenn humanistische und demokratische Positionen heute zunehmend unter Druck geraten, dann müssen wir uns eben auch fragen, was in den Neunziger- und 2000erJahren los war. Dabei gibt es auch einiges aufzuarbeiten. Vielleicht kümmern wir uns verstärkt darum, um die Probleme, die heute anstehen, zu lösen.
Wir haben sich die Dinge und Verhältnisse geändert, dass namhafte Vertreterinnen und Vertreter des Aufbruchs im Herbst 1989, als sie für eine offene Gesellschaft und gegen eine geschlossene DDR kämpften, nun unter dieser ominösen gemeinsamen Erklärung 2018 stehen. Darin werden in ganz wenigen Worten rechte Ressentiments geschürt und schlicht Falsches behauptet, und das von zumindest selbsterklärten Intellektuellen. Ich werde heute Abend in Bezug auf eine Petition darauf noch einmal zu sprechen kommen.
Wir müssen uns der Frage stellen, wie es dazu kommen konnte, dass rechtsnationalistisches Denken schick werden konnte, dagegen Versuche, das große Abenteuer Demokratie zu wagen, sich auf dem Rückzug zu befinden scheinen.
Meine Damen und Herren! Es gibt eine ganze Menge aufzuarbeiten, oder wir blinzeln einfach einmal in Richtung Brandenburg, was dort beschlossen worden ist, und zwar genau was dieses Geld angeht. Sie wollen vor allem den Ausbau des Breitbandnetzes sowie Projekte im Bereich der Erinnerungskultur und Gedenkstätten im Land fördern. Dort können aber auch zahlreiche andere wichtige Vorhaben beispielsweise der Digitalisierung, der Jugendhilfe und der Musikschulen unterstützt werden.
Wir werden uns als Fraktion dementsprechend der Stimme enthalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Hartmann, ich freue mich, dass ich zur allgemeinen Erheiterung beitragen kann. Nichtsdestotrotz würde ich zu genau dieser Petition aber gern ein paar wesentliche Worte verlieren wollen.
Zuerst möchte ich sagen, dass es mich freut, wenn sich Menschen für Mitmenschlichkeit und gegen Fremdenfeindlichkeit engagieren. Ein Ergebnis dessen ist die Petition, die wir heute besprechen möchten, und zwar mit Ihnen gemeinsam. Da hat ein Bürger das Mittel der Petition genutzt, weil er es nicht einfach durchgehen lassen wollte, dass sich ein Universitätsprofessor im braunen Sumpf sielt.
Nichts anderes ist es, wenn sich jemand ein „weißes Europa“ zum Ziel setzt und wenn die zuständige Universität und das zuständige Ministerium erklären, keine Möglichkeiten zu haben, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen.
Nun ist es einerseits schade, dass wir einem rechten Spießbürger so viel Aufmerksamkeit schenken, das stimmt. Aber wir müssen das meiner Meinung nach tun. Wir müssen widersprechen, wenn sich rechtes Gedankengut im Netz verbreitet, und hellhörig werden, wenn es sich der Autorität von Akademikerinnen und Akademikern, von Intellektuellen, von Professorinnen und Professoren versichert. Denn damit wird eines befördert: dass es
normal erscheint, wenn Leute erfundene Behauptungen hinausposaunen und Frau Doktor oder Herr Doktor das unterschreiben.
Ich spreche hier ebenso wie schon vorhin in meiner Rede beispielsweise von der „Gemeinsamen Erklärung 2018“, in der behauptet wird, Deutschland werde durch illegale Masseneinwanderung beschädigt. Es fehlt jeder Hinweis darauf, worin diese Beschädigung bestehen soll. Hier wird einfach nur Angst geschürt. Ein Argument: Fehlanzeige. Es fehlt für diese Behauptung jeder Beleg. Schauen wir uns unser Land doch an und vergleichen es mit so vielen konfliktbeladenen Staaten. Die einzige Katastrophe, die Deutschland in diesem Jahr vermutlich ereilen könnte, ist, dass die Fußballherrennationalmannschaft nicht Weltmeister wird.
Durch welche Brille muss man schauen, um Deutschland in solcher Gefahr zu wähnen? Es ist die fremdenfeindliche Brille. Behauptungen werden laut, deren sich bis zu einer gewissen Zeit nur die NPD oder die Republikaner bedient haben.
Heute spricht man so bis in gewisse Regierungskreise hinein. Der rechte Diskurs hat sich verbreitet und normalisiert. Auch der akademische Betrieb ist dagegen nicht gefeit. Damit komme ich wieder zu besagtem Professor; sein Verhalten ist mittlerweile eben auch Ausdruck dieser Normalität. Er lässt sich vom MDR interviewen und sagt dabei, dass „Hunderttausende sich auf den Weg machen, um aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Europa zu kommen und hier in die Sozialsysteme zu immigrieren“. So weit, so falsch.
Doch der gesellschaftliche Diskurs hat sich sehr schnell von dem richtigen Punkt verabschiedet, dass Flucht zuerst von etwas wegführt. Insofern befindet sich der Professor aus Leipzig im allgemeinen Meinungsstrom. Er bezeichnet sich als konservativ und nennt das Ehegattensplitting für eingetragene Lebenspartner eine „Förderung einer die Familie pervertierenden Lebensform auf Kosten anderer Steuerzahler“. Stockreaktionär nenne ich das.
Doch Stein des Anstoßes dieser Petition ist sein Kommentar, den er auf Twitter abgesetzt hat. Unter dem Bild einer Demonstration polnischer Neonazis nennt er „ein weißes Europa“ ein „wunderbares Ziel“.
Bei der Bewertung dieses Spruchs und der Entscheidung über Sanktionen ergaben sich mindestens zwei Streitpunkte. Zum einen ging es darum, ob diese Äußerung privat oder öffentlich getätigt worden sei, zum anderen ging es um die Meinungsfreiheit.
Ich halte die Annahme für bedenklich, dass der betreffende Professor ausschließlich privat agiert habe. Bei einem Abend am Stammtisch oder einer Hasstirade auf dem heimischen Sofa mag das noch anzunehmen sein, aber bei einem Twitter-Account mit über 1 300 Followern und der Möglichkeit, dass die Äußerung fast unendlich oft geteilt, also getwittert und zitiert werden kann, lässt sich die These der Privatsphäre nicht aufrechterhalten. Hier zeigt
sich letztlich auch ein fehlendes Verständnis der gesamten Dimension der Digitalisierung.
Na klar, wir sprechen bei diesem Professor selbstverständlich über Wissenschaftsfreiheit. Dieser Professor ist aber eben auch Beamter. Da gibt es ein sogenanntes Zurückhaltungsgebot. Zurückhaltung ist das, was dieser Mann auf Twitter getan hat, eben nicht.
Damit kommen wir zur Meinungsfreiheit. Die aufgeheizte gesellschaftliche Atmosphäre scheint einem rationalen Diskurs entgegenzustehen. Das Mittel des Streits wird gerne genutzt. Es wird behauptet, öffentliche Kritik an einer öffentlich geäußerten Meinung sei bereits die Einschränkung der Meinungsfreiheit oder eine Stigmatisierung.
Wenn aber ein durchaus bekannter Autor eine frei erfundene, falsche Zahl in die Welt setzt und man ihm widerspricht, dann wird er nicht stigmatisiert, sondern dafür kritisiert, eine erfundene, falsche und übrigens stigmatisierende Zahl in die Welt gesetzt zu haben. Wenn er sich, sich jetzt stigmatisiert fühlend, beleidigt zurückzieht, hat das den Vorteil, dass er sich der Debatte um die Sache selbst nicht mehr stellen muss. Dafür kann er weiterhin vom Kontrollverlust albträumen.
So kommt auch der Leipziger Professor daher. Er sieht sich in seiner Meinungsfreiheit bedroht und glaubt, man wolle ihm den Mund verbieten. Doch das hat niemand getan. Widerspruch ist kein Mundverbieten. Äußerungen können gleichwohl Konsequenzen haben, denn Äußerungen schweben nicht im leeren Raum. Sie stehen zum Beispiel in Beziehung zur gesellschaftlichen Stellung, zum Amt oder Mandat der sich Äußernden. Ein Bürgermeister etwa, der die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert, wird möglicherweise nicht mehr lange Bürgermeister sein – zu Recht. Eine Geschichtslehrerin, die vor der Klasse ein Deutschland in den Grenzen von 1938 als Ziel ausgibt, würde suspendiert, oder etwa nicht?
Hinter dem Geschrei, die Meinungsfreiheit sei bedroht, verschwindet das, was eigentlich gesagt bzw. getwittert wurde, nämlich „ein weißes Europa“ als „wunderbares Ziel“. Das hätte doch Konsequenzen. Das Recht, in Europa zu leben, würde aufgeteilt: Es gälte für die einen, nicht aber für die anderen. Das Kriterium ist die Hautfarbe. Wie soll dieses Ziel denn erreicht werden? Wenn dieses Ziel so „wunderbar“ ist, soll es doch wohl auch einen Weg dorthin geben.
Spüren Sie, Kolleginnen und Kollegen, wie hier die Grundfesten der Demokratie geschleift werden? Wie soll es denn geschehen, dass die Nichtweißen nicht mehr da sind? Zwangsumsiedlung? Wohin? Wer ein solches Ziel anpeilt, nimmt Vertreibung und Gewalt in Kauf. Dem zu widersprechen ist nicht Unterdrückung von Meinung, sondern Widerstand gegen rassistische Vorurteile und
Hetze. Ein „weißes Europa“ wirft alle Vorstellungen von Bürger-, Menschen- und Völkerrechten über den Haufen.
Nun haben wir es mit dem Problem zu tun, dass der Herr Professor aus Leipzig nicht etwa Professor für Lebensmittelchemie ist. Nichts gegen Lebensmittelchemiker, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber dieser Mann lehrt Recht. Das ist schlecht vereinbar. Universitätsöffentlich Recht lehren, aber twitteröffentlich grundlegendes bestehendes Recht ablehnen – das kann doch nicht wahr sein, Kolleginnen und Kollegen.
Ich kann nicht anders, aber ich und wir als Fraktion sehen hier Handlungsbedarf. Deshalb findet die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, die darauf drängt, dass sich das Wissenschaftsministerium und die Universität dieses Falls noch einmal annehmen, unsere vollste Zustimmung.
Ich verrate Ihnen an dieser Stelle ein kleines Geheimnis aus unserer Fraktionsversammlung. Als bekannt wurde, wer im Ausschuss der Berichterstatter zu dieser Petition ist, gab es viele positiv überraschte Kommentare – von wem, bleibt dann aber mein Geheimnis.
Jedes Programm „Weltoffene Hochschule“ wird doch zur Farce, wenn sich Hochschulmitglieder mit menschenfeindlichen Parolen darstellen können, ohne Gefahr zu laufen, dafür sanktioniert zu werden.
Na klar, auch die Hochschulen sind hier in der Pflicht. Es reicht eben nicht aus, eine Fahne mit dem Slogan „Weltoffene Hochschule“ aufzustellen. Es muss auch Konsequenzen für diejenigen geben, die sich offensichtlich dagegenstellen – auf allen Ebenen. Dem Juraprofessor aus Leipzig, der zu diesem Zeitpunkt auch noch ErasmusBeauftragter der Juristischen Fakultät war, muss man unterstellen, dass seine Haltung gegenüber Ausländern auch Einfluss auf seine Bewertung von Leistungen vor allem ausländischer Studierender hat.
Und das ist nicht der erste Fall, ganz im Gegenteil. Sie erinnern sich hoffentlich – der Hinweis sei mir an dieser Stelle gestattet –, dass wir als Fraktion DIE LINKE fordern, dass im Hochschulgesetz – das wäre zumindest eine Maßnahme, über die man diskutieren könnte – deutlich geregelt wird, dass es auch als zu sanktionierende Dienstpflichtverletzung anzusehen ist, wenn Beamte in der Öffentlichkeit herabwürdigende Äußerungen,
bezogen auf die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion, eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität von Menschen,. tätigen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir sollten viel öfter über die eine oder andere Petition hier im Plenum sprechen und die ganz vorsichtige Selbstermutigung des Petitionsausschusses weiter fördern. Der Petitionsausschuss ermächtigt sich ein wenig selbst, gegenüber
der Staatsregierung viel stringenter aufzutreten und Handlungen von ihr einzufordern.
Das wollen wir mit diesem Herauslösen hervorheben. Dann sollten wir als Petitionsausschuss aber auch dranbleiben. Jetzt können wir eben nicht wieder so eine – na ja – zwei Absätze lange Stellungnahme des Ministeriums abwarten, sondern jetzt muss konkret etwas gemacht werden.
Dass die Petition zur Berücksichtigung an die Staatsregierung überwiesen werden soll, ist ein scharfes Schwert, das schärfste, das der Petitionsausschuss hat. Deshalb erwarten wir und auch ich ganz persönlich von der Staatsregierung – in dem Fall von der Wissenschaftsministerin Frau Dr. Stange –: Bitte prüfen Sie noch einmal ganz genau den Vorgang und speisen Sie uns und damit den Petenten und auch die interessierte Öffentlichkeit an der Stelle nicht mit ein paar nichtssagenden Floskeln ab.
Herzlichen Dank.
Ich kann es auch laut sagen! –
Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE –
Selbstverständlich, können wir gern machen!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Handwerksbetriebe sind nicht nur ein Wirtschaftsfaktor und wichtig für Beschäftigung und Ausbildung; sie sind auch ein Faktor zur Sicherung von sozialer Infrastruktur und damit von Lebensqualität, und dies vor allem in den heute schon häufig angesprochenen ländlichen Regionen. Es macht eben etwas mit einer kleinen Stadt oder einem Dorf, ob es dort die Bäckerei noch gibt oder nicht. Leider verschwinden nicht nur immer mehr Bäckereien, sondern auch andere Handwerksbetriebe. So hat deren Zahl seit 2013 um 2 700 abgenommen. Die Zahl der Meisterprüfungen ging von 999 im Jahr 2013 auf 808 im Jahr 2016 zurück. Gleich noch zwei Zahlen: Laut einer Umfrage des Landesverbandes der Freien Berufe Sachsen e.V. zusammen mit den sächsischen Industrie- und Handelskammern und den sächsischen Handwerkskammern, vorgestellt am 8. Juni 2017, haben 72 % aller Betriebe noch keine Nachfolgeregelung getroffen; 20 % planen die Schließung.
Es gibt also genügend Handlungsbedarf, das Führen von Handwerksbetrieben attraktiver zu machen. Wir haben dazu schon einige Vorschläge gemacht, zum Beispiel den, die Lebensrisiken der Selbstständigen und gerade der Solo-Selbstständigen, dadurch zu vermindern, dass deren Krankenkassenbeiträge nach realistischem Einkommen und nicht nach fiktiven Mindestbemessungsgrundlagen berechnet werden. Aber natürlich ist jeder weitere Vorstoß zu begrüßen, der auf den Erhalt oder die Gründung von handwerklichen Unternehmen abzielt, zum Beispiel, indem die Förderinstrumente ausgebaut werden. Das scheint notwendig, da die vorhandenen ja offensichtlich nicht ausreichen.
In diese Richtung geht also der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Meistergründungsprämie kann tatsächlich ein solches Förderinstrument sein. Andere Bundesländer haben das bereits vorgemacht, das ist richtig. Der Antrag meint also etwas Richtiges, ist aber etwas ausbaufähig. So zeigt er an keiner Stelle, wie Sie nun tatsächlich auf diese 7 000 Euro gekommen sind. Sie haben gerade gesagt, ja, das ist irgendwie so ein Mittelmaß. Das ist uns etwas zu dünn. Wenn Sie, liebe Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sich an die Regelungen in Berlin anlehnen wollen – dort sind es tatsächlich diese 7 000 Euro –, dann müssten Sie doch auch sagen, warum Sie nicht auch eine Arbeitsplatzförderung fordern; denn in Berlin gibt es noch 5 000 Euro dazu.
In Ihrer Begründung des Antrags führen Sie das Beispiel Nordrhein-Westfalen an; das ist richtig. Dort sind es 7 500 Euro. In Sachsen-Anhalt sind es seit Juli 2017 10 000 Euro; auch das haben Sie gesagt. Ich frage noch einmal: Wie kommen Sie denn nun genau auf die 7 000 Euro? Es gibt auch keine Begründung, warum die Gründungsprämie mit dem Meisterbonus verrechnet werden soll. Wir halten eine solche Regelung für unnötig.
Nun gehe ich gleich noch kurz auf den Änderungsantrag der AfD ein, damit wir das nachher nicht noch miteinander debattieren müssen, ein paar Worte zu dem uns vorliegenden Änderungsantrag der AfD. Auch hier ist die Höhe der Fördersumme von irgendwoher gefunden.
Offenbar wurde die Förderrichtlinie von Brandenburg gelesen.
Dort steht das mit den 8 700 Euro Basisförderung und 3 300 Euro für Arbeitsplatzförderung. Wenn die Fördersumme aber vor allem davon abhängt, wo man sie abgeschrieben hat, dann ist der Änderungsantrag schlicht überflüssig und schon deshalb abzulehnen.
Überflüssig ist er auch im Bezug auf die Überschrift des Antrags. Wenn eine Ausbildungsprämie durch eine Gründungsprämie ergänzt wird, bedeutet das auch eine Weiterentwicklung. Die Perspektive auf eine Ausbildungsprämie verbessert sich durch die Aussicht auf eine Gründungsprämie. Insofern ist hier das Herumreiten auf dem Unterschied von Ausbildungs- und Gründungsprämie schlichtweg Spiegelfechterei.
Keine Spiegelfechterei ist – das darf meiner Meinung nach in der letzten Sitzung des Jahres und so kurz vor Weihnachten schon einmal gesagt werden; da schauen Sie bitte auf den Punkt II.1 des Änderungsantrages – Folgendes: Wenn die Staatsregierung wem etwas zahlen soll, dann stehen die zu Bezahlenden im dritten Fall. Die Gralshüterinnen und Gralshüter der deutschen Leitkultur können offenbar keinen Dativ, und sie wollen nicht gendern, denn neben Handwerkern gibt es, wenngleich
weitaus weniger, eben doch viele Handwerkerinnen. Sie werden bei der AfD nicht genannt, und wer nicht genannt ist, ist nicht gemeint. Das offenbart ein Menschenbild, das rückwärtsgewandt, schöngeredet konservativ, aber eigentlich stockreaktionär ist. Auch deshalb lehnen wir den Änderungsantrag ab.
Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist unserer Meinung nach etwas lax gestellt. Wir halten ihn jedoch für sinnvoll, weil er die Staatsregierung auffordert, in einer wichtigen Sache, nämlich bei der Förderung des Handwerks, in die Puschen zu kommen. Deshalb werden wir ihm zustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sie haben 26 Tage Zeit! –
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es soll hier laut Titel angeblich um die Auswirkungen der Handwerksnovelle, die am 01.01.2004 in Kraft trat, gehen. Allerdings scheint sich im Abschnitt II in den Fragen mit ungerader Ordnungszahl Skepsis in Bezug auf die Einteilung der Handwerke in die Anlage A und B 1 auszudrücken, also die Einteilung in die Handwerksberufe, zu deren Zulassung ein Meisterabschluss benötigt wurde, und in die, für die das nicht notwendig war.
Eigentlich geht es den Anfragenden wohl um die Begründung und dabei zuerst um die Formulierung: „Durch die Reduzierung der Handwerke der Anlage A Handwerksordnung auf solche Handwerke, bei deren Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter entstehen können, wird für zahlreiche Gewerbe das Erfordernis der Meisterprüfung als Berufszugangsvoraussetzung abgeschafft.“ Das Kriterium für die Unterteilung mag nicht recht überzeugend sein, gleichwohl ist die Begründung für die Handwerkernovelle etwas umfangreicher, und die steht im besagten Gesetzentwurf auch drin.
Wir wissen, dass damit auf verfassungsrechtliche Einwände gegen die Meisterpflicht reagiert wurde. Wir wissen, dass es volkswirtschaftliche Diskussionen zum Meisterzwang gibt, weil er eine höhere Hürde zum Markzugang darstellt. Wir wissen, dass es darüber hinaus um Verbraucherschutz und Qualitätssicherung geht. Wir wissen auch, dass rechtliche Maßnahmen wie die 5. Verordnung zur Änderung der EWG/RW-Handwerkerverordnung dem Gesetz vorausging und dass es dabei auch um die Umsetzung von Richtlinien der EU ging. Das Problem ist komplex und die Handwerksordnung nach wie vor in Teilen umstritten.
Dem kommt man aber nicht bei, indem man sich an einer Formulierung aufhält und aus eigentlich nur zwei Fragen 105 macht. Wahrscheinlich sollte das lustig sein, und da bin ich mit Kollegen Pohle einer Meinung, das hätte in eine Frage für alle Gewerke gepackt werden können, anstatt eine Kleine Anfrage zu einer Großen Anfrage aufzublasen. Hätte man doch wenigstens die Berufe alphabetisch abgefragt, dann hätte die Staatsregierung gewiss auch alphabetisch geantwortet, und die Anlage 1 wäre leichter lesbar gewesen. Man sucht sich lahm, wenn man in ihr nach einem Beruf sucht.
Es ist auch nicht ganz klar, worauf diese Große Anfrage zielt. Wenn es darum gehen soll, die Novelle der Handwerksordnung zu evaluieren, warum versteckt sich die Forderung danach im letzten Satz der Begründung? Für eine Evaluierung reichen die abgefragten Daten nach Betriebszahlen oder Berufsabschlüssen in den Punkten II und III bei Weitem nicht aus. Wir müssen zum Beispiel nach den Umsätzen bei Betriebsgrößen und der Lohnentwicklung fragen, damit das Bild rund wird. Auch muss man sich die Beschäftigtenzahlen und Beschäftigungsverhältnisse anschauen. Dann könnte sich ein weiteres Problem auftun.
Die Linksfraktion hat bereits 2012 einen Antrag mit dem Namen „Handwerksnovelle evaluieren – hohes Qualifikationsniveau sicherstellen“ in den Bundestag eingebracht. Darin ist zu lesen: „Im Fliesenlegerhandwerk beispielsweise fiel die Notwendigkeit einer Mindestqualifikation weg. Daraufhin ist die Zahl der eingetragenen Betriebe besonders stark gewachsen, von 25 545 Betriebe im Jahr 2005 auf 59 352 Betriebe 2009. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank im gleichen Zeitraum jedoch laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit von 24 220 auf 22 797. Die Industriegewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt sieht darin ein starkes Indiz für Scheinselbstständigkeit.“
Ich erinnere an einen Knackpunkt der Diskussion um die Handwerksnovelle. Dabei handelt es sich um Qualitätssicherung der angebotenen Leistungen und Dienstleistungen. Es gibt laut einer Studie des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung e. V. überhaupt noch keine belastbaren Daten. Was zu den reinen Zahlen hinzukommen muss: Diese Zahlen müssen eingebettet werden in weitere gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die die
Wirkung der Handwerksnovelle möglicherweise überlagern. Wir erinnern uns: 2004 erfolgte die EU-Osterweiterung, 2005 traten die Hartz-IV-Gesetze in Kraft, 2008 gab es eine Bankenkrise und seit 2015 gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Vergessen wir auch nicht die demografische Entwicklung. All das macht auch etwas mit dem Handwerk. Da muss komplexer und genauer hingeschaut werden. Dafür soll auch die Staatsregierung in die Pflicht genommen werden – und trotzdem entscheidet der Bund über die Handwerksordnung.
Auf den Antrag meiner Fraktion im Bundestag verwies ich schon. Ich kann versprechen: Wir als LINKE bleiben dran und gehen auch auf die Sommerfeste und Sommerempfänge der Handwerkskammer. Es ist ärgerlich, dass die Große Anfrage, die die Grundlage unserer heutigen Debatte ist, so klein und so dürftig ist. Gleiches gilt im Übrigen auch für Ihren Entschließungsantrag. Auch das Handwerk zählt offenbar nicht zu den Kompetenzen der Fraktion auf der rechten Parlamentsseite. Das verwundert nicht; denn laut Volltextsuche taucht das Wort Handwerk nicht ein einziges Mal in Ihrem Bundestagswahlprogramm auf.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wachstum des sächsischen Mittelstands unterstützen“ – ja, der Antrag schmückt sich mit einem wohlklingenden Titel. Sage „Mittelstand“ und „Wachstum“ in einem Atemzug, und du bist ein Guter oder eine Gute. Wer könnte etwas dagegen haben?
Ich könnte sagen: Wachstum wurde auch schon einmal kritischer gesehen, weil es mehr Ressourcenverbrauch bedeutet und nicht ewig vonstattengehen kann und auch nicht muss. Das Schlagwort „qualitatives Wachstum“ zieht meiner Meinung nach auch nicht; denn Wirtschaftswachstum wird nach wie vor in Prozent gemessen, also
quantitativ. Nach wie vor orientiert sich Wirtschaftsförderung in Sachsen auf Exportsteigerung, also auf ein Mehr, und trägt damit zum Außenhandelsüberschuss Deutschlands bei. Wahrscheinlich träumen Sie von weiteren tausend Hidden Champions in Sachsen – kann sein!
Diese exportorientierte Wirtschaftspolitik steht schon länger in der Kritik, denn sie sorgt für weltweite Ungleichgewichte. Die Überschüsse der einen sind eben die Schulden der anderen. Nötig ist vielmehr eine Umorientierung auf soziale und technische Infrastruktur und eine Stärkung der Binnennachfrage. Wirtschaftliche Entwicklung muss unmittelbar mit öffentlicher Daseinsvorsorge und Lebensqualität einhergehen; denn Lebensqualität, das sind Kinderbetreuung, sanierte Schulen und Straßen, ein ordentlicher ÖPNV und deutlich höhere Löhne und Gehälter. Diese Forderung kann man sogar dem letzten Länderbericht des IWF entnehmen.
Strukturelle Entwicklung, gerade der ländlichen Räume, bedeutet, dass die Lebensqualität allgemein steigen muss. Die kleine Klempnerbutze will nicht exportieren oder Forschung und Entwicklung – –
Moment, Herr Pohle, nun warten Sie doch mal! – Sie will überleben, und dazu braucht es öffentliche Aufträge und Menschen vor Ort, die ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen. Dazu müssen sie aber da sein und dort, in den ländlichen Regionen, leben wollen. Darüber sprechen wir, wenn wir über die kleinen Klempnermeisterinnen und Klempnermeister sprechen.
Herr Pohle, Sie reden gerade mit mir, darüber sind wir uns einig.
Kommen wir zum Antrag der Koalition. Erst einmal lassen Sie sich etwas berichten, und zwar im Punkt I.1 über das Gutachten der Bundesregierung, „Endbericht zum Dienstleistungsprojekt Nummer 1314 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie“ vom 31. März 2016. Darin stehen einige bemerkenswerte Dinge, zum Beispiel, dass – ich zitiere –: „die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch durch ein Ost-West-Gefälle gekennzeichnet und eine Angleichung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse ausschließlich über marktwirtschaftliche Prozesse dabei mehr als fraglich ist“.
Tatsächlich zeigen die soziokulturellen Strukturdaten auf der Landkarte immer noch die Grenzen der alten DDR, und der Aufholprozess stagniert an einigen Stellen. Kommen Sie mir jetzt nicht wieder – wir haben das gestern schon miteinander vereinbart – mit 40 Jahren Misswirtschaft! 27 Jahre, die Sie hier nun schon das Land regieren, verehrte Damen und Herren der CDU, sind eine gehörig lange Zeit. Zum Ost-West-Lohngefälle haben Sie
zum Beispiel aktiv beigetragen, indem Sie jahrelang den Niedriglohnsektor als Standortvorteil gepriesen haben.
Zudem kann man dem oben genannten Bericht entnehmen – ich zitiere –: „Allerdings gibt es auch in Westdeutschland Regionen mit einem niedrigen BIP und Produktivitätswerten, die sich kaum von ostdeutschen Regionen unterscheiden.“
Ja.
Ja, Herr Heidan, klar stimme ich Ihnen zu. Der Punkt ist aber trotzdem: Es bleibt ein Fakt. Seit 1990 sind 27 Jahre vergangen, und wenn Sie das alles so klar analysieren, frage ich mich, warum wir 27 Jahre danach trotzdem an dem Punkt sind, den ich gerade beschrieben habe.
Auch diese, ja.
Das ist selbstverständlich ein wichtiges strukturelles Problem. Ich