Freya-Maria Klinger
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Last Statements
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die NPD-Fraktion hat in den vergangenen Jahren immer wieder Kleine Anfragen zum Thema Crystal gestellt. Bei diesen Anfragen – so auch in der heutigen Debatte – versucht sie immer wieder, das Bild des bösen Ausländers zu beschwören, der mit Drogen handelt und so wahlweise die deutsche Jugend oder den deutschen Volkskörper bedroht.
Der Grundton dieser Anfragen oder auch der Debatte ist: Osteuropäische oder auch mal asiatische Banden würden den Freistaat vergiften.
So fragte beispielsweise der ehemalige Fraktionsvorsitzende Holger Apfel die Staatsregierung: „Wie viele Drogenhändler mit Migrationshintergrund gibt es in Sachsen?“ Was er nicht fragte, ich aber viel interessanter finde, ist die Frage: Wie viele deutsche Drogenhändler mit einem rechtsradikalen Hintergrund gibt es in Sachsen?
Im August 2012 untersuchte eine SEK-Einheit in Nordsachsen Wohnungen und Lagerräume von Neonazis. Die Beamten stellten vor allen Dingen Drogen und Bargeld in größeren Mengen sicher. Was dort aufgedeckt wurde, war ein Drogenhändlerring, der vor allem mit dem Verkauf von Crystal Meth sein Geld verdient hatte.
Der Hauptbeschuldigte aus Delitzsch war jahrelang enger Vertrauter des stellvertretenden sächsischen NPD-Vorsitzenden Maik Scheffler, der auch bekannter Kader des Freien Netzes ist.
Ein Einzelfall, von dem Sie sich distanziert haben? – Vielleicht. Aber diese Einzelfälle werden immer mehr.
Was ist zum Beispiel mit Ralf A. aus Hoyerswerda? Er wurde Ende November 2012 festgenommen. Vorwurf: Drogenhandel. Ralf A. war Frontsänger der Band „Bollwerk“, die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.
In Thüringen wurde im Oktober desselben Jahres bekannt, dass der Geschäftsführer des Nazi-Modelabels „Ansgar Aryan“ ebenfalls eine einschlägige Drogenkarriere hinter sich hatte. Er wurde wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.
Bemerkenswert sind seine Verbindungen zur NPD. Die Thüringische Landesregierung listet auf Anfrage meiner dortigen Kollegin Katharina König diverse Verkaufsstände seiner Marke auf, die er persönlich betreute.
Bei diesen Ständen handelt es sich fast ausschließlich um NPD-Veranstaltungen, wie die jährlichen NPD-Rechtsrockkonzerte oder das Pressefest der Parteizeitung „Deutsche Stimme“.
Das Modelabel „Ansgar Aryan“ unterstützt nicht nur das größte deutschsprachige Neonaziportal „Altermedia“, nein, auch das Leipziger NPD-Zentrum wird durch dieses Modelabel finanziert sowie diverse Neonazibands unterstützt.
Ein Beispiel aus Brandenburg zeigt die Verknüpfung zwischen Neonazis, der Bikerszene und dem Handel mit Crystal Meth. Dietmar Woidke, ehemals brandenburgischer Innenminister, jetzt Ministerpräsident, berichtete letztes Jahr über staatsschutzrelevante Erkenntnisse über mindestens drei Angehörige eines Spremberger Bikerclubs, die als rechtsextrem in Erscheinung getreten waren. Im Jahr zuvor waren Mitglieder dieses Clubs beim Schmuggel von Crystal aus Tschechien im Vogtland festgenommen worden.
Wir sehen also: Nazis und Drogen sind kein Widerspruch, wie uns die NPD heute hier mit diesem scheinheiligen Antrag weismachen will.
Crystal passt als Droge ganz hervorragend zur gewaltbereiten Naziszene, stärkt es doch das Ego und setzt Hemmschwellen herab, auch Hemmschwellen für Gewaltausübung,
und kann dann vor Gericht auch noch als strafmildernder Umstand geltend gemacht werden, so wie das beispielsweise beim Mord an André K. geschehen ist. André K. war ein Wohnungsloser, der im Jahr 2011 in Oschatz von fünf Männern umgebracht worden ist; mindestens einer von ihnen ein bekennender Nazi aus dem Umfeld der NPD-Jugendorganisation.
Oder ein weiterer dieser Einzelfälle: wiederum Hoyerswerda. Dort wurde vor Kurzem ein 30-Jähriger verurteilt, weil er mehrfach den Hitler-Gruß gezeigt hatte. Eine Lokalzeitung berichtete, dass der Anwalt des Täters
dies mit seinem massiven Crystal-Konsum zu rechtfertigen versuchte.
Wir sehen also: Nazis konsumieren Crystal. Einige von ihnen handeln auch damit und finanzieren ihre politische Arbeit wahrscheinlich auch mit Drogengeld.
Und gibt es da nicht vielleicht auch noch einen gewissen nostalgischen Effekt, wenn der Neonazi von heute zur Droge greift, die auch gern als „Hitler-Speed“ bezeichnet wird?
Auch der Führer selbst soll in seinen letzten Jahren ohne seine morgendliche Pervitininjektion nicht mehr aus dem Bett gekommen sein.
Der uns heute vorliegende Antrag ist scheinheilig, er ist rassistisch und er ist von einer widerwärtigen Doppelmoral geprägt.
Deshalb kann man ihn nur ablehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, die Unterbringung von Asylsuchenden, von geflüchteten Menschen ist gerade in vielen sächsischen Kommunen Thema Nummer eins.
Am vergangenen Dienstag hat der Sächsische Ausländerbeauftragte, Herr Dr. Gillo, den Heim-TÜV für das Jahr 2013 vorgestellt und darin festgestellt: „Unterbringung meint mehr als Bett und Tisch. Eine Beteiligung der Asylsuchenden und der menschenwürdige Umgang mit ihnen sind entscheidend auch für das positive Miteinander.“
Ich möchte in meinem Redebeitrag speziell auf den menschenwürdigen Umgang miteinander eingehen und ein paar Punkte erwähnen, die in den Konzepten noch nicht enthalten sind, aber nach Auffassung der Linksfraktion unbedingt bedacht werden müssen.
An erster Stelle nenne ich die medizinische Versorgung. Zunächst einmal geht es darum, überhaupt das Überleben dieser Menschen sowie ihre körperliche und seelische Unversehrtheit sicherzustellen. Ich erinnere daran, dass in diesem Jahr ein Mensch vermutlich deshalb gestorben ist – das ist tragisch –, weil die medizinische Versorgung nicht rechtzeitig gewährleistet worden ist. Zur Erinnerung für alle: Wie ist zurzeit die Situation? Nach dem Gesetz
werden nur akute Schmerzustände bzw. akute Erkrankungen sowie begleitende Behandlungen bei Schwangerschaft und Geburt gewährleistet.
Wir haben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die medizinische Versorgung von Geflüchteten verbessern wollen. Unser Ziel ist es, unbürokratisch und schnell Zugang zu ärztlicher Versorgung zu gewährleisten. Wir wollen auch präventive Angebote ermöglichen. Die Krankenkassen bezahlen das auch für uns alle, weil die Wahrnahme dieser Angebote kostensenkend wirkt. Warum sollen wir das nicht für Menschen, die zu uns geflüchtet sind, sicherstellen? Wir fordern zudem eine Versicherungs-Chipkarte, damit Abläufe schneller und unbürokratischer vonstattengehen können.
Nächster Punkt: Teilhabe. Die Möglichkeit zur Teilhabe muss unbedingt gegeben sein, wenn ein menschenwürdiger Umgang miteinander erreicht werden soll. Wir müssen den Spracherwerb – dazu hat Kollegin Herrmann schon etwas gesagt – von Anfang an ermöglichen. Wir müssen Arbeit ermöglichen und Bildungsgelegenheiten schaffen. Wir müssen Menschen in eigenen Wohnungen unterbringen.
Ich habe die Worte von Herrn Ulbig gehört und hoffe, dass die Ankündigungen tatsächlich umgesetzt werden. Insofern gebe ich Ihnen jetzt einfach einen Vorschuss. Wir werden das natürlich kontrollieren.
Das Ehrenamt gilt es weiter zu fördern. Begegnung muss ermöglicht werden. Ich nenne das Beispiel des Vereins „Internationale Gärten Dresden“. Dieses gute Beispiel ist prämiert worden. Nun steht es aber zur Disposition – das ist sicherlich nicht die Schuld der Staatsregierung –, weil dort ein Parkhaus errichtet werden soll. Das darf einfach nicht sein. Da müssen auch die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker tätig werden.
Wir sollten ganz allgemein unsere demokratische Kultur, unsere Werte vermitteln. Das gelingt am besten durch Mitbestimmung und durch Selbstbestimmung der Betroffenen. Auch das muss gestärkt werden.
Nächster Punkt: Wir müssen Rassismus entschieden entgegentreten. Das ist unglaublich wichtig. Spätestens seit Herbst letzten Jahres gibt es verstärkt rechte und rassistische Mobilisierung und Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte. Die Amadeu-Antonio-Stiftung schreibt, dass es allein im Jahr 2014 – es sind noch nicht einmal drei Monate vergangen – bundesweit 21 Angriffe und 24 Proteste gegen Asylunterkünfte gegeben hat.
Rassismus muss benannt und geächtet werden. Dieses Erfordernis muss Teil Ihres Kommunikationskonzeptes sein, Herr Staatsminister.
Auch institutioneller Rassismus ist zu beenden. Beispielsweise könnten Sie sich auf Bundesebene dafür einsetzen, endlich das Asylbewerberleistungsgesetz
abzuschaffen. Das ist ein diskriminierendes Sondergesetz, das keinen gleichrangigen Zugang zum Sozial- und Gesundheitssystem herstellt. Es diskriminiert Menschen, es schließt sie aus.
Zur Bekämpfung von Rassismus gehört es auch, eine eigenständige Gedenkkultur für Opfer rassistischer und neonazistischer Gewalt nach 1990 zu entwickeln.
Zudem sind rassistische Einstellungsmuster in Institutionen, Ämtern und Behörden – auch bei der Polizei – anzugehen.
Auch dort ist eine interkulturelle Öffnung konsequent voranzutreiben.
Mit diesen Maßnahmen wird eine wirkliche Willkommenskultur für alle erreicht.
Ich werde mich in der zweiten Runde noch einmal mit einem Redebeitrag zu Wort melden.
Danke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in meinem ersten Redebeitrag ausgeführt, wie wichtig die medizinische Versorgung, also die Unversehrtheit des Körpers und der Seele, und die Teilhabe an der Gesellschaft sowie das Entgegentreten gegen den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit sind, um eine wirkliche Willkommenskultur, und zwar für alle – das möchte ich betonen – zu erreichen.
Eigentlich mag ich dieses Wort gar nicht mehr. Ich empfinde es als eine hohle Phrase. Keiner weiß so richtig, was dahinter steckt, was mit einer Willkommenskultur gemeint ist. Ich habe noch einmal nachgesehen. Was ich dazu auf der Seite des Innenministeriums gefunden habe, Herr Ulbig, ist das Leitbild, das Sie 2010 den Ausländerbehörden gegeben haben. Ich kann es mir nicht verkneifen, daraus kurz zu zitieren: „Sachsen braucht Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland. Wir haben damit begonnen, eine Willkommenskultur für diejenigen zu schaffen, die daran mitarbeiten, mit anpacken, dass Sachsen eine führende Region in Europa bleibt.“
Das finde ich bedauerlich, denn das schließt Leute aus. Das bedient diese Nützlichkeitsabwägung, und es spielt Migranten gegeneinander aus. Das darf nicht sein, denn wenn Leute protestierend vor Flüchtlingsunterkünfte ziehen, ist die Phrase Willkommenskultur ad absurdum geführt. Deshalb finde ich es gut, dass Sie erkannt haben, welcher Stellenwert der Kommunikation zukommt.
Ich betone nochmals, dass Kommunikation wichtig ist, um erstens dem Rassismus den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem offen und ehrlich mit den Einwohnern in Sachsen umgegangen und gesprochen wird. Das haben Sie angekündigt, und ich hoffe, dass Sie das auch umsetzen. Es muss zweitens auch antirassistisch kommuniziert werden, Rassismus muss benannt werden, und es muss für eine offene und plurale Gesellschaft geworben werden, dann wird es auch etwas. Das wünsche ich mir.
Danke.
Herr Präsident! EURückübernahmeabkommen verpflichten die Vertragsparteien zur Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen sowie – unter bestimmten Bedingungen – von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen. Sie enthalten zudem prozedurale und technische Kriterien für die Rückübernahme. Es existieren verschiedene Rückübernahmeabkommen
zwischen der EU und Drittstaaten, darunter auch Pakistan.
Nun meine Fragen:
1. Plant der Freistaat Sachsen in nächster Zeit Asylsuchende und Geduldete pakistanischer Staatszugehörigkeit, auch via Sammelabschiebung, nach Pakistan abzuschieben?
2. Wenn ja, auf welcher Grundlage – gibt es beispielsweise einen Erlass/eine Verordnung des sächsischen Innenministeriums über Abschiebungen nach Pakistan?
Kann ich eine Nachfrage stellen?
Herr Staatsminister, vielleicht können Sie mir sagen, wie viele abgelehnte Asylsuchende aus Pakistan sich derzeit in Sachsen aufhalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es ist beschämend, dass nach 20 Jahren, nach 20 000 Toten – nach Angaben von Pro Aysl – im Mittelmeer
erst ein solch großes Unglück passieren muss, bei dem über 300 Menschen auf einen Schlag sterben, ehe etwas passiert, ehe wir anfangen, uns darüber zu verständigen.
Keine Woche nach der Tragödie von Lampedusa haben sich die EU-Innenminister getroffen und beschlossen, keine Änderung der katastrophalen Flüchtlingspolitik vorzunehmen. Dafür war auch der Druck Deutschlands verantwortlich. Das wird dazu führen, dass es noch mehr Tote an den EU-Außengrenzen und noch mehr Leid für diejenigen gibt, die es aufs Festland schaffen.
Die Debatte trägt den Titel „Humanität heißt Verantwortung übernehmen – Sachsen braucht eine neue Flüchtlingspolitik“. Dem stimmen wir als LINKE zu, und wir sagen ganz konkret: Diese neue Flüchtlingspolitik muss auf vier Ebenen stattfinden bzw. dort durchgeführt werden, und zwar in Sachsen selbst, auf der nationalen Ebene – in Deutschland –, auf der europäischen Ebene und in den Herkunftsländern.
Lassen Sie mich mit den Herkunftsländern beginnen: Es wird viel davon gesprochen, die Lebensstandards in den Heimatländern der Flüchtlinge zu verbessern, um Anreize zu vermindern, dass Menschen hierherkommen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir dort keine zynischen und keine illusorischen Debatten führen. Natürlich brauchen wir langfristig eine andere Handels- und Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung von Armut, Krieg und Unterentwicklung weltweit. Aber schauen wir uns doch einmal an, woher die Flüchtlinge kommen: Sie kommen zum Beispiel aus Staaten wie Eritrea, wo eine Diktatur herrscht. Wie wollen wir dort konkret Unterstützung anbieten? Wie wollen wir in einem zerfallenen Staat wie Somalia konkrete Unterstützung und eine Verbesserung so weit erreichen, dass die Menschen nicht mehr hierherkommen? Wie wollen wir das in einem Staat wie Mali tun, um nur einige zu nennen?
Ganz wichtig ist dabei auch: Deutschland ist immer noch Waffenexporteur. Ich habe heute früh ein Bild von einem Schild der Flüchtlinge am Brandenburger Tor gesehen. Auf dem stand zu lesen: „Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Schluss mit Waffenexporten, um auch Flüchtlingsströme zu bekämpfen!“
Was können wir in Sachsen konkret tun? Wir gestalten hier, in den Kommunen, im Land die konkreten Bedingungen für die Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen. Aber wir haben immer noch eine Residenzpflicht als eines der letzten Bundesländer, zusammen mit Brandenburg. Wir haben immer noch eine zentrale Unterbringung in Heimen – das ist von der
Kollegin Herrmann auch schon angesprochen worden –, wo die Landeszuständigkeit für die Erstaufnahmeeinrichtung da ist.
Wir dürfen als Land auch die Kommunen nicht alleine lassen. Es wird immer mehr damit begonnen, jetzt doch dezentral in eigenständigen Wohnungen unterzubringen. Wir sehen, dass es von Erfolg gekennzeichnet ist. Es reduziert tatsächlich Kosten bzw. es muss nicht teurer sein als eine Unterbringung in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften, und es führt zu einer größeren Akzeptanz in der Mehrheitsbevölkerung. Es führt dazu, dass Menschen die Möglichkeit haben, aufeinander zuzugehen, sich kennenzulernen.
Wir müssen auf der nationalen Ebene agieren, indem wir die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Wir haben auch immer noch ein Asylbewerberleistungsgesetz, das zur Abschreckung geschaffen worden ist, aber wir müssen anerkennen: Diese Politik der Abschreckung hat nicht funktioniert, die Menschen kommen trotzdem hierher. Wir brauchen endlich Sprachkurse für alle von Anfang an, nicht nur für Menschen mit einem Aufenthaltstitel, der ihnen hier eine Perspektive gewährt, sondern die Realität ist die, dass Menschen sich lange im Asylverfahren hier befinden. Auch sie müssen von Anfang an die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen. Wir brauchen eine Bleibeperspektive für die Menschen. Wir brauchen einen Zugang zum Arbeitsmarkt und wir müssen Möglichkeiten der Teilhabe und Begegnung schaffen.
Vorurteile abbauen, heißt die Devise. Spätestens seit der Heitmeyer-Studie „Deutsche Zustände“ wissen wir, dass selbst Menschen, die Ängste haben oder vielleicht auch fremdenfeindlich eingestellt sind, davon ihren Nachbarn ausschließen; dass sie sagen: Mit einer bestimmten Gruppe von Menschen komme ich nicht so klar, aber meinen Nachbarn – der vielleicht zu dieser Gruppe von Menschen dazugehört – nehme ich davon aus. So werden nämlich Ängste und Vorurteile abgebaut und nur so kann ein Zusammenleben gelingen.
Wir müssen auf der europäischen Ebene diese Abschottung beenden – auch die ist gescheitert. Die Flüchtlinge bekommen kein Visum für eine geregelte Einreise; sie können einen Asylantrag aber nur auf europäischem Boden stellen. Die Menschen müssen sich daher diesen Schleusern aussetzen, die ihnen noch das Geld abknöpfen und die sie diesen gefährlichen Weg über das Mittelmeer fahren lassen, weil es keinen anderen legalen Einreiseweg gibt.
Danke. – Asyl ist ein Menschenrecht. Dazu müssen wir uns bekennen. Wir müssen Antragstellungen möglich machen. Wir sind dafür, Frontex als militärische Einheit zur Flüchtlingsbekämpfung abzuschaffen, und wir brauchen natürlich eine Solidarität innerhalb von Europa und dürfen Staaten wie Italien oder Griechenland, die überfordert sind, nicht
alleinlassen, sondern müssen uns solidarisch mit ihnen zeigen. – Mehr in der zweiten Runde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinem ersten Redebeitrag hatte ich ausgeführt, auf welchen Ebenen wir welchen Handlungsbedarf sehen. Für alle Ebenen, aber ganz besonders für den Raum, den wir in Sachsen gestalten, gilt, dass wir ganz entschieden dem Rassismus entgegentreten müssen, dass wir rassistische Taten, die leider an der Tagesordnung sind, benennen und bekämpfen müssen und sie nicht verharmlosen oder gar verschleiern dürfen. Wir brauchen auch keine rhetorische Wiederholung oder insgesamt eine Wiederholung der Zustände von vor 20 Jahren, wir brauchen keine zynische Argumentation, dass nur eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der hier ankommenden Flüchtlinge weitere Flüchtlinge abschreckt, dass auch die Verschlechterung der Lebensbedingungen, wie das Anfang der Neunzigerjahre vorgenommen worden ist, die rassistische Stimmungsmache innerhalb der Bevölkerung, die damals sogar zu Pogromen geführt hat, dann ein Ende setzt.
Um dem Rassismus konsequent entgegenzutreten, ist es wichtig, dass wir als Land Sachsen die Arbeit der Opferberatungsstelle des RAA und auch der mobilen Beratungsteams sicherstellen.
Das ist eine Debatte, die zwischen den Ministerien hin- und hergeschoben wird. Die Finanzierung im nächsten Jahr ist unklar. Auch das gehört für uns mit dazu.
Es wurde auch schon wieder von Willkommenskultur geredet. Das ist auch ein Lieblingsschlagwort des Innen
ministers. Ja, wir brauchen diese Willkommenskultur, das ist gar keine Frage, aber wir brauchen sie nicht nur für Menschen mit mehr als 40 000 oder 60 000 Euro im Jahr, sondern wir brauchen sie für alle, die hier leben. Wer willkommen ist, muss nicht in Lager gesperrt werden, der muss nicht entmündigt werden.
Wir brauchen diesen „Nützlichkeitsrassismus“, wie er leider auch immer wieder von der Staatsregierung vorgetragen wird, nicht, wir brauchen keine Einteilung in gute und schlechte Menschen, wir brauchen keine Einteilung in nützliche und unnütze Menschen. Darin liegt eine große Verantwortung bei der Staatsregierung, beim Innenminister, aber auch bei uns allen.
Wie reden wir über Menschen, die zu uns kommen? Wird zum Beispiel wieder von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen, wie das Herr Hartmann soeben in der Debatte getan hat? Ich kann nur sagen: Es liegen inzwischen mindestens zwei Studien vor. Eine ist von der EU-Kommission, Sozialkommissar Andor, in Auftrag gegeben worden, der eine Zuwanderung in das deutsche Wirtschaftssystem nicht belegt. Darüber können Sie sich gern noch einmal kundig machen. Diese Argumentation ist Gift für die Gesellschaft, ist Wasser auf die Mühlen von Rassisten und sorgt für eine weitere Entsolidarisierung innerhalb der EU. Das können wir nicht zulassen. Deshalb sagen wir ganz klar: Solidarität statt Rassismus ist unsere Devise auch in der Flüchtlingspolitik.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir haben in Sachsen ein Problem mit der Überprüfbarkeit polizeilicher Handlungen. Es ist leider so, dass Menschen, die als Betroffene, Zeugen oder Angehörige, aber auch als Kolleginnen und Kollegen in der Polizei selbst Fehlverhalten, Gesetzesverstöße oder Grenzüberschreitungen wahrnehmen, kaum eine Chance haben, dass irgendwer diese entsprechenden polizeilichen Maßnahmen objektiv, transparent, unmittelbar und gründlich untersucht.
Vorwürfe und Beschwerden werden von der betroffenen Dienststelle selbst untersucht. Das Problem dabei: Meist wird das als versuchte Verunglimpfung des guten Rufes der Kolleginnen und Kollegen, der Einheit, des Reviers oder der Polizei als Ganzes wahrgenommen.
Auf Anzeigen gegen Polizeibeamte in Sachsen folgt häufig – nach Monaten! – ein geradezu anachronistisches Schauspiel: Erst wird lange versichert, dass der betreffende Beamte leider nicht identifizierbar sei, und es wird stetig nachgefragt, ob nicht der Betroffene selbst etwas falsch gemacht habe.
Dann finden sich plötzlich vier bis fünf Polizistinnen oder Polizisten, die sich en detail genau an die längst vergangene Einsatzsituation erinnern können und denen im Nachgang plötzlich auch noch einfällt, dass der Beschwerdeführer eine Straftat – meist eine Widerstandshandlung oder eine Beleidigung – begangen habe. Die Folge ist – quasi als Antwort – ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer selbst.
Mit einem guten Anwalt kann man im besten Fall eine Abwägung und gegenseitige Einstellung beider Verfahren erreichen. Außer Spesen mit der Beschwerde also nichts gewesen. Dabei gehört es leider zum Alltagserleben von Anwälten und Strafverteidigern – so wurde es auch in der Anhörung im Ausschuss geschildert –, dass Richter und Staatsanwälte prinzipiell einem Polizisten mehr Glauben schenken als dem Bürger, vor allem, wenn dieser einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört. Auch das Prinzip Aussage gegen Aussage gilt scheinbar nichts, wenn ein Polizist vor Gericht steht. Frau Jähnigen hat die entsprechenden Zahlen dazu genannt.
Da sind Dutzende solcher Beispiele aus kleinen und großen polizeilichen Einsatzlagen bekannt, die unter Mitwirkung verschiedenster Gliederungen der Polizei stattfanden. Wenn ein Fall aber zu gravierend, zu gut dokumentiert oder von zu vielen Zeugen beobachtet und damit bewiesen wurde, setzt ein anderer Reflex ein. Der betroffene Beamte wird dann als schwarzes Schaf abgetan, also als einzelner, fehlgeleiteter Polizist, gegen den im Zuge der Dienst- und Fachaufsicht und der Strafverfolgung vermeintlich konsequent vorgegangen wird.
Doch bei der absoluten Mehrheit der Fälle kommt es gar nicht erst zu einer solchen Reaktion, da die Betroffenen Hemmungen oder Angst haben, sich an jene zu wenden, die ihnen im Alltag als Vertreter repressiver staatlicher Autorität gegenüberstehen. Oder sie haben einfach Schwierigkeiten, ihre Sicht der Dinge zu artikulieren, und deshalb schaffen sie es nicht, die für sie sehr hohe Hürde der Anzeige oder Beschwerde zu überspringen.
Ich spreche hier von Menschen ohne Beschwerdemacht, Menschen ohne hohen gesellschaftlichen Status und eine entsprechende mächtige Interessenvertretung, ohne
entsprechende soziale und materielle Ressourcen. Ich spreche von Migrantinnen und Migranten, Obdachlosen, Süchtigen, psychisch kranken Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen aus subkulturellen Milieus und sozial Schwachen. Doch genau diese Menschen ohne Beschwerdemacht sind aus strukturellen Gründen oft die Betroffenen von unprofessionellem Umgang oder gar von Fehlverhalten durch Polizeibeamte.
Die Statistik über Beschwerden gegen die Polizei, der zufolge es kaum zu Verurteilungen kommt, ist eben kein Indiz dafür, dass Polizistinnen und Polizisten in Sachsen nur äußerst selten die Grenzen des legitimen und legalen Handelns überschreiten. Diese Zahlen können auch keinesfalls einfach mit der Anzahl polizeilicher Einsätze insgesamt ins Verhältnis gesetzt werden, wie es der Zwickauer Polizeipräsident, Herr Georgie, in der Anhörung getan hat, um damit zu behaupten, alles wäre Friede, Freude, Eierkuchen.
Das Land Sachsen-Anhalt hat eine Zentrale Beschwerdestelle Polizei beim Innenministerium eingerichtet. Dieser Ansatz ist unserer Auffassung nach unzureichend, aber selbst dort ist eine der Zielsetzungen dieser Beschwerdestelle die Erhöhung des Beschwerdeaufkommens, weil man damit a) das große Dunkelfeld ausleuchten will, das
auf diesem Gebiet herrscht, und b) die Kommunikation zwischen den Bürgern und der Polizei sowie die Transparenz polizeilichen Handelns stärken will.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE beschäftigt sich seit der großen Fachkonferenz von Amnesty International mit dem Titel „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ vor fast drei Jahren sehr intensiv mit dieser Thematik. Wir haben unseren Gesetzentwurf vor der Einbringung in den Landtag ausgiebig außerparlamentarisch mit Initiativen, Vereinen, Menschenrechtsorganisationen, Juristinnen und Juristen und Polizeiexperten beraten.
Wir präsentieren Ihnen hiermit einen gut überlegten Vorschlag, der sich einerseits in unsere stetige und langjährige Kritik an der sächsischen Innenpolitik einreiht, darüber hinaus aber auch einen konstruktiven Schritt hin zu einer bürgernahen, einer demokratischen, einer transparenten und verantwortlich arbeitenden sächsischen Polizei aufzeigt, einer Polizei, die für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut aufgestellt ist.
Denn das Problem beginnt nicht beim Polizisten im Einsatz auf der Straße oder im Revier, sondern es folgt einer komplexen Kombination aus politisch-inhaltlichen Vorgaben, institutionellen Rahmenbedingungen, legislativ zugewiesenen und persönlichen Kompetenzen. Es hängt eng mit Führung, Zusammenarbeit, Selbstbild und Wahrnehmung der eigenen Rolle innerhalb der Polizei zusammen.
Das Thema, über das wir hier eigentlich reden müssen, heißt Polizeikultur im Freistaat Sachsen. Deshalb lassen Sie mich kurz etwas ausholen: Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Prof. Raphael Behr definiert Polizeikultur als ein Bündel von Wertbezügen, die das Alltagshandeln von Polizeibeamten ermöglichen, begrenzen und anleiten. Es ist die öffentlich vorgegebene Leitkultur seitens der Politik und der Polizeiführung. Dabei geben diese Wertbezüge Auskunft darüber, in welchen Situationen welche Werte und Tugenden in welchem Ausmaß Geltung erlangen, und auch darüber, wann und in welchem Ausmaß Gewalt angewendet werden muss, soll oder darf.
Wenn wir uns in den europäischen Nachbarländern umschauen, können wir einen Organisationswandel wahrnehmen – weg von einer Polizei mit klassischer staatlicher Eingriffsverwaltung mit Gewaltbefugnissen hin zu einer bürgernahen, demokratisierten und demokratisch kontrollierten Polizei.
Doch was haben wir in Sachsen für eine Polizeikultur? Was sind die Wertbezüge, die Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und Herr Innenminister, den Polizeibeamten in diesem Land mitgeben? – Dazu möchte ich den Blick noch einmal zurück auf den Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 lenken.
Sie stärken eine Polizei, die ihrem Selbstbild nach von einem Über- und Unterordnungsverhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern bestimmt ist. Sie beschreiben das Bild einer von Feinden umzingelten Staatspolizei, deren
Kompetenzen Sie permanent erweitern und die Sie gleichzeitig vor Verfolgung schützen wollen.
Zugleich kürzen Sie Gehälter, verknappen das Personal, dünnen Präsenz in der Fläche aus, um mit spezialisierten und geschlossenen Einheiten im Bedarfsfall, ohne lange reden zu müssen, intervenieren zu können. Diese Kombination, die Sie auch mit Ihrer Polizeireform umgesetzt haben, wirkt auf das polizeiliche Selbstbild, stärkt den Korpsgeist und führt zu einer chauvinistischen Cop culture.
Es ist also Ihre Politik –
getroffene Hunde bellen anscheinend, Herr Hartmann –, die die Faktoren verstärkt, die polizeiliches Fehlverhalten begünstigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, dass der übergroße Teil der sächsischen Polizistinnen und Polizisten seinen Job unter hohem Einsatz nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Dennoch brauchen wir eine andere Kultur in der Polizei. Ich wünsche mir eine Polizei, die den Spagat zwischen Eingriffsverwaltung und Bürgernähe, und zwar zu allen Bürgerinnen und Bürgern, auch zu den schwierigen, den fremden oder den in ihrem Verhalten vielleicht unangenehmen Menschen, durch gute Ausbildung, gute Arbeitsbedingungen, ein gutes Betriebsklima und stetige Reflexion der eigenen Arbeit meistern kann.
Dazu muss, wie Prof. Aden, ein Polizeiausbilder, zur Anhörung ausdrücklich eingefordert hat, eine Fehlerkultur entwickelt werden. Fehlerkultur bedeutet hier, dass es einen Rahmen und die Möglichkeit gibt, dass Fehler eingestanden werden können, um aus ihnen zu lernen, anstatt sie zu verschweigen.
Die von uns vorgeschlagene Polizeiombudsstelle kann eine Säule für eine solche Entwicklung sein; denn wir stärken erstens das Vertrauen zwischen den Menschen und der Polizei – –
Entschuldigung, mir ist gerade unwohl.
Ich versuche es fertigzumachen.
Wenn ich einen Schluck Wasser bekomme, dann geht es schon.
Danke. – Die von uns vorgeschlagene Ombudsstelle kann eine Säule für die
Entwicklung einer solchen Fehlerkultur sein; denn wir stärken erstens das Vertrauen zwischen den Menschen und der Polizei und heben zweitens die demokratische Kontrolle der Polizei auf ein Niveau, das den erweiterten Kompetenzen angepasst ist. Drittens bieten wir einen externen Rahmen für die Polizeientwicklung an, der nachhaltig die demokratische Rückbindung der Polizei als Organisation sichern kann.
Deshalb statten wir unseren Vorschlag auch mit so weitreichenden Untersuchungs- und Kontrollbefugnissen sowie Informations- und Vorschlagsrechten aus. Diese gehen scheinbar über eine reine Beschwerdestelle hinaus. Wir erachten sie aber genau deshalb für erforderlich, weil wir die eben aufgezeigten strukturellen und kulturellen Ursachen von polizeilichem Fehlverhalten an der Wurzel packen wollen. Insofern ist unser Vorschlag tiefgreifender und nachhaltiger als der vorliegende Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Das machen wir auch dadurch deutlich, dass wir die Polizeiombudsstelle in der Sächsischen Verfassung verankern wollen.
Darüber hinaus sind wir innovativer, was wir unter anderem mit dem Instrument der Beanstandungsklage zeigen. Dadurch soll es ermöglicht werden – auch unabhängig von den Betroffenen –, die Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen überprüfen zu lassen und damit den Grund- und Freiheitsrechten Geltung zu verschaffen bzw. die Beseitigung von gerügten Mängeln einfordern zu können.
Der von mir bereits angesprochene übergroße Teil der Polizeibeamten in Sachsen braucht vor mehr Transparenz und unabhängiger Kontrolle seines Handelns keine Angst zu haben. Im Gegenteil: Für sie wäre eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle eine Hilfe, eine Anlaufstelle und ein externer Reflexionspartner, der auch in ihrem eigenen Sinne hilft, die Polizei für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch für die Bürgerinnen und Bürger besser zu machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam das umsetzen, was viele europäische Staaten seit Langem erfolgreich praktizieren und was der EUMenschenrechtskommissar und viele Nichtregierungsorganisationen auch von Deutschland fordern. Sachsen hat mit den beiden hier vorgelegten Gesetzentwürfen eine Chance, bundesweit eine Vorreiterrolle einzunehmen, und zwar hin zu einer demokratisch verantwortlichen und bürgernahen Polizei. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße es, dass wir heute am 20. Juni, nämlich am Weltflüchtlingstag, die Möglichkeit haben, uns anlässlich der letzten beiden Jahresberichte des Sächsischen Ausländerbeauftragten hier im Plenum des Landtages zur aktuellen Migrationspolitik in Sachsen verständigen zu können.
Ich möchte an die erste Stelle meiner Rede den Dank auch im Namen meiner Fraktion an Herrn Gillo und sein Team für seine kontinuierliche Arbeit und für sein persönliches Engagement aussprechen. Vielen Dank dafür!
Der zentrale Begriff in beiden Jahresberichten ist Willkommensgesellschaft. Deshalb möchte ich die Debatte hier nutzen, um noch einmal zu verdeutlichen, worauf es aus linker Sicht ankommt, um zu einer solchen offenen und lebenswerten Gesellschaft zu kommen, „die“ – das ist ein Zitat aus dem Bericht – „jeden einlädt, sich konstruktiv einzubringen“.
Herr Gillo macht dabei dankenswerterweise deutlich, dass es dazu notwendig ist, alle im Lande lebenden Menschen mitzunehmen, nicht nur diejenigen, denen rechtlich eine dauerhafte Perspektive zugesichert wird, sondern alle, die jetzt hier im Moment leben, auch wenn es temporär sein mag.
Um zu einer wirklichen Willkommenskultur zu gelangen, bedarf es aber gerade deshalb auch im Bereich der Flüchtlingspolitik eines Umdenkens, eines Weiterdenkens und natürlich auch eines entsprechenden Handelns. Herr Prof. Gillo betont in beiden Berichten, dass wir auf Zuwanderung angewiesen sind und dass sich der Freistaat Sachsen in seinem Strategiepapier „Sachsen 2020“ auch dazu bekennt.
In den Jahresberichten und nicht nur da sprechen Sie, Herr Prof. Gillo, dankenswerterweise auch immer wieder die Situation von Flüchtlingen, von Menschen im laufenden Asylverfahren und von Geduldeten an und machen damit deutlich, dass es um die Menschenwürde geht. Sie muss der Ausgangspunkt der Betrachtungen und der gewünschte Maßstab unseres politischen Handelns sein.
Im Jahresbericht 2011 heißt es demnach folgerichtig, dass die Neigung vieler im Lande lebender Menschen und – das füge ich hier an – zum Teil leider auch der Staatsregierung, Ausländerinnen und Ausländer in nützliche und unnütze Gruppen zu unterteilen, mindestens fragwürdig ist und dass dies aus der Perspektive der Menschenwürde falsch und kontraproduktiv ist.
Aber wir haben leider genau das verstärkt in den letzten beiden Jahren erlebt und erleben es immer noch. Wieder gibt es zunehmend populistische Töne in der Asyl- und Migrationsdebatte, eine pauschale Verdächtigung und Diskriminierung von Flüchtlingen und Migranten. Ich spreche vor allem von den Roma, die aus Serbien, Mazedonien und den Balkanstaaten kommen. Da gibt es führende Politiker, die diese Menschen des Asylmissbrauchs bezichtigen und damit missachten, und sie verschleiern die Diskriminierung, der diese Menschen in ihren Herkunftsländern ausgesetzt sind. Das führt zu einer weiteren Stigmatisierung der Roma einerseits, und das schürt Rassismus und spielt damit auch populistisch agierenden Parteien und Gruppierungen in die Hände.
Spannenderweise hat die Bundesregierung genau zu diesem Thema in der letzten Woche eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag beantwortet. Sie, die Bundesregierung, bekundet in ihrer Antwort, dass die angekündigte Gesetzesänderung, mit der Serbien und Mazedonien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollten, in der laufenden Legislaturperiode kaum noch zum Abschluss gebracht werden könne. „Die Prüfung dauert noch an.“ Das heißt es nun schon seit vielen Monaten.
Passend dazu noch eine dritte Neuigkeit. Die Bundesregierung stellt fest, dass sich derzeit jeder zweite Asylantrag aus diesen Ländern, der inhaltlich bewertet wird, als begründet herausstellt. Das heißt, für eine Debatte über einen angeblich verbreiteten Asylmissbrauch besteht offenkundig weniger Anlass denn je.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einen zweiten Punkt benennen, der der Willkommenskultur massiv im Wege steht. Das ist die institutionelle Diskriminierung insbesondere von Menschen, die kein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland haben. Unter institutioneller Diskriminierung versteht man das von Institutionen bzw. Organisationen beispielsweise durch Gesetze und Erlasse oder Arbeitsweisen oder durch systematisch von Mitarbeitern dieser Institutionen oder Organisationen ausgeübte oder zugelassene ausgrenzende, benachteiligende oder unangemessene Handeln gegenüber als nicht zugehörig oder als normabweichend definierten Personen oder Gruppen.
Gesetzgebung und Institutionen sorgen auch in Sachsen für eine systematische Entrechtung, Bevormundung und Behinderung. Das möchte ich am Beispiel von Chemnitz verdeutlichen. Es geht dabei um die Ausländerbehörde. Eine Hauptaufgabe der Ausländerbehörde ist die Vergabe und der Entzug von Aufenthaltstiteln von Asylsuchenden und die Überprüfung der damit verbundenen Auflagen und Beschränkungen. Dabei arbeitet die Behörde grundsätzlich eher unter der Prämisse, den Antragstellern ein Fehlverhalten oder ein Versäumnis nachzuweisen, als sie in ihren Anliegen zu unterstützen. In Chemnitz ist es für Asylsuchende und Geduldete sehr schwer, in der Ausländerbehörde überhaupt vorsprechen zu können. Die Öff
nungszeiten sind stark begrenzt. Vier Stunden am Donnerstag, dreieinhalb Stunden am Freitag stehen zur Verfügung. Das reicht bei Weitem nicht aus, dass jeder eine realistische Chance hat, sein Anliegen auch vorzutragen. Termine werden gar nicht erst vergeben. Wer vorsprechen will, muss am Automaten eine Nummer ziehen, soweit man überhaupt noch eine bekommt, und darauf hoffen, innerhalb der Öffnungszeiten Gehör zu finden. Wird es nicht geschafft, hat die betreffende Person Pech gehabt.
Fristen für Anträge können so zum Teil nicht eingehalten werden, Duldungen werden nicht rechtzeitig verlängert. Stellen Sie sich einmal das gleiche Szenario im Einwohnermeldeamt oder in der Kfz-Meldestelle vor. Das ist undenkbar. Die Entrüstung der Bürger wäre vorprogrammiert. Dabei rede ich noch nicht einmal davon, dass es teils massive Defizite zum Beispiel bei den Fremdsprachenkenntnissen in den Ausländerbehörden gibt. Ich rede nicht davon, wie der Umgang einiger Mitarbeiter mit den Migranten ist. Ich rede gar nicht von interkultureller Öffnung. Das ist natürlich das Ziel, wo wir hinkommen sollten. Aber das traue ich mich noch gar nicht, sondern ich rede nur von den Rahmenbedingungen, die tatsächlich da sind, und ich fordere, dass wir auch in den Ämtern und Behörden eine Gleichbehandlung aller Menschen brauchen.
Die Residenzpflicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Thema, das uns seit Beginn der Legislatur beschäftigt. Obwohl der Innenminister 2011 neue Regeln verkündet hat, hat sich an der tatsächlichen Situation für viele Betroffene nicht wirklich etwas geändert. In Thüringen funktioniert das. Im Nachbarland gibt es jetzt, seit dem 1. Juni, eine entsprechende Verordnung des Innenministeriums, die den Menschen freie Bewegungssicherheit zusichert. Der Thüringer Innenminister, Mitglied der CDU, sprach davon, dass dort eine gute Lösung gefunden worden sei, um den Asylbewerbern den Besuch von Freunden und Verwandten oder sozialen Betreuungseinrichtungen zu erleichtern. Er ergänzte: Dadurch verringert sich auch der bürokratische Aufwand bei den Ausländerbehörden.
Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge ist kein humanitärer Akt, sondern muss eine Selbstverständlichkeit sein. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist spätestens seit dem Heim-TÜV – er ist von Kollegen Hartmann, Ausländerbeauftragter, genannt worden – öffentliches Thema. Wir begrüßen diese Initiative und die Verbesserung, die sie den betroffenen Menschen gebracht hat. Aber wir machen als LINKE klar, dass wir die dezentrale Unterbringung in eigenständigen Wohnungen haben wollen. Wir wollen niemanden in Abhängigkeit und Isolation halten. Die zentrale Unterbringung ist inhuman und nicht von uns gewollt. So kann die soziale Inklusion, die auch Herr Gillo immer wieder in seinen Berichten fordert, nicht gelingen.
Die Staatsregierung argumentiert häufig damit, dass die Kommunen für die Unterbringung und Versorgung
zuständig sind. Aber wir vertreten die Auffassung, dass die Kommunen damit nicht alleine gelassen werden dürfen, und fordern deshalb wiederholt, dass die Zuweisungen von Landesseite erhöht werden. Seit Jahren steigen die Kosten für Mieten, für Energie, für Lebensmittel. Aber eine Anpassung erfolgt nicht. 2012 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu niedrig sind, dass sie verfassungswidrig sind, weil sie kein menschenwürdiges Existenzminimum garantieren. Das ist ein Grundrecht, das hat das Verfassungsgericht klargestellt, das allen im Lande Lebenden gleichermaßen zusteht.
Was hat die Staatsregierung getan? Sie hat leider die Menschen in den Landkreisen und die Landkreise und kreisfreien Städte selber um die erhöhten Leistungen geprellt, denn sie hat die Anpassung für dieses Jahr zurückgenommen. Dabei hätten sie rückwirkend ab Januar 2011 zahlen müssen. Dafür würde ich mich schämen.
Es bliebe noch viel zu sagen. Sozialpädagogische Betreuung in den Heimen wird gefordert. Auch dafür gibt es kein Geld, obwohl diese Aufgabe in Ihrer Verwaltungsvorschrift Unterbringung und soziale Betreuung festgeschrieben ist. Sprachkenntnisse sind essenziell.
Wir brauchen sie für alle Menschen und nicht nur für die mit einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive. Es wäre noch viel zu sagen. Berichte und Redezeiten sind leider endlich. Vielleicht ein abschließender Satz: Wir setzen uns dafür ein, dass hier niemand von Mitbestimmungsrechten ausgeschlossen ist. Wir setzen uns für gesellschaftliche Teilhabe aller im Lande lebenden Menschen, in allen Lebensbereichen, sozial, ökonomisch, kulturell und natürlich auch politisch ein.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem von den Koalitionsfraktionen: Ich finde, Sie machen es sich deutlich zu einfach, und die Debatte, wie sie von Ihrer Seite geführt wird, greift zu kurz. Die Schuld in die Nachbarländer abzuschieben reicht nicht aus. Sie entziehen sich hier Ihrer Verantwortung – genauso, wie
Sie es in den letzten Jahren in Ihrer Drogenpolitik getan haben. Jetzt mit einer Aktuellen Debatte zu versuchen, die Verfehlungen der letzten 10 Jahre – oder sogar noch länger – kaschieren und sich vielleicht doch mit irgendetwas rühmen zu wollen, ist echt daneben. Sie machen es sich damit zu einfach.
Sie beweisen eine große Unwissenheit. Herr Karabinski spricht von Partydrogen. Crystal ist längst keine Partydroge mehr. Frau Schütz spricht zwar von weichen Drogen; aber abgesehen davon, dass ich die Unterscheidung in weiche und harte Drogen ohnehin nicht als sinnvoll erachte, beweisen Sie, dass Sie leider keine Ahnung haben. Crystal ist kein neuer Drogentrend. Bereits seit 1997 ist Crystal in Sachsen verfügbar und wird konsumiert. Dieser Trend ist aber in der Sozialpolitik verschlafen worden. Die Substanz ist statistisch nicht ordnungsgemäß erfasst worden. Frau Schütz, Sie sagten, die Praktiker(innen) vor Ort in den Suchtberatungs- und -behandlungsstellen – zum Teil auch in den Jugendämtern – wussten davon. Aber das ist von der Sächsischen Staatsregierung, von der sächsischen Politik nicht gehört worden. Es ist ignoriert worden.
In der Folge: höhere Klientenzahlen, schwere Suchtverläufe – es ist von den Kolleginnen und Kollegen genannt worden –, große gesundheitliche und soziale Probleme, psychologische, teils psychiatrische Probleme, die mit dem Konsum einhergehen.
Aber die Praxis und die Wissenschaft haben darauf hingewiesen, dass es zu einer Ausweitung auf breitere gesellschaftliche Schichten kommt und zu einer Überlastung der Suchthilfestrukturen, die wir haben. Therapieangebote sind nicht entsprechend auf Crystal-Konsum ausgerichtet, sondern auf Alkohol und Opiate. Aber darauf ist nicht gehört worden. Die Staatsregierung hat immer wieder nur stoisch auf die gewachsenen Suchthilfestrukturen verwiesen und keinen Veränderungsbedarf gesehen. Mit diesen Problemen sind wir jetzt konfrontiert.
2010 gab es ein erstes Erwachen. Man hat reagiert, allerdings mit einer Erhöhung des Repressionsdruckes und nicht mit der Stärkung der Suchthilfe, die hätte stattfinden müssen. Im Gegenteil: Die Repression wurde sogar noch gegen die sozialpolitischen Ansätze, gegen die Suchthilfe versucht auszuspielen. Der ehemalige Leipziger Polizeipräsident hat dann das Wort „Wohlfühldrogenpolitik“ geprägt. Das ist einfach absurd.
Herr Ulbig, Frau Clauß, Sie haben es verpasst, die Suchthilfestrukturen anzupassen. Sie haben es verpasst, sie ausreichend auszustatten. Dann werden Sie auch noch dafür verantwortlich gemacht – das ist Ihr eigenes politisches Versagen –, dass es hohe gesellschaftliche Kosten produziert und leider nicht zu einer Verringerung des Problems führt. Ihr Ansatz, lediglich auf Repression und Prävention im Sinne von Aufklärung zu setzen, muss als gescheitert betrachtet werden. Der klassische Ansatz der Betäubungsmittelbekämpfung greift bei Crystal nicht.
Auf der Fachtagung im Juli 2012 in Leipzig hat Herr Dr. Trauer vom Institut für Rechtsmedizin von der Universität
Leipzig gesagt: „Wer nach Vorschrift einen Kuchen backen kann, kann mit einer Kurzanleitung und den erforderlichen Ausgangsstoffen auch Crystal herstellen.“ So sieht die Lage aus.
Natürlich.
Ich empfinde es nicht so, dass ich hier schwimmen würde, sondern ich versuche das herunterzubrechen, worum es geht.
Wir haben eine Aktuelle Debatte zu Crystal und ich versuche das Thema aufzuzeigen. Das Thema ist natürlich aktuell und wir haben einen massiven Zuwachs.
Ja, es steht in dem Programm.
Ja, und wir verbinden damit natürlich eine entsprechende Aufklärung und wollen einen selbstbestimmten Konsum von Substanzen ermöglichen.
Ja, es ist so. Wir wollen damit auch Kriminalität einschränken. Sabine Friedel hat bereits den Bericht der Global Commission on Drug Policy erwähnt, in dem ehemalige Regierungschefs und Wissenschaftler erklärt haben, dass der Krieg gegen die Drogen, wie er in den letzten 40, 50 Jahren geführt worden ist, gescheitert ist. Repression hat mehr Drogentote erzeugt als die Substanzen selbst.
Bitte.
Das habe ich, wenn dem so sein sollte, zum Glück nicht gehört. Aber es ist bezeichnend für den Umgang hier, und getroffene Hunde bellen.
Zurück zum Thema. Ich habe dieses Zitat gebracht. Die Herstellung von Crystal ist einfach. Es wird in sogenannten mobilen Küchen hergestellt. Die Gerätschaften dazu lassen sich in einer großen, geräumigen Sporttasche unterbringen. Die Substanz wird in ländlichen Regionen – übrigens auch in Deutschland – in diesen mobilen Küchen, die schnell versetzbar sind, hergestellt. Die Ausgangsstoffe sind nicht rezeptpflichtige Medikamente, die man hier legal erwerben kann. Wann kommt man beispielsweise einmal darauf, wie in den USA Ephedrin zu verknappen? Auch dafür gibt es Ausweichmöglichkeiten. Es gibt circa 20 sogenannte Kochvorschriften, die derzeit kursieren. Dort muss angesetzt werden.
Sachsen braucht keine plumpen, teuren Repressionen. Das haben zum Beispiel die Komplexkontrollen in Leipzig gezeigt. Sie haben mit einem riesigen Geldaufwand, einem riesigen personellen Aufwand nur sehr geringe Erfolge erzielt. Das hat die Polizei eingesehen und sie wurden wieder abgeschafft.
Was macht Repression? Repression verdrängt die Probleme in den Privatbereich. Dort hat Suchthilfe keinen Zugriff mehr auf die Menschen, die Hilfe benötigen. Und sie verdrängt die Probleme in den Knast. Damit kann sich ja dann die externe Suchtberatung in den Justizvollzugsanstalten beschäftigen.
Sachsen braucht stattdessen ein Suchthilfesystem, das flexibel und angepasst an Suchttrends und Nutzergruppen ist.
– Das mache ich. – Es muss gut ausgestattet sein. Es muss niedrigschwellige, schnelle Kontaktmöglichkeiten geben. Bei Crystal sind die Erstkontaktzeiträume ganz wichtig. Die Vermittlung in Entgiftung und Therapie muss viel schneller passieren. Wir brauchen Suchtprävention und neue Konzepte dafür, die zielgruppen- und lebenslagenspezifisch organisiert sind, damit sie die richtigen Zielgruppen erreichen können.
Eine konstruktive Debatte wird aufgrund unserer Anträge heute Abend noch möglich sein.
Danke, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drogen und Süchte gibt es, seit es Menschen gibt. Immer wieder suchen sich die Menschen Rauschmittel, die zu ihrem Lebensgefühl, ihren Lebensumständen und dem aktuellen Zeitgeist passen. Die gar nicht so neue Droge Crystal, die weltweit auf dem Weg dazu ist, die Droge Nummer eins zu werden, ist ein Rauschmittel, das perfekt in unsere Zeit passt.
Metamphetamin sorgt dafür, dass die Konsumentinnen und Konsumenten wach, selbstbewusst und lange leis
tungsfähig werden. Sie fühlen sich unter dem Einfluss der Droge ungeheuer stark und gut. Im Gegensatz dazu werden Müdigkeit, Schmerz, Hungergefühl unterdrückt. Vordergründig hilft Crystal also, über eine gewisse Zeit und in geringen Mengen konsumiert, dauerhaftem Leistungsdruck in Schule, Universität oder im Betrieb standhalten zu können, mitzuhalten oder andere sogar überflügeln zu können.
Doch dort, wo der menschliche Körper ungeheure körperliche und psychische Kräfte zur Verfügung stellt, werden im Gegenzug die Erschöpfung und der schnell einsetzende geistige und körperliche Verfall umso größer sein.
Aus klinischen Studien und aus der Praxis in unseren Suchthilfeeinrichtungen sowie den Erfahrungen in Ländern wie den USA wissen wir, dass die schnelle psychische Abhängigkeit und die gesundheitlichen wie persönlichen Folgen für die Betroffenen und für ihr gesamtes soziales Umfeld verheerend sind.
Was unsere Gesellschaft von den Menschen fordert und Crystal ihnen für kurze Zeit gibt, nämlich permanente Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Belastbarkeit, können die Abhängigen oft über viele Jahre dann nicht mehr bringen. Der Abstieg geht schnell. Der Weg zurück in ein halbwegs normales Leben ist dafür umso länger. Es ist ein langer Weg, der die Hilfesysteme stark fordert. Es ist ein Weg, der eine vielschichtige, engmaschige Begleitung und Betreuung braucht, und das oft über viele Jahre hinweg.
Doch dieser Weg, der eine breit aufgestellte, eine flexible und reaktionsfähige Suchthilfelandschaft braucht, ist ohne jede Alternative. Aus den spezifischen Folgen der Metamphetaminsucht ergeben sich spezifische Probleme und Anforderungen für unser Gesundheitssystem, für die Suchtkrankenhilfe, für die Sozial- und Familienhilfe und für viele andere Bereiche, von denen ich einige kurz aufzählen möchte:
Die hohe Neurotoxizität von diesem Metamphetamin führt zu starken Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, zu besonders vielen drogeninduzierten Psychosen und anderen schweren psychischen Störungen, zu starken Schäden an Zähnen und Haut. Die Grenzen der Wahrnehmung zwischen Nähe und Distanz verschwimmen. Die normalen Regeln des Zusammenlebens können nicht mehr eingehalten werden, und der regelmäßige Konsum führt häufig zu hoher Aggressivität und Gewaltbereitschaft.
Als Resultat dieser Symptome sind die Abhängigen kaum in der Lage, über den Moment hinauszudenken. Es fällt ihnen schwer, Absprachen und Termine einzuhalten. Deshalb brauchen sie, wenn sie einmal bereit sind, Hilfe anzunehmen oder zu suchen, sofortige engmaschige und motivierende Unterstützung.
Durch die besonderen Auswirkungen des Gebrauchs von Crystal und die große Breite der Konsumentengruppe – inzwischen hat diese Droge nahezu alle Gesellschaftsschichten erreicht – haben sich auch die Zugänge zur
Suchthilfe stark verändert. Deshalb erreicht Schätzungen von Experten zufolge nur etwa die Hälfte der CrystalAbhängigen, die Hilfe suchen wollen, überhaupt das Suchthilfesystem, denn das Suchthilfesystem ist klassischerweise auf Alkohol- und Opiatabhängigkeit ausgerichtet.
Kurz und knapp: Es sind nicht nur die Klientenzahlen, die stark ansteigen, und es handelt sich bei Crystal nicht um einen neuen Drogentrend von vielen. Auch die Folgen der Sucht, die Langwierigkeit der Behandlungen, das Ausmaß der individuellen Schädigung und die Zugänge und allgemeinen Anforderungen an das sächsische Suchthilfesystem haben sich durch den gestiegenen Gebrauch der Droge massiv verändert.
Die Suchtberatungs- und -behandlungsstellen bilden das zentrale Element der sächsischen Suchthilfe. Frau Herrmann ist darauf eingegangen. Die Mitarbeiterinnen der SBBs, die ein hohes persönliches Engagement und eine große selbst erarbeitete Expertise vorweisen können, arbeiten seit Langem an den Grenzen der Belastbarkeit. Diese Belastung ist vor allem in den letzten drei Jahren – vor allem durch Crystal – nochmals deutlich gestiegen. Da das Personal schon vor dem derzeitig massiven Anstieg von Crystal-Konsumenten knapp war und der empfohlene Betreuungsschlüssel – Frau Kollegin
Herrmann hat es gesagt: eigentlich eine Suchtberaterin/ein Suchtberater auf 20 000 Einwohnerinnen und Einwohner – nur in den drei Großstädten erreicht wird, ist ein Sofortprogramm zur Aufstockung des Personals, wie es im Antrag der GRÜNEN gefordert wird, sinnvoll.
Aber das reicht unserer Meinung nach nicht aus. Die gesamte Suchthilfestruktur und die angrenzenden Hilfestrukturen müssen sich ebenfalls den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Suchtberatungs- und –behandlungsstellen versuchen zwar, sich professionell so zu verhalten, verfügen aber nicht über die entsprechenden Mittel und die institutionellen Rahmenbedingungen, um auf veränderte Drogentrends reagieren zu können. Hier ist die Staatsregierung gefordert, endlich tätig zu werden.
Neben einer Aufstockung des Personals muss das Punktesystem der Leistungsbewertung, über das die Abrechnung der Beratungs- und Behandlungsstellen erfolgt, verändert werden, und es muss zum Beispiel der Anteil präventiver Arbeit viel stärker berücksichtigt werden, als das derzeit der Fall ist.
Inzwischen ist jedoch nicht nur die Suchthilfe direkt von dem Problem Crystal betroffen. Auch in der Jugendhilfe, in der Familienhilfe und anderen Einrichtungen der sozialen Daseinsfürsorge sorgt die aktuelle Crystal-Welle für einen deutlich erhöhten Arbeits- und Betreuungsaufwand und für zahlreiche neue Herausforderungen. Diesen sind die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den betroffenen Einrichtungen nur schwer gewachsen.
Noch schwieriger stellt sich die Situation in nicht sozialpädagogisch geschulten und fachfremden Bereichen, wie beispielsweise den Jobcentern, der Bewährungshilfe oder – das ist bereits mehrfach angesprochen worden – in
Einrichtungen der Geburtshilfe, dar. Als Teil von Prävention und Suchthilfe gleichermaßen brauchen wir hier breite berufsgruppenübergreifende Weiterbildungsangebote und eine Berücksichtigung der erhöhten Arbeitsbelastung bei Personal- und Mittelausstattung.
Die Prävention, die in der klassischen Form polizeilicher Präventionsarbeit kaputtgespart wurde und wird, muss ausgebaut und weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine breite Palette aus vielfältigen, dabei zielgruppen- und lebensweltspezifischen Angeboten. Das ist eine Arbeit, die unseres Erachtens nur von den erfahrenen freien Trägern der Jugend- und Suchthilfe geleistet werden kann. Dazu müssen diese Einrichtungen entsprechend ausgestattet sein. Dazu muss für diese Arbeit Zeit und Geld zur Verfügung gestellt werden.
Eine grundlegende Bedingung, die immer wieder von Experten gefordert wird, ist es, einem Menschen, der Crystal konsumiert und der sich in Beratung oder Behandlung begeben möchte, einen Erstkontakt innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen. Derzeit müssen Klienten bis zu sechs Wochen auf einen Termin warten. Ich habe mir diese Zahl nicht ausgedacht.
Ja, es ist schön, dass Sie das jetzt erklären. Sie können darauf nachher gern noch einmal eingehen. Das ist ein Beispiel aus Chemnitz, von dem die Stadtmission berichtet hat. Die Leute sind einfach überlastet. Es geht darum, dass Betroffene erst einmal einen Erstkontakt aufnehmen wollen und nicht schon von der Entgiftung kommen.
Zu der Entgiftung komme ich jetzt auch noch, Frau Clauß. Auch die Zeit, um einen Platz in der Entgiftung zu bekommen, muss sich drastisch verkürzen. Die Experten empfehlen, dass Entgiftungen spätestens 48 Stunden nach dem Wunsch der Klienten beginnen können müssen.
Gerade die langen Wartezeiten, die wir in Sachsen haben, sowie lange Antrags- und Bewilligungszeiträume wirken sich bei Crystal-Konsumenten nochmals negativer aus als bei Konsumentinnen und Konsumenten anderer Substanzen.
Deshalb fordern wir die Anpassung der Therapie- und Behandlungswege sowie eine bedarfsgerechte Anpassung der Behandlungskapazitäten, der Personalausstattung und der Zeitbudgets, die für Beratung, Behandlung und Betreuung zur Verfügung stehen.
Damit bin ich beim Punkt Suchthilfekette. Dieser Punkt wurde heute Mittag in der Aktuellen Debatte leider kaum berücksichtigt. Er stellt aber einen Schlüsselpunkt bei der Betreuung und Therapie dar.
Die bestehenden Probleme der Suchthilfekette sind einerseits mangelhafte und bürokratische Vernetzung und andererseits mangelhafte Durchlässigkeit und Quereinstiegsmöglichkeiten. Die Probleme, die meine Fraktion hier im Hohen Haus regelmäßig – ich sage bestimmt seit zehn Jahren – benennt, verschärfen sich bei der Crystal
Problematik zusätzlich und führen zu unglaublich hohen Rückfallquoten und Therapiemisserfolgen, wie ich es mit dem folgenden Beispiel verdeutlichen will.
Ich möchte aus dem Jahresbericht der psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke des Caritasverbandes Zwickau zitieren. Es handelt sich um einen Brief, mit dem sich die Caritas Zwickau im September des vergangenen Jahres an stationäre Drogenentwöhnungseinrichtungen gewandt hat, mit denen sie zusammenarbeitet. Darin heißt es – ich zitiere –: „Wir müssen bilanzieren, dass die Rückfallquote bei CrystalAbhängigen nach Entwöhnungen innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten nach Behandlungen gegen 100 % geht, und zwar trotz unmittelbar nach Therapie engagiert und hochfrequent begonnener Nachsorge, trotz in vielen Fällen gelingender Re-Integration in das Erwerbsleben und trotz einer im Einzelfall sehr ernsthaften Abstinenzabsicht der Betroffenen.“
Wir schneiden hier also einen weiteren wichtigen Bereich in der Suchthilfekette an, die Nachsorge. Auch hierbei gibt es entsprechende Veränderungsbedarfe.
Die Caritas Zwickau empfiehlt sogar – das schreibt sie selbst – nach reiflicher Überlegung – – Es ist unglaublich laut im Saal.
Der neue Papst wird dadurch auch nicht eher bekannt.
Also, auch im Bereich der Nachsorge gibt es entsprechende Veränderungsbedarfe. Die Caritas Zwickau empfiehlt in diesem Schreiben an späterer Stelle sogar nach reiflicher schwerer Überlegung, dass bereits in der Therapie darauf hingewirkt wird, dass Betroffene für zwei bis drei Jahre nicht in ihren Heimatort zurückkehren, sondern zunächst anderswo, also entfernt ansässig werden, da in der alten Umgebung häufig zu viele sogenannte Trigger-Situationen, also Auslösesituationen, für einen Rückfall entstehen können. Auch das stellt die Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen.
Eine bessere Vernetzung, lückenlose Übergänge und neue Ansätze zwischen den Hilfeabschnitten entstehen nicht durch das Engagement einzelner Fachkräfte. Wir brauchen, wie es am Beispiel der Betreuung der Kinder von Crystal-abhängigen Eltern von den Fachkräften der Suchthilfe gefordert wird, standardisierte Verfahren der Kooperation und Kommunikation. Wir brauchen, um beim Beispiel zu bleiben, „standardisierte Maßnahmen zur Verhinderung von Effekten der Rückkopplung von Eltern auf ihre Kinder“.
Von solchen Standards sind wir in Sachsen noch weit entfernt. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass das nicht an den Fachkräften, sondern an der zehn Jahre hinterherhinkenden Politik liegt.
Frau Clauß, ich hätte mich hervorragend an Ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag abarbeiten können.
Sie belegt meines Erachtens das Ausmaß – ich kann es leider nicht anders sagen – Ihrer Ahnungslosigkeit oder Ignoranz. Ich denke aber, das wäre der Debatte hier nicht angemessen.
Stattdessen möchte ich ein paar Fragen an Sie richten. Ich hoffe, dass Sie in Ihrem Statement darauf eingehen können und werden.
Die Broschüre der Stadtmission Chemnitz über Crystal Meth ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Sie benennen diese Broschüre in Ihrer Stellungnahme als ein Beispiel für eine kurzfristige Maßnahme. Sie haben sich wohlgemerkt nur an den Druckkosten, nicht aber an der Erstellung der Broschüre beteiligt.
Ich möchte wissen: Welche Maßnahmen haben Sie darüber hinaus ergriffen, um Informationsmaterialien bereitzustellen bzw. um dem Phänomen Crystal insgesamt entgegenzuwirken? Wie wollen Sie die Prävention ausbauen? Sie schreiben, dass Sie – ich zitiere – „ausgewählte nichtpolizeiliche Träger der Drogenprävention zielgerichtet informieren“ wollen. Was genau ist darunter zu verstehen? Wer sind diese Träger und wie werden sie ausgewählt? In welchem Umfang bieten sie beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Umgang mit Crystal-Konsumenten auch für Menschen und Berufsgruppen, die eben nicht direkt auf dem Gebiet der Drogenprävention oder Suchthilfe tätig sind. Ich hoffe, dass Sie darauf Antworten geben können.
Sie sagen, Sie wollen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ins Gespräch kommen – schön und gut, wenn auch verspätet. Sachsen hat einen Erfahrungsvorsprung von bis zu zehn Jahren vor in anderen Bundesländern zu erwartenden Entwicklungen. Dieser Vorsprung muss genutzt werden.
Meine Damen und Herren! Sachsen hat die Aufgabe, die für andere Bundesländer eine Chance bedeuten kann, ein Vorreiter im Umgang mit dem Drogenphänomen Crystal und bei einer Suchthilfepolitik im Sinne einer modernen, an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts angepassten Sozialpolitik zu werden. Dazu müssen wir endlich neue Wege einschlagen und neue Konzepte ausprobieren. Dazu muss das sächsische Suchthilfesystem, das über kompetente und über erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Drogen- und Suchthilfe und über wissenschaftliche Expertise verfügt, endlich angepasst und reformiert werden, wie es beispielsweise in den vorliegenden Anträgen vorgeschlagen wird. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Das Recht auf Asyl ist also ein Menschenrecht.