Protocol of the Session on January 30, 2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 69. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages.

Zuerst darf ich Frau Kollegin Heike Werner ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren und ihr alles Gute sowie viel Gesundheit wünschen.

(Beifall – Rico Gebhardt, DIE LINKE, überreicht Blumen.)

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt – es sind allerhand; die Grippewelle verschont uns nicht –: Frau Klepsch, Herr Kosel, Herr Modschiedler, Herr Bandmann, Frau Dr. Runge, Frau

Firmenich, Herr Lehmann, Herr Bartl, Frau Bonk und Herr Pecher.

Meine Damen und Herren, die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 und 4 sowie 6 bis 10 folgende Redezeiten festgelegt: CDU bis zu 105 Minuten, DIE LINKE bis zu 70 Minuten, SPD bis zu 42 Minuten, FDP bis zu 42 Minuten, GRÜNE bis zu 35 Minuten, NPD bis zu 35 Minuten, Staatsregierung 70 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen können auf diese Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zur Tagesordnung oder gar Widerspruch gegen diese. – Damit ist die Tagesordnung der 69. Sitzung bestätigt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Fachregierungserklärung zum Thema

„300 Jahre Nachhaltigkeit – Jubiläum einer Idee aus Sachsen“

Ich übergebe das Wort an den Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, Herrn Kollegen Kupfer. Bitte, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Sie finden Nachhaltigkeit modern? Wir auch – seit 300 Jahren!“ Das ist das Motto, unter das die Forstwirtschaft das Jahr 2013 gestellt hat. Ich finde, das ist ein gutes Motto; denn es erinnert daran, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ vor 300 Jahren in Sachsen – von Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz – geprägt wurde.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Regierte damals schon die CDU? – Michael Weichert, GRÜNE: Nur schade, dass das keiner mehr weiß, der jetzt an der Regierung ist!)

Auch mich hat es in vielen Gesprächen, die ich auf der Grünen Woche geführt habe, geärgert, dass zwar der Begriff „Nachhaltigkeit“ bekannt ist, aber nicht dessen Ursprung.

Es war auf der Ostermesse des Jahres 1713, als Hannß Carl von Carlowitz seine „Sylvicultura oeconomica“ vorstellte und darin den Begriff der „nachhaltenden Nutzung“ unserer Wälder festschrieb. Warum hat er das damals getan? Sachsen war erfolgreich im Erzbergbau. Für diesen brauchte man Holz, sowohl für die Minen selbst als auch für die Verhüttung der Erze. Das hatte zum Resultat, dass die Wälder überstrapaziert wurden. Sie wurden abgeholzt – nicht nur an den Standorten des Bergbaus selbst, sondern bis in die höheren Kammlagen hinein.

Hannß Carl von Carlowitz hat die These aufgestellt, dass man aus den Wäldern nicht mehr Holz entnehmen solle, als natürlich nachwächst. Man solle die Wälder „nachhaltend“ nutzen. Aus „nachhaltender“ ist später „nachhaltige“ Nutzung bzw. der Begriff „Nachhaltigkeit“ geworden.

Interessant ist, dass auf derselben Ostermesse des Jahres 1713 das Meißner Porzellan erstmals der Welt vorgestellt worden ist. Jeder weiß, dass das Meißner Porzellan aus Sachsen kommt. Wir arbeiten daran, dass auch das Wissen darum, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ aus Sachsen kommt, wieder im Bewusstsein der Menschen verankert wird.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Der Nachhaltigkeitsbegriff selbst ist mittlerweile fest verankert. Das Adjektiv „nachhaltig“ ist aus der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Arbeitsplätze, Energie, Kapitalkraft, selbst Essen und Trinken – alles soll nachhaltig sein.

Vielleicht sollten wir alle uns wieder etwas mehr auf den ursprünglichen Sinn von „nachhaltiger Nutzung“ rückbesinnen. Unabhängig von dem modischen Etikett ist es angesichts von weltweitem Hunger, von Armut, Umweltzerstörung, Klimawandel und politischer Instabilität nach wie vor notwendig, keinen Raubbau an der Natur zu betreiben, ressourcenmäßig nicht über die eigenen Verhältnisse zu leben und den sozialen Zusammenhalt zu sichern.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Dabei ist jedes Land gefordert, den eigenen Worten auch Taten folgen zu lassen. Das tut der Freistaat Sachsen. Wir

haben nachhaltiges, bewusstes Handeln in vielen Lebensbereichen etabliert, wohl wissend, dass bei uns andere Probleme anstehen als beispielsweise in den wirtschaftlich aufstrebenden Staaten Asiens, Lateinamerikas oder Afrikas. Dort geht wirtschaftliches Wachstum häufig noch sehr stark zulasten von Umwelt und Gesundheit.

Wir im Freistaat Sachsen agieren im weltweiten Vergleich auf einem hohen, sogar auf einem sehr hohen Niveau. Und doch stehen auch bei uns Aufgaben an – das will ich nicht verhehlen –, die es für eine weiterhin positive Entwicklung unseres Freistaates zu lösen gilt. So verlangen die Folgen der demografischen Entwicklung ebenso Antworten wie die stetig steigenden Anforderungen an Bildung und Ausbildung, knapper werdende Finanzmittel, Klimawandel, Flächenverbrauch, Energiesicherheit und Artenschwund.

Der Freistaat Sachsen hat deshalb eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie erstellt, die – dem Erbe des Oberberghauptmanns folgend – als politische Leitlinien langfristig eine positive und – hier benutze ich ganz bewusst den Begriff – nachhaltige Entwicklung unseres Freistaates sicherstellen sollen. Ich danke an dieser Stelle meinen Kollegen im Kabinett sehr herzlich für die gemeinsame Erarbeitung dieser Strategie. Sie gibt die Richtung vor – für die Verwaltung, für die Kommunen und für die Bürgerinnen und Bürger im Land. Ziel ist, sich gemeinsam einer Lösung anzunähern.

Kern der Nachhaltigkeitsstrategie sind acht Handlungsfelder: Bildung nachhaltig gestalten; nachhaltige Finanzpolitik; Klima schützen – Energie effizient nutzen – Versorgung sichern; natürliche Lebensgrundlagen sichern; Städte und ländliche Regionen gemeinsam entwickeln; Wirtschaftswachstum und Innovation; Fachkräftepotenzial sichern und nutzen; Gesundheit und Lebensqualität erhalten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Die Handlungsfelder unserer Nachhaltigkeitsstrategie sind zunächst – in Anlehnung an die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie – bis 2020 konzipiert, sollen aber auch darüber hinaus angepasst werden. Jedem Handlungsfeld sind Indikatoren zugeordnet, die Auskunft über die Umsetzung der vorgegebenen Ziele geben. Alle Handlungsfelder sind bewusst nicht nur auf ein Ressort zugeschnitten, sondern ressortübergreifend angelegt.

Schließlich versteht die Staatsregierung Nachhaltigkeit als einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, bei dem auch Fachpolitiken miteinander verzahnt werden. Wir fangen, meine Damen und Herren, im Freistaat Sachsen nicht bei null an. Sachsens Regierung hat von Anfang an auf eine solide und nachhaltige Wirtschafts-, Finanz-, Bildungs-, Städtebau- und Umweltpolitik geachtet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir können durchaus stolz auf das sein, was in den letzten Jahren hier in Sachsen geleistet wurde. Wir können stolz sein auf die Aufbauleistungen der vergangenen Jahre, auf

das, was in Wissenschaft, Kunst, Kultur und Umwelt in unserem Freistaat getan wurde.

Denken Sie einmal an die Zeit vor 1989 zurück, welches Erbe wir übernommen haben: saure und kontaminierte Böden, fast tote Flüsse und Betriebe, die auf Verschleiß gefahren wurden. Dagegen fanden Nachhaltigkeitsaspekte nach der Wiedergründung des Freistaates Sachsen sehr schnell Eingang in viele Bereiche der Politik. Ich kann das auch an Beispielen belegen, meine Damen und Herren.

Sachsen verabschiedete bereits 1991 als zweites aller Bundesländer nach Baden-Württemberg – damals noch in Verantwortung der CDU – ein eigenes Gesetz zum Bodenschutz. Bereits 1991, meine Damen und Herren! 1994 wurde der Nachhaltigkeitsgedanke in unseren ersten Landesentwicklungsplan aufgenommen, beispielsweise mit den Zielen des Gewässerschutzes, einer umweltfreundlichen Landnutzung sowie der Sanierung der Bergbaufolgelandschaften und des Uranbergbaus. Mit Milliarden von Euro und ingenieurtechnischen Spitzenleistungen wurden aus Mondlandschaften wieder attraktive, lebenswerte und den Tourismus anziehende Regionen.

(Beifall bei der CDU)

Zu nennen, meine Damen und Herren, sind auch die Dorfentwicklungsprogramme, die gerade im ländlichen Raum viel dazu beigetragen haben, dass sich die Regionen entwickeln konnten. Umweltauflagen trugen entscheidend zur Attraktivität des gesamten Landes bei. Trotzdem – und das will ich auch nicht verhehlen – ist Sachsens Industrie seit 1995 – mit einem Jahr Unterbrechung – stärker gewachsen als die deutsche Industrie insgesamt, und dabei konnte – das ist mir ganz besonders wichtig zu sagen – die lineare Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch entkoppelt werden. Die Wirtschaft ist gewachsen, aber der Energieverbrauch ist nicht genauso stark gewachsen. Auch das, meine Damen und Herren, ist ein Beleg dafür, dass wir in der Vergangenheit schon nachhaltig gewirtschaftet haben.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Aufbauend auf diesen und vielen weiteren Beispielen sowie den Erfahrungen des Bundes und anderer Länder entschloss sich die Sächsische Staatsregierung zu einer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie. Meine Ministerkolleginnen und -kollegen und ich selbst natürlich hoffen, dass es nicht nur ein Handlungspaket der Regierung wird, sondern auch Unternehmen, Schulen, Universitäten und vor allen Dingen die Bürgerinnen und Bürger animiert, das Erbe des sächsischen Oberberghauptmannes anzunehmen.

Schauen wir uns jetzt einzelne Handlungsfelder genauer an. Ich möchte mit der Bildung, dem ersten Feld unserer Nachhaltigkeitsstrategie, beginnen. Sachsen, meine

Damen und Herren, ist ein Land, in dem die Bildung von Anfang an großgeschrieben wurde. Nachhaltig, das heißt für künftige Generationen gut angelegt, sind beispielswei

se unsere im Bundesvergleich hochwertigen Angebote für die Kinderbetreuung. Bei den unter Dreijährigen liegen wir mit einer Betreuungsquote von 46,4 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 27,6 %. Übrigens lernen die Kleinen bereits in jeder zweiten sächsischen Kindertagesstätte in einem sogenannten „Haus der kleinen Forscher“. Sie lernen dort, sich früh mit Naturphänomenen, aber auch mit mathematischen und technischen Dingen auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nachhaltig gut investiert sind auch die 2,5 Milliarden Euro, mit denen allein das Kultusministerium seit Anfang der Neunzigerjahre den Schulhausbau gefördert hat, sowie die mittlerweile fast flächendeckenden Ganztagsangebote in den allgemeinbildenden Schulen, bei denen wir bundesweit eine Spitzenposition einnehmen. Ab dem Schuljahr 2013/2014 wird übrigens mit pauschalen Zuweisungen das Förderverfahren erheblich vereinfacht. Auch die Kontinuität, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit unseres Bildungssystems, dank dessen Sachsens Schüler bereits seit sieben Jahren einen Spitzenplatz beim bundesdeutschen Bildungsmonitor verteidigen können, trägt zu unserem Nachhaltigkeitsziel, der Stärkung Sachsens als Kultur-, Bildungs-, Forschungs-, Wissenschafts- und Technologiestandort, bei.

Das sind Fakten, meine Damen und Herren, auf die wir stolz sind und die uns durchaus motivieren. Sie sind jetzt in einer Nachhaltigkeitsstrategie mit messbaren Indikatoren verankert. Einer davon ist beispielsweise die Quote der Schulabgänger ohne Schulabschluss. Diese liegt in Sachsens Mittelschulen bei 3,3 %. Hinter diesen 3,3 %, meine Damen und Herren, stehen 750 Schüler. Ich sage ganz deutlich: Jeder dieser Schüler ist ein Schüler zu viel.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Und so versuchen wir, für leistungsschwächere Schüler eine berufliche Perspektive zu finden, indem diese schon ab der achten Klasse Berufseinstiegsbegleiter zur Seite gestellt bekommen.

Meine Damen und Herren! Nachhaltigkeit ist auch Ziel und roter Faden unseres Handlungsfeldes „Gesundheit und Lebensqualität erhalten“. Der Leitindikator dieses Handlungsfeldes ist die Lebenserwartung. Meine Damen und Herren, jetzt hören Sie genau zu: Diese stieg zwischen 1989 und 2011 um fast sieben Jahre. Wenn das kein Beweis für nachhaltige Entwicklung ist!

(Beifall bei der CDU)

Die aktuelle Lebenserwartung neugeborener Jungen liegt bei 77,3 Jahren, die neugeborener Mädchen bei 83,2 Jahren. Wenn Sie sich den Ost-West-Vergleich und die Ausgangssituation ansehen, war die Lebenserwartung im Osten viel geringer als im westlichen Teil Deutschlands. Das hatte natürlich Ursachen, die ich vorhin schon beschrieben habe. Jetzt sind wir fast auf gleichem Niveau. Die Angleichung ist fast gelungen.

Eine entscheidende Grundlage für die gestiegene Lebenserwartung ist eine gute medizinische Versorgung, und es ist ein wichtiges Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie, allen Sachsen weiterhin eine flächendeckende medizinische Grundversorgung zu ermöglichen.