Wolfgang Große Brömer
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Last Statements
Frau Ministerin Sommer, Sie haben gerade vorgeschlagen, eine einzelne Schule zu betrachten. Ich versuche jetzt einmal, das aus der Praxis heraus einzuschätzen. Der Einsatz eines Schulpsychologen oder einer Schulpsychologin hat nur dann Sinn und Zweck, wenn der Bedarf für diesen Einsatz an einer Schule gegeben ist.
Nun ist zum Beispiel an einer Schule X der Bedarf vorhanden, diese Schule ist aber planstellenmäßig überbesetzt. Sie kann nichts einsparen bzw. müsste im Gegenzug Lehrerstellen abgeben. Die Nachbarschule Y hat vielleicht keinen Bedarf an Schulpsychologen, aber eine Stelle frei. Sie möchte diese Stelle jedoch für den Unterricht einsetzen. Ich sehe einen Widerspruch zwischen dem Bedarf an einer einzelnen Schule, …
Ja, ich versuche das gerade.
… der aus einer Notsituation heraus gegeben sein kann, und der real existierenden Lehrerstellenbesetzung. Wie können Sie diesen Widerspruch des Einsatzes aus Sicht des Schulministeriums lösen?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eben ist ja schon die Frage gestellt worden, wie eigentlich die Begründung für die Beantragung der Aktuellen Stunde des heutigen Tages lautet.
Ja; man könnte jetzt platt antworten, das müsse mit dem Datum zusammenhängen. Wir haben heute den 1. April.
Ich bin jetzt aber etwas irritiert; denn offensichtlich ist die Rede von Frau Ministerin Sommer mit ihrem Bekenntnis zur Schulform Realschule doch ernst gemeint gewesen.
Es wäre sicherlich angebracht, bei einem solchen Thema zumindest mit einem Satz darauf hinzuweisen, dass auch andere Schulformen in diesem Land gute Arbeit leisten.
Ihre Reaktion zeigt ja, worum es eigentlich geht. Melden Sie sich doch bitte zu Wort, wenn Sie etwas Wichtiges zu sagen haben. Tun Sie das ruhig.
Es zeigt sich wieder, wie nervös Sie eigentlich sind. Den Kern der ganzen Geschichte hat Frau Schäfer eben schon dargestellt.
Es geht darum, dass das Verhältnis zwischen dem Realschullehrerverband und diesen Koalitionsfraktionen offensichtlich völlig zerworfen ist. Darum geht es doch.
Die Vorsitzende des Realschullehrerverbandes hat ihre Teilnahme an der Anhörung zum Lehrerausbildungsgesetz am letzten Mittwoch in allerletzter Minute abgesagt. Damit wollte sie offensichtlich demonstrieren, dass sie mit Ihrer Koalition zurzeit kein gutes Wort zu wechseln hat. Das ist doch der Hintergrund.
Jetzt versuchen Sie mit dieser Aktuellen Stunde, sich wieder anzubiedern und als Partner für eine Schulform anzubieten, die Sie in den letzten Wochen und Monaten vernachlässigt haben, weil Sie bei Ihrer Bildungspolitik nämlich keinen Plan haben!
Dieses Parlament müsste sich eigentlich zu schade dafür sein, für diese Anbiederei eine Aktuelle Stunde zu opfern, nur damit Sie Ihr Verhältnis zum Real
schullehrerverband wieder in richtige, gerade Bahnen lenken können.
Ihr Text zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde ist einfach beschämend. Frau Schäfer hat diese Begründung auch schon angesprochen. Ich lese nur einen Satz vor. Im zweiten Absatz heißt es:
Die Realschulen sind in Sorge vor allem wegen der Beschlüsse von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die die Zerschlagung des bewährten und erprobten gegliederten Schulsystems gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen wollen.
In diesem Satz der Begründung stecken drei Unwahrheiten.
Erste Unwahrheit: Die Realschulen sind nicht in Sorge, weil SPD und Bündnis 90/Die Grünen über die Reform des Schulsystems diskutieren,
sondern sie sind in Sorge wegen der diffusen, chaotischen Bildungspolitik der Landesregierung.
Ich zitiere:
… in der Regierung propagiert der Juniorpartner FDP offen die regionale Mittelschule... Das CDU-geführte Schulministerium genehmigt reihenweise Verbundschulen, …
Das vollständige Zitat hat Frau Schäfer eben vorgetragen. – Das ist der Grund, warum sich die Realschullehrer an die Öffentlichkeit gewandt haben – nicht wegen der Beschlusslage von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD.
Herr Recker, Sie haben es noch nicht verstanden. Das ist nur ein Teil der Dinge, die Sie noch nicht ganz verstanden haben.
Zweite Unwahrheit: Das Urteil, das dreigliedrige Schulsystem sei erprobt und bewährt, wird leider von der überwiegenden Mehrheit der Bildungsforscher und vom Rest der Welt nicht geteilt.
Außerdem sollten Sie sich über die Begrifflichkeit einige Gedanken machen. „Erprobt und bewährt“ lautet das Urteil, wenn ein relativ altmodisches Auto in „AUTO TEST“ vorgestellt wird.
Ihnen müsste mehr einfallen, was den Inhalt aus Ihrer Sicht etwas besser darstellt.
Dritte Unwahrheit: Weder die SPD noch Bündnis 90/Die Grünen beabsichtigen, die notwendige Reform des Bildungssystems gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen; das unterstellen Sie in Ihrer Begründung.
Ich stelle Ihnen gern die Beschlusslagen zur Verfügung, damit Sie nachlesen können, wenn Sie das nicht verstanden haben, Herr Recker.
Sie haben eben eine Umfrage erwähnt, Kollege Recker. Dabei berufen Sie sich auf die Mehrheit, denn 60 % der Bevölkerung haben mit Nein geantwortet. Die Frage in der Erhebung des PhilologenVerbandes lautete: Finden Sie die Forderung nach der Einführung einer Einheitsschule richtig? – Nur 33 % haben mit Ja geantwortet, weil sie mit dem Begriff „Einheitsschule“ nichts anfangen können.
Wenn Sie nach der „sozialistischen Einheitsschule“ gefragt hätten, wären es nur 20 % gewesen. Diese Diffamierung einer Schulreformvorstellung wohnt Ihnen inne. Das ist bezeichnend für Ihre Art und Weise, mit notwendigen bildungspolitischen Reformvorstellungen umzugehen.
Das i-Pünktchen bei dieser ganzen Geschichte und bei dem Chaos, das sich in Ihrer Auseinandersetzung darstellt, ist die Art und Weise, wie Sie auf die Stellungnahme der evangelischen Kirchen „Bildungsgerechtigkeit und Schule“ reagiert haben.
Meine Damen und Herren, mit allem Respekt und mit aller Ernsthaftigkeit: Wenn der Kollege Stahl auf diese Stellungnahme der evangelischen Kirchen vorgestern in einer Presseerklärung mit den Worten reagiert, er finde es bedauerlich, dass die Stellungnahme in den überkommenen Denkschablonen der Schulstrukturdebatte verbleibe und dass ihr keinerlei Erkenntnisgewinne innewohnten, ist das der Gipfel an Arroganz, Ignoranz und Nervosität, weil Sie nicht einmal in der Lage sind, sich inhaltlich mit der Stellungnahme der evangelischen Kirchen auseinanderzusetzen.
Das ist bezeichnend für die Art und Weise, wie Sie mittlerweile bildungspolitische Diskussionen in diesem Hause führen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kaiser hat gerade appelliert, ruhig zu sprechen und sachlich zu bleiben. Das fällt natürlich schwer, ich versuche es aber trotzdem einmal. Ich will nur einige wenige Anmerkungen machen.
Erste Anmerkung. Herr Kaiser, die Anmerkung geht an Sie und an die anderen Rednerinnen und Redner der Regierungskoalition sowie an Frau Ministerin Sommer. Wenn wir sachlich miteinander umge
hen wollen – und das sollten wir meiner festen Überzeugung nach –, dann sollten wir uns erst einmal auf eine Vorgehensweise einigen.
Wer den Begriff „Einheitsschule“ benutzt, diskutiert ideologisch,
weil er diesen Begriff ganz bewusst als Kampfbegriff einsetzen will.
Zweite Anmerkung. Wer der SPD-Fraktion und der SPD als Partei unterstellt, sie wolle ihr Modell der Gemeinschaftsschule gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, lügt.
Ich möchte Ihnen heute ganz sachlich noch einmal einen Satz aus Ihrem eigenen Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde vorlesen, der bildungspolitische Grundsätze beschreibt. Sie zitieren in Ihrem Antragstext aus dem Parteitagsbeschluss der SPD vom 25. August 2007. Ich zitiere: Die Gemeinschaftsschule „nimmt die Kinder nach der Grundschule auf und ist bis zur Klasse 10 für deren Bildungserfolg verantwortlich“.
Was ist an dieser Aussage eigentlich pädagogisch oder bildungspolitisch falsch? Was ist daran schlecht? Müsste es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich Schulen für den Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler bis zur Klasse 10 verantwortlich fühlen, also dafür verantwortlich fühlen, dass weniger Abschulungen, weniger Sitzenbleiben und weniger Schulwechsel stattfinden?
Wer diesen Satz benutzt, um diese Aktuelle Stunde zu beantragen und eine Einheitsschule an die Wand zu malen, hat gleichzeitig gezeigt, wie beschränkt sein bildungspolitischer Horizont ist, Herr Recker.
Frau Ministerin Sommer, ich bin dankbar für den Begriff Mantra. Das ist die Aussage einer Expertin, die für diese Regierungskoalition gesprochen hat.
Es sind doch Ihre Mantras, die die bildungspolitische Diskussion und die bildungspolitische Entwicklung aufhalten. Ich muss Ihre ständigen Wiederholungen und Ihre ständigen Berufungen auf die Zeit von Frau Ministerin Schäfer zur Sprache bringen.
Was soll das eigentlich? Sie sind jetzt im vierten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung und müssen sich immer noch damit rechtfertigen, dass es vorher angeblich noch schlimmer war. Etwas anderes fällt Ihnen nicht ein.
Es ist einfach chaotisch. Um die chaotische Bildungspolitik dieser chaotischen Landesregierung aktuell auf den Punkt zu bringen, kann ich Ihnen etwas leider nicht ersparen, Frau Ministerin Sommer. Der Punkt kam ganz aktuell heute Morgen bzw. gestern per E-Mail. Wir führen gleich auch dazu ein Obleutegespräch für die nächste Sitzung des Schulausschusses.
Gestern Nachmittag hat sich das Kabinett mit einer Verordnung zur Änderung von Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gemäß Schulgesetz beschäftigt. Heute Morgen wurde ich darüber informiert, dass auf die Tagesordnung der Sitzung am 22. April dringend eine Verordnung über die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für das Berufskolleg und der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für das Weiterbildungskolleg gesetzt werden müssen. Begründung ist, die Prüfungsverordnung solle bereits im Mai zur Grundlage für die Prüfung an den Abendrealschulen gemacht werden.
Meine Damen und Herren, am 1. April bekommen wir aus diesem Kabinett die Information, dass eine Verordnung am 22. April im Schulausschuss verabschiedet werden muss, weil sie im Mai schon Grundlage für Prüfungsverfahren sein soll.
Das ist Chaos, meine Damen und Herren!
Frau Ministerin, zur Klarstellung: Es geht hier nicht um kleinkarierte Fragestellungen, sondern um die Transparenz eines Vorgangs. Deswegen stelle ich meine Frage nicht bezogen auf den neuen Verteilungsschlüssel oder den geänderten Verteilungsschlüssel, sondern ich beziehe meine Frage auf den alten Verteilungsschlüssel, der offensichtlich vorgelegen haben muss. Auf dieser Grundlage haben die Gespräche der Bezirksregierungen stattgefunden, und auf dieser Grundlage haben schulträgerscharf die Schulen ihre Planungen durchgeführt. Ich möchte jetzt von Ihnen wissen, wer diesen alten Verteilungsschlüssel erstellt hat und wann dieser alte, ursprüngliche Verteilungsschlüssel dem Parlament zur Verfügung gestellt wird.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal erstaunen mich Ihre Jubelarien, Ihre Selbstbeweihräucherung und die Basis, auf der diese Jubelarien stattfinden.
Wenn Sie diese Feierstunden auf der Grundlage von rot-grünen Statistiken veranstalten wollen, müssen Sie sich fragen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, wann Ihre Regierungsverantwortung beginnen wird.
Die „Ruhr-Nachrichten“ haben nach den ersten tollen Presserklärungen des Ministeriums ein Forum veranstaltet mit dem Arbeitstitel: Glauben Sie dieser Statistik?
Ich gebe Ihnen die Antwort: Ich glaube dieser Statistik nicht; ich halte sie für eine einzigartige Realsatire.
Das möchte ich Ihnen an einigen Beispielen deutlich machen. Wir stellen uns eine Hauptschule in einem kleinen Ort vor. Diese Hauptschule wird per Zufallsprinzip ausgelost, an der Unterrichtsausfallstatistik von Ministerin Sommer teilzunehmen.
Die Situation an der Schule sieht folgendermaßen aus: Die Schulleiterstelle ist seit einem halben Jahr unbesetzt, weil das schwarz-gelbe Schulgesetz bedauerlicherweise einige juristische Schwachstellen
bei der Schulleiterwahl enthält. In den Fächern Chemie, Physik und Musik herrscht Fachlehrermangel. Deswegen wird Chemie nur in den Jahrgangsstufen 9 und 10, Musik lediglich in den Jahrgängen 5 und 6 unterrichtet. Der Stundenanteil für Physik ist halbiert. Der hohe Migrantenanteil macht eine verstärkte Erteilung des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts erforderlich. Und letztendlich: Wegen seiner katastrophalen Finanzsituation musste der Schulträger das einzige öffentliche Hallenbad des Ortes schließen, weshalb der Schwimmunterricht der Schule ersatzlos gestrichen worden ist.
Bis dahin also nahezu eine typische Situation. Alles in allem ist an unserer Beispielhauptschule der laut Stundentafel zu erteilende Unterricht um insgesamt 20 % gekürzt.
Als der Erhebungszeitraum, Frau Ministerin Sommer, für die Unterrichtsausfallstatistik beginnt, wird die Schule von einer Grippewelle heimgesucht; die Hälfte des Kollegiums erkrankt. Der stellvertretende Schulleiter, sehr erfahren und zwangsläufig auch sehr kreativ, leitet sofort die notwendigen unterrichtsorganisatorischen Maßnahmen ein.
Erstens. Der Biologielehrer, ein ehemaliger Student der Forstwirtschaft und als Seiteneinsteiger eingestellt, führt mit Hilfe von Schülermüttern für den gesamten fünften Jahrgang eine zehntägige Exkursion im Stadtpark durch. Projektthema: „Unsere Zukunft, die Klimakatastrophe!“
Zweitens. Die beiden Sportlehrer organisieren für alle sechsten Klassen
ein zweiwöchiges Sportfest mit dem Arbeitstitel „Wir trainieren für Olympia!“. Der Technikunterricht wird vom Hausmeister übernommen,
Stundenanteile des Deutschunterrichts werden durch die Schulsekretärin erteilt, der muttersprachliche Ergänzungsunterricht Spanisch und Italienisch wird von Türkisch wahrgenommen.
In den Jahrgängen 7 und 9 findet der konzipierte Vertretungsunterricht durch umfangreiche Mehrarbeit des Restkollegiums statt. Der Unterricht wird wie gewohnt erteilt, also zu ca. zwei Dritteln fachfremd. Letztendlich: Im 10. Jahrgang wird selbstgesteuertes Lernen organisiert. Nach dem Prinzip der autodidaktischen selbstevaluierenden individuellen Förderung arbeiten die Schülerinnen und Schüler an einem Zwei-Wochen-Projekt mit dem Thema „Wir wünschen uns einen Ausbildungsplatz!“
Alles klappt reibungslos; die zwei Wochen sind überstanden. Am ersten Tag nach dem Statistikzeitraum fällt jedoch der überwiegende Teil des noch gesunden Kollegiums, völlig entkräftet durch die geleistete Mehrarbeit, aus. Die Schule ist am Ende; sie muss für eine Woche geschlossen werden.
Herr Stahl, ich weiß, dass Sie nicht unterscheiden können zwischen …
Herr Stahl, regen Sie sich doch nicht auf. Ich weiß, dass Sie nicht mehr unterscheiden können zwischen Wirklichkeit und Satire. Das ist völlig klar, Herr Stahl. Das können Sie nicht.
Das Schönste an diesem Szenario – das ist jetzt das i-Tüpfelchen –:
Nach den Kriterien Ihrer Statistik, Herr Stahl, die Sie mit zu verantworten haben,
ist an dieser Schule nicht eine einzige Stunde ausgefallen. Unterrichtsausfall gleich null.
Das ist doch der Punkt. Ihre Statistik,
mit der Sie Ihre Jubelarien hier veranstalten, ist absurd, Herr Stahl. Diese Statistik ist absurd und Sie sollten sie einstampfen.
Herr Stahl, wenn Sie doch alles nur genauso machen wie wir, dann hören Sie doch auf mit der Regierung. Gehen Sie doch in die Opposition!
Sie scheinen Sehnsucht danach zu entwickeln, Herr Stahl. Nostalgisch! Das hat Ihnen wahrscheinlich besser gefallen.
Was wir fordern, ist eine ehrliche, eine transparente Statistik,
die alle Schulen umfasst. Da sind wir einer Meinung mit dem Ministerpräsidenten dieses Landes, der in seiner Regierungserklärung vor mehr als drei Jah
ren von diesem Platz genau dieses angekündigt hat.
Ich will mich jetzt gar nicht weiter in Ihre Wahlversprechen von 2005 vertiefen.
Ich möchte Sie daran erinnern. Die FDP sprach von einem Unterrichtssicherungsgesetz
und die CDU von einer Unterrichtsgarantie. Die Realität sieht völlig anders aus, meine Damen und Herren. Wenn Sie versuchen, die Wählerinnen und Wähler in diesem Land mit dieser Qualität von Statistik so zu betuppen, dann tun Sie mir leid.
Werden Sie endlich transparent, machen Sie das, was Sie versprochen haben, und sorgen Sie wirklich für den Einsatz von Lehrern und für die Versorgung mit Lehrern, die die Wählerinnen und Wähler in diesem Land erwarten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Sommer, Sie haben gerade eben von Verantwortungslosigkeit gesprochen. Ich denke, wenn Sie mit Abstand zum heutigen Tag Ihre eigene Rede noch einmal durchlesen, dann werden Sie mir zustimmen, dass Verantwortungslosigkeit heute in der Tat neu definiert worden ist – nämlich durch Sie.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir alle von der SPDFraktion haben heute nicht erwartet, dass Sie die Größe besitzen und offen zugeben, dass Ihre peinliche, absurde und skandalöse Landespressekonferenz zum Zentralabitur ein Ablenkungsmanöver gewesen ist. Die Größe haben wir von Ihnen gar nicht erwartet.
Wir haben von Ihnen allerdings erwartet,
dass Sie …
Also, die Qualität der Zwischenrufe zeigt den Bildungsstand von einigen Zwischenrufern; da sollte man nach dem Bildungshintergrund fragen, aber dazu komme ich gleich.
Wir haben von Ihnen, Frau Ministerin Sommer, allerdings eine vorsichtige Relativierung Ihrer Äuße
rung, die Sie in der Landespressekonferenz getätigt haben, und insbesondere eine Klarstellung dahin gehend erwartet, wie denn die Koalition eigentlich zu den Äußerungen von Herrn Witzel und anderen Abgeordneten aus der FDP-Fraktion steht, dass nämlich die Gesamtschuloberstufe abzuschaffen sei. Das war die klare Aussage von Herrn Witzel
in der Aktuellen Stunde der letzten Plenarsitzung. Das war die Forderung der FDP-Fraktion. Ist das Inhalt des Koalitionsvertrages? Ist das ein neues Regierungsprogramm? Oder sagt die zuständige Bildungsministerin: „Ach ja, der Bildungstaliban Witzel spinnt so ein bisschen. Er darf ruhig etwas herumerzählen, weil wir selbst ihn nicht ernst nehmen“? – Dazu hätten wir heute gerne eine Klarstellung von Ihnen gehört, Frau Ministerin. Denn das, was Sie gesagt haben, war eigentlich nur eine Wiederholung Ihrer Äußerungen in der Landespressekonferenz, nur mit anderen Beschreibungen und anderen Formulierungen.
Es ist ein Danaergeschenk, wenn Sie den Gesamtschulen Ihre Hilfe anbieten. Denn in der Praxis sieht es genau gegensätzlich aus. Sie sorgen an den Gesamtschulen für eine schlechtere Lehrerversorgung als an den vergleichbaren Gymnasien. Sie sorgen für schlechtere Beförderungsmöglichkeiten. Sie sorgen in einer Nadelstichpolitik gegen die Schulform Gesamtschule für ungleiche Bildungschancen zwischen diesen beiden Systemen.
Dann kommt dieser unsägliche Vorwurf, der außer durch ein ständiges Wiederholen durch den Kollegen Witzel hier an dieser Stelle durch nichts zu belegen ist, dass es in Nordrhein-Westfalen die größte Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft gebe. Schauen Sie einmal in der PISAUntersuchung nach. Achten Sie insbesondere auf die Ergebnisse von Baden-Württemberg und Bayern. Dann werden Sie feststellen, dass Herr Witzel einmal mehr weder repräsentative noch wissenschaftlich fundierte Äußerungen an diesem Pulte loslässt und losgelassen hat.
Sie sagen immer, dass Sie gegen die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft seien. Das ist sicherlich in Ordnung, aber dann müssten Sie etwas gegen ungleiche Bildungschancen tun, Frau Ministerin, und nicht einfach nur sagen, dass der Bildungshintergrund und die Bildungsnähe bzw. Bildungsferne des Elternhauses in unserem Land keine Rolle spielten. Wenn Sie das hier par ordre du mufti festhalten, dann müssen Sie sich auch die Frage gefallen lassen, wie ernsthaft Sie mit der Bildungspolitik in diesem Lande umzugehen gedenken. Denn es ist absolut unwissenschaftlich und absolut falsch, wenn Sie das so verkünden.
Welche Schule erbringt eigentlich die größere Leistung? Ist es die Schule, die eine Schülergruppe, die von der Grundschule die Empfehlung „Gymnasium“ erhalten hat, in sechs Jahren sorgfältig ausliest und dann zu einem Abitur mit der Durchschnittsnote X führt? Oder erbringt die Schule eine pädagogisch größere Leistung, die ihren Schülerinnen und Schülern, welche mehr soziale Problemen aufweisen und bildungsfernere Elternhäuser haben, ein Abitur ermöglicht, das noch nicht einmal eine Drittelzensur schlechter ist als die Durchschnittsnote am Gymnasium?
Welche Schule hat eigentlich die bessere Leistung vollbracht? Diese Leistung an irgendeiner Stelle in dieser Debatte auch nur ansatzweise anzuerkennen, würde Ihnen gut anstehen, Frau Ministerin. Aber Sie tun das Gegenteil. Sie blasen in das Horn der FDP, selbst wenn Sie sich zwischendurch relativierend äußern.
Eines verwundert mich allerdings. Einerseits werfen Sie uns Ideologie vor, und Herr Hachen äußert uns gegenüber diesen unsäglichen Satz, Ihnen ginge es um die Kinder und nicht um Struktur. – Andererseits führen Sie eine Strukturdebatte gegen die Gesamtschule. Dann sind Sie doch wohl unglaubwürdig und haben die Ernsthaftigkeit der Situation nicht erkannt.
Frau Pieper-von Heiden, letzte Anmerkung zu Ihnen: Die Gesamtschulen werden es Ihnen nie recht machen können. Das werden sie nie schaffen. Wenn sie es tatsächlich schaffen, mehr Schülerinnen und Schülern das Abitur zu ermöglichen, dann ist es in Ihren Augen sofort das „Abitur light“. Wenn sie aber beim Zentralabitur um eine Drittelzensur – ich wiederhole es noch einmal – schlechter abschneiden als das Gymnasium, dann hat diese Schulform Ihrer Meinung nach versagt.
Das ist Ihre einfach gestrickte bildungspolitische Kernaussage.
Herr Witzel, Ihnen kann ich wirklich nicht helfen. Dafür fehlt mir die Ausbildung. Das tut mir leid. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Herr Witzel, könnten Sie bitte in kurzen Sätzen dem erstaunten und entsetzten Publikum den Unterschied zwischen einem Vordiplom und einem Abschluss verdeutlichen, der zu einem Besuch der Fachhochschule berechtigt? Ich glaube, dieser Vergleich war nun alles andere als zutreffend.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Sommer, als ehemaligem Leiter einer Gesamtschule läuft es mir kalt über den Rücken, wenn Sie Ihre Hilfe anbieten.
Die Gesamtschule in diesem Land braucht nichts weniger als diese Ihre Hilfe, wie Sie sie heute hier demonstriert haben. Die Gesamtschulen brauchen vielmehr eine gerechte, faire Beurteilung ihrer Tätigkeiten. Und davon waren die Regierungsfraktionen, war die Regierung heute sehr weit, Lichtjahre entfernt.
Es ist letztendlich die Frage zu beantworten: Was hat hier eigentlich heute und per Presseinterviews gestern und in den letzten Tagen stattgefunden? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder war es ein vergeblicher Versuch, von dem Chaos abzulenken, das vor den Ferien stattgefunden hat. Wenn es das war, wenn das Ihre Intention war, Frau Ministerin Sommer, sollten Sie sich sofort bei den Gesamtschullehrerinnen und -lehrern, bei den Schülerinnen und Schülern und bei den Eltern entschuldigen, weil sie für Ihre eigenen Interessen missbraucht worden sind.
Oder aber – das wäre die zweite Möglichkeit – Sie sind mittlerweile an der Leine der Bildungsideologen Ihres kleinen Koalitionspartners und werden selbst für diese – danke schön für das Wort, Kollegin Beer – Taliban-Bildungspolitik aus dieser gelben Scheinfraktion instrumentalisiert.
Dann sollten Sie sich aber, Frau Ministerin Sommer, selbst die Frage stellen, ob Sie sich das wert sind.
Kollege Witzel, Sie haben eben einen Zwischenruf mit den Worten begonnen: in meinem Wahlkreis. Sie haben es immer noch nicht gemerkt, Herr Witzel: Sie haben gar keinen Wahlkreis.
Sie wohnen vielleicht in einem. Aber Sie haben keinen. Sie werden auch nie einen bekommen, wenn Sie so weitermachen.
Was ist Fakt bei dieser traurigen Veranstaltung der Regierungskoalition in den letzten Tagen? Ich will das in Erinnerung rufen und versuchen, geradezurücken, worum es eigentlich geht.
Nach jahrelangen Diffamierungen und nach jahrelangen Vorurteilen ist es endlich so weit, dass zum zweiten Mal in einem Zentralabitur allen Schülerinnen und Schüler in diesem Land, die das Abitur ablegen wollen, die gleichen Prüfungsaufgaben gestellt werden, sodass es gleiche Fragen, gleiche Anstrengungen und gleiche Ansprüche gibt.
Wieder einmal kommt es für Sie – zum zweiten Mal nacheinander – zum Super-GAU.
Es ist doch sehr erstaunlich, dass die handverlesene Schülerschaft an den Gymnasien in diesem Land, die handverlesen von der Grundschule ans Gymnasium gewechselt hat und die jahrelang bis hin in die Klasse 13 aussortiert worden ist, einen Abiturdurchschnitt bekommt, der noch nicht einmal eine Drittelzensur besser ist gegenüber den Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen, die eine heterogene Schülerschaft, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und Elternhäuser mit einem ferneren Bildungshorizont haben.
Trotzdem schneiden sie so gut ab!
Wer diesen Fakt wertneutral und gerecht beurteilen möchte, Kollege Witzel, müsste ein dickes Lob an die Gesamtschulen aussprechen. Er müsste sich Sorgen wegen der Scheinelite an den Gymnasien machen,
die offensichtlich die an sie gestellten Erwartungen überhaupt nicht erfüllen kann.
Diese Frage muss eigentlich von Ihnen beantwortet werden. Ich glaube, dass das noch einen Schritt weiter geht. Lassen Sie uns zum bemerkenswerten Interview von Frau Sommer in der „WAZ“ zurückkommen, das heute erschienen ist. Zum Beispiel steht dort im letzten Absatz dieses Berichts über Frau Sommer:
Ihr Ziel sei, dass Schüler an Gesamtschulen das Abitur mit mindestens so guten Noten schaffen wie an Gymnasien.
Das ist ein schönes Ziel. Aber ich stelle eine ketzerische Frage: Was wäre eigentlich, wenn, Kollege Witzel?
Welche Existenzberechtigung hätte das Gymnasium dann noch?
Denn die Leistung, Schülern mit schwierigerem Hintergrund zu besseren Noten zu führen, ist erheblich anspruchsvoller als das, was das Gymnasium mit einer anderen Schülerschaft leistet. Diese Frage müssen Sie sich stellen.
Ich komme zurück zu den Ausführungen von Frau Ministerin Sommer. Frau Ministerin Sommer, Frau Löhrmann hat eben sehr bemerkenswert darauf hingewiesen, wie ernsthaft die Gesamtfrage behandelt werden muss. Ich habe nach Ihren heutigen Redebeiträgen ein großes Problem. Ich zitiere aus Ihrem Pressetext:
Ich kann das häufig vorgebrachte Argument einer schwierigen Sozialstruktur der Schüler an Gesamtschulen nicht mehr hören.
Frau Ministerin Sommer, es tut mir leid, trotz aller persönlichen Wertschätzung: Sie haben gesagt, Sie könnten das nicht mehr hören.
In diesem Land wächst langsam aber sicher das Gefühl, dass es noch mehr gibt, was Sie nicht können – außer dem Hören!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Sommer, wir fordern nicht Ihren Kopf. Wir fordern nur ein, dass Sie auch selbst das Werteraster beachten, das Sie zum Beispiel bei den Kopfnoten für jeden Schüler und jede Schülerin in diesem Land zugrunde legen. Wir erwarten, dass Sie an irgendeiner Stelle endlich einmal einen Fehler zugeben – und zwar rechtzeitig zugeben – und diese Größe einfach einmal zeigen.
Lassen Sie mich auf ein zweites Missverständnis in dieser Debatte hinweisen, das in einigen Wortbeiträgen nun auch Zeit gekostet hat. – Es geht ja nicht um die Frage, ob das Zentralabitur an sich sinnvoll ist, sondern darum, wie dieses Zentralabitur durchgeführt worden ist.
Insbesondere geht es darum, wie es vorbereitet worden ist, Herr Kollege Solf.
Lieber Kollege Solf, gestatten Sie mir, weil Sie sich jetzt schon lauthals zu Wort melden, vorweg eine grundlegende Bemerkung zu dem Debattenstil, den die beiden Koalitionsfraktionen heute hier gezeigt haben. Herr Kollege Solf, für Ihren Wortbeitrag gibt es eigentlich nur eine einzige Entschuldigung, nämlich die vierte rhetorische Regel aus dem Rhetorik-Proseminar der Konrad
Adenauer-Stiftung: Wenn du eine Debatte nicht gewinnen kannst, dann beleidige den politischen Gegner. – Das war Ihr Prinzip.
Beim Kollegen Witzel ist heute wieder deutlich geworden, wie schlicht sein Weltbild ist, insbesondere sein bildungspolitisches Weltbild. Dieses schlichte Weltbild besteht aus zwei Sätzen:
Erster Satz: Schuld ist Rot bzw. Rot-Grün in den letzten 39 Jahren oder zumindest in den letzten fünf; mehr haben Sie ja nicht miterlebt.
Und der zweite lautet: Wenn das nicht hilft, sind es die Gesamtschülerinnen und Gesamtschüler, die unser Bildungssystem kaputt machen.
Das ist Ihr schlichtes Weltbild. Sie sollten langsam darüber nachdenken, ob Sie sich nicht mit Fakten, mit Inhalten auseinandersetzen wollen, anstatt nur Stellungnahmen des Philologenverbandes von vor 20 Jahren auswendig daherzupredigen.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass es völlig fehl am Platze ist, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern bzw. den Schulen die Schuld zuzuschieben. Das ist eine Vernebelungstaktik sondergleichen. Eben ist behauptet worden, das sei nie passiert.
Ich zitiere Frau Ministerin Sommer aus der „WAZ“ vom 29. April:
„Hat die Schule die Jugendlichen auf eine solche Aufgabe gar nicht vorbereitet? Warum haben die Lehrer diese Aufgabe ausgewählt?“
Oder ich zitiere Herrn Priboschek:
„Und kein Lehrer war gezwungen, diese Aufgabe zu wählen.“
Das war am 25.04.
Allein die Organisation der Nachschreibeklausur hat gezeigt, dass da wieder hopplahopp reagiert worden ist. Wieder sind bei der Aufgabenstellung Fehler gemacht worden – diesmal nicht bei der Aufgabenstellung, sondern beim Bewertungsraster. Und die Tatsache, dass vorgestern die Lehrerinnen und Lehrer eingeladen worden sind, heute und morgen diese Nachschreibklausuren im Ministerium zu korrigieren, das zeigt die ganze Hopplahopp-Organisation in der Vorbereitung des
Zentralabiturs und die Fehlerhaftigkeit, die darin liegt.
Ich glaube, wenn man die Schülerinnen und Schüler dieses Landes vor ähnlichen Chaosklausuren im nächsten Jahr schützen will, dann erfordert das mehr, als hier nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Dann muss endlich einmal dargestellt werden: Wer bereitet die eigentlich vor? Wer kontrolliert die Aufgaben? Ist das eine Vierergruppe im Ministerium, wie man so hört, mit Problemen, über den Tellerrand zu schauen und mit Betriebsblindheit sondergleichen? Oder ist da ein Controlling eingeführt, das im Sinne der Schülerinnen und Schüler diese Fehlerhaftigkeit in Zukunft vermeiden wird?
Noch eine andere Bemerkung, was dieses lange Zögern betrifft: Es ist nun wirklich hanebüchen, wie erst verharmlost worden ist. Das geschah auch noch heute in den Debattenbeiträgen. Von Makellosigkeit war die Rede, dann von Lügen, die von der Opposition in die Welt gesetzt worden sind. Dabei wurde dann wieder einmal die „fünfte Kolonne“ in Anspruch genommen, die diese Abiturklausur infrage gestellt hat. Wenn es denn so war – Kollege Priggen hat es eben schon einmal deutlich gemacht – und wenn die Aufgabenstellungen so makellos waren, warum muss dann, verdammt noch mal – Entschuldigung, Herr Präsident! –, verflixt noch mal, überhaupt ein Nachschreibetermin stattfinden? Beantworten Sie diese Frage doch einmal!
Eine letzte, ganz persönliche Anmerkung an Frau Ministerin Sommer gerichtet: Frau Ministerin Sommer, ich hatte gerade schon gesagt, dass wir nicht Ihren Kopf fordern. Sicherlich ist in diesem Zusammenhang auch das eine oder andere harte Wort an Ihre Person gerichtet worden. Ich habe aber eben beobachtet, von wem die brutalste Kritik heute – non verbal – demonstriert worden ist. Es geschah an dieser Stelle, an diesem Platz.
Wir konnten sehen, wie sich der Ministerpräsident dieses Landes während Ihrer Rede verhalten hat,
welche Mimik er gezeigt und dass er keinen Beifall geklatscht hat. Das war die härteste Kritik an Ihrer Person, die hier heute demonstriert worden ist. Ich glaube, Sie haben im Kabinett Diskussionsbedarf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich habe vorab eine Mitteilung zu machen. Es wäre schön, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet würde. Ich möchte als Berichterstatter zur Beschlussempfehlung und zum Bericht, der Ihnen vorliegt und der gleich Grundlage unserer Beschlussfassung werden wird, etwas anmerken.
Es hat sich ein Fehler eingeschlichen. Dieser Fehler ist mir leider erst vor einer halben Stunde aufgefallen. Bei dem Punkt C – Beratung des Antrags – ist in der Beschlussempfehlung eine falsche Auflistung der Expertinnen und Experten enthalten, nämlich die Liste der Sachverständigen
zu einer Anhörung, die später stattgefunden hat. Der Bezug auf das Ausschussprotokoll 14/672 ist falsch. Richtigerweise muss es das Ausschussprotokoll 14/665 sein.
Ich glaube – darüber haben wir heute Morgen gesprochen –, dass man durchaus Fehler machen darf. Ich entschuldige mich ausdrücklich bei Ihnen dafür, dass Ihnen nicht rechtzeitig ein Neudruck zur Verfügung gestellt werden kann. Aber ich denke, dass die Sachverständigenliste für unsere Beschlussfassung im Anschluss an die nun folgende Debatte nicht ausschlaggebend sein wird.
Ich danke dem Herrn Präsidenten für das Anhalten der Redezeit.
Meine Damen und Herren, wir haben in der durchgeführten Anhörung, auf die sich einige Rednerinnen und Redner im Vorfeld schon bezogen haben, die ganze Bandbreite der Kritik erfahren. Ich möchte einige Kritikpunkte kurz in Erinnerung rufen.
Die Experten haben das Chaos bei der Durchführung der Notengebung kritisiert. Damit ist nicht nur der zeitliche Aspekt gemeint, der schon angesprochen worden ist. In einer Art Nothandlung wurde par ordre du mufti den Schulen die Mitteilung gemacht: Ihr dürft Unterrichtszeit für diese Konferenzen zur Verfügung stellen. Das hat nach den Verbandsmitteilungen zu einem Verlust von über einer Million Unterrichtsstunden geführt.
Es gab auch ein Chaos bei der Durchführung, nämlich bei der Einschätzung der Wertigkeit. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass grundsätzlich in Dortmund die Note Zwei und in Köln die Note Eins gegeben wurde. Das zeigt die Aussagekraft dieser Benotung, die landesweit stattfindet.
An dieser Anhörung hat – ich beziehe mich noch einmal darauf – die evangelische Kirche nicht teilgenommen. Trotz der Benennung als Expertin hat sie mit dem Hinweis abgesagt, sie habe ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Die Tatsache, dass eine Kirche ein Rechtsgutachten zu den Kopfnoten in Auftrag gegeben hat, macht schon deutlich, welche rechtlichen Bedenken mit dem vorliegenden Schulgesetz verknüpft sind.
Ich rufe die rechtlichen Bedenken in Erinnerung: Das Verhalten volljähriger Schülerinnen und Schüler soll mit Ziffernoten bewertet werden. Bei der dualen Ausbildung bekommen Schülerinnen und Schüler auf der einen Seite ein Zeugnis mit Ziffernoten, die ihr Verhalten beschreiben sollen.
Auf der anderen Seite sind solche Formulierungen im arbeitsrechtlichen Bereich rechtlich gar nicht zulässig. Dort sind nur allgemeine Formulierungen möglich. Sie müssen sich aber trotzdem mit dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungszeugnis weiterhin bewerben.
Die Unrevidierbarkeit der Noten auf Abschlusszeugnissen ist ein zweiter Punkt, der rechtlich bedenklich ist. Ich rufe in Erinnerung, dass im Bundesland Bayern solche möglichen Negativbenotungen in Abschlusszeugnissen ausdrücklich nicht erlaubt sind.
Das ist eine richtige Entscheidung. Sie nehmen sich ja häufiger ein Beispiel am Bundesland Bayern. Vielleicht sollten Sie dem auch folgen.
Die pädagogischen Bedenken sind ebenfalls angesprochen worden, nämlich insbesondere die Frage, welchen Stellenwert beispielsweise die Beurteilung der Sorgfalt bei den Kopfnoten hat, wenn diese Befähigung zur sorgfältigen Arbeit zwangsläufig an anderer Stelle schon in die Fachnote eingeflossen ist. Das heißt: Die Trennung der Bewertung bei Fachnoten und Kopfnoten ist völlig ungeklärt, insbesondere wenn man sie auf das Kriterienraster bezieht, das Sie den Schulen in Ihren Handreichungen zur Verfügung gestellt haben. Es bedarf dringend der Überarbeitung, wenn es überhaupt noch weiter verwendet werden sollte.
Außerdem ist die Schlussfolgerung völlig fehlgeschlagen, wie die Ursachen von Fehlverhalten bekämpft werden. Die Schüler bekommen die Note. Sie gehen mit der Note nach Hause. Die Zeugnisse werden bei den Eltern gezeigt. Dann gibt es noch irgendwann einen Elternsprechtag. Aber die Ursachenbekämpfung hat im Unterricht überhaupt keine Relevanz bezogen auf die Kopfnoten.
Die Einzigen, die sich positiv zu den Kopfnoten geäußert haben, waren die Arbeitgeberverbände wie die Handwerkskammern. Der Kollege Ellinghaus hat eben aus Arbeitgebersicht deutlich gemacht, wie wichtig diese Kopfnoten aus seiner Perspektive sind.
Es muss ganz deutlich gemacht werden, mit welch naivem Anspruch dabei eigentlich vorgegangen und die Relevanz der Kopfnoten für ein Einstellungsverfahren zugrunde gelegt wird.
Die Aussage, die auch eben noch einmal deutlich gemacht worden ist, dass Noten wie in Geogra
phie oder in Geschichte wenig relevant sind, aber die Kopfnoten große Relevanz besitzen, ist bezeichnend und entlarvend, denn die Kopfnoten dienen offensichtlich nur dazu, eine schnellstmögliche Auswahl in Bewerbungsverfahren durchzuführen.
Ich frage mich allen Ernstes: Welcher Handwerksbetrieb ist eigentlich nicht in der Lage, innerhalb der Probezeit beim Auszubildenden genau die Faktoren festzustellen, die angeblich vorher durch Kopfnotenverfahren auf dem Zeugnis dokumentiert sind?
Letzter Punkt, und da wird es mal wieder peinlich für die Landesregierung.
Vielleicht hören die Abgeordneten der Regierungskoalition aufmerksam zu, weil sie angesprochen sind.
Es war wieder einmal bezeichnend, dass direkt nach den ersten Protesten gegen die Kopfnoten die ersten Fluchtreaktionen stattgefunden haben. Man distanzierte sich, an erster Stelle seitens der FDP. Dann wurde die Evaluation in Aussicht gestellt: Wir überprüfen das alles noch einmal. Dann schauen wir, wie viele Kopfnoten wir eigentlich brauchen. – Das war die Kernaussage.
Jetzt frage ich mich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler an Schulen in evangelischer Trägerschaft keine Kopfnoten erhalten, die Schülerinnen und Schüler von öffentlichen Schulen dennoch an diesem Experiment weiter teilnehmen müssen, bis die Landesregierung ihre Evaluation abgeschlossen hat oder die Regierungskoalition zu einer Meinungsbildung gekommen ist, was dort eigentlich stattfindet. Es findet in diesem Lande ein flächendeckendes Experiment auf dem Rücken der Kinder mit Alleinstellungsmerkmal in NordrheinWestfalen statt.
Die Vermeidung des drohenden Gesichtsverlusts ist dieser Landesregierung in diesem Fall wichtiger als unsere Kinder. – Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Tagesordnungspunkt 15 sind wir wieder ein bisschen unter uns. Das ist etwas mehr als die normale Eingangsklassenstärke an Gesamtschulen, Herr Kaiser. Es sitzen hier ungefähr 32, wenn ich mich nicht gerade verzählt habe. Auf 32 muss man aufstocken, um den Bedarf zu regeln. Das gibt schon einen Hinweis auf die Tendenz.
Ich habe gerade wieder einmal feststellen müssen, dass die gängigen, die selbstverständlichen Argumente nicht ziehen. Deshalb versuche ich das pädagogisch heute etwas anders. Ich möchte versuchen, Sie mitzunehmen auf einen schwarzgelben Traum, zugegeben einen Traum, der ein wenig kindlich-naiv ist und wirklicher Realität leider entbehren muss.
Stellen wir uns einfach gemeinsam vor, es gäbe in diesem Lande eine einzige Hauptschule, die einen Anmeldeüberhang hätte. Die Folgen wären klar: Die Begeisterung im Regierungslager wäre schier grenzenlos. Die Presseabteilungen würden sich heiß laufen wegen des tollen Erfolges der schwarz-gelben Bildungspolitik. Frau Ministerin Sommer hätte endlich mal wieder einen Grund zur Freude. Der betreffenden Gemeinde würden selbstverständlich unbürokratisch zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, damit auch die notwendigen Erweiterungsbauten finanziert werden können.
Was auch selbstverständlich wäre, wäre die Betonung – unisono –, dass man den Elternwillen selbstverständlich ernst nehmen müsse. In diesem Fall wäre das wohl so.
Sie wissen aber genau, meine Damen und Herren von FDP und CDU, dass das ein unrealistischer Traum ist. Denn die harte Wirklichkeit sieht völlig anders aus. Die Hauptschule stirbt, und der Wille der Eltern, die ihre Kinder an einer Gesamtschule anmelden wollen, wird von Ihnen mit Füßen getreten.
Frau Kollegin Beer hat eben die Städte aufgezählt. Das ist die Planungsperspektive. Ich gehe von der Ist-Situation aus, exemplarisch aus Dortmund, ganz frisch aus der Lokalpresse vom 07.03., ein Bericht über das Anmeldeverhalten in
der Stadt Dortmund. Die Überschrift und die untere Überschrift lauten:
„Anmeldezahlen: Hauptschulen stürzen ab
Wären Schulformen Patienten, läge die Diagnose auf der Hand: Die Gymnasien sprühen vor Leben, die Gesamtschulen stehen voll im Saft, … Nur die Hauptschulen machen Sorgen: Sie liegen auf der Intensivstation“.
Der Schulamtsleiter wird zitiert: „Die Anmeldezahlen bei den Hauptschulen sind auf einem neuen Rekordtief.“ Und die Situation an den Gesamtschulen sehe so aus, dass insgesamt 222 Überhänge bei über 1.450 Anmeldungen zu verzeichnen seien. Entsprechend müssten Ablehnungen ausgesprochen werden.
Bei den Realschulen sieht es völlig problemlos aus. Wir haben den Effekt, dass bei den weiterführenden Schulen, bei Gymnasien und Realschulen, die Anmeldezahlen rapide zurückgehen. Im Ruhrgebiet stehen dort zunehmend freie Plätze zur Verfügung, weswegen der Effekt, dass die Hauptschulen nach und nach aufgefüllt werden, eben auch ausbleibt, weil die Schüler an den Realschulen und Gymnasien verbleiben.
Der Redakteur, Herr Peter Ring, gibt einen Kommentar ab, den ich Ihnen auch nicht ersparen möchte:
„Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Anmeldezahlen sinken. Die ‚Offensive Ganztagshauptschule’ läuft ins Leere.“
„Wie sinnvoll da Millionen-Investitionen in Neubauten sind, muss jeder für sich entscheiden.“
„Sinnvoll wäre es in jedem Fall, wenn das Schulministerium die Idee der Gemeinschaftsschule endlich ernst nimmt und die Abneigung gegen die Gesamtschule ablegt.“
„Denn eines ist klar: Die Familien stimmen nun mal mit den Füßen ab.“
Aktuell aus der letzten Woche vom 7. März! Meine Damen und Herren, deutlicher kann man es eigentlich nicht ausdrücken. Da Herr Minister Laschet auch heute wieder sozusagen den Vertretungslehrer für die Landesregierung in mehreren Punkten abgeben muss,
darf ich ihn an Folgendes erinnern. Herr Laschet, Sie haben gestern in der Debatte zum TurboAbitur gesagt: Wir haben Schulen ideologiefrei gemacht.
Das war natürlich Quatsch,
weil man überall Ideologie finden wird, nur höchst selten an Schulen. Wenn Sie sich aber wirklich auf diesem Feld betätigen wollen, Herr Minister Laschet, dann würde ich Ihnen empfehlen, für Ideologiefreiheit in Ihrem Kabinett zu sorgen und sich in Ihren Regierungsfraktionen voll und ganz einzusetzen,
damit endlich eine vernünftige Schulpolitik diskutiert werden kann
und im Interesse der Kinder diese ideologischen Hemmnisse bei Ihnen abgebaut werden können. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Solf, zu Ihrer klassischen Vergangenheit komme ich vielleicht gleich noch, wenn Zeit bleibt. Leider habe ich nur knapp sechs Minuten Redezeit.
Ich hatte gehofft, Herr Minister Laschet, wenn man U3 mit „G8“ kombiniert oder, anders ausgedrückt, Sommer mit Laschet, käme etwas mehr Qualität heraus. Sie haben mich enttäuscht.
Ich glaube auch, wir werden mit Ihren suggerierenden Versuchen, die leider nicht unbedingt von Fachkenntnis geprägt waren, nicht viel weiterkommen. Wenn Sie hier am Rednerpult zum Beispiel davon sprechen, in einer Jahrgangsstufe hätten wir maximal 35 Wochenstunden Unterricht und davon seien noch fünf Stunden individuelle Förderung, kennen Sie die Stundentafel nicht, Minister Laschet.
Die fünf Förderstunden sind fünf Jahreswochenförderstunden, die sich auf fünf Jahre verteilen, also eine Förderstunde pro Jahr, wenn sie überhaupt realisiert werden kann.
Ich will nicht im Detail die KMK-Ergebnisse, die eigentlich gar keine waren, kommentieren. In der Presse war zu lesen: Tricksereien und Zahlenspiele. Ich möchte mit einem Zitat beginnen:
„Unsere Kinder brauchen mehr Unterricht statt weniger Unterricht. Die Kürzung auf 265 Wochenstunden entspricht gerade einmal den Minimalanforderungen der Kultusministerkonferenz. Es muss mindestens bei den heute erteilten 272 Wochenstunden bleiben. Statt sich an die Spitze zu stellen, entscheidet sich die Landesregierung von vornherein für das Schlusslicht. Sie schreibt das unterste Niveau fest, das in Deutschland auf dem Weg zum Abitur vorgesehen ist. Schon heute haben die Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen bis zu 800 Unterrichtsstunden weniger als in anderen Bundesländern.“
Sie werden gemerkt haben: Hier wird noch von 272 Stunden geredet, Herr Minister Laschet. Das Zitat stammt vom 9. März 2004, und zwar von dem damaligen Oppositionsführer Rüttgers.
Das ist eine wunderbare Kommentierung Ihrer KMK-Ergebnisse. Um mit noch einem Irrtum aufzuräumen: Es geht überhaupt nicht um die Frage, ob Schulzeitverkürzung Ja oder Nein, sondern es geht um die Frage des Wie. Die haben Sie vermurkst, weil Sie die nicht beantwortet und diesen Murks angerichtet haben.