Protocol of the Session on March 29, 2007

Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen und heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 58. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Hauses und der Medien. Ich freue mich, dass wir am 29. März zusammenkommen.

Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir können nun in die heutige Tagesordnung eintreten.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde Besorgniserregende Entwicklung des Rechtsextremismus in NRW – Umfassende Gegenstrategien durch Prävention und Aufklärung notwendig!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/4060

In Verbindung damit:

Handlungskonzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus muss her!

Eilantrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/4059

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 26. März 2007 gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 26. März 2007 fristgerecht den erwähnten Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Frau Abgeordneten Düker das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben wir uns schon daran gewöhnt, dass uns der Verfassungsschutz in seinem jährlichen

Bericht jedes Jahr steigende Zahlen im Bereich des Rechtsextremismus vorlegt?

In der Tat dokumentieren das Landeskriminalamt und der Verfassungsschutz über mehrere Jahre einen kontinuierlichen Anstieg von Straftaten aller Deliktsarten im Bereich des Rechtsextremismus. Drei Viertel aller Straftaten der politisch motivierten Kriminalität sind dem Feld Rechtsextremismus zuzuordnen. Steigerungen sind bei allen Deliktsarten festzustellen, sei es bei den Propagandadelikten, bei der Volksverhetzung und ganz besonders besorgniserregend auch bei den Gewalttaten, bei der Körperverletzung. Bei diesen Straftaten war zuletzt eine Steigerung von 17,5 % zu verzeichnen.

Jetzt kann man analytisch gesehen argumentieren, die statistischen Erfassungen haben sich verändert; denn wir haben es mit Anzeigedelikten zu tun, bei denen wir nur eine Aufhellung des Dunkelfelds erleben. – Das ist sicherlich richtig. Ich finde diese Veränderung des Anzeigeverhaltens auch gut, finde es gut, dass Propagandadelikte, Schmierereien von Hakenkreuzen etc., eher angezeigt werden als früher, was sich natürlich auch in der Statistik niederschlägt, und dass sich auch die Kontrolldichte seitens der Polizei erhöht hat. All dies sind – das muss man zugeben – auch Gründe für die Steigerung dieser Zahlen.

Aber, meine Damen und Herren, ich meine, dass dies kein Grund ist, sich zurückzulehnen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Denn guckt man hinter die Kulissen, lässt sich erkennen, dass die registrierten Straftaten nur die Spitze eines Eisbergs bilden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Studien zeigen: Rechtsextremismus ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Rechtsextremistische Haltungen sind in allen Schichten unserer Gesellschaft und auch bei Ihren und bei unseren Wählern vorhanden. Und daher ist Rechtsextremismus kein Problem, das wir allein mit Ordnungspolitik und Mitteln des Verfassungsschutzes werden lösen können,

(Beifall von den GRÜNEN)

auch – das muss ich besonders hervorheben – wenn der Verfassungsschutz in NordrheinWestfalen hervorragende präventive Arbeit leistet.

Schauen wir uns die Studien an. Die FriedrichEbert-Stiftung und Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer haben im letzten Jahr Studien veröffentlicht. Wir haben nach diesen Studien einen dauerhaft hohen Sockelwert von 26,7 % der Bevölkerung mit ausländerfeindlichen Einstellungsmustern. 43,8 %

der Ostdeutschen und 35,2 % der Westdeutschen sagen, Ausländer kommen nur nach Deutschland, um unseren Sozialstaat auszunutzen.

Wir haben beim Antisemitismus besorgniserregende Entwicklungen und auch einen hohen Sockel. Für 15,8 % der Westdeutschen arbeiten Juden mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um ihre Ziele zu erreichen. Immerhin stimmen noch 11,2 % der Aussage zu, dass man Hitler heute ohne die Judenvernichtung als großen Staatsmann ansehen würde. Beim Antisemitismus und bei der Ausländerfeindlichkeit gibt es diese hohen Sockelwerte. Die Studien zeigen, dass sie zum Teil sogar noch anwachsen.

Worin besteht die Dimension der rechtsextremistischen Haltung? – Sie ist gekennzeichnet durch Ausländerfeindlichkeit, durch Chauvinismus, Antisemitismus, antidemokratische politische Haltungen und durch die Bereitschaft, Gewalt gegen Schwächere bzw. Unterlegene anzuwenden.

Meine Damen und Herren, diese Phänomene befinden sich nicht an den Rändern der Gesellschaft, sondern in der Mitte. Die Mitte der Gesellschaft ist eben nicht mehr der Garant für politische Stabilität.

Die Ursachen liegen auf der Hand; sie sind erforscht worden. Sie liegen in der Desintegration und in der Orientierungslosigkeit. Diese beiden Phänomene erzeugen fremdenfeindliche Mentalitäten.

Dazu kommen noch niedriger Bildungsstand, Angst vor dem Abstieg und das Gefühl politischer Machtlosigkeit – auch in Westdeutschland insbesondere in den abwärts driftenden Regionen, nicht nur in Ostdeutschland; auch das zeigen die Studien.

Meine Damen und Herren, wenn man diese Entwicklung beobachtet, geht es auch um die Substanz der demokratischen Ordnung in unserem Land.

(Beifall von den GRÜNEN)

Patriotismusdebatten oder Projekte helfen uns hier auch nicht weiter. Patriotismuskampagnen grenzen eher aus, als dass sie integrieren. Wir wissen: Je mehr nationale Debatten und Nationalstolzgefühle zunehmen, desto weniger werden demokratische Errungenschaften wertgeschätzt; dann macht sich Fremdenfeindlichkeit breit.

Meine Damen und Herren, wenn man sich diese Analysen anguckt, die man fortsetzen kann, stellt sich die Frage, was zu tun ist.

Ich glaube, dass uns Aktionismus und Appelle, dass wir uns von diesen Entwicklungen distanzieren, dass uns, wieder einmal einen Aufstand der Anständigen zu veranstalten oder was auch immer inszenieren, nicht weiterhelfen. Denn wir haben keine monokausale Erklärung für diese Phänomene.

Deswegen brauchen wir auch verschiedene politische Interventionsebenen; sie sind notwendig. Neben einer ordnungspolitischen Auseinandersetzung brauchen wir eine inhaltliche Auseinandersetzung mit antidemokratischen Tendenzen und mit Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Angesichts der hohen Werte der Einstellungen und Haltungen in unserer Gesellschaft helfen keine Spezialprogramme weiter. Wir müssen die Rechtsextremisten mit demokratischen Inhalten konfrontieren. Wir müssen sie in den Debatten und in den Kommunalparlamenten stellen. Wir brauchen diese inhaltliche Auseinandersetzung.

Wir müssen Desintegrationsprozessen, wir müssen der Stigmatisierung und der Legitimation der Ungleichwertigkeit von Menschen offensiv entgegenwirken. Ausländerfeindlichkeit – ich habe den hohen Sockelwert genannt – ist laut den Studien die Einstiegsdroge in ein rechtsextremistisch geschlossenes Weltbild.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen diesem Phänomen nicht mit üblem Populismus auf dem Rücken von Ausländern entgegenwirken, wie es oft im Wahlkampf gemacht wird, sondern mit einer offensiven Kultur der Anerkennung und mit einem Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungsland.

Mir ist ganz besonders wichtig zu sagen, dass Demokratie nur durch aktive Partizipation, durch Teilhabe funktioniert. Bei der Bildung müssen wir Kindern Demokratie erlebbar machen. Wir müssen demokratische Werte genauso wie Rechnen, Lesen und Schreiben vermitteln. Prävention fängt vor dem Jugendalter an, im Kindergarten, und nicht erst dann, wenn Gewalttäter in den Statistiken auftauchen. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung, die Schwächere nicht ausgrenzt, sondern mitnimmt, die wertschätzt und die die individuelle Förderung zum Inhalt hat. Denn das alles ist Grundlage für eine Immunisierung gegen Extremismus. Starke Kinder brauchen keine Führer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das alles, meine Damen und Herren, findet nicht nur im individuellen Umgang in der Familie statt – wo es auch stattfinden muss –, sondern diese Grundwerte brauchen wir in allen gesellschaftlichen Strukturen: in Schulen, in Behörden, in Betrieben und in Sportvereinen.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Ich komme zum Schluss. Es gibt sie, diese Schulen, die das verstanden haben. Es gibt Projekte, Frau Ministerin Sommer, die man weiter fördern müsste. Nehmen wir ein Beispiel, wenn ich das noch ansprechen darf.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Abgeordnete.

In Essen-Holsterhausen gibt es die AGENDA-Schule, die sich genau um diese Werte kümmert und sich der demokratischen Erziehung und Bildung der Kinder verbunden fühlt und die sich dem Motto Erziehung zu Toleranz, Verantwortung, friedlicher Konfliktlösung und Zivilcourage verschrieben hat.

Wir brauchen mehr dieser Beispiele. Dann werden wir auch bei den Zahlen irgendwann vielleicht eine andere Entwicklung sehen. – Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Herr Abgeordneter Moron das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist leider so: Die Zahlen, die veröffentlicht worden sind, und die Zahlen, die in den nächsten Tagen noch veröffentlicht werden, zeigen, dass wir einen starken Anstieg rechtsextremistischer Straftaten in Deutschland und bei uns in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen haben. Das war aber nicht nur im letzten Jahr der Fall, sondern, wie dem Verfassungsschutzbericht zu entnehmen, es gibt dieses Ansteigen bereits seit den Jahren 2000/2001. Das setzt sich kontinuierlich fort.

Das ist besorgniserregend. Denn die Steigerungen der Straftaten, die mit einem politisch motivierten Hintergrund begangen werden, gehen fast ausschließlich auf das Konto der Rechtsextremisten in unserem Land. Das macht allen Sorgen: denjenigen, die in den Sicherheitsorganen tätig sind, denjenigen, die in der Politik Verantwortung tragen, und natürlich vor allen Dingen den Menschen, die davon betroffen sind. Viele in unserem