Manfred Püchel
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Last Statements
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
- Das ist keine Abschiedsrede, ich komme noch einmal dran.
Lieber Herr Sobetzko, ich wünsche Ihnen für das Leben danach alles Gute. Die wenigsten von uns wissen, was das, was danach kommt, wirklich ist. Sie werden es bald spüren. Hoffentlich wird alles schön werden. Es gibt nicht nur diesen Landtag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich in den letzten Monaten und Jahren mehrmals mit der Dienstleistungsrichtlinie beschäftigt, zuletzt erst im Januar 2006, sodass man heute eigentlich nicht damit rechnen konnte, dass wir noch einmal
darüber diskutieren würden, obwohl der Antrag der Linkspartei.PDS für die Aktuelle Debatte für mich nicht ganz überraschend kam, weil ich in der vorigen Woche im „Spiegel“ gelesen habe, dass Ihr derzeitiger Lebensabschnittsgefährte Oskar Lafontaine dieses Thema im Land Rheinland-Pfalz zum Wahlkampfthema machen will.
- Natürlich, mit dem haben Sie nichts zu tun, aber auch nichts dagegen.
Meine Damen und Herren! Natürlich ist das Thema Dienstleistungen in Europa in diesen Tagen von ganz besonderem Interesse. Gestern wurde, wie gesagt, in erster Lesung die Richtlinie verabschiedet.
Der freie Verkehr von Dienstleistungen ist keine Erfindung irgendwelcher europäischer Bürokraten oder Technokraten, sondern ist seit den Römischen Verträgen vorgesehen, das heißt seit 1957. Also seit Beginn der europäischen Einigung ist er zentraler Bestandteil des EGVertrags. In diesem sind die vier Grundfreiheiten des europäischen Marktes verankert, das heißt freier Verkehr von Personen, von Waren, von Kapital und eben auch von Dienstleistungen. Diese vier bilden in ihrer Gesamtheit den Grundpfeiler des europäischen Binnenmarktes. Darauf kann im Einzelfall jede interessierte Seite klagen, wenn das Europäische Parlament keinen hieb- und stichfesten gesetzlichen Rahmen setzt, der politisch gewollt und steuerbar ist
Und genau darum geht es. Gibt es keinen gesetzlichen Rahmen, kann es eine Welle von Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof geben, und niemand weiß genau, wie diese ausgehen. Vor allen Dingen verlieren wir dabei jeden politischen Gestaltungsspielraum und daran kann keinem gelegen sein.
Meine Damen und Herren! Der freie Verkehr von Personen, Waren und Kapital ist geregelt und verläuft ohne Probleme. Der Dienstleistungsverkehr stellt dagegen eine offene Flanke dar, die durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten mit ihrem völlig anderen Lohngefüge in den letzten Jahren Angst vor Lohndumping verbreitet hat. Die alten EU-Mitgliedstaaten hatten außerdem Schutzbarrieren errichtet, die für den einzelnen Dienstleister nur schwer überwindbar gewesen sind. Die Beispiele geisterten in den letzten Tagen durch die Medien; Sie kennen die teilweise irrsinnigen Vorschriften.
Will ein deutscher Handwerker in Luxemburg arbeiten, braucht er einen luxemburgischen Gesundheitspass, obwohl er einen deutschen Gesundheitspass hat. Will ein Aachener Malermeister in Belgien arbeiten, muss er an der Grenze sein Material in ein Auto umladen, das in Belgien zugelassen ist. In Portugal dürfen Baufirmen nur dann arbeiten, wenn ein portugiesischer Bauingenieur in der Firma beschäftigt ist. In Frankreich müssen sich ausländische Fachleute, die einen Computer reparieren wollen, fünf Tage vorher bei den Behörden melden. In Österreich dürfen nur Einheimische Bergführer werden.
Es gibt noch weitere derartige Geschichten, die nicht verständlich sind. Ein Handlungsbedarf war also gegeben, wollte man weiteres Wachstum und Zusammenwachsen der Europäischen Union erreichen.
Um Ordnung in dieses System zu bringen, wurde die Kommission vor zwei Jahren in Gestalt des Kommissars Bolkestein aktiv, der den Entwurf einer Dienstleistungs
richtlinie vorlegte. Diese hatte zum Grundprinzip, dass jeder Unternehmer in einem EU-Nachbarland zu den Bedingungen seines Heimatlandes tätig werden kann. Im Grunde ist das ganz einfach und leicht umzusetzen, jedoch ist es, wie gesagt, mit einer Gefahr verbunden: Verursacht durch das sehr niedrige Lohnniveau in den neuen Mitgliedstaaten sind Ängste entstanden, dass es mit dem In-Kraft-Treten der Richtlinie zu einem Sozial- und Lohndumping in Europa kommen könnte. Als besonders plakatives Beispiel für die Gefahren, die davon ausgehen könnten, wurde immer wieder der Lebensmittel-Discounter genannt, der sein Firmenzentrum nach Polen verlegt und in seinen deutschen Filialen polnische Verkäuferinnen für polnische Löhnen beschäftigt.
Meine Damen und Herren! Ich will nicht orakeln, aber hätte nicht der neoliberale Niederländer Bolkestein, sondern ein anderer die Verantwortung für die Erarbeitung der Richtlinie getragen, hätte sie vielleicht anders ausgesehen. So setzte die Richtlinie auf die freien Kräfte des Marktes und versprach 600 000 neue Arbeitsplätze in Europa, davon 100 000 in Deutschland.
Der Hauptkritikpunkt von vielen Seiten war das Herkunftslandprinzip mit der Angst vor einem gigantischen Verdrängungswettbewerb. Die SPD hat diese Bedenken aufgenommen und in der Stellungnahme des Präsidiums vom 23. Januar 2006 eindeutig geäußert.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen ein soziales Europa ohne Dumping im Sozialbereich und bei den Löhnen. Wir brauchen ein Europa als Sozialgefüge und nicht als Spiel freier Kräfte. Nur ein soziales Europa ist auch ein starkes Europa.
Dies haben viele Menschen in vielen Ländern Europas auch so gesehen. 30 000 Gewerkschafter aus mehreren Ländern der EU haben am Dienstag in Straßburg genau dafür demonstriert, wie schon zuvor am Samstag in Berlin 40 000 Menschen gegen den ursprünglichen Entwurf demonstrierten.
Wir erlebten in den letzten Tagen und Wochen eine regelrechte Politisierung in Europa durch dieses Thema. Die zahllosen Proteste, Kritiken und Bedenken zu dem Richtlinienentwurf haben maßgeblich dazu beigetragen, dass zwischen Christdemokraten und Sozialisten ein Kompromiss gefunden wurde, in dem das ursprüngliche Herkunftslandprinzip nicht mehr enthalten ist.
Wenn die Richtlinie in dieser Form endgültig beschlossen werden sollte, wäre das Ziel erreicht, die notwendige Freizügigkeit in der EU zu sichern und gleichzeitig die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wahren sowie die Qualität und die Umwelt zu schützen.
Meine Damen und Herren von der Linkspartei.PDS, Sie sprechen dabei von einem „faulen“ Kompromiss. Wir Sozialdemokraten sehen das vollkommen anders. Es ist mit diesem Kompromiss ein gutes Ergebnis erzielt worden, das natürlich noch den Praxistest zu bestehen hat.
Frau Dr. Klein, ich stimme mit Ihnen nicht überein. Auch die Gewerkschaften sind mit dem erreichten Kompromiss zufrieden. Ich habe Dienstagnacht in Vorbereitung auf diese Debatte Berichte aus Brüssel gesehen, bei denen Demonstranten von Journalisten befragt wurden. Alle Demonstranten, die befragt wurden, haben sich positiv geäußert.
Franz-Josef Möllenberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, zeigte sich am gleichen Abend mit diesem Ergebnis ebenfalls sehr zu
frieden. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund unterstützt diesen Kompromiss. Eine einzige kritische Stimme war aber dabei und das war die von Herrn von Lambsdorff, FDP. Insofern befindet sich die linke und die rechte Seite des Parlaments in großer Übereinstimmung.
Meine Damen und Herren! Wenn ich richtig informiert bin, sind in dem Verfahren insgesamt 1 600 Änderungen beraten worden. Was das im Einzelnen alles beinhaltet, kann man heute noch gar nicht einschätzen. Entscheidend ist unter dem Strich, dass das Herkunftsland durch das Zielland ersetzt worden ist. Im Ergebnis soll jeder, der in seinem Heimatland dafür zugelassen ist, seine Dienste überall in der EU anbieten dürfen. Dabei soll die Erbringung von Dienstleistungen jedoch nicht nach den im Heimatland geltenden Regelungen erfolgen. Demnach würden nach wie vor die deutschen Standards für alle Anbieter auf dem deutschen Markt gelten. Die Ausübung wird gewährleistet, die Ausführung unterliegt den Regelungen des jeweiligen Landes. Man könnte es mit einem Beispiel sagen: Man kann mit einem deutschen Führerschein in England Motorrad fahren, darf aber natürlich nichts rechts fahren.
- Ja, richtig. Wir hatten gestern bereits in einem anderen Zusammenhang über Geisterfahrer gesprochen.
Wichtig ist auch, dass einige Bereiche wie Zeitarbeitsfirmen, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Gesundheitsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind. Die Liste der Ausnahmen ist inzwischen relativ lang geworden.
Wenn man sich ernsthaft mit den ganzen Änderungen auseinander setzen will, müsste man diese in Ruhe durcharbeiten und nicht nur einzelne Punkte herauspicken, die falsch sind. Eine Aktuelle Debatte am heutigen Tage kann dem auf keinen Fall gerecht werden. Wir müssen aber aufpassen, meine Damen und Herren, dass wir mit solchen Diskussionen nicht noch mehr Schaden anrichten, als es schon geschehen ist. Ich habe gestern gelesen, dass mittlerweile zwei Drittel aller Deutschen befürchten, dass die EU ihre sozialen Standards ruinieren könnte.
Meine Damen und Herren! Gestern fand die Abstimmung im Europäischen Parlament statt. Jetzt geht der Entwurf der Richtlinien an die Kommission und den Ministerrat. Was durch die Mitgliedstaaten noch an Änderungen kommen könnte, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Die neuen Mitgliedstaaten aus Osteuropa machen erneut einen Liberalisierungsdruck auf. Entscheidend wird dann die zweite Lesung im Parlament sein.
Ich hoffe sehr, dass der mühsam ausgehandelte gute Kompromiss Bestand haben wird und wir am Ende eine Dienstleistungsfreiheit mit klaren Regeln und weniger sinnlosen Barrieren haben werden. Was bei Waren und Kapital sehr gut funktioniert, muss auch bei Dienstleistungen funktionieren können. Ich gehe davon aus, dass dies auch gelingen wird.
Seien wir froh darüber, dass aus dem neoliberalen Entwurf doch noch ein vernünftiger Entwurf geworden ist, mit dem bürokratische Hemmnisse abgebaut werden und vor dem kein Arbeitnehmer in Europa Angst haben muss.
Meine Damen und Herren! Die SPD-Europaabgeordnete und für die Dienstleistungsrichtlinie zuständige Berichterstatterin Evelyne Gebhardt sagte gestern in Straßburg: Ich freue mich sehr darüber, dass wir eine Lösung gefunden haben, die die Öffnung des Dienstleistungsmarktes in Europa ermöglicht und gleichzeitig das europäische Sozialmodell bewahrt. - Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, wir sind noch da. Wir bleiben da und werden stärker und brauchen dann mehr Redezeit.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Strukturfonds sind gut. Die Zusammenarbeit der Regionen ist gut. Der Antrag ist nicht schlecht. Er schadet auf keinen Fall. Das Wetter ist gut. Dann ist es auch gut, wenn wir dem Antrag zustimmen.
Ich wünsche denjenigen, die nicht mehr für den Landtag antreten, alles Gute für die Zukunft. Ich hatte Herrn So
betzko schon etwas zu dem Leben danach gesagt. Denjenigen, die wieder für den Landtag kandidieren, wünsche ich Erfolg im Wahlkampf, was differenziert zu sehen ist - ganz klar.
Ich hoffe, dass ich viele von Ihnen hier wiedersehen werde. Wenn ich viele wiedersehen will, heißt das eigentlich, dass ich auch wieder dabei sein will. - In diesem Sinne: Alles Gute für die Zukunft!
Den Rest meiner Rede gebe ich zu Protokoll. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die heutige Debatte, denn die hier im Konsens zur Abstimmung gestellten Vorschläge zur Änderung für die Landesverfassung eröffnen die Möglichkeit einer Bestandsaufnahme nach zwölf Jahren praktizierter Verfassungswirklichkeit im Lande Sachsen-Anhalt.
Maßstab dafür, ob unsere Landesverfassung eine Erfolgsgeschichte ist, kann weder die gute Absicht des Verfassungsgebers von 1992 sein noch die innere Folgerichtigkeit der Verfassung selbst. Maßstab allein ist die Antwort auf die Frage, wie sich die Verfassung in der Wirklichkeit auswirkt, ob unsere Verfassung ein freiheitliches, friedliches und gerechtes Gemeinwesen gewährleistet und befördert oder nicht.
Gemessen an diesem Maßstab ist unsere Landesverfassung zweifellos ein Erfolg, der ihre Väter und Mütter mit Stolz erfüllt und erfüllen kann.
Meine Damen und Herren! Wir können konstatieren: Die Landesverfassung hat sich auch in politisch stürmischen Zeiten bewährt. Die Wahrnehmung der in der Verfassung gewährleisteten Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat ist im Bundesland Sachsen-Anhalt eine Selbstverständlichkeit. Im demokratisch verfassten Sachsen-Anhalt steht der Bürger dem Staat nicht als Bittsteller gegenüber. Er ist nicht mehr bloßer Petent im Verhältnis zu einem vormundschaftlichen Staat, sondern tagtäglich handelndes Subjekt in einer freien Gesellschaft.
Ich nenne nur die vielen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Die Verwaltung mag sich manchmal weniger kla
gefreudige Bürgerinnen und Bürger wünschen. Auch ich habe dabei insbesondere als Innenminister meine Erfahrungen gesammelt. Aber diese Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger sind der Beweis einer gelebten Verfassung; die Entscheidungen der dritten Gewalt werden auch weitgehend akzeptiert.
Meine Damen und Herren! Ganz wichtig, aber oft als allzu selbstverständlich angesehen, ist auch die friedensstiftende Funktion unserer Verfassung. Ich rede hier von dem Regelwerk für die politischen Auseinandersetzungen in unserem Gemeinwesen. Politik lebt von der Auseinandersetzung, vom Streit. „Streit und nochmals Streit“, so lautete die Devise des streitbaren Demokraten Heiner Geißler. Die Politik in Sachsen-Anhalt trägt diesen Streit im verfassungsrechtlichen Rahmen aus.
Bei der Bewältigung von politischem Streit war die Verfassung ungeheuer erfolgreich. Im Rahmen der Landesverfassung sind in den Jahren 1994 und 2002 gänzlich unproblematisch und friedlich Machtwechsel vollzogen worden, wenn auch ungern. Auch dies ist ein Beweis dafür, dass sich die Verfassung bewährt hat, dass sie ein gelungenes, friedensstiftendes Korsett für die politischen Abläufe in unserem Gemeinwesen darstellt.
Wie sieht es beim Prüfstein Gerechtigkeit und Verfassungswirklichkeit aus? Hierbei müssen wir insbesondere bei den Staatszielbestimmungen eine bedauerliche Diskrepanz zwischen Verfassungslage und Wirklichkeit feststellen. Dies gilt insbesondere für den Artikel 39 - Arbeit. In Artikel 39 ist die dauernde Aufgabe des Landes und seiner Kommunen formuliert, allen die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen. So ist die Verfassungslage.
In Wirklichkeit sind in Sachsen-Anhalt - dies erleben wir täglich deprimierend neu - viel zu viele Menschen von einer Teilnahme am Arbeitsleben ausgeschlossen, obwohl sie arbeiten könnten und auch arbeiten wollen. Die Landesverfassung vermag nicht per proklamiertem Staatsziel, diesen Missstand aufzuheben.
Auch weiß ich, dass viele Frauen in Bezug auf das Staatsziel Gleichstellung von Frauen und Männern in Artikel 34 und viele ältere Menschen und Menschen mit Handicap in Bezug auf das Staatsziel der besonderen Förderung ihrer gleichwertigen Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft - Artikel 38 - Defizite beklagen. Sie tun es zu Recht; denn viele Lebenssachverhalte schreien förmlich nach Abhilfe. Aber das Land Sachsen-Anhalt kann oder will dies aufgrund der objektiv gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen nicht leisten.
Meine Damen und Herren! Mir scheint, dass die Verfassung insoweit nur beschränkt in der Lage war, Gerechtigkeit in dem durch sie selbst versprochenen Maße zu befördern. Insofern besteht die besondere Aufgabe fort, unsere Verfassung mit Leben zu erfüllen.
Selbst wenn diese Aufgabe besonders schwierig ist, bin ich selbstverständlich nicht der Auffassung, dass wir diese Staatsziele aus der Verfassung streichen sollten, nur weil die Umsetzung an mancher Stelle eben unzureichend ist. Wir müssen uns vielmehr immer wieder anstrengen. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass unsere Verfassung an manchen Stellen mehr verspricht, als sie aktuell zu halten vermag, und dass dies der Akzeptanz einer Verfassung und damit der Akzeptanz des demokratischen Verfassungsstaates insgesamt langfristig abträglich sein könnte.
Doch insgesamt, meine Damen und Herren, bleibt festzuhalten: Die Verfassung hat sich - insbesondere was ein freiheitliches und friedliches Gemeinwesen betrifft - bewährt und dies ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Meine Damen und Herren! Wenn ich eben auf die besondere Problematik der Artikel 38 und 39 hingewiesen habe, so zeigt der Artikel 40 andererseits, dass sich Ziele, die man sich in der Verfassung gesetzt hat, auch in kürzeren Zeitabläufen erreichen lassen und als Staatsziel erfüllt werden können. Kaum jemand von uns hätte Anfang der 90er-Jahre, als die Verfassung erarbeitet wurde, geglaubt, dass wir zehn Jahre später über Probleme des Wohnungsleerstandes reden würden - und nicht nur deshalb, weil viele Menschen abwandern, sondern weil viele Wohnungen saniert und neu gebaut wurden.
Meine Damen und Herren! Nach zwölf Jahren schickt sich der Landtag nun an, die Verfassung zu ändern. Wir sollten dabei unbedingt Sorge dafür tragen, dass jegliche Änderung am Verfassungstext mit größtmöglicher Sorgfalt vorgenommen wird.
Aus der Sicht der SPD-Landtagsfraktion können die heute erfreulicherweise im Konsens aller Fraktionen eingebrachten Vorschläge zu Verfassungsänderungen nur der Auftakt für eine erweiterte Debatte über die Reform unserer Verfassung sein.
Dafür, dass diese Vorschläge im Konsens eingebracht wurden, gilt mein Dank allen beteiligten Verhandlungsführern. Dieser Konsens ist auch insofern bemerkenswert, als sich die PDS durch die Zustimmung zu den Änderungsvorschlägen nun auch endgültig zur Verfassung insgesamt bekennt. Wenn ich jetzt PDS sage: Es gab auch bei uns einige - Sie haben gesagt „Teile der SPD“ - - Aber man sieht, wie sie erwachsen geworden sind, reifer geworden sind und heute so weit sind, dieses mitzutragen.
- Ich meine jetzt nicht den Anzug.
Meine Damen und Herren! Die wichtigsten Inhalte der heute zu beratenden Verfassungsnovelle sind die Verlängerung der Legislatur auf fünf Jahre sowie die Absenkung der Quoren bei der Volksgesetzgebung. Für die SPD-Landtagsfraktion möchte ich feststellen: Wir begrüßen die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre. Wie die Mehrheit der anderen Bundesländer, die diesen Schritt gegangen sind, verbinden wir damit die Hoffnung einer besseren Zielerreichung innerhalb einer Wahlperiode.
Als Sozialdemokrat weiß ich, wovon ich rede. Mit der Agenda 2010 verfolgt die Bundesregierung einen ebenso mutigen wie aber auch schwierig umzusetzenden Politikentwurf. Die Notwendigkeit der Reformpolitik ist im Grunde auch von allen anerkannt worden. Die Reformpolitik ist getragen von der Überzeugung, dass zur künftigen Erhaltung des hohen Wohlstandsniveaus Einschnitte in soziale Besitzstände unvermeidbar sind.
Diese Politik ist nicht populär. Die Wahlen am letzten Sonntag haben dies nachhaltig bewiesen. Wenn jetzt allerdings Union und FDP im Bund mitten in einem Reformprozess nach Neuwahlen rufen, eine Legislaturperiode also verkürzen wollen, so steht dieser Ruf der Einsicht entgehen, dass Politik nicht nur kurzfristig auf
Wahltermine schielen soll, und er ist in diesem Fall nach meiner Auffassung populistisch.
Meine Damen und Herren! Einen kritischen Aspekt dürfen wir bei der Verlängerung der Wahlperiode nicht unter den Tisch fallen lassen. Es muss uns auch klar sein, dass eine rechtsextremistische Partei bei einer fünfjährigen Wahlperiode ein Jahr länger einen Schandfleck in diesem Hause darstellen würde und Steuergelder für Verfassungsfeinde verschleudert würden. Insofern lädt uns die Entscheidung für fünf Jahre eine noch höhere Verantwortung bei der Bekämpfung rechtsextremistischen Gedankenguts auf.
Dies muss sich, meine Damen und Herren von der Koalition, dann auch in entsprechenden Haushaltsansätzen niederschlagen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur den Verein Miteinander erwähnen.
Meine Damen und Herren! Wir verkennen nicht, dass mit einer Verlängerung der Wahlperiode ein Weniger an bürgerschaftlicher Mitbestimmung verbunden ist. Deshalb ist der Schritt der Verlängerung der Wahlperiode für uns allein nur deshalb zustimmungsfähig, weil er mit einer Erleichterung der plebiszitären Elemente einhergeht. Dieses Plus gleicht das Minus an Demokratie aufgrund der Verlängerung ein Stück weit aus, wobei ich nicht verhehlen will, dass die SPD eine deutlichere Absenkung der Quoren bei der Volksgesetzgebung vorgezogen hätte.
Die im Entwurf enthaltenen Absenkungen vollziehen allein den demografischen Wandel nach und erleichtern bürgerschaftliches Engagement darüber hinaus nicht. Ich bin dennoch froh, dass wenigstens die jetzt vorgesehene Absenkung der Quoren von allen hier im Hause vertretenen Fraktionen getragen wird, weil ich um die von Anbeginn an insbesondere von Vertretern der Union immer wieder artikulierten Vorbehalte gegenüber der Volksgesetzgebung weiß.
Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Wahlen am letzten Sonntag will ich an dieser Stelle noch auf einen ganz besonderen Aspekt eingehen. Die Hürde für einen erfolgreichen Volksentscheid bleibt unangetastet und damit unverändert hoch - nach meiner Auffassung zu hoch.
Die amtlicher Statistik des Landeswahlleiters wies bei der Wahl zum Europäischen Parlament ca. 2,09 Millionen Wahlberechtigte aus. Selbst wenn man die bei der Europawahl zusätzlich wahlberechtigten EU-Bürger von dieser Zahl abzieht, müssten gegenwärtig mindestens 520 000 Menschen einem Volksbegehren zustimmen, damit es erfolgreich wird.
Bei der Europawahl haben die CDU, die PDS und die SPD zusammen 628 122 Stimmen bekommen. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Wenn gleichzeitig mit den Europawahlen ein Volksentscheid stattgefunden hätte, hätten fast alle Wählerinnen und Wähler von CDU, PDS und SPD zustimmen müssen, damit dieser erfolgreich gewesen wäre. Dieser Zustand ist so absurd, dass er im Ergebnis das Instrument der Volksgesetzgebung dermaßen entwerten könnte, dass das demokratische Bewusstsein im Land Schaden nimmt.
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lukowitz, Sie haben mir im Vorfeld der Europawahl einen Brief ge
schrieben. Darin heißt es, wir müssten auf der Bundesebene aktiv werden und mittels Volksabstimmung über die EU-Verfassung entscheiden. Ich nehme an, das Thema ist mit Abschluss der Wahl wieder zu den Akten gelegt worden.
Einige Ihrer FDP-Granden lehnen diese Idee ohnehin ab. Aber ich möchte diesen Brief gern zum Anlass nehmen, Sie aufzufordern, in Sachsen-Anhalt, wo Sie persönlich tatsächlich Einfluss haben, ein wenig mehr Initiative bei der Erleichterung der Volksgesetzgebung an den Tag zu legen.
Meine Damen und Herren! Die heute eingebrachten Vorschläge können nur der Auftakt zu einer breiteren Debatte sein. Bei der Diskussion über die Vorschläge wurde bei uns in der Fraktion spontan Veränderungsbedarf bezüglich des Artikels 54 - Untersuchungsausschüsse - oder hinsichtlich der Fristen für die Regierungsbildung genannt.
So halten wir den Wortlaut des Artikels 54 Satz 1 für unglücklich. Dort heißt es, dass der Landtag auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Pflicht hat, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Diese Formulierung hat bei einem Minderheitenausschuss die Folge, dass die Mehrheit sich bei der Abstimmung über einen Einsetzungsantrag der Stimme enthalten muss, selbst wenn sie das Untersuchungsanliegen politisch für verfehlt hält. Hier stimmt etwas im System nicht. Diesen Fall haben wir in der jüngeren Geschichte unseres Bundeslandes schon mehrmals erlebt.
In Bezug auf die Artikel 45 und 65, aus denen sich die Fristen für die Regierungsbildung ergeben, wurde angemerkt, dass die höchstens 44 Tage, die zwischen der Landtagswahl und der Wahl der Regierung liegen dürfen, nicht immer ausreichend Zeit für Verhandlungen und das Ausarbeiten einer zukünftig über fünf Jahre tragfähigen Koalitionsvereinbarung lassen. - Gut, Sie haben weniger Zeit gebraucht. Man sieht, was dabei herausgekommen ist. Das ist eine andere Frage.
Meine Damen und Herren! Ähnlichen Diskussionsbedarf sehen wir in Bezug auf die Frage der Beendigung der Wahlperiode. Behalten wir die bisherige Regelung bei, landen wir in nicht allzu ferner Zukunft mit der Wahl im Winter - gut, wir Älteren vielleicht nicht mehr, aber die Jüngeren auf alle Fälle.
Zum einen findet dann der Wahlkampf in der kalten Jahreszeit statt. Zum anderen würde es nicht gerade die Wahlbeteiligung erhöhen, wenn die Wählerinnen und Wähler bei schlechtem Wetter zur Wahl gehen müssten - leider.
Meine Damen und Herren! Diese und andere Anregungen wurden bei uns in der Fraktion gemacht und unsere Vertreterinnen und Vertreter im Rechtsausschuss werden diese Bemühungen um eine Konsensfindung weiter verfolgen.
Meine Damen und Herren! Abschließend noch eine Bemerkung zum Landtagsinformationsgesetz und zu der dazugehörigen Vereinbarung. Die SPD-Landtagsfraktion
begrüßt es, dass dieses Arbeitsergebnis erreicht werden konnte. Ich erkenne an, dass dies ein Erfolg der regierungstragenden Fraktionen gegenüber der Landesregierung ist. Ich weiß, wovon ich spreche; denn ich blicke auf eine achtjährige Zeit als Minister zurück. Solche Regelungen müssen gegenüber der Landesregierung erst einmal durchgesetzt werden.
Sicherlich mag man beklagen, dass im Gesetz nicht viel mehr als in der Verfassung selbst steht. Aber im Zusammenspiel mit der dazugehörigen Vereinbarung, die die Informationspflichten der Landesregierung detailliert regelt, beschreiten wir in Sachsen-Anhalt richtigerweise einen gangbaren und im Bundesvergleich auch üblichen Weg.
Meine Damen und Herren! Ich komme zum Ende. Bei der Beratung über die heutigen Vorschläge wünsche ich allen Beteiligten eine glückliche Hand. Eine Verfassung ist kein beliebiges Gesetz - das ist bereits mehrfach gesagt worden -, das man nach Lust und Laune ändern kann. Ich würde es begrüßen, wenn wir so sorgsam arbeiten, dass wir erst in späteren Jahren wieder einen Änderungsbedarf an dieser Verfassung feststellen. Dann - das sage ich auch - wünsche ich mir ganz persönlich jedoch eine ausführliche Verfassungsdiskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für einen Skandal, was hier abläuft.
Das Vermessungs- und Katastergesetz wird in diesem Landtag schon seit vielen Monaten diskutiert. Bereits im Rahmen des Ersten Investitionserleichterungsgesetzes wurde darüber gesprochen. Es wurde von der Landesregierung ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Dieser Entwurf wurde im Ausschuss diskutiert. Im Innenausschuss gab es eine klare Mehrheit der Koalition für die Beschlussempfehlung.
Aufgrund von Eingriffen von Lobbyisten zieht die Fraktion diese Beschlussempfehlung nun zurück. Ich halte
das für den falschen Weg. Es gibt eine Beschlussempfehlung, hinter der sehr viele Abgeordnete standen. Es kann nicht sein, dass Lobbyisten Einfluss nehmen in ihrem Interesse und dieses Gesetz noch einmal ändern wollen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Scharf, diese Besonnenheit bei der Verabschiedung von Gesetzen hätte ich mir in der Vergangenheit von Ihnen gewünscht.
Ich denke nur an die ersten beiden Investitionserleichterungsgesetze und an Ihre eigenartige Vorgehensweise bei der Zurücknahme der Kommunalreformgesetze.
Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion begrüße ich es, dass die Regierungserklärung von Minister Robra dem Landtag die Gelegenheit gibt, die Osterweiterung der Europäischen Union angemessen zu würdigen. Der 1. Mai 2004 ist zweifelsfrei ein Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Union, ja ganz Europas, gewesen. Am vergangenen Samstag sind neue und stabile Brücken zu alten Nachbarn vollendet worden. Mit der Osterweiterung kehren Völker und Staaten, die seit langem Teil Europas sind, aber im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs vier Jahrzehnte lang fest im Ostblock verankert waren, endgültig in die europäische Familie zurück.
War die Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine Antwort auf die erste - von zwei Weltkriegen dominierte - Hälfte des vorigen Jahrhunderts, markiert der 1. Mai 2004 das Datum der endgültigen Überwindung der unnatürlichen Teilung Europas infolge des Zweiten Weltkrieges. Im Sinne von Willy Brandt ist nun auch auf europäischer Ebene zusammengewachsen, was zusammen gehört, erhält das friedliche Europa eine Stabilität, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat.
Für uns Sozialdemokraten steht deshalb völlig außer Frage, dass der 1. Mai 2004 ein guter Tag für Deutschland und Europa ist. Insbesondere wir Ostdeutschen sehen in der Osterweiterung der EU die konsequente Fortsetzung der deutschen Einigung auf europäischer Ebene. Ich glaube, gerade wir Bürger der neuen Länder können die gegenwärtigen Hoffnungen und Gefühle der Bürger in den Beitrittsländern am ehesten nachempfinden, die Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Wohlstand in einem geeinten Europa, verbunden mit einer unsicheren Neugier auf das neue westeuropäische Wirtschafts- und Sozialmodell. Es gibt einen Unterschied, nämlich dass wir Ostdeutschen mit der Wiedervereinigung den Beitritt zur EU praktisch als Geschenk mitbekamen, während die neuen zehn Länder ihren Beitritt hart erarbeiten mussten.
Wir sollten die Bedeutung der Osterweiterung für das Bewusstsein in und das Bild der Welt von Europa nicht unterschätzen. Weltweit werden dieser Tage die Karten der neuen EU gezeigt. Wer sich diese Karten anschaut, sieht, dass die Beitrittsstaaten jetzt der Osten sind. Wir sind in die Mitte gerückt. Wer auf Deutschland blickt, sieht es im Herzen Europas, von befreundeten Staaten umgeben. Die Schaffung von Frieden durch Integration, das Erfolgsrezept der Gründungsväter der Union, ist voll gelungen. Die Kontinuität der deutschen Außenpolitik in dieser Frage hat sich ausgezahlt.
Ich weiß - auch Herr Robra hat es angesprochen -, dieser positiven historischen Einordnung der Osterweiterung der EU stehen gemischte Gefühle bei weiten Teilen der Bevölkerung gegenüber. Zwar erwarten nach einer aktuellen Meinungsumfrage 59 % der Deutschen von
der EU-Erweiterung eine stärkere Rolle Europas in der Welt. Europa als Friedensmacht wird also durchaus positiv gesehen. Jedoch sehen 73 % der Befragten Gefahren für Arbeitsplätze in Deutschland und 60 % vermögen bisher in der Osterweiterung keine Vorteile für die deutsche Wirtschaft zu erblicken. Nach einer Umfrage unter Mittelständlern sieht der Mittelstand in Sachsen-Anhalt die EU-Osterweiterung skeptischer als der Mittelstand in den anderen Bundesländern.
Wir Sozialdemokraten sehen im Beitritt viel größere Chancen als Risiken, gehen über die Ängste der Menschen und der Wirtschaft aber nicht einfach hinweg. Natürlich gibt es Risiken. So trifft die EU-Osterweiterung auf eine schwierige wirtschaftliche Situation, insbesondere in Ostdeutschland. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Wettbewerbsvorteile der neuen Beitrittsländer durch den nun beschleunigten Abbau noch für sie bestehender Handels- und Investitionshemmnisse stärker als bisher zur Geltung kommen.
Ich denke insbesondere an die niedrigen Löhne und die niedrigen Steuersätze. Der Wettbewerbsdruck auf lohnintensiv produzierende Branchen sowie auf Branchen mit niedriger Produktivität oder traditioneller Produktpalette wird also wachsen, nicht zuletzt mit der Gefahr, dass deutsche Unternehmen Arbeitsplätze in die Beitrittsländer verlagern.
Aber auch wenn wir diese ökonomischen Risiken nicht bestreiten, sind wir davon überzeugt, dass die Chancen der EU-Osterweiterung die Risiken der Erweiterung bei weitem übersteigen. Für die deutsche Volkswirtschaft bedeutet die Osterweiterung vor allem die Erschließung neuer stabiler Märkte. Der Zugang zu den neuen, expandierenden Absatzmärkten in Mittel- und Osteuropa wird erleichtert. Der Binnenmarkt wird um rund 105 Millionen Konsumenten vergrößert. Gleichzeitig entsteht eine große Nachfrage im Bereich der Investitionsgüter.
Für die Wirtschaft der bisherigen EU-Staaten kann die Osterweiterung einen ähnlichen Impuls bedeuten, wie es die Wiedervereinigung für die westdeutsche Wirtschaft war. Der Handel mit den Beitrittsländern wächst jetzt schon dynamischer als der deutsche Außenhandel insgesamt. Dieses Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt.
Gesine Schwan hat am Dienstag in unserer Fraktion in beeindruckender Weise dargelegt, dass auch die Zukunft von Sachsen-Anhalts Wirtschaft nicht mit einem Wettlauf um die niedrigsten Löhne gewonnen werden kann. Wenn Herr Tullner zuhören würde, würde er das bestätigen; denn er war in der Fraktionssitzung dabei, was ich sehr begrüßt habe.
Ähnlich bringt es auch das Frühjahrsgutachten zum Ausdruck. Niedriglöhne können nicht die Lösung sein und sie müssen es auch nicht sein. Vielmehr müssen wir als Hochtechnologiegesellschaft auf Innovation setzen. Sachsen-Anhalt kann dieses tun, wenn wir die richtigen Schwerpunkte setzen, wenn wir auf Bildung und Forschung setzen, wenn wir Wege finden, die gewonnenen Erkenntnisse auch in marktfähige Produkte umzusetzen, Produkte, die auch höhere Löhne rechtfertigen. Dies ist auch die beste Strategie gegen die besonderen Probleme, die gerade auf Sachsen-Anhalts Wirtschaft mit der EU-Erweiterung zukommen.
Deutschland insgesamt exportiert in die mittel- und osteuropäischen Staaten vorrangig humankapital- und technologieintensive Produkte und importiert eher arbeits-
und rohstoffintensive Waren mit geringerem Technologiegehalt. In Sachsen-Anhalt allerdings haben sich viele Firmen auf ein Marktsegment spezialisiert, das eher dem Angebotsspektrum von Unternehmen aus den Beitrittsländern entspricht. Hier bestehen besondere Probleme; denn hier schlagen die niedrigeren Löhne voll durch, wie das Beispiel KSR aus Magdeburg zeigt. Die Aufträge werden jetzt in Tschechien zur Hälfte des Preises abgewickelt.
Die Herausforderung der Wirtschaftspolitik lautet also, unsere Unternehmen in Wertschöpfungsketten mit technologieintensiven Produkten einzubinden. In dem Maße, in dem sich unsere Unternehmen schneller weiterentwickeln, technologie- und humankapitalintensive Produkte herstellen, wird der Druck der EU-Osterweiterung zumindest sinken. In diesem Sinne kann auch eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland sogar Sinn machen, nämlich dann, wenn sie die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen erhöht, indem sie dazu führt, dass das Kerngeschäft in Deutschland gestärkt und im Ausland neue Märkte erschlossen werden.
Unternehmern, die nur aus kurzsichtigem Gewinnstreben Arbeitsplätze verlagern wollen, sage ich: Nach dem westeuropäischen Wirtschafts- und Sozialmodell ist die Wirtschaft für den Menschen da und nicht umgekehrt. Wer diesen europäischen Grundkonsens aufkündigt, wird auch im erweiterten Europa langfristig nicht erfolgreich sein. Preise und Löhne werden sich spätestens nach der Einführung des Euro mittelfristig annähern.
Die Bundesregierung wird gemeinsam mit anderen betroffenen Staaten darauf hinwirken, dass das Steuerdumping in der EU aufhört.
Wie heute schon bei der Mehrwertsteuer wird es über kurz oder lang auch bei der Körperschaft- und Einkommensteuer Korridore geben, in denen sich die EU-Länder bewegen können. Die Hoffnung auf kurzfristige Gewinne in einem regellosen Wettbewerb wird sich als Fehlkalkulation erweisen. Insoweit teile ich die von Herrn Robra heute erhobene Forderung nach einer europaweiten Harmonisierung der Unternehmenssteuern.
Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, die Adresse für Kritik sei Berlin. Daher muss ich Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass es die Bundes-CDU war, die sich gegen eine solche Harmonierung ausgesprochen hat. Jeder kehre zuerst vor seiner eigenen Haustür. Nur am Rande sei bemerkt: Wer sich auf dem Leipziger Parteitag als Steuersenkungspartei zu profilieren versucht, darf an anderer Stelle Steuerausfälle nicht beklagen.
Meine Damen und Herren! Mir ist schon am Montag beim Magdeburger Gespräch aufgefallen, dass die Landesregierung offensichtlich mit dem politischen Latein am Ende ist
und nur noch die altbekannte Weise: „Schuld daran ist nur die SPD“ vorzutragen vermag.
Dieses mag Ihnen hier im Landtag pflichtschuldigen Applaus eintragen. Die Menschen in Sachsen-Anhalt vermag es zunehmend nicht zu überzeugen.
Herr Robra, ich habe eben eine kleine Blitzumfrage gestartet: Der Fraktionsvorsitzende der CDU hat in seinem
Haushalt einen heilen und zwei defekte Computer. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat vier heile Computer in seinem Haushalt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU hat eine Tochter, der Fraktionsvorsitzende der SPD zwei Töchter. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU hat eine Tochter, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD zwei. Wenn Sie also die Zahl der Computer pro Haushalt und die Zahl der Kinder kritisieren, dann kann ich Ihnen sagen: Gucken Sie einmal in Ihre Fraktion und bringen Sie die auf Vordermann.
- Wenn das provoziert wird, dann muss ich doch reagieren. Das ist mir auch gelungen.
- Das, was Herr Robra sagte, war auch nicht zum Thema.
Meine Damen und Herren! Natürlich weiß ich, dass sich viele Menschen nicht nur um die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch um die innere Sicherheit nach der Osterweiterung sorgen. In diesem Zusammenhang geschürte Ängste sind allerdings reine Panikmache. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass schon seit dem Fall des eisernen Vorhang die Grenzen offen sind. Die polizeiliche Lage verändert sich durch die Osterweiterung nicht grundlegend. Die Grenzkontrollen fallen ja auch nicht automatisch weg. Richtig ist vielmehr, dass aufgrund guter polizeilicher Arbeit die Ausländerkriminalität in den letzten zehn Jahren in Deutschland zurückgegangen ist.
Außerdem ist Kriminalität - wenn ich das bemerken darf - leider keine Einbahnstraße. Erst kürzlich musste ich in der Zeitung lesen, dass einige Vertreter einer Landtagsfraktion aus NRW beim Zigarettenschmuggel aus einem Beitrittsland erwischt wurden.
Ich will die Fraktion nicht nennen, aber SPD, CDU und Grüne waren es nicht.
Meine Damen und Herren! Aufgabe der Politik in Sachsen-Anhalt ist es, den speziellen Stärken unseres Bundeslandes im Erweiterungsprozess besonderes Gewicht zu verleihen. In 40 Jahren DDR waren wir eng mit den anderen Ostblockstaaten verbunden. Es hatten sich enge wirtschaftliche Beziehungen insbesondere zu Polen und zur Tschechoslowakei entwickelt.
Durch die Wiedervereinigung und die automatische Einbindung Ostdeutschlands in die EU sind leider viele dieser Verbindungen gekappt worden. Mit der Osterweiterung haben wir die besondere Chance, an diese alten Beziehungen wieder anzuknüpfen, und zwar auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die wir nach der Wiedervereinigung gemacht haben. Ich kann nur alle Unternehmen bei uns auffordern, dieses Mal diejenigen zu sein, die die neuen Märkte zuerst suchen.
Meine Damen und Herren! Herr Robra hat die begleitenden Maßnahmen der Landespolitik ausführlich dargestellt und auch heute wieder die Bündelung der außenwirtschaftlichen Förderinstrumente, die Konzentration auf Schwerpunktregionen, die Messeförderung, Programme der Außenwirtschaftsförderung, Hilfen bei der Qualifizierung von Mitarbeitern sowie die Schaffung von Firmen
pools und außenwirtschaftlichen Netzwerken genannt. Wir werden als Opposition darüber wachen, ob sich diese Maßnahmen nicht nur in Regierungserklärungen und Sonntagsreden, sondern auch in praktischer Politik, insbesondere auch im Haushalt wiederfinden.
Seit der Erfahrung der Mittelkürzung für das Kontaktbüro in Tallinn im Haushalt 2004 dürfen wir diesbezüglich berechtigten Zweifel haben. Ich hoffe, dass die Zusage, die Sie hier im Landtag gegeben haben, auch eingehalten wird. Sofern Sie die Europafähigkeit der Verwaltung verbessern wollen, sage ich Ihnen, machen Sie erst einmal unsere Landesverwaltung mitteldeutschlandfähig.
Meine Damen und Herren! Die Osterweiterung ist mehr als nur eine ökonomische Operation. Deshalb ist es gut, dass die Zuständigkeit für die interregionale Zusammenarbeit vom Wirtschaftsministerium in die Staatskanzlei wechseln wird. In der Staatskanzlei ist die Europapolitik nicht in der ständigen Gefahr, nur auf Wirtschaftspolitik reduziert zu werden. Das wäre auch falsch; denn die Osterweiterung bietet darüber hinaus eine Vielzahl von Herausforderungen, die weit über wirtschaftliche Fragen hinausgehen, die ich mit Rücksicht auf die Redezeit nur kurz skizzieren kann.
Der Prozess der Osterweiterung bietet die Chance, dass sich Deutsche und Bürger aus den Beitrittsländern noch eher auf Augenhöhe begegnen als bisher. Leider habe ich in den vergangenen Jahren nicht selten erleben müssen, dass sich manche Ostdeutsche gerade auch in Tschechien ähnlich überheblich aufgeführt haben, wie ich es in den 70er-Jahren bei Westdeutschen in Rumänien erlebt habe. Das ist nicht gut; denn für diese Überheblichkeit gibt es keinen Anlass.
Die osteuropäischen Staaten hatten nach der Wende keinen starken Partner an der Seite wie wir. Sie mussten allein auf sich gestellt den Umbau der Gesellschaft bewerkstelligen. Die große Solidarität, die wir nach der Wiedervereinigung gerade aus dem Westen erfahren haben, können wir jetzt ein Stück an die weitergeben, mit denen wir 40 Jahre Seite an Seite mehr oder weniger brüderlich verbunden waren.
Meine Damen und Herren! Die Osterweiterung kann auch endgültig Wunden heilen, die der Krieg und die damit verbundene Vertreibung geschlagen haben. Unionsbürger können sich innerhalb der gesamten EU frei bewegen, aufhalten, arbeiten und wohnen. Sie haben sogar die Möglichkeit des Erwerbs von Grundeigentum, nach Übergangsfristen zum Beispiel auch in Polen und Tschechien. Gerade auch dadurch erledigen sich viele Diskussionen von selbst, die in der Vergangenheit mit diesen Nachbarn immer wieder aufgeflammt sind.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass Bürger aus den Beitrittsländern, die schon seit vielen Jahren bei uns leben, nun als EU-Bürger endlich an Europa- und Kommunalwahlen teilnehmen können und dies auch unbedingt tun sollten.
Meine Damen und Herren! Wir dürfen auch die weiteren Beitrittskandidaten nicht vergessen. Ich erwähne hier Bulgarien. Es ist auch ein schöner Erfolg für uns, dass die Leiterin der Begegnungsstätte des Landes SachsenAnhalt in Plovdiv Frau Dr. Mariana Tcholakova am 23. April 2004 das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre Arbeit im Rahmen der Völkerverständigung verliehen bekommen hat. Ich möchte von dieser Stelle aus
und, wenn ich es darf, auch in Ihrem Namen Frau Tcholakova hierzu gratulieren.
Wenn es zum Beitritt Bulgariens im Jahr 2007 kommt, ist Sachsen-Anhalt an dieser Stelle gut positioniert.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluss ein Wort in eigener Sache sagen. Als Landtag sind wir bisher leider nicht in der Lage gewesen, beständige Kontakte nach Osteuropa aufzubauen. Ich denke, dies ist eine Herausforderung für die Zukunft, der wir uns alle stellen sollten; denn Europa ist eben mehr als nur eine Wirtschaftsunion, Europa ist auch eine politische und eine soziale Union. In all diesen Bereichen muss ein jeder von uns seiner Funktion, seiner Verantwortung gerecht werden, auch der Landtag von Sachsen-Anhalt. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, möchte ich noch einen Satz in eigener Sache sagen.
Am gestrigen Tage hatten wir eine Diskussion über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Im Anschluss daran gab Herr Gallert ein Fernsehinterview, in dem er sich in Bezug auf einen Zeitungsartikel so äußerte, dass es ein Gespräch zwischen Herrn Böhmer und mir gegeben habe, in dem Herr Böhmer versucht habe, Einfluss auf mich zu nehmen, dass dieser Untersuchungsausschuss nicht eingesetzt wird. - Dies ist nicht der Fall. Dies habe ich nie gesagt.
Ich habe über dieses Gespräch geschwiegen, aber ich sage jetzt, worüber es in diesem Gespräch eindeutig ging: Es war zu einem Zeitpunkt, als die Einsetzung des Untersuchungsausschusses überhaupt noch nicht in Sicht war, als darüber noch gar nicht diskutiert wurde. Es ging darum, wie wir mit den Kleinen Anfragen und den Antworten darauf umgehen - für sie war Vertraulichkeit festgelegt worden -, wie wir diese öffnen können. Um mehr ging es nicht und um nichts anderes.
Das, was in der Zeitung stand und gestern im Fernsehen wiederholt wurde, stimmt so nicht. Das muss klargestellt werden.
Das ist auch eine Frage des Vertrauens zwischen Herrn Böhmer und mir. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Herr Kosmehl, der leider auf meine Frage nicht antworten will, hat am Anfang indirekt kritisiert, dass wir, die SPD, als Wahlkampflosung „Friedensmacht Europa“ verwenden. Ich weiß nicht, ob Herr Kosmehl zu jung ist, um zu begreifen, was das bedeutet.
Ich bin ein Nachkriegskind. Mein Vater war im Krieg, mein Großvater war im Krieg. Von Deutschland sind zwei Weltkriege ausgegangen, die fast die ganze Welt zerstört haben. Ich bin froh, dass gerade diese Idee einer Europäischen Union dazu führen wird, dass von Mitteleuropa, von Europa Frieden ausgeht und dass das ein Signal für die ganze Welt ist. Es ist für mich auch eine der wichtigsten Errungenschaften der EU, dass Europa zu einer Friedensmacht geworden ist.
Ich habe eine Frage: Lief bei Ihnen in der Fraktion etwas schief? Waren Sie der Redner für den vorigen Tagesordnungspunkt?
Oder für die Regierungserklärung von vor Wochen? Hier geht es um den Nachtragshaushalt. Ich habe von Ihnen kein Wort dazu gehört.
Es ist Ihr Problem, dass Sie nichts zum Nachtragshaushalt gesagt haben. Das müssen Sie anderen erklären. Aber Sie haben sich in den letzten Tagen mit Ihrer Kritik am Finanzminister und am Haushaltsvollzug so eindeutig aus dem Fenster gelehnt, dass wir dachten, als Fraktionsvertreter oder als Abgeordneter würden Sie etwas dazu sagen. Nicht ein Wort ist dazu gekommen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir erleben hier im Landtag langsam ein Ritual: Der Finanzminister bringt den Haushalt ein und bekommt zu Recht Prügel von Herrn Gallert und von Herrn Bullerjahn. Dann bleibt er sitzen und Sie kommen vor und versuchen, das alles wieder einzufangen.
Wenn Sie sagen, Sie hätten sich das vorher nicht überlegt und Sie seien erst bei Beginn der Diskussion auf die Idee gekommen, das Wort zu ergreifen, sage ich spaßeshalber: Ich will nicht schon wieder einen Untersuchungsausschuss einrichten, um zu fragen, wann Sie wirklich die Idee hatten, hier zu sprechen.
- Spätzünder!
Wäre es nicht besser, wenn Sie den Haushalt gleich selbst einbringen und dazu sprechen würden, statt Herrn Paqué vorzuschicken, der dann zu Recht Kritik bekommt, weil er Dinge gesagt hat, die so nicht stimmen?
Zur Steuerschätzung. Sie haben dies aufgegriffen, als Herr Bullerjahn das dazwischen gerufen hatte. Die Steuerschätzung macht nicht der Bund, das macht eine Gruppe aus Bund und Ländern. Federführend dabei war,
glaube ich, Baden-Württemberg. Das darf man nicht vergessen. Auch die Länder sind beteiligt, nicht allein der Bund. Die Zahlen kommen nicht allein vom Bund.
- Sie arbeiten zusammen und werten das gegenseitig aus.
Zu den Steuereinnahmen. Die Kritik dazu war falsch. Herr Bullerjahn hat klar gesagt, wie die Entwicklung in den letzten Jahren gewesen ist. Er hat auf die Schwierigkeiten mit den sinkenden Steuereinnahmen hingewiesen. Dazu stehen wir. Das ist Fakt und darum reden wir auch nicht herum.
Zum Sparen. Es ist völlig richtig, wir müssen sparen. Ich weiß nicht, ob Ihr Vorwurf an uns gerichtet war oder an die PDS. Selbstverständlich müssen wir sparen. Aber trotzdem kann man auch beim Sparen Schwerpunkte setzen. Wir haben beim KiBeG die Kürzung mitgetragen, sagen aber ganz klar: Für uns sind die Hochschulen ein Schwerpunkt, bei ihnen darf nicht weiter gekürzt werden. Auch im Mangel kann man Schwerpunkte setzen. Das tun wir auch.
Was mir langsam nicht mehr gefällt - das sage ich ganz klar -, ist der Umstand, dass immer wir oder Rot-Grün in Berlin die Schuld haben sollen. Herr Lukowitz ging heute bis zum Jahr 1995 zurück. Jetzt gehe ich weiter zurück. Ich weiß noch nicht einmal, ob das ausreicht. Dieses Land wurde nicht im Jahr 1994 gegründet. Die erste Regierung gab es nicht im Jahr 1994, sondern im Jahr 1990. Die Weichen für die Haushaltspolitik dieses Landes sind in den Jahren 1990 bis 1994 gestellt worden. Damals wurden die Weichen gestellt.
Damals gab es einen Finanzminister Dr. Böhmer, später Professor Böhmer. Sie sagen jetzt, damals hätten Sie das anders gemacht. Was haben Sie gemacht? - Sie haben in den ersten Jahren die Weichen gestellt. Vergleichen Sie doch einmal, wie Sachsen die Haushaltspolitik begonnen hat und wie Sachsen-Anhalt die Haushaltspolitik begonnen hat. Vergleichen wir uns also nicht mit Ihnen oder Sie sich mit uns, sondern vergleichen wir Sachsen-Anhalt einmal mit Sachsen.
Ein Beispiel: Sie haben uns all die Jahre vorgeworfen, wir hätten den Personalabbau nicht richtig betrieben usw. Das haben wir durch. Frau Feußner, Sie kommen aus dem öffentlichen Dienst, Sie nicken. Es gab eine Sonderkündigungsregelung im öffentlichen Dienst, die Ende 1993 auslief. Diese Regelung hat Sachsen genutzt, Sachsen-Anhalt hat sie nicht genutzt.
- Die haben wir nicht mehr nutzen können, weil es sie nicht mehr gab.
Ihr wirkliches Haushaltsproblem begann im Jahr 2002. Mit dem Nachtragshaushalt 2002 haben Sie die Weichen gestellt.
Davon kommen Sie nicht mehr herunter. Der große Schluck aus der Flasche wirkt sich noch heute aus. Das
ist der Flaschenhals, durch den Sie nicht mehr herauskommen.
Das mit den Lehrerstunden habe ich mit Professor Böhmer schon am Montagabend gehabt, als er sagte, es sei nicht bekannt gewesen, dass die Konten vorhanden seien und dass das 250 Millionen € kosten würde. Das war bekannt. Jeder in diesem Landtag wusste es: Die Lehrer sparen Stunden an und die Dimension beträgt 250 Millionen €. Das war allen bekannt. Das wussten auch Sie ganz genau.
- Sprechen Sie etwas lauter, ich verstehe es sonst nicht.
- Hätten der Finanzminister oder der Staatssekretär im Finanzministerium oder der im Bildungsministerium besser mit den Gewerkschaften verhandelt, hätte man das schön über die Jahre strecken können.
- Natürlich, das wäre ein Ansatz gewesen.
- Wissen Sie, je lauter Sie brüllen, desto mehr wird mir klar, dass ich Recht habe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben uns
eben Ihre dritte Regierungserklärung - diesmal zum Thema „Chancen kreativ nutzen - Zukunft innovativ gestalten“ - vorgetragen, die uns vorher als Aus- und Rückblick angekündigt worden war. Lassen Sie mich das, was Sie eben vorgetragen haben, aus meiner Sicht kurz zusammenfassen.
Erstens. Sachsen-Anhalt ist auch nach zwei Jahren Schwarz-Gelb weiterhin Schlusslicht.
Zweitens. Nach Ihrer Analyse hat die Landespolitik hierfür keine Verantwortung. Sie glauben sich auf dem richtigen Weg.
Drittens. Ein klar definiertes Zukunftsprogramm hat Ihre Rede nicht enthalten.
Sie haben sich allzu häufig ins Ungefähre geflüchtet. Ich weiß nach Ihrer Rede zum Beispiel nicht, welche Branchen zu welchen Bedingungen in welchen Landesteilen noch Wirtschaftsförderung erhalten sollen. Sie haben auch keine Zielzahl für das Landespersonal genannt. Wenn Sie von der Zukunft sprechen, müssen Sie auch etwas über diesen größten Ausgabenblock des Landes sagen.
Viertens. In der Familienpolitik verlieren Sie sich in Symbolpolitik,
wie Sie es bei den so genannten Investitionserleichterungsgesetzen auch schon getan haben.
Es wäre interessant zu wissen, wie hoch das Familiengeld, das Sie vorhaben, sein soll.
Fünftens. Bei der Kreisgebietsreform sind Sie im letzten Augenblick auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Aber wann die Reform umgesetzt werden soll, haben Sie heute nicht gesagt.
Sechstens. Sie beschreiben den enormen Finanzdruck richtig, aber Sie verschweigen, wann die Verschuldung bei null ankommen soll und in welchen Schritten sie bis dahin reduziert werden soll.
Was mir an Ihrer Rede ebenso gefehlt hat, war eine ehrliche Bilanz der letzten zwei Jahre. Diese hatten eigentlich alle von Ihnen erwartet; denn Ihre Regierungserklärung war als Halbzeitbilanz angekündigt worden. Auch der MDR hatte heute Morgen noch gemeldet: Ministerpräsident Böhmer zieht eine Bilanz zweijähriger Regierungszeit.
Ich gebe zu: Die letzten zwei Jahre waren zweifellos zwei schwierige Jahre, für Deutschland insgesamt und auch für Sachsen-Anhalt. Wir hatten kein bzw. kaum ein wirtschaftliches Wachstum. Die Steuerrückgänge waren dementsprechend groß. Aber dennoch steht eines ganz klar fest: Sachsen-Anhalt könnte heute weiter sein, Sachsen-Anhalt könnte besser dastehen, wenn die Lan
desregierung und die sie tragenden Parteien eine bessere Politik gemacht hätten.
Es waren zwei Jahre, in denen das Land im Ergebnis nicht vorangekommen ist, zwei Jahre, in denen Sie sich viel vorgenommen hatten, aber wenig erreicht wurde, zwei Jahre, in denen sich CDU und FDP gründlich entzaubert haben.
Wenn man CDU und FDP an ihren Wahlversprechen misst, erleben wir die Fortsetzung der Regierungserklärung vom letzten Jahr unter dem Motto „Sorry, es dauert etwas länger, wir haben uns geirrt.“ Eigentlich konnten Sie sich gar nicht geirrt haben, Herr Ministerpräsident. Sie wussten genau, wie es in diesem Land aussieht. Ihre Reden und Ihr Handeln in den vergangenen zwei Jahren haben eines gezeigt: Sie haben weniger ein Erkenntnisproblem denn ein Umsetzungsproblem. Die Menschen im Lande spüren doch längst, dass eine Regierung am Werk ist, die heute hü und morgen hott sagt,
wo der Sozialminister 10 Millionen € für ein kostenloses letztes Jahr im Kindergarten verspricht und von der eigenen Partei gesagt bekommt, dass dies ein Luftschloss sei, wo der Innenminister wegen seiner Freude am Kragenkreis vom Ministerpräsidenten öffentlich bloßgestellt wird,
wo Beraterverträge abgeschlossen werden, ohne das Parlament ordnungsgemäß zu informieren,
wo der Justizminister sein Amt nutzt, um einem Parteikollegen zu helfen,
und dann nicht zurücktritt und plötzlich die Opposition schuld ist, weil sie im Ausschuss nicht die richtigen Fragen gestellt hat,
wo der Wirtschaftsminister ohne Unterrichtung des Finanzministers zusätzliche Fördermittel ausreicht und dieser plötzlich am Jahresende ein zusätzliches Defizit von ca. 500 Millionen feststellt, ohne es vorher bemerkt zu haben.
- Im Finanzausschuss waren Sie auch dabei!
Wir erleben eine Landesregierung, wo der Finanzminister eine De-facto-Haushaltssperre verhängt, zwei Tage, nachdem der Haushalt in Kraft getreten ist, wo dieser Minister auch noch wild entschlossen ist, einen Doppelhaushalt zu verabschieden, obwohl er den letzten Haushalt nicht im Griff hat und nicht weiß, wie sich die Einnahmen entwickeln werden.
Der Finanzminister benimmt sich wie ein Hochspringer, der die Latte bei 1 m reißt, sie jedoch bei 2 m auflegt, um darunter durchlaufen zu können.
Meine Damen und Herren! Wir haben eine Landesregierung, wo dieser Tage nach dem Prinzip minus mal minus ergibt plus gehandelt wird, Staatssekretäre ausgetauscht werden, um die Schwächen der jeweiligen Minister zu überdecken bzw. sie aus dem Schussfeld zu nehmen.
Wir haben es mit einer Landesregierung mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze zu tun, der in der Tat mit einer gewissen autokratischen Dickfelligkeit regiert.
Meine Damen und Herren! Dieses Land hat - damit komme ich zum Thema Zukunft - eine Menge Chancen. Da ist die hervorragende geografische Lage mitten in Deutschland mit einer schon heute zum Teil hochmodernen Infrastruktur zu nennen. Wir haben sich positiv entwickelnde Wirtschaftszweige, leistungsfähige Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wir haben eine im Bundesvergleich immer noch sehr gute Kinderbetreuung und wir haben ein reiches kulturelles und historisches Erbe.
Leider aber herrscht in diesem Lande nicht die versprochene Aufbruchstimmung. Die jüngsten Umfragen, vor allem der Sozialreport des sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin/Brandenburg, müssen uns Sorgen bereiten, meine Damen und Herren. Danach gibt es kaum Optimismus im Osten. 68 % der Befragten gehen von weiteren Verschlechterungen auf dem Arbeitsmarkt aus. Von den Erwerbstätigen fürchten 55 % um ihren Arbeitsplatz.
Dass die Furcht der Menschen nicht unbegründet ist, zeigt die Statistik für Sachsen-Anhalt. Danach ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Jahr 2003 um knapp 20 000 zurückgegangen und liegt nur noch knapp über der Millionengrenze.
Natürlich sind auch weitere Rahmendaten auf den ersten Blick wenig geeignet, für Aufbruchstimmung und Optimismus zu sorgen. Die auch von Ihnen, Herr Ministerpräsident Böhmer, zitierte leichte Verbesserung im Regionalmonitor für das Jahr 2002 ist zwar positiv, reicht aber noch lange nicht aus, die Stimmung im Jahr 2004 zu verbessern. Im Übrigen sind die Verbesserungen im Regionalmonitor Auswirkungen der Regierungspolitik bis 2002 der damaligen Landesregierung.
Problematisch ist jedoch, dass wir in der Sozial- und Einkommensstruktur immer noch an letzter Stelle stehen; denn darin liegt ein Hauptgrund für den enormen Bevölkerungsrückgang und die anhaltende Abwanderung junger Menschen in den Westen.
Vor allem sind es junge Frauen, die insbesondere aufgrund besserer Möglichkeiten, auch Verdienstmöglichkeiten, unser Land verlassen.
Für völlig abwegig halte ich in diesem Zusammenhang Ihren Vorstoß zur Absenkung der Ausbildungsplatzvergütung. Das schafft keinen neuen Ausbildungsplatz, sondern treibt noch mehr junge Menschen aus dem Land,
nämlich dorthin, wo bessere Vergütungen gezahlt werden.
Das ist eine Politik, die Abwanderung nicht verhindert, sondern Abwanderung sogar noch fördert.
Die Bevölkerungsentwicklung ist, das wissen wir schon heute, bis zum Jahr 2020 auf jeden Fall rückläufig. Die niedrigen Geburtenzahlen lassen sich nicht kurzfristig ausgleichen. Aber dass die Prognosen eines Rückganges eintreffen, kann und darf nicht Gesetz sein. Wir dürfen die Abwanderung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht einfach hinnehmen.
Meine Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, dass der Ministerpräsident vor diesem Hintergrund klare - ich betone: klare - Prioritäten gesetzt hätte. Weil er das schuldig geblieben ist, will ich aus der Sicht der SPDFraktion einige wichtige Schwerpunkte politischer Ansätze skizzieren.
Erstens. Wir müssen mehr in die Köpfe investieren, weniger in Beton.
Deshalb muss die Kinderbetreuung im Land wieder auf eine verlässliche, dauerhafte Grundlage gestellt und inhaltlich verbessert werden. Wir wissen heute, dass das geltende Gesetz nicht das letzte Wort sein kann. Deshalb appelliere ich an die Landesregierung: Suchen und finden Sie mit den Initiatoren des Volksbegehrens einen Kompromiss, der langfristig trägt, der Ruhe in unsere Betreuungseinrichtungen bringt. Wir wissen, dass dies Geld kosten wird. Aber dies müssen und werden wir finden.