Protocol of the Session on March 13, 2003

Ich eröffne hiermit die 15. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen zunächst die Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung mitteilen: Herr Ministerpräsident Professor Böhmer wird die heutige Sitzung des Landtages wegen eines wichtigen Gesprächstermins in Berlin um 17.15 Uhr verlassen. Des Weiteren entschuldigt sich der Herr Ministerpräsident für die Landtagssitzung am Freitag. Er nimmt an diesem Tag an einer Sitzung des Bundesrats teil.

Aus dem gleichen Grund entschuldigt sich für den Freitagvormittag Herr Minister Paqué.

Herr Staatsminister Robra muss die heutige Sitzung wegen eines Koordinierungsgesprächs zur bevorstehenden Bundesratssitzung um 15 Uhr verlassen.

Der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger bittet, wegen des Sonderkamingesprächs im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz in Berlin seine Abwesenheit heute ab 18 Uhr zu entschuldigen.

Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz ist für morgen ab 15 Uhr entschuldigt. Er spricht das Grußwort der Landesregierung anlässlich eines Festaktes zum Auftakt des Projektes „Sachsen-Anhalt und das 18. Jahrhundert“ in Quedlinburg.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 9. Sitzungsperiode liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat wurde zunächst vereinbart, die Tagesordnungspunkte 3, 8 und 9 als erste Punkte am morgigen Freitag zu behandeln.

Aufgrund der nunmehr vorliegenden Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung beantragt die Fraktion der CDU im Nachgang zur Sitzung des Ältestenrats, folgende Tagesordnungspunkte zu tauschen. Tagesordnungspunkt 4, die Trinkwasserproblematik, vom heutigen Tage soll mit Tagesordnungspunkt 8 - Zweites Investitionserleichterungsgesetz -, der am Freitag behandelt werden sollte, getauscht werden. Tagesordnungspunkt 14 - EU-Strukturpolitik - soll mit Tagesordnungspunkt 18 - Entwicklung des ÖPNV - getauscht werden.

Mir ist vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion Herrn Detlef Gürth signalisiert worden, dass das Einverständnis der übrigen Fraktionen zum Tausch dieser Tagesordnungspunkte gegeben sei. Ich frage trotzdem: Gibt es Einspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen.

Ich darf noch auf eine weitere Änderung, die ich Ihnen zur Annahme empfehle, hinweisen. Ich habe von der PDS-Fraktion einen Brief erhalten - der gleiche Brief ging an alle Fraktionsgeschäftsführer - mit der Bitte, die Landtagssitzung in der Zeit von 11.50 Uhr bis 12 Uhr wegen öffentlicher Aktionen gegen den drohenden IrakKrieg zu unterbrechen.

Ich habe mich diesbezüglich mit den parlamentarischen Geschäftsführern und mit dem Präsidium verständigt und schlage Ihnen folgende Regelung vor: Punkt 3 am

morgigen Tage wird planmäßig behandelt. An zweiter Stelle wird, wie eben beschlossen, von 10 Uhr bis 11.10 Uhr Punkt 4 behandelt. Dann würden wir Punkt 15 vorziehen von 11.10 Uhr bis 11.45 Uhr. Danach würde von 11.45 Uhr bis 12.30 Uhr die Mittagspause stattfinden.

Da es aber nicht sicher ist, dass wir um 11.10 Uhr bereits mit dem Tagesordnungspunkt 4 fertig sein werden, wird es morgen der Sitzungsleitung überlassen bleiben zu entscheiden, ob wir möglicherweise schon um 11.30 Uhr, also noch vor der Behandlung von Punkt 15 und Punkt 9 oder erst danach in die Mittagspause eintreten werden. Das wird dann operativ festgelegt. Auf jeden Fall wird sichergestellt werden, dass diese zehn Minuten innerhalb der Mittagspause liegen werden. Gibt es dagegen Widerspruch? - Ich sehe, es gibt keinen Widerspruch. Dann werden wir morgen so verfahren. Herzlichen Dank.

Die Mitglieder des Ältestenrats sind in dessen 10. Sitzung am 6. März 2003 meinem Vorschlag gefolgt, die Sitzungen des Landtages am Donnerstag künftig generell gegen 19 Uhr zu beenden. Der Grund hierfür sind die parlamentarischen Begegnungen, zu denen die Mitglieder des Landtages jeweils am Donnerstagabend von den Veranstaltern eingeladen werden. Die Mitglieder des Ältestenrates haben aber vereinbart, dass in begründeten Ausnahmefällen von dieser generellen Regelung abgewichen werden kann.

Die vereinbarte 19-Uhr-Regelung gilt damit bereits für die heutige Sitzung, da, wie Sie wissen, der Verein Deutscher Ingenieure um 19.30 Uhr zu einer parlamentarischen Begegnung eingeladen hat. Die Veranstaltung findet im Raum B0 05 des Landtagsgebäudes statt.

Die morgige 16. Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich Sie an die heute bis 15 Uhr bestehende Möglichkeit erinnern, sich für die neue Auflage des Volkshandbuches von unserem Parlamentsfotografen fotografieren zu lassen. Das Fotostudio befindet sich im Raum der Landespressekonferenz. Nach meiner Information sind Sie aber bereits schriftlich und per E-Mail davon in Kenntnis gesetzt worden.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1:

Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Prof. Dr. Wolfgang Böhmer zum Thema „Reformen braucht das Land“

Meine Damen und Herren! Ich erteile Herrn Ministerpräsidenten Professor Dr. Böhmer zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort. Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren und wir sind uns einig in dem Ziel, den Menschen in unserem Land wieder eine Perspektive zu geben. Dies ist auch das erste und wichtigste Ziel der Landesregierung. Dazu gehört, alles zu tun, um im eigenen Land Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen, dass jeder in Eigenverantwortung über sein Schicksal bestimmen soll, und wir wissen, dass das nur dann geht, wenn

er sich durch eigene Arbeit die materiellen Grundlagen dazu selbst erarbeiten kann. Dabei waren wir bisher weniger erfolgreich, als wir es erhofft hatten.

Wer Arbeitsplätze schaffen will, muss Arbeitgeber ansiedeln, Investitionen rechtlich begünstigen und für die vorhandenen Arbeitgeber für Arbeit und für Umsatz sorgen. Diesem Ziel haben wir viele andere nachgeordnet. Dafür sind wir auch kritisiert worden. Diese Entwicklung hat kleine Erfolge gebracht, aber noch keine bessere Bilanz der Arbeitsplätze. Noch rudern wir gegen einen Strom, der stärker ist als wir. Deshalb habe ich heute dieses Thema beantragt.

Sachsen-Anhalt ist kein abgeschlossenes Wirtschaftsgebiet. Wir sind ein kleiner Teil des Wirtschaftsraumes Deutschland, dessen Regeln auch für uns gelten. Das Bruttoinlandsprodukt Sachsen-Anhalts ist im vergangenen Jahr real um 0,5 % gewachsen, das der neuen Bundesländer ohne Berlin insgesamt um 0,1 %, das der Bundesrepublik Deutschland insgesamt um 0,2 %.

Die neuen Bundesländer entwickeln sich wieder langsamer als die alten Bundesländer. Unsere besseren Wirtschaftsdaten sind durch ein Wachstum von 7,3 % im verarbeitenden Gewerbe und von 8,4 % in der Ernährungsgüterwirtschaft bedingt und werden neutralisiert durch erhebliche Rückgänge in der Bauwirtschaft und auch im Dienstleistungsbereich.

Die Arbeitslosenquote ist im Februar dieses Jahres auf 21,7 % gestiegen. Bundesweit sind mehr als 4,7 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet; die tatsächliche Zahl soll erheblich größer sein.

Im Januar dieses Jahres befanden sich bei uns 11 720 geförderte Arbeitnehmer in Strukturanpassungsmaßnahmen und 13 008 geförderte Arbeitnehmer in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Im Fort- und Weiterbildungsbereich wurden 22 714 Teilnehmer gefördert. Wenn jetzt die Finanzmittel dafür erheblich gekürzt werden sollen, kann sich jeder ausrechnen, was das bedeuten wird.

Trotz angestrengter Investitionsbemühungen geht die Zahl der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern jährlich um 1 bis 2 % zurück; in Sachsen-Anhalt leider am stärksten.

Im Bereich der chemischen Industrie wurden bei uns in den Jahren von 1991 bis 2001 insgesamt 7,6 Milliarden € investiert. Der Umsatz ist allein von 2001 auf 2002 um mehr als 6 % gestiegen, die Zahl der Arbeitsplätze kaum noch.

Was wir auch tun und so viel wir uns auch gegenseitig zumuten, um eine bessere wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen - gegen einen bundesweiten Trend werden wir es nicht schaffen. Deshalb brauchen wir eine andere Politik in Deutschland.

(Zustimmung bei der CDU)

Der deutsche Aktienmarkt hat in 2002 ca. 40 % seiner Werthaltigkeit verloren. Im ersten Quartal 2003 waren es zusätzlich noch einmal 21 %, während der übrige europäische Markt nur 15,6 % und der US-amerikanische Markt 9,4 % verloren haben. Einige große deutsche Gesellschaften haben einen Aktienwert teilweise unterhalb des Buchwertes und werden damit für andere disponibel. Deutschland gilt für viele nicht mehr als werthaltiger Wirtschaftsstandort.

Gegen diesen Trend können wir in einem kleinen neuen Bundesland mit knapp 3 % aller Einwohner Deutschlands keinen grundlegenden wirtschaftlichen Aufschwung

organisieren und keine nennenswerte Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen grundlegende Reformen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir müssen die Lohnstückkosten und damit unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit entlasten von den zusätzlichen Lasten unserer sozialen Sicherungssysteme.

Die großen sozialen Sicherungssysteme, auf die wir im internationalen Vergleich über 100 Jahre lang stolz sein konnten, wurden Ende des 19. Jahrhunderts bei einer völlig anderen demografischen Bevölkerungsschichtung als kapitalgedeckte Versicherungskassen gegründet. Erst nach der Inflation Anfang der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden daraus umlagefinanzierte Versicherungskassen. Die Sozialgerichte erweiterten kontinuierlich die Leistungspflicht.

Ein völlig geändertes generatives Verhalten hat die Bevölkerungsstrukturen umgeschichtet. Der Arbeitsmarkt ist durch die Automatisierungstechnologien völlig verändert worden. Hohe Arbeitslosigkeit führt zu Einnahmeverlusten bei den Versicherungskassen und im Steuersystem. Durch zusätzliche Lasten für die Rentenversicherung soll der Arbeitsmarkt entlastet werden.

Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert staatlich gewollte Sozialleistungen. In der Wirtschaft werden Investoren als Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen mit Einnahmen aus der Lohnsteuer von Arbeitnehmern gefördert. Damit soll der Nachteil ausgeglichen werden gegenüber Investitionsstandorten mit niedrigeren Tarifen oder besserer Infrastruktur.

Keines der Systeme funktioniert mehr durch Eigenregulation und bedarf der staatlichen Stützung aus dem Steuersystem. Das ist eine Belastung für den Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich und auch auf nationaler Ebene, weil die Wirtschaftskraft der neuen Länder unter diesen Bedingungen nicht gegen den Trend aufgebaut werden kann.

Ein Handwerker - Sie wissen das - muss selbst etwa drei bis vier Stunden arbeiten, um sich eine Stunde Arbeitszeit eines anderen Handwerkers leisten zu können. Das Einzige, was dadurch wächst, ist die Schwarzarbeit.

(Herr Gürth, CDU: Genau so ist es!)

Eine Deregulierung des Arbeitsmarktes ist sicherlich keine Garantie für eine Belebung der Wirtschaft, aber eine notwendige Voraussetzung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Alle politischen Parteien sehen den riesigen Reformbedarf auf Bundesebene. Von keiner Partei gibt es bisher ein überzeugendes Lösungskonzept. Gemeinsam, denke ich, sind wir verpflichtet, danach zu suchen und dafür Mehrheiten zu finden. Natürlich ist die jeweilige Regierung verpflichtet, Vorschläge vorzulegen.

Dass sich unterschiedliche politische Parteien in einer Demokratie über den besten Lösungsweg streiten, ist inzwischen auch für uns normal. Wichtiger als jede Parteipolemik ist eine breite Überzeugung in der Bevölkerung, dass es ohne grundlegende Reformen nicht weitergehen kann. Weder auf der Ebene der Bundespolitik noch bei uns in Sachsen-Anhalt werden wir zu notwendigen Reformen fähig sein, wenn jeder nur über Veränderungen bei anderen nachzudenken bereit ist, ohne auch für den eigenen Verantwortungsbereich Alternativen zuzulassen.

In der letzten Zeit wird eine gegenüber dem Bundestag andere parteipolitische Mehrheit im Bundesrat als Re

formhindernis in Deutschland angesehen. Ich halte das schlicht für falsch. Der Kompromiss bei den so genannten Hartz-Gesetzen zum Arbeitsmarkt beweist, dass es nicht so sein muss, wenn man aufeinander zuzugehen bereit ist.

Während der letzten Wahlperiode des Bundestages haben von den Gesetzesinitiativen der Bundesregierung 91 % Gesetzeskraft erlangt, von den Gesetzesinitiativen des Bundestages waren es sogar 99 %. Dagegen sind von den Gesetzesinitiativen des Bundesrates lediglich 23 % vom Bundestag beschlossen worden. Wenigstens diese statistische Erfolgswahrscheinlichkeit von Bundesratsinitiativen sollte auch der Landtag kennen.

Ein Problem ist die zunehmende konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, wodurch unnötig viele Initiativen der Bundesregierung zustimmungspflichtig werden. Das Verfassungsgebot gleichwertiger Lebensverhältnisse verlangt keinen staatlichen Zentralismus und lässt unterschiedliche Regelungen auch in den Ländern zu.

Nicht sinnvoll erscheint mir ein Vorschlag, ein Problem zuerst bundeseinheitlich zu regeln und danach Länderkompetenz als Modellregion zulassen zu wollen. Wenn eine zur Erprobung angebotene Möglichkeit nicht überzeugt, wird es niemand tun. Wenn sie überzeugt, werden es alle tun wollen und dann notfalls beim Verfassungsgericht einklagen.