Curt Becker

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Last Statements

Ich beantworte namens der Landesregierung die Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Paschke wie folgt.
Zu Frage 1: Zum Verständnis der Neuregelung des Sonderurlaubs zur Betreuung schwer kranker Kinder ist zunächst darauf hinzuweisen, dass alle Beamtinnen und Beamten unabhängig von der Anzahl der Kinder weiterhin einen Anspruch auf die Gewährung von Sonderurlaub im Umfang von maximal sechs Arbeitstagen pro Jahr haben. Alleinerziehenden steht ein Anspruch von maximal zehn Arbeitstagen zu.
Bei dieser Regelung bleibt es auch nach der zum 1. Januar 2006 in Kraft tretenden Neuregelung. Darüber hinaus kann nunmehr Beamtinnen und Beamten, wie übrigens auch Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten, entsprechend den Regelungen für Arbeiter und Angestellte weiterer Sonderurlaub gewährt werden, also zusätzlicher Sonderurlaub. Die Gewährung des sechs bzw. zehn Tage überschreitenden Sonderurlaubs steht also im Ermessen des Dienstvorgesetzten.
Voraussetzung für diesen Sonderurlaub sind allerdings Beamtenbezüge unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das sind im Jahr 2005 46 800 €. Das entspricht im Durchschnitt etwa dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 13. Haushaltsmäßige Mehraufwendungen, zum Beispiel notwendige Ersatzeinstellungen, müssen ausgeschlossen sein.
Die Dauer des Sonderurlaubs für die Betreuung eines jeden erkrankten Kindes unter zwölf Jahren beträgt einschließlich des eingangs genannten Grundanspruchs von sechs Tagen nunmehr maximal acht Arbeitstage im
Jahr. Im Falle der Betreuung mehrerer erkrankter Kinder ist die Dauer des Sonderurlaubs auf maximal 19 Arbeitstage begrenzt. Alleinerziehende können für jedes Kind Sonderurlaub bis zu 15 Arbeitstagen im Jahr erhalten, bei mehreren erkrankten Kindern jedoch nicht mehr als 38 Arbeitstage.
Zu Frage 2: Das Ministerium des Innern wird einen Erlass zur einheitlichen Auslegung der von mir soeben erläuterten Ermessensregelung bis Ende Dezember 2005 herausgeben.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der Berichterstatter hat über den Gang der Beratungen sehr
ausführlich berichtet, sodass ich mich relativ kurz fassen kann. Meine Position und die der Landesregierung ist bekannt. Ich habe mich mit Nachdruck - das ist auch die Auffassung der Landesregierung - für einen von BadenWürttemberg in den Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf eingesetzt und im Februar dieses Jahres aufgrund der Beratungen im Ausschuss und der Anhörung die Kolleginnen und Kollegen in den einzelnen Bundesländern nochmals um die Unterstützung des Vorhabens ersucht und ihnen dabei das Ergebnis der Anhörung im Ausschuss für Recht und Verfassung zukommen lassen.
Indes war die Resonanz auf mein Schreiben - das muss ich leider feststellen - eher verhalten. In diesem Zusammenhang räume ich ein, dass die Zahl der Kindesaussetzungen und Kindestötungen trotz der Einführung etwa der Babyklappe bundesweit im Wesentlichen unvermindert ist. Ich kann daher auch nicht verlässlich prognostizieren, dass sich mit der Zulassung etwa der anonymen Geburt die Zahl der Kindesaussetzungen und der Kindestötungen verringern wird.
Ich erkenne auch, dass die Babyklappe in ihrer Wirkungsweise der anonymen Geburt sehr nahe kommt, möglicherweise aber das psychologisch niedrigschwelligere Angebot für die betroffenen Frauen ist. Trotzdem bin ich nach wie vor der Auffassung, dass die Legalisierung der anonymen Geburt eine Chance ist, Abtreibungen zu vermeiden sowie Kindesaussetzungen und Kindestötungen zu verhindern. Auf diese Chance sollten wir nicht ohne Not verzichten. Jedes gerettete Leben, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wäre ein Erfolg.
Ich werde mich daher auch in Zukunft dafür einsetzen, dass der in den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf des Landes Baden-Württemberg zur Regelung der anonymen Geburt weiterverfolgt wird. Gegenwärtig sehe ich für die Einbringung dieses Entwurfs in den Bundestag keine Mehrheit im Bundesrat. Ich hoffe aber, dass sich eine breitere Unterstützung erreichen lässt, wenn es mir gelingt, die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern zu überreden, dieses Gesetz von vornherein zeitlich zu befristen, um damit eine gewisse wissenschaftliche Evaluierung dieses Gesetzes zu erreichen. Dann kann erneut darüber diskutiert werden, ob dieses Gesetz weiter Anwendung finden soll oder nicht.
So gesehen bin ich dankbar für die Unterstützung, die die Regierung durch die Diskussion und durch die Anhörung im Rechtsausschuss auf diesem Gebiet erhalten hat. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich danke allen Vorrednern für ihre Beiträge, die unterschiedlich nuanciert waren, aber letztlich doch zu dem gleichen Ergebnis gekommen sind: dass Jugendarrest eine Erziehungsmaßnahme unter vielen ist und dass wir auf dem richtigen Weg sind, diesen Jugendarrest weiterhin so anzuwenden, wie er jetzt im Land angewendet wird.
Ich bin auch der Auffassung, dass es sicherlich gut ist - damit nehme ich die Anregung meiner Vorrednerin Frau von Angern auf -, dass sich der Rechtsausschuss einmal im Rahmen der Selbstbefassung intensiv mit diesen Fragen befasst.
Ich möchte zunächst die Mahnung des Kollegen Rothe in den Vordergrund rücken, der gesagt hat: Das Grundgesetz verbietet es dem Parlament, sich als Oberrichter hinzustellen und zu sagen: Dieses Urteil ist gut und jenes Urteil ist nicht gut. Damit haben Sie selbstverständlich Recht, Herr Rothe. Diese Zurückhaltung müssen sich sowohl die Regierung als auch das Parlament auferlegen. Wir haben die Gewaltenteilung zu respektieren und dürfen uns nicht positiv oder negativ über die dritte Gewalt auslassen.
Es ist uns aber sicherlich nicht verwehrt, ein Urteil zum Anlass zu nehmen, über das eine oder andere nachzudenken, und festzustellen, wie zum Beispiel die Öffentlichkeit reagiert. Ich kann wirklich nicht erkennen - Herr Rothe, darüber müssen wir uns dann vielleicht noch einmal unterhalten -, wo in dem Antrag der CDU-Fraktion eine Benotung vorgenommen würde. Es heißt in der Begründung lediglich:
„Gerade der oben geschilderte Fall zeigt, dass das Jugendstrafrecht auch auf ein solches intensives Instrument angewiesen ist.“
Dies ist doch keine Bewertung. Man nimmt diesen Fall lediglich zum Anlass, über die Wirksamkeit des Jugendarrests nachzudenken. Darin kann ich keine Benotung erkennen.
Ich möchte aber feststellen, dass die Öffentlichkeit die Reaktionen, die erfolgt sind, nämlich dass man vom 26. auf den 28. September 2005 gehandelt hat, positiv bewertet hat. Am 26. September 2005 kam es zu dem Vorfall, eine 16-Jährige schlug einer 15-Jährigen mit einem Schlagring auf den Kopf. Das Furchtbare ist: Es geschah früh am Morgen, um 7 Uhr, zu einer Zeit, zu der im Grund genommen noch überhaupt keine Aggressionen aufgestaut sein können; da steigt man eigentlich erst aus dem Bett.
Ich beantworte sie gern, Herr Gallert. Bitte schön.
Herr Gallert, ich habe ausdrücklich gesagt, wir können uns nicht zum Oberrichter über ein Gerichtsurteil aufschwingen, aber wir können einen Vorgang natürlich zum Anlass für eine Aktuellen Debatte nehmen. Das ist doch ganz klar. Ein Fall kann doch etwas auslösen. Die Frage nach der Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit von Zuchtmitteln kann doch von so einem Fall ausgehend behandelt werden. Mehr als das ist nicht gesagt worden. Ich kann also den Vorwurf, der von Herrn Rothe erhoben worden ist, in diesem Punkt nicht nachvollziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte sagen, dass die Jugendpolitik meines Hauses - neben dem Haus des Kollegen Gerry Kley sind auch wir für Jugendpolitik zuständig - mehrfach unter die Überschrift „Grenzen setzen und Hilfen anbieten“ gestellt worden ist.
Ich erinnere an die Diskussion über die Änderung der Diversionsrichtlinien, die wir in diesem Hause geführt haben, oder an die schon erwähnte Diskussion über das Jugendstrafrecht, die vor der Sommerpause in diesem Haus stattgefunden hat. Ich bin auch der Meinung, dass Schulsozialarbeit und andere Maßnahmen zunächst Vorrang haben müssten vor allen Sanktionen, die wir dann anwenden.
Der Grundkonsens, dass Prävention vor Repression zu stellen ist, darf uns aber nicht daran hindern, dort, wo es unumgänglich ist, auch die notwendige Härte zu zeigen. Dafür haben wir einen Instrumentenkoffer, den wir alle kennen.
Ich möchte dieses Hohe Haus nicht für eine Lehrstunde zum Jugendstrafrecht missbrauchen; dennoch möchte ich Sie darauf hinweisen, dass der Jugendarrest in der Form des Freizeit-, des Kurzzeit- und des Dauerarrestes eine kurzfristige Freiheitsentziehung ist und einen sühnenden und erzieherischen Einfluss haben soll. Er soll den Jugendlichen bzw. den Heranwachsenden zur Selbstbesinnung führen, ihm dringlich bewusst machen, dass er, der Jugendliche, für begangenes Unrecht einzustehen hat. Künftigen Verfehlungen will man auf diese Art und Weise mit sozialpädagogischen Hilfen vorbeugen.
Zur Historie wissen wir, dass der Jugendarrest in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurde. Damals sind von der Jugendgerichtsbewegung harte Erziehungsstrafen gefordert worden. Die DDR hat den Jugendarrest als „nationalsozialistische Erfindung“ abgeschafft - das war er im Grunde genommen gar nicht; denn er war schon lange Zeit vorher gefordert worden -, um ihn dann im Jahr 1968 unter der Bezeichnung „Jugendhaft“ als kurze Freiheitsentziehung wieder einzuführen.
Wie sieht es in Europa aus? - Europäische Nachbarn wie Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz haben ähnliche Einrichtungen geschaffen.
Lange Zeit gab es ideologische Positionen, die den Jugendarrest verteufelten. Bei aller Kritik darf aber nicht verkannt werden, dass die Verurteilten nicht einfach weggesperrt werden; vielmehr werden sie im Arrestvollzug von engagierten Vollzugsleitern und helfenden Kräften erzieherisch betreut.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass selbstverständlich auch für mich der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt der zu verhängenden Sanktionen steht. Daher kommt es wesentlich auf die Ausgestaltung des Arrestes an.
Nach § 90 des Jugendgerichtsgesetzes soll der Jugendarrest erzieherisch gestaltet werden. Dort heißt es:
„Er soll dem Jugendlichen helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben.“
Dieses Ziel kann umso besser erreicht werden, je schneller der Arrest nach der Tat und der Verurteilung vollstreckt wird. Der in Rede stehende Fall ist ein Beispiel, an dem ganz deutlich geworden ist, wie das ablaufen kann und welche Auswirkungen das hat. Wenn Sie sich mit Schülern oder Lehrern an der betreffenden Sekundarschule unterhalten, dann werden Sie als Reaktion hören - das konnten wir den Medien entnehmen -, dass man das schnelle Reagieren als etwas Positives empfunden hat.
Deshalb ist der Jugendarrest nach der Jugendarrestvollzugsordnung in der Regel unmittelbar, nachdem das Urteil Rechtskraft erlangt hat, zu vollziehen. Hierbei wirkt sich der von mir immer wieder gebrauchte Satz „Schnelles Recht ist gutes Recht“ aus. Das ist also auch in Gardelegen geschehen.
Wir versuchen das übrigens in Sachsen-Anhalt immer so zu tun. Ich muss jedoch feststellen, dass wir nur eine
Jugendarrestanstalt haben, und dort gibt es nicht genug Arrestplätze. Deshalb werde ich den Vorfall von Gardelegen zum Anlass nehmen und prüfen, ob eine Beschleunigung des Vollzugs des Jugendarrests zum Beispiel dadurch erreicht werden kann, dass im Rahmen der Nutzung bereits vorhandener Jugendvollzugseinrichtungen auch eine Jugendarresteinrichtung im Norden des Landes vorgehalten werden kann. Das befindet sich bereits in der Prüfung.
Wir haben bislang nur eine einzige Anstalt im Süden, in Halle. Das führt zu weiten Anfahrtswegen, insbesondere bei den kurzen Freizeitarresten oder Erziehungsarresten, die am Wochenende abgegolten werden, sodass Richter sich oft die Frage stellen, ob die Fahrt nach Halle sich eigentlich lohnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf auch sagen, dass sich der Bundesrat mit Mehrheit für den Jugendarrest ausgesprochen hat. Er sieht darin ein Mittel, um den Jugendlichen unmissverständlich deutlich zu machen, dass eine Verhaltensänderung notwendig ist. Der Arrest ermöglicht zudem eine heilsame Trennung aus dem ungünstigen Umfeld. Diese Auffassung hat der Bundesrat mehrfach zum Ausdruck gebracht und auch die Justizminister haben entsprechend votiert.
Wenn der Jugendarrest im Sinne des so genannten kurzen, scharfen Schocks für die Betreffenden helfen kann, eine Jugendstrafe zu vermeiden, so liefe seine Abschaffung dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes eigentlich zuwider.
Ich meine abschließend feststellen zu können: Der Jugendarrest hat sich bewährt. Einer meiner Vorredner hat auch darauf hingewiesen, dass wir in Bezug auf die Vollziehung des Jugendarrests im Vergleich der Bundesländer weit vorn liegen. Die meisten Jugendarreste werden hier im Lande vollzogen und das ist gut so.
Ich darf zweitens feststellen: Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, damit dieses Zuchtmittel erhalten bleibt und gegebenenfalls noch ausbaut wird, etwa mit dem so genannten Warnschussarrest, der, wie Sie alle aus unserer bisherigen Diskussion wissen, im Gespräch ist. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der Herr Berichterstatter und gleichzeitig Vorsitzende des Aus
schusses für Recht und Verfassung hat soeben von den Schwierigkeiten gesprochen, die wir innerhalb dieses einen Jahres gemeinsam zu überwinden hatten. Ich darf auch seitens der Landesregierung zunächst allen Ausschüssen Dank sagen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben. Es waren außer dem Ausschuss für Petitionen sämtliche Ausschüsse, die mit diesem Gesetz befasst waren.
Ich sage auch dem GBD und insbesondere natürlich den rechtspolitischen Sprechern aller Fraktionen Dank, die sich dieser - ich zitiere noch einmal den Berichterstatter - Sisyphusarbeit unterzogen haben. Ich kann aber dem Herrn Berichterstatter nicht garantieren, dass er nicht wieder einmal ein ähnliches Gesetz auf den Tisch bekommt; denn das Gesetz heißt: Erstes Gesetz zur Rechtsbereinigung und Verwaltungsvereinfachung. Das deutet darauf hin, es ist der Wille dieser Landesregierung, hier nicht stehen zu bleiben; wir wollen in dieser Richtung weitermarschieren.
Wir haben auf anderen Gebieten - ich erinnere an die Investitionserleichterungsgesetze - dokumentiert, dass Rechtsvereinfachung und Rechtsdurchforstung eine Aufgabe dieses Parlamentes ist, das sich naturgemäß in den ersten Jahren seiner Tätigkeit genau in die andere Richtung bewegt hat, nämlich neue Gesetze zu schaffen. Aber wir stellen fest, dass der Bürger allmählich in einem Dickicht von Rechtsvorschriften versinkt, dass er sich darin verheddert und verhakt und dass die öffentliche Hand immer mehr Manpower hineinstecken muss, um diese Gesetze umzusetzen, was wiederum zu Kosten führt.
Insofern nehme ich den Gedanken auf, den Herr Scharf heute früh in der Aussprache über die Regierungserklärung eingebracht hat, wonach Deregulierung auch dazugehört, um den Haushalt zu verschlanken. Daher dürfen wir Ihnen eines mit Gewissheit sagen: Es ist keine vorübergehende Aufgabe, die mit diesem Gesetz abgehakt ist; dies ist eine Daueraufgabe, der sich der Landtag und die Regierung in Zukunft immer wieder werden unterziehen müssen.
Über die einzelnen Probleme, die sich in der Beratung aufgetan haben, hat der Herr Berichterstatter ausführlich berichtet, sodass ich mich insoweit auf seine Ausführungen berufen kann.
Die Reduzierung des Gesetzes von ursprünglich 150 Artikeln auf 80 Artikel ist kein Einknicken vor der Aufgabe. Wir werden die in den anderen 70 Artikeln steckenden Normen - vornehmlich Verordnungen - als Landesregierung noch in diesem Jahr außer Kraft setzen. Ich habe eine entsprechende Kabinettsvorlage in Bearbeitung und die Landesregierung wird darüber noch in diesem Jahr beraten.
Es war uns daran gelegen, Sie alle mitzunehmen und den Kompromiss mit dem GBD zu suchen. Deshalb haben wir die 70 Artikel herausgenommen. Wir regeln das nun in eigener Zuständigkeit. Es entspricht - das gestehe ich Ihnen gern zu - mehr dem Gewaltenteilungsprinzip, dass die Regierung für Verordnungen und der Landtag für Gesetze zuständig ist.
Auf zwei Dinge, die von großem Interesse für uns waren, gehe ich noch besonders ein. Das ist zum einen die Rechtsvereinfachung im Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes. Wir haben dafür plädiert, das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes
von einem Vollgesetz zu einem Rumpfgesetz mit der dynamischen Verweisung auf das Bundesgesetz auszugestalten. Wir wissen, dass dies nicht die Gegenliebe der Opposition gefunden hat, die ansonsten bei der Gesetzesarbeit fleißig und konstruktiv mitgewirkt hat.
Ich darf es noch einmal sagen: Auch ich war früher, in den Jahren 1990, 1991 und 1992, ein Verfechter von Vollgesetzen. Ich habe damals zusammen mit dem Abgeordneten Engel von den Grünen häufig dafür plädiert, Vollgesetze zu schaffen, Gesetze also, wie der Name sagt, die die gesamte Materie dem Rechtsanwender abschließend auf den Tisch legen.
Die Zeiten haben sich indes geändert. In 15 Jahren sind die Rechtsanwender im Umgang mit dem Recht vertrauter geworden. Damals konnte man denjenigen, die das Verwaltungsverfahrensgesetz anzuwenden hatten, also in der Masse den Mitarbeitern in den Verwaltungen, nur das Gesetz als Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Heute bestimmen indes mehr denn je Rechtswissenschaft und Rechtsprechung das Verwaltungshandeln. Beides kann jetzt in Kommentaren nachgelesen werden und Kommentare zu einem Landesverwaltungsverfahrensgesetz werden nicht verlegt; sie sind einfach nicht auf dem Markt. Es bleibt also nur der Rückgriff auf die bundesrechtlichen Regelungen, das heißt also auf die dortigen Kommentare.
Wir sind der Meinung, dass mit der dynamischen Verweisung künftig dem Landtag der Druck genommen wird, Änderungen, die in Berlin im Bundestag und im Bundesrat vorgenommen werden, in einer Parallelveranstaltung nachzuvollziehen. Wir wissen, dass gerade dieses Bundesverwaltungsverfahrensgesetz in der letzten Zeit sehr häufig geändert worden ist. Ich erinnere nur daran, dass gerade im Zusammenhang mit dem Datenschutzgesetz und mit der Datenverarbeitung viele Neuerungen in dieses Gesetz hineingekommen sind.
Lassen Sie mich noch ein zweites Thema ansprechen. Die Möglichkeit, die Landesschuldenverwaltung ähnlich wie auf Bundesebene zu privatisieren, ist in diesem Gesetz vorgesehen gewesen; sie ist im Finanzausschuss gestrichen worden. Es liegt im freien Ermessen des Gesetzgebers, Ermächtigungen zur Schuldenverwaltung für Private im Gesetz einzuräumen. Diese Flexibilisierung von Verwaltungsorganisation hätte unseres Erachtens zu einer Verwaltungsvereinfachung beitragen können und deshalb war die Aufnahme in das erste Rechts- und Verwaltungsvereinfachungsgesetz angemessen. Uns erscheint aber die Streichung insoweit vertretbar, als dann noch Erfahrungen auf Bundesebene abgewartet werden können, bevor auf Landesebene eine entsprechende Entscheidung getroffen wird.
Ich komme zum Schluss: Ich danke noch einmal allen, die an diesem Gesetz mitgewirkt haben. Meines Erachtens war es ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, dem in Zukunft im Interesse unserer Bürger und Rechtsanwender dringend weitere Schritte der Rechtsvereinfachung und der Verwaltungsvereinfachung folgen müssen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Verehrte Frau Fischer, wir stellen uns diese Frage im Kabinett jedes Mal, wenn ein Gesetz auf den Tisch gelegt wird. In diesem Fall haben wir die Frage zugunsten des von Ihnen genannten Gesetzes entschieden. So ist der Vorgang gewesen. Dass andere dies vielleicht anders sehen, ist richtig. Wir haben uns damit befasst, sind aber dann doch zu dem Ergebnis gekommen, es sei richtig, ein Gesetz zu schaffen.
Ich verkenne nicht, dass es in der Verwaltungspraxis und in der Rechtstheorie sogar Überlegungen gibt, die eine so genannte Aufgabenbudgetierung vorsehen und fordern: Wenn der Landtag oder die Landesregierung ein neues Gesetz kreiert, dann muss im selben Atemzug von ihm oder ihr ein anderes Gesetz eingezogen werden.
Das ist eine sehr interessante Meinung. Diese Frage haben wir schon seitens meines Hauses mit der Verwaltungshochschule Speyer ventiliert. Sie wurde von dem Präsidenten des Landesverwaltungsamtes Herrn Leimbach in die Diskussion gebracht. Wir sind aber noch zu keiner griffigen, der Realität der Praxis entsprechenden Regelung gekommen.
Nehmen wir einmal an, wir würden ein Gesetz wie das - Sie sprachen es an - Familienförderungsgesetz schaffen und würden sagen, wir streichen dafür ein anderes. Dann würde sich natürlich die Frage stellen: Streichen wir das Waldgesetz? Oder nehmen wir ein Gesetz aus dem Bereich der Justiz? Oder nehmen wir ein Gesetz aus dem Bereich Schule? Das ist äußerst schwierig.
Verwaltungstheoretiker weisen auf diesen Umstand hin und sagen: Man könnte die Fülle der Gesetze einiger
maßen stabil halten, wenn man von dieser Gesetzesbudgetierung ausgeht. Aber das ist eine noch nicht ausgereifte Angelegenheit.
Wir haben es bereits im Kabinett gesagt und ich wiederhole das: Wir haben uns bei der Abwägung aller Umstände für die Sinnhaftigkeit entschieden. Wir fühlen uns durch diese Anhörung bestätigt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich übernehme die Verantwortung für die Trockenheit und gebe diese Rede zu Protokoll. Ich beantrage, diesen Gesetzentwurf in den Ausschuss für Recht und Verfassung zu überweisen und ihn dort möglichst bald zu beraten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der heute in erster Lesung zu beratende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Justizgesetzen und anderer Vorschriften verfolgt zwei Ziele. Zum einen sollen die Vorschriften über die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung im Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetz des Landes über den 31. Dezember 2005 hinaus
gelten. Zum anderen soll die Ernennung von ehrenamtlichen Richtern den Präsidenten der Mittelbehörden übertragen werden, soweit dies noch nicht in anderen Gesetzen erfolgt ist.
Die Förderung einer neuen Streitkultur, in der Konflikte primär durch die Beteiligten selbst mit der Unterstützung eines neutralen Schlichters und nur subsidiär durch staatliche Gerichte gelöst werden, ist eines der zentralen Themen der großen Justizreform. „Schlichten statt richten“ löst Konflikte schneller und kostengünstiger. Die Konfliktparteien akzeptieren selbst ausgehandelte Lösungen eher und schaffen damit die Grundlage für dauerhaften Rechtsfrieden. Gleichzeitig entlasten sie im Bagatellbereich die Gerichte, die ihre Kräfte dann sinnvoller einsetzen können.
Sachsen-Anhalt hat sich bereits im Jahr 2001 mit den §§ 34a bis 34i des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes dafür entschieden, von der bundesrechtlich in § 15a des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen. Es hat daher für bestimmte Streitfälle den Versuch einer außergerichtlichen Einigung vor einer Klage zwingend vorgeschrieben. Die Geltung dieser Vorschriften ist derzeit bis zum 31. Dezember 2005 befristet. Sie soll durch den Gesetzentwurf nun um zwei Jahre verlängert werden.
Diese Verlängerung wird uns die Möglichkeit geben, im Land weiter Erfahrungen mit der außergerichtlichen Streitschlichtung zu sammeln und ihre Vorteile im Interesse der Bürger weiter zu nutzen. Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt können bundesweit Impulse für den Ausbau und die Verbesserung der viel versprechenden Ansätze im Bundes- und im Landesrecht geben. Sachsen-Anhalt beteiligt sich aktiv an einer Bund-LänderArbeitsgruppe, die die gesetzlichen Möglichkeiten konsensualer Streitbeilegung mit wissenschaftlicher Begleitung evaluiert und Verbesserungsvorschläge ausarbeitet.
Die Arbeitsgruppe prüft auch eine Änderung der bundesrechtlichen Rahmenvorschrift für die genannten Vorschriften des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes. Die Arbeitsgruppe wird voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Vorschlag erarbeiten. Damit die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe auch in SachsenAnhalt umgesetzt werden können, ist zunächst eine Verlängerung der Geltung des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2007 erforderlich.
Durch den Gesetzentwurf werden auch die Voraussetzungen einer obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung eindeutiger formuliert. Entsprechend der bundesgesetzlichen Vorgabe wird klargestellt, dass der Versuch einer außergerichtlichen Einigung vor der Klage nur dann zwingend ist, wenn beide Konfliktparteien Wohnsitz, Sitz oder Niederlassung in Sachsen-Anhalt haben.
Zweiter Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist es, die Zuständigkeit für die Bestellung und Berufung von Richtern der besonderen Fach- oder Berufsgerichtsbarkeiten neu zu regeln. Diese Aufgabe wird vom Ministerium der Justiz auf die Präsidenten der obersten Landesgerichte verlagert.
Betroffen sind die ehrenamtlichen Richter des Berufsgerichts und des Landesberufsgerichts für die Heilberufe, die Handelsrichter und die ehrenamtlichen Richter des Flurbereinigungssenats beim Oberverwaltungsgericht. Ehrenamtliche Richter der Berufsgerichte für die
Heilberufe und des Flurbereinigungssenats sollen künftig vom Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts, ehrenamtliche Handelsrichter vom Präsidenten des Oberlandesgerichts ernannt werden. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass sich durch den Gesetzentwurf an der Mitwirkung der betroffenen Kammern und Berufsverbände an der Auswahl der ehrenamtlichen Richter nichts ändert.
Die Änderungen dienen lediglich der Verwaltungsvereinfachung. Das Ministerium konzentriert sich damit auf seine Kernaufgaben. Es überlässt Vollzugsaufgaben der Gerichtsverwaltung den sachnäheren Präsidenten der Gerichtsbarkeiten, bei denen die einzelnen Fach- oder Berufsgerichte angesiedelt sind.
In diesem Zusammenhang weise ich auch auf den Entwurf eines Ingenieurgesetzes des Landes SachsenAnhalt in der Drs. 4/2397 hin, der soeben eingebracht worden ist. Dort ist wegen der besonderen Sachnähe in § 40 des Gesetzentwurfs die Ernennung der Mitglieder der Berufsgerichte für Ingenieure durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts vorgesehen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Dieser Antrag hat verschiedene Zielrichtungen und eine eint ihn wiederum in allen Zielrichtungen. Er soll in den Ausschuss überwiesen werden. Ich bin der Auffassung und würde anregen, dass wir über diesen Antrag heute hier entscheiden und ihn nicht in den Ausschuss überweisen. Ich werde versuchen, Ihnen das zu verdeutlichen.
Lassen Sie mich zunächst zu Punkt 2 kommen. Sie fordern, dass die Landesregierung beauftragt werden soll, im Bundesrat einer Verschärfung des Jugendstrafrechts entgegenzuwirken. Wir möchten uns - das gebe ich unumwunden zu - nicht an die Kette legen lassen. Im Übrigen haben wir einen Koalitionspartner, von dem wir alle wissen, dass er uns, wenn es darauf ankommt, in solchen Fragen sehr zur Zurückhaltung mahnen wird,
sodass ich meine, das es dieser Ermunterung nicht bedarf.
Sie haben ferner gesagt, dass Sie gern über das unterrichtet werden möchten, was die Justizminister von CDU/CSU und FDP am 15. und 16. in Naumburg gemacht haben. Ich darf vielleicht zur Erklärung anfügen, dass das eine so genannte B-Justizministerkonferenz war. Es gibt seit ca. 50 Jahren auch A-Justizministerkonferenzen.
Es ist Usus, dass dort weder Beschlüsse gefasst noch Protokolle geschrieben werden. Es ist ein Meinungsaustausch, es ist eine Kanalisierung von Meinungen zur Vorbereitung von anderen Konferenzen, die mit den A-Ländern stattfinden. Diese Konferenz hat tatsächlich zehn Tage später in Dortmund stattgefunden. Wir haben dort Meinungen koordiniert, sodass ich Ihnen im Grunde genommen nur einiges davon berichten könnte.
Es sei nur so viel gesagt: Wir haben uns über die große Justizministerkonferenz unterhalten und natürlich auch über diese von Ihnen hier angesprochenen Fragen des Jugendstrafrechts.
Es ist nicht richtig, wenn uns unterstellt wird, dass wir den eigentlichen Boden des Jugendstrafrechts verlassen wollten oder gar schon verlassen hätten. Auch für uns, Frau von Angern, steht der Erziehungsgedanke, wenn wir uns mit dem Jugendstrafrecht befassen, im Vordergrund. Es kann nicht hingenommen werden, wie Sie es mit Ihrer charmanten Art gesagt haben, dass wir aus Opportunismus und einfach um der Schlagzeilen willen in populistischer Weise Forderungen aufstellen, hinter denen wir nicht stehen und die insbesondere den eben aufgezeigten Rahmen sprengen würden. Das ist nicht so. Ich muss Ihnen sagen und werde das auch unter Beweis stellen, warum das nicht so ist.
So hat das Land Sachsen-Anhalt in der letzten Zeit im Bundesrat dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Jugendstrafrechts und zur Verbesserung und Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens vom 14. Mai 2004 zugestimmt. Worum ging es dabei? - Es ging nicht darum, etwas zu verschärfen, sondern es ging darum, den Instrumentenkoffer für den Jugendstaatsanwalt und für den Jugendrichter zu erweitern. Sie nannten schon einen Punkt, nämlich den so genannten Warnschussarrest - ich spreche lieber von Warnarrest -, den wir für wichtig halten.
Wenn man sich dafür einsetzt, kann man doch nicht als Scharfmacher bezeichnet werden. Wir fordern, dass es den Jugendrichtern künftig möglich sein soll, neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe auch Jugendarrest anzuordnen.
Warum fordern wir das? - Viele Jugendliche, insbesondere solche, welche aufgrund von Reifeverzögerungen straffällig geworden sind, verstehen die Strafe mit Aussetzung zur Bewährung einfach falsch. Das wird Ihnen jeder in der Jugendgerichtsbarkeit Tätige sagen. Sie wähnen sich irgendwie freigesprochen. Da sie oftmals mit völlig überzogenen eigenen Straferwartungen in die Gerichtsverhandlung gehen, ist in ihren Augen dann letztlich nichts geschehen.
Eine besondere Brisanz erhält die Situation, wenn etwa ein Mitangeklagter zu Jugendarrest verurteilt wird, weil er eine minderschwere Strafsanktion verdient, und dies von dem Verurteilten als ein besonders schwerer Eingriff im Vergleich zu der dem anderen zugesprochenen Bewährungsstrafe empfunden wird. Das ist doch ein Missverhältnis. Das kann so nicht stehen bleiben.
Wenn Sie uns unterschwellig vorwerfen, eine rückwärts gewandte Politik zu machen, so möchte ich an dieser Stelle nicht verhehlen, dass wir mit dem besagten Gesetzentwurf auch von dem in der Tat überholten und stigmatisierten Begriff der „schädlichen Neigung als Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe“ los kommen wollten. Unseres Erachtens muss einzig und allein die Schwere der Schuld dafür sprechen, ob Jugendstrafe oder ob keine Jugendstrafe verhängt wird. Das wollten wir erreichen. So weit sind wir mitgegangen.
Ich nenne einen weiteren Gesetzentwurf, den Entwurf eines Gesetzes zur Verwaltung von Rückfalldaten gefährlicher junger Gewalttäter. Auch diesen Gesetzentwurf haben wir im Bundesrat mitgetragen. Dieser Gesetzentwurf bedeutet keine Abkehr von dem bewährten Modell des Jugendgerichtsgesetzes.
Wenn wir den Strafrahmen der Jugendstrafen für schwerste Kapitalverbrechen auf 15 Jahre hinaufsetzen wollen, wenn wir deutlich machen wollen, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Straftaten Heranwachsender, also der 18- bis 21-Jährigen, nur in Ausnahmefällen erfolgen kann, nämlich wenn eine gravierende Reife- und Entwicklungsverzögerung vorliegt, dann ist dieses richtig und wird von allen, die damit zu tun haben, als richtig empfunden.
Als Justizminister weiß ich nämlich auch, mit welcher Sorgfalt und Zurückhaltung die Gerichte die ihnen anvertrauten Instrumente einsetzen. Ich bin mir zudem bewusst, dass in den meisten Fällen erzieherische Maßnahmen ausreichen, um dem Verhalten junger Menschen entgegenzuwirken. Was wir uns aber nicht leisten können, ist, die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass junge Menschen schwere Schuld auf sich laden und Straftaten mit schwersten Folgen für die Opfer begehen.
Ich bin nicht gewillt - das sage ich ganz offen, Frau von Angern -, die Hände in den Schoß zu legen und der Bevölkerung weiszumachen, es sei alles getan worden, was in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat für ihre Sicherheit geleistet werden kann. Hieran müssen wir weiter arbeiten.
Ich empfehle Ihnen, zum Beispiel in der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 23. Mai 2005 nachzulesen. Dort finden Sie die erhellenden Ausführungen des anerkannten Psychiaters Maneros aus Halle zur Sicherungsverwahrung, auf die ich jetzt zu sprechen komme. Auch wenn es eine ge
ringe Zahl von Personen ist, die diese Sicherungsverwahrung betrifft, so müssen wir die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass gegenüber verurteilten Jugendlichen, deren fortwährende hochgradige Rückfallgefährlichkeit während des Behandlungsvollzugs in den Jugendstrafanstalten unvermindert zutage tritt, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anordnet werden kann.
Frau von Angern, die Sicherungsverwahrung - das wissen Sie von Ihrem Examen her noch sehr genau - wird alle zwei Jahre überprüft, sodass ein „Wegsperren für immer“ überhaupt nicht in Rede steht. Das ist im Grunde genommen ein vorübergehender Freiheitsentzug, der allerdings unter den Kautelen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, ausgesprochen und vollzogen werden muss.
Ich meine, deshalb bedarf es keiner Berichterstattung oder gar einer Expertenanhörung im Ausschuss. Ich empfehle Ihnen, die entsprechenden Bundesratsdrucksachen zu den von mir eben erwähnten zwei Gesetzesvorhaben zu lesen. Dort finden Sie die Haltung der Landesregierung.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Sie haben unter Punkt 3 weitere Forderungen aufgestellt. Es besteht ebenfalls kein Grund, dass wir uns noch einmal damit befassen, weil wir beides bereits ausgeführt haben. Die von Ihnen erhobenen Forderungen machen auch deshalb keinen Sinn, weil ein Blick in den Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung 2004 alle Fragen, die Sie hier gestellt haben, beantworten dürfte.
Wir können das natürlich als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ansehen, aber ich meine, es gibt noch andere, wichtige Dinge im Rechtsausschuss, über die wir uns nach der Sommerpause unterhalten müssen. Dabei denke ich insbesondere an die Situation in den Vollzugsanstalten, worüber wir ebenfalls berichtspflichtig sind, und noch einige Punkte mehr.
Dann darf ich auch noch auf die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zu den Auswirkungen der Vergabe öffentlicher Mittel auf die Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Sachsen-Anhalt hinweisen, die dem Landtag in diesen Tagen zugeleitet wird und in der die restlichen offenen Fragen beantwortet werden, die Sie im Ausschuss noch einmal erörtern wollen. Ich bin deshalb der Meinung, es bedarf dieser Ausschussberatung nicht.
Bezüglich der im Grunde auch angesprochenen Diversionsrichtlinien sage ich, dass wir natürlich wissen, dass diese allein kein Heilmittel sind, um die Jugendkriminalität in den Griff zu bekommen oder um die Jugendkriminalität einzudämmen. Wir wissen aber auch, dass in den Berichten des Generalstaatsanwalts zur Kriminalstatistik in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen worden ist, dass die geänderten Diversionsrichtlinien auch etwas mit dem Rückgang der Eingangszahlen bei der Staatsanwaltschaft zu tun haben.
Ich halte aber ausdrücklich fest, Frau von Angern: Diese Richtlinien kriminalisieren niemanden. Sie machen nur klar und deutlich, dass es bei Jugendlichen delinquentes Verhalten gibt, das wir alle nicht hinnehmen können und auch nicht wollen. - Vielen Dank.
Ich möchte nur eine Anmerkung machen. Ich bitte zu beachten, Herr Gärtner, dass wir es in Zukunft möglicherweise mit Beschuldigten zu tun haben, die ihre Rechte verteidigen müssen. Wenn wir jetzt in der Öffentlichkeit schon in der einen oder anderen Weise Gutachten ausbreiten, halte ich das nicht für geeignet. Ich sage das einfach zum Schutz möglicher Beschuldigter - ganz theoretisch. Ich bin der Meinung, das gehört nicht in diese öffentliche Sitzung.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Verehrter Herr Gallert, mit Ihrem Antrag auf ein Verbot der Ausweitung der DNA-Analyse und gegen eine entsprechende Bundesratsinitiative umschleichen Sie die Koalition gleichsam wie der Fuchs den Hühnerhof. Sie wollen Unruhe in die Koalition hineinbringen.
Aber das wird Ihnen nicht gelingen, verehrter Herr Gallert. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Denn ich bin mir natürlich mit meinem Kollegen Kosmehl darüber einig, dass er dazu eine andere Position als ich und als ein Großteil der CDU einnimmt. Nur, das hält diese Koalition aus.
Das kann sie aushalten; denn sie deckt ein sehr großes politisches Spektrum unserer Gesellschaft ab. Da gibt es eben Kosmehls, da gibt es Beckers, da gibt es Stahlknechts und noch einige andere. Sie markieren ganz bestimmte Punkte und ganz bestimmte Meinungen. Darauf sind wir auch stolz.
Ich verhehle auch gar nicht, mein verehrter lieber Herr Gallert, dass wir uns in dem Punkt eigentlich näher bei der SPD befinden. Den SPD-Antrag könnte ich vollkommen unterstützen und auch unterschreiben.
Deshalb werde ich namens der Landesregierung anregen, dass wir nicht das tun, was wir am liebsten täten, nämlich Ihren Antrag abzulehnen, sondern dass wir ihn hineintragen in den Ausschuss für Recht und Verfassung und dass wir uns dort über die Problematik unterhalten und eine Anhörung durchführen. Ich rege an, dass wir zur Anhörung zur DNA zum Beispiel Herrn Professor Dr. Krause vom Institut für Rechtsmedizin von der hiesigen Universität, den Direktor des Landeskriminalamts Herrn Hüttemann, den Generalstaatsanwalt, einen Vertreter des Bundeskriminalamtes, den Inhaber des Lehrstuhls für Strafprozessrecht an der Universität in Halle Herrn Professor Dr. Lilie und auch den Landesbeauftragten für Datenschutz in Sachsen-Anhalt einladen.
Ich bin nämlich der Überzeugung, dass wir alle noch lernen müssen. Wenn ich an Herrn Kosmehl denke und mir Herrn Kosmehl ansehe, dann, verehrter Herr Kollege, erinnere ich daran, was Ihr Parteifreund van Essen vor zwei Tagen im Rechtsausschuss des Bundestags angekündigt hat. Er hat nämlich gesagt, er wolle einen Vorschlag vorlegen, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Also habe ich Hoffnung, dass wir uns infolge der Anhörung sehr stark aufeinander zu bewegen.
Deshalb, meine ich, ist es gut, wenn dieser Antrag nicht, wie Sie, Herr Gallert, es wollten, abgelehnt wird, sodass es Zwist gibt, sondern dass wir uns darüber unterhalten und dass wir auch den Antrag der SPD mitnehmen. Dann wird daraus ein Schuh; denn auch die SPD - das muss ich sagen - ist in Bezug auf dieses Problem geradezu führend, wenn ich nur an Herrn Schily denke.
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, hier einiges zur DNA-Analyse zu sagen.
- Herr Reck, bitte?
- Ja. Aber Schily ist doch ein Markenzeichen, verehrter Herr Kollege Reck. Wir wären alle froh, wenn wir so einen Schily in unseren Reihen hätten. Das ist doch unser Problem. Da sind wir ganz ehrlich.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch einmal etwas dazu zu sagen, was wir in Sachsen-Anhalt zum Beispiel aufgrund der DNA-Analyse alles erreicht haben. Etwa im Jahr 1998 wurde die Tötung einer 84-jährigen Rentnerin aufgeklärt. Am Waschbecken konnte eine winzige Blutspur sichergestellt werden. Aufgrund der DNA-Analyse wurde der Angeklagte überführt und zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt.
Ein zweites, anderes Beispiel. Bei einer Serienstraftat in Magdeburg, bei der im Zeitraum von 1991 bis 2001 alleinstehende Frauen in ihren Wohnungen überfallen, erpresst und teilweise vergewaltigt wurden, kam es aufgrund der DNA-Spuren schließlich zur Überführung des Angeklagten im September 2004.
- Herr Reck, hören Sie bitte zu. - Der Angeklagte wurde zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Ein dritter Fall aus dem Jahr 2002, ein Mord. An einer gefesselten Leiche konnte DNA-taugliches Material sichergestellt werden, das aufgrund weiterer Indizien vom Täter stammen musste. Der Angeklagte wurde überführt und zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt.
Schließlich konnte die Tötung von mehreren Neugeborenen auf diese Weise aufgeklärt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht zu erwarten, weil angekündigt, dass die Länder Bayern und Hessen eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen werden. Danach soll die DNA-Analyse künftig unter ähnlichen Voraussetzungen wie ein normaler Fingerabdruck durchgeführt werden. Dies soll im Wesentlichen durch zwei Punkte erreicht werden können:
Erstens. Die DNA-Analyse soll als einfache erkennungsdienstliche Maßnahme durchgeführt werden können. Damit sollen die nach geltendem Recht gemäß § 81g der Strafprozessordnung bestehenden Einschränkungen entfallen. Zurzeit müssen für eine DNA-Analyse zu erkennungsdienstlichen Zwecken noch zwei einschränkende Voraussetzungen erfüllt sein.
Zum einen muss der Beschuldigte einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtig sein - das ist die so genannte qualifizierte Anlasstat. Zum anderen muss aufgrund vorliegender Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehen, dass gegen den Beschuldigten wieder Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind - das ist die so genannte qualifizierende Prognose.
Dies Anforderung sind allgemein als zu hoch anerkannt worden und haben sich als eine nicht gebotene Hürde erwiesen. Deshalb soll mit dieser bayerisch-hessischen Gesetzesinitiative erreicht werden, dass künftig allein der Tatverdacht und die einfache Prognose, dass der Beschuldigte erneut straffällig werden könnte, ausreichen. So wird dies übrigens auch schon bei dem konventionellen Fingerabdruck nach § 81b der Strafprozessordnung gehandhabt.
Zweitens. Die Anordnung über die Durchführung der DNA-Analyse soll die Polizei treffen.
Ich als Justizminister unterstütze diese Gesetzesinitiative; daher die Abgrenzung zu meinem lieben Kollegen Kosmehl. Aber ich denke, wir beide untereinander und auch wir im Ausschuss werden noch einige Überzeugungsgespräche führen.
Das ist übrigens kein bloßer Populismus; denn ich habe bereits im Jahr 2003 eine ähnliche Initiative unterstützt.
Daran halte ich auch heute fest. Die DNA-Analyse wird nicht zu Unrecht auch als genetischer Fingerabdruck bezeichnet. Sie entspricht in ihrem Wesen tatsächlich dem konventionellen Fingerabdruck. Das werden wir hoffentlich im Rahmen der Anhörung alle deutlich dargelegt bekommen. Rechtliche Unterschiede bei der Anordnung dieser beiden Maßnahmen sind deshalb nicht geboten. Sie resultieren vielmehr aus Bedenken gegen die DNA-Analyse, die längst widerlegt und überholt sind.
Zum einen gibt es die immer wieder geäußerte Befürchtung, bei der DNA-Analyse würden persönlichkeitsrelevante Erbinformationen offengelegt. Dies ist bei der DNA-Analyse im Strafverfahren gerade nicht der Fall. Diese DNA-Analyse dient wie der Fingerabdruck allein der Identifizierung. Dazu werden so genannten nichtcodierende Bereiche der DNA untersucht. Das sind die Bereiche der DNA, die keine Erbinformationen erhalten. Rückschlüsse etwa auf Persönlichkeitsmerkmale des Beschuldigten sind mit Ausnahme der Geschlechterbestimmung gerade nicht möglich.
Ich möchte es deutlich hervorheben: Aus den im Strafverfahren erhobenen DNA-Mustern können also weder Größe, Haarfarbe noch andere genetisch bedingte Merkmale noch Krankheiten oder der Charakter abgeleitet werden. Darauf gerichtete Untersuchungen sind zudem ausdrücklich verboten.
Uns wird entgegengehalten: Was ist aber mit der Gefahr des Missbrauchs? Das ist ein Argument, das man immer wieder hört. Die generelle und wohl auch nur theoretische Möglichkeit des Missbrauchs ist aber meines Erachtens gerade keine der DNA-Analyse spezifisch anhaftende Gefahr. Diese Möglichkeit besteht doch auch bei jeder im Ermittlungsverfahren entnommenen Blutprobe. Trotzdem würde aber niemand auf die Idee kommen, deshalb bei alkoholisierten Autofahrern nicht mehr Blutproben zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit zu entnehmen.
Im Übrigen enthält bereits das geltende Recht eindeutige Verbote und Sicherungen vor einem Missbrauch. Gerade im Bereich der DNA Analyse wird dem Missbrauch durch Anonymisierung der DNA-Proben und die gesetzlich geregelten Anforderungen an den Sachverständigen entgegengewirkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte aus der Antragsbegründung eingehen. Darin heißt es: Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit.
Verehrter Herr Gallert, wieso soll die Ausweitung der DNA-Analyse durch rechtliche Angleichung an den Fingerabdruck gegen die Unschuldsvermutung verstoßen? Wir haben uns das im Hause lange überlegt und sind
nicht zu einer Lösung gekommen, was damit gemeint ist. Vielleicht können wir die Dinge einmal im Sechs- oder Vier-Augen-Gespräch miteinander erörtern.
Was die Verhältnismäßigkeit anbelangt, so gilt natürlich dieser Grundsatz auch bei der DNA-Analyse. Den kleinen Eierdieb, den Kleinkriminellen kann man ja auch heute schon erkennungsdienstlich im Grunde genommen nicht behandeln. Auch dort gilt bereits der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Deshalb meinen wir: Wir sollten es zur Anhörung kommen lassen und sollten all die Dinge, die von mir auch kritisch angesprochen worden sind, erörtern. Ich hoffe, dass wir dann, verehrter Herr Kosmehl, zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ja.
Verehrter Herr Gallert, zwei Dinge. Was das Letzte anlangt, so wissen wir: Überall dort, wo Menschen sind, besteht die Gefahr von Missbrauch. Genau deshalb wird man da sehr aufpassen müssen, die Schranken möglichst hochzuziehen, damit dieser Missbrauch nicht betrieben werden kann.
Das muss ernst genommen werden. Darin gebe ich Ihnen völlig Recht.
Was den Antrag anlangt, den Sie gestellt haben: Lieber Herr Gallert, für mich sind Sie ein homo politicus und für mich ist es deshalb klar, dass auch Sie gegebenenfalls solche Anträge nutzen, um uns ein bisschen zu kitzeln. Das ist doch verständlich. Dafür sind wir doch beide 15 Jahre in diesem Parlament.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In den letzten zwei Jahrzehnten ist in Deutschland im Bund wie in den Ländern auf den verschiedensten Gebieten oft und lautstark von Reformen geredet worden. Spätestens als das kräftige wirtschaftliche Wachstum der Nachkriegszeit abebbte, sich die sozialen Probleme durch Überalterung und Arbeitslosigkeit verschärften, die Einnahmen der öffentlichen Hand zurückfielen und das Bruttosozialprodukt anderer europäischer Staaten stärker anstieg, ergriff diese Diskussion die verschiedensten Themenfelder. Deutschland wieder fit zu machen für die künftigen Aufgaben, das war der Grundtenor dieser Überlegungen.
Was bisher als Ergebnis dieser Bemühungen herauskam, mutet eher mager an. Die unlängst unterbrochene
- ich möchte nicht sagen: abgebrochene - Arbeit der Föderalismuskommission gab der Diskussion um den Mut und die Kraft der Politik, Reformen zielstrebig durchzuführen, erneut einen Dämpfer.
Wenn sich nun an dieser Stelle die Justizminister der Länder zu Wort melden und von Eckpunkten einer großen Justizreform sprechen, werden Sie vielleicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der bisherigen Erfolglosigkeit von Reformbemühungen auf anderen gesellschaftlichen Gebieten die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Diskussion stellen. So sehr ich das nachvollziehen kann, möchte ich Sie doch mit diesen Überlegungen konfrontieren, weil die Justizminister aller Länder, insbesondere aber auch ich aus Sachsen-Anhalt zur Durchführung dieser Reform Ihre Unterstützung benötigen.
Die jetzige Diskussion um die große Justizreform unterscheidet sich im Übrigen von den früheren Diskussionen in zwei ganz wichtigen Punkten:
Bislang hat man immer nur an den Symptomen herumkuriert, ohne zu den Wurzeln vorzustoßen. Man hat einer Gesetzesänderung weitere Gesetzesänderungen nachgejagt, was die Arbeit der Richter, der Staatsanwaltschaften, der Rechtanwälte und Dritter erschwert und verteuert hat. So hat allein in der Zeit von 1989 bis 2003 die Strafprozessordnung 63 und das Strafgesetzbuch 60 Änderungen erfahren. Von anderen Rechtsgebieten ließen sich ähnliche Zahlen berichten.
Als schließlich im Jahr 2003 die Bundesregierung das Justizmodernisierungsgesetz auf den Weg brachte und die Opposition das Justizbeschleunigungsgesetz nachschob, ohne dass sich wirklich etwas bewegte, wurde auch dem Uneinsichtigsten deutlich: Das ist nicht zielorientiert.
Deshalb kamen nunmehr auf der Justizministerkonferenz im Juni 2004 in Bremerhaven alle 16 Landesjustizminister, übrigens im Beisein der Bundesjustizministerin, überein, es sei an der Zeit, den Parteienstreit beiseite zu legen und die Aufgabe gemeinsam anzupacken. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst des Bremer Ersten Bürgermeisters Henning Scherf, damals der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, dem es durch eine geschickte Verhandlungsführung gelang, die divergierenden Auffassungen zu bündeln, sodass wir im Herbst 2004 auf der Justizministerkonferenz in Berlin Eckpunkte einer großen Justizreform verabschieden konnten.
Nun stellt man sich natürlich als Realpolitiker die Frage: Wenn alle 16 Landesjustizminister gemeinsam diese Eckpunkte, wiederum im Beisein der Bundesjustizministerin, verabschieden, wo könnten dann die Fallensteller stehen, die alles wieder zum Einsturz bringen und die den Justizministern die Zähne ziehen? Zunächst: Überzeugungsarbeit wird erforderlich sein. Gerade deshalb habe ich auch Wert auf die direkte Information des gesamten Plenums gelegt, wohl wissend, dass sich in den Fraktionen nur wieder einzelne Kollegen und Kolleginnen justizpolitischer Themen annehmen. Doch die große Justizreform benötigt Sie alle als Verbündete.
Bedenken werden mit Sicherheit aus den Bundestagsfraktionen kommen, und zwar aus allen, weil man zum einen den Bundesländern vorhält, nur finanzpolitische Überlegungen würden diese leiten, und weil man zum anderen sagt, es handle sich hierbei um eine Aufgabe des Bundes, zu der man eigene Positionen finden müsse. Ich füge hinzu: „Finden müsse“ ist richtig, aber man
muss sie endlich einmal finden. Das wiederum schließt das Mitdenken der Länder nicht aus.
Auf eine unabhängige, selbstbewusste und leistungsfähige Justiz kann nicht verzichtet werden. Anderenfalls könne der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden, wie es einmal das Bundesverfassungsgericht formuliert hat.
Wir Landesjustizminister fordern Effizienz und Effektivität für die Justiz. Was bedeutet das nun? - Effektiver Rechtsschutz ist zu einem Verfassungsprinzip erhoben worden. Die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts haben einen Anspruch auf einfache und gleichmäßige Möglichkeiten, ihre Rechte gerichtlich und mittlerweile auch außergerichtlich zu verfolgen; denn was nützt es einem Handwerker, wenn er eine dem Grunde nach unstreitige Forderung erst nach zwei Jahren vollstrecken kann, weil der Schuldner die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zum Zeitgewinn missbraucht? Der Handwerker gewinnt vielleicht den Prozess. Inzwischen ist aber unter Umständen den Schuldner zahlungsunfähig geworden.
Wir Landesjustizminister sind uns einig, dass die notwendigen und berechtigten Sparvorgaben in den öffentlichen Haushalten nicht zu einer Schwächung der dritten Gewalt führen dürfen. Wenn das so ist, dann bleibt nur der Weg, die vorhandenen Mittel sinnvoller als bisher einzusetzen. Die Justiz soll Ballast abwerfen, damit sie sich ihren Kernaufgaben zügig und auf hohem Niveau widmen kann. Verfahren müssen vereinfacht, harmonisiert und entschlackt werden.
Meine Länderkollegen und ich wollen mit dem Gesamtkonzept einer großen Justizreform die notwendige Leistungsfähigkeit der Justiz langfristig sichern. Bei der Entwicklung dieses Konzeptes werden die Belange aller in der Justiz Tätigen einbezogen und - das unterstreiche ich doppelt -: Die richterliche Unabhängigkeit bleibt dabei unangetastet.
Meine vorläufigen Überlegungen zielen darauf ab, im Zusammenwirken mit den Länderkollegen noch in diesem Jahr detaillierte Vorschläge für eine große Justizreform zu erarbeiten, die, wie die „Süddeutsche Zeitung“ am 23. November 2004 textete, die größte Justizreform seit 1877 werden könnte.
Die Vorschläge kann man in etwa vier Schwerpunkten zusammenfassen: erstens Deregulierung, zweitens Übertragung und Auslagerung von Aufgaben, drittens Konzentration von Aufgaben und viertens Qualitätssicherung.
Lassen Sie mich zunächst etwas zur Deregulierung sagen. Aus meiner Sicht wird die Aufgabe der Deregulierung das Kernstück der angestrebten Justizreform sein. Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ich mich auch hier im Lande mit dem Ersten Rechts- und Verwaltungsvereinfachungsgesetz dafür eingesetzt habe, überflüssige Rechtsvorschriften abzubauen. Ich darf mit Dankbarkeit feststellen, dass die Beratungen zu diesem Gesetz in den Ausschüssen zügig vorankommen.
Auf Bundesebene soll die Reform dazu benutzt werden, das Gerichtsverfassungs- und -verfahrensrecht grundlegend zu vereinfachen. Es wird nämlich zu prüfen sein, ob die bestehenden Differenzierungen beim Aufbau und beim Verfahren der Gerichte tatsächlich sachlich begründet sind und daher fortgeführt werden müssen oder
ob sie sich lediglich über die Zeit hinweg gebildet haben. Selbstverständlich bleiben dabei rechtsstaatliche Standards gewahrt. Lassen Sie mich einige Anmerkungen dazu machen.
Erstens. Die unterschiedlichen Verfahrensordnungen der einzelnen Gerichtszweige sind zunächst zu sichten und so weit wie möglich anschließend zu harmonisieren. Dabei will ich gleich einem grundlegenden Einwand entgegentreten. Selbstverständlich sollen die zwingend notwendigen Verfahrensbesonderheiten, etwa beim Sozialgericht oder beim Arbeitsgericht, erhalten bleiben. Es ist nicht zu befürchten, dass im Strafprozess künftig die Parteimaxime gelten wird oder im Zivilprozess künftig etwa der Amtsermittlungsgrundsatz dominieren wird.
Aber es sollen rechtswegübergreifende Grundsätze gebildet und zusammengefasst werden, etwa in der Frage der Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit und ähnliche Dinge mehr. Gemeinsame Verfahrensgrundsätze könnten im Rahmen einer großen gemeinsamen Prozessordnung quasi vor die Klammer gezogen werden und als allgemeiner Teil für alle Prozessordnungen gelten.
Ob unter dem Gesichtspunkt der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit eine Prozessordnung in Gänze für alle fünf Gerichtsbarkeiten geschaffen werden sollte oder aber die Verwaltungs-, Sozial- und gegebenenfalls auch die Finanzgerichtsbarkeit einerseits sowie die Arbeits- und die ordentliche Gerichtsbarkeit andererseits Verfahrensordnungen bekommen sollen, wird genau zu prüfen sein. Gleiches gilt für unser Gerichtsverfassungsgesetz, das aus dem 19. Jahrhundert stammt.
Eines scheint mir jedoch in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu sein: Wir, die Justizministerkonferenz, müssen es schaffen, dass die in den Prozessordnungen geltenden Fristen und Rechtsmittel harmonisiert werden. Denn für den Bürger ist es nicht nachvollziehbar, gegen welche gerichtlichen Entscheidungen er Berufung, Revision, Zulassungs-, Berufungsbeschwerde oder sofortige Beschwerde einlegen muss oder kann und welche Fristen er dabei einhalten muss. Eine solche Harmonisierung wäre ein großer Schritt. Justitia wäre dann sicher um einige Pfunde erleichtert.
Ein weiterer Schritt zur Steigerung der Transparenz der Verfahrensordnungen ist die von mir unterstützte Einführung der funktionalen Zweigliedrigkeit im deutschen Rechtsschutz. Zur Klarstellung möchte ich eingangs verdeutlichen: Hinter dem Begriff der funktionalen Zweigliedrigkeit verbirgt sich nicht die Schaffung eines dreistufigen Gerichtsaufbaus, wie es meine Vorgängerin Frau Kollegin Schubert einst wollte, es aber heute als Senatorin von Berlin ebenfalls nicht mehr befürwortet.
Das heißt, Amts- und Landgerichte sollen nicht zu einem einheitlichen Eingangsgericht zusammengefasst werden. Die bisherigen sachlichen Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte bleiben erhalten. Auch die bestehenden Standorte der Amts- und Landgerichte - das ist für alle in diesem Hohen Hause hier wichtig - werden durch diese Reform nicht berührt.
Bei einer funktionalen Zweigliedrigkeit geht es vielmehr um die Bereinigung des Rechtsmittelrechts. Die in den letzten Jahrzehnten immer wieder geänderten Vorschriften über die Verfahrensgestaltung haben zu einer Überdimensionierung vieler gerichtlicher Verfahren geführt.
Ich will nur zwei Beispiele nennen: Ist es noch vertretbar, dass beispielsweise der isolierte Streit nur über die Kos
ten des Zivilprozesses unabhängig von der Höhe - ob es nun 100 oder 10 000 € sind - bis zum höchsten Gericht, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, getrieben werden kann? Oder ein zweites Beispiel: Muss wirklich die Möglichkeit gegeben sein, unter bestimmten, wenn auch engen Voraussetzungen gegen eine erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts zwei Rechtsmittel nacheinander einzulegen?
Ich meine, dass die Gerichte durch die Straffung der Prozessordnung in die Lage versetzt werden sollten, die Laufzeiten - das ist doch entscheidend - der Prozesse zu verkürzen und binnen angemessener Frist endgültig Recht zu sprechen.
Nicht selten ist es ja das Ziel der unterlegenen Partei, die Pflicht zur Zahlung etwa durch die Einlegung eines Rechtsmittels so weit wie möglich hinauszuschieben. - Ich erinnere an das Beispiel des Handwerkers. Das ist es ja gerade, was unseren Handwerkern und den mittelständischen Unternehmen so viele Probleme bereitet. Ich habe darauf hingewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die im Rahmen der großen Justizreform angestrebte Straffung aller gerichtlichen Verfahren kann deshalb nur darauf abzielen, die Eingangsinstanz, die Tatsacheninstanz zu stärken.
Es soll grundsätzlich - grundsätzlich, sage ich - nur ein Rechtsmittel folgen. Schauen wir uns den Zivilprozess an. Ich könnte mir vorstellen, dass im Zivilprozess ein Rechtsmittel auf die Prüfung der Richtigkeit der Rechtsanwendung beschränkt wird. Wie dieses Rechtsmittel im Detail ausgestaltet wird, ist noch offen.
Die hierzu vonseiten der Anwaltschaft vorgetragene Kritik ist mir natürlich bekannt. Hier im Haus sitzen auch einige Anwälte. - Künftig wird sich die Arbeit der Rechtsanwälte in tatsächlicher Hinsicht auf eine Instanz beschränken müssen. Auch die Gerichte in erster Instanz werden sich mit dem Einzelfall noch intensiver befassen müssen als bisher.
Wer wie ich Verfahren verkürzen will, um den Bürgern schneller zu ihrem Recht zu verhelfen, wer schneller als bisher Rechtssicherheit schaffen will, der kommt an diesen Überlegungen nicht vorbei.
Anders als im Zivilprozess wird im Strafverfahren auf eine weitere uneingeschränkte Tatsacheninstanz wohl nicht verzichtet werden können. Die große Masse der Strafverfahren der einfachen und mittleren Kriminalität wird von den Amtsgerichten in erster Instanz in arbeitsökonomischen Verfahren geführt. Die Verfahren werden schnell, Rechtsfrieden stiftend und endgültig erledigt, ohne dass jedes einzelne Verfahren unbedingt revisionssicher abgeschlossen werden musste. Unsere Erhebungen haben ergeben, dass in Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 89 % der amtsgerichtlichen Verfahren durch Strafurteile bereits in der ersten Instanz rechtskräftig abgeschlossen wurden.
Die Streichung der Berufung würde aber zwangsläufig zu einer erheblichen Änderung der Verfahrensweise in Strafverfahren vor den Amtsgerichten führen. Man mag das beklagen, aber es steht zu befürchten, dass Angeklagte und Verteidiger eine Vielzahl von Beweisanträgen zur Entlastung des Angeklagten, aber auch zur Schaffung von Revisionsgründen stellen würden. Außerdem könnte sich nunmehr das Gericht gezwungen sehen, jedes Verfahren revisionssicher zu machen, obgleich die überwiegende Zahl - ich nannte den Anteil von 89 % -
der amtsgerichtlichen Strafurteile bereits in erster Instanz rechtskräftig werden.
Deshalb habe ich mich mit den anderen Justizministern dafür ausgesprochen, in den Strafverfahren vor den Amtsgerichten ein Wahl-Rechtsmittel einzuführen. Nach einem amtsgerichtlichen Strafurteil bliebe dem Beschuldigten bzw. der Staatsanwaltschaft dann die Wahl, entweder Berufung mit einer neuen Tatsacheninstanz oder Revision, wo nur noch die rechtliche Seite geprüft wird, einzulegen. Das führt in beiden Fällen dazu, dass Beschuldigte und Staatsanwaltschaft nur noch ein Rechtsmittel haben. Diese Verfahrensweise wird im Übrigen im Bereich des Jugendstrafrechts bereits seit langem praktiziert.
Die Einführung eines Wahl-Rechtsmittels hätte einen weiteren Vorteil. Dann würde ein Wertungswiderspruch endgültig beseitigt. Nach geltendem Recht ist es nämlich so, dass einem Eierdieb, der vor dem Amtsgericht angeklagt wird, zwei Rechtsmittel zustehen, nämlich das der Berufung und das der Revision vor dem Oberlandesgericht. Hingegen hat einer, der wegen einer schweren Wirtschaftsstrafsache beim Landgericht angeklagt wird, nur ein Rechtsmittel, nämlich das der Revision vor dem Bundesgerichtshof. Das ist ein immer wieder beklagter Widerspruch, den man mit diesem Wahlrecht ausschließen könnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sagte es bereits: Im Zusammenhang mit der Einführung der funktionalen Zweigliedrigkeit des Rechtsschutzes bleibt es bei den bisherigen Standorten der Amtsgerichte und der Landgerichte sowie des Oberlandesgerichts in SachsenAnhalt. Ich füge aber hinzu, dass ich Änderungen im Zusammenhang mit der Kreisgebietsreform nicht ausschließen kann, da wir und auch bei der Justiz dem Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung verpflichtet fühlen.
Das schließt aber nicht aus, dass, wie schon bisher, in einem Landkreis auch mehrere Amtsgerichte bestehen können.
Mit dem auf mein Betreiben hin vor dem Hohen Haus am 17. Juni 2004 beschlossenen Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neugliederung der Amtsgerichte wird im Übrigen den Gerichtspräsidien schon heute die Möglichkeit eingeräumt, in dem Fall, dass in einem Kreis mehrere Amtsgerichte bestehen, wie etwa im Jerichower Land in Genthin und in Burg, einzelnen Gerichten ganz bestimmte Aufgaben zuzuweisen, zum Beispiel dem Gericht in Genthin die Zivilsachen und den beiden Standorten in Burg die Fälle der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafgerichtsbarkeit. Das ist sehr vernünftig.
- Ja, das ist deshalb eine Nebenstelle, weil meine Amtsvorgängerin behauptet hat, sie würde die Amtsgerichtsreform in zwei Jahren durchziehen. Wir wissen, dass das gar nicht möglich war. Wir haben damals als Opposition immer davor gewarnt, dass die Baulichkeiten und die finanziellen Mittel hierfür nicht zur Verfügung stehen. Im Übrigen fühle ich mich dieser Reform nach wie vor verpflichtet. Aber solange kein Geld da ist, nützt auch diese Verpflichtung im Grunde genommen nichts.
Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen. Wie Sie wissen, halte ich die Zusammenführung von Ge
richtsbarkeiten für ausgesprochen sinnvoll. Gerade im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn - man sollte doch allmählich einmal über den Tellerrand der deutschen Grenzen hinausschauen - muss die Frage erlaubt sein, ob es tatsächlich notwendig ist, fünf gewachsene Gerichtsbarkeiten mit ihren insgesamt sieben Verfahrensordnungen beizubehalten.
Deshalb ist Sachsen-Anhalt auch Mitantragsteller einer Gesetzesinitiative, die wir in den Bundesrat eingebracht haben, wonach es den Ländern ermöglicht werden soll, die Verwaltungs-, die Sozial- und eventuell auch die Finanzgerichtsbarkeit zusammenzulegen. Diese Initiative wurde schon vor Beginn der Diskussion über die Eckpunkte der großen Justizreform im Zusammenhang mit Hartz IV auf den Weg gebracht, wobei ich mich allerdings wegen der speziellen Gegebenheiten in der Finanzgerichtsbarkeit in unserem Land eher für eine kleine Lösung ausspreche, die nur die Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit vorsehen könnte.
Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs. Selbstverständlich sind mir die kritischen Anmerkungen zu diesem Vorhaben insbesondere aus der Richterschaft bekannt. Aber lassen Sie mich Folgendes hierzu ausführen; denn ich meine, dass sich hinter diesem Vorhaben ein grundlegender Schritt in die richtige Richtung verbirgt:
Ich erwarte von einer Reduzierung der Zahl der Gerichtsbarkeiten einen zweckmäßigeren Einsatz der Richter, eine Vereinfachung der gerichtlichen Verfahren und eine Verbesserung des Rechtsschutzes der Beteiligten. Dies könnte vor allem für die nicht anwaltschaftlich vertretenen Rechtsuchenden ein Vorteil sein.
Zumindest die Zusammenlegung der Verwaltungs- und der Sozialgerichtsbarkeit zu einer öffentlichen Gerichtsbarkeit liegt nahe, weil sich beide Gerichtsbarkeiten mit Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit öffentlichrechtlichen Verwaltungshandelns befassen und die Übergänge infolge der Hartz-IV-Gesetzgebung sehr fließend geworden sind.
Es gibt aus meiner Sicht ein weiteres wichtiges Argument, das nun wieder unsere Landesinteressen unmittelbar berührt. Dieses betrifft die Verwaltungs- und die Sozialgerichte in Magdeburg, Halle, Dessau und Stendal. Ich könnte mir vorstellen, dass diese zum Teil nicht sehr großen Gerichte im Falle einer Zusammenlegung in ihrer Existenz gestärkt und damit für die Zukunft lebensfähig gemacht werden könnten. Insbesondere in Stendal könnte vielleicht insofern eine Verbesserung herbeigeführt werden, als dann dort neben der Sozialgerichtsbarkeit auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeübt würde. Das wäre für die Altmark sicherlich nicht von Nachteil.
Erlauben Sie mir noch einige grundsätzliche Ausführungen zum Einsatz unserer Richterinnen und Richter. Sie kennen die angespannte Haushaltslage in SachsenAnhalt. Auch wenn das Volumen des Justizhaushalts nur einen Anteil von etwa 3 % am Gesamthaushalt ausmacht, haben die Maßnahmen der Landesregierung zur Senkung des Personalbestandes selbstverständlich auch vor meinem Haus nicht Halt gemacht.
Die Erfahrung lehrt uns: Verstärkt durch die demografische Entwicklung in einigen Regionen unseres Landes wird es in Zukunft zu sehr unterschiedlichen Belastungen in den einzelnen Amtsgerichten kommen. Diese
können im richterlichen Bereich nicht ohne weiteres ausgeglichen werden; denn grundsätzlich gilt, dass einem Richter das ihm bei einem bestimmten Gericht zugewiesene Richteramt zusteht und dass er nicht wie ein Verwaltungsbeamter ohne weiteres an ein anderes Gericht versetzt werden kann.
Mit dieser Problematik steht Sachsen-Anhalt nicht allein da; auch die anderen Bundesländer haben ähnliche Probleme. Deshalb wird die Frage nach der möglichen Versetzbarkeit der Richter auch mit auf den Prüfstand dieser großen Justizreform gestellt. Selbstverständlich müssen alle Vorschläge insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht noch genauer geprüft werden.
Ich unterstreiche ausdrücklich: Die Garantie des gesetzlichen Richters und die verfassungsrechtlich geschützte persönliche Unabhängigkeit eines jeden einzelnen Richters werden und müssen unangetastet bleiben. Das sind unabänderliche Prinzipien der rechtsprechenden Gewalt nach unserem Grundgesetz. Dennoch gilt: Bisher selbst auferlegte Denkhürden müssen übersprungen werden. Zunächst ist eine breite Palette von Vorschlägen notwendig, um den bestmöglichen Vorschlag auswählen und im Wege einer Gesetzesergänzung unter Abwägung der verfassungsrechtlichen Grundsätze umsetzen zu können.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Wort zur Aufgabenverlagerung. Bislang, so schien es mir, war das, was aus dem 19. Jahrhundert an Justizaufgaben tradiert wurde, eine gesetzte Größe. Der Bestand an Aufgaben hat seither alle Regierungen - sehe ich einmal von den totalitären ab - überstanden. Das überall zu beobachtende Beharrungsvermögen könnte dazu führen, dass das auch in Zukunft so sein wird. Doch ebenso wie die Verwaltung muss sich auch die Justiz auf ihre Kernaufgaben beschränken.
Die jetzige Landesregierung war der Zeit im Übrigen weit voraus. Sie hat als erste in Sachsen-Anhalt eine verwaltungswissenschaftlich fundierte Aufgabenkritik initiiert. Nach der bereits abgeschlossenen Auflistung der vielfältigen Aufgaben gilt es nun für die Ressorts und damit auch für das Justizministerium, einen nennenswerten Abbau von bislang staatlich wahrgenommenen Aufgaben zu erreichen. Die Justiz ist ungeachtet ihres hohen Anteils an hoheitlichen Kernaufgaben bestrebt, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Nach ersten vorläufigen Berechnungen wird der Abbau von Aufgaben in dem angestrebten Umfang von uns erreicht werden.
Parallel dazu hat sich die Justizministerkonferenz mehrheitlich dafür ausgesprochen zu prüfen, ob und inwieweit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesene Aufgaben ausgelagert oder auf andere Stellen übertragen werden können. - Ich möchte zwei Möglichkeiten der Aufgabenübertragung als Pars pro Toto ansprechen. Es geht zum einen um die Aufgabenübertragung auf Notare.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige von Ihnen werden sich noch erinnern: Wir haben hier in der ersten Legislaturperiode bis zum Jahr 1994 heftige Debatten über die Notariatsverfassung in unserem Land geführt und uns dann auch gegen den erheblichen Widerstand meines von mir hoch geschätzten Kollegen Justizminister Remmers in diesem Hohen Haus für das Nur-Notariat ausgesprochen.
Nach mehr als zehn Jahren sind auf diesem Gebiet hervorragende Spezialisten herangewachsen. Warum sollen diese nicht - selbstverständlich auch auf ihr geschäft