Protocol of the Session on November 20, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne hiermit die 29. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der vierten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, sehr herzlich begrüßen.

Ich stelle zunächst die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

(Unruhe)

- Ich bitte Sie, den Lärmpegel etwas zu senken, damit wir tatsächlich alles verstehen.

Ich darf zunächst Mitglieder der Landesregierung entschuldigen: Herr Minister Jeziorsky entschuldigt sich wegen seiner Teilnahme an der in Jena stattfindenden Innenministerkonferenz für heute, den 20. November 2003, ab 12.15 Uhr und für den 21. November 2003 ganztägig.

Frau Ministerin Wernicke entschuldigt sich für den 20. November 2003 aufgrund der in Hamburg stattfindenden Umweltministerkonferenz.

Herr Minister Professor Dr. Paqué nimmt am heutigen Tag an der Sitzung des Finanzplanungsrates in Berlin teil. Er entschuldigt sich für den heutigen Nachmittag, wird aber bei der Beratung über die letzten Tagesordnungspunkte wieder anwesend sein.

Herr Staatsminister Robra muss sich für den 21. November 2003 entschuldigen. Er nimmt an einer Länderbesprechung zur Föderalismuskommission teil. Daran beabsichtige auch ich teilzunehmen, sodass ich auch mein Fernbleiben für morgen zu entschuldigen bitte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun zur Tagesordnung. Die Tagesordnung für die 16. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor.

Im Ältestenrat ist zunächst vereinbart worden, Tagesordnungspunkt 3 - Aktuelle Debatte -, Tagesordnungspunkt 16 - Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Antrag der Fraktion der PDS in der Drs. 4/1137 -, Tagesordnungspunkt 10 - Entwurf eines InvestitionsbankBegleitgesetzes - und Tagesordnungspunkt 11 - Entwurf eines Beamtenrechtlichen Sonderzahlungsgesetzes - als erste Tagesordnungspunkte am morgigen Freitag zu verhandeln.

Am 18. November 2003 hat die Fraktion der CDU fristgemäß ein weiteres Thema für die Aktuelle Debatte eingereicht. Der Antrag zum Thema „Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr der Deutschen Bahn“ liegt Ihnen in der Drs. 4/1169 vor. Ich schlage vor, dieses Thema unter Punkt 3 c in die Tagesordnung aufzunehmen und somit am morgigen Freitag mit zu behandeln.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Bitte sehr, Herr Gürth.

Herr Präsident, die CDU-Fraktion schlägt vor, den Tagesordnungspunkt 23 - das ist der Antrag der PDS-Fraktion unter der Überschrift „Chancen der Länderkooperation Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen konsequenter nutzen“ - am Freitag vorzuziehen und ihn im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 11, der unmittelbar nach der Mittagespause verhandelt wird, zu behandeln. Das würde auf jeden Fall sicherstellen, dass

der Ministerpräsident uns zur Debatte zur Verfügung steht. Ich habe dies mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen schon kurz besprechen können. Wenn niemand widerspricht, wäre das eine gute Sache.

Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Gibt es weitere Hinweise? - Bitte schön.

Herr Präsident! Wir bitten, den Tagesordnungspunkt 15 heute als letzten vorzusehen, sodass der Minister der Finanzen zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen kann.

Meine Damen und Herren! Sie haben diesen Antrag ebenfalls vernommen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann wird der Tagesordnungspunkt 15 heute am Ende unserer Sitzung behandelt. Nunmehr können wir nach der so geänderten Tagesordnung verfahren.

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen zum zeitlichen Ablauf der 16. Sitzungsperiode. Heute Abend findet um 20 Uhr im Landtagsgebäude in Raum B0 05 die parlamentarische Begegnung mit dem Landesverband Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Sachsen-Anhalt e. V. statt. Die Sitzung des Landtages wird somit gegen 19.30 Uhr beendet werden. Die morgige 30. Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Meine sehr geehrte Damen und Herren! Wir treten nun in die Behandlung des Tagesordnungspunktes 1 ein:

Beratung

a) Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Antrag mehrerer Abgeordneter - Drs. 4/1139

b) Besetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der PDS und der FDP - Drs. 4/1181

Sehr geehrte Damen und Herren! Dem Hohen Haus liegt ein Antrag auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses vor. Erlauben Sie mir dazu einige wenige Bemerkungen. Gemäß Artikel 54 Abs. 1 der Landesverfassung hat der Landtag das Recht und auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Dieser Regelung entspricht auch die Bestimmung des § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen vom 29. Oktober 1992, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2001.

Ein Viertel der Mitglieder des Landtages muss demnach den Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gestellt haben. Dies sind bei 115 Abgeordneten 29 Antragsteller. Den Antrag in der Drs. 4/1139 haben 37 Mitglieder des Landtages unterzeichnet. So

mit hat der Landtag die Pflicht, den Untersuchungsausschuss einzusetzen.

Gemäß § 5 Abs. 1 des Untersuchungsausschussgesetzes bestätigt der Landtag mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zugleich den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter sowie die weiteren von den Fraktionen benannten Mitglieder und deren Stellvertreter. Zu diesem Verfahren kommen wir zu einem späteren Zeitpunkt.

Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat wurde vereinbart, nach der Einbringung eine Fünfminutendebatte mit folgender Rednerreihenfolge durchzuführen: CDU, PDS, FDP, SPD. Zunächst erteile ich für die Antragsteller der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlass für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses sind die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Fälle. Am 8. Oktober 2003 ist durch einen Bericht der „Mitteldeutschen Zeitung“ bekannt geworden, dass der Justizminister Curt Becker ein Schreiben auf seinem Ministerbriefpapier in einem Rechtsstreit um Ablösegebühren an den Naumburger Oberbürgermeister gerichtet hat. Dieser Brief war in einen Verwaltungsgerichtsprozess eingeflossen.

Mit diesem Schreiben hat sich der Ausschuss für Recht und Verfassung in einer turnusmäßigen Sitzung am gleichen Tag und in einer Sondersitzung am 14. Oktober 2003 ausführlich beschäftigt. Hinzu kam die versuchte Einflussnahme auf die Besetzung einer Notarstelle in Zeitz mit einem Naumburger Notar.

Diese Sachverhalte waren bereits Themen unserer letzten Landtagssitzung. Wir alle kennen die Vorwürfe, um die es geht. Darüber ist in der letzten Landtagssitzung kontrovers diskutiert worden; aber aufgeklärt haben wir die Fälle in der Sitzung nicht.

(Herr Scharf, CDU: Wieso nicht? - Herr Gürth, CDU: Warum nicht?)

Immer neue Fragen tauchten auf, sodass die Aussage von Herrn Minister Becker in der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 18. November 2003 kühn ist.

(Herr Kühn, SPD: Was? Ich habe damit nichts zu tun!)

Er sagte, dass es nichts mehr aufzuklären gebe.

(Herr Gürth, CDU: Hat er Recht! - Frau Weiß, CDU: Das stimmt!)

Es geht uns im Ergebnis um nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung des Amtseides, den der Minister geleistet hat, und der sich daraus ergebenden Pflichten. Der Amtseid lautet - zu Ihrer Erinnerung -:

„Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Verfassung und Gesetz wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe.“

(Herr Gürth, CDU: Ja!)

Mit diesem Eid hat sich der Justizminister vor dem Landtag zu den verfassungsmäßigen Grundsätzen des Rechtsstaates bekannt und verpflichtet. Gerade ein Justizminister ist verpflichtet, sich ohne Ansehen der Per

son für Recht und Gesetz, das heißt für die Unabhängigkeit der Gerichte, für die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und für die Bindung von vollziehender und rechtsprechender Gewalt an Recht und Gesetz einzusetzen.

Für die Amtsausübung unseres Justizministers bedeutet das im Ergebnis, dass er diese Grundsätze nicht nur nicht verletzen darf, sondern dass er Hüter dieser Grundsätze sein muss. Er hat Neutralität im Amt zu wahren, darf sein Amt weder missbrauchen noch Amtspflichtverletzungen begehen, darf nicht unzulässig Partei nehmen.

In den uns bekannten Fällen geht es gerade darum, ob er die oben aufgeführten Maßstäbe und Grundsätze verletzt hat. Konkret gefragt: Hat der Minister seinen Amtseid verletzt? Liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, mithin der Gewaltentrennung von Legislative, Exekutive und Judikative, und damit ein versuchter Eingriff in die Unabhängigkeit des Richters und folglich in die Unabhängigkeit gerichtlicher Entscheidungen vor?

Auch in dem zweiten bekannt gewordenen Fall stellt sich die Frage, ob hierin ein unzulässiger Eingriff in ein abgeschlossenes Verfahren, allerdings auf einer anderen Ebene, gesehen werden muss.

Als die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Naumburg bekannt wurden, haben auch die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen mit Blick auf das Gerichtsverfahren öffentlich von Amtsmissbrauch und von einem Fehler gesprochen. Hinsichtlich der Beantwortung der grundsätzlichen Frage bestand somit zu Beginn nicht einmal eine Differenz zwischen Regierung und Opposition - ein Umstand, der bei solch gravierenden Fragen nicht allzu häufig festgestellt werden kann.

Bei der Einordnung dieses Fehlers unterscheiden wir uns aber wesentlich. Während CDU und FDP dies als politischen Fehler ansehen, Bagatellisierung betreiben und alles daran setzen, den bereits erkennbaren Skandal unter den Teppich zu kehren, halten wir es für eine gravierende Amtspflichtverletzung.

In dem Ausspruch des Justizministers im „Naumburger Tageblatt“ von vorgestern - er hat ein Ehrenamt beim Kreisschützenverband Burgenlandkreis übernommen; ich zitiere -:

„In Zeiten, in denen unberechtigterweise an meinem Stuhl gesägt wird, ist das eine gute Unterstützung“

kommt zum Ausdruck, dass er sich über sein Fehlverhalten nicht im Klaren ist und aus den Vorgängen nichts gelernt hat. Herr Minister Becker fühlt sich noch immer zum Oberbürgermeister der Stadt Naumburg berufen und hat nicht in seine neue Rolle als Justizminister gefunden.