Frank Jahnke
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nachrichten der letzten Tage und Wochen sind besorgniserregend: Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt. 288 neue Fälle wurden allein gestern Nachmittag für Berlin gemeldet. Wir befinden uns nach wie vor mitten in einer Pandemie, und die sogenannte zweite Welle baut sich gerade vor unseren Augen auf – oder, um es mit den Worten des Virologen Christian Drosten zu sagen: „Wir sind die zweite Welle.“
Gerade in dieser Situation stellt die AfD-Fraktion den Antrag, doch bitte schön das Coronakrankenhaus auf dem Messegelände wieder abzubauen.
Es sei nämlich der Bahntechnologieleitmesse InnoTrans im Wege, die nach Verschiebung in diesem Jahr nunmehr im Frühjahr 2021 stattfinden soll.
Nein, keine Zwischenfragen, bitte!
Man hofft in der Antragsbegründung darauf, mit der InnoTrans die Berliner Wirtschaft zu revitalisieren, und auf einen Neustart des Messewesens. Man wünscht sich wieder die ganze Welt zu Gast in Berlin. – Ja, das wünschen wir uns alle. Das Problem liegt allerdings darin, dass Wunsch und Wirklichkeit sich angesichts steigender Fallzahlen und immer noch fehlendem Impfstoff derzeit nicht in Deckung bringen lassen.
Die wirtschaftlichen Vorzüge, die das Messewesen für Berlin hat, ist der IBB-Studie zu entnehmen, die Sie hier zur Begründung heranziehen. Nur kommt darin die Pandemiesituation natürlich noch nicht vor. Sie ist aber nun mal Realität und verschwindet auch nicht, wenn Sie auf Material aus der Zeit davor zurückgreifen.
Tatsächlich geht es der AfD aber nicht um die InnoTrans als Messe und Wirtschaftsfaktor, wie sie es in der Antragsbegründung vorschiebt. Die InnoTrans muss herhalten, weil sie in eben jenen Messehallen stattfinden soll, in denen sich nun das Coronakrankenhaus befindet.
Es ist ja schon fast drollig, wie die AfD formuliert:
Auf der Messe derzeit aufgebaute Coronabehandlungskapazitäten können auch an anderer Stelle aufgebaut bzw. umgesetzt werden.
(Frank-Christian Hansel)
Also ob es sich um ein Ausstellungsstück handelt, dass man leicht mal umsetzen kann,
eine Art Mahnmal an eine überwundene Pandemie, das einer weiteren wirtschaftlichen Prosperität im Wege steht!
Doch welchen vernünftigen Grund könnte es geben, dass Berlin noch einmal Geld in die Hand nimmt, um Platz für eine Messe zu schaffen, die unter den gegenwärtigen Bedingungen die von Ihnen angeführten Besucherzahlen gar nicht generieren kann? – Bezeichnend an dem Antrag ist vor allem die Realitätsverweigerung, die aus fast jeder Zeile spricht – als ob es die Pandemie nicht gäbe, sondern lediglich die Maßnahmen der Bundesregierung und des Senats.
Ich weiß, dass es zahlreiche Verschwörungstheoretiker gibt, die der absurden Vorstellung nachhängen, die Pandemie diene nur als vorgeschobenes Argument für die Einschränkung von Freiheitsrechten oder mittelständischer Wirtschaft im Interesse von Pharmakonzernen, Bill Gates und sonstiger böser Mächte.
Solche abstrusen Theorien können für uns im Berliner Abgeordnetenhaus keineswegs Richtschnur des politischen Handelns sein.
Der Antrag, das Coronakrankenhaus abzubauen, lässt vielmehr die Beunruhigung der AfD-Fraktion durch die Realität erkennen. Das Coronakrankenhaus soll als Symbol für eine verdrängte Furcht beseitigt werden.
An seine Stelle soll die Planung der Messe, das heißt die Planung der Zukunft, rücken. Die Zukunft an sich ist ja unbekannt und damit beunruhigend, und die Planung einer Veranstaltung mag als eine Art Ausweichhandlung subjektiv beruhigen, weil es scheint, als hätte man die Zukunft im Griff.
Aber man muss auch – –
Danke, Herr Präsident! – Aber man muss auch reagieren können auf Gegenwärtiges, das nun die ursprüngliche Planung beeinflusst – leider beeinflusst, ob es einem gefällt oder nicht. Falls die InnoTrans 2020 nicht stattfinden kann, dann sicherlich nicht wegen der fehlenden Messehallen,
sondern wegen der Pandemie. Das sei im Übrigen auch der FDP gesagt, die mit ihrem Änderungsantrag nichts substanziell am Ursprungsantrag ändert. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist zweifelsohne eine äußerst unglückliche Fügung, dass sowohl das Coronavirus als auch die Kulturlandschaft auf Veranstaltungen mit Menschenansammlungen angewiesen sind. Nur dort, wo viele Menschen zusammenkommen, findet die massenhafte Verbreitung des Virus statt. Viele Menschen möchte aber auch die Kultur
erreichen, sei es in Opern, Theatern, Konzertsälen, Museen, Kinos oder Clubs, und daher ist ausgerechnet die Kulturbranche, welche die DNA dieser bunten, lebendigen und vielfältigen Stadt so wesentlich prägt wie kaum eine zweite, durch diese Coronakrise betroffen.
Öffentlich geförderte Kulturinstitutionen sind durch Einnahmeausfälle aufgrund ausgefallener Veranstaltungen betroffen. Ihre Spielzeit 2019/2020 endete Anfang März. Die Folgen für ihre Wirtschafspläne und für den Landeshaushalt werden erst gegen Ende des Jahres genau zu beziffern sein, wobei natürlich auch der nun vorsichtig wieder aufgenommene Spielbetrieb unter Coronabedingungen längst nicht die für die zweite Jahreshälfte veranschlagten Zahlen erreichen wird. Private Kulturinstitutionen und selbstständige Kunstschaffende leiden aber besonders unter dem Wegbrechen ihrer Arbeitsmöglichkeiten und sind im letzten halben Jahr unverschuldet in existenzbedrohliche Situationen geraten. Hier konnte die Berliner Politik nicht tatenlos zusehen, hat auch nicht tatenlos zugesehen, sondern schneller als jedes andere Bundesland bereits im März mit den Soforthilfeprogrammen I und II unbürokratisch Unterstützung für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen bis zu zehn Beschäftigten geleistet.
Mit der Soforthilfe IV folgten dann im Mail private Institutionen und Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten, sofern sie sich in Liquiditätsschwierigkeiten befanden. Hier profitierten Kabaretts ebenso wie Kinos, Veranstaltungsorte der freien Szene, aber auch die Urania. Die Fortsetzung 2.0 der Soforthilfe IV ist gerade in der Bewilligung, und weitere Schritte werden folgen.
Auch auf Bundesebene lässt die Politik die Kultur nicht im Stich. Unter dem Titel „Neustart Kultur“ wurde ein Rettungspaket in Höhe von einer Milliarde Euro für den Bereich Kultur und Medien beschlossen, aus dem pandemiebedingte Investitionen und die Stärkung der Kulturinfrastruktur sowie digitale Angebote finanziert werden können. Das gilt für Museen ebenso wie für Bibliotheken, für Theater wie auch für Musik und Tanz, und sogar Musikclubs werden explizit genannt.
Erst gestern wurde im Europäischen Parlament beantragt, dass mindestens 2 Prozent des European Recovery Fund in die Kultur fließen sollen, was nicht viel klingt, aber bei 750 Milliarden Euro Fondsvolumen schon eine beachtliche Summe darstellt.
Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass allein finanzielle Hilfen nicht reichen, um Berlins Kultur sicher durch die Krise zu bringen. Weder kann der Staat – sei es nun das Land Berlin, der Bund oder die EU – dauerhaft alle Einnahmeausfälle kompensieren, noch kann die Kultur längere Zeit ohne ihr Publikum leben. Veranstaltungen kön
nen nicht auf Dauer durch Streaming und andere digitale Angebote ersetzt werden, auch wenn die vergangenen Monate hier einiges an Möglichkeiten offenbart haben.
Jedoch ist leider auch klar: In diesen Zeiten macht man es sich zu leicht, wenn man fordert, die Schutz- und Hygienevorschriften schnellstmöglich wieder zu lockern und auf ein Minimum zu reduzieren. Manche mögen den Politikstil eines Boris Johnson oder Donald Trump mutig nennen. Ich nenne ihn naiv und verheerend, was die Infiziertenzahlen und Todeszahlen in den betreffenden Ländern ja auch auf traurige Weise zeigen.
Der Verlauf dieser Krise hat uns gelehrt, dass wir den rationalen, vorsichtigen und wissenschaftlich fundierten Kurs beibehalten müssen. Mut und Wagnis in einer Pandemie sind die fahrlässige Inkaufnahme unkalkulierbarer Risiken. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder Fehler nicht nur Menschenleben gefährdet, sondern uns auch um Monate zurückwerfen und in den nächsten Lockdown zwingen kann, den niemand will. Hierfür gibt es international inzwischen hinlänglich bekannte Beispiele, deshalb müssen wir – so schmerzlich es manchmal sein mag – weiterhin den Weg der Rationalität und der Vorsicht gehen.
Auf diesem Weg ist es selbstverständlich auch die Aufgabe des Senats, die Notwendigkeit einzelner Vorschriften und Maßnahmen stetig zu hinterfragen und, soweit möglich, Vorgaben zu lockern. Die Grundlage dieser Lockerung darf aber niemals ein naives Vorpreschen in Armin-Laschet-Manier sein.
Vielmehr müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Der Kultursenator hat am letzten Montag im Kulturausschuss die zeitnahe Reduzierung des Mindestabstands in Theatern, Opern und Konzerthäusern auf einen Meter angekündigt, um das Schachbrettprinzip bei der Belegung von Sitzplätzen zu ermöglichen und somit eine deutlich höhere Auslastung zu gewährleisten. Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.
Gleichzeitig müssen und werden wir finanziell weiterhin ans Limit gehen, um das Überleben der Berliner Kulturlandschaft in Gänze zu sichern. Während einige Parteien ausschließlich Institutionen der sogenannten Hochkultur im Blick haben und andere vornehmlich elitäre Liebhaberprojekte pflegen, kommt es aus sozialdemokratischer Sicht darauf an, das kulturelle Angebot in der ganzen Breite und Tiefe für die Berlinerinnen und Berliner zugänglich zu erhalten.
Nun möchte ich auch noch einige Sätze zum Antrag der FDP-Fraktion verlieren. Es war einst Willy Brandt, der vor gut 50 Jahren in seiner ersten Regierungserklärung den Satz prägte, „mehr Demokratie“ zu „wagen“, und damit einen neuen, mutigen Politikstil einläutete. Nun freuen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns natürlich immer, wenn Willy Brandt zitiert wird, und die FDP möchte nun also – so zumindest der Titel des Antrags – „endlich wieder mehr Kultur wagen“.
Das Ziel ist zunächst einmal aller Ehren wert, und ich denke, uns alle verbindet der Wunsch, möglichst bald wieder in gut gefüllten Theater- und Konzertsälen zu sitzen – nur ist jetzt der falsche Zeitpunkt, um Wagnisse einzugehen und damit Menschenleben zu gefährden. Die Begründung Ihres Antrags beenden Sie im Übrigen mit dem folgenden bemerkenswerten Satz – ich zitiere –:
Kein Kultursenator kann den Menschen in Berlin die Einschätzung ihres individuellen Lebensrisikos abnehmen.
Mit diesem Satz verkennen Sie in fataler Weise die Grundproblematik dieser Pandemie. Nur, weil eine Person gesund ist und das Risiko hinnehmen mag, sich mit dem Virus anzustecken, heißt das doch noch lange nicht, dass diese Person sämtliche Schutzvorkehrungen außer Acht lassen und ein beliebig hohes Infektionsrisiko eingehen darf, –
denn jede infizierte Person kann wiederum zur Gefahr für das Leben anderer Menschen werden, die beispielsweise unter Vorerkrankungen leiden und ein schwaches Immunsystem haben. Es ist unsere Aufgabe, auch diese Menschen in der Gesellschaft zu schützen.
Insofern möchte ich Ihnen entgegnen: Der Schutzauftrag der Verfassung gebietet es auch dem Kultursenator, das individuelle Infektionsrisiko zu reduzieren. Wenn Ihr Kollege, Ihre Kollegin, Ihr Vater, Ihre Mutter sich gegen einen Opernbesuch entschieden haben, weil einem von ihnen auch das halb besetzte Opernhaus zu voll erscheint, dann ist Ihre scheinbar individuelle Entscheidung, es doch zu riskieren, eben nicht Ihr individuelles Lebensrisiko. Mit anderen Worten: Sie können gar nicht allein für sich das Risiko kalkulieren. Jede scheinbar individuelle Einschätzung reicht über den Einzelnen hinaus. Das ist die Krux an dieser Pandemie.
Sie argumentieren nun, dass der Senat den Einzelnen allein dadurch aus der Verantwortung sich und anderen gegenüber nachgerade entlasse, indem er politische Fürsorgepflicht der Bevölkerung gegenüber wahrnehme, und Sie fordern, dass er sich zurückziehe, damit seine Schäfchen in Kulturveranstaltungen wieder Verantwortung lernen. Das muss man als FDP wohl so formulieren. Ohne jetzt eine staatstheoretische Debatte ableiten zu wollen, muss ich Ihnen sagen, dass ich mich der Argumentation aus den genannten Gründen nicht anschließen kann.
Fraglos halte auch ich den Wert der Kultur sehr hoch und bin für eine möglichst zeitnahe Lösung des Dilemmas; dass wir aber jetzt schon so weit wären, dass es – wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben – gesicherte Standards gäbe, die nur irgendwie zu implementieren seien, und dann läuft es schon, halte ich für ein Gerücht. Hier gibt es noch einiges zu verstehen und entsprechend auszuarbeiten, wie der Besuch einer Kulturveranstaltung – vor allem jetzt im beginnenden Winterhalbjahr in geschlossenen Räumen – tatsächlich zu einem kalkulierbaren Risiko werden kann.
Dies allein den Veranstaltern zu überlassen, wäre ziemlich unfair ihnen gegenüber. Hier muss es darauf ankommen, sie zu entlasten, ihnen einen Standard zu schaffen. Wenn jeder individuell seine Standards ausbildet, dann sind das allerdings keine, und wenn sie noch so gut ausgeklüngelt sind.
Wie sehr die Verantwortlichen in den Kulturinstitutionen die Herausforderung annehmen und das verantwortbar Mögliche auch wagen wollen, zeigte sehr schön die gestrige Anhörung im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien. Dort kündigte das Leitungsduo der Berlinale an, das Filmfestival im kommenden Jahr pünktlich stattfinden zu lassen unter den Bedingungen einer – so wörtlich – „neuen Normalität“.
In eine ähnliche Richtung geht auch das Hoffnung machende Zitat, mit dem ich enden will. Es war die „New York Times“, die kürzlich schrieb, dass die Berlin Art Week zur ersten bedeutsamen internationalen Veranstaltung der Kunstwelt seit März wurde. Ich denke, darauf können wir Berlinerinnen und Berliner durchaus stolz sein.
Wir werden weiterhin alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um aus der aktuellen Situation das Beste zu machen, und wir werden mit den Berliner Kulturschaffenden im ständigen Austausch bleiben und sie weiterhin mit allen Kräften unterstützen, auch wenn wir dafür finanziell ans Limit oder sogar darüber hinaus werden gehen müssen. Wir werden Berlins Kultur sicher durch die Krise bringen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Nachricht vom offenbar rassistisch motivierten Mord an George Floyd im Mai dieses Jahres um die
Welt ging, reagierten nicht nur US-Amerikaner, sondern auch Berlinerinnen und Berliner. Am Eingangsschild des U-Bahnhofs Mohrenstraße war der Namensteil „Mohren“ überklebt worden mit „George Floyd“. Diese kurzfristige Verwandlung von Mohrenstraße in George-Floyd-Straße war Ausdruck des globalen Protests gegen Rassismus. Die Gesellschaften werden empfindlicher, und die Stimmen dagegen gewinnen an Gewicht.
Die Umbenennung bzw. Tilgung des Wortteils „Mohren“ formuliert gleichzeitig den Wunsch nach einer Tilgung des Rassismus, den die Plakatkleber offenbar in dem Wort „Mohr“ wahrnehmen. Damit sind sie nicht allein, und so können wir seit einiger Zeit eine breit geführte gesellschaftliche mediale Debatte verfolgen, die das Thema Rassismus über die Forderung nach Umbenennung problematischer Straßennamen widerspiegelt wie beispielsweise im afrikanischen Viertel in Berlin.
Die BVG sieht sich nicht erst seit dem Plakat an einem ihrer U-Bahnhöfe als Teil der gesellschaftlichen Debatte, sondern nimmt insbesondere über die Social-MediaKanäle rege daran teil.
Nein, auch wenn es jetzt passen würde! –
Somit hat sie auch im Nachklang der George-FloydDebatte versucht, ein Zeichen zu setzen und die Umbenennung des fraglichen U-Bahnhofs bekanntgegeben. Dieser Vorstoß, wie Sie Anfang Juli der Presse entnehmen konnten, ist nach Intervention des Senats vorerst vom Tisch, und der Ausgang ist wieder offen, denn in die Entscheidung werden die Berlinerinnen und Berliner, vor allem die Anrainerrinnen und Anrainer, einbezogen. Dies ist gelebte Demokratie und nicht etwa das, was die AfDFraktion mit ihrem Antrag fordert, nämlich über die Köpfe aller Beteiligten hinweg zu entscheiden.
Ich zitiere: „Der U-Bahnhof Mohrenstraße muss seinen Namen behalten“, so der Titel des Antrags. Muss! Zunächst einmal kann ich keinen zwingenden Grund erkennen, warum ausgerechnet diese Bezeichnung des vielfach umbenannten Bahnhofs „die Berliner Geschichte achten“ soll. Bis 1950 hieß er Kaiserhof, bis 1986 dann Thälmannplatz und dann bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße. Somit gibt es hier also auch nichts zu müssen. Vielmehr klingt das nach einem autoritären Machtwort, dass die AfD zu sprechen wünscht und daraus wiederum, wie aus der Antragsbegründung selbst, spricht gerade jenes
(Martin Trefzer)
zweifelhafte Demokratieverständnis, das die AfD anderen vorwirft.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Wenn einem die Argumente ausgehen, muss man so argumentieren! – Weitere Zurufe von der AfD]
Der Antrag kommt in einem verbrämten Herrschaftsgestus daher, der einen wahren Demokraten das Gruseln lehrt. Der Name Mohrenstraße müsse bleiben, um die Erinnerung an die Minderheiten zu wahren, heißt es. Hier werden sprachlich nicht nur Minderheiten als solche hergestellt, sondern auch noch eine Erinnerung an sie beschworen, als seien diese längst Geschichte. Da kann es einem doch in Erinnerung an finstere Zeiten wirklich kalt den Rücken herunterlaufen.
Wenn hier ein Demokratieverständnis zweifelhaft ist, dann das der AfD-Fraktion.
Der krude und sehr eigene Umgang mit deutscher Geschichte ist aber für die AfD charakteristisch. Wieder einmal bestätigt sich die AfD als eine Art quasi historische Kommission oder ein Philologengremium in dem Versuch, den Antrag zu begründen. Man will feststellen, dass es keine historisch begründeten Argumente für eine rassistische Konnotation der Straßenbezeichnung gebe. Das ist doch blanker Unsinn. Ob ein Wort, ein Begriff, eine solche Konnotation hat, hängt nicht von der Geschichtsschreibung ab,
sondern von der Sprache bzw. von denen, die sie sprechen. Der Wortschatz einer Sprache mit allen ihren Denotationen und Konnotationen hat ihren Ort nicht in irgendwelchen Wörterbüchern oder gar Geschichtsbüchern, sondern in den Köpfen der Sprachgemeinschaft. Darum wandelt sich Sprache auch beständig. Neue Wörter werden gebildet. Bedeutungen verändern sich und das nicht zuletzt, weil Konnotationen hinzukommen oder sogar zur eigentlichen Bedeutung werden. Sprache ist kein Geschichtsbuch.
Wenn das veraltete Wort „Mohr“ für viele Menschen eine rassistische Konnotation hat, dann ist das so. Zum Glück sind wir so freiheitlich-demokratisch, dass diese Wahrnehmung auch öffentlich artikuliert werden kann und ein gesellschaftlicher Diskurs entsteht.
Es kann nicht Sache des Parlaments sein, in diesem Diskurs die Deutungshoheit übernehmen zu wollen, indem
wir den Menschen buchstäblich vorschreiben, wie sie den Begriff „Mohr“ zu verstehen haben.
Daher plädiere ich nachdrücklich, diesen Antrag abzulehnen.
Das ist wirklich eine eigenartige Umkehrung – das muss ich auch sagen. Hier steht doch auf der Tafel der apodiktische Satz: Der Name Mohrenstraße muss bleiben. – Dies ist doch nicht die Einladung zu einem Dialog mit der Stadtgesellschaft, um darüber zu diskutieren, wie dieser Name vielleicht konnotiert ist, wie vielleicht ein anderer Name lauten könnte, sondern dies ist eine klare Voraussetzung, von der Sie ausgehen, und zwar, weil Ihr Weltbild nach wie vor danach gestaltet ist, dass der Begriff Mohr ein rassistischer Begriff ist. Nun zitieren Sie immer Ihren Professor van der Heyden. Der wird ja oft in
der Antragsbegründung genannt, und das ist für Sie dann Stand der Wissenschaft.
Schon, wenn man als Kind – in meiner Generation hat man das wahrscheinlich noch, bei den Jüngeren vielleicht auch noch – im Struwwelpeter gelesen hat, dass der „arme Mohr“ bedauert wird, dass er ein Mohr ist – – Es ist doch praktisch so, dass dieser Begriff immer in irgendeiner Weise rassistisch motiviert ist.
Er pöbelt dauernd dazwischen.
Dort steht aber tatsächlich drin, dass der Mohr wegen seiner Hautfarbe arm ist. Dies ist ein Begriff, der mindestens paternalistisches Denken beinhaltet.
Zweitens: Sie haben die BVG bezichtigt, selbstherrlich eine Entscheidung zu treffen, und jetzt hier nachgeliefert, dass dies auf Druck aus dem Senat, dem Aufsichtsrat, von der Senatorin erfolgt sei. Das ist auch völliger Unsinn. Die BVG ist ein Unternehmen, das sich in die Stadtgesellschaft, in die Diskussion einbringt. Das tut sie mit teilweise witzigen Plakaten. Das tut sie in den sozialen Medien. Das tut sie in vielfacher Hinsicht. Da hat sie eben überlegt: Wie kann sie angesichts eines solchen Vorfalls, wie wir ihn mit George Floyd hatten, in Berlin ein Zeichen setzen? Der Vorschlag der BVG wurde auch in der Öffentlichkeit kritisiert, und es ist völlig richtig, wenn sie nun sagt: Ja bitte, dann muss die ganze Breite der Stadtgesellschaft jetzt über den neuen Namen diskutieren. – Das ist aber nichts, was das Parlament abschließend entscheiden kann – der Name Mohrenstraße muss bleiben, wie Sie fordern.
Danke! Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP legt hier heute einen Antrag vor, der vorgibt, sich für die Belange der Wirtschaft einzusetzen.
Auf der Drucksache „Coronahilfen zielgenauer mit Umsatzausfallzahlungen vom Finanzamt“ fordert die FDP, dass die Finanzämter direkt anhand der Umsatzergebnisse des letzten Jahres den Unternehmen monatlich ein Zwölftel des Vorjahresumsatzes überweisen sollen. Im Duktus ähnlich abstruser Vorschläge geht der Antragstext dann weiter. Die Unternehmen, die das Geld nicht benötigen, sollen es dann unaufgefordert wieder dem Fiskus zurücküberweisen.
Gerade haben Sie sich noch in der Aktuellen Stunde aufgeplustert und Steuerverschwendung angeprangert und dann legen Sie solch einen Antrag vor.
Ich habe den Eindruck, dass bei der FDP die Nerven blank liegen, weil politisch betrachtet der Pleitegeier über Ihnen schwebt, um Ihre Terminologie aus der Aktuellen Stunde noch einmal zu bemühen.
Natürlich ist es für eine marktliberale Partei wie die FDP, die ständig predigt, der Markt richte alles am besten und der Staat solle sich gefälligst raushalten, eine traumatische Erfahrung, wenn nun plötzlich alle nach dem Staat rufen. Große Konzerne, wie TUI oder die Lufthansa, tun das ebenso wie die hippe Start-up-Szene, der sich die FDP sonst so gerne zu bemächtigen sucht. Ich denke da zum Beispiel an den großen FDP-Strategen Christian Lindner, der mit seinem Handy wichtigtuerisch auf Wahlplakaten posiert, als wäre er selber schon ein Startup-Unternehmer.
Bei aller Wertschätzung bin ich, gelinde gesagt, über diese Vorschläge mehr als verwundert, die einem fiskalischen Himmelfahrtskommando gleichen.
Wenn man weiterliest, soll der Fiskus sogar zu hohe Gewinne der Unternehmen zu 100 Prozent abschöpfen. Aus meiner Sicht käme dies einer Enteignung gleich und ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar. Stünde da nicht „FDP“ über dem Antragstext, könnte man eher eine kommunistische Splittergruppe der Autorenschaft verdächtigen.
(Sibylle Meister)
Daher möchte ich mal fragen: Wo ist denn die immer wieder beschworene wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz der FDP an dieser Stelle?
Und wie sieht es mit dem Datenschutz aus, der von der FDP sonst sogar zu Recht hochgehalten wird? Was sagen denn die Datenschutzbeauftragten, liebe FDP, zu dem Vorschlag, dass das Finanzamt, weil es ja schon mal die gesamten Daten der Unternehmen hat, auch gleich als Zentralbehörde Wirtschaftshilfen auszuzahlen sowie Gewinne abzuschöpfen hat?
Im Übrigen sind die Landesfinanzbehörden nach Artikel 108 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz für die Verwaltung von Steuern zuständig, nicht für die Verwaltung der Wirtschaftsförderung
Ich weiß gar nicht, ob man überhaupt seriös auf einen solchen Vorschlag reagieren muss. Die begrenzte Redezeit lässt mir hierfür jedenfalls nicht viel Zeit. Ich will aber kurz eine Übersicht geben, was wir Sinnvolles im Bereich der Coronahilfen schon tun.
Die Finanzämter übernehmen im Zusammenhang mit der Coronakrise bereits viele Aufgaben: Die Stundung von Steuerlasten kann beantragt werden, die Vorauszahlungen der Einkommensteuer, der Gewerbe- und der Körperschaftsteuer kann angepasst werden, Fristverlängerungen für Steuererklärungen werden großzügig bewilligt, und die gewährten Coronahilfen sind gewinnwirksam zu berücksichtigen; insofern ist mittelfristig auch dem Missbrauch und der Trittbrettfahrerei ein Riegel vorgeschoben.
Wichtig ist nämlich vor allem: Unsere Coronahilfen sind schnell, unbürokratisch und wirkungsvoll. Das haben auch alle Wirtschaftsverbände anerkannt. Die Abwicklung der Programme über die IBB hat sich bewährt. Von den Zahlen her allerdings treibt der Antrag der FDP, wenn man ihn tatsächlich umsetzen wollte, besonders absurde Blüten.
Frau Meister hat zwar gesagt, dass sind nicht ganz kleine Zahlen, um die es hier geht, aber ich führe mal vor, welche „nicht ganz kleinen Zahlen“ das sind: Grob gerechnet müsste man nach dem Entwurf des vorliegenden Antrags für die steuerlich geführten Berliner Unternehmen monatlich Coronazahlungen durch die Berliner Finanzämter von 31 186 667 718 Euro leisten. Das entspräche einem Zwölftel der gesamten in Berlin besteuerten Jahresumsätze im Jahr 2019; wie die FDP der Antwort auf die Schriftliche Anfrage ihres Fraktionskollegen Luthe entnehmen könnte. Dies läge allerdings in der Größenordnung des Berliner Jahresbudgets. Das alles soll über die Berliner Haushalte bereitgestellt werden? – Allein diese
absurden finanziellen Belastungen verbieten eine Unterstützung dieses Antrags.
Wir verfügen mit den Soforthilfen I bis V bereits über ein breites Hilfesystem. Abhängig vom weiteren Verlauf der Krise, von der Ausgestaltung etwaiger Bundesprogramme, will die SPD-Fraktion nachsteuern. Das ist auch schon öffentlich bekannt und von der IHK gelobt worden. Wir wollen zusätzliche Zuschüsse, ähnlich wie das Land Brandenburg, für Unternehmen von 10 bis 250 Beschäftigten.
Da kann ich Ergänzungsbedarf erkennen, aber diesen FDP-Antrag braucht man nicht. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Zumindest erkennt Frau Meister an, dass die Soforthilfe II schnell gewirkt hat. Die Soforthilfe IV ist in der Tat diese Woche angelaufen. Der Bewerbungsschluss ist morgen. Von daher gehe ich davon aus, dass die Unternehmen ähnlich schnell wie bei der Soforthilfe II auf ihrem Konto demnächst feststellen werden, dass sie dieses Geld erhalten. Die Soforthilfe V folgt eine Woche später.
Das haben wir aus Kapazitätsgründen nicht auf einen Tag gelegt. Das kann man verstehen. Die IBB muss das auch irgendwie abarbeiten. Dass der Zuschuss nicht in jedem Falle ein Zuschuss ist, sondern prioritär erst einmal der sogenannte Schnellkredit der KfW nachgefragt werden muss, ehe man wiederum diesen Zuschuss beantragen kann, ist in der Tat noch eine gewisse Schwerfälligkeit. Deshalb sprach ich gerade darüber, dass die SPDFraktion nun einen Antrag beschlossen hat, um an dieser Stelle noch mal nachzusteuern. Das ist richtig, das werden wir machen. Aber das „Schnelle“, das wundert mich an Ihrem Antrag.
Der Großteil der Jahresabschlüsse 2019 liegt den Finanzämtern jetzt noch gar nicht vor. Die Jahresabschlüsse sind für das Jahr 2019 bis zum 31. Juli 2020 abzugeben, bei steuerlicher Beratung sogar erst bis zum 1. März des nächsten Jahres. Würde man im Sinne des FPD-Antrages
handeln, bekämen die Unternehmen das Geld viel zu spät.
Man braucht im Grunde genommen diese Grundlagen, um überhaupt das tun zu können, was Sie in Ihrem Antrag fordern.
Für einen Großteil der Berliner Wirtschaft würde es überhaupt keine Hilfe geben. Insofern ist dieser Antrag nicht schnell und dem Ziel nicht gerecht werdend.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Goiny, auch ich komme nicht umhin, ein paar Worte über die aktuelle Situation zu sagen. Zunächst gilt mein großer Dank dem Personal in den Krankenhäusern und Gesundheitsämtern, bei Feuerwehr und Polizei, in den Supermärkten und so vielen anderen Bereichen. Wir alle erleben, wie diese Menschen, auf die unsere Gesellschaft – verzweifelt wie nie zuvor – angewiesen ist, tagtäglich einen fantastischen Job machen und über sich selbst hinauswachsen. Gerade auch um ihre Interessen geht es bei dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetz.
Gleichzeitig sind meine Gedanken bei den zahlreichen Menschen, die unmittelbar und mittelbar unter dem
(Christian Goiny)
Coronavirus leiden. Als Politik sind wir jetzt mehr gefordert denn je, die richtigen Schlüsse aus der Krise zu ziehen, unsere Arbeit fortzusetzen und dabei ebenfalls einen guten Job zu machen.
Nur scheinen einige Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause – wie zum Beispiel vorhin Herr Dregger oder eben Herr Goiny – und auch vereinzelte Stimmen von außerhalb der Meinung zu sein, dass wir aufgrund der Krisensituation Gesetzesvorhaben, die zu sozialen und ökologischen Verbesserungen führen, auf Eis legen sollten. Deshalb möchte ich gerne noch mal daran erinnern, was uns die Krise tagtäglich lehrt. Erstens können Leugnen, Verharmlosen und verspätetes Handeln fatale Konsequenzen haben. Das gilt nicht nur für das Coronavirus, sondern zum Beispiel auch für den Klimawandel.
Zweitens gibt es in zu vielen Bereichen und lebenswichtigen Einrichtungen nach wie vor ein grobes Missverhältnis zwischen finanzieller Anerkennung und gesellschaftlichem Wert von Arbeit, das nicht mehr hinnehmbar ist und uns im Falle des fehlenden Pflegepersonals auch gerade auf die Füße fällt.
Drittens können politischer Wille und politische Zusammenarbeit in kürzester Zeit viel bewegen und verändern. Die Koalition ist daher fest entschlossen, die Reform des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes nicht weiter auf die lange Bank zu schieben, sondern den vorliegenden Gesetzesentwurf hier und heute zu verabschieden.
Das seit ziemlich genau zehn Jahren geltende Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz war seinerzeit ein mutiger Schritt nach vorne. Jahre vor der Einführung eines bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns hat das Land Berlin dafür gesorgt, dass bei Aufträgen im Einflussbereich des Landes keine Hungerlöhne mehr gezahlt werden, dass Güter und Dienstleistungen für das Land Berlin nicht länger unter ökologisch und sozial prekären Bedingungen erbracht werden durften. Selbstverständlich sind dies Forderungen, die im Land finanziell zu unterlegen sind. Die Ausrichtung ausschließlich auf den günstigsten Preis für die Beschaffung ist damit nicht vereinbar.
Nach zehn Jahren ist jedoch eine Anpassung des Gesetzes wegen neuer europäischer Rechtslage wie auch aufgrund veränderter wirtschaftlicher Gegebenheiten nötig geworden. Wiederum will das Land Berlin im Bereich der eigenen Beschaffungen mit einem Volumen von etwa 5 Milliarden Euro jährlich Vorbild sein. Es gibt zwar inzwischen dank der SPD auf Bundesebene einen gesetzlichen Mindestlohn, hingegen ist dieser längst noch nicht alterssicher in dem Sinne, dass er zu einer Renten führen wür
de, die ein Leben ohne ergänzende Sozialleistungen im Alter ermöglicht.
Daher wollen wir den Mindestlohn im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz auf 12,50 Euro pro Stunde erhöhen, analog zum Landesmindestlohngesetz, wie meine Kollegin Ülker Radziwill vorhin schon ausgeführt hat. Zugleich soll aber auch deutlich werden, dass ein Mindestlohn tatsächlich nur das sozialpolitisch Mindeste darstellt, was Menschen für ihrer Hände Arbeit als Lohn erhalten, jedoch nicht den erwünschten Regelfall. Daher wird in der Gesetzesnovelle auch eine Tariftreueklausel verankert, die sicherstellt, dass im Allgemeinen nach Tarif gezahlt wird – eine Forderung, die bei der Verabschiedung des ersten Ausschreibungs- und Vergabegesetzes schon beabsichtigt war, seinerzeit aber unter einer noch anderen europäischen Rechtslage durch das sogenannte Rüffert-Urteil ausgehebelt wurde. Hier haben wir die Chance einer Neuregelung und machen davon Gebrauch.
Viel wurde im Vorfeld über die Wertgrenzen diskutiert, das heißt, die Höhe der Vergabesumme, ab welcher der Mindestlohn und andere Regelungen erst gelten sollen. Den einen waren sie zu hoch angesetzt, den anderen wiederum viel zu niedrig. Ich glaube, mit der Evaluierungsregelung in § 18 ist ein sehr pragmatischer Weg zur Lösung dieses Problems gefunden worden. Es wird mit einer Vergabeschwelle von 10 000 Euro für Mindestlohn bei Lieferungen und Leistungen mit Ausnahme des Baubereichs begonnen und nach einem Jahr überprüft, ob hierdurch 95 Prozent aller Vergaben erfasst sind. Sollte dies nicht der Fall sein, wird die Schwelle auf 5 000 Euro gesenkt.
Insgesamt zeichnet sich das neue Gesetz durch erweiterte Kontrollmöglichkeiten aus und wird auch genauere Daten über das tatsächliche Vergabegeschehen liefern, die künftige Anpassungen des Gesetzes an sich ändernde Gegebenheiten erleichtern werden.
Das Gesetz ist ein großer Schritt nach vorne, der für Tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine spürbare Verbesserung bedeutet und den Standort Berlin insgesamt sozial und ökologisch stärkt. Ich bitte um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU legt hier einen Antrag vor, der die Vergabe von staatlichen Fördermitteln unter anderem im Kulturbereich an das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und auch an die ausdrückliche Anerkennung des Existenzrechts Israels binden will. – Wir lehnen dies ab, weil Kulturschaffende und andere Zuwendungsempfänger unter Generalverdacht gestellt werden und eine solche Klausel nicht geeignet wäre, den gewünschten Zweck überhaupt zu erzielen. Selbstverständlich sollen weder Antisemiten noch andere Extremisten Geld vom Staat erhalten. Doch die von der CDU vorgeschlagene Klausel ist nicht geeignet, dies zu erreichen.
Nehmen wir den Fall, den die CDU in der Begründung ihres Antrags selbst exemplarisch anführt.
Nein, keine Zwischenfragen! – Das Berliner Popkulturfestival sah sich in den Jahren 2017 und 2018 mit einer international agierenden Boykottbewegung konfrontiert, die für das Absagen prominenter Künstler sorgte. Dahinter stand tatsächlich eine anti-israelische Kampagne, initiiert von der international operierenden israelfeindlichen BDS-Bewegung, deren Ziel die wirtschaftliche, politische und kulturelle Isolierung Israels ist. Die BDSKampagne hat in der arabischen Welt besonders großen Einfluss; Künstler und Künstlerinnen, die dem BoykottAufruf nicht folgen, müssen damit rechnen, in ihren Heimatländern Probleme zu bekommen. Aber auch in England und den USA finden sich Unterstützer der global aktiven BDS-Bewegung.
Doch weshalb wurde das Berliner Popkulturfestival überhaupt boykottiert? – Die israelische Botschaft hatte das Festival mit 1 200 Euro Reisekostenzuschüssen unterstützt und wurde daher als Unterstützer auf der Homepage des Festivals genannt. Die bloße Nennung Israels reichte der Boykottbewegung aus, um die Künstlerinnen und Künstler von der Teilnahme abzuhalten. Doch Fes
tivalleiterin Katja Lucker ließ sich davon nicht beeindrucken und erklärte im Deutschlandfunk: Natürlich machen wir weiter was mit Israel!
Jetzt erklären Sie uns mal, werte CDU, wie eine erweiterte Demokratieklausel den Boykott des Festivals hätte verhindern können, zumal noch vor dem Hintergrund, dass die geförderten Veranstalter keineswegs eingeknickt sind! Oder hätte das Festival auf die finanzielle Förderung durch die israelische Botschaft verzichten sollen, damit jene Künstler dann doch auf der Bühne stehen, die sich durch ihre Absage ja bereits als israelfeindlich bekannt haben? Steckt hinter Ihrem kruden Antrag nicht eher der Versuch, über die drohende Versagung von Förderung oder deren Rückforderung staatliche Geförderte dazu zu bringen, ihrerseits bestimmte Gruppen von vorneherein auszugrenzen? – Das hätte zur Folge, dass Dialog, Kunst, Kultur und auch Extremismusprävention weniger gefördert als vielmehr unterworfen würden.
Diesen Versuch hat die schwarz-gelbe Bundesregierung bereits 2010 unternommen und eine sehr umstrittene Demokratieklausel eingeführt, die nicht nur das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung von den Geförderten verlangte, sondern auch, dass sie – ich zitiere –
… dafür Sorge zu tragen haben, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.
Das war im Grunde genommen eine Aufforderung zur Gesinnungsprüfung und gegebenenfalls Ausforschung aller beteiligten Dritten.
Das kann nicht die Aufgabe von Kulturschaffenden sein und auch nicht die von Gefängnisseelsorge oder Extremismusprävention.
Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag daher ab. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Berlins Kulturlandschaft ist lebendig, sie ist vielfältig, sie ist offen und kreativ. Dieses offene und kreative Klima unserer Stadt macht sie zum internationalen Schaufenster der Republik. Das kulturelle und künstlerische Schaffen in Berlin ist also eine zentrale Ressource der Hauptstadt. Wir haben dem bereits mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 Rechnung getragen und nach Jahren des Konsolidierens und Einsparens den Etat signifikant auf über 700 Millionen Euro erhöht. Die deutliche Mittelerhöhung war ein Zeichen unseres politischen Willens, die Bedingungen für eine kreative und offene Stadt auszubauen und weiterzuentwickeln. Und auch der Etat für die kommenden beiden Jahre ist ein solches Bekenntnis: Wir führen mit ihm fort, was in den beiden vorangegangen Jahren bereits verwirklicht wurde. Darüber hinaus erfahren auch kleinere kulturelle Einrichtungen erstmals eine finanzielle Förderung.
Wie schon im letzten Doppelhaushalt bilden die Kinder- und Jugendtheater auch in diesem Haushalt einen ganz besonderen Schwerpunkt. Gerade das Theater ist zutiefst mit den Menschen und dem menschlichen Miteinander verbunden. Es gibt keine Gesellschaft, die es nicht kennt. Im Theater erfahren wir – sei es als Akteure auf der Bühne oder im Zuschauerraum – etwas über uns und unsere Gegenwart. Im Theater verhandeln wir sowohl unser Menschsein als auch unsere aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in der Sprache der Performance, der Inszenierung. Die Kinder- und Jugendtheater sind kein Luxus, sondern stellen den Primärkontakt mit dieser
essenziellen Kulturform dar. Sie sind somit Teil der kulturellen Daseinsvorsorge, und dies stellt einen kulturpolitischen Schwerpunkt der SPD-Fraktion dar.
Daher werden wir in diesem Etat Mittel bereitstellen, in dem die Erreichbarkeit anspruchsvoller Kinder- und Jugendtheater zentral und in der Fläche ausgebaut werden soll. Wir knüpfen damit an die Erfolge des letzten Doppelhaushalts an und stellen zu den fast 17 Millionen Euro für Kinder- und Jugendtheater eine weitere Million Euro bereit. Hiermit werden Empfehlungen der Evaluation der Theater umgesetzt und die strukturelle Verbesserung der Angebote fortgeführt.
Wir stärken auch die kulturelle Infrastruktur, indem wir die Sicherstellung und Erschließung von Arbeitsräumen für Künstlerinnen und Künstler unterstützen, und zwar mit über 14 Millionen Euro jährlich. Zur Bestandsicherung und Akquise von Arbeitsräumen stellen wir weitere 1,5 Millionen zur Verfügung. So treten wir dem wachsenden Druck auf den Mietenmarkt, dem sich die Kulturschaffenden ausgesetzt fühlen, wirksam entgegen.
Berlin musiziert, tanzt, jubelt, hat Spaß – denn in Berlin darf man das. Wo immer Berlinerinnen und Berliner singen und tanzen, unterstützt die SPD-Fraktion die Musik. Für die finanzielle und personelle Ausstattung der Musikschulen stellen wir für die kommenden zwei Jahre insgesamt 12,7 Millionen Euro zusätzlich bereit. Davon sind 2 Millionen für die weitere Erhöhung des Anteils an Festanstellungen für Musikschullehrerinnen und -lehrer vorgesehen. Ferner haben wir Mittel zur Erhöhung der Honorare für die freien Musikpädagogen durchgesetzt. Im ersten Jahr sind das 2,2 Millionen Euro und im zweiten sogar 6,5 Millionen.
Auch die Berliner Chöre finanzieren sich durch den Einsatz der SPD-Fraktion seit 2018 solide. Nun haben wir eine weitere Unterstützung mit 150 000 Euro zusätzlich 2020 und 21 für den Chorverband Berlin erreicht. Das Konzerthaus Berlin unterstützen wir mit 200 000 Euro mehr ab 2020 und weiteren 800 000 Euro mehr ab 2021.
Und wir vergessen nicht, dass auch kleinere Musikensembles den guten Ruf der Musikstadt Berlin in die Welt tragen: Daher unterstützen wir erstmalig die „Lautten Compagney“ für Alte Musik und zeigen so, dass Kulturpolitik Musik von Bach bis in die Gegenwart umfasst.
Erstmalig gefördert wird auch die Kunst der Unterhaltung, wie sie in Varietés wie dem „Wintergarten“, dem „Chamäleon“, dem „Tipi am Kanzleramt“ und der „Bar jeder Vernunft“ oder im „Kriminal-Theater“ angeboten wird.
(Senatorin Regine Günther)
Unser kulturelles Gedächtnis wird unter anderem in Lied- und Schriftgut nicht nur abgebildet, sondern auch archiviert. Diese Archive unserer Kultur müssen ihrerseits archiviert und nicht zuletzt vermittelt werden. Diese Aufgabe obliegt öffentlich zugänglichen Museen und Gedenkstätten. Von ihrer Ausstattung hängt ab, was wir über uns und auch unsere Kindeskinder über sich und unsere Kultur erfahren können. Darum setzen wir uns für vielfältige Gedenkkulturen in Berlin ein. Mit Nachdruck treten wir für die Orte der Berliner Demokratiegeschichte ein. Wir unterstützen den Ausbau des Gedenkorts „Friedhof der Märzgefallenen“ und stellen Mittel zur Planung eines Besucherzentrums bereit.
Wir setzen uns für die Internationale Jugendbauhütte Berlin ein und unterstützen das lebendige Engagement für den Denkmalschutz mit 300 000 Euro 2020 und mit 380 000 Euro 2021. – Sie sehen: Die Koalition stärkt den Kulturstandort Berlin in der ganzen Breite, in der ganzen Vielfalt. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ich vor einem Monat an dieser Stelle in meiner Rede zur Konjunktur festgestellt habe, stimmt auch heute noch: Berlins Wirtschaft entwickelt sich abweichend von den Konjunkturprognosen für Deutschland, die nur bei 0,5 Prozent dümpeln, äußerst positiv. Berlin bleibt mit rund 2 Prozent weiterhin Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum. Damit heben wir uns von manchem anderen
Bundesland ab, was bereits ein Nullwachstum zu verzeichnen hat, wie beispielsweise NRW mit seiner schwarz-gelben Landesregierung.
In Berlin setzt die Koalition mit dem Haushaltsplan für die Jahre 2020/21 die richtigen Schwerpunkte für ein auch weiterhin sozial gerechtes und nachhaltiges Wachstum. Die von der SPD-Fraktion bereits seit 2004 vorangetriebene Politik einer Reindustrialisierung hat zu einer inzwischen modernen Industriestruktur geführt mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten, insbesondere in den Clustern Mobilität, Energie, optische Industrie, Gesundheitswirtschaft
sowie Informations- und Kommunikationstechnologien. Das ist nicht von allein passiert. Der Steuerungskreis Industriepolitik beim Regierenden Bürgermeister, kurz SKIP, hat sich als Gremium bewährt, in dem sich Akteure aus Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften regelmäßig mit der Politik über die richtigen Rahmenbedingungen für eine weitere gedeihliche Entwicklung verständigen.
Diese Koalition hat auch dem Masterplan Industrie wieder den ihm gebührenden Stellenwert zurückgegeben und ihn im vorliegenden Doppelhaushalt mit 800 000 Euro jährlich unterlegt.
Die definierten Zukunftsorte, wo Wirtschaft und Wissenschaft Hand in Hand gehen, werden auch in diesem Doppelhaushalt durch erhöhten Mitteleinsatz weiter gestärkt.
Die Koordinierungsstelle hat mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen. Jeder Zukunftsort hat seine eigenen Schwerpunktbranchen wie etwa die Medizintechnik in Buch oder Optik in Adlershof. Das übergeordnete Thema Digitalisierung spielt jedoch in allen Branchen und an allen Zukunftsorten eine entscheidende Rolle. Der Haushaltsentwurf setzt hier einen deutlichen Schwerpunkt. Für 2 Millionen Euro beispielsweise wird ein Fonds für die VFX-Branche eingerichtet, die ein ganz wichtiger Faktor der Medienwirtschaft in Berlin ist.
Dem Berliner Handwerk geht es derzeit gut. Die Auftragsbücher sind voll. Dennoch bedarf es der Fachkräftesicherung für die Zukunft. Der Haushalt unterstützt daher das erfolgreiche Programm „Schulpaten“ der Handwerkskammer Berlin, bei dem bereits in den Grundschulen Meisterinnen und Meister ihr Handwerk vorstellen und die Kinder so für eine spätere Ausbildung interessieren.
Der Messe- und Kongressstandort Berlin entwickelt sich ebenfalls positiv, jedoch zeichnen sich Engpässe, insbesondere bei den Kapazitäten für größere Kongresse, ab.
(Senatorin Katrin Lompscher)
Eine mittelfristige Reaktivierung des Internationalen Congress Centrums erweist sich immer mehr als unumgänglich. Die hierfür eingestellten Planungsmittel stellen ein Minimum des Notwendigen dar.
Und die IAA wollen wir selbstverständlich auch, ja.
Für eine internationale Stadt wie Berlin ist der Tourismus insgesamt essenziell. Die Berlin Tourismus & Kongress GmbH wird durch den Haushalt weiter gestärkt, aber auch die bezirklichen Tourismusförderungen erfahren eine Aufwertung. Statt bisher 40 000 Euro stellen wir ab 2020 jährlich bis zu 100 000 Euro pro Bezirk zur Verfügung. Damit stützen wir das neue tourismuspolitische Konzept 2018+, das die Themen Förderung der Außenbezirke und Akzeptanzerhalt in den Fokus rückt.
Das Berliner BIG-Gesetz hat mittlerweile zur Einrichtung zweier BIDs in Spandau und der City-West geführt. Wir hatten hierzu gerade in dieser Woche eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss. Die Koalition hat Mittel in den Haushalt eingestellt, um die Einrichtung weiterer BIDs zu unterstützen und damit das lokale Gewerbe zu stärken.
Ein wichtiges Anliegen der SPD-Fraktion ist auch die Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere unterstützen wir weiter den Aufbau eines Eine-Welt-Zentrums durch Global Village als gemeinsames Dach und Forum für die entwicklungspolitischen Einrichtungen in Berlin. Hier gilt ganz klar: Global denken, lokal handeln!
Der Einzelplan 13 setzt auch deutliche Schwerpunkte im Bereich Energie. Um die gesetzlich verankerten Klimaschutzziele zu erreichen, bedarf es einer breiten Information und Einbeziehung der Verbraucherrinnen und Verbraucher wie der Unternehmen. Der Masterplan Solarcity und das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm werden daher durch weitere Mittel für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit finanziell unterlegt.
Die Berliner Stadtwerke als Tochterunternehmen der wieder zu 100 Prozent im Landeseigentum befindlichen Wasserbetriebe werden durch den Doppelhaushalt weiter gestärkt. Sie sind bereits ein wichtiger Akteur auf dem Berliner Markt für Energiedienstleistungen geworden, insbesondere für öffentliche Einrichtungen. Im Zusammenspiel mit der Berliner Energieagentur sollen die Stadtwerke die Klimawende in Berlin maßgeblich vorantreiben.
Und wir sind zuversichtlich, dass das landeseigene Unternehmen Berlin Energie am Ende auch die Energienetze betreiben wird, wie es die Vergabeverfahren diskriminierungsfrei ergeben haben. Dies wird im Haushalt auch finanziell unterlegt.
Insgesamt zeigt sich der Haushalt im Bereich Wirtschaft, Energie, Betriebe für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet. Und ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 13.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hand aufs Herz! Wann haben Sie das letzte Mal etwas online bestellt? – Jede Bestellung im Internet löst einen Warentransport aus, der für die Städte und damit natürlich auch für Berlin zum Problem geworden ist. Beschränkte sich zuvor der Lieferverkehr im innerstädtischen Bereich auf die Warendistribution für den Handel, werden nun verstärkt Güter an jeden einzelnen Haushalt geliefert. Einerseits freuen wir uns individuell über jedes zugestellte Paket, ärgern uns dann aber andererseits als Verkehrsteilnehmerinnen oder Verkehrsteilnehmer über die Lieferwagen der Paketzusteller, die notgedrungen auf der Fahrbahn in der zweiten Reihe stehen oder – schlimmer noch – den Rad- oder Fußweg blockieren.
Letzteres ist mehr als nur ein Ärgernis, sondern pure Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, vor allem der schwächsten unter ihnen, nämlich Kinder und Senioren.
Hier sollte in der Tat gegengesteuert werden. Der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion erkennt das Problem, das durch den vom Onlinehandel verursachten Lieferverkehr entstanden ist
und auch zukünftig noch verstärkt werden dürfte. Allerdings bietet der Antrag kaum gangbare Lösungsansätze, dafür aber viel Widersprüchliches. So fordern Sie, werte Kollegen von der FDP, zwar ein systematisches Durchgreifen gegen das Parken von Lieferfahrzeugen auf Gehwegen, Radwegen und in zweiter Reihe,
das vorzugsweise durch die Einrichtung und Freihaltung von Lieferzentren erreicht werden soll. Aber gleichzeitig soll und darf das Parkplatzangebot für den Individualverkehr nicht leiden.
Nehmen wir einmal diesen Widerspruch in den Blick: Der städtische Lieferverkehr geht, wie gesagt, durch den Onlinehandel über die Belieferung von Ladengeschäften weit hinaus. Insbesondere in Stadtkernbereichen und hochbelasteten Hauptverkehrsstraßen mit Geschäftsbesatz verschärft sich dadurch das Problem, dass zum Be- und Entladen oft lediglich Flächen des öffentlichen Straßenraums zur Verfügung stehen und der Verkehrsfluss und die Verkehrssicherheit somit durch den Lieferverkehr behindert werden. Die Einrichtung von Ladezonen soll hier bereits Abhilfe schaffen. Ladezonen in Berlin bedeuten, dass ein absolutes Halteverbot für alle außer für den
Lieferverkehr definiert wird, oft auch mit entsprechenden Markierungen.
Das bedeutet gleichzeitig, dass hier nicht geparkt werden darf, was natürlich nur so wirksam ist, wie es von den Ordnungsämtern überwacht wird. Doch eines ist sicher: Ladezonen kosten Parkplätze – da beißt die Maus keinen Faden ab! Außerdem liefern die Paketdienste überall dorthin, wo etwas bestellt wurde, das heißt, in jede Straße. Es ist also kaum möglich, dem Problem durch mehr Ladezonen – am besten in jeder Straße – zu begegnen. Zur Lösung dieses Problems hat sich beispielsweise Wien die Grätzelbox einfallen lassen. Diese soll die zahlreichen Zustellfahrten bündeln, indem die Pakete in fußläufiger Entfernung der Empfänger abgegeben und abgeholt werden können. Dafür eignen sich zum Beispiel leerstehende Gebäudelokale im Erdgeschoss oder Mobility Points im Straßenraum.
Wenn der FDP-Antrag – –
Nein, ich lasse jetzt keine zu! – Wenn der FDP-Antrag die Sicherung von Flächen für Parkzonen fordert, geht das zumindest in eine ähnliche Richtung. Allerdings ist auch im Bereich des Gehwegs der Straßenraum nicht beliebig vermehrbar. Wir werden also nicht umhinkommen, einen Stadtentwicklungsplan Mobilität aus einem Guss zu erarbeiten, der natürlich den Lieferverkehr einschließen muss, aber von der Realität des begrenzten öffentlichen Straßenraums auszugehen hat und daher sicherlich auf eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs hinauslaufen wird.
Dem gegenüber ist der FDP-Antrag insgesamt auf die Quadratur des Kreises ausgelegt,
fordert die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau und ist daher wirklichkeitsfremd und wenig sinnvoll. Ich empfehle daher, den Antrag abzulehnen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Geh’n Sie mit der Konjunktur!“, so sang das HazyOsterwald-Sextett optimistisch vor mehr als einem halben Jahrhundert, in einer Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg, als die Konjunktur in Deutschland nur eine Richtung zu kennen schien: aufwärts. Von dieser historisch kurzen, atypischen Phase einmal abgesehen, haben wir aber in den zurückliegenden Jahrzehnten Konjunkturzyklen und die Krisenanfälligkeit unseres globalen Wirtschaftssystems in jedweder Form erlebt. Auch derzeit bleibt die deutsche Konjunktur nicht unberührt vom sich eintrübenden internationalen Klima. Die Spannungen in den transatlantischen Beziehungen, die Politik eines unberechenbaren US-Präsidenten, der wohl bevorstehende Brexit, die Krise der WTO und einige weitere Faktoren haben zu einer weitgehenden Verunsicherung vieler Wirtschaftsakteure, zu erschwerten Bedingungen im Exportsektor und zu einer weltweiten Investitionsflaute geführt.
Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben die Konjunkturprognosen für Deutschland kürzlich nochmals nach unten korrigiert und rechnen inzwischen nur noch mit einem diesjährigen Wachstum von 0,5 Prozent.
In diesem Kontext scheint es umso beachtlicher, dass sich die Berliner Wirtschaft unabhängig von diesen schlechten Zahlen weiterhin äußerst positiv entwickelt. Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde das bundesdeutsche Wachstum um fast das Fünffache übertroffen und war deutlich stärker als in allen anderen Bundesländern.
Während die vermeintlichen Wirtschaftsexperten einer schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beispielsweise ihren Wählerinnen und Wählern gegenüber in Erklärungsnot geraten dürften, weshalb die dortige Wirtschaft im ersten Halbjahr 2019 mit einem mickrigen Wachstum von 0,1 Prozent nur noch haarscharf an einer Rezession vorbeischrammte, können wir in Berlin mit gewissem Stolz sagen, dass wir einen Anteil daran haben, die bundesdeutschen Zahlen nicht noch schlechter ausfallen zu lassen.
Im Bericht der Deutschen Bundesbank zur Wirtschaftslage in Berlin heißt es nun, dass sich Berlins Wirtschaft – ich zitiere: auch im zweiten Halbjahr 2019 von der gesamtdeutschen Wachstumsschwäche weitgehend abkoppeln dürfte. Lassen Sie uns also einen Blick darauf werfen, welches die Gründe für diese hervorragenden Zahlen und die weiterhin optimistische Prognose sind.
Als Klaus Wowereit im Jahr 2001 das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Eberhard Diepgen übernahm, steckte die Berliner Wirtschaft in einer manifesten Krise. Nullwachstum, manchmal auch negative Wachstumsraten waren die Regel, und die Arbeitslosenquote steuerte auf die 20 Prozent zu. Berlin stand im bundesdeutschen Vergleich so schlecht wie kaum ein anderes Bundesland da, blieb von der ökonomisch positiven Entwicklung, insbesondere in den alten Bundesländern, weitgehend abgekoppelt. Dies hat sich entscheidend geändert. In den letzten 18 Jahren konnte die Berliner SPD ganz maßgeblich eine zukunftsgerichtete, aber vor allem auch soziale Wirtschaftspolitik mitgestalten, die dazu geführt hat, dass der Wirtschaftsstandort Berlin heute attraktiver denn je ist und die Wachstumsraten in Berlin seit 2005 meist über dem Bundesdurchschnitt lagen.
Jetzt im Moment nicht, vielleicht später.
Ja, ja. – Also, ich lasse jetzt erst mal keine Frage zu. – Ich wollte gerade sagen, dass die Wachstumsraten seit 2005 meist über dem Bundesdurchschnitt lagen. In diesem Zeitraum gab es konjunkturell sehr unterschiedliche Phasen, zwischen 2008 und 2010 eine weltweite Wirtschaftskrise, doch Berlin setzte seinen langfristigen Wachstumskurs ungeachtet kurzfristiger Schwankungen fort.
Die unter der Regierung Klaus Wowereit richtig gestellten Weichen und die seinerzeit geschaffenen Instrumente wie der Runde Tisch Tourismus oder der Steuerungskreis Industriepolitik beim Regierenden Bürgermeister wurden in beiden Senaten von Michael Müller konsequent fortgesetzt. Am 4. September 2018 hat der Senat für Berlin den neuen Masterplan Industriestadt Berlin 2018-21 beschlossen. Der Masterplan Industrie stellt den strategischen Rahmen, um die Akteure gezielt zusammenzubringen, Innovationsräume zu qualifizieren und Berlins Profil als digitale Werkbank weiter zu schärfen. Die Fortschreibung des Masterplans nimmt Flächenbedarfe in den Blick – ja, Herr Gräff, das ist so – und sorgt mit gezielten Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen für die öffent
(Christian Gräff)
liche Wahrnehmung der Industriestadt. Im Januar 2019 haben die Länder Berlin und Brandenburg die gemeinsame Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg beschlossen. Die Hauptstadtregion bietet beste Voraussetzungen, eine hohe Dichte an exzellenten Hochschulen und Forschungseinrichtungen und eine enge Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft. Großes Entwicklungspotenzial haben insbesondere die Cluster.
Daher ist es auch kein Zufall, dass sich Berlin im vergangenen Jahr als Standort des Siemens-Innovationscampus im globalen Wettbewerb durchgesetzt hat, sondern eine Folge erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Und die gerade erst in dieser Woche bekannt gewordene Entscheidung von Tesla, im Umland Berlins ein großes Produktionswerk mit Berlin als zugehörigem Entwicklungsstandort einzurichten, ist ebenfalls Ergebnis dieser konsequenten Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik.
Nach meiner Einschätzung sind insbesondere vier Faktoren für die positive Entwicklung maßgeblich: Erstens profitieren wir immens von der Diversifizierung der Berliner Wirtschaft, sodass verschiedene Standbeine Berlin resistenter gegenüber Krisen einzelner Branchen und Sektoren machen, was sich insbesondere bei der globalen Wirtschaftskrise vor zehn Jahren zeigte. Die Industrie beispielsweise macht in Berlin mit knapp 9 Prozent der Bruttowertschöpfung einen verhältnismäßig geringen Anteil aus. Diese Tatsache unterscheidet uns von zahlreichen anderen Regionen in Deutschland, worüber wir nicht immer froh sind, was aber die Abhängigkeit vom industriellen Sektor geringer macht, unter der andere Regionen leiden und von dessen derzeitigem Rückgang diese betroffen sind. Man denke nur an die süddeutschen Bundesländer, deren Wachstum maßgeblich mit der Automobilindustrie verbunden ist und daher gegenwärtig unter deren selbstverschuldeter Strukturkrise leidet.
Allerdings habe ich auch hier gute Nachrichten über eine erfreuliche Berliner Entwicklung in der Industrie entgegen dem Bundestrend: Die Umsätze der Berliner Industrie sind bis Juli im Vergleich zum Vorjahr um fast 5 Prozent gestiegen, und auch die Ausgangslage ist weiterhin hervorragend. Die industrielle Basis Berlins ist schmaler, aber sie ist nicht auf bestimmte Branchen fixiert. Immerhin ein knappes Drittel der Berliner Wertschöpfung erfolgt im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen, der wiederum in Information und Kommunikation sowie freiberufliche, wissenschaftliche, technische und sonstige Dienstleistungen aufgeteilt werden kann. Auch hier stieg der Umsatz bis Juli im Vorjahresvergleich um knapp 5 Prozent, was mit einem Beschäftigungswachstum von immerhin fast 4 Prozent einherging.
Auch die Bauwirtschaft befindet sich weiterhin in Hochkonjunktur und kann sich vor Aufträgen kaum retten. Ebenso positive Nachrichten erreichen uns sowohl vom Gastgewerbe als auch von den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen.
Berlin ist also breit aufgestellt und profitiert dabei natürlich auch – das ist mein zweiter Punkt – von einer konsequent zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik. Als Startup-Standort Nummer 1 in Deutschland hat es Berlin geschafft, immer mehr Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer anzulocken. Viele der innovativen Geschäftsmodelle sind nachhaltig erfolgreich, was beispielsweise das starke Wachstum von 7,5 Prozent im Bereich des Onlinehandels veranschaulicht. Schätzungen zufolge wurden im ersten Halbjahr 2019 2,8 Milliarden Euro in deutsche Start-ups investiert, wovon beeindruckende drei Viertel, also 2,1 Milliarden, an Berliner Start-ups geflossen sind.
Digitalisierung ist ein Megatrend, von dem Berlin profitiert. Wir hatten gerade erst vor drei Tagen eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss hierzu.
Drittens profitieren wir auch – das möchte ich gar nicht leugnen – vom generellen Urbanisierungstrend, der mit zahlreichen Chancen für eine Stadt wie Berlin einhergeht. Es ist tatsächlich leichter für Unternehmen wie Tesla, Siemens, Bayer und andere, qualifizierte Leute an den Standort Berlin zu holen als anderswohin. Eine steigende Einwohnerzahl – darauf möchte ich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen von der AfD, sondern auch Herrn Gräff hinweisen mit seiner rückwärtsgewandten Zuzugssperre –, auch Zuwanderungen sind unabdingbare Voraussetzungen, um auf den stärker werdenden Fachkräftemangel zu reagieren.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Wenn sie gesteuert sind, ja! Aber nicht ungesteuert! – Zuruf von der AfD: Unsinn!]
Ein vielfältiges kulturelles Angebot wiederum trägt zum Tourismusboom bei und kommt somit dem Hotel- und Gastgewerbe zugute.
Letztlich profitiert Berlin auch, davon bin ich überzeugt, von einer starken Sozialpolitik, die den Standort für viele Menschen attraktiver macht. Berlin steht im Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte zu vielen anderen Städten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Themen wie bezahlbarer Wohnraum sind in einer globalisierten Welt mit vielen Menschen ein ausschlaggebendes Kriterium.
Nein! – Themen wie bezahlbarer Wohnraum, wollte ich gerade ausführen, sind in einer globalisierten Welt für viele Menschen ein ausschlaggebendes Kriterium, wenn es darum geht, ihren Lebensmittelpunkt zu wählen. Und nur wenn wir in sozialen Bereichen weiterhin vorangehen, wird Berlin als Standort auch gleichermaßen attraktiv bleiben. Dies sei auch den Expertinnen und Experten aus Unternehmensverbänden sowie der IHK gesagt. Es mag ja sein, dass der Geschäftsklimaindex, der die Stimmungen und Erwartungen der Berliner Unternehmen widerspiegelt, um 24 Punkte hinter dem des Vorjahres zurückbleibt. Doch ist es ein voreiliger Schluss, hierfür – wie es bei der IHK heißt – „berlininterne Risikofaktoren“, insbesondere Eingriffe in das Privateigentum oder den Mietendeckel, verantwortlich zu machen. So was hat der Herr Gräff ja auch gerade probiert. Ich glaube, Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer denken weitaus weniger ideologisch als ihre Verbandsfunktionäre, denen bestimmte Maßnahmen der Berliner Politik zur Mietenbegrenzung aus Prinzip nicht passen und die deshalb den gesunkenen Geschäftsklimaindex in ihrem Sinne politisch zu instrumentalisieren versuchen.
Die harten wirtschaftlichen Fakten sprechen eine andere Sprache und belegen, dass trotz gewisser Verunsicherungen der Unternehmen aufgrund der schon erwähnten weltwirtschaftlichen Risiken die Zeichen weiter auf Wachstum stehen.
Das tue ich. – Zusammengefasst kann man sagen, um noch mal am Anfang meiner Rede anzuknüpfen: Berlin geht mit der Konjunktur, wenn sie sich aufwärts bewegt, hat inzwischen aber auch Spielräume, um konjunkturellen Einbrüchen zu trotzen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir Anfang des Jahres hier schon einen Antrag der CDU zur Reform des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes beraten durften, der unübersehbar den Zweck verfolgte, das Gesetz seiner wesentlichen Inhalte zu berauben und es damit im Grunde überflüssig zu machen, legt die FDP nun gleich einen Gesetzentwurf vor, der die Aufhebung des BerlAVG zum Gegenstand hat.
Das ist aus der wirtschaftsliberalen FDP-Sicht, die allein dem Markt die Kompetenz zuschreibt, alle sozialen Probleme automatisch mit zu lösen, vielleicht konsequent,
aber natürlich wirtschafts- und sozialpolitisch an Ignoranz nicht zu überbieten.
Ich möchte kurz in Erinnerung rufen, um welche vier Ziele es beim Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz eigentlich geht. Erstens: Das Land Berlin, die Bezirke und die Unternehmen mit Landesbeteiligungen vergeben Aufträge nicht als Selbstzweck, sondern um Güter und Dienstleistungen zu erlangen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben im öffentlichen Interesse benötigen.
Nein, danke! Ich brauche keine Fragen.
Nein, keine! – Zweitens: Hierbei generiert die öffentliche Hand ein Beschaffungsvolumen in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro jährlich, das einen durchaus bedeutsamen Wirtschaftsfaktor für die Region darstellt. Drittens: Es liegt im Interesse unserer Wirtschaftspolitik, dass insbesondere mittelständische Unternehmen in Berlin, die für die Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze in unserer Stadt eine entscheidende Rolle spielen, auch von diesem Beschaffungsvolumen profitieren können. Und viertens: Die öffentliche Hand hat bei der Auftragsvergabe allerdings auch eine Vorbildfunktion und kann ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um soziale, ökologische und andere Gemeinwohlinteressen im Zuge der Leistungserbringung sicherzustellen.
Gerade die beiden letztgenannten Punkte stehen natürlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Um die Hürden für ein mittelständisches Unternehmen, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, nicht zu hoch werden zu lassen, brauchen wir ein möglichst einfaches Vergaberecht. Zur Gewährleistung sozialer und ökologischer Mindeststandards und eines transparenten Verfahrens bei ihrer Anwendung sind jedoch einige Regularien erforderlich.
Im Ausschreibungs- und Vergabegesetz aus dem Jahr 2010 haben wir diese Gratwanderung, meine ich, ganz gut bewerkstelligt, was natürlich nicht heißt, dass dieses Gesetz ein für alle Mal in Stein gemeißelt ist und keiner Anpassung bedürfte. Bei der Höhe des Mindestlohns hat es zum Beispiel bereits einige Anpassungen an veränderte
(Florian Swyter)
wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten gegeben, und eine weitere Erhöhung ist aufgrund einer insgesamt positiven Lohnentwicklung über alle Branchen hinweg in Vorbereitung. Die Anzahl der Vergabestellen muss deutlich reduziert werden, und es wird auch eine Novelle des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes geben, die die weitere Vereinfachung der Auftragsvergabe zum Ziel hat, ohne jedoch Abstriche bei den politischen Zielen des Gesetzes zu machen. Wer beispielsweise gegen Leistungserbringung durch Kinderarbeit etwas tun will, darf nicht großzügiger bei der Auslegung des Begriffs Kinderarbeit werden, sondern muss geeignete Standards zur Zielerreichung festlegen, ohne hierdurch kleine und mittelständische Unternehmen weiter zu belasten.
Dass selbst die FDP ein Erfordernis für landesgesetzliche Regelungen neben dem Bundesvergaberecht sieht, zeigt ihr zweiter Antrag, der hier zur Beratung vorliegt. Die FDP fordert, sozusagen als Nachklapp zu der von ihr gewünschten Aufhebung des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes, den Senat zu einer Überarbeitung der Verwaltungsvorschrift „Beschaffung und Umwelt“ auf. Die darin von der FDP genannten Ziele finden sich zum Teil bereits im geltenden Ausschreibungs- und Vergabegesetz oder können dort rechtlich viel sauberer verankert werden als in einer Verwaltungsvorschrift. Aber da das BerlAVG gar nicht abgeschafft wird, sondern reformiert werden soll, können Änderungsvorschläge auch vonseiten der FDP wunderbar ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht jetzt nicht darum, diese Opfergruppen von einer bestimmten Partei vereinnahmen zu lassen, wie es hier praktisch versucht wird, sondern es geht um das Problem insgesamt. Und da gibt es auf der Bundesebene – das wissen Sie genau – bereits Bewegung. Wir, hier in Berlin und auf Bundesebene, begehen in diesem Jahr den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer und dürfen im kommenden Jahr den der deutschen Einheit feiern.
Diese beiden Ereignisse sind deshalb Grund zum Feiern, weil sie ein Zeichen der Demokratie sind. Sie bedeuten das Ende der SED-Diktatur, das letztlich durch eine friedliche Revolution herbeigeführt wurde. Mit dem Ende der SED-Diktatur begann deren Aufarbeitung, die auf vielfältige Weise geschieht. Die wissenschaftlich-historische Einordnung ist dabei natürlich ein zentraler Baustein, aber auch der öffentlich-mediale Diskurs, die pädagogische Aufarbeitung, die Beratung der Stasiopfer, der Zugang der ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger zu den Stasiunterlagen und vieles mehr gehören dazu – und selbstverständlich das Gedenken an die Opfer. Gedenken, Aufarbeitung und Aufklärung gehen an Gedenkstätten wie Hohenschönhausen Hand in Hand und fließen ebenso ein in die Entwicklung des Bildungs- und Erinnerungsortes am Checkpoint Charlie, des Polizeigefängnisses Keibelstraße sowie des Campus für Demokratie.
Dieser Campus für Demokratie wird auf dem Areal der früheren Stasizentrale Berlin-Lichtenberg entstehen. Dazu haben wir uns im Abgeordnetenhaus von Berlin am 22. März letzten Jahres bekannt. Das Leitbild der Entwicklung der Stasizentrale zu einem Campus für Demokratie richtet dabei den Blick auf Repression, Revolution und Aufklärung im Kontext der Demokratiegeschichte. Demokratie wird hier bewusst als Kontrapunkt gesetzt zu Repression, Verfolgung an diesem Ort, der auch zum Schauplatz der Friedlichen Revolution geworden ist, als mutige Bürgerinnen und Bürger auf das Gelände vordrangen, um das Ende der Geheimpolizei zu besiegeln. Der Campus für Demokratie soll also zu einem Ort werden, der dazu einlädt, die gesellschaftliche Dynamik zwischen Diktatur und Demokratie zu reflektieren.
Sie sehen, es gibt bereits Institutionen und Orte des Gedenkens und der Aufarbeitung und mit dem Campus für Demokratie auch ein Leitbild, das das Ziel der Friedlichen Revolution in den Fokus rückt. Freiheit und Menschenrechte sind Ziele, vor allem da, wo sie unterdrückt werden; die Friedliche Revolution hat gezeigt, dass sie auch gewaltlos erkämpft werden können, gerade von jenen, die Gewalt erfahren mussten.