Bettina Jarasch
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Last Statements
Sehr geehrter Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! „In der Politik heißt Freiheit Verantwortung.“ – Gerade die Coronapandemie zeigt, wie sehr dieser Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck Gültigkeit hat, denn die Coronakrise stellt nicht nur in ganz neuer und radikaler Form die Frage an jede und jeden von uns, wo unsere persönliche Freiheit endet und unsere jeweilige Verantwortung für unsere Mitmenschen beginnt, vielmehr zeigt der Satz auch auf, was ein Parlament und was politische Parteien in dieser Krise leisten müssen.
Wir sind in Berlin insgesamt gut durch die erste Welle der Pandemie im Frühjahr gekommen. Wir haben rasch reagiert, in Berlin sogar rascher als anderswo,
und die Maßnahmen haben gewirkt. Dann kam der Sommer. Wir alle haben aufgeatmet, waren draußen, haben uns endlich wieder getroffen, sind sogar wieder verreist, wenn viele auch lieber innerhalb Deutschlands.
(Sebastian Czaja)
Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben begonnen, sich zu erholen, wenn auch unter mehr als herausfordernden Bedingungen. Kurze Zeit fühlte es sich fast so an, als hätten wir die Pandemie bereits hinter uns. Dann kam der Herbst, und mit ihm kam das Virus zurück. Die Schutzmaßnahmen wurden verstärkt, der jetzt beschlossene Lockdown zwingt viele Branchen, den mühsam wieder angekurbelten Betrieb erneut herunterzufahren. Die Fassungslosigkeit und Wut darüber sind groß, allen voran in der Kultur, in der Gastronomie, beim Tourismus und in der Veranstaltungsbranche.
Das ist verständlich, weil viele investiert und innovative Konzepte dafür entwickelt haben, wie Kultur und Veranstaltungen unter Pandemiebedingungen möglich wären. Sie fühlen sich zu Sündenböcken gemacht, und vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals. Ich bin froh, dass wir diese Debatte heute im Parlament führen, denn die Gastronomen und Veranstalter, die Kreativen und Kulturschaffenden sowie all die anderen Betroffenen erwarten genauso wie die Berlinerinnen und Berliner insgesamt zu Recht, dass wir unsere Entscheidungen bewusst treffen, sie begründen können und dann auch zu ihnen stehen,
vor allem, wenn es um Entscheidungen wie einen Lockdown geht, die das Leben der Menschen massiv beeinflussen. Wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen und so tun, als hätten wir mit den Beschlüssen der MPK nichts zu tun. Es gibt keinen Coronaautomatismus. Der Senat berät und beschließt Verordnungen, und auch das Parlament hat bereits heute die Möglichkeit, über Verordnungen zu beraten und Änderungen zu verlangen. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon getan und damit zu Recht die Versammlungs- und Religionsfreiheit als Grundrechte aufrechterhalten.
Die Infektionszahlen steigen aber dramatisch und nahezu ungebremst an. Sie liegen mehr als doppelt so hoch wie im Höchststand der ersten Welle im April. Mittlerweile steigt auch die Zahl der mit Covid-19-Patientinnen und patienten belegten Intensivbetten, und zwar schneller als erwartet. Aktuell gibt es insgesamt nur noch 176 freie Betten in Berlin; 118 sind mit Covid-19-Patientinnen und -patienten belegt. Gleichzeitig sind die Gesundheitsämter nicht mehr in der Lage, Kontakte nachzuverfolgen.
Mittlerweile wissen wir in weit über 80 Prozent der Fälle nicht, woher die Infektionen kommen. Die Eindämmungsstrategie funktioniert damit nicht mehr. Deshalb geht es nicht so sehr darum, welche Orte konkret Infekti
onsherde sind, sondern schlicht darum, die Zahl an Kontakten möglichst herunterzufahren.
Jedem und jeder muss klar sein: Wenn wir nicht handeln, stößt das Gesundheitssystem an seine Grenzen. Die gesundheitliche Versorgung der Berlinerinnen und Berliner wäre dann nicht mehr gewährleistet, und zwar nicht nur bei Corona, sondern auch bei anderen Krankheiten.
Bereits heute wird geschultes Personal von anderen Stationen abgezogen, damit sie sich um Covid-19
Patientinnen und -patienten kümmern. Wenn wir nicht handeln, werden im schlimmsten Fall Ärztinnen und Ärzte gezwungen, sich zu entscheiden, welche Patientinnen und Patienten behandelt, welche aufgegeben werden. Das wollen wir unter allen Umständen verhindern.
In einer humanen Gesellschaft ist jedes Menschenleben gleich viel wert. Davon rücken wir nicht ab.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der mir zentral wichtig ist. Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, die Grund- und Bürgerrechte auch bei der Bekämpfung der Pandemie zu sichern. In einer freiheitlichen Demokratie verbietet sich ein flächendeckender und erst recht ein verdachtsunabhängiger Zugriff des Staates auf die Privatsphäre. Ein liberaler Staat kann und darf das Privatleben seiner Bürgerinnen und Bürger nicht ausspähen, auch nicht, um eine Pandemie zu bekämpfen.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) und Thorsten Weiß (AfD) – Marc Vallendar (AfD): Toll! Macht er aber gerade!]
Der Zugriff des Staates muss im Wesentlichen auf den öffentlichen Raum beschränkt bleiben. Zugleich hat der Staat aber die Verantwortung, die Gesellschaft insgesamt und insbesondere vulnerable Gruppen in der Pandemie bestmöglich zu schützen. In dieser Abwägung ist es richtig, dass die MPK und auch der Berliner Senat sich dafür entschieden haben, das öffentliche Leben in den kommenden vier Wochen herunterzufahren. Das sage ich hier in aller Deutlichkeit.
Nicht, weil Restaurants oder Clubs, Konzertsäle oder Kinos, Sporthallen oder Yogastudios schuld an der Ausbreitung des Virus wären, erst recht nicht, weil sie für unser Leben zweitrangig und unverzichtbar wären, im
Gegenteil! Wir alle merken gerade jetzt, wie zentral solche Orte der Begegnung für uns sind. Es sind aber Orte der Begegnung, und damit geht einher, dass wir mehr Menschen treffen, mehr Kontakte haben und sich unsere Wege mehr kreuzen, je mehr wir in der Stadt unterwegs sind. Auch für Begegnungen im privaten Raum gibt es Beschränkungen. Damit sie eingehalten werden, sind wir im Wesentlichen auf die Eigenverantwortung der Menschen angewiesen. Weder Moralpredigten, noch die Suche nach Sündenböcken helfen uns weiter, erst recht nicht der öffentliche Aufruf aus Bayern, dass Nachbarn sich gegenseitig ausspähen sollen.
Weder Neuköllner Familienfeiern noch die tanzfreudige Jugend in Mitte sind schuld daran, dass auch in Hellersdorf und Spandau die Infektionszahlen steigen.
[Torsten Schneider (SPD): Das war ja mal ein geiler Satz! Heiko Melzer (CDU): Den schreiben wir uns mal auf! – Zuruf von Mario Czaja (CDU) – Stefanie Remlinger (GRÜNE): Ja, das war ein schöner Satz!]
Das Virus hat sich im Sommer in der Breite ausgedehnt, und es streut, wo immer sich ihm die Möglichkeit bietet. Je dichter die Menschen beieinander leben, desto früher –
Danke, Herr Präsident! – wird das Virus schließlich überall ankommen, sofern wir nicht die Notbremse ziehen. Wir können aber mit der Situation umgehen, wenn wir aus den Erfahrungen lernen, die es mittlerweile mit dem Virus gibt. Das gilt gerade auch für uns Politikerinnen und Politiker.
Ja, wir müssen uns fragen lassen, ob die beschlossenen Maßnahmen verhältnismäßig und zielgenau sind, ob wir die richtigen Prioritäten setzen und ob wir die Zeit genutzt haben, damit uns die zweite Welle nicht so unvorbereitet trifft wie die erste. Wir müssen lernen, eigene Fehler einzugestehen, und wenn nötig, zu korrigieren, denn nur so bleiben wir glaubwürdig.
Wir müssen Daten sammeln, das Virus und seine Verbreitung verfolgen, und zwar kriminalistisch und präzise, damit wir verstehen und zu evidenzbasierten Maßnahmen kommen. Wir wissen noch immer viel zu wenig über
Infektionsorte und Ansteckungswege. Alles andere ist Spekulation in der jetzigen Situation, und solange das so bleibt, bleibt politisches Handeln mit Unsicherheiten verbunden. Unsere stärkste Waffe könnte das Wissen sein, und wir müssen regelmäßig, erstmals in zwei Wochen, überprüfen, ob die Maßnahmen wirken und ob sie gelockert werden können.
Dabei muss uns klar sein, dass die Gesellschaft insgesamt erschöpfter und gereizter ist als zu Beginn der ersten Welle im März. Die Begrenzung sozialer Kontakte, Arbeitszeitreduzierungen und Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg häuslicher Gewalt geführt. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder dem wirtschaftlichen Ruin sowie die Angst vor Einsamkeit und Isolation sind neben die Angst vor der Ansteckung getreten.
Die sozialen Folgen und die Folgen für die Gesundheit der Menschen sind noch nicht abzusehen, jedoch ist anzunehmen, dass wir damit noch lange zu tun haben.
Wir müssen daher alles dafür tun, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu sichern. Wir müssen aber auch die Gewaltprävention hochfahren,
Plätze in Frauenhäusern ausbauen und Beratungsangebote auf Onlineservices umstellen. Psychiatrische Tageskliniken dürfen nicht wieder geschlossen werden, denn mehr Menschen als zuvor brauchen jetzt psychologische Beratung und Unterstützung.
Wirtschaftspolitisch haben wir als Land in der ersten Phase schnell und unbürokratisch Soforthilfe angeboten. In Berlin haben wir die Hilfen so gestrickt, dass sie auch Soloselbstständigen zugutekamen. Auf diese Weise haben wir 350 000 Arbeitsplätze gesichert, und mehr als 270 000 Unternehmen und Selbstständige haben von diesen Hilfen profitiert.
Unbürokratisch schnell und für möglichst viele Selbstständige, das muss jetzt auch für die finanzielle Unterstützung gelten, die der Bund den betroffenen Branchen zugesichert hat. Der Unternehmerlohn muss kommen, den unsere Wirtschaftssenatorin Ramona Pop schon lange eingefordert hat.
Unser Land hat durch Zuschüsse, Mietstundungen und ein Gewerbemietprogramm versucht, Gewerbetreibende
zu unterstützen. Jetzt braucht es einen wirksamen Kündigungsschutz, und es braucht Mieterlasse sowie eine gesetzlich garantierte Ersatzleistung, wenn Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit aufgrund von Maßnahmen gegen die Pandemie einstellen müssen. Anders kann insbesondere die Veranstaltungsbranche keine Perspektiven entwickeln. Zu den Lektionen, die wir gelernt haben sollten, gehört, dass wir konsequent den Schutz und die Bedürfnisse von Risikogruppen in den Mittelpunkt stellen, denn die Coronapandemie betrifft alte und vorerkrankte Menschen, Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen, Obdachlose und Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften besonders hart.
Zu dieser Lehre gehört, dass die Bildungseinrichtungen geöffnet bleiben. Um auf ihre Kinder aufzupassen, waren in der ersten Welle viele Eltern, vor allem Mütter gezwungen, zuhause zu bleiben mit teils gravierenden Folgen für die Familien, aber auch für viele Arbeitgeber.
Das machen wir dieses Mal anders, und das ist gut so.
Gleichwohl rächen sich jetzt die Versäumnisse bei der Digitalisierung von Schule.
Das hybride Lernen, kleine Gruppen, die in einer Mischung aus Präsenzunterricht und digitalem Unterricht lernen, sollte dort, wo die Schulen didaktisch und ITmäßig dafür gerüstet sind,
unbedingt ermöglicht werden. Es kann sich sehr bald als der einzige Weg erweisen, die Schulen trotz hoher Infektionszahlen weiterhin offen zu halten, und es ermöglicht Lehrkräften, die zu Risikogruppen gehören, von zuhause aus zu arbeiten,
Es geht dabei um die Zukunftschancen von Kindern. Dasselbe gilt allerdings für Jugendliche, die jetzt aufgrund der Rezession ohne Ausbildungsplätze bleiben. Auch für sie braucht es eine gemeinsame Anstrengung, eine von Wirtschaft und Staat, denn auch ihre Zukunft steht auf dem Spiel. Bei der Prioritätensetzung sind wir auf dem richtigen Weg.
Schnelltests brauchen zuallererst das medizinische Personal, alte und pflegebedürftige Menschen und auch ihre Besucherinnen und Besucher, denn Alte und Pflegebedürftige schützen heißt nicht, sie zu isolieren, sondern ihnen ein menschenwürdiges Leben, selbstbestimmte Entscheidungen und soziale Kontakte zu ermöglichen.
Wo das vor Ort nicht möglich ist, braucht es WLAN und Endgeräte, um auf diese Weise den Kontakt zu Angehörigen aufrechtzuerhalten.
Dringend nachsteuern müssen wir dagegen beim Personal. Das wird Sie interessieren, also bitte ich um Ruhe.
[Lachen bei der CDU – Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und Stefan Förster (FDP) Zwar haben wir eine 500-Betten-Reserve im sogenannten Coronakrankenhaus, aber bei Weitem nicht genug Perso- nal, um diese Betten zu nutzen. Dasselbe gilt für die Ge- sundheitsämter. Sie alle brauchen qualifiziertes Personal, und sie brauchen es langfristig, damit unserer Gesund- heitssystem krisenfest wird. [Carsten Ubbelohde (AfD): Worauf warten Sie denn? Bla, Bla!]
Prämien helfen hier wenig. Die Bundeswehr hilft kurzfristig, ganz ohne Zweifel. Deshalb hat das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain soeben beschlossen, die Bundeswehr für medizinische Hilfe anzufordern.
Neue Ideen dagegen helfen erst recht, und sie helfen langfristig.
Medizinstudierende können zur Unterstützung von gemischten Intensivteams qualifiziert werden, ebenso Hotelfachschülerinnen und -schüler für Kontaktnachver
folgung in Gesundheitsämtern. Wir müssen die nächsten Wochen nutzen, um zu überprüfen, wie es zur zweiten Welle kommen konnte. Wenn wir es schaffen, die Erkenntnisse umzusetzen und sicher durch den Winter zu steuern, werden wir als Gesellschaft daran wachsen, denn eine Gesellschaft ist so stark wie es die Schwächsten in ihrer Mitte sind.
Der Umgang mit der Pandemie ist ein Stresstest für die Gesellschaft und für jede und jeden Einzelnen von uns. Das merkt man auch hier im Saal.
Wir können aber mit der Situation umgehen, denn die Coronakrise ist keine Naturkatastrophe, die einfach über uns kommt. Die zweite Welle ist kein Tsunami, der uns ohne Vorwarnung überrollt. Wir können ihren Verlauf bremsen und sie dadurch wieder unter Kontrolle bringen und die Krise überwinden. Vielleicht gehen wir am Ende sogar stärker aus der Krise hervor, als wir hineingegangen sind.
Lassen Sie uns alle dafür arbeiten, dafür, dass wir diese gemeinsame Erfahrung nutzen, um Vernunft, Solidarität und Gemeinsinn auch über die Krise hinaus zu bewahren. Bewahren wir uns die gestiegene Wertschätzung vieler Berufe, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, gerade im Bereich der Gesundheit und Pflege. Nehmen wir den Schwung auf, den wir im Bereich der Digitalisierung erleben. Wir werden neue Arbeitsformen einüben, räumlich flexibler sein, weniger Zeit für Wegstrecken verbrauchen und dafür mehr Zeit zuhause verbringen mit gesundem Essen und mehr Gemeinsamkeit mit Familie und Freunden.
Wir werden aber auch mehr Verständnis füreinander entwickeln müssen und vielleicht auch für unsere eigenen Gefühle, denn auch sie sind in einer Krise heftiger, als wir es uns sonst zugestehen.
Ich möchte schließen mit einem Zitat von Ulrich Khuon, dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, der diese Gefühlslage und seine eigene Ambivalenz im Umgang mit Corona wunderbar zum Ausdruck gebracht hat. Ich zitiere mit Erlaubnis:
Ich fluche viel, aber im Grunde bin ich eher verzweifelt. Aber ich will nicht jammern. Wir müssen jetzt was tun. Nach der Verzweiflung kommt immer auch eine Gegenbewegung. Das wollen wir doch mal sehen. Und es kommt ein Bewusstsein, dass es Bereiche und Schicksale gibt, die viel mehr Grund zum Verzweifeln haben. Wir bleiben an Deck.
Vielen Dank!
Es ist doch keiner da. Gut, zumindest meine beiden wichtigsten Senatorinnen sind anwesend. – Soll ich beginnen, Herr Präsident?
Vielen Dank – nachdem wir jetzt ein neues Instrument der Kollektivrüge eingeführt haben!
Sehr geehrter Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über ein Thema, das uns in den letzten Tagen sehr nahegerückt ist, obwohl es sich an den Außengrenzen der EU abspielt, auf der griechischen Insel Lesbos. Ich habe gestern noch mit einem Berliner Freiwilligen telefoniert, der sich dort um Geflüchtete kümmert, die das Lager Moria nach den Bränden verlassen haben und mit ihren letzten Habseligkeiten auf der Insel herumirren. 100 Beamte der griechischen Riot Police hindern die Menschen daran, sich der Hauptstadt der Insel zu nähern,
unterstützt von einem faschistischen Mob, mit Knüppeln bewaffnet.
Essen und Medizin gibt es nur im neuen Lager an der Küste. Die Zelte sind hinter hohen Stacheldrahtzäunen zu sehen, und sie sind leer, obwohl die Regierung Asylpa
piere für alle verspricht, die sich in das neue Camp begeben. Denn nichts fürchten die Menschen offenbar so sehr wie ein zweites Moria.
Moria ist eine Katastrophe mit Ansage. Im Namen von Kontrolle und Grenzsicherung wurden inhumane Zustände so lange hingenommen und immer weiter verschärft, bis die Situation komplett außer Kontrolle geraten ist. Das ist ein Offenbarungseid für die bisherige europäische Asylpolitik und für europäische Solidarität. Statt Geflüchtete aus den griechischen Lagern zu holen und auf die anderen Mitgliedstaaten zu verteilen, hat die EU die Situation in Moria bewusst hingenommen, um allen in der Türkei gestrandeten Geflüchteten zu demonstrieren: Macht euch nicht auf den Weg. Wer hier landet, kommt nicht mehr weiter.
Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin produziert in Berlin derzeit einige, darunter auch einige unnötige, Konflikte. Wir wissen aber um unsere Verantwortung für das, was sich gerade an Europas Grenzen abspielt. Ich bin stolz darauf, dass sich Berlin an die Spitze der deutschen Länder und Kommunen gesetzt hat, die Geflüchtete aus Moria aufnehmen wollen,
weil wir unsere Werte und unsere Humanität dort verteidigen, wo sie aufs Spiel gesetzt werden.
Es ist eine ständig wachsende Bewegung, und sie hat eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung.
Im Übrigen handelt es sich auch nicht um einen deutschen Sonderweg. Palermo und Amsterdam, Neapel, Ljubljana, Zürich, Barcelona, Kommunen überall in Europa sind bereit aufzunehmen. Wir erwarten deshalb von der deutschen Ratspräsidentschaft, dass sie diese Signale endlich ernst nimmt und ein solidarisches, europäisches Asylsystem mit menschenrechtlichen Standards auf den Weg bringt.
Mit dem Antrag, den wir heute beschließen wollen, fordern wir Bundesinnenminister Seehofer auf, mehr Menschen aus den griechischen Lagern zu holen. Angesichts der deutlich höheren Aufnahmebereitschaft der Bundesländer, sind auch die 1 500 Menschen noch halbherzig, auf die sich Kanzlerin Merkel und Seehofer endlich verständigt haben.
Wie ernst unsere eigene Aufnahmebereitschaft in Berlin gemeint ist, hat vor wenigen Tagen Innensenator Andreas Geisel mit seiner Reise nach Griechenland gezeigt. Wir wollen die Berliner Landesaufnahmeanordnung
erneut dem BMI vorlegen, zusätzlich begründet durch die verschärfte humanitäre Lage nach dem Brand. Wir wollen weitere Spielräume in geltendem Recht nutzen, die eine Aufnahme ohne Zustimmung des Innenministers vorsehen.
Bundesinnenminister Seehofer hat sich in den letzten Monaten immer nur durch den Druck von Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft bewegen lassen. Lange wollte er gar nicht aufnehmen, dann 48, dann 928, jetzt 1 500 Menschen aus Moria. Gleichzeitig versucht er alles, um diesen Druck loszuwerden, denn die Bereitschaft von Ländern, aus humanitären Gründen aufzunehmen, versteht er als Angriff auf die bundespolitische Hoheit in der Migrationspolitik, dabei ist sie im Bundesaufenthaltsgesetz ausdrücklich vorgesehen. Wenn wir als Land Berlin daher gegen die Ablehnung unseres Landesaufnahmeprogramms klagen, und ich hoffe das wir das tun, geht es auch um die Verfasstheit unseres föderalen demokratischen Systems.
Denn das föderale System gibt den Ländern eine hohe Eigenverantwortung. Manche Prozesse sind sicher dadurch komplexer zu steuern als in einem Staat, der zentralistisch durchregieren kann. Aber durch die föderalen Rechte der Länder gibt es in Deutschland auch ein System von Checks und Balances. Wie nötig das ist, zeigt sich gerade dieser Tage im Umgang mit den Geflüchteten aus Moria. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank! – Nur noch mal, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich Sie richtig verstanden habe, die Frage: Haben Sie jetzt gerade gesagt, dass die Entscheidung der Bundeskanzlerin Frau Merkel und des Innenministers Seehofer, 1 500 Menschen nach Deutschland zu holen, schädlich ist und die eigenen europapolitischen Bemühungen konterkariert? – Und zum Zweiten: Haben Sie gerade gesagt, dass Herr Seehofer praktisch widerrechtlich und falsch Leute nach Deutschland holt, die ihr Asylverfahren noch nicht hinter sich haben,
was nämlich das bisherige Aufnahmeprozedere nach Dublin war, wie Sie ja wissen? Die Leute sollten nämlich ihr Asylverfahren dann hier in Deutschland machen. Deswegen hat er sie nach der Dublin-Verordnung nach Deutschland geholt. Oder meinen Sie nur, wenn da noch weitere – –
Oder meinen Sie nur, dass die weiteren 300, die als Landesaufnahme dazukommen, dass die dann plötzlich alles konterkarieren?
(Burkard Dregger)
Lieber Herr Lenz! Sie haben in einem sehr suchenden, reflektierenden und zweifelnden Tonfall gesprochen, so, als würden Sie tatsächlich erst einmal etwas probieren, einen Weg suchen und gemeinsam mit uns in die Diskussion gehen wollen. Aber an dem, was Herr Krestel und Herr Gläser gesagt haben, merken Sie, was Sie mit dieser Art von Anträgen für Steilvorlagen liefern. Daran sind Sie nicht unschuldig. Denn so vermeintlich sachlich dieser Antrag daherkommt, so falsch und letztlich auch gefährlich ist er meiner Meinung nach.
Es handelt sich um eine ganze Reihe von Anträgen, die alle denselben Titel haben: „Konsequent gegen Extremismus: Antiextremistischen Konsens stärken“, Nummer eins, zwei, drei – und wie viele auch immer wir da noch vor uns haben, werden wir dann merken. Heute haben wir es mit Nummer drei zu tun. Überall steht geschrieben: Alle Formen des Extremismus sind gleich zu behandeln. – An konkreten Maßnahmen – das haben meine Vorredner schon gesagt – steht sehr wenig drin. Gerade zum Thema Antisemitismus bleiben die Forderungen weit hinter dem zurück, was diese Koalition tut.
Deswegen muss die Frage erlaubt sein, Herr Lenz, warum Sie überhaupt in dieser Weise noch einmal eine Antragsserie auflegen. – Ich glaube, es ist ganz einfach. Sie sagen, alle Formen des Extremismus sind gleich zu behandeln, egal um welches Phänomen es dabei geht. Dabei – wenn Sie schon vom Ausschuss für Verfassungsschutz sprechen – werden im Verfassungsschutzbericht sehr genau die verschiedenen Phänomene, Gruppen und Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen, unterschieden. Auch die Gefährlichkeit wird unterschieden. Was gleich zu behandeln ist, sind die Ächtung von Gewalt, die Ächtung von Extremismus und natürlich die Strafverfolgung. Aber Sie suggerieren mit der Behauptung, man brauche unbedingt einen Konsens darüber, dass es diesen hier im Hause nicht gebe. Das ist schon die erste Unverschämtheit. Und es ist ein Einfallstor.
Nein, danke! – Zweitens: Ich habe schon gesagt, dass, wenn man im Umgang mit den einzelnen Phänomen immer nur sagt, alle sind gleich zu behandeln, man nicht erfolgreich vorankommen wird. Drittens: Warum tun Sie das? – Wegen der guten alten Hufeisentheorie. Herr Dregger hat nicht umsonst heute Morgen schon gesagt, Sie seien die Partei mit Maß und Mitte. – Und die Mitte definieren Sie – da kann man wirklich an Thüringen denken – , indem Sie immer sagen, alle Extreme sind weit weg, und allein dadurch, dass wir von allen Extremen gleich weit weg sind, sind wir die Mitte. – Und wie es Herr Krestel gerade gesagt hat: Wenn dann in der Mitte plötzlich jemand antisemitisch redet, dann definieren wir ihn aus der Mitte raus, oder er hat sich selbst aus der Mitte rausdefiniert. – Ergebnis: Die Mitte hat nie mit allen gefährlichen Dingen, die in diesem Land passieren, irgendetwas zu tun. Das ist das Gefährliche an diesem Antrag.
Beim Antisemitismus und bei den Verschwörungsideologen, die Ihnen so viele Sorgen machen – das haben Sie heute noch einmal gesagt –, merkt man, wie falsch das ist. Denn das sind ganz normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die plötzlich glauben, es gebe eine jüdische Weltverschwörung, angeführt von Angela Merkel und Bill Gates, die mit Zwangsimpfungen eine wie auch immer geartete Bevölkerungsvernichtung betreiben wollen. – Das sind Dinge, die Leute erzählen, die ganz normale Nachbarn sind, die in Ihre Wahlkreisbüros kommen und ja, vielleicht auch in unsere Wahlkreisbüros kommen. Das ist ein Phänomen der Mitte, und deswegen kommt man nicht damit durch, es sich selber mit Hufeisen vom Leib halten zu wollen. Sie haben damit zu tun, und Sie müssen die Auseinandersetzung in Ihren eigenen Reihen suchen. Genau das ist unser aller Aufgabe, ansonsten landet man bei dem Zeug, das AfD und FDP heute hier erzählt haben. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Welche Vorstellungen haben Sie, Herr Senator, was Berlin über das, was Berlin bereits mehrfach öffentlich angeboten hat, hinaus tun kann, damit diese Zusagen jetzt eingelöst werden und tatsächlich die ersten Menschen evakuiert werden können, und was können Sie konkret dazu tun, dass der Senat einen Schritt vorankommt?
(Senator Dr. Dirk Behrendt)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Burka und Nikab sind der Ausdruck eines
patriarchalen und frauenfeindlichen Weltbildes, das wir ablehnen.
Diese deutliche Kritik an der Vollverschleierung teilen wir mit dem Großteil der muslimischen Community. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Frauen gibt, die den Gesichtsschleier freiwillig tragen, weil sie ihn als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung sehen. Das trifft übrigens offenbar auch auf die SchleswigHolsteinische Studentin zu, die die aktuelle Debatte ausgelöst hat. Wir kämpfen gegen Unterdrückung und Ausgrenzung von Frauen. Wir sind aber immer an der Seite der betroffenen Frauen. Da beginnt der Unterschied. Das bedeutet, dass wir das tun, was Frauen wirklich hilft. Wir achten die Frauen, anstatt sie für unsere Zwecke zu instrumentalisieren, wie es die AfD mit diesem Antrag einmal mehr tut.
Der vorliegende Antrag ist ein weiteres Beispiel für Ihre bevorzugte Strategie, die Wolf-im-Schafspelz-Strategie. Im Schafspelz steckt nie das drin, wonach es auf den ersten Blick aussieht. Wenn man genauer hinschaut, merkt man das auch, denn der vorliegende Antrag, der sehr juristisch und vermeintlich sachlich daherkommt, reiht sich ein in eine ganze Antragsserie, die Sie selbst erwähnt haben, Herr Bachmann.
Der erste Antrag dieser Art ist schon einige Zeit her. Das war der Antrag, über den wir im November 2016 diskutiert haben. Er forderte ganz pauschal ein Vollverschleierungsverbot für den öffentlichen Raum. Ich werde nie vergessen, dass Ihr damaliger Fraktionskollege, Herr Curio, der den Antrag damals eingebracht hat, Frauen als „sprechende Säcke“ bezeichnet hat, übrigens, Anmerkung des Protokolls: „Heiterkeit bei der AfD“. – Mehr Frauenverachtung ist wohl kaum denkbar.
Glauben Sie deshalb nicht, dass irgendjemand, dem es wirklich um Frauenrechte geht, auf Ihre Taktik hereinfällt.
Ich komme zurück zum Thema: Vollverschleierungsverbot an Schule und Hochschule. Ich sagte, wir tun, was den Frauen wirklich hilft. Ein pauschales Verbot der Vollverschleierung würde gerade den Frauen, die Burka und Nikab nicht freiwillig tragen, nicht helfen. Im Gegenteil! Es würde nur dazu führen, dass sie nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen. Vor allem aber, und das ist für uns als Bürgerrechtspartei zentral, können wir nicht alles verbieten, was wir politisch ablehnen und für falsch halten.
Ein pauschales Verbot, Herr Bachmann, wäre verfassungswidrig, auch wenn ich annehme, dass es Sie nicht weiter stört. Herr Stettner! Ein Staat kann eben nicht stellvertretend für seine Bürgerinnen entscheiden, wie sie religiöse Gebote zu verstehen haben und ob sie glauben, dass sie eine Burka tragen müssen aus religiösen Gründen oder nicht. Eine Beschränkung des Rechts auf Religionsfreiheit kann nur durch die Abwägung mit anderen Grundrechten gerechtfertigt werden. Partielle Verbote sind dagegen möglich. Die halten wir auch für richtig, wenn sie sachlich begründet sind. So gibt es beispielsweise Verbote eines Gesichtsschleiers mit Blick auf die Sicherheit im Straßenverkehr, bei Ausweiskontrollen und vor Gericht.
Sie fordern jetzt Verbote für Schule und Hochschule. Für uns gilt: Wir lösen Probleme, wenn sie auftreten. Gesetze sind eben keine Symbolpolitik oder reine Präventivmaßnahmen, sondern werden erlassen, um konkrete Probleme zu regeln. Es gibt bislang, das wurde heute schon öfter erwähnt, keinen einzigen Fall, keine einzige Problemanzeige aus Berliner Schulen oder Hochschulen. Bislang ist dieses Thema einfach kein Thema für die Berliner Schulen und Hochschulen. Außerdem ermöglicht das Berliner Schulgesetz unserer Einschätzung nach, meine Kollegin Frau Burkhard-Eulitz hat gerade darauf verwiesen, bereits jetzt, Schülerinnen das Tragen eines Gesichtsschleiers zu verbieten, wenn es nötig wäre. Die entsprechende Formulierung in § 46 ist konkreter als beispielsweise die vergleichbare Regelung im Hamburger Schulgesetz, das jetzt entsprechend geändert werden soll.
Im Berliner Schulgesetz werden die Schüler ausdrücklich verpflichtet, aktiv am Unterricht teilzunehmen und das Zusammenleben in der Schule zu gewährleisten, um die Bildungs- und Erziehungsziele der Schule zu gewährleisten. Im Hamburger Gesetz ist nur von einer rein passiven Pflicht zur Unterrichtsteilnahme die Rede. Die Berliner Formulierung gleicht eher der bayerischen, die gerichtlich schon als hinreichend konkret bestätigt wurde, um im Einzelfall ein Verbot zu ermöglichen. Ein Verbot der Vollverschleierung an Hochschulen ließe sich allerdings unserer Überzeugung nach sehr viel schwerer rechtfertigen. Während es nämlich an Schulen ausdrücklich um die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags geht, ist für Hochschulen die Gewährleistung des gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugangs zentral. Die fachliche Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden ist nicht eins zu eins vergleichbar mit der pädagogischen Interaktion zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern, die für die Erfüllung des Erziehungsauftrags nötig ist. Deshalb kommt übrigens auch die neue Richtervereinigung in Schleswig-Holstein in ihrer Stellungnahme zu der entsprechenden Kontroverse zu dem Schluss, eine konkrete Gefährdung des – ich zitiere mit Erlaubnis:
Eine konkrete Gefährdung des offenen Wissensaustausch im Lehrbetrieb einer Hochschule
durch das Tragen eines Gesichtsschleiers
ist nicht zu begründen.
Das Berliner Hochschulgesetz enthält daher auch keine Regelung, die dem § 46 Schulgesetz vergleichbar wäre. Aber auch hier gilt für uns, dass es keinen Handlungsbedarf gibt, solange es keine Problemanzeige gibt.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zum Schluss, die Herren: An männerdominierte Parallelwelten, Herr Stettner, denke ich manchmal auch, wenn ich in Ihre Reihen im Plenum schaue. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, wir werden nicht von Berlin aus die Welt retten; wir werden von Berlin aus nicht alle Menschen, über die wir gerade sprechen, retten können, und wir werden auch leider von Berlin aus nicht Europa retten können.
Dass es aber um all das geht und dass all das auf dem Spiel steht – das möchte ich hier schon in aller Deutlichkeit noch mal sagen. Denn angesichts der humanitären Katastrophe, die sich gerade dort abspielt, angesichts der Art, wie dort mit den Menschen, die zum Spielball politischer Interessen gemacht worden sind, umgegangen wird, setzt die EU ihr eigenes Wertefundament aufs Spiel. Das ist die eigentliche Katastrophe, die sich da abspielt.
Noch ist es rechtlich so, dass Menschen, die europäischen Boden betreten und um Asyl bitten, ein Recht auf ein geordnetes Verfahren haben. Sie gewaltsam daran zu hindern und ihnen das nicht mehr zuzusprechen, geschweige denn, es noch organisiert zu kriegen – das ist etwas, das Europa sich nicht leisten kann, wenn es noch zusammenhalten will.
Da wird Berlin nur etwas bewirken können, indem es über seine Städtenetzwerke, über die Stimme im Bundesrat, über prominente Menschen aus Berlin versucht, Einfluss zu nehmen; über alle unsere Bundestagsabgeordneten, die wir haben, versucht, Einfluss zu nehmen, auch auf die Bundesregierung – denn dafür braucht es tatsächlich eine solidarische europäische Lösung.
Was aber auch klar ist – und hier liegt das große, wahrscheinlich nicht ganz unschuldige Missverständnis der AfD –: Wenn es tatsächlich zu einer solidarischen europäischen Lösung kommt, dann wird das bedeuten, dass die Bundesrepublik Deutschland entscheidet, dass sie einen Teil dieser Menschen hierherholt und ihre Asylverfahren nach Dublin-Verordnung – da ist das nämlich vorgesehen, es gibt ein Selbsteintrittsrecht der Länder, die Mitglied bei der Dublin-Verordnung sind – durchführt. Dann werden die ihre Asylverfahren in Deutschland durchführen können, genauso, wie es bisher auch immer
schon war. Und wenn das der Fall ist, dann werden diese Menschen – nicht, weil Berlin das so will, sondern, weil es dafür einen Verteilschlüssel gibt, den Königsteiner Schlüssel – nach Berlin kommen, und dann hat eine Berliner Regierung die Pflicht und Schuldigkeit, darauf gut vorbereitet zu sein.
Nichts anderes hat dieser Senat getan, indem er auf Wunsch der Grünen Wirtschaftssenatorin – und darüber bin ich ausdrücklich froh – am Dienstag beraten hat, wie es denn aussieht, wie gut vorbereitet wir denn sind, welche Kapazitäten wir haben und was wir gegebenenfalls noch weiter verstärken müssen, damit dann tatsächlich, wenn Geflüchtete kommen – und ich kann für die Menschen und auch für die EU nur hoffen, dass das der Fall sein wird –, alles in geordneten Strukturen gut ablaufen kann.
Die humanitäre Geste – und das ist eine völlig andere Sache, das sollte man hier auch nicht vermischen –, die wir trotzdem als wenigstens einen kleinen Beitrag zur Linderung des Leids leisten können, wenn wir als Bundesland darüber hinaus noch Menschen aufnehmen, hat mit alldem, was hier gerade verhandelt wird, gar nichts zu tun. Da kann ich nur sagen: Auch da werden wir leider nicht das gesamte Leid lindern können. Aber in dem Fall gilt einfach: Über jedes einzelne Kind, das wir aus dieser Situation rausholen, bin ich heilfroh. Ich bin über jedes dieser Kinder froh – das hat aber nichts mit der Debatte zu tun, und es wird der AfD dieses Mal nicht gelingen, die Krise, die gerade ganz woanders stattfindet, hierherzureden. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns vor zwei Jahren fraktionsübergreifend auf den Weg gemacht und nach intensiven Diskussionen mit der jüdischen Community einen Antrag beschlossen, der den Antisemitismus umfassend und in allen seinen Formen bekämpfen will. Er ist die Grundlage für das Konzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention, das der Senat im letzten Jahr vorgelegt hat und das neben vielen anderen Maßnahmen auch vorsieht, keine Räume an Sympathisanten der BDSBewegung und keine Zuwendungsgelder an Empfänger zu vergeben, die in irgendeiner Weise antisemitisch agieren.
Das Entstehen dieses Antrags ist ungewöhnlich. Es ist aber der Thematik angemessen, dass wir das so fraktionsübergreifend gemacht haben. Wir haben danach sogar eine interfraktionelle Anfrage mit fünf der sechs Fraktionen in diesem Haus zur Erfassung und Verfolgung antisemitischer Straftaten gestellt. Wir wollen auch an diesem Thema gemeinsam dranbleiben. Auch das ist ungewöhnlich. Es ist gut, solange es der Ausdruck einer wirklich gemeinsamen demokratischen Überzeugung ist, die man sich irgendwann auch gegenseitig glaubt. Aber, dass die CDU in derselben Woche, in der wir 75 Jahre Befreiung von Ausschwitz gedacht und vielleicht zum letzten Mal bewegende Worte der Überlebenden der Vernichtungslager gehört haben, diesen Antrag einbringt, und uns damit wieder eine Debatte aufzwingt, die suggeriert, Antisemitismus sei vor allem ein Problem, das mit dem Nahostkonflikt zu tun hat, lässt bei mir ernsthafte Zweifel aufkommen, ob es uns allen mit der Bekämpfung des Antisemitismus in allen Formen so ernst ist, wie es der gemeinsame Beschluss letzten Jahres nahelegt.
Wenig Zweifel über die eigentliche Gesinnung habe ich dagegen bei dem Dreieck: Sarrazin, Luthe, AfD, das sich hier munter die Bälle zuspielt, sobald es gegen Muslime geht.
Die Senatsverwaltung für Kultur hat in der Umsetzung unseres gemeinsamen Beschlusses einen Passus zur Er
gänzung von Zuwendungsbescheiden entwickelt. Darin wird künftig als Bedingung formuliert, dass es im Rahmen der Mittelverwendung zu keiner Diskriminierung aufgrund rassistischer oder antisemitischer Zuschreibungen kommen darf. – Dieser Passus wird in Zuwendungsbescheiden verankert, den die Empfänger unterschreiben müssen, damit ist die Verpflichtung rechtsverbindlich. Wenn es dann dennoch zu Verstößen kommt, und antisemitisch agiert oder antisemitischen Akteuren Raum gegeben wird, müssen die Zuwendungsempfänger das Geld zurückzahlen, das heißt: dann wird es richtig teuer.
Damit sollte auch Ihrem Anliegen Rechnung getragen sein, wenn es tatsächlich darum ginge, staatliche Förderung für jede Form von Antisemitismus zu verhindern. –
Übrigens, Frau Seibeld, die Leugnung des Existenzrechts Israels behandeln wir in dem gemeinsamen Beschluss, und dementsprechend in dem Konzept, ausdrücklich als eine Spielart von Antisemitismus. Deshalb heißt es auch in dem Beschluss:
Organisationen, Vereinen und Personen, die die Existenz Israels als jüdischen Staat delegitimieren oder anderweitig antisemitisch agieren, werden, soweit rechtlich möglich, keine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Sie sollen auch keine Zuwendungen erhalten.
Ich weiß wirklich nicht, welche Lücke Sie eigentlich hier meinen.
Ihr Antrag jedoch zielt eben ausschließlich mit seinen Beispielen –
Mach ich! – auf einen bestimmten Teil der Migrationsgesellschaft. Wäre es nach Halle nicht mindestens so dringlich gewesen, heute gemeinsam darüber zu sprechen, wie wir jüdisches Leben in Berlin sichern können oder, angesichts des Alters der letzten Zeitzeugen, darüber zu sprechen, wie die Erinnerung an den Holocaust lebendig bleiben, und das Lernen aus der deutschen Geschichte funktioniert, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?
Der Antrag ist überflüssig und mit dieser Debatte haben wir eine Gelegenheit verschenkt. Ich hoffe, das machen wir beim nächsten Mal besser, gemeinsam. Den Antrag lehnen wir ab. – Vielen Dank!
Erstens hat die Neuköllner Begegnungsstätte erfolgreich dagegen geklagt, dass sie im Verfassungsschutzbericht wegen Kontakten zur Muslimbruderschaft erwähnt wird, was natürlich Menschen wie Sie nicht daran hindern wird, ihr das immer weiter und weiter vorzuwerfen.
Und zweitens empfinde ich, aber das ist etwas, was Sie wahrscheinlich nicht verstehen werden, bei meiner sehr bürgerlichen Lebensweise, Ihre Anspielung auf Drogen
politik in dem Zusammenhang als Kompliment. – Vielen Dank!
Ja, Herr Mohr! Diese Neiddebatte, die Sie hier so mühsam anstrengen, läuft, fürchte ich, zu dieser vorgerückten Stunde tatsächlich ins Leere, außer es gibt doch noch die vielen Hunderttausend Zuschauer, die Herr Kluckert vorhin, um Viertel nach acht begrüßt hat. Aber ich bezweifle das. Es schadet der Welt nicht, wenn wir in dem Fall unter uns bleiben.
Dieser Antrag muss deshalb nicht mehr so lange besprochen werden, weil es uns – Frau Schubert hat darauf hingewiesen – gelungen ist, sehr vieles davon inzwischen bereits in den Haushaltsberatungen umzusetzen.
Ich will deswegen nur eine Sache hier noch betonen. Es gibt ganz spezifische Probleme, die bei Geflüchteten auffallen, die aber auch sehr viele andere Menschen in dieser Stadt haben. Bei der psychosozialen Versorgung ist es einfach das Problem Sprache. Therapeutische Behandlung braucht eine gute Sprachmittlung, und die zahlt die Krankenkassen nicht, und zwar nicht nur nicht für Geflüchtete, sondern die zahlen die Krankenkassen grundsätzlich nicht. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir jetzt Gelder eingestellt haben, die Innovationen für eine moderne Stadt wie Berlin insgesamt bringen, indem wir nämlich z. B. einen Sprachmittlungspool aufbauen werden, der dann allen Menschen in dieser Stadt, die das brauchen, zugutekommt. In diesem Sinne werden wir weiterarbeiten. Ich freue mich darauf. – Vielen Dank!
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD
Werter Präsident! Geehrte Kolleginnen! Unser Ziel in der Integrationspolitik heißt: Versprechen halten, raus aus
dem Notfallmodus von 2015, und die Stadt als internationale Metropole fit für die Zukunft machen und zwar durch Innovationen und eine Stärkung von Strukturen. Diesem Ziel kommen wir durch den vorgelegten Doppelhaushalt einen großen Schritt näher.
Herr Bachmann, wenn Sie sagen, das nutzt der Allgemeinheit nicht, dann kann ich nur sagen: Zum Glück teilt der größte Teil der Stadtbevölkerung Ihren Begriff von „Allgemeinheit“ nicht und möchte da auch nicht mit genannt werden.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten bekommt endlich den Personalaufwuchs, den es braucht und lässt damit seine Sturzgeburt nach dem LAGeSo-Skandal endgültig hinter sich. Auch wenn es in einen anderen Etat gehört: Die Ausländerbehörde bekommt 15 Stellen mehr, damit sie künftig ihre Kunden auch mit Dolmetschern und Rechtsberatern serviceorientiert beraten kann,
wie es sich für die bundesweit erste Einwanderungsbehörde gehört.
Wir haben einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der psycho-sozialen Versorgung gelegt, weil hier das Regelsystem eben noch nicht so weit ist, auch traumatisierte Menschen angemessen zu behandeln. 800 000 Euro geben wir dafür aus, dass die beiden spezialisierten Behandlungszentren, Xenion und Zentrum überleben ihr Angebot ausweiten können, und so keine Versorgungslücke entsteht, wenn die Clearingstelle an der Charité schließt. Und wir haben einen Fonds mit 100 000 Euro ausgestattet, aus dem künftig auch Sprachmittlungskosten erstattet werden können.
Sprachmittlung brauchen aber nicht nur traumatisierte Geflüchtete, in einer internationalen Stadt sollte es der Normalfall sein, dass man in Behörden mehrsprachig bedient wird.
Wir leben in Deutschland und wir brauchen internationale IT-Experten.
Wir haben den Grundstein dafür gelegt, mit 1 Million Euro für ein Landesprogramm Videodolmetschen, weil Integration eben auch ein Motor für Innovationen sein kann.
(Hanno Bachmann)
Enden möchte ich, wie ich begonnen habe: mit gehaltenen Versprechen und tragfähigen Strukturen. Wir haben unsere Versprechen gehalten, alle Notunterkünfte geschlossen und bauen stattdessen echte Wohngebäude.
Frau Seibeld! Ich weiß, Sie halten es für unnötig, weitere Unterkünfte zu bauen, und vor allem nicht dann, wenn das MUF in Ihrem Heimatbezirk entstehen soll. Haben Sie immer noch nicht begriffen, dass die MUF eine soziale Wohnungsbauoffensive sind?
Dort wird sozialer Wohnraum entstehen, in dem geflüchtete und nicht geflüchtete Berlinerinnen und Berliner gemeinsam wohnen können.
Allerdings würde das schneller gehen, wenn die Gebäude nicht mit Sonderbaurecht, sondern mit regulärem Baurecht entstehen, denn das Sonderbaurecht verhindert die Nutzung als normales Miethaus.
Dafür hätten Sie sich stark machen können, Frau Seibeld!
Leider müssen wir auch die Oppositionsarbeit hier selbst machen. Sei es drum. Für eine engagiertere Oppositionsarbeit haben Sie hoffentlich noch ein paar Jahre Gelegenheit. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die AfD mit diesem Antrag versucht, ist eine neue Variante der alten Strategie, Gruppen gegeneinander auszuspielen – dieses Mal in der Variante Schulkinder gegen Geflüchtete. Dabei ist es Ihnen aber offensichtlich egal, dass sich die Bürgerinitiative vor Ort, in deren Namen Sie gesprochen haben, Herr Kerker, mit Händen und Füßen dagegen wehrt, von Ihnen vereinnahmt zu werden.
Was mich aber mehr überrascht und richtig ärgert, ist, dass CDU und FDP mit ihren Änderungsanträgen als Trittbrettfahrer der AfD daherkommen und dass Ihnen offenbar nicht einmal klar ist, dass Sie auf diese Weise nicht zu Trittbrettfahrern werden, sondern zu Steigbügelhaltern der AfD.
Herr Czaja! Ich halte Ihnen ausdrücklich eines zugute: In Ihrem Änderungsantrag sprechen Sie sich gegen eine pauschale Priorisierung von Schule vor MUFs aus, und zwar völlig richtig mit Verweis auf die Konsequenzen, die das hätte. Würden wir dem folgen, was die AfD vorschlägt, dann würden Geflüchtete in den Teilen Berlins untergebracht, die am wenigsten verdichtet sind und in denen die Nutzungskonkurrenzen daher weniger stark sind. Mit anderen Worten: geflüchtete und andere Wohnungslose landen isoliert am Stadtrand.
Diesen Fehler werden wir nicht wiederholen. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Den kriteriengestützten Prozess, den Sie fordern, in dem alle noch verfügbaren Liegenschaften des Landes und der Bezirke nach ihren möglichen Nutzungen kategorisiert und priorisiert werden, gibt es bereits: Das ist der Clustering-Prozess, den die Senatsverwaltung für Finanzen angestoßen hat.
Frau Seibeld! Wenn Sie schon in Sachen Osteweg intervenieren wollen, dann schreiben Sie doch wenigstens Ihre eigenen Anträge! Oder noch besser: Setzen Sie sich doch im Bezirk einmal mit Ihrer Bürgermeisterin zusammen und überlegen, wie Sie vorankommen können und was Sie dem Senat vorschlagen wollen! Dieser Versuch, jetzt plötzlich auf den AfD-Vorstoß aufzusatteln, bringt Ihnen jedenfalls vor Ort keine Punkte. Im Übrigen schlagen Sie vor, statt MUFs künftig Wohnungen für Geflüchtete zu bauen. Das klingt gut, aber Ihnen ist hoffentlich klar, dass uns das aus dem Problem der Nutzungskonkurrenzen
(Sebastian Czaja)
nicht herausbringt. Auch Wohnhäuser, die nicht „MUF“ heißen, brauchen bekanntlich Flächen. Wie sich dieses Problem lösen lässt – dafür haben Sie wenig Innovatives vorzuweisen.
Wir brauchen beides: mehr Schulplätze und mehr Wohnraum für Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, ob geflüchtet oder hier geboren.
Die öffentlichen Flächen sind knapp. Bei allem, was in den nächsten Jahren ansteht, haben wir immer mit Nutzungskonkurrenzen zu tun, und wir bauen in den meisten Fällen leider dem Bedarf hinterher. Diese Nutzungskonkurrenzen lösen wir aber nicht, indem wir das eine gegen das andere ausspielen. Wir müssen den Raum für die besten Möglichkeiten schaffen und nutzen. Weniger als die besten Lösungen können wir uns angesichts der knappen Flächen gar nicht leisten.
Wir Grünen drängen seit Langem darauf, dass Flüchtlingsunterkünfte integrativ gebaut werden, also als ein Teil der Quartiersentwicklung, der die Bedarfe der Bewohnerinnen und Bewohner genauso mitdenkt wie die der Nachbarschaft. Kita- und Schulplätze und Nachbarschaftstreffs müssen eingeplant werden,
weil diese Neubauten eben keine Notlösungen sind, sondern weil dort Menschen ihr neues Leben beginnen und ankommen können sollen. Das wird jetzt umgesetzt, nicht überall, aber an immer mehr Standorten. Deshalb haben Sie sich mit der Ratiborstraße in FriedrichshainKreuzberg und mit der Rheinpfalzallee in Lichtenberg als AfD die denkbar schlechtesten Beispiele ausgesucht. Bezüglich der Rheinpfalzallee haben sich Bezirk und Land jetzt darauf verständigt, statt der ursprünglich geplanten MUFs eine kleinere Unterkunft zu bauen und Platz für eine Grundschule, eine Kita und eine Jugendeinrichtung zu schaffen. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man die Nutzungskonkurrenzen mit gutem Willen unter einen Hut bringen kann.
In der Ratiborstraße soll mit dem MUF ohnehin eine Kita entstehen, und von einer Schule war nie die Rede – von niemandem. Die Frage in der Ratiborstraße ist nicht: Schule, Kita oder MUF? Sämtliche Gewerbetreibende und Nachbarschaftsinitiativen dort wollen ausdrücklich, dass auf dem Gelände auch Geflüchtete wohnen können. Sie wehren sich aber gegen das Sonderbaurecht, weil es nämlich eine Machbarkeitsstudie für die Ratiborstraße
gibt, die zeigt, wie eine gemischte Nutzung von Anfang an realisiert werden könnte. Das verhindert das Sonderbaurecht. Dieses Baurecht ist für Ausnahmesituationen geschaffen worden. Die Zeit der Notfallmaßnahmen ist aber vorbei. Wir bauen hier die Zukunft der Stadt, und deshalb ist es auch gut, dass das Sonderbaurecht jetzt ausläuft. Wo ein Bezirk zusagt, schnellstmöglich Baurecht zu schaffen, sollte auch bei bereits geplanten Projekten auf dieses Sonderbaurecht verzichtet werden, denn wenn wir überhaupt noch ein Sonderbaurecht brauchen, dann wirklich für den Schulbau.
Mit dem Schulbau zurück zum Osteweg: Hier findet seit Monaten ein sehr unerfreuliches Hin und Her statt: Der Bezirk hat – darauf hat Torsten Schneider hingewiesen – den Standort nicht niemals, aber sehr spät für den Schulbau angemeldet, obwohl die Pläne dafür seit Jahren in den Schubladen liegen. Das ändert aber nichts daran, dass wir die Schulplätze dringend brauchen, und das gilt mittlerweile eben unabhängig vom Bezirk. Eltern weichen doch längst auf andere Bezirke aus, um überhaupt noch Schulplätze für ihre Kinder zu finden!
Wir müssen die Bedarfe deswegen landesweit denken, wie wir es mit der rot-rot-grünen Schulbauoffensive ja auch tun wollen. Deshalb ist für uns Grüne ganz klar: Es braucht dort eine Lösung, die Schule und Wohnraum für Geflüchtete schafft, und dafür gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder der Bezirk benennt noch einen Ersatzstandort – das hat Senatorin Breitenbach in der letzten Ausschusssitzung ausdrücklich nochmals angeboten –, oder aber es gelingt mit vereinten Kräften, am Osteweg Schule und Flüchtlingsunterkunft zu realisieren. Beides geht allerdings nur, wenn alle Beteiligten gemeinsam nach der besten Lösung suchen.
Der Runde Tisch Osteweg, zu dem der Bezirk jetzt endlich auf Antrag der Grünen in der BVV für Mitte Dezember eingeladen hat, war längst überfällig. Ein solcher Runder Tisch – auch das möchte ich sagen – wird allen Beteiligten abverlangen, sich zu bewegen. Wir sind dazu bereit. Aber Flüchtlinge gegen Schulkinder auszuspielen – dazu werden wir niemals bereit sein! – Vielen Dank!
Ein Wort vorweg: Frau Jasper-Winter! Sie haben nicht genau zugehört. Die Gelder, die auslaufen werden, waren
Bundesgelder, das heißt, Berlin hat gehandelt und ein Auslaufen der Bundesförderung aufgefangen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen und Gäste! Zwangsverheiratungen sind eine schwere Form von Gewalt und eine fundamentale Menschenrechtsverletzung. Deshalb ist das Thema dringlich. Deshalb ist es aber auch völlig daneben, Zwangsverheiratungen gegen Gleichstellungsthemen wie die Quote oder den Kampf gegen Lohnungleichheit auszuspielen und in Stellung zu bringen, als ginge es darum, lieber das eine statt das andere zu tun.
Das tun Sie in Ihrem Antrag, in der Begründung. Sie tun es auch in den Anfragen zum selben Thema aus Ihrer Fraktion.
Nein, danke! – Vergangene Woche gab es im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie eine Anhörung zum Kinderschutz. In dieser Anhörung hat Herr Tabor, offensichtlich ein Co-Autor des AfD-Antrags, keine einzige Frage zum Thema Zwangsverheiratung gestellt. Offenbar haben Sie gar nicht begriffen, dass Zwangsverheiratung auch ein Thema von Kinderschutz ist und dass man daher am Kinder- und Jugendschutz ansetzen muss, wenn man Zwangsverheiratung wirksam bekämpfen will, kurz: bei Prävention und Intervention.
Nach der letzten Erhebung des AK gegen Zwangsverheiratung 2017 konnte in mehr als der Hälfte der bekanntgewordenen Fälle die drohende Zwangsverheiratung verhindert werden, weil die Betroffenen sich rechtzeitig gemeldet und Hilfe gesucht haben. Der Arbeitskreis hat das als ein Zeichen gewertet, dass es mittlerweile – Gott sei Dank – häufiger als früher gelingt, potenziell Betroffenen ihre Rechte bewusst zu machen und sie zu stärken.
Aber glauben Sie denn, Frau Auricht, ernsthaft, dass die Betroffenen, viele von ihnen noch minderjährig, von ihren Rechten durch eine Studie erfahren, die der Senat in Auftrag geben soll
und nicht vielmehr durch eine entsprechende Präventionsarbeit in den Schulen oder durch Beratungsstellen in ihrer Nähe?
Richtig, all das kostet Geld, Herr Hansel. Aber das wollen Sie lieber für eine aufwendige Datensammlung ausgeben.
Hätten Sie sich für die Sache selbst interessiert, dann wären Sie rasch fündig geworden, denn in Berlin gibt es zum Glück viele Menschen, die sich den Kampf gegen Zwangsverheiratung auf die Fahne geschrieben haben, weil es ihnen tatsächlich um den Schutz und die Stärkung der Betroffenen geht, und zwar sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in den von Ihnen sonst eher verachteten staatlichen Institutionen.
Ich belege es Ihnen! – Sie wären auf das Netzwerk Kinderschutz gestoßen. Sie wären auf den Leitfaden Kinderschutz gestoßen, in dem Zwangsverheiratung als eine Form der seelischen Misshandlung von Kindern aufgeführt ist, für die die Mitarbeitenden in Flüchtlingsunterkünften sensibilisiert werden, oder auch das mobile Team Kinderschutz, das seit einigen Monaten in den Unterkünften unterwegs ist. Sie wären auch schnell, oh Wunder, auf Informationen des von Ihnen nicht gerade geschätzten Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg für Jugendämter gestoßen
oder auch auf die Schutzwohnung der Antidiskriminierungsstelle für LSBTI-Geflüchtete, deren Familien ihre sexuelle Identität durch Zwangsheirat meinen „korrigieren“ zu können.
Das interessiert Sie aber alles wenig. Sie wollen Daten. Und warum?
Dazu muss man Ihren Antrag einmal genau lesen. Dann erheben sich nämlich die untoten Kampfthemen Ihrer Partei wie die Zombies aus ihren Gräbern.
Sie wollen Belege für die Rückständigkeit patriarchaler Gesellschaften – ich zitiere – mit Verlaub –,
die auf religiösen oder kulturellen Einflüssen fußt, die unserer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft wesensfremd sind.
Willkommen im Kulturkampf! Hallo Ausländer- und Muslimfeindlichkeit!
Zweitens: Sie stellen Zwangsverheiratung gegen den Kampf gegen Lohnungleichheit oder für Frauenquoten, als wäre das eine Entweder-Oder-Entscheidung. Wer das so sieht, hat von Frauenrechten nichts verstanden.
Drittens: Sie fürchten, dass Zwangsverheiratungen zum – Zitat – „Abrutschen in soziale Rettungssysteme“ führt, „die dann oft lebenslang nicht mehr verlassen werden“.
Da ist sie wieder, die Kampfparole von der Zuwanderung in die Sozialsysteme.
Sie befürchten offenbar, dass der Schutz nicht nur von Mädchen und Frauen, sondern auch von LSBTI-Personen vor Zwangsverheiratung durch die jetzt eingerichtete Schutzwohnung zu einer – Zitat, dieses Mal aus Ihrer Anfrage, Herr Kerker – „Schwerpunktverlagerung hinsichtlich verschiedener Opfergruppen“ führen könnte.
Nein, danke! – Hinter dieser Frage zeigt sich der altbekannte Zombie Homo- und Transphobie, als wäre es für ein lesbisches Mädchen weniger schlimm, zwangsverheiratet zu werden als für ein heterosexuelles.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Steht doch gar nicht drin! Ist Quatsch, was Sie sagen! Sie wollen bloß die Wahrheit nicht hören!]
Der Kampf gegen Zwangsverheiratung ist bei der AfD genauso instrumentell wie der gegen Antisemitismus.
Es geht dabei nicht um die Sache selbst, schon gar nicht um die Rechte und die Stärkung –
können Sie jetzt eine Sekunde den Rand halten, bitte? –
der Betroffenen, sondern es geht darum, Munition gegen die alten Feindbilder zu sammeln, sonst würden Sie es nicht aushalten, mit Faschisten wie Höcke in einer Partei zu sein und Sie würden wirksame Maßnahmen fordern statt Datensammlungen.
Herr Buchholz von der AfD hat sich heute Morgen über Philosophen lustig gemacht. Als gelernte Philosophin habe ich eines tatsächlich gelernt. Ich erkenne den Kern von Argumenten und durchschaue, was hinter Ihrer Rhetorik steckt.
Hinter Ihrem Antrag steckt nicht der Wunsch, Frauenrechte zu stärken und Mädchen vor Gewalt zu schützen, sondern dahinter steckt der Wunsch, für Ihre Zombieideologie ein neues Kostüm zu schneidern. Das funktioniert aber nicht.
Oder, um im Bild zu bleiben, der Zombie ist nackt. – Vielen Dank!
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und
der LINKEN –
Dafür lohnt es sich nicht, nach vorn zu gehen. Dazu hat meine Kollegin Frau Çağlar schon alles Nötige gesagt.
Vielen Dank! – Kann sich der Senat vor diesem Hintergrund vielleicht vorstellen, die Familienministerin, die ja eben auch die Konzeption der Vergabe der Gelder geändert hat und nicht nur die Mittel gekürzt, und die auch aus Berlin kommt, einmal einzuladen und mit den Projekten hier, die alle in ihrem Fortbestand bedroht sind, zusammenzubringen, um klarzumachen, welche wichtige Rolle gerade die jetzt bedrohten Träger für den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus und für Demokratie spielen?
Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Warum wohl haben die Jobcenter auf Weisung der Bundesagentur die Eintreibung von Erstattungsforderungen an Flüchtlingsbürgen im letzten Jahr gestoppt? Warum sollte eigentlich der Staat erwägen, auf die Erstattung von Kosten zu verzichten? Doch wohl kaum aus dem Wunsch, Steuergelder zu verschwenden, sondern weil die Bürgerinnen und Bürger sich darauf verlassen können müssen, dass der Rechtsrahmen klar ist, in dem sie handeln und Entscheidungen treffen. Wir reden hier über sogenannte Altfälle, also über Bürginnen und Bürgen, die Verpflichtungen eingegangen sind, bevor 2016 bundesgesetzlich am Ende die tatsächliche Dauer der Haftungsverpflichtung klargestellt wurde. Bis dahin konnten Bürginnen und Bürgen durchaus davon ausgehen, dass ihre Verpflichtung spätestens dann endet, wenn die nachgehholten Angehörigen im Asylverfahren als schutzberechtigt anerkannt wurden. Von dieser Annahme sind eben nicht nur viele Bürginnen und Bürgen, sondern – davon war hier schon die Rede – in vielen Fällen auch die Behörden selbst ausgegangen. Deshalb war es ja der Wunsch der Bundesländer, die falsch beraten haben, dass den Bürginnen und Bürgen die Erstattungen erlassen werden. Das Land Berlin übrigens hat klarer beraten. Bei uns gibt es darum sehr viel weniger Fälle, in denen die Bürginnen und Bürgen von solchen falschen Voraussetzungen ausgegangen sind. Aber natürlich gibt es solche Fälle auch in Berlin. Es ist daher richtig, dass die Jobcenter in Berlin die Einzelfälle gründlich prüfen. Wir erwarten ein großzügiges Vorgehen.
Und jetzt merken Sie auf, Kolleginnen und Kollegen von der antragstellenden AfD-Fraktion! Landesaufnahmeprogramme werden bislang immer nur im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium erlassen. Es gibt also ein staatliches Interesse auch des von Ihnen wegen der restriktiven Asylpolitik sonst so geschätzten Bundesinnenministers Seehofer daran, dass Familiennachzug über Landesaufnahmeprogramme stattfindet. Das zeigt übrigens auch die Tatsache, dass die Verpflichtung jetzt bundesgesetzlich zeitlich begrenzt wurde. Es wäre ja sonst ein logischer Bruch. Deutschland kommt nämlich damit humanitären Verpflichtungen nach, leistet konkrete europäische Solidarität und zeigt, dass es den Schutz der Familie im Grundgesetz und die Kinderrechtskonvention ernst nimmt. Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, mindestens 10 200 Geflüchtete über humanitäre Aufnahme ins Land zu holen. Um das zu erfüllen, setzt Bundesminister Seehofer unter anderem auf Landesaufnahmeprogramme, d. h. er setzt auf Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, mit ihren privaten Vermögen und ihren Ersparnissen zu ermöglichen, dass Angehörige aus
(Paul Fresdorf)
den Kriegsgebieten ausreisen und Familien hier gemeinsam den nötigen Schutz erhalten können. Und das zeigt, dass es eben kein Privatvergnügen einzelner Bürgerinnen und Bürger ist, Familienzusammenführung zu ermöglichen. Es ist eine staatliche Aufgabe, und es ist eine Schande, dass die Bundesregierung subsidiär Schutzberechtigten aus Syrien dieses Recht faktisch verweigert hat und die Verantwortung an Privatpersonen abschiebt.
Herr Lenz und Herr Bronson, aber vor allem Herr Lenz! Ihre Häme gegenüber den Gutmenschen ist Häme gegen Ihre eigene Wählerklientel, denn es ist ein breites bürgerliches Spektrum, das sich in dieser Stadt verpflichtet hat, Angehörigen den Nachzug zu ermöglichen und dadurch eine staatspolitische Verantwortung übernommen hat. Denn Familien gehören zusammen. Das ist ein Grundsatz, der nicht unbedingt im linken Spektrum geboren wurde, wie Sie sehr wohl wissen. Eltern gehören zu ihren Kindern.
Die Sorge um die Familie, die im Kriegsgebiet zurückgeblieben ist, treibt Geflüchtete um und hindert sie daran, sich hier zu integrieren. Wer täglich in Angst um seine Familie lebt, kann sich kaum auf Sprachkurse, Ausbildung, Arbeit und Wohnungssuche konzentrieren.
In Berlin haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass wir den Familiennachzug erleichtern und dabei landesrechtliche Möglichkeiten ausschöpfen wollen. Deshalb werden wir die Landesaufnahmeprogramme für syrische und irakische Geflüchtete nicht nur fortführen, sondern wir werden auch über eine weitere Begrenzung der Bürgschaftsverpflichtungen reden müssen, wie es Hamburg und Thüringen vorgemacht haben. Derzeit verhandelt die vom Senat eingesetzte Experten-/Expertinnenkommission zu den Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde, bald Einwanderungsbehörde. Sie sucht nach landesrechtlichen Möglichkeiten, auch den Familiennachzug zu erleichtern. Wir erwarten, dass entsprechende Empfehlungen vom Senat positiv aufgenommen und umgesetzt werden. Denn Familien gehören zusammen, und zwar Familien in all ihrer realen Vielfalt. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. – Ich danke Ihnen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jeder fünfte Berliner, jede fünfte Berlinerin hat – noch – keinen deutschen Pass, denn Berlin wächst, und zwar auch durch den Zuzug von Ausländern. Das ist so und das ist gut so, und zwar für die Zukunft Berlins. Denn: Wir brauchen Einwanderung und zwar längst nicht mehr nur von Akademikerinnen oder IT-Expertinnen. Der Fachkräftemangel ist mittlerweile die größte Sorge der deutschen Wirtschaft.