Protocol of the Session on May 15, 2003

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann kann ich nur sagen, ich hoffe, dass Sie die Debatten, die Sie jetzt auf Ihrem Parteitag führen wollen, mit den ersten zaghaften Reformen abschließen, wobei wir schon hätten viel weiter sein müssen. Wir werden alles, was an Vernünftigem kommt, unterstützen. Wir hoffen, dass außer der Regierungserklärung vom 14. März überhaupt etwas kommt, damit das Umfeld, die Rahmenbedingungen verbessert werden. Darauf hat der Wirtschaftsminister unseres Landes hingewiesen.

Wir machen in diesen Tagen - das ist meine Bitte an Sie - eine Vielzahl von Aktivitäten, um mit der Wirtschaft gemeinsam die Zahl der Ausbildungsplätze zu steigern. Die können nicht im staatlichen Sektor sein. Sie sind doch damit gescheitert. Sie haben doch 1998 gesagt, wenn Sie die Bundestagswahl gewinnen würden, würden Sie innerhalb kürzester Frist im Rahmen Ihres Sofortprogramms dafür sorgen, dass es keine jugendlichen Arbeitslosen nach der Schule mehr gebe. Mit dem JUMPProgramm haben Sie Milliarden eingesetzt, aber die Jugendarbeitslosigkeit ist heute höher als je zuvor in der Bundesrepublik Deutschland, auf das Bundesgebiet bezogen. Das heißt, der Staat kann das Problem nicht lösen. Die Wirtschaft muss es lösen, sie muss die Ausbildungsplätze bereitstellen und dazu ermutigt und ermuntert werden.

Heute Nachmittag werden wir mit dem Rothenburger Wirtschaftsforum über eine Qualifizierungsoffensive im Elbe-Weser-Raum sprechen, über Bewerbertraining, über Ausbildungstraining, über Ausbildungsplatzbörsen. Wir werden in der nächsten Woche eine Aktion mit der Metallindustrie in Niedersachsen starten, der ich jetzt nicht vorgreifen will, weil die noch eine Pressekonferenz machen. Die werden einen ganz wesentlichen Beitrag liefern, die Zahl der Ausbildungsplätze trotz der schwierigen Lage in der Metallindustrie abermals zu steigern und die Zusagen den Gewerkschaften gegenüber einzuhalten. Das ist ein gutes Ergebnis zwischen IG Metall und Metallarbeitgebern. Wir werden solche Beispiele brauchen, bei denen einzelne Betriebe sagen: Trotz schwierigster Lage sind wir bereit, ein oder zwei mehr einzustellen, weil wir dem Land, der Gesellschaft, der Regierung und letztlich uns selbst helfen wollen. In der Phase, in der ausgebildet werden soll, ist es ein Fehler, wenn man die Ausbilder z. B. durch Infragestellung der Handwerksordnung und des Meisterbriefes verunsichert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wie will ich denn erreichen, dass die Leute qualifiziert ausbilden, wenn sie anschließend erleben müssen, dass die Leute, die die Ausbildung nicht fortführen und nicht zum Meisterbrief gelangen, dennoch als Konkurrenten im Arbeits- und Wirtschaftsmarkt auftreten? Ich finde, wir sollten auch hier darüber nachdenken, ob nicht zu viel verunsichert wird und ob wir diese Verunsicherung nicht beenden sollten. Ich bitte also die Landtagsabgeordneten, die Landesregierung dadurch zu unterstützen, in allen 100 Wahlkreisen Niedersachsens in Betriebe zu gehen und die anzusprechen, die ausbilden können, um so zu mehr Ausbildungsplätzen zu kommen. Wir begrüßen die Initiativen der Bundesregierung und des Bundesrates sehr, die Anforderungen an Ausbildereignung für einige Jahre sozusagen auszusetzen, um auch denen die Chance zur Ausbildung zu geben, die nicht in erster Linie dafür qualifiziert sind.

Lassen Sie mich dazu ein Letztes sagen: Wir haben am Dienstag zwei Maßnahmen beschlossen, die ich für sehr beachtlich halte. Wir haben überlegt, warum eigentlich wir Minister nicht ausbilden. Es gibt in den Landesministerien und in der Staatskanzlei seit der letzten CDU-Regierung - da gab es das noch - keine Ausbildungsplätze mehr. Warum bilden wir eigentlich keine Verwaltungsfachleute

aus? Warum bilden wir eigentlich nicht über Bedarf Bürokaufleute aus, die dann, wenn sie bei uns waren, so qualifiziert sind, dass sie sicherlich unterkommen? Das kann ich Ihnen garantieren. Bei uns können sie ja einiges erleben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer Dringliche Anfragen ein Mal aus Oppositionsund ein anderes Mal aus Regierungssicht erlebt hat, der weiß ja, dass man hier mehr fürs Leben lernen kann, als es in irgendeiner Ausbildungsverordnung steht. Das werden wir jetzt machen. Wir alle werden als Minister in unseren Ministerien und in der Staatskanzlei Ausbildungsplätze schaffen. Wir haben ja auch in der Landesverwaltung die Zahl der Plätze in diesem Jahr um 5 % aufgestockt. Das heißt, wir machen schon eine ganze Menge, wobei die Vorbildfunktion effektiv wahrgenommen werden kann. Die Staatskanzlei wird ihr Call-Center dafür einsetzen - zusammen mit der IHK Hannover-Hildesheim und weiteren Industrieund Handelskammern -, systematisch all die Betriebe anzurufen, die gar nicht ausbilden, um sie zu ermutigen und an sie zu appellieren, dass sie ausbilden. Die Wirtschaft hat in dieser Gesellschaft auch eine soziale Verantwortung.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Das ist die erste Aufgabe der Wirtschaft!)

Wirtschaft in der sozialen Marktwirtschaft heißt nicht in erster Linie, Gewinne zu erzielen oder Renditen zu machen, sondern gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, die Auszubildenden zu qualifizieren, Verantwortung bei den Produkten und gegenüber den Arbeitnehmern und ihren Familien zu übernehmen.

Herr Lenz, ich hoffe, Ihre Frage damit beantwortet zu haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Heiligenstadt.

Herr Minister Hirche, Sie verweisen bei der Beantwortung der Anfrage insbesondere auf die Entwicklung in der gesamten Bundesrepublik

Deutschland. Wir wissen, dass es im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit unterschiedliche Entwicklungen in den Bundesländern gibt. Welchen Stand bezüglich des Ziels der Halbierung der Langzeitarbeitslosigkeit bei Jugendlichen haben Sie bei Ihrem Regierungsantritt vorgefunden, und wie hat sich dieser Stand in Ihrer Regierungszeit bisher entwickelt?

(Bernd Althusmann [CDU]: Nach 103 Tagen!)

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Hirche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist charmant, dass die Opposition in diesem Landtag der Regierung, auch wenn diese noch keine 100 Tage im Amt ist, zutraut, in dieser Situation zu allen statistischen Details Stellung zu nehmen. Ich versuche das auch angesichts dieses Vorbemerkung.

Meine Damen und Herren, natürlich ist es so, dass sich eine Regierung nach der konkreten Situation in dem jeweiligen Bundesland richten muss. Dort, wo es eine höhere Arbeitslosigkeit oder Jugendarbeitslosigkeit gibt als anderswo, wird sich eine Landesregierung dieser Themen sicherlich intensiver annehmen müssen. Das ist völlig klar. Da kann man nicht auf statistische Querschnitte verweisen.

Ich habe ein Blatt mit einer Grafik zur Veränderung der Zahlen zwischen April 2002 und 2003 vor mir liegen, was naturgemäß die vergangene Periode betrifft. Das heißt, dass die Zahlen über das, was wir machen, erst in einem Jahr abgefragt werden können. Danach - das ist aus den Unterlagen ganz eindeutig zu erkennen - ist in Niedersachsen die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren, die länger als sechs Monate arbeitslos sind, im Vergleich zum April 2002 leicht - aber immerhin - zurückgegangen, während sie in den anderen Bundesländern, die hier aufgeführt sind - das sind nicht alle -, gestiegen ist. Meine Damen und Herren, wir sehen aber - das habe ich vorhin angeführt -, dass seit Dezember letzten Jahres - das richtet sich ja nicht nach Regierung oder Wahltermin - die Zahl der Jugendarbeitslosen in Niedersachsen gestiegen ist.

Wenn wir die Starrheit des Arbeitsrechtes, die ich vorhin angeführt habe, berücksichtigen, die zulasten der Jugendlichen und der Innovativen geht, dann ist zu befürchten, dass diese Zahlen ansteigen. Wir haben in diesem Jahr zusätzlich die Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt, die durch staatliche Angebote sozusagen um ein Jahr verschoben wurden. Wir werden diesem Thema eine große Aufmerksamkeit zuwenden. Wir werden die Instrumente, die angewendet worden sind, fortsetzen. Ich kann nur hoffen, dass die gleichen Ergebnisse erzielt werden. Ich wiederhole, was von mir und auch vom Herrn Ministerpräsidenten gesagt worden ist: Ohne eine Ermunterung der Betriebe werden wir nicht weiterkommen. Dieses Drohen und Herumfuchteln mit einer Ausbildungsplatzabgabe demotiviert die Betriebe in einer Art und Weise,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ursula Körtner [CDU]: Genau!)

darüber nachzudenken, ob man aus humanen Gründen und aus gesellschaftspolitischer Verantwortung über die Bedürfnisse des eigenen Betriebes hinaus ausbildet. Das führt zu dem, was Sie an anderer Stelle kritisieren, nämlich dass monetäre Überlegungen in den Vordergrund rücken, nach dem Motto: Dann zahle ich lieber eine Abgabe, als dass ich mir den Ärger mit der Ausbildung mache. Meine Damen und Herren, ich warne in ernster Weise davor, weiter mit diesem Instrument in der Landschaft herumzufuchteln, weil das die Situation auf dem Ausbildungsplatzmarkt zulasten der Jugendlichen in dramatischer Weise verschärfen wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin Jahns.

Herr Minister, besteht die Gefahr, dass durch die geänderte Förderpraxis der Bundesanstalt für Arbeit Jugendwerkstätten, die viele junge Menschen durch bisher geförderte Maßnahmen beschäftigen, schließen müssen und damit durch die fehlerhafte Bundesgesetzgebung in der Arbeitsmarktpolitik wieder weitere Jugendliche in die Sozialhilfe kommen und damit die Länder die Mittel, die der Bund einspart, zur Verfügung stellen müssen?

Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Dr. von der Leyen.

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Wenn der Paradigmenwechsel der Bundesanstalt für Arbeit wahr wird, nämlich nur noch die „teuren“ Arbeitslosengeldempfänger mit hohem Leistungsanspruch weiter zu fördern, dann wirkt sich das allerdings dramatisch für die Jugendwerkstätten aus, insbesondere wenn die Förderzeit reduziert wird, also wenn statt einem nur noch ein halbes Jahr gefördert wird. Das ist im Augenblick im Schwange. Durch die enormen Widerstände in den Ländern, insbesondere auch in Niedersachsen, sind dankenswerterweise die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Arbeit darauf gekommen, was sie da anrichten, wenn sie den Paradigmenwechsel so konsequent durchführen. Wir werden weiter dranbleiben und dafür eintreten, dass die Strukturen in Niedersachsen, die überhaupt erst durch Mischfinanzierung möglich gewesen sind, nicht von einer Seite so aufgehoben werden, dass die gesamten Programme in sich zusammenbrechen. Bei diesem Punkt sind wir eisern in der Diskussion. Ganz klar ist aber, dass das Land nicht Mittel des Bundes auffangen kann, die an dieser Stelle nicht mehr fließen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Kollege Hoppenbrock.

Frau Präsidentin! Herr Minister, ich komme noch einmal auf das Handwerk zurück. Ist es denkbar, dass das Handwerk, das ja einen erheblichen Teil der Ausbildungsleistung schultert, vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung plant, gegen die Interessen des Handwerks Teile der Handwerksordnung zu ändern bzw. zu streichen, aus Verunsicherung oder weil es das als eine Bedrohung für die zukünftige Arbeit ansieht, in diesem Jahr nicht so viele Lehrstellen zur Verfügung stellt?

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung antwortet Minister Hirche.

Herr Kollege Hoppenbrock, ich glaube, es war Ludwig Erhard, der als Erster mit entsprechender Medienresonanz gesagt hat, wirtschaftspolitische Prozesse bestehen zu 50 % aus Fakten und zu 50 % aus Psychologie. Das gilt bis heute.

Unser größtes Problem ist im Augenblick die totale Verunsicherung bezüglich dessen, was wohl seitens der Bundesregierung kommt. In vielen Fällen ist es weniger schlimm, eine falsche Entscheidung zu treffen, als überhaupt keine Entscheidung zu treffen bzw. immer wieder etwas Neues anzukündigen, sodass man sich auf nichts einstellen kann.

Ich denke, das Handwerk hat so viel Verantwortung, dass es diese Auseinandersetzung, die mit der Bundesregierung besteht - und zwar zu Recht besteht -, über die Abwehr dieser Art von Änderungen nicht auf dem Rücken der jungen Menschen austragen wird. Dieses Verantwortungsbewusstsein ist bei den vielen kleinen Handwerksmeistern - ich sage das bewusst so - überall vorhanden. Das ist ein Sozialgefühl und ein persönliches Verantwortungsgefühl, das der Staat in keiner Weise ersetzen kann. Deswegen habe ich eben auch gesagt, dass dieses Herumfuchteln mit Abgaben und anderen Dingen diese Menschen in vielen Fällen dazu bringt, erstmals darüber nachzudenken, ob sich das alles überhaupt rechnet oder ob das jemanden, dem das Wasser ohnehin bis zum Hals steht, nicht noch weiter runterdrückt.

Ich kann die Bundesregierung nur warnen - ich habe den Eindruck, dass diese Diskussion zum Teil auch in der Opposition stattfindet -, durch diese Art der Diskussion die Bereitschaft der Bürger - in diesem Fall der Handwerksmeister -, sich der Lösung von Zukunftsfragen auch in persönlicher Verantwortung anzunehmen, zu unterminieren. Ich wünsche mir, dass das nicht passiert, aber kann wie Sie nur vor einer weiteren Diskussion warnen, weil das an anderer Stelle erheblich negativere Folgen hätte. Denn was wir bei der Großindustrie mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach außerhalb der deutschen Grenzen zulasten der Arbeitnehmer in diesem Lande erleben, das könnten wir durch ein Stück innere Emigration auch an anderer Stelle

erleben, und das kann nicht durch irgendwelche staatlichen Aktionen kompensiert werden. Deswegen ist das eine sehr ernste Diskussion, an die Sie hier erinnern. Aber ich gehe aus meiner jahrzehntelangen Kenntnis dieses Wirtschaftszweiges nach wie vor davon aus, dass dort so viel Verantwortungsgefühl vorhanden ist, die jungen Menschen nicht das ausbaden zu lassen, was die rot-grüne Regierung in Berlin anrichtet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer weiteren Zusatzfrage erteile ich dem Abgeordneten Jüttner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Frage geht an den Ministerpräsidenten. Vor dem Hintergrund der Aussage von Herrn Hirche, dass die Landesregierung beim Thema Jugendarbeitslosigkeit keine Kürzungen vorgenommen hat, und des Hinweises von Herrn Schwarz, dass das Kabinett in den letzten Wochen in drei Programmen 3,2 Millionen Euro gekürzt hat, frage ich Sie, Herr Wulff: Stimmen Sie der Aussage von Herrn Hirche zu, dass es der Kreativität einzelner Kabinettsmitglieder bedarf, Kabinettsbeschlüsse hinterher so auszulegen, dass ihr innerer Sachverhalt praktisch ausgehebelt ist, und, wenn ja, haben Sie das schon in der Geschäftsordnung der Landesregierung korrigiert?

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident!

Frau Präsidentin! Herr Kollege, mir fiel gerade das Beispiel des Kollegen Rösler ein, das er seinerzeit in Sachen Mengenlehre hier vorgetragen hat: Wenn fünf im Raum sind, drei rausgehen und vier wieder reinkommen, ist einer mehr drin als vorher. Insofern kann eine Kürzung in drei Haushaltspositionen immer noch die Aussage zulassen, dass insgesamt das Volumen für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht gekürzt, sondern sogar noch gesteigert worden ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Hemme.

Frau Ministerin, Sie sprachen vom Paradigmenwechsel. Ist Ihnen die Stellungnahme des Wirtschaftsministers bekannt, der ganz eindeutig gesagt hat, im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit würde es diesen Paradigmenwechsel nicht geben, sondern es würden ganz im Gegenteil die Mittel in der Höhe des letzten Jahres zur Verfügung stehen?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das war der Paradigmenwechsel für die Bun- desregierung in Sachen Ausbildungs- förderung!)

Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Dr. von der Leyen.