Günter Garbrecht

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Last Statements

Sehr geehrter Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gangsterepos „Es war einmal in Amerika“ sowie andere Filme dieser Gattung beleuchten die Zeit der Industrialisierung der USA, als die Mafia mit Schlägertrupps und Schlimmerem gegen Gewerkschaften loszog. Es ging darum, Gewerkschaften zu bekämpfen, zu unterdrücken, zu sabotieren, zu sprengen und sie letztlich kaputt zu machen – Union Busting eben.
Gewalt gegen diejenigen, die ihre gewerkschaftlichen Rechte wahrnehmen, kennen wir aus vielen Teilen der Welt. In den Ländern Asiens, in der Kleiderkammer Europas sozusagen, ist die massive Repression mit staatlicher Duldung oder gar direkter staatlicher Gewalt noch heute an der Tagesordnung. In den Ländern, welche die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisationen ratifiziert haben, ist diese Art der Repression weitestgehend verschwunden. Hier braucht man keine Schlägerbanden, man bedient sich feinerer Methoden.
Ja, auch in Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, gibt es Union Busting. Bei uns bedeutet Union Busting das systematische, professionell geplante Vorgehen gegen gewerkschaftliche Interessenvertretungen. Bespitzelung, Überwachung, Mobbing, haltlose Kündigungen, ungerechtfertigte Gehaltskürzungen, Be- und Verhinderung von Betriebsratswahlen, deren Anfechtung und Manipulation – das Arsenal aus der Giftküche des Union Busting ist vielfältig.
Die ganz milde Form ist der Versuch, kritische Betriebsräte durch Abfindungen herauszukaufen. Das ist übrigens Teil auch meiner eigenen Erfahrung. Das Korrumpieren von Interessenvertretungen durch
Gründung und Unterstützung von gelben Gewerkschaften ist Teil mancher betrieblicher Wirklichkeit. Siemens, Amazon, Aldi und Lidl sowie andere bekannte Namen lassen grüßen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: In der überwiegenden Zahl der Betriebe werden Betriebsräte und Gewerkschaften als Partner erfolgreicher und nachhaltiger Unternehmensentwicklung geschätzt. Dieses Modell Deutschland, diese Art rheinischen Kapitalismus – das hat unser Land insbesondere in der Finanzkrise 2009 vor massiven Beschäftigungsverlusten bewahrt.
Wir wissen: In Betrieben mit funktionierender Mitbestimmung als Teil einer wertschätzenden Unternehmenskultur ist die Produktivität höher als in den Betrieben mit einer Hire-and-Fire-Mentalität. Aber wir stellen auch fest: Immer weniger Beschäftigte haben einen Betriebsrat hinter sich. Waren es in den 1990er-Jahren noch gut die Hälfte, so sind es inzwischen weniger als 40 %.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat in einer Studie aufgezeigt, dass es oft mittelgroße und inhabergeführte Unternehmen sind, die Betriebsräte be- und letztlich verhindern. Allein 200 Betriebe sind hier aufgefallen, die die Wahlen zum Betriebsrat sabotiert haben. Es hat sich eine kleine, gut vernetzte, sehr aktive und mit aggressivem Marketing versehene Union-BustingSzene etabliert: kleine und große Anwaltskanzleien aus Deutschland wie auch aus den USA, welche gezielt Unterstützung dabei anbieten, die Bildung von Betriebsräten schon im Keim zu sabotieren.
Hier ein kurzer aktueller Einschub: In den USA gibt es derzeit ein Gesetzgebungsverfahren, um solche Aktivitäten zu unterbinden und gesetzlich einzuschränken. Das wäre vielleicht einmal ein Vorbild für uns. Ansonsten sind die USA derzeit nicht mehr wirklich ein Vorbild, aber vielleicht trifft das in dieser Frage ja doch zu.
Die Zahl der Vorkommnisse steigt zwar, scheint aber gegenwärtig noch überschaubar. Wir müssen jedoch mehr Licht in dieses Dunkelfeld bringen. Dazu brauchen wir weitere, auch wissenschaftliche Untersuchungen, in denen wir die Auswirkungen auf die Mitbestimmungsrechte analysieren und Handlungsempfehlungen geben.
Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass Union Busting zurückgedrängt, erschwert und letztendlich verhindert wird. Der Bundesgesetzgeber wird aufgefordert, gesetzliche Schlupflöcher zu schließen und § 119 Betriebsverfassungsgesetz – Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder – so zu ändern, dass die Strafen bei Verstößen gegen die betriebliche Mitbestimmung deutlich schärfer werden.
Wir sind in NRW ein Mitbestimmungsland und wollen es bleiben. Wir wollen die Mitbestimmung nicht nur
bewahren, sondern wir wollen sie ausbauen. Wir wollen keine demokratiefreien Zonen in den Betrieben. Wir wollen Betriebsräte stärken, Mitbestimmung sichern und ausbauen und Union Busting keine Chance geben. Darum werben wir um Zustimmung für unseren Antrag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich will mal die FDPFragestunde ein bisschen durchbrechen. – Herr Minister, manchmal geht eine zu enge betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise ein bisschen fehl. Sie haben zu Anfang auf die Spielbankabgabe hingewiesen. Aber das scheint den Fragestellern von der FDP noch immer nicht so ganz eingängig zu sein.
Zur Frage von Herrn Bombis zu einem Benchmark muss man konstatieren, dass die Spielbankgesetze der Länder unterschiedlich sind.
Erstens. Können Sie dem Hohen Haus mitteilen, welches Spielbankgesetz anderer Länder eine solche Spielbankabgabe wie Nordrhein-Westfalen vorsieht?
Zweitens. Können Sie dem Hohen Hause vielleicht an ein paar Fakten darstellen – als Vorsitzender des Stiftungsrats könnte ich das auch machen –, wie hoch die Spielbankabgabe seit Bestehen des Spielbankgesetzes in Nordrhein-Westfalen ist und wie viel davon sozialen Zwecken, nämlich der Stiftung Wohlfahrtspflege, zugutekommt?
Wenn Sie die Spielbankabgabe …
Ich sehe, dass der Minister sich erst noch erkundigen muss. Von daher will ich ihm diese Zeit lassen, Herr Präsident. – Aber jetzt kann er wohl antworten, und ich höre auf zu fragen.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal sagen, dass dieser Antrag – wie viele Anträge heute – eher in die Kategorie der Aufmerksamkeitsökonomie fällt.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die FDP da aufgesprungen ist. Dieser Antrag befeuert im Konzert mit anderen eine Kultur im Land, die wir nicht brauchen, nämlich die Befürchtungskultur. Er befördert die populistische Welle des Rufens nach einfachen Lösungen.
Schon nach dem Urteil des Bundessozialgerichts titelte die „FAZ“: „Milliardenkosten durch Sozialhilfe für EU-Ausländer?“ Und „FOCUS online“ titelte vorgestern mit Bezug auf eine Pressemitteilung des Städte- und Gemeindebundes: „Kommunen fürchten Kollaps des Sozialsystems durch Einwanderung“. Wer diese Meldungen googelt, wird schon auf der ersten Seite deren Verlinkung mit der rechtsradikalen Seite „Asylterror“ finden.
Schon in der Schilderung der Ausgangslage – jetzt muss ich einmal auf Ihren Antrag kommen, meine Damen und Herren von der Union; Sie haben ihn ja geschrieben – verfälschen Sie die Tatsachen oder verschweigen sie zumindest.
Im Zuwanderungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom Dezember, das Sie ja auch zitieren, steht:
„Insgesamt ist der Trend der günstigen Arbeitsmarktentwicklung der ausländischen Bevölkerung … ungebrochen. Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahresmonat … gesunken.
Ausländische Beschäftigung wächst um … 300.000 Personen“.
Weiter wird ein starkes Beschäftigungswachstum bei Personen aus der EU festgestellt. Auch die Quote der erwerbsfähigen SGB-II-Leistungsbezieher bleibt, im Gegensatz zu Ihrer Aussage, konstant. Sie greifen sich eine bestimmte Aussage heraus, um eine bestimmte Richtung vorzugeben.
Es hätte aber Ihren Antrag rund gemacht und wäre diskussionsfähig, wenn Sie die Ergebnisse der Arbeitsmarkt-, Berufs- und Migrationsforschung insgesamt in Ihren Antrag aufgenommen hätten. Übereinstimmend stellen die Bertelsmann Stiftung, IAB, ZIW und DIW fest – das sind nicht nur Institute, die Rot-Grün nahestehen –, dass wir durch die Zuwanderung erhebliche Gewinne für den Sozialstaat haben. Jetzt hören Sie genau zu:
Trotz höherer Arbeitslosigkeit werden jedoch durch den Nettobetrag von Personen mit Migrationshintergrund zu dem umlagefinanzierten Rentenversicherungssystem und anderen Sozialversicherungssystemen mehr als kompensiert.
Sie können das einfach in der Bertelsmann Studie nachlesen. Ich nenne Ihnen auch noch die Seite, wenn Sie da Bedarf haben:
Je Ausländer fallen pro Jahr durchschnittlich 3.300 € mehr an Steuern und Sozialabgaben an als an staatlichen Transfers.
Diese Erkenntnisse blenden Sie völlig aus.
Meine Damen und Herren, deswegen muss man einfach noch einmal sagen: Einwanderung, auch die von Flüchtlingen, bietet Chancen. Es geht darum, die Chancen in den Vordergrund zu stellen und auch die Fehlentwicklungen zu benennen, aber unaufgeregt und zielführend, ohne damit die Fremden- und Menschenfeindlichkeit noch anzufachen. Sie dagegen befeuern mit dem Duktus Ihres Antrags und auch Ihres Wortbeitrags im Prinzip rechtspopulistische Positionen gegenüber der Einwanderung.
“Einwanderung in die Sozialsysteme“ steht darin.
Genau. – Das ist die Position von AfD und CSU. Die lassen grüßen.
Nein, nein, nein, das ist die klare Position. Sie können das noch so schön intellektuell formulieren, im Kern bleibt das davon übrig.
Die Kommunen in diesem Land belastet insbesondere die Arbeitslosigkeit, und dies unabhängig von der Herkunft der Betroffenen. Die Großstädte sind davon mehr betroffen als zum Beispiel die Kreise. Die positiven Finanzeffekte, die ich eben angesprochen habe, schlagen sich gesamtstaatlich nieder und nicht auf der kommunalen Ebene. Sie müssen da aber ankommen, und darum fordern wir zum Beispiel vom Bund, die Mittel für die Jobcenter und für die Unterkunftsleistungen deutlich zu erhöhen. Daraufhin wiederholen Sie gebetsmühlenartig, wir würden Forderungen nur an den Bund adressieren.
Das Urteil des Bundessozialgerichts
könnte natürlich – da gebe ich Ihnen recht – die kommunalen Belastungen verstärken.
Moment, ganz ruhig bleiben. Ich kann sowieso lauter reden als Sie.
Das Urteil des Bundessozialgerichts könnte die kommunalen Belastungen verstärken. Aber es liegt noch nicht einmal eine ausführliche Urteilsbegründung vor.
Dennoch kursieren Prognosen über Finanzbelastungen und über die mehr als hunderttausendfache Inanspruchnahme. Am Ende des Tages wird es ausgehen wie bei der Prognose über die Arbeitsplatzverluste durch die Einführung des Mindestlohns.
Richtig ist: Das Urteil des Bundessozialgerichts verlässt die Gesetzessystematik der SGB II und III. Es ordnet sich auch erkennbar nicht in die Rechtsprechung des EuGH ein. Deswegen ergibt sich ein gesetzlicher Handlungsbedarf – in der Konsequenz sind wir da gar nicht so weit auseinander –,
der auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts einbezieht.
Herr Präsident, das war aufgrund der zu vielen Zwischenrufe. Das muss ich einfach einmal sagen.
Na gut.
Zunächst einmal ist es aufgrund der Systematik des Rechts, auch bei uns in Deutschland, so – das müssten Sie als Jurist eigentlich wissen –, dass immer das oberste Gericht – und das ist das Bundessozialgericht – die Rechtsetzung vornimmt und von daher die widersprüchlichen Aussagen der Sozialgerichte vor Ort im Prinzip ihre Gültigkeit verloren haben.
Ich habe darauf hingewiesen, dass dieses Urteil nicht in der Gesetzessystematik des EuGH und auch nicht in der des Bundesverfassungsgerichts steht – auch aus meiner Sicht nicht – und dass wir von daher die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Danach wird zu entscheiden sein, welcher – möglicherweise auch gesetzlicher – Klarstellungsbedarf hier besteht, auch unter anderen Gesichtspunkten. Das prüft die Bundesregierung, und ich habe großes Vertrauen, dass diese Prüfung von der Bundesregierung sachgerecht vorgenommen wird.
Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war in den letzten Tagen in einer Reihe von Berufskollegs und habe dort sogenannte Internationale Klassen besucht, also Flüchtlingsklassen. Überall habe ich sehr wissbegierige, engagierte junge Menschen kennengelernt, die ihr Schicksal sehr selbstbewusst und engagiert in die Hand nehmen wollen. Dabei werden sie von Lehrerinnen und Lehrern sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unterstützt, die
unablässig daran arbeiten, diesen zu uns geflüchteten jungen Menschen ihre Möglichkeiten für gute Bildung und Teilhabe aufzuzeigen.
Warum setze ich das an den Anfang? Ich tue das deshalb, weil auch die Bundesarbeitsministerin davon ausgeht, dass das SGB II und die Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Zukunft auch für diesen Personenkreis eine größere Rolle spielen werden.
Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes wie insgesamt die Umsetzung der Arbeitsmarktreform im SGB II hat diesen Landtag und die Ausschüsse umfangreich beschäftigt. Ich glaube, es gibt keinen Landtag in Deutschland, der sich so intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat, auch und gerade mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes.
Deswegen sage ich auch an dieser Stelle: Es gibt natürlich immer noch Zweifel – auch bei vielen von uns –, ob mit den Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten des SGB II die Maßgaben des seinerzeitigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes hinreichend erfüllt sind. Diese Zweifel bestehen weiterhin. Die Möglichkeit, mit individualisierten Leistungen das Grundrecht auf eine menschenwürdige Existenz und die Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten, ist weiterhin mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Das wird im politischen Raum diskutiert, aber auch bei vielen Trägern der Wohlfahrt im Lande.
Wir haben hinreichend darüber diskutiert und sind uns mit vielen einig, dass die Verfahren zur Gewährung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bürokratisch überdreht und sehr verwaltungsaufwendig sind. Die Umsetzung belastet sowohl Akteure als auch Träger sowie Anspruchsberechtigte und bindet unnötig Ressourcen. Wir haben versucht, die Antragsgewährung etwas weniger aufwendig zu gestalten. Es gibt einige Verbesserungen in diesem Feld. Da ist aber noch deutlich Luft nach oben.
Es hat auch Initiativen des Landes NordrheinWestfalen gegeben. Wir wissen aber auch, dass es bei der Revision 2014 erst eines Verfahrens vor dem Bundessozialgericht bedurfte – unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen –, um den Kommunen die ihnen vorenthaltenen Leistungen – bundesweit 284 Millionen, in Nordrhein-Westfalen 70 Millionen – zugänglich zu machen.
Wie gesagt, krankt es noch an vielem, insbesondere an dem bürokratischen Verfahren und dem Aufwand, der für die Gewährung der Leistungen notwendig ist. Wir haben allerdings landesweit Veränderungen vorgenommen und hier auch sehr intensiv darüber diskutiert.
Die landesinterne Verteilung hin zu einer garantierten Erstattung aller Kosten, die den Kommunen entstehen, haben wir noch nicht erreicht. Es gibt,
wie gesagt, keine Anreizmechanismen für die Kommunen, die Förderung nach dem BuT wirklich ernst zu nehmen, sich insbesondere dem Thema der Lernförderung stärker zuzuwenden, auch wenn da positive Entwicklungen zu verzeichnen sind. Viele Kommunen, die sich dort sehr engagiert betätigen, bleiben auf den Kosten sitzen. Wir bremsen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – durch das dreijährige Landesprogramm haben wir jetzt fast 150 Millionen € für die Förderung der Schulsozialarbeit eingebracht – in der Frage der Gewährung von Leistungen sozusagen aus.
Ziel unseres Antrags ist, dass der Bund die tatsächlichen Ausgaben einer Kommune kommunalscharf und nicht über landesweite nachträgliche Erstattungsregelungen ersetzt. Weil diese Fragestellung im zuständigen Ausschuss und auch im Ausschuss für Kommunalpolitik hinreichend diskutiert worden ist, haben wir direkte Abstimmung beantragt. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick in die bundesweite Presse lässt aufhorchen: „Unabhängige Patientenberatung bedroht“, „Mogelpackung“, „Verlust der Unabhängigkeit“, „Da wird der Bock zum Gärtner gemacht“. So und anders lauten einige der Überschriften über die Vergabe der unabhängigen Patientenberatung UPD.
Nach dem Aufhorchen kam die Ablehnung von den Gesundheitspolitikern über Ärzte- und Patientenvertreter, Apothekenverbände und Krankenhausgesellschaft – die Front ist breit. In einer gemeinsamen Stellungnahme monierten Ärzte sowie Ärztekassen, Ärztekammern – ich zitiere –:
„Hier soll eine etablierte, anerkannte und mitunter den Krankenkassen unbequeme Patientenberatung zu einem willfährigen Dienstleister auf der Lohnliste der Krankenkassen umfunktioniert werden.“
Zusammenfassend ergibt sich ein Bild der einhelligen Ablehnung bei allen, aber wirklich allen gesundheitlichen Akteuren im Land. Das Ergebnis als Überschrift: „Laumann und die Krankenkassen allein zu Haus.“
Nun soll also eine Firma die Beratung übernehmen, die bereits für einige Krankenkassen tätig ist, also in einem Geschäftsverhältnis zu ihnen steht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Natürlich sind Zweifel an der Unabhängigkeit der neuen Patientenberatung legitim und berechtigt – nicht zuletzt aufgrund der Lebensweisheit: Wer beißt schon in die Hand, die ihn füttert?
Die Vergabeentscheidung verwundert umso mehr, weil noch im jüngsten Qualitätsbericht der Bundesregierung der Begleitforschung ausschließlich gute Noten für die Beratung in der bisherigen Konstellation attestiert wurden. In der Gesetzbegründung der Bundesregierung, mit der die UPD 2010 in § 65b SGB V aufgenommen wurde, heißt es:
„Die im Rahmen der Modellvorhaben geförderten Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung und entwickelten Strukturen und Prozesse bieten eine tragfähige Grundlage für die Gestaltung einer mittelfristigen unabhängigen Verbraucher- und Patientenberatung.“
Warum also nun diese Trendumkehr? Wie schön und wie unterstützenswert klang doch die Gesetzesbegründung aus dem Jahre 2010: „um die Ver
sicherten in die Lage zu versetzen, ihre Rechte gegenüber den Krankenkassen und Leistungserbringern wahrzunehmen, Patientinnen und Patienten bei der Wahrnehmung ihrer Interessen zu stützen, ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Patientensouveränität.“ – Den vollständigen Text übrigens lesen Sie in dem Entschließungsantrag der FDP.
Darüber, ob das zwingend mit einer Vergabe erfolgen muss und hierfür eine Ausschreibung nach dem Vergaberecht erforderlich ist, gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich zitiere hier nur die Kommentierung in dem Kasseler Kommentar zum SGB V zu § 65b:
Es ist deshalb auch schon zu problematisieren, ob nicht gegen das im § 65b Abs. 1 Satz 2 verankerte Verbot schon durch die Wahl eines förmlichen kartellrechtlichen Verfahrens verstoßen wurde. Es erfordert nämlich eine erschöpfende und eindeutige Beschreibung der Leistung. Dieses Erfordernis erzwingt das gewählte Vergabeverfahren, erfordert es aber, dass alle Einzelheiten beschrieben werden, die weit über das im SGB V assistierte Einflussnahmeverbot hinausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wohlwollend könnte man von Gesetzesbeugung sprechen. Man könnte aber auch zugespitzt von einem Gesetzesverstoß reden. Unvereinbar mit dem kartellrechtlichen Vergabeverfahren ist jedenfalls das vom Gesetz geforderte Einvernehmen des Patientenbeauftragten, das auch in diesem § 65b verankert ist. Ein möglicher Widerspruch, der das Einvernehmen auch beinhaltet, ist aber mit dem wesentlichen Grundsatz eines kartellrechtlichen
Vergabeverfahrens überhaupt nicht zu vereinbaren, meine Damen und Herren, denn andere Gründe als solche der Wirtschaftlichkeit dürfen die Vergabeentscheidung eigentlich gar nicht beeinflussen.
Die Wahl des kartellrechtlichen Ausschreibungsverfahrens ist deshalb in zwei Punkten kritisch zu sehen: Einerseits verstößt es gegen das Verbot der Einflussnahme des GKV-Spitzenverbandes, und zum Zweiten negiert es das Vetorecht des Patientenbeauftragten.
Also, Karl-Josef Laumann: Wo stehen wir? Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit hatte ja – das wissen wir aus Erfahrung – der Minister nicht so seine guten Seiten. Wir erinnern uns alle an die Einstellung der Arbeitslosenberatung in NordrheinWestfalen, die wir 2010 wieder zurückgenommen haben.
Nun richten sich mittlerweile die Appelle, den eingeschlagenen Weg der Vergabe zu stoppen, nicht mehr an Karl-Josef Laumann, sondern an den Bundesminister Gröhe. Offensichtlich wurde die Unabhängigkeit im Vergabeverfahren nur mit 15 Prozentpunkten bewertet, und eine andere als die kartellrechtliche Vergabe, nämlich nach Sozialrecht,
würde im Prinzip der Gesetzesintention entsprechen.
Unsere Aufforderung, meine Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin, zielt darauf ab, genau diese Punkte zu beachten.
Da zwei Anträge vorliegen, will ich zum Abschluss Folgendes sagen: Frau Präsidentin, wir werden im nächsten Ältestenrat noch einmal darüber zu reden haben, wie nach der Geschäftsordnung für den Fall zu verfahren ist, dass es eine Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen und der FDP über die Frage eines gemeinsamen Antrags gibt, und ob das nur mit einem Änderungsantrag möglich ist. Von daher empfehlen wir heute die Annahme unseres Antrags. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie brauchten Obhut, ein sorgendes Heim, Hilfe und Zuwendung, fanden in vielen Fällen aber Demütigung, Gewalt, Erniedrigung und Missbrauch.
Der Runde Tisch Heimerziehung fasste dies so zusammen:
Häufig waren Heime keine Schutzräume, sondern Orte, in denen körperliche und psychische Misshandlungen und in manchen Fällen offenbar auch sexuelle Gewalt möglich waren und nicht oder nur unzureichend unterbunden oder geahndet wurden. Es war möglich, dass sich in Heimen eine repressive und rigide Erziehung etablierte, die in geschlossenen Systemen jedes Maß verlor. Staatliche Aufsichts- und Kontrollinstanzen, sowohl intern als auch extern, waren offenbar nicht in der Lage oder gewillt, diese Missstände, selbst wenn sie bekannt waren, abzustellen.
Diese Feststellung des Runden Tisches trifft auch auf Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der
Kinder- und Jugendpsychiatrie in ganz Deutschland und in NRW zu.
Wer sich heute mit den Umständen der Versorgung behinderter Kinder nach 1945 beschäftigt, wird nicht um die Feststellung herumkommen, dass das Gedankengut des Nationalsozialismus in vielen Institutionen des Staates, der Erziehungshilfe, der Psychiatrie und in der Bevölkerung weiterlebte.
Die Begrifflichkeit des „unwerten Lebens“ wich einer offenen Ablehnung, einer Intoleranz gegenüber dem Anderssein. Geistig Behinderten schlug offene Ablehnung entgegen. Die Versagung der Schulpflicht für geistig Behinderte aus der Nazizeit war bis in die 1960er-Jahre gültig.
Wenn wir heute über die Gestaltung der Inklusion reden, ist es unabdingbar, sich auch mit der Vergangenheit der Behindertenhilfe auseinanderzusetzen. Hier ist die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zutreffend: Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. – Und in der Vergangenheit haben viele ihre Augen verschlossen.
Seit über zehn Jahren gibt es nun einen wichtigen selbstkritischen Prozess, in dem sich die Einrichtungen der Behindertenhilfe dieser Vergangenheit stellen. Ich will an dieser Stelle beispielhaft das Franz-Sales-Haus, die Diakonische Stiftung Wittekindshof und die Diakonische Stiftung Volmarstein – um Einrichtungen aus NRW zu nennen – hervorheben. Diese Einrichtungen haben in Form von runden Tischen und Publikationen die Verfehlungen aus Gewalt, medikamentöser Ruhigstellung und Erniedrigung benannt und sind dabei, diese aufzuarbeiten. „Als wären wir zur Strafe hier“ – so der Buchtitel einer Aufarbeitung des Wittekindshofs.
Ja, es handelt sich um schreiendes Unrecht, wenn Menschen aus Heimen der Behindertenhilfe vom Genuss der Mittel des Fonds ausgeschlossen bleiben – so die Aussage von Prof. Dierk Starnitzke, dem Leiter des Wittekindhofs, der ich völlig zustimme.
Nein, objektive Gründe gab und gibt es nicht. Der Einsetzungsbeschluss des Deutschen Bundestages seinerzeit hat sich auf die Heimerziehung im Rahmen der Jugendhilfe begrenzt – wohl wissend, dass der Heimkosmos größer war und dass die Grenzen zwischen den Systemen der Psychiatrie, der Behindertenhilfe und der Jugendhilfe in den Jahren mehr fließend als klar voneinander getrennt waren.
Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sich in insgesamt fünf Sitzungen – auch unter Hinzuziehung von Vertretern der Kirchen, der Diakonie und der Einrichtungen – mit der Thematik beschäftigt, und zwar immer in großer Einigkeit und Ernsthaftigkeit. Ich will an dieser Stelle allen Fraktionen und auch den Mitgliedern des Ausschusses hierfür ganz herzlichen Dank sagen.
Wir haben gemeinsam die Sozialausschüsse der Länder sowie den Sozialausschuss des Bundes angeschrieben und für den Hilfsfonds geworben. Resultat ist der nun vorliegende Antrag aller Fraktionen des Landtages, über den wir heute hier abstimmen.
Wer in Gesprächen mit Betroffenen oder in den verfügbaren Dokumenten die Lebens- und Leidensgeschichten nachspürt, wird tief erschüttert sein. Sie sind vielfach geprägt von traumatisierten Lebens- und Erziehungsverhältnissen. Es blieb nicht bei schwarzer Pädagogik, die auf Gewalt und Einschüchterung als Mittel setzte. Sexuelle Erniedrigung und Missbrauch kamen in vielen Fällen hinzu. Das ist also nicht abzutun mit dem Hinweis: „Das war der damalige Geist von Erziehung“. Strafbar waren alle Fälle von sexuellem Missbrauch schon damals. Auch der § 223b des Strafgesetzbuches wäre für eine Vielzahl der geschilderten Fälle eine Handlungsgrundlage gewesen.
Wir müssen heute, mit dem Wissen von 2015, unmissverständlich feststellen: Es gab ein umfangreiches Versagen staatlichen Aufsichtshandelns. Wir haben es zu tun mit einer Ignoranz seitens der Einrichtungen und den darin handelnden Personen gegenüber dem Recht der körperlichen Unversehrtheit, einer Missachtung der Würde des Menschen.
Der Heimaufenthalt vieler ehemaliger Heimkinder, der von diesen Erfahrungen geprägt war, hat oftmals zu bleibenden Beeinträchtigungen und Schäden geführt. Deshalb fordern wir heute – berechtigt und gemeinsam – einen Hilfsfonds für Opfer von Unrecht und Misshandlung in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie. Die Wunden sind verheilt, aber die Narben bleiben zurück.
Was durch die damalige Heimerziehung genommen wurde, kann auch kein Geld der Welt wieder gutmachen, aber ein Stück Anerkennung, ein Stück mehr Realität, ein Stück mehr Lebensqualität, ein Stück mehr später Würde geben.
Die Leidensgeschichten zeigen, wie individuell das erfahrene Leid ist und wie grausam die bisherige Realität des Ignorierens ist. Lassen Sie uns gemeinsam diese Gerechtigkeitslücke schließen. Es ist an der Zeit, weil den Betroffenen die Lebenszeit davonläuft. – Herzlichen Dank.
Lieber Kollege Alda, ich freue mich auch schon auf die Diskussion im Ausschuss. Zunächst einmal habe ich einige kurze Fragen, weil schon wieder verbreitet wurde, Andrea Nahles kürze die Mittel für die Jobcenter.
Sind Sie bereit, erstens zur Kenntnis zu nehmen, dass mit Regierungsantritt der Großen Koalition die Übertragung der nicht ausgeschöpften Mittel der Jobcenter von einem Jahr auf das andere Jahr möglich wurde und dass damit dem Gesamtsystem über 1 Milliarde € jährlich zur Verfügung gestellt worden ist?
Sind Sie bereit, zweitens zur Kenntnis zu nehmen, dass allein im Jahre 2013 die Vorgängerin von Frau
Nahles, Frau von der Leyen, die heute für Verteidigung zuständig ist, der aktiven Arbeitsmarktpolitik in beiden Rechtskreisen über 2 Milliarden € entzogen hat?
Sind Sie bereit, drittens zur Kenntnis zu nehmen, dass dies eben keine Kürzung ist, sondern eine Umschichtung zugunsten von Langzeitarbeitslosen, und dass die unselige Personalisierung auf eine Ministerin hier völlig fehl am Platze ist, weil sie Maßnahmen aufsetzt, die wir im Grunde genommen hier in unserem Antrag so fordern?
Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage nicht zulassen, dann müssen Sie schon mit einer Kurzintervention rechnen. – Ich würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten, dass trotz der angespannten Situation der Altenpflegeseminare, die wir auch zur Kenntnis genommen haben, diese aber in der Lage sind, die Ausbildungsleistungen, die mit der Einführung der Umlagefinanzierung erheblich gestiegen sind, zu bewältigen. Wie können Sie diese Steigerung der Ausbildung der Altenpflegeseminare insgesamt mit dem Horrorgemälde, das Sie jetzt an die Wand gemalt haben, in Verbindung bringen?
Ich habe mich gar nicht für eine Zwischenfrage gemeldet!
Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wollen in Würde und Selbstbestimmung alt werden. Diesen Wunsch, den sicherlich jeder einzelne von uns hat, teilen wir mit der Gesamtgesellschaft in unserem Land. Uns obliegt es aber, ob dies auch dann möglich ist, wenn Pflege- und Unterstützungsbedarf vorhanden ist. Das GEPA – den kompletten Titel hat der Präsident ja fehlerfrei vorgetragen; es geht noch ein bisschen schwer von den Lippen, aber „GEPA“ wird sich, glaube ich, als Begriff einprägen – soll sozusagen Leitplanke sein, um dieses Ziel zu erreichen.
Würde und Selbstbestimmung auch bei Pflege- und Unterstützungsbedarf zu sichern und herzustellen, ist Leitlinie des zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurfs. Mit der Weiterentwicklung des Landespflegegesetzes sowie des Wohn- und Teilhabegesetzes wollen wir den Herausforderungen eines sich beschleunigenden demografischen Wandels begegnen.
Dabei gehen wir über die Strukturen der professionellen Pflege hinaus. Das hat Gründe. Die Familie, die pflegenden Angehörigen sind nämlich das größte Pflegepotenzial, der größte Pflegekonzern des Landes. Diese mehr als bisher als integraler Bestandteil der Pflegeinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen zu verstehen und wertzuschätzen, ist auch Zielsetzung dieses Gesetzes. Trotz aller gesellschaftlich gegenläufigen Tendenzen gilt es, diesen Bereich nachhaltig zu stärken. Dies muss zum poli
tischen Grundverständnis aller politischen Ebenen gehören.
Die eigene Häuslichkeit zu bewahren und zu stärken, ist der überragende Wunsch der Menschen jeden Lebensalters. Dies führt zwingend zu einer quartiersnah ausgerichteten Pflege- und Betreuungsstruktur. In einer solchen inklusiven Quartierstruktur gilt es, stationäre und ambulante Einrichtungen der Pflege, die Wohnungswirtschaft, Kirchen, Vereine und Initiativen sowie bürgerschaftliches Engagement zusammenzuführen.
Dieses Grundverständnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nun in einem Gesetzentwurf zusammengeführt worden, welches nach entsprechenden Diskussionen einmütig von allen Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtages getragen wird.
Dieses Gesetz formuliert hohe Ansprüche an das Selbstbestimmungsrecht älterer pflegebedürftiger Menschen, an die Realisierung einer qualitativen Unterstützungsstruktur durch Beratungsangebote, Pflegeeinrichtungen und alternative Wohnformen.
Mehr Daheim statt Heim – das entspricht dem sozialpolitischen Grundsatz bestehender Sozialgesetze, nämlich ambulant vor stationär. Diesem Grundsatz ein bestimmendes Gewicht zu geben, verbunden mit dem Hinwirkungsgebot der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, zeigt die Zukunftsausrichtung dieses Gesetzgebungsverfah
rens.
Ich möchte aber auch deutlich sagen: Ambulant vor stationär heißt nicht ambulant statt stationär. Um gute Pflege gewährleisten zu können, brauchen wir alle Versorgungsbereiche, den ambulanten wie den stationären. Wir brauchen die teilstationären Angebote, die Kurzzeit- und die Tages- und Nachtpflege.
In welchem Ausmaß und in welcher Verteilung diese Angebote in den Kreisen und kreisfreien Städten zum Tragen kommen, ist auch unterschiedlichen Faktoren geschuldet und obliegt den Bedingungen vor Ort, nämlich: Wie stellt sich Wohnungswirtschaft auf? Ist sie mehr renditeorientiert oder hat sie auch eine Gemeinwesensorientierung? Gibt es trotz allen Wettbewerbs eine gut vernetzte Kooperationsstruktur sozialer Dienste?
Häufig wird die Alterung der Gesellschaft als Last gesehen. Wir leben länger, vor allen Dingen auch länger gesund
und leistungsstark. Das ist in meinen Augen eher Segen als Last. Die Herausforderung liegt darin, die Potenziale und Chancen des demografischen Wandels zu erkennen, gesellschaftlich zu verankern und zukunftsfähig umzusetzen. Das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit.
Nachdem wir uns als wichtige politische Aufgabe die Kinderbetreuung im Lande vorgenommen haben, steht nun die Gestaltung des demografischen Wandels sozusagen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Zukunft an. Wie man das machen kann, sieht man auch an guten Beispielen in Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen davon mehr, mehr Leuchttürme, die aber nicht isoliert dastehen, sondern die in das Land strahlen. Der demografische Wandel muss begriffen werden als fachübergreifende kommunale Daseinsvorsorge, als kommunales Gestaltungsfeld.
Die landespolitischen Gestaltungsspielräume haben wir mit dem vorliegenden Gesetz beschrieben. Es eröffnet vielfältige Handlungsoptionen der Kommunen im Sinne einer verbindlichen Pflegebedarfsplanung. Die Umsetzung in den Städten und Gemeinden sowie in den Quartieren kann aber nur im Zusammenwirken mit vielen, insbesondere der Wohnungswirtschaft, gelingen. Barrierefreie Quartiere sind Voraussetzung für das Bewahren der eigenen Häuslichkeit bei Pflegebedürftigkeit im Alter und bei Behinderung. Sie sind ein Gewinn nicht nur für die betroffenen Gruppen, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Die Sicherung der Fachkräfte in der Pflege, die Reform der Pflegeversicherung auf der Bundesebene mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, die Einbeziehung demenzieller Erkrankungen, das sind unverzichtbare Bausteine, die unsere Gesetzgebung im Lande begleiten. Auch hier werden wir das Gewicht Nordrhein-Westfalens in die Gesetzgebung einbringen.
Es hat nun einen fast zwei Jahre dauernden Beratungsprozess gegeben: acht Ausschusssitzungen alleine des AGS, drei Anhörungen, vier Gutachten zur Gesetzgebung, eine Vielzahl von Gesprächen von vielen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen. Am Beginn der Beratungen gab es weit voneinander abweichende Bewertungen, Einschätzungen und Befürchtungen bezüglich des Gesetzgebungsverfahrens. Das liegt auch ein wenig in der Natur der Sache, wobei die Befürchtungskultur nicht meine Kultur ist; das möchte ich an dieser Stelle deutlich hinzufügen.
Umso beeindruckender ist meines Erachtens der Weg, der nun hinter uns liegt und der nun alle hinter dieses Gesetzgebungsverfahren versammelt hat. Ich persönlich war immer davon getragen, eine solche auch überparteiliche Zustimmung zu erreichen. Das Thema ist zu wichtig, um es im politischen Tagesgeschäft zu zerreden.
Dass der Änderungsantrag von allen im Landtag vertretenen Parteien eingebracht worden ist, erfüllt mich auch mit einem gewissen Stolz. Es herrscht in einer wichtigen sozialpolitischen Frage ein großes parlamentarisches Einvernehmen.
Aufbauen konnte der Landtag auf die Empfehlung der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“ aus der 13. Legislaturperiode, ebenso konnte er auf das mit großer Mehrheit in der 14. Wahlperiode verabschiedete Wohn- und Teilhabegesetz aufbauen. Das vorliegende Landesgesetz, meine Damen und Herren, bringt die unterschiedlichen Vorstellungen, Wünsche und Interessen pflegebedürftiger Menschen, ihrer Angehörigen, der Leistungsanbieter, der Kommunen und die fachlichen pflegepolitischen Anforderungen in einen vernünftigen optimalen Ausgleich. Das ist im Grunde genommen die Voraussetzung dafür gewesen, dass hier im Parlament eine Einmütigkeit zustande gekommen ist.
Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die in diesem schwierigen Prozess zu diesem am Ende einmütigen Ergebnis beigetragen haben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eigentlich gedacht, hier würde einer von denjenigen reden, die 2006 während Ihrer Regierungsverantwortung für diesen Kompromiss zuständig waren. Von denen ist aber leider keiner mehr da. Sie sind ja erst seit ein paar Wochen in diesem Hohen Hause. Aber Welpenschutz können Sie dennoch nicht für sich in Anspruch nehmen – jedenfalls die CDU-Fraktion nicht. Unterzeichnet hat das damals Ihr heutiger Fraktionsvorsitzender. Der war seinerzeit Mitglied des Kabinetts. Das Kabinett Rüttgers ist ja für diesen Kompromiss verantwortlich.
Ich will Sie ein bisschen in die Geschichte zurückführen, von der Sie in Ihrem Antrag meinen, man könne darüber hinweggehen.
Also: Es war am 22. November 2006, als im zuständigen Fachausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales der damalige Chef der Staatskanzlei Karsten Beneke vortragen sollte, warum es zu einem solchen Kompromiss gekommen ist. Der hat dann auch von einer Wasserlinie geredet, die zu erreichen sei, von der sogenannten Benachteiligung der Kommunen in Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg. Die Fraktion der SPD und die Fraktion der Grünen haben viele Fragen gestellt, zum Beispiel, auf welcher Datengrundlage sich das alles eigentlich bewegt.
Daten wurden zwar zugesagt, sind aber nie vorgelegt worden. Es ging um die Daten der Kommunaldatenerfassung, die damals Karl-Josef Laumann und die damalige schwarz-gelbe Regierung in das Desaster vor dem Verfassungsgericht geführt haben. Dabei ging es um Herstellung der sogenannten Verteilungsgerechtigkeit.
Das können Sie alles gar nicht wissen, dazu sind Sie viel zu neu im Landtag, das sehen wir Ihnen zwar nach. Nicht nachsehen können wir Ihnen aber, dass Sie sechs oder sieben Jahre nach Verabschiedung dieses Kompromisses daherkommen und bei der derzeitigen Landesregierung einfordern, diese Gerechtigkeit zu reklamieren.
Auf den Fluren der Staatskanzlei und des Parlaments hat man seinerzeit im Übrigen darüber geredet, dass Karsten Beneke in den entscheidenden Verhandlungen gar nicht anwesend war, NordrheinWestfalen also im Prinzip deutlich über den Tisch gezogen wurde. Das sind aber nur Petitessen am Rande. Sie wollen diese Aufarbeitung ja leider nicht wahrhaben.
Herr Wolf ist ein weiterer damaliger Regierungsverantwortlicher, der diesem Kompromiss ebenfalls zugestimmt hat. Sie haben im Kabinett ja sicherlich nicht geschlafen, sondern waren bestimmt der Auffassung, dass das alles seine Richtigkeit hat.
Damals hat im Übrigen der zuständige Fachminister nicht vorgetragen, was ihm sein Haus aufgeschrieben hat, weil er wusste, welche Ungerechtigkeit diese Regelung im Prinzip bedeutet.
Ich darf Sie auch noch darauf hinweisen, dass die „FAZ“ – ein Organ, das der Sozialdemokratie eher unverdächtig ist – am 6. Dezember in einem längeren Artikel unter der Überschrift „16:0“ – das können Sie gerne nachlesen – geschrieben hat, dass der damalige amtierende Bundespräsident Horst Köhler, der seinerzeit ja schon zwei Gesetze nicht unterzeichnet hatte, bei diesem Gesetz zum dritten Mal große Zweifel hatte, ob es verfassungsgemäß ist, meine Damen und Herren.
Das dürfte Ihnen alles nicht verborgen geblieben sein. Herr Kuper, ob Sie damals, als das hier verhandelt worden ist, im schönen Riedberg geträumt haben, das weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall ist das die Realität.
Ich sehe mit großem Interesse der Aufarbeitung Ihrer Regierungsversäumnisse insbesondere im zuständigen Fachausschuss entgegen. Sie werden gleich merken, welcher Minister redet, welcher Ausschuss fachlich und sachlich zuständig ist, nämlich der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Es wird mir eine innere Freude sein, diese Verantwortlichkeiten im Einzelnen aufzuarbeiten.
Ich will jetzt noch einmal sagen: Im Bundesrat gibt es politische Setzungen. Das war eine politische Setzung. Alles in dieser Begründung war politische Semantik. Es gibt politische Setzungen im Bundesrat, die einmal zulasten und einmal zugunsten eines bestimmten Landes ausgehen. Manchmal gehen sie aber auch zugunsten unseres Bundeslandes aus. Von daher wird die Landesregierung sicherlich diesem Hohen Hause und den Ausschüssen, an die das überwiesen wird, auch darüber Aufklärung geben können, wie denn die Usancen im Umgang mit solchen politischen Setzungen des Bundesrates sind.
Meine Damen und Herren, ich sehe den Ausführungen bzw. den Beratungen im Ausschuss mit hohem Interesse entgegen. – Herzlichen Dank.
Ich kann, wenn der kommunalpolitische Sprecher der CDU-Fraktion nicht verstanden hat, was ich gesagt habe, das für Sie gern noch einmal wiederholen.
Hier steht aber, dass ich noch eine Minute hätte.
Wir streiten uns gern. – Danke schön, Herr Präsident, dass Sie mir jetzt das Wort gegeben haben.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, Herr Kuper, dass ich gesagt habe: Diese Vereinbarung war seinerzeit eine politische Setzung. Man hat eine politische Begründung gesucht, die Sie jetzt hier thematisieren.
Solche politischen Setzungen im Bundesrat sind Vereinbarungen, die – das habe ich ausdrücklich ausgeführt – zum Teil mal Baden-Württemberg oder mal Rheinland-Pfalz bevorzugen. In diesem Fall bevorzugen sie – anders als in anderen Fällen – auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Ich habe gesagt, dass ich ganz gespannt auf die Ausführungen der Landesregierung in den Ausschüssen bin, in denen wir das beraten, ob die derzeitige Landesregierung diese Sichtweise teilt – auch in Aufarbeitung des damaligen Prozesses – und welche Handlungsoptionen sich daraus ergeben. Denn ich bin mir ebenso wie die SPD-Fraktion nicht schlüssig, ob das nachträgliche Aufkündigen dieser politischen Setzung ein Verstoß gegen Regelungen im Bundesrat ist, wie die Bundesländer miteinander umgehen.
Sie können sich das natürlich hier leicht machen, aber als regierungstragende Fraktionen werden wir diesen Tatbestand sehr ausführlich und umfänglich im Ausschuss beraten. Danach werden wir unser Votum abgeben.
Danke schön, Frau Kollegin Schneider. Sie messen mit zweierlei Maß, da Sie den Patientenbeauftragten der Bundesregierung ja wahrscheinlich für notwendig halten.
Herr Bahr ist ja immer noch amtierender Gesundheitsminister. Aber bei der Landesgesundheitsministerin halten Sie den Patientenbeauftragten für überflüssig. Gibt es da einen Widerspruch, oder nehme ich das falsch wahr?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin nur dafür, dass wir immer versuchen, bei der Wahrheit zu bleiben.
Von daher muss ich die Behauptung des Kollegen Abruszat zurückweisen, dass 2003 die Grundsicherung ohne eine Entlastung der Kommunen eingeführt worden sei. Vielmehr war eine Entlastung in Stufen für die Kommunen vereinbart. Das können Sie nachlesen. Auch in einer parlamentarischen Debatte, in der es sehr hitzig zugeht, gehört es sich, dass man das, was seinerzeit eingeführt worden ist, auch so darstellt, wie es der historischen Wahrheit entspricht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nur darauf hinweisen. Sie können den Fakten-Check heute Abend bei Google durchführen. Dann können wir uns morgen noch einmal in Ruhe über diesen Sachverhalt austauschen.
Danke schön, Herr Kollege Abruszat. – Sie wissen ja auch, dass die zugewiesenen Mittel für die Kommunen 2011 und 2012 nur zu einem geringen Anteil ausgeschöpft worden sind. Die kommunalen Spitzenverbände haben in ihrem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden mitgeteilt, dass dieses Problem auch bei den Kommunen, die 2012 und 2013 einen Aus
schöpfungsgrad haben, der über dem ihnen zugewiesenen Mittelbedarf liegt, eher ein mittelfristiges ist.
Können Sie jetzt konkret einen Kreis, eine kommunale Gliederung in Nordrhein-Westfalen nennen, die ihre zurückgestellten Mittel schon vollständig aufgebraucht hat und dann Bildungs- und Teilhabemittel aus ihrem kommunalen Etat finanzieren würde?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kuper, Sie haben ja eine Anfrage gestellt, die die Landesregierung auch beantwortet hat. Wenn Sie die Ausschöpfungszahlen nebeneinanderlegen und eine prozentuale Berechnung anstellen würden, dann kämen Sie zu dem Ergebnis, dass der Kreis Gütersloh die Mittel im Jahre 2011 zu 63 % und im Jahre 2012 zu 122 % ausgeschöpft hat. Da ist ein Delta. Daher kann man nicht davon reden, dass der Kreis Gütersloh in den Jahren 2011 und 2012 Mittel der kommunalen Familie zur Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepaketes geleistet hat.
Deswegen habe ich auch den Kollegen Abruszat gefragt, welche Gebietskörperschaft bisher kommunale Mittel verausgabt hat. Er ist die Antwort schuldig geblieben.
Sie bleiben die Antwort auch schuldig, weil Sie keinen Kreis und keine kreisfreie Stadt in NordrheinWestfalen finden, die diese Ausgaben nicht aus den zugewiesenen Mitteln und den von 2011 zurückgestellten Mitteln hätte leisten können.
Ich warte noch ein bisschen, bis sich diejenigen Abgeordneten, die der Debatte folgen wollen, wieder gesetzt haben, und die anderen den Raum verlassen haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Karl-Josef Laumann hat auf dem letzten CDU-Landesparteitag in Bad Salzuflen die Sozialdemokraten als griesgrämig und pessimistisch bezeichnet. Sie würden von der Ungerechtigkeit der Welt gebeugt ihr Tagwerk verrichten.
Meine Damen und Herren, dem will ich an dieser Stelle einmal entgegensetzen: Wir Sozialdemokraten kämpfen seit über 150 Jahren für Gerechtigkeit und Solidarität sowie für soziale Sicherung in diesem Land – und das mit vollem Optimismus, mit Zuversicht und Sonne im Herzen, aber nicht mit Griesgrämigkeit und gebeugt von der Ungerechtigkeit dieser Welt.
Die Ungerechtigkeit dieser Welt ist uns aber Ansporn. Darauf sind wir stolz. Wir sind stolz darauf, dass es nämlich Demokratie und soziale Gerechtigkeit in diesem Land immer nur mit uns und mit den deutschen Gewerkschaften gegeben hat. Die konservative Seite, meine Damen und Herren, hat meistens auf der Gegenseite gestanden.
Wir wollen für alle Menschen die Zuversicht und auch die Lebensfreude für die Zukunft sichern. Deswegen haben wir im Land eine Politik begonnen, die unter dem Motto steht: „Kein Kind zurücklassen“. Ich ergänze: Wir wollen auch keinen Arbeitslosen in diesem Land zurücklassen.
Zu einer solchen Politik gehört natürlich zunächst einmal Wahrhaftigkeit. An dieser Wahrhaftigkeit fehlt es leider bei der Union und bei der FDP; denn zur Wahrhaftigkeit gehört, die Realität so zu nehmen, wie sie ist, und sich die Realität nicht rosig zu malen und sich hinzubiegen. Es ist eben so, dass gerade auf der Bundesebene die Realität diesen Maßstäben untergeordnet wird. Sie biegen sich die Realität so hin, wie Sie sie gerade brauchen. Man darf Sie auch ungestraft „Fälscher“ nennen.
„Fälscher“ – so titelte der „Spiegel“ und meinte damit Herrn Schäuble und auch Frau Schröder, die die wissenschaftliche Expertise zu den geringen Wirkungen der familienpolitischen Leistungen umzudeuten wussten. Das Schmierentheater zum Armuts- und Reichtumsbericht ist allen noch in Erinne
rung. Dieser dreiste Versuch der Trendumkehr, der schamlosen Fälschung und Verfälschung hat auch tief bis ins konservative Lager Entrüstung hervorgerufen.
Als knallharten Statistikbetrug kommentiert nun der „Spiegel“ in der vorletzten Woche die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit im Zusammenhang mit dem Bericht des Bundesrechnungshofs. Es ist von Betrug und Täuschung die Rede. Auch in dieser Woche bestätigt der „Spiegel“ noch einmal, was die Innenrevision angeht, im Prinzip Gleiches. Der Zentralvorwurf ist die Vernachlässigung von Langzeitarbeitslosen und die Fokussierung auf die sogenannte Betreuung marktnaher Kunden.
Es ist ja nicht so, als stehe diese Kritik alleine da. Selbst im „Handelsblatt“ und im „Westfälischen Anzeiger“ war zu lesen, dass der Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Agentur für Arbeit in Nürnberg, Herr Clever, gesagt hat, die Bundesagentur sei für Krisen nicht gerüstet.
Es gibt neben der Verantwortlichkeit der BA natürlich eine politische Verantwortlichkeit für alle diese Vorgänge, die eine Adresse hat, nämlich die schwarz-gelbe Bundesregierung. Wir wissen: Wer den Spielraum für aktive Arbeitsmarktpolitik immer wieder einschränkt und schlussendlich immer weniger Mittel zur Verfügung stellt, die Latte des Erfolgs aber immer höher legt, der muss kreativ gestalten, der zwingt sozusagen zur kreativen Gestaltung. Die Mitarbeiter – so in der letzten Ausgabe des „Spiegel“ zu lesen – durchlaufen sozusagen eine Metamorphose, sehen sich vom Sozialarbeiter zum Statistikfälscher degradiert.
Meine Damen und Herren, es ist klar: Die politische Vorgabe kommt aus Berlin. Wer mehr fordert, aber nicht mehr fördert, der setzt eine solche Entwicklung in Gang. Hinweise dazu hat es schon viel früher gegeben, und zwar 2009 durch den Hauptpersonalratsvorsitzenden der BA. Bei allen Veränderungen, die Sie bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten vorgenommen haben, ist Ihnen in den Anhörungen im Prinzip eine solche Entwicklung prophezeit worden.
Diese Vorgänge werden insgesamt nicht nur politisch gedeckt und legitimiert, sondern im Prinzip durch die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung geradezu hervorgerufen. Sie ignorieren nicht nur prekäre Beschäftigung, sondern Sie fördern insbesondere Leiharbeit, Hire and Fire. Raus aus der Arbeitslosigkeit in Leiharbeit, raus aus der Leiharbeit wieder in Arbeitslosigkeit, das ist Ihre Richtung.
Wir haben deshalb in unserem Forderungskatalog eine Trendumkehr gefordert, insbesondere, sich bei Vermittlung an der tariflichen und ortsüblichen Bezahlung zu orientieren. Wer das nicht angehen will, meine Damen und Herren, der gestaltet weiterhin die Dinge so, wie sie …
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Dieser Punkt würde eigentlich eine intensivere Debatte erfordern.
Abschließend will ich nur sagen: Der Entschließungsantrag der CDU ist im Prinzip ein Dokument der Unfähigkeit. Ich weiß nicht, wer ihn geschrieben hat – ob er ähnlich wie der Ärzteantrag vom Hausärzteverband geschrieben worden ist. Nach dem Motto „Weiter so“ geht es nicht.
Es geht darum, den Menschen in diesem Land eine existenzsichernde Beschäftigung anzubieten. Das ist Kernanliegen unseres Antrags. – Herzlichen Dank.
Herr Kollege Alda, ich habe zwei Fragen, die ich gerne an Sie richten möchte. Zunächst einmal: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass es im ersten Halbjahr 2013 580.000 Eintritte in die Leiharbeit und 540.000 Austritte aus der Leiharbeit gegeben hat? Sehen Sie aufgrund dieser Zahlen eine Nachhaltigkeit bei der Leiharbeit gegeben, die Sie ja so hochhalten?
Dann interessiert mich: Was spricht eigentlich aus Ihrer Sicht oder aus Sicht der FDP dagegen, die Vermittlung in Arbeit an tarifliche oder ortsübliche Bezahlung zu koppeln?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife deswegen das Wort, weil der Kollege Burkert mich auch als Ausschussvorsitzenden angesprochen und den Vorwurf erhoben hat, ich würde meinen Aufgaben und Pflichten als Ausschussvorsitzender in dieser Frage nicht hinreichend nachkommen. Das weise ich ausdrücklich zurück. Alle Schreiben, die in diesem Zusammenhang gekommen sind, wurden auch an alle Mitglieder des Ausschusses weitergeleitet, jedenfalls ist das nachrichtlich so in meinem E-MailAccount für mich nachvollziehbar. Von daher sah ich keine Veranlassung, über das Ausschusssekretariat diese Stellungnahme der Ärztekammer Nord
rhein noch einmal als Ausschussvorsitzender an die Mitglieder weiterzuleiten.
Im Übrigen, denke ich, dass meine bisherige Führung des Ausschusses, die Einbeziehung aller Fraktionen und aller Mitglieder des Ausschusses genug unter Beweis gestellt hat. Von daher weise ich noch einmal mit allem Nachdruck diese Vorwürfe zurück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Landesparlament hat sich wie der nordrhein-westfälische Landtag seit 2005 so intensiv mit der Umsetzung der Arbeitsmarktreform beschäftigt – hier im Plenum, aber noch intensiver im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales –, meistens kontrovers, aber auch in wenigen Fällen in großer Übereinstimmung.
Ich hatte die Hoffnung, dass dieses Thema auch zur Übereinstimmung führen würde, muss aber nun zur Kenntnis nehmen, dass die CDU das nicht mehr arbeitsmarktpolitisch bewertet, sondern ihre Schulpolitiker an die Front schickt, wahrscheinlich weil die Arbeitsmarktpolitiker eher diesem Antrag zugestimmt hätten. Das ist das Armutszeugnis, das Sie in diesem Parlament zeigen.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze im SGB II festgestellt. Das hat sie der Allparteienkoalition von Bundestag und Bundesrat sozusagen ins Pflichtenheft geschrieben. Nicht alle haben daraus die richtigen Konsequenzen gezogen.
Neben den Leistungen für Erwachsene nahm das Bundesverfassungsgericht damals insbesondere die Leistungen für Kinder in den Blick und stellte fest, dass zur Wahrung des Existenzminimums auch – ich zitiere – „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben notwendig ist und gewährleistet werden muss“. Die bisherigen Leistungen für Kinder hatte das Gericht als willkürlich bezeichnet.
Um diesem verfassungsmäßigen Anspruch nun gerecht werden zu wollen, entschloss sich SchwarzGelb für ein System der im Einzelfall zu beantragenden abrufbaren Dienst- und Sachleistungen.
Die im Sommerloch 2010 von Frau von der Leyen noch propagierte Chipkarte ist zum Glück Füllmaterial im Sommerloch geblieben. Aber BuT ist entstanden – nicht der Butt vom Fischer und seiner Fru, sondern das Bildungs- und Teilhabepaket wurde aus der Taufe gehoben. Wir wissen: Beides endete mehr oder weniger schrecklich – bei dem einen aufgrund von Maßlosigkeit und bei dem anderen wegen der Maßlosigkeit von Bürokratie und Bürokratiewahn.
Alle Befürchtungen, die auch anlässlich einer Anhörung des AGS geäußert wurden, sind leider bittere Realität geworden. Statt der in den Medien produzierten Bilder von geige- und klavierspielenden Kindern ist eine Beantragungs- und Bewilligungsmaschinerie angelaufen, die Sachbearbeiter in den Jobcentern, Eltern, Lehrer und Betroffene fassungs- und ratlos werden und verzweifeln lässt.
Aber wo haben diese bürokratischen Auswüchse ihren Ursprung? – Der Nährboden für diesen Beantragungs- und Kontrollwahn ist das abgrundtiefe
Misstrauen insbesondere der Konservativen, die Leistungen für Kinder und Jugendliche würden von den Eltern verprasst, versoffen und zweckentfremdet. Die Ausführungen von Philipp Mißfelder, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
waren seinerzeit auch hier im Plenum Thema. Geholfen hat die Debatte wenig, Werner Lohn. Die jetzige Bundesregierung schlug ohne Not alle Ratschläge von Experten in den Wind. Rot-Grün konnte daraufhin im Vermittlungsverfahren die Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten und auch insbesondere die Etablierung einer Infrastruktur in Gestalt der Schulsozialarbeit durchsetzen.
Heute sehen wir: Neben dem Schulstarterpaket ist das, was schon 2007 eingeführt wurde, die zusätzliche Schulsozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets das erfolgsträchtigste Instrument überhaupt, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darum ist auch Schulsozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes Teil einer präventiven Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik.
Sie dient insbesondere der Verbesserung der Integrationschancen der Leistungsberechtigten. Darauf hat insbesondere Schulsozialarbeit hinzuwirken, nämlich bei der Mitwirkung des Übergangs von der Schule in den Beruf, bei der Unterstützung, bei der Vermittlung von Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Der Zweck ist immer der gleiche: Kinder aus finanzschwachen Familien sollen am ganz normalen Schulalltag, am kulturellen Leben teilnehmen. So soll der Bildungserfolg gesichert werden. Es geht um das Durchbrechen der Generationen-Verfestigung von Transferbezug.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine Geschichte aus dem Tollhaus, wenn das erfolgreichste, wirksamste Instrument im Prinzip jetzt eingestellt werden soll. Der Wegfall der zusätzlichen Schulsozialarbeit wäre ein Desaster.
Einer Aussage in einer Presseerklärung von gestern des Verbandes Bildung und Erziehung ist vorbehaltlos zuzustimmen: Die Schulsozialarbeit aus dem Bildungs- und Teilhabepaket hat unter anderem zum Ziel, die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungschancen zu entkoppeln. Es kann nicht sein, dass der Bund sich aus diesem Projekt, das sich nachweislich bewährt hat, zurückzieht. – Dem stimmen wir vorbehaltlos zu.
Die CDU tanzt aus der Reihe. Ich hoffe zumindest, dass die Arbeitsmarktpolitiker der FDP, Herr Kollege Alda, hier einen anderen Antritt haben. Schulsozialarbeit muss bleiben. Dies allein leitet sich schon aus dem Rechtsanspruch für die Kinder ab. Deswegen werben wir für den Erhalt der Schulsozialarbeit, und
wir unterstützen insbesondere die Initiativen der Landesregierung im Bundesrat. Wir bitten auch hier um Zustimmung zu dem Antrag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal ein bisschen anders anfangen. Die Geschichte des Rauchens in Mitteleuropa war immer auch eine Geschichte der Reglementierungen und Verbote.
Im 17. Jahrhundert – ich sehe hier nur wenige Kölner – sollte in Köln der Verkauf von Tabak nur in Apotheken stattfinden. Das ist eine Regelung, der sich, wenn man einmal über Deutschland hinaussieht, die Isländer gerade nähern. Der Brandschutz in den Städten bei den strohgedeckten Häusern führte zum Verbot des Rauchens im Freien. Landesfürstliche und preußische Polizei-Edikte setzten Rauchverbote in massenhafter Zahl fest.
Im Vormärz war Zigarrerauchen schier ein Akt revolutionären Tuns. Da ich gebürtiger Bünder bin, aus der Tabakstadt Bünde komme, weiß ich auch, dass die Tabakarbeiter neben den Buchdruckern die Keimzelle deutscher Gewerkschaftsbewegung waren. Also: Rauchen ist auch mit viel Symbolik verbunden. Die Zigarre erlebte einen Wandel vom revolutionären Symbol der Freiheit hin zum saturierten Bürgertum mit den Raucherzimmern als Symbol des Kapitalisten, als Symbol des Kapitalismus schlechthin. Das ist so das Bild des Rauchens, festgemacht an der Symbolik der Zigarre.
Zigarre und Rauchen als Symbol der Freiheit vom Vormärz bis zur Frauenbewegung veränderten sich bis hin zum Symbol der Unterdrückung. Es steht ja auch als suggeriertes Symbol immer noch für Freiheit und zugleich für ungesunde Lebensweise mit hohem Lebensrisiko.
Diese Vielfältigkeit kommt auch in der aktuellen Diskussion zum Tragen. Meine Damen und Herren, wir befinden uns aber nicht mehr im Vormärz, sondern sind im 21. Jahrhundert angelangt. Heute sind die Gefahren des Rauchens hinlänglich bekannt. Durch die Ratifizierung internationaler Vereinbarungen – zum Beispiel über die WHO oder die Europäische Union – ist Deutschland eingebunden, die Gefahren des Rauchens für die Gesundheit massiv einzudämmen. Der Schutz der Nichtraucher ist somit ein zwar kleiner, aber klarer Bestandteil auch der international verabredeten Strategien.
Dabei ist nicht zu verhehlen, dass die Nichtraucherschutzgesetzgebung bei aller Lückenhaftigkeit in den Ländern auch ein präventives Element hat. Letztendlich wäre eine bundeseinheitliche Regelung über den Arbeitsschutz vorzuziehen gewesen.
Ich will den präventiven Gehalt der Nichtraucherschutzgesetzgebung nicht mindern; aber im Unterschied dazu hätte ein gesundheitliches Präventionsgesetz ganz andere Ansatzpunkte gesetzt – zum Beispiel hinsichtlich der Verfügbarkeit von Tabakerzeugnissen schlechthin. Eine solche Diskussion könnte uns im Übrigen noch bevorstehen, wenn auch nicht auf Ebene dieses Parlamentes, sondern