Mürvet Öztürk

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Last Statements

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil ich zwei Dinge auch noch einmal betonen möchte. Ja, der Antisemitismus ist ein Problem unserer gesamten Gesellschaft, und zwar nicht erst, seitdem in Berlin die Vorfälle passiert sind. Deswegen wünsche ich mir, dass wir dieses Thema immer wieder aufgreifen und nicht nur zur Aktuellen Stunde, weil wir einen Anlass geliefert bekommen haben.
Wenn wir ernsthaft dieses Thema in unserer Gesellschaft diskutieren wollen, dann haben wir die Anlässe auch schon vor zehn oder 15 Jahren gehabt. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum wir hier im Land Hessen einen Antidiskriminierungsbeauftragten haben – weil uns klar ist, dass in bestimmten Bereichen Handlungsbedarf besteht.
Von daher wünsche ich mir, dass wir das nicht nur als Reaktion auf die Berliner Ereignisse behandeln, die da stattgefunden haben, weil ein Migrant gekommen ist und den jungen Menschen verprügelt hat. Ich finde es auch gut, dass er sich der Polizei gestellt hat. Ich hoffe auch, dass damit der Täter vielleicht Einsicht gewinnen kann. Denn wir müssen in dieser Gesellschaft, wenn wir ernsthaft das Antisemitismusproblem lösen wollen, tagtäglich damit zu tun haben und nicht nur zur Aktuellen Stunde.
Ich möchte eine Sache noch einmal betonen: Es gibt den Antisemitismus in Deutschland nicht erst, seitdem die Migranten hierher zugezogen sind.
Es ist aber auch klar, dass in vielen Migrantenfamilien und muslimischen Familien der Antisemitismus sehr stark bagatellisiert wird. Wenn wir das mit dem Namen benennen, sodass eben auch die Familien hier in die Verantwortung genommen werden müssen, wünsche ich mir definitiv viel mehr Räume in den Schulen, eine ganz andere Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer. Ich wünsche mir auch eine ganz andere Unterstützung der Eltern, dass vor allen Dingen dann, wenn antisemitische Themen im Alltag diskutiert werden, dafür Räume in den Schulen geschaffen werden.
Wir wollen einen Antisemitismusbeauftragten einrichten. Es ist wichtig, dass das nicht nur eine symbolhafte Handlung bleibt. Als ich im Dezember 2016 in Israel war, habe ich mich sehr darüber gewundert, dass sehr viele jüdische Menschen aus Frankreich zurück nach Israel gegangen sind, weil sie das Gefühl hatten, der Antisemitismus, den sie jeden Tag erleben, wird von der Gesellschaft einfach geduldet, nicht zur Kenntnis genommen, und sie werden nicht unterstützt.
Dass junge jüdische Franzosen auswandern mussten, war für mich ein Schock. Das ist etwas, was wir hier in Deutschland auf gar keinen Fall zulassen dürfen. Es ist wichtig, dass wir den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern klarmachen, dass wir ihre Probleme, die sie tagtäglich auch schon vor 20 Jahren in Deutschland erlebt haben – auch vor zehn und 15 Jahren –, ernst nehmen.
Wenn mir deutsche Schüler sagen: „Ich bin nicht mehr verantwortlich für das, was meine Großeltern im Zweiten Weltkrieg verursacht haben, und das liegt nicht mehr in meiner Verantwortung“, dann ist das genauso eine alarmierende Aussage, die wir nicht mit einem Schulterzucken zur Seite legen dürfen, wie wenn junge Muslime sagen, die Politik Israels sei quasi Grund genug, um antisemitisch zu sein. Auch da müssen wir aufpassen. Antisemitismus darf auf keinen Fall mit politischer Kritik vermischt werden.
Wenn wir heute Probleme in der Gesellschaft diskutieren, dürfen wir es auch nicht zulassen, dass deutsche junge Menschen, die in Deutschland auf der Suche nach ihrer Identität sind, leichtfertig sagen: „Mit dem, was meine Großeltern gemacht haben, habe ich heute nichts mehr zu tun.“ – Doch, wir haben etwas damit zu tun. Die Verantwortung tragen wir zusammen. Lassen Sie uns deswegen öfter über dieses Thema reden und nicht nur in einer Aktuellen Stunde, wenn etwas in Berlin passiert ist. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir im Hessischen Landtag auch die Situation in Nordsyrien diskutieren. Es handelt sich nicht um importierte Politik aus Nordsyrien nach Deutschland. Wir haben sehr viele Menschen mit kurdischen Wurzeln und kurdischer Identität, die hier leben, die hier demonstrieren und sich Sorgen um ihre Angehörigen machen. Auf der anderen Seite gibt es deutsche Waffen und deutsche Panzer, die dort gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Von daher müssen wir auch in Hessen darüber diskutieren, und von daher ist das auch der richtige Ort.
Wenn wir über Nordsyrien reden, möchte ich nur daran erinnern, dass das die Region ist, in die viele Minderheiten aus Zentralsyrien, beispielsweise auch Aleppo, geflüchtet sind – es sind christliche Minderheiten, jesidische Minderheiten. Dieser Konflikt besteht nicht nur aus einem Konflikt zwischen Kurden und Türken. Dieser Kampf, dieser Krieg – ich möchte sagen: dieser Angriffskrieg – hat zur Folge, dass Minderheiten, die vor den Dschihadisten oder dem Assad-Regime geflohen sind und im Norden von Syrien Schutz gefunden haben, erneut Opfer werden. Wenn wir uns anschauen, was türkische Truppen mit der Freien Syrischen Armee verursachen – Freie Syrische Armee hört sich nach einer liberalen Armee an; dem ist nicht so, das sind eindeutig Dschihadisten, die in dieser Region eine ethnische Säuberung vollziehen und den Islamismus etablieren wollen –, dann kann das nicht das Ziel sein, und deswegen dürfen wir nicht wegschauen.
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Erdogan mit dieser Politik nicht seine Grenzen schützen möchte. Es gibt keinen Angriff von syrischem Boden auf die Türkei. Er hat schon einmal versucht, in der NATO den Bündnisfall nach Art. 5 auszurufen, weil er in Syrien einmarschieren wollte. Jetzt kommt er mit dem Art. 51. Das sind durchscheinende Argumente. Sein eigentliches Ziel ist, für 2019 seine eigene Macht zur Präsidentschaftswahl zu etablieren. Sein einziges Ziel ist, alle oppositionellen Kräfte in der Türkei auszuschalten und sie mit dem Terrorvorwurf zu inhaftieren. Nichts anderes macht er momentan.
Über 300 Personen sind inhaftiert worden, weil sie sich in den Social Media für den Frieden und gegen den Krieg ausgesprochen haben. Es werden Ärzte von führenden Ärzteorganisationen inhaftiert, weil sie sagen, dass auch die Zivilbevölkerung dort umgebracht wird.
Einem kurdischen Fußballer, der in Deutschland spielt, Naki, wurde ein Fußballverbot in der Türkei auferlegt, weil er sich für die kurdische Identität starkgemacht hat. Deutsche Politiker mit kurdischen Wurzeln werden in der Türkei bedroht.
Ich komme zum Schluss. – Es wird leider in DITIB-Moscheen zum Gebet für den Sieg in diesem Heiligen Krieg aufgerufen. Von daher sind wir betroffen, und es ist wichtig, dass wir wachsam sind. Wir müssen auch in dieser Situation den Anfängen wehren. Vor 100 Jahren hat der Verbündete, das Osmanische Reich, den Massenmord an den Armeniern vollzogen.
Deswegen müssen wir hinschauen. – Herzlichen Dank, auch, dass ich überziehen durfte.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir im Hessischen Landtag über den Familiennachzug sprechen, dann reicht es meiner Meinung nach nicht aus, die Zuständigkeit auf die Bundesebene zu schieben. Wir wissen alle ganz genau, dass der Vorsitzende der Arbeitsgruppe für Migration und Integration im Rahmen der aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene Ministerpräsident Volker Bouffier ist.
Insofern ist durchaus die eine oder andere Entscheidungsmöglichkeit auf Bundesebene gegeben, wenn jetzt in Grup
pen darüber geredet wird, ob der Familiennachzug ermöglicht werden soll. Volker Bouffier hat seinen Anteil daran. Deshalb sollte auch im Hessischen Landtag darüber diskutiert werden, meine Damen und Herren.
Es ist nicht zu vergessen, dass es früher einen Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige gab und dieser Nachzug für zwei Jahre ausgesetzt worden war, weil damals die Zahlen so waren, wie sie waren.
Die Zahlen für das Jahr 2017 sind aber nicht mehr so hoch. Wenn diese Flüchtlinge ihre Angehörigen hierher holen würden, wäre keine Überforderung der Gesellschaft bzw. der Gemeinden vor Ort gegeben. Wir wissen alle ganz genau, dass die hessischen Aufnahmeeinrichtungen momentan relativ leer sind. Wir wissen auch, dass viele Menschen, die hierher geflüchtet sind, teilweise Frauen allein, teilweise Männer allein waren. Das sind aber nicht immer nur die jungen Männer, von denen alle sprechen, die angeblich kriminell sind. Es gibt ganz viele normale Menschen, die hier einen Sprachkurs besuchen, die versuchen, Arbeit zu finden, und die versuchen, die Bedingungen zu erfüllen, um ihre Familienangehörigen nachholen zu können. Diese Flüchtlinge, die hierhergekommen sind, sind teilweise verzweifelt.
Am vergangenen Wochenende hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen der Hohenheimer Tage zum Migrationsrecht mit Fachleuten – mit Rechtsanwälten, mit Richtern, mit Menschen aus dem Bereich der Zivilgesellschaft, mit Vertretern der Kirchen und des UNHCR – darüber zu diskutieren, wie wichtig der Familiennachzug ist. Das betrifft eine humanitäre Frage und den Schutz der Familie, der in unserem Grundgesetz verankert ist.
Jetzt besteht die Möglichkeit, zu zeigen, ob wir unser Grundgesetz ernst nehmen oder ob wir es quasi mit eigenen Füßen in die Tonne kloppen, indem wir sagen: Die Familien der Menschen, die einen sicheren Aufenthalt oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sind mehr wert als die Menschen, die vor Krieg und Krisen zu uns geflüchtet und nur subsidiär geschützt sind.
Diesen Beweis können wir morgen erbringen, indem wir die Aussetzung des Familiennachzugs im Bundestag aufheben und einen Familiennachzug auch bei nur subsidiär geschützten Menschen zulassen.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin das Klein-Klein leid, dass die Themen humanitärer Schutz und Integrationsfähigkeit in Deutschland ständig zusammen diskutiert werden und dass ständig die Gastarbeiter und die mit ihnen gemachten Erfahrungen bemüht werden, um festzustellen, welche Fehler wir damals gemacht haben. Das ist 50 Jahre her. Wenn wir in den vergangenen 50 Jahren noch immer nicht gelernt haben, eine vielfältige und bunte Gesellschaft, wie wir eine sind, modern zu gestalten, dann haben wir in diesem Parlament nichts verloren, weil wir bestimmte Entwicklungen in dieser Gesellschaft nicht verstanden haben und immer noch versuchen, mit scheinheiligen Argumenten zu begründen, warum man den Familiennachzug aussetzen müsse.
Ich möchte wissen, welche Konsequenzen die GRÜNEN aus der heute dargelegten Position ziehen, dass man den Familiennachzug erlauben möchte. Bedeutet das, dass man Herrn Ministerpräsidenten Bouffier im Rahmen der Koalitionsverhandlungen die Koalitionsfrage stellen wird? Wenn jetzt die SPD den Familiennachzug gern großzügiger gestalten will – so, wie er auch in der Jamaikakoalition großzügiger gestaltet werden sollte, aber nicht gestaltet werden konnte, weil CDU und CSU sehr massiv dagegen gearbeitet haben –, hat dann die Stunde der Wahrheit geschlagen, sodass man die Koalitionsfrage stellen wird? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihren Reden?
Sind wir gewählte Parlamentarier, die den Menschen gegenüber Rechenschaft ablegen, oder sind wir gewählte Sonntagsredner, die das eine versprechen und das andere morgen schon vergessen haben? Von daher bin ich es ein bisschen leid, dass all die schönen Schaufensterreden überhaupt keine Konsequenzen haben und dass man sich nicht schämt, auf der einen Seite für den Familiennachzug zu werben und auf der anderen Seite in Ausschüssen und bei Abstimmungen so zu tun, als ob man überhaupt keine Entscheidungsmacht habe. Das steht diesem Parlament nicht gut an.
Von daher, meine Herrschaften von den GRÜNEN, wenn Sie die humanitären Fragen ernst nehmen, und auch meine Herrschaften von der CDU, wenn Sie das C für „christlich“ in Ihrem Parteinamen ernst nehmen, dann haben Sie hier die Möglichkeit, dem Ministerpräsidenten zu sagen, dass er bei den Koalitionsverhandlungen keinen Druck ausüben und in die Richtung verhandeln soll, dass man den Familiennachzug zulässt. Das ist eine humanitäre Angelegenheit, eine grundrechtlich verbriefte Angelegenheit – auch für Menschen, die subsidiären Schutz genießen. Auch sie sollten ihre Angehörigen nachholen können. Das ist mein Appell am heutigen Tag.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank. Ich denke, ich werde die fünf Minuten nicht ausschöpfen.
Ich will doch zwei Dinge bemerken. Es ist eine Debatte, bei der es um muslimische Frauen geht. Es ist eine Debatte, bei der es um den Islam und um Frauen geht. Ich finde, wir hatten zu wenige Frauen, die dazu gesprochen haben. Es haben auch zu wenige Menschen aus dem islamischen Kreis dazu gesprochen. Ich fühle mich jetzt berufen, auch ein paar Sätze dazu zu sagen. Vielleicht werde ich einiges wiederholen. Ich bitte um Nachsicht.
Liebe Mitglieder der FDP, mein Anliegen ist Folgendes: Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, haben Sie mit dafür gesorgt, dass der islamische Religionsunterricht eingeführt wurde. Sie haben sehr dafür gestritten, dass der Islam endlich auch in den Schulen vermittelt wird und dass junge Menschen, die dieser Religion angehören, in den Schulen von in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern über ihre Religion erfahren und sich so ihre Identität bilden. Vor allen Dingen soll damit auch eine gewisse Anerkennung dieser Religion in den Schulen stattfinden. Damit soll der Islam zum normalen Alltag Deutschlands gehören.
Das haben wir als GRÜNE – ich war damals GRÜNE – unterstützt. Ich unterstütze das jetzt als Fraktionslose nach wie vor.
Das ist ein heikles Thema. Es kann natürlich sein, dass wir irgendwann die Situation haben werden, dass es an den Schulen Frauen gibt, die sich verschleiern. Sie werden keine Burka tragen. Das ist das, was in Afghanistan getragen
wird. Vielmehr werden sie wahrscheinlich einen Niqab tragen. So eine Situation kann durchaus irgendwann einmal auf uns zukommen.
Ich erwarte dann so viel Vorausschau – damals waren Sie noch in der Regierung –, dass, wenn man mit den islamischen Religionsverbänden am runden Tisch sitzt und darüber redet, wie die Einführung des islamischen Religionsunterrichts aussehen soll – die Vertreter dieser Verbände haben einen großen Einfluss auf die Mitglieder der Moscheegemeinden –, man sich auch darüber Gedanken macht, wie man mit solchen Situationen umgeht und welche Bekleidungsstücke zum Islam gehören oder nicht. Man hätte durchaus schon damals wissenschaftliche Anfragen einleiten oder Aufträge vergeben können. Dann hätte man jetzt eine Basis.
Ich finde es schon ein bisschen unverantwortlich, dass Sie in der Situation, in der Sie Regierungsverantwortung trugen, gar nicht in diese Richtung gearbeitet haben. Jetzt sind Sie in der Opposition. Wir haben das Jahr 2018. Das heißt, die Legislaturperiode ist quasi kurz vor dem Ende. Sie haben aus der Opposition heraus keine Kleinen Anfragen gestellt. Sie haben keine Daten und Fakten gesammelt. Sie haben keine Fachgespräche geführt. Sie haben nicht einmal die Verbände, mit denen Sie damals sehr gut zusammengearbeitet haben, im Rahmen einer Veranstaltung der FDPFraktion zusammengerufen, um einfach einmal herauszufinden, wie die Sachlage ist.
Diese Vorarbeit wurde nicht geleistet. Mit diesem Gesetzentwurf versuchen Sie jetzt wirklich, aus der falschen Ecke Zustimmung zu bekommen. Ich habe das jetzt einmal so gesagt. Es tut mir sehr leid, aber dann müssen Sie sich diesen Vorwurf anhören. Ich hätte Ihnen diesen Vorwurf gerne erspart. Wir sind in der Situation, dass der rechte Rand in dieser Gesellschaft immer stärker wird. Da brauchen wir immer mehr vernünftige, liberale oder offene, sachorientierte Menschen, die heikle Themen wie die Vollverschleierung im Islam sensibel diskutieren, die nicht den Falschen nach dem Mund reden und nicht den radikalen Islamisten nach dem Mund reden, die immer sagen: Nur eine vollverschleierte Frau ist eine gute Muslima. – Man sollte aber auch nicht den AfD-Leuten nach dem Mund reden, die in jeder kleinen Verhüllung sofort die Islamisierung des Abendlandes sehen.
Von daher tut es mir sehr leid. Meiner Meinung nach haben Sie bei dieser Debatte an der Sachlage vorbeidiskutiert.
Schleiertänze, genau. Das habe aber nicht ich gesagt. Das hast du gesagt. – Ich hoffe, dass wir keine Schleiertänze machen werden, sondern über die reale Situation in den Schulen sprechen.
Ich möchte nicht, dass die erste Muslima, die mit einer stärkeren Verschleierung in der Klasse sitzt, sofort von allen angefeindet und diskriminiert wird. Ich möchte aber auch nicht, dass sie im Rahmen ihrer Identitätsbildung denkt, nur als Vollverschleierte ist sie eine richtige Muslima. Frauen, die kein Kopftuch tragen, sich dem Islam aber zugeschrieben fühlen, sind genauso hundertprozentige Muslima.
Die Diskussion ist ganz schwierig. Einen Mittelweg hätten wir mit Ihnen finden können, aber der heutige Gesetzent
wurf hat Ihnen diese Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit leider genommen.
Tut mir leid. Das müssen Sie sich anhören, Herr Dr. Hahn. Sie hätten auch die Gelegenheit gehabt. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das ist mir bewusst, sehr verehrter Herr Präsident. – Vorab möchte ich mich erst einmal bei der SPD-Fraktion dafür bedanken, dass sie diesen Antrag gestellt und das Thema heute in die Aktuelle Stunde gebracht hat. Ich danke auch für das Engagement der LINKEN, die im Vorfeld ganz fleißig eine Presseerklärung herausgegeben und klar Haltung bezogen hat.
Roland Koch ist nicht die Person, die die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen, verdient. Diesen Umstand hat er sich selbst zuzuschreiben, weil er dieses Land gespalten hat in einer Zeit, in der es hätte zusammengehalten werden müssen.
Roland Koch hat mit seiner Wahlkampagne „Ypsilanti, AlWazir und die Kommunisten stoppen!“ dieses Land sehr tief gespalten. Ich fand es auch richtig, dass der stellvertretende Ministerpräsident Al-Wazir ihm damals die Hand verweigert hat, um zu zeigen: mit mir nicht, mit uns nicht.
Schlimm fand ich auch, dass Koch 1999 in diesem Land mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft quasi den Nährboden für die Kontroverse geschaffen hat,
wer hierher gehöre und wer nicht hierher gehöre, wen man ausgrenzen und ausweisen dürfe und wen man als dazugehörig zählen könne. Diese tiefe Wunde innerhalb der Migrantengesellschaft, speziell innerhalb der türkischen Community, ist in Deutschland und in Hessen immer noch vorhanden. Im Namen dieser Menschen können und dürfen Sie Herrn Koch diese Medaille nicht verleihen, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, Sie sind in diesem Landesparlament von uns, die damals diese Regierungsmehrheit getragen haben und tragen wollten, gewählt worden. Aber Mehrheit ist in diesem Lande nicht automatisch Wahrheit. Es kann nicht sein, dass Sie diese Entscheidung eigenmächtig treffen und dass sich ein Parlament selbst das Wort verbietet. Es kann nicht sein, dass gefordert wird, das Parlament solle dies nicht kommentieren. Das verbitte ich mir. Wir im Landtag werden das kommentieren.
Wir werden das als Landtag kommentieren. Wir werden die Stimmen der Menschen, die nicht hier sitzen, hörbar
machen. Sie haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Sie wollten Hessen sein und sind heute Hessen. Damals hat Roland Koch ihnen untersagt, Hessen zu sein. Sie wurden mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auf polemische und niedrigste Art und Weise instrumentalisiert. Diese Menschen wurden ausgegrenzt. Im Namen dieser Menschen reden wir heute hier. Im Namen dieser Menschen rede ich heute hier. Das maße ich mir an. Denn Sie meinen, sich den Willen der restlichen Hessen anmaßen zu dürfen.
Diese Menschen wollen definitiv nicht, dass Roland Koch ausgewählt wird. Ich bitte die Mitglieder der GRÜNENFraktion um Haltung, diesen Dringlichen Entschließungsantrag nicht zu beschließen. Vielmehr sollten sie am 1. Dezember 2017 vor dem Kurhaus mit demonstrieren. Sie sollten Fahne zeigen, so wie sie damals in diesem Landtag gegenüber Roland Kochs Diskriminierung Fahne gezeigt haben. Das ist es, was den GRÜNEN gut stünde. Heute sind sie Teil der Regierungsmehrheit. Morgen sind sie es vielleicht nicht mehr. Man muss auch an die Zukunft denken und nicht nur an das Jetzt. Zeigt deshalb Haltung.
Ziehen Sie diese Medaillenehrung zurück. Damals hat Roland Koch kein Problem damit gehabt, zu untersagen, dass ein angesehener Mensch wie Navid Kermani den Kulturpreis erhält. Wir haben das alle gemeinsam kommentiert und dagegen protestiert. Wir haben dafür gesorgt, dass Navid Kermani diesen Preis doch bekam. Roland Koch verdient diesen Preis heute definitiv nicht. Wilhelm Leuschner war jemand anderes. Er war ein Widerstandskämpfer. Roland Koch ist ein Spalter. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil ich im Rahmen der Rede von Herrn Ministerpräsidenten Bouffier das Gefühl hatte, als er über die Situation in Hessen gesprochen hat und auch jetzt versucht hat zu analysieren, warum wir in der Situation sind, in der
wir gegenwärtig im Bund sind – ich möchte es ganz vorsichtig ausdrücken –, dass er ein wenig nahe daran ist, Geschichtsklitterung zu betreiben. Und ich finde, das darf man so nicht stehen lassen.
Die Situation in Hessen damals war nicht so, dass das Land in einem Stillstand war oder in einer ganz schwierigen Phase war, sondern es war in einer Phase, wo erstmals das Parlament, die gewählten Abgeordneten sehr viel Macht, sehr viel Selbstbewusstsein und sehr viel Mitbestimmungsrecht hatten, meine Damen und Herren. Das ist im Grunde auch das, was wir uns in der parlamentarischen Demokratie vorstellen. Wir wollen nicht, dass in der parlamentarischen Demokratie Regierungsfähigkeit mit Steigbügelhaltung verwechselt wird, was die Regierung manchmal macht.
Wir wollen nicht, dass, wenn hier ein Parlament gewählt ist und Entscheidungen trifft, eine Regierung kommt, die nur geschäftsführend im Amt ist und sagt: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt, wir werden die Entscheidungen nicht umsetzen.
Das ist genau das, was Sie, Herr Bouffier, damals als Innenminister gemacht haben und was auch Herr Roland Koch gemacht hat, indem er bei der Abschaffung der Studiengebühren bei einem kleinen Fehler, den es im Datum gab – nämlich die Umsetzung des Gesetzes –, nicht darauf aufmerksam gemacht hat, dass deswegen dieses Gesetz nicht beschlossen worden ist. Das hätte ja die Regierung einmal als Dienstleistung zur Verfügung stellen können. Aber nein, Mehrheit ist Wahrheit, und Macht bestimmt über alles – auch über das Parlament. Das ist Ihre Haltung bei der CDU, meine Damen und Herren.
Zur Bundesebene. Ich verstehe das nicht, warum man jetzt den Deutschen Bundestag so klein macht, warum man nicht akzeptieren kann, dass ein Deutscher Bundestag mit gewählten Abgeordneten, mit einem Apparat durchaus in der Lage sein muss, eine Minderheitsregierung zu betreiben. Ich verstehe auch nicht den Druck, der jetzt auf die SPD aufgebaut wird. Denn wenn Sie diesen Druck konsequent durchrechnen, müsste die SPD eigentlich kommen und sagen – ja, von mir aus –: Wir möchten in eine Große Koalition gehen
ohne Angela Merkel. – Ihre Kanzlerin sitzt auf dem Schleudersitz. Es ist auch der Herr Seehofer, der auf dem Schleudersitz sitzt. Dass Sie in dieser Situation anfangen, das Parlament kleinzureden, die parlamentarische Demokratie kleinzureden, das ist unerträglich, meine Damen und Herren.
Von daher frage ich: Warum kann nicht die Stunde des Parlaments einfach wieder schlagen, und warum können nicht Abgeordnete bei einer Minderheitsregierung Beschlüsse fassen, wie sie sie fassen wollen? Denn in der Konsequenz heißt es ja, die Krise, in der wir heute stecken, die Krise, dass in einem Parlament nicht mehr die Parteien absolute Mehrheiten haben, hat auch etwas mit der Art und Weise zu tun, wie die CDU in den letzten zwölf Jahren regiert hat.
Sie waren seit 2005 an der Regierung, an der Macht. Sie haben in diesen ganzen Zeiten jeweils peu à peu Ihren Regierungspartner zerschlissen. Erst war es die SPD – in der ersten Phase nicht –, in der zweiten Phase die FDP und jetzt auch wieder die SPD. Wahrscheinlich wird das Gleiche auch den GRÜNEN hier in Hessen blühen, meine Damen und Herren. Von daher bitte ich darum: Die Stunde des Parlaments hat jetzt geschlagen. Man sollte eine Minderheitsregierung probieren und nicht so tun, als wären Abgeordnete des Bundestages nicht in der Lage, eine Regierung zu unterstützen.
Was die Geschichtsklitterung mit Blick auf die LINKEN betrifft: Die LINKEN regieren in Thüringen, die LINKEN regieren in Brandenburg, die LINKEN haben in Berlin regiert, und die LINKEN wären in der Lage gewesen, eine rot-grüne Regierung in Hessen zu unterstützen. Von daher: Wenn Sie als CDU nicht in der Lage sind, Mehrheiten zu organisieren, immer wieder Parlamente zum Steigbügelhalten drängen, Abgeordnete missbrauchen und meiner Meinung nach die parlamentarische Demokratie missachten, dann ist das Ihr Problem, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion. Sie können gerne das Feld räumen, es gerne anderen überlassen; aber hören Sie auf, hier so zu tun, als ob Deutschland im Rahmen seiner demokratischen Ordnung nicht von einer Minderheitsregierung regiert werden könnte. Herr Ministerpräsident, von daher brauchen Sie keine Geschichtsklitterung zu betreiben. Das möchte ich Ihnen gerne als Appell mitgeben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich schlage vor, dass wir zum Inhalt dieses Antrags zurückkommen und keine weiteren Nebelkerzen werfen, wie es Frau Wallmann und Herr Bocklet zu tun versucht haben.
Es geht einfach darum: Wenn man sagt, dass die Initiativen der Menschen vor Ort, die Initiativen von Ehrenamtlern, für diesen Landtag von Wert sind, dann ist es selbstverständlich, dass man über diese Initiativen diskutiert und nicht so tut, als ob der Bürgerwille vor Ort nichts wert sei. Sonst brauchen wir uns nämlich nicht mehr darüber zu beschweren, dass die Politikverdrossenheit immer mehr um sich greift, und brauchen uns auch nicht mehr zu fragen, warum sich die Menschen nicht mehr mit der Politik identifizieren.
Heute haben wir die Möglichkeit, den Bedarf vor Ort aufzugreifen und durch Zustimmung zu dem Antrag der LINKEN zu signalisieren: Wir nehmen den Willen, mehr geflüchtete Menschen aufzunehmen, zur Kenntnis und unterstützen diese Initiative. – Das wäre die logische Konsequenz, wenn man das ernst nähme, was Sie hier immer wieder sagen.
Die Kommunen Marburg und Darmstadt haben Beschlüsse gefasst, mit denen – im Rahmen der Solidarität mit Europa – ganz klar der Wille zum Ausdruck gebracht wird, geflüchtete Menschen, die beispielsweise in Ländern wie Griechenland oder Italien in unwürdigen Zuständen untergebracht sind, aufzunehmen, zu integrieren, ihnen eine Chance geben, weil man bei dem Verteil-Klein-Klein, bei den Verteilaktionen nicht weiter tatenlos zuschauen möchte. Was ist daran verwerflich? Das frage ich Sie, meine Damen und Herren.
Das frage ich Sie, weil Sie auf der einen Seite das Ehrenamt loben und auszeichnen wollen, auf der anderen Seite aber mehr Solidarität in Europa fordern, z. B. in der letzten Regierungserklärung. Wenn jetzt konkrete Initiativen diesen Wunsch äußern, Flüchtlinge in den Kommunen aufzunehmen, was ist daran verwerflich? Warum diskutieren Sie die ganze Zeit über die Asylpolitik im Allgemeinen, wenn es um eine konkrete Bereitschaft zur Aufnahme von Menschen vor Ort geht? Seien Sie doch einmal ehrlich. Bekennen Sie sich dazu, ob Sie den Menschen sichere Wege nach Europa und nach Hessen verschaffen wollen. Oder möchten Sie sich eher bei Sonntagsreden aufhalten und den Menschen den Eindruck geben, Sie würden eine solidarische Flüchtlingspolitik betreiben, obwohl unter dem Strich gar nichts dabei herauskommt?
Was die Abschiebungen betrifft, möchte ich daran erinnern, dass heute im Bundestag von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Antrag eingebracht werden wird, mit dem man einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan fordert. Es wird eine namentliche Abstimmung dazu geben. Wie sich die Bundes-GRÜNEN dazu positionieren werden, ist mir klar. Wie sich die Landes-GRÜNEN hierzu im November positioniert haben, ist mir auch klar.
Wenn hier irgendjemand sagt, man würde Wählerinnen und Wähler verlieren: Man sollte nicht so laut reden, wenn man im Glashaus sitzt, Herr Kollege Bocklet. Das war wirklich das Allerletzte, wenn ich das einmal so sagen darf.
Ich finde es wichtig, dass der Landtag auf das eingeht, was die Initiativen hier in Hessen fordern. Sie wollen ein Relocation-Programm. Ich finde es richtig, dass man ein neues Landesaufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge auflegt; denn überall, wo man mit Flüchtlingen zu tun hat, sei es bei Besuchergruppen oder bei privaten Begegnungen, hört man oft Aussagen wie diese: „Ich bin jetzt in Deutschland, ich habe es geschafft, Leib und Leben zu retten, ich habe mich hier integriert, ich lerne Deutsch, aber meine Frau ist noch in der Türkei, meine Kinder sind noch in Türkei.“ Von Frauen hört man oft: Ich bin alleine geflüchtet, mein Mann ist noch in Syrien, bzw. mein Mann ist noch in der Türkei. – Wir haben die Familienzusammenführung ausgesetzt, indem wir einem Teil der Leute subsidiären Schutz gewähren.
Das ist ein ganz konkretes Problem, mit dem die Menschen jeden Tag zu uns Politikerinnen und Politikern kommen, und es ist unsere Aufgabe, eine Antwort darauf zu entwickeln.
Deshalb fordere ich von der Landesregierung, die gute Idee, die sie hatte, nämlich das Landesaufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge, neu aufzusetzen und da keine finanziellen Hürden zu schaffen, damit Menschen, die Verpflichtungserklärungen abgeben, nicht in einer schwierigen Lage sind. Vielmehr sollte man diese Landesaufnahmeprogramme finanziell so ausstatten, dass kein Dritter darunter leiden muss.
Ich finde, es wird auch Zeit, dass man sich auf der Bundesebene für ein Bundesaufnahmeprogramm einsetzt; denn was die 1 Million Flüchtlinge betrifft, von denen Sie hier reden, muss ich sagen: Wenn Sie ganz ehrlich sind, müssen Sie zugeben, wir haben sie nicht aktiv aufgenommen. Wir haben keine Programme aufgelegt, mit denen wir den Leuten aktiv und legal den Weg zu uns geebnet haben, sondern sie sind selbst gekommen, und wir haben die Grenzen aufgrund der humanitären Notlage nicht geschlossen.
Das war richtig. Aber es wird Zeit, dass man jetzt aktive, legale Aufnahmeprogramme – Resettlement-Programme, Relocation-Programme – auflegt, damit die Menschen, da der Krieg in Syrien noch nicht vorbei ist, legale Wege finden und sich nicht in diese Boote setzen und im Mittelmeer ertrinken. Das ist mein Appell an Sie.
Lassen Sie also das parteipolitische Klein-Klein, den Pingpongball zwischen sich und der LINKEN hin- und herzuschlagen.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Es ist wichtig, dass wir legale Wege schaffen. Das liegt in Ihrer Hand. Sie sind im Bund in der Verantwortung. Hier sind Sie ebenfalls in der Verantwortung. Meine Damen und Herren, machen Sie etwas, und werfen Sie keine Nebelkerzen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal klar feststellen, dass sich der Sinn unseres Antrags nicht erledigt hat. Es ist makaber, dass ein Anschlag, der jüngst stattgefunden hat, quasi dazu geführt hat, dass der Abschiebeflug gestoppt wird – aber nicht aufgrund der Situation und der Sicherheitslage vor Ort, sondern aufgrund der schwierigen technischen Umsetzung. Das zeigt, dass die Einschätzung der Situation vor Ort unterschiedlich ist. Dass ein aufgehobener bzw. aufgeschobener Abschiebeflug schnellstmöglich stattfinden soll, zeigt, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Antrag heute diskutiert wird und, so hoffe ich, auch eine Mehrheit findet; denn in diesem Hause ist schon einmal durch eine Koalition eine Mehrheit für einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefunden worden. Ich möchte sagen, dass es solche und solche Koalitionen gibt. In der 2. Plenarsitzung der 17. Legislaturperiode am 9. April 2008 haben wir es hier schon einmal hinbekom
men, eine Mehrheit für einen Abschiebestopp nach Afghanistan zu erreichen.
Damals haben wir gemeinsam festgestellt, dass die Situation vor Ort eine ganz schwierige ist. Diese hat sich in den letzten neun Jahren nicht verändert, sondern ist heute noch schlimmer. Deswegen ist dieser Beschluss notwendiger denn je. Ich bitte darum, dass die Worte, die hier klingen, und das Beileid, das bekundet wird – das auch ich bekundet habe –, auch Konsequenzen zur Folge haben. Diese Konsequenz kann nur sein, dass Sie unseren Antrag unterstützen und ein genereller Abschiebstopp auch von diesem Hause als Signal gesendet wird und deswegen eine Mehrheit findet, meine Damen und Herren.
Warum sage ich das? Es geht einfach darum, dass sich die Situation vor Ort in den letzten Jahren verschlimmert hat und die Einschätzung vieler Menschenrechtsorganisationen immer noch die gleiche ist. Nur der politische Wille ist der einzige Punkt, der dieser Realität keine Rechnung trägt und verhindert, einen Abschiebestopp zu erreichen.
Wir haben Menschen in Hessen, die betroffen sind. Es ist nicht nur die von Herrn Bocklet erwähnte Gruppe, sondern es sind auch in jeder Besuchergruppe zum Plenum afghanische Flüchtlinge dabei, die sagen, dass sie eine Ausbildung absolvieren würden und nicht wüssten, was passiert und ob sie betroffen seien oder nicht. Die gestern von Herrn Innenminister Beuth getroffene Aussage, dass prioritär nur Straftäter abgeschoben werden sollen, ist nicht beruhigend. Ich bin der Meinung, dass Menschen, wenn sie Straftaten begangen haben, in unseren Gefängnissen inhaftiert werden und die Strafe absitzen sollten. Aber es kann nicht sein, dass man sie jetzt in ein Land wie Afghanistan abschieben und das Ganze unter „humanitären Gesichtspunkten“ verkaufen möchte.
Ich bitte Sie, zur Einsicht zu gelangen und unseren Antrag zu unterstützen. Wie gesagt: Herr Bocklet, ich finde Ihre Ansage gut, indem Sie klar gesagt haben, dass es unterschiedliche Positionen gibt.
Ich habe um 15 Sekunden überzogen. – Nur, Unterschiede zu kommunizieren, ohne Taten folgen zu lassen, das geht nicht.
In Anbetracht dieser Angelegenheit bitte ich wirklich um eine Mehrheit, und ich bitte wirklich um einen Abschiebestopp, weil es einfach nichts bringt, immer wieder zu dis
kutieren, schöne Worte zu bekunden, aber keine Taten folgen zu lassen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Innenminister Beuth, handelt es sich bei den vier Personen aus Hessen, die morgen der Abschiebung zugeführt werden sollen, um straffällige Personen? Handelt es sich dabei um männliche oder weibliche Personen und Menschen mit Familienbindungen in Deutschland, in Hessen?
Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Ich bin den LINKEN dankbar, dass sie dieses Thema heute aufgegriffen haben und eher Fragen gestellt haben. Sie haben versucht, den Finger in die Wunde zu legen; denn es gibt in Deutschland und auch in Hessen viele Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund, entweder vor Kurzem geflüchtet oder auch schon länger in Deutschland lebend, die sich große Sorgen machen, die sich schutzlos fühlen und die das Gefühl haben, dass bei der rechtsextremistischen Gewalt die Menschen nicht so in Schutz genommen werden, wie es sein müsste. Von daher danke, dass das als Thema aufgegriffen worden ist.
Frau Gnadl hat auch sehr ausführlich dargestellt, dass das Thema schon seit Längerem im Hessischen Landtag debattiert wird. Was ich aber nicht stehen lassen kann, Herr Bellino, ist, wenn Sie behaupten, dass man mit allen Möglichkeiten, die man hat, gegen Rechtsextreme vor Ort agiert. Es werden Projektgelder zur Verfügung gestellt. Das ist das eine, und das stimmt.
Es gibt vor Ort aber auch Bündnisse. Ich möchte das Beispiel Wetzlar nennen, wo wir am 22. April gemeinsam mit Gewerkschaften, mit Kirchen, mit den GRÜNEN, mit den LINKEN, mit allen Parteien, die vor Ort sensibel sind, ein breites Bündnis aufgerufen haben, um gegen Rechtsextreme, gegen die NPD, die in Wetzlar demonstriert hat, eine Gegendemonstration zu veranstalten,
um ihnen keinen Platz in Wetzlar zu lassen. Ich sage Ihnen, wer von den Abgeordneten aus dem Hessischen Landtag anwesend war. Anwesend war Herr Grüger. Anwesend war Herr Schaus. Anwesend war meine Wenigkeit. Anwesend war die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt. Ausdrücklich eingeladen war Herr Clemens Reif. Herr Irmer ist, glaube ich, auch gefragt worden. Die CDU vor Ort ist gefragt worden, ob sie diese Demonstration gegen die NPD unterstützt. Man hat einen sehr zynischen, sarkastischen Brief von der CDU bekommen, warum man nicht bereit sei, an so einer Demonstration teilzunehmen. Sie haben das eher als Klamauk abgetan.
Während dort 800 Leute demonstriert und ganz klar versucht haben, der NPD in Wetzlar keinen Raum zu geben,
haben die CDU-Abgeordneten vor Ort gefehlt. Das ist eine Schande. Ich finde, das müssen Sie intern klären.
Meine Damen und Herren, wer wirklich gegen Rechtsextremismus vorgehen möchte, muss vor Ort Gesicht zeigen. Mit Projektgeldern alleine funktioniert das nicht.
Ich komme zum Schluss. Es geht darum, dass innerhalb der Strukturen, sei es bei den Sicherheitsbehörden oder auch in der Verwaltung, etwas getan wird. Ich denke beispielsweise an die zwei Polizisten, die unter dem Verdacht stehen, Reichsbürger zu sein, oder auch an diesen Bundeswehrsoldaten. Wir brauchen ein Konzept dafür, was man gegen solche Gesinnungen innerhalb von staatlichen Strukturen macht. Dazu habe ich noch keine Antwort. Ich denke, Herr Beuth wird darauf gleich noch ein paar Dinge sagen.
Aber immer, wenn man über Rechtsextremismus spricht, auch den linken Extremismus oder den Salafismus zu nennen, dagegen war ich immer. Ich finde, da muss man differenzieren. Der rechte Extremismus und die rechte Terrorgefahr in Deutschland werden immer größer. Schauen Sie bitte hin, und banalisieren Sie es nicht. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bocklet, Frau Kollegin Wallmann, erstens ist es schon sehr schäbig und unterste Schublade, wenn Methoden verwendet werden, wie aus einer geschlossenen vertraulichen Sitzung des Petitionsausschusses Nummern zu zitieren, ohne dass andere wissen, was dort genau passiert ist.
Frau Wallmann, zweitens argumentieren Sie damit, dass er aus der Klinik abgeschoben wurde, weil er dorthin laufen konnte. Deswegen habe der Fall nicht so schlimm gewesen sein können. – Es tut mir leid, das ist unterste Schublade und zeigt, wie eng bei Ihnen der Schuh drückt und wie viel schiefgelaufen ist.
Wenn Petitionen nach Sach- und Rechtslage entschieden werden, dann hatten wir in den Petitionsausschusssitzungen immer die Situation, dass wir mit der Rechtslage nicht zufrieden waren,
dass wir am liebsten eine andere Entscheidung getroffen hätten und dass wir sie nie durchsetzen konnten, weil die Rechtslage auf Bundesebene so war, wie sie war, was ja auch von einem Parlament gemacht wird. Deswegen haben wir auch immer argumentiert: Die rechtliche Grundlage muss sich ändern. Es muss ein liberales Migrationsrecht her.
Deswegen haben auch viele versucht, nachher in der Härtefallkommission die Personen und die Einzelfälle einigermaßen positiv zu retten. Sich jetzt darauf zu berufen und zu sagen, dass die Rechts- und Sachlage quasi ein Zeichen dafür war, dass man das akzeptiert habe, finde ich schäbig und nicht akzeptabel. Ich für mich weise das zurück.
Es gibt nämlich ganz viele Fälle, die wir nachher in den Härtefällen versucht haben zu retten.
Jetzt zu diesem Fall hier.
Es gehört sich nicht, dass, wenn Menschen sich in posttraumatischer Belastungsstörung befinden und in Behandlung sind und wenn sich die Situation verschlechtert hat, man diese Leute aus der Klinik heraus abschiebt.
Das gehört sich nicht.
Es können nachher Situationen entstehen, in denen eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst wird. Es kann ja sein, dass, wenn man diesem Menschen jetzt mit der Ausreise gedroht hat, aufgrund dessen die Erkrankung verstärkt worden ist. Das wird gar nicht zur Kenntnis genommen, sondern es wird so getan, als ob von vornherein eine Krankheit suggeriert worden sei.
Von daher möchte ich noch ganz klar sagen: Es soll weder aus Schulen noch sollen Menschen abgeschoben werden, die in psychotherapeutischer Behandlung wegen traumatischer Störungen sind.
Das ist nämlich ein Resultat der Asyl-I- und -II-Pakete. Weil man die Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt hat, möchte man jetzt alles aus diesen Ländern, was nicht niet- und nagelfest ist, abschieben. Das ist eine inhumane Abschiebepraxis. In diesem Einzelfall haben wir gesehen, dass einiges schieflaufen kann.
Von daher bitte ich darum, nicht so zu tun, als ob die Opfer bzw. die abgeschobenen Menschen Krankheiten vorgaukeln würden und als ob das richtig gewesen wäre, dass man sie abgeschoben hat. Es ist inhuman, und es bleibt inhuman. – Einzelne Details wird der Innenminister im Ausschuss besprechen.
Trotzdem muss man das verurteilen, was hier passiert ist. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will daran erinnern: Für mich ist der Haupttagesordnungspunkt am heutigen Tag die Debatte um die Freilassung von Deniz Yücel. Ich möchte meine Rede mit dem beginnen, wie er es beschrieben hat, was gerade mit ihm passiert:
… das Alleinsein ist schon fast eine Art Folter. … Die Zelle ist vier mal vier Meter groß. Durch das Fenster sehe ich nur eine sechs Meter hohe Mauer. Den Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer. … Weder meine eigene Situation noch die dieses Landes, das ich trotz allem liebe, werden so bleiben, wie sie sind.
So beschreibt Deniz Yücel Anfang dieses Monats seine Haft. Solange er in dieser Situation ist und trotzdem voller Hoffnung ist, dass sich etwas ändert, finde ich es richtig, dass heute ein Antrag von SPD, DIE LINKE und FDP gestellt worden ist – ich hoffe, mit Zustimmung des ganzen Hauses –, der die Freilassung von Deniz Yücel fordert.
Denn Deniz Yücel ist ein Journalist, und Deniz Yücel hat nichts Schlimmes getan, außer seinem Beruf nachzugehen, kritische Fragen zu stellen über die Situation des Südostens, über die Stadt Cizre. Er hat nichts Schlimmes getan, außer kritische Fragen zu stellen, was die suspekten Energiegeschäfte des Schwiegersohns des Präsidenten Erdogan betrifft, und er hat in vielen anderen, sehr unbequemen Situationen die richtigen Fragen gestellt. Von daher ist es unverhältnismäßig, dass Deniz Yücel aufgrund dieser Berichterstattung heute im Gefängnis sitzt und als Krimineller oder Terroranhänger bezichtigt wird. Von daher fordere ich erneut die sofortige Freilassung von Deniz Yücel.
Wie Deniz Yücel sitzen 150 weitere Journalistinnen und Journalisten ein. In der aktuellen Situation, wo es einen angeblich demokratischen Prozess zum Referendum in der Türkei gibt, wären genau solche Journalisten wichtig, die
darüber aufklären, welche Konsequenzen diese Verfassungsänderung hat und welche nicht. Leider sitzen diese kritischen Journalisten im Gefängnis, und alle die, die in der aktuellen Situation in der Türkei gegen eine Verfassungsänderung werben wollen, werden gleichermaßen wie Deniz Yücel des Terrors bezichtigt. Sie werden bezichtigt, kriminellen Gruppierungen anzugehören, und werden mundtot gemacht.
Von daher ist es wichtig, dass wir auch von Deutschland aus ganz klar für ein Nein zur Verfassungsänderung in der Türkei werben, dass wir die in Deutschland lebenden Staatsbürger türkischer Nation dazu auffordern, kritisch über diese Verfassungsänderung nachzudenken, und ihnen sagen, dass sie, wenn sie mit einem Nein ihrem demokratischen Recht nachkommen, keine Kriminellen, sondern Demokraten und Bürger dieses Landes sind.
Ich komme zum Ende. – Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. – Dass Deniz Yücel mutig ist, haben wir heute gesehen. Ich wünsche nun diesem Haus so viel Mut, dem Antrag von SPD, LINKEN und FDP zuzustimmen und damit das Signal zu senden, dass wir Deniz Yücels Freiheit möchten. – In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr verehrter Herr Präsident! Ich bin der SPD ganz dankbar, dass sie in der Aktuellen Stunde heute das Thema der Optionspflicht aufgerufen hat, damit die Hessen auch klar Position beziehen können.
Denn auch dieses Land Hessen hat etwas mit der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft zu tun. Auch ich möchte daran erinnern, wie vor 18 Jahren die Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft in Hessen ganz tiefe Wunden bei den türkeistämmigen Menschen gerissen hat, weil sie als Menschen, die hier jahrelang gearbeitet haben, Steuern bezahlt haben und ihre bürgerlichen Pflichten erfüllt haben, auf einmal Zielscheibe einer Wahlkampagne geworden sind. Diese tiefen Wunden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bis heute nicht geheilt.
Deswegen haben sich auch viele türkeistämmige Menschen, als es heute um die 70-Jahr-Feier von Hessen ging, nicht mitgenommen gefühlt. Das ist in diesem Hessischen Landtag dem ehemaligen Ministerpräsidenten Koch zu verdanken, und auch die Hessen-CDU hat sich niemals davon distanziert. Das möchte ich hier festhalten.
Bei der doppelten Staatsbürgerschaft möchte ich noch einmal klarmachen: Mir wäre es lieb, wenn es eine generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit gäbe. Mir ist auch klar, dass mit der CDU in der großen Koalition im Bund nur die Optionspflicht als Kompromiss möglich war. Diese abgeschaffte Optionspflicht jetzt wieder einzführen angesichts junger Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, hat nichts mehr mit Integration zu tun. Das hat mit Ausgrenzung zu tun, wenn man diesen jungen Leuten sagen will: Entscheide dich zwischen der einen oder der anderen Staatsbürgerschaft.
Hinzu kommt: Die Iraner können die Staatsbürgerschaft behalten, die Marokkaner können sie behalten, die EUStaatsbürger können sie behalten, ein Herr Al-Wazir kann sie behalten, und mein Mann kann sie behalten, weil er eine deutsche Mutter hat; aber bei den türkeistämmigen Menschen – es geht um die türkeistämmigen Menschen, die seit Jahren hier arbeiten, hier ihre Steuern zahlen, deren Kinder hier geboren sind – sagen wir auf einmal: „Stopp, deine doppelte Staatsbürgerschaft betrachte ich als Loyalitätskonflikt“, und das ist einfach – das sage ich noch einmal, diesen Begriff habe ich gestern auch benutzt – pure Willkür.
Es ist eine Ausgrenzung, und dann brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, wenn die Menschen sich nicht nach Hessen orientieren, nicht den Ministerpräsidenten Bouffier als ihren Ministerpräsidenten sehen oder die Bundeskanzlerin Angela Merkel als ihre Bundeskanzlerin, sondern wenn sie sich nach Istanbul oder nach Ankara an diesem undemokratischen Erdogan orientieren.
Ich wünsche mir, dass wir so, wie wir die AfD-Wählerinnen und -Wähler gewinnen wollen, auch diese türkeistämmigen Menschen für diese Gesellschaft gewinnen. Dann können wir ihnen nicht sagen: Entscheide dich zwischen der einen oder der andern politischen Identität. – Es geht um Teilhabe, um politische Teilhabe. Es geht nicht nur um Integration.
Deswegen hoffe ich, dass mit der nächsten Bundesregierung – ich höre auf; das ist mein letzter Satz – endlich die
generelle Mehrstaatigkeit eingeführt wird und die Optionspflicht auf gar keinen Fall wieder eingeführt wird. – Herzlichen Dank.
Meine sehr verehrte Präsidentin, liebe Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich etwas zur inhaltlichen Debatte sage, möchte ich gerne eine Bemerkung dazu machen, dass es auch unparlamentarisch ist, wenn im Hessischen Landtag zu Kommentaren von Abgeordneten die Regierungsbank klatscht und ihre Meinung kundtut.
Ich finde, das gehört nicht dazu. Das kann das Parlament schon alleine regeln. Dafür haben wir ein Präsidium, und wenn die Landtagspräsidentin schon eine Rüge dazu ausgesprochen hat, ist das ausreichend. Die Regierungsbank möge sich in Zukunft bitte darin zurückhalten; denn das Spiel in diesem Parlament funktioniert so, dass wir die Regierung kontrollieren und nicht die Regierung uns kontrolliert.
Mit dem Begriff bin ich nicht einverstanden, das ist nicht meine Wortwahl. Ich würde das so auf keinen Fall benennen. Trotzdem ist es die Entscheidung der Abgeordneten selbst, und das will ich auch gar nicht kommentieren. Ich möchte nur sagen, dass es nicht meine Begrifflichkeit ist – es ist aber ihre eigene Entscheidung, und die Regierungsbank hat dazu ihre Kommentare zu unterlassen. Das gehört auch zur parlamentarischen Demokratie und zur Gewaltenteilung. Daran möchte ich nur einmal kurz erinnern, meine Damen und Herren.
Nun zur geplanten Abschiebung. Was für mich aber interessant ist, wenn wir heute über die Abschiebung nach Afghanistan diskutieren, dass immer wieder die gleichen und unterschiedlichen Argumente vermischt werden und dass immer wieder versucht wird, Argumente anzuführen, warum der Grund für das, was wir 2008 gemeinsam in diesem Landtag beschlossen haben, nämlich einen Abschiebestopp nach Afghanistan – während sich die Situation dort heute gegenüber damals nicht mehr verbessert hat –, also das, was damals nicht in Ordnung war, heute auf einmal in Ordnung sein soll. Das zeugt einfach von politischer Willkür, das finde ich nicht in Ordnung. Das wird auch der Si
tuation der Menschen, die nach Afghanistan abgeschoben werden, keinesfalls gerecht.
Ich möchte dazu einfach eine Presserklärung zitieren und zum Schluss sagen, wer diese geschrieben hat:
Abschiebungen in ein Kriegsgebiet sind nicht nur ein humanitärer Tabubruch. Die hier bekannt gewordenen Fälle zeigen,
beispielsweise Hamburg, da ist ein Härtefall noch gar nicht abgeschlossen –
dass selbst integrierte Menschen mit festen Bindungen in Deutschland, ethnische Minderheiten und Kranke abgeschoben werden sollen. Der Bundesinnenminister und die beteiligten Landesinnenminister riskieren dabei das Leben und die Unversehrtheit der Betroffenen.
Die Afghanistan-Politik des Bundesinnenministers will auf Biegen und Brechen ein Exempel statuieren, um potenziellen Schutzsuchenden in Afghanistan zu zeigen, dass die Flucht nach Deutschland keine Perspektive für sie biete. Mit ihrem Verweis auf angeblich sichere Regionen in Afghanistan schafft sich diese Bundesregierung ihre eigene Wirklichkeit. Das hat mit einer verantwortungsbewussten Außen- und Innenpolitik nichts mehr zu tun.
Anders als von der Bundesregierung behauptet, ist eine Unterstützung derer, die nach Afghanistan abgeschoben werden, nicht gegeben. Die Abholung durch die International Organization for Migration am Flughafen ändert nichts an dem Dilemma, dass die Perspektiven für die Zwangsrückkehrer in Afghanistan so schlecht sind wie die Sicherheitslage dort.
Dass sich etliche grün mitregierte Länder an der Sammelabschiebung nicht beteiligen, zeigt, dass dieser Weg nicht als alternativlos angesehen wird und dass weiter dringende Sicherheitsbedenken gegenüber zwangsweisen Rückführungen nach Afghanistan bestehen.
Die grüne Bundestagsfraktion spricht sich mit Blick auf die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan für einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan aus.
Das war eine Erklärung der Kollegin Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin im Bundestag.
Wenn wir es selbst nicht besser wissen, können wir uns gerne Rat holen. Sowohl Pro Asyl als auch die Ärzteorganisation IPPNW, der niedersächsische Flüchtlingsrat, Amnesty International und der Hessische Flüchtlingsrat sprechen sich gegen eine Abschiebung nach Afghanistan aus. Von daher haben wir hier genug sachliche Kompetenz, um uns beraten zu lassen. Ich finde, dass wir diese sachliche Kompetenz nutzen und heute einen Abschiebestopp nach Afghanistan beschließen sollten, da die aktuelle Kriegssituation Abschiebungen auf keinen Fall zulässt. Wir sollten auch die Prüfung des Außenministeriums abwarten, weil man nämlich auch dort große Bedenken hat
und Mitarbeiter Opfer der Situation in Afghanistan geworden sind.
Das Ministerium hat eine Reisewarnung ausgesprochen. – Von daher wünsche ich mir heute eine klare Haltung, eine klare Position, dass man sich nämlich gegen Abschiebungen ausspricht. Von der Sammelabschiebung sind 50 Personen betroffen. Man will mit dieser Sammelabschiebung ein Exempel statuieren. Das sollten wir aber nicht auf dem Rücken der Menschen tun, die vor Jahren aufgrund einer Kriegssituation zu uns geflüchtet sind. Im Umkehrschluss würde diese Haltung wahrscheinlich bedeuten, dass wir in zwei bis drei Jahren anfangen, Menschen nach Syrien abzuschieben. Die Argumentation, dass es dort sichere Regionen gibt, könnte man schon heute auf Syrien anwenden.
Damaskus ist super sicher, wenn man ein Assad-Befürworter ist. – Das ist ein Hohn, meine Damen und Herren. Von daher gesehen, finde ich nicht, dass wir uns in diesem Hause Bayern und Hamburg anschließen sollten, sondern wir sollten uns den Bundesländern anschließen, die eine Sammelabschiebung nach Afghanistan nicht unterstützen. Das wäre ein klares Zeichen der Humanität.
Frau Präsidentin, ich will die zweieinhalb Minuten gar nicht ausschöpfen. Aber ich möchte den Herrn Innenminister einmal fragen: Sind bei diesen 50 Personen, die um 18:30 Uhr abgeschoben werden sollen, auch Hessinnen und Hessen dabei? Die andere Frage – Herr Bellino, Sie haben gerade von Frau Wissler die Einzelbeispiele vorgeführt bekommen – ist: Waren sie Ihnen bisher bekannt? War Ihnen bekannt, dass auch eine Person, die seit 21 Jahren hier lebt, abgeschoben werden soll? Und wie gehen Sie, da Sie sich eigentlich selbst widersprechen, mit dem Konflikt um? Auf der einen Seite berufen wir uns hier auf die Rechtsstaatlichkeit; auf der anderen Seite gab es die politische Entscheidung, Flüchtlinge in Flüchtlinge mit guter und schlechter Bleibeperspektive einzuteilen, wogegen ich definitiv bin, was die Bundesregierung aber gemacht hat.
Es hieß, wenn über 50 % der Flüchtlinge eine Schutzquote haben, dass diese als Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive betrachtet werden sollen. Im Falle von Afgha
nistan sind das bereinigt sogar 60,4 %. Gemäß Geschäftsstatistik des BAMF haben die Menschen aus Afghanistan eine über 60-prozentige Schutzquote. Theoretisch gesehen, müssten diese Menschen dann zur Gruppe mit einer guten Bleibeperspektive gehören und für die Integrations- und Sprachkurse zugelassen werden. Dies werden sie heute aber nicht. Warum? – Weil man politisch ein Exempel statuieren will, weil man politisch die humanitäre Frage außer Acht lässt. Deswegen können Sie sich nicht auf der einen Seite hinter dem Recht verstecken, auf der anderen Seite aber politisch rechtliche Vorgaben brechen. Das ist nicht konsequent. Das ist inhuman. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Ich möchte daher gern von Herrn Innenminister Beuth wissen: Sind afghanische Asylbewerber in dieser Sammelabschiebung dabei, ja oder nein? Als Parlament haben wir den Anspruch, dies erfahren zu dürfen und uns diese Information nicht auf irgendeinem anderen Wege besorgen zu müssen. Daher möchte ich wissen: Sind Hessen dabei? Ich hoffe, Sie antworten hierauf. – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin doch ganz froh, dass wir, wenn auch zu später Stunde – 18:20 Uhr, am 24. November –, über die Situation in der Türkei gemeinsam debattieren, bisher auch sehr sachlich und friedlich. Ich werde mir auch Mühe geben, weiter sachlich zu argumentieren; denn in der Tat: Es geht hier um die Sache.
Es geht hier um die Solidarität mit den parlamentarisch gewählten Abgeordneten in der Türkei, mit der Zivilgesellschaft, mit den kritischen oppositionellen Stimmen, die nichts, aber auch gar nichts, mit dem Putsch zu tun haben, sondern die Türkei in ihrer Demokratie stärken wollen. Je stärker unser gemeinsames Signal nach Ankara, nach Istanbul, nach Diyarbakir wirken kann, desto wirkungsvoller ist auch das, was wir hier tun. In dem Sinne: Ich hoffe, dass wir hier weiterhin an einem Strang ziehen können.
Seit dem 21. Juli ist in der Türkei der Ausnahmezustand ausgerufen. Präsident Erdogan hat hier Notstandsverordnungen ausgerufen, indem er am Parlament vorbei per Dekret Gesetze erlassen kann. Das hat zur Folge, dass aktuell zehn Abgeordnete der HDP-Partei, der prokurdischen Partei, in Haft sind, darunter die beiden Kovorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Figen Yüksekdag ist keine Kurdin, sondern eine Türkin. Selahattin Demirtas ist kurdisch-stämmig, und beide haben versucht, mit der HDP erstmals die Multikulturalität, Multireligiosität und die Vielfalt der Türkei in dieser Partei darzustellen.
Deswegen ist sie am 1. November bei den zweiten Wahlen die drittstärkste Kraft im türkischen Parlament und die zweitstärkste Opposition geworden. Meine Damen und Herren, wenn heute die zweitstärkste Opposition ihrer Abgeordneten beraubt wird, zehn von ihnen unter angeblichem Terrorverdacht im Gefängnis sitzen, und 18 Journalistinnen und Journalisten der „Cumhuriyet“-Zeitung in Haft sind, ist das für mich faktisch die Aussetzung der parlamentarischen Demokratie in der Türkei.
Es ist nicht die Rettung der parlamentarischen Demokratie, wie Erdogan es nach dem Putsch zu verkünden versuchte. Hinzu kommt, dass 54 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der überwiegend kurdischen Region mittlerweile in Haft sind, und diese Menschen sind von über 50 % ihrer regionalen kurdischen Bevölkerung gewählt worden.
Was ich damit sagen möchte: Wenn Menschen, die sich sehr für Demokratie und Vielfalt eingesetzt haben, wie Ahmet Türk, der Bürgermeister von Mardin, jetzt inhaftiert sind, wenn Journalistinnen und Jornalisten wie Asli Erdogan, Ahmet Altan und Mehmet Altan inhaftiert sind, wenn Necmiye Alpay, eine namhafte Wissenschaftlerin in der Türkei, heute ihren 60. Geburtstag im Gefängnis feiern muss, dann sind das keine rechtsstaatlichen Zustände mehr, sondern dann ist das ein Land, das nichts mehr mit Demokratie zu tun hat.
Trotzdem wünsche ich mir, dass wir von Hessen aus – ich weiß, meine Zeit ist überschritten – nach Initiativen suchen, wie wir den Faden in die parlamentarische Demokratie zur Türkei aufrechterhalten. Ich wünsche mir, dass wir vielleicht eine Art Patenschaften von Parlamentariern zu Parlamentariern begründen können, wie es der Bundestag gemacht hat.
Ich wünsche mir, dass wir die Beitrittsverhandlungen nicht aussetzen, sondern mit der Zivilgesellschaft ganz eng zusammenarbeiten können, und ich wünsche und fordere die Entlassung der inhaftierten Abgeordneten aus dem türkischen Parlament. Eine parlamentarische Demokratie – ich komme zum Ende – funktioniert nur mit Oppositionsparteien. In dem Sinne bitte ich darum, dass auch unser Antrag angenommen wird oder zumindest eine Enthaltung der Regierungskoalition zustande kommt. – Ich danke für Ihr Interesse. Herzlichen Dank.
Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Beuth, ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie sich hier zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung gestellt haben. Deshalb habe ich mich auch sehr über den Antrag der Koalitionsfraktionen gewundert, weil sie offensichtlich schon mehr vom Sachverhalt wussten und schon mehr dazu sagen konnten als wir. Ich möchte nur sagen: Mit den Krokodilstränchen und mit dem Bedauern lasse ich Sie hier nicht aus der Pflicht.
Meine Damen und Herren, das, was hier passiert ist, ist ein skandalöser Höhepunkt der Abschiebepraxis in Hessen unter Schwarz-Grün seit der Beschlussfassung über die sicheren Herkunftsstaaten, was die Westbalkanstaaten betrifft
und was von vielen seit Monaten beklagt wird. Jetzt hat das einen Höhepunkt erreicht, nämlich damit, dass eine 16-Jährige aus der Schule heraus Instrument dieser unmenschlichen Abschiebepraxis wurde – das brauchen wir nicht damit schönzureden, dass die Behörden das super und die Polizeibeamten das sehr sensibel gemacht hätten.
Meine Damen und Herren, das ist nicht in Ordnung. Wir hatten einmal einen Konsens in diesem Haus. Der Konsens ging dahin, dass junge Menschen, wenn sie in der Schule sind oder eine Ausbildung haben, geduldet werden und dass wir das abwarten. Denn es gibt inlandsbezogene Abschiebehindernisse. Die gehören zu dem Gesetz dazu. Die werden hier leider außer Acht gelassen.
Wir waren auch so weit, dass wir illegalisierte Kinder beschult haben. Was sind denn illegalisierte Kinder? Das sind Kinder ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsstatus. Das sind eigentlich ausreisepflichtige Kinder. Wir waren aber einmal gemeinsam mit der SPD der Meinung, dass wir sie beschulen und ihnen Schule und Beschulung zugestehen müssen; denn Bildung ist ein Menschenrecht. Meine Damen und Herren, das hört bei einer 16-jährigen Schülerin nicht auf.
Deswegen haben Sie einen Konsens aufgekündigt, den wir in den letzten Jahren hatten.
Ich sage Ihnen noch eines: Es wird von vielen Menschenrechtsorganisationen in den letzten sechs Monaten über ganz dramatische Abschiebefälle berichtet. Seitdem die sicheren Herkunftsstaaten beschlossen worden sind, wird hier in Hessen – ohne Rücksichtnahme auf Krankheit, Operationstermine oder beschulte Kinder – auf Menschen aus dem Westbalkan sehr viel Druck gemacht, wenn sie nicht freiwillig ausreisen. Es wird gnadenlos abgeschoben, erst über Kassel-Calden, jetzt über Frankfurt. Das ist nicht in Ordnung.
Kommen Sie zurück, wenn Sie eine humane Flüchtlingspolitik machen wollen. Hören Sie auf mit dieser Doppelmoral. Das ist die Konsequenz, die sie tragen müssen, wenn Sie im Bundesrat solchen Gesetzen wie Asylverschärfungspaketen und einer Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten zustimmen. Deshalb lassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir fordern zusammen mit den LINKEN – und wahrscheinlich auch der SPD –, dass so eine Art der Abschiebepraxis ausgesetzt wird. Das hat nichts mit einer humanen, europarechtlich konformen Abschiebepraxis zu tun.
Ich bin dagegen – und ich bin dafür, dass das aufhört.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Einzelplan 08, das Thema Soziales, Integration und Flüchtlinge ist hier ausreichend diskutiert worden. Ich hatte mir sogar überlegt, ob ich dazu meine Sicht der Dinge zum Besten gebe. Eigentlich dachte ich, ich mache es nicht. Aber wenn Kollege Bocklet hier ein Bild darstellt, als ob wir schon eine Infrastruktur für Integration hätten, dann muss ich leider doch aufstehen und dem widersprechen. Denn da sind wir noch nicht, lieber Kollege Bocklet.
Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir uns in diesem Hause Gedanken darüber machen, wie wir in den nächsten Jahren Integration sowohl von geflüchteten Menschen als auch von anderen Menschen, die auf legalem Arbeitswege zu uns migriert sind, gemeinsam hinbekommen können. Das bekommen wir aber nicht hin, wenn wir uns – im letz
ten Jahr angefangen, dieses Jahr fortsetzend – immer nur für die Arbeit loben, die die Landesregierung bisher gemacht hat. Sie hat vieles sehr gut gemacht, einverstanden, aber es gibt auch Lücken, die man heute auch benennen muss. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir in ein paar Jahren die Menschen nicht dort abholen können, wo wir sie abholen wollen.
Was ist die Kritik? Die Kritik ist zum einen: Wir haben uns in der Enquetekommission „Migration und Integration“ in der letzten Legislaturperiode mindestens zweieinhalb Jahre gemeinsam Gedanken darüber gemacht, wie Integration in diesem Land funktionieren kann, wenn wir aus der Projektitis heraus wollen und nicht immer nur von Projekt zu Projekt arbeiten, alle drei Jahre neu oder, maximal dreimal verlängert, knapp zehn Jahre.
Wie können wir infrastrukturelle Maßnahmen zur Verfügung stellen, damit Integration nachhaltig funktionieren kann? Viele dieser Themen haben wir uns in zehn bis zwölf Punkten in der Enquetekommission angeschaut. Damals war auch schon klar: In diesem Land wird Migration, wird Flucht ein Thema sein. Es war schon klar und vonseiten der Opposition immer wieder kommuniziert: Wenn wir uns vorbereiten wollen, dann müssen wir das früh machen. Sonst werden wir mit den Projektstrukturen, die wir in Hessen haben, nicht überleben.
Was ist im letzten Jahr passiert? Im letzten Jahr sind unerwarteterweise sehr viele Flüchtlinge gekommen, fast 1 Million nach Deutschland, 70.000 nach Hessen. Wir haben versucht, in der ersten Phase die Unterbringung dieser Leute zu organisieren. Das war auch gut. Die Pflichtaufgabe, die wir in der ersten Phase hinbekommen haben, dass es eben keine Obdachlosigkeit usw. gibt, das war gut organisiert.
Aber ich glaube, hier dürfen wir keinen Punkt machen. In der Integration fehlt mir nach wie vor der Ansatz, das Konzept, wie es strukturell finanziert werden kann, wie wir die Kommunen strukturell dazu in die Lage versetzen, Menschen dort abzuholen, wo sie es können.
Da sind wir noch nicht. Ich habe einen Vorschlag, wie wir das vielleicht anders organisieren können, als nur die Landesregierung zu loben. Ich lobe Sie gerne, wo Sie gut sind, lieber Herr Grüttner und liebe Landesregierung insgesamt. Aber damit ist meiner Meinung nach niemandem geholfen; denn in ein paar Jahren werden wir die Probleme trotzdem haben und uns Gedanken machen.
Von daher mein Appell: Nutzen Sie den konstruktiven Willen der Opposition. Versuchen Sie, gemeinsam ein nachhaltiges Integrationskonzept zu etablieren und uns nicht mehr oder weniger zu provozieren, Ihnen immer wieder Ihre Fehler vorzuhalten. Seien Sie bereit, auf die Kritik einzugehen.
Was ist die Kritik? Die unabhängige Rechtsberatung fehlt immer noch in Hessen. Wenn wir von Menschen, die zu uns geflüchtet sind, erwarten, dass sie sich integrieren, unsere Rechtsnormen einhalten und sich auch rechtlich helfen können, dann müssen wir sie dabei unterstützen, damit sie wissen, was ihre Rechte und ihre Pflichten sind. Viele Menschen sind heute trotzdem alleingelassen und haben keine unabhängige Rechtsberatung. Das muss meiner Meinung nach etabliert werden, sonst haben wir ein Problem.
Zweitens. Die psychosoziale Betreuung und die Traumaarbeit sind in Hessen nicht etabliert. Wir haben im Norden und im Süden Hessens keine Angebote. Angebote gibt es überwiegend in Frankfurt, und es ist nicht klar, wer von diesen Traumaangeboten überhaupt profitieren kann. Wir brauchen flächendeckend Traumatherapiezentren. Es ist auch in unserem Interesse, wenn Menschen, die zu uns geflüchtet sind, dabei unterstützt werden, die schwierigen Erlebnisse, die sie auf dem Fluchtweg erlebt haben, zu verarbeiten, um endlich in diesem Land Hessen wirksam mitwirken zu können oder ein Leben organisieren zu können.
Wenn wir mit Fachleuten sprechen, erzählen sie uns etwas anderes. Die Fachleute sagen, dass die Traumaangebote in den Krankenhäusern nicht ausreichend sind. Sie sagen auch, dass nicht ausreichend Traumatherapeuten da sind. Von daher muss schleunigst ein Konzept vonseiten der Landesregierung geliefert werden; denn sonst haben wir ein Problem.
Was die berufliche Qualifizierung der zu uns Geflüchteten betrifft: Ja, wir haben Weiterqualifizierungs- und Nachqualifizierungsmaßnahmen. Aber viele dieser Maßnahmen werden nicht evaluiert. Ich weiß, dass wir in der letzten Legislaturperiode Herrn Hahn immer wieder mehr oder weniger in die Pflicht genommen haben, dass er alles das, was er als Programme anbietet, evaluieren lässt. Es war auch ein großer Schwerpunkt von Ihnen. Herr Hahn, ich gebe zu, ich war damals sehr kritisch. Mittlerweile muss ich vieles von dem, was Sie gemacht haben, positiver anerkennen, als ich es damals zugegeben habe.
Aber ich muss auch sagen: Damals haben wir als Opposition versucht, Sie konstruktiv dabei zu begleiten, wie man Integration nachhaltig organisieren kann. Dass man jetzt diejenigen zum Jagen tragen muss, die damals in der Opposition genau das Gleiche gesagt haben wie ich, das ist sehr verwunderlich.
Die Qualifizierungsmaßnahmen sowohl im Wirtschaftsministerium als auch im Sozialministerium sind keiner Evaluation unterzogen. Deswegen kann man überhaupt nicht nachprüfen, ob diese Ansätze etwas bringen oder ob dort Geld verpulvert wird.
Das, was mir persönlich von vielen Menschen berichtet wird, ist, dass sie von diesen Maßnahmen überhaupt nicht profitieren können, sondern dass sie von freien Trägern in Bildungsstrukturen hineingedrängt werden und damit nachher trotzdem keine Arbeit finden. Das hat früher den sogenannten – das ist der juristische Begriff – Bestandsausländern nicht geholfen, und den jetzt zu uns Geflüchteten hilft es auch nicht.
Wenn Sie Integration nachhaltig organisieren wollen, müssen Sie meiner Meinung nach ein ganz anderes Konzept etablieren. Es wäre gut, wenn wir ein Integrationsgesetz hätten, wenn Sie Integration zu einer Art Pflichtaufgabe erklären würden, wie z. B. Jugendhilfe vor Ort als Pflichtaufgabe gesehen wird. Im Kommunalen Finanzausgleich sollten für diese Pflichtaufgabe feste Strukturmittel zur Verfügung gestellt werden, damit die Kommunen vor Ort auf der einen Seite Integrationsmaßnahmen etablieren können und
auf der anderen Seite diejenigen, die sich dieser Integration verweigern, notfalls mit Sanktionen belegen können.
Zurzeit gibt es keine ausreichenden Angebote. Es gibt keine ausreichenden Strukturen. Stattdessen gibt es Sanktionen. Viele Leute, die sich Mühe geben, sich zu integrieren, es aber nicht schaffen, verstehen diese Sanktionen nicht. Ich möchte deswegen klarmachen: Wenn wir keine Infrastruktur für Integration aufbauen, sondern uns damit aufhalten, die selbstverständliche Arbeit der Landesregierung immer wieder zu loben, dann werden wir meiner Meinung nach nie damit weiterkommen. Das wäre eine verpasste große Chance, weil Sie auf der einen Seite die Opposition an Ihrer Seite haben, die Sie mit konstruktiver Kritik begleitet, und auf der anderen Seite auch eine wohlwollende Gesellschaft.
Was ich als letzten Punkt noch als Kritik ansprechen will, warum ich mit den sozialen Integrationsangeboten, wie sie jetzt existieren, nicht einverstanden bin: Wir haben im letzten Jahr die Balkanstaaten leider zu sicheren Herkunftsländern bestimmt. Das hat jetzt die Konsequenz, dass viele junge Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind und einem Balkanstaat angehören, nicht wissen, ob sie bleiben können oder sogar abgeschoben werden.
Jüngst hatten wir auch in Hessen, in Karben, den Fall einer Schülerin, die einfach aus dem Unterricht herausgenommen und abgeschoben worden ist – nur weil sie aus dem Balkan stammte. Hätten wir diese Länder nicht zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, dann hätte diese Person vielleicht eine realistische Chance auf eine Bleibeperspektive gehabt. Stattdessen ist das ein pauschales juristisches Instrument, das wir nutzen und das meiner Meinung nach nichts mit humanitärer Flüchtlingspolitik zu tun hat.
Viele der Gelder, die wir jetzt ausgeben, sind Gelder, die wir vom Bund bekommen haben. Als Gegenleistung hat man dem Asylverschärfungsgesetz zugestimmt. Der Geldsegen, der jetzt mehr oder weniger auch auf Hessen einströmt, ist ein teuer erkaufter Geldsegen, das möchte ich in dieser Situation benennen. Leider wissen jetzt zahlreiche Flüchtlinge aus dem Balkan oder aus Afghanistan nicht, ob sie bleiben können oder abgeschoben werden. Auch das gehört zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren.
Das Asylverfahren ist – – Ich höre Sie, Herr Grüttner.
Nein, das Asylverfahren brauchen Sie nicht abzuschaffen.
Man hätte auf der einen Seite schon die Asylverfahren abwarten können und auf der anderen Seite einen legalen Statuswechsel für diese Menschen – –
Ich hätte auch nicht hinzuhören brauchen, aber ich bin eben höflich. – Nein, es muss schon klar sein, dass wir andere Wege hätten gehen können. Wir hätten das Asylverfahren abwarten können. Und wenn Menschen halbwegs die Option haben, hierbleiben zu können, z. B. weil sie die Sprache können, hätte man ihnen auch einen legalen Statuswechsel anbieten können.
Diesen Statuswechsel haben Sie auf Bundesebene überhaupt nicht mit der Bundesregierung, mit dem Bundesinnenminister diskutiert, sondern man hat einfach nur die bekannten Konzepte aus den Neunzigerjahren aus der Schublade gezogen: Passt mir ein Land nicht, mache ich es einfach zum sicheren Herkunftsstaat.
Das sind die Konsequenzen, mit denen wir heute leben. Ich sage nur: Die Zahl der Länder, in denen es Fluchtursachen geben wird, wird sich in den nächsten Jahren erhöhen. Leider wird dazu wahrscheinlich auch die Türkei zählen; sie ist schon heute ein Land, das – –
Okay, ich höre auf. – Die Türkei produziert schon heute Flucht. Von daher müssen wir andere Wege gehen; das habe ich in der Vergangenheit schon gesagt.
Ein nachhaltiges Integrationsinfrastrukturkonzept fehlt hier noch. Wir sind dabei, Ihnen zu helfen, lieber Herr Minister. Nehmen Sie diese Hilfe an, damit wir in zehn Jahren nicht immer noch über die gleichen Themen diskutieren; denn Integration ist eine Aufgabe von uns allen gemeinsam. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, den einen oder anderen Punkt, der in dieser Debatte diskutiert wurde, nicht zu wiederholen. Ich möchte aber festhalten, dass die Mehrheit in diesem Haus die grundsätzliche Kritik an der Struktur der sicheren Herkunftsländer teilt. Es ist nicht die Mehrheit, die sagt, dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer richtig sei. Es ist falsch, und es bleibt falsch. Wir brauchen dieses Konstrukt der sicheren Herkunftsländer nicht. Dieser Rechtsstaat funktioniert sehr gut mit den Vereinbarungen, die wir bisher hatten.
Der Punkt ist eher, dass endlich die Verwaltungseinrichtungen mit ausreichend Personal ausgestattet werden müssen. Das BAMF muss mit ausreichend Personal ausgestattet werden, damit es in der Lage ist, die Asylanträge der Reihe nach ordnungsgemäß abzuarbeiten und nicht innerhalb einer Woche entscheiden zu müssen, ob jemand individuell verfolgt ist oder nicht. Da müssen wir doch bei der Wahrheit bleiben.
Der zweite Punkt ist: Worum geht es hier eigentlich? Es geht doch darum, dass suggeriert wird, dass ein großer Teil
der Menschen, die aus den Ländern kommen, die wir jetzt als sicher einstufen wollen, überhaupt nicht berechtigt ist, sondern dass es sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge sind, die das Asyl dazu ausnutzen, um hier ein Bleiberecht zu erschleichen. Das ist das, was suggeriert und den meisten Leuten als die eigentliche Fluchtmotivation dargestellt wird.