Doris Schröder-Köpf
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Last Statements
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Ich bin schon ein wenig erstaunt, dass Sie gar nicht zu Ihrem Antrag gesprochen haben.
„Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren, wir haben unseren Beruf verloren und damit das Ver
trauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwo von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle.“
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Beschreibung stammt von einem der berühmtesten Flüchtlinge unseres Landes, von Hannah Arendt, nach der seit dem 2. April 2015 der Platz hier vor dem Hohen Haus benannt ist. Die Philosophin und Politologin aus Hannover-Linden ist 1975 in New York gestorben, nie mehr ganz nach Deutschland zurückgekehrt. Was Hannah Arendt 1943 aus eigener leidvoller Erfahrung beschrieb, hat eine geradezu erschreckende zeitlose Gültigkeit. Sie flüchtete damals über den Atlantik in eine neue, damals auch noch bessere Welt.
Nur wenige hundert Meter von hier, im Niedersächsischen Landesmuseum, steht als Exponat im Rahmen einer Sonderausstellung derzeit das brüchige Symbol einer jüngeren Flucht: ein kleines hölzernes Schlepperboot, auf dem erst vor kurzer Zeit 80 Menschen auf geradezu wundersame Weise die Überfahrt über das Mittelmeer gelang.
Sehr geehrte Damen und Herren, allein am vergangenen Wochenende wurden etwa 2 850 Menschen von italienischen und internationalen Einsatzschiffen aus dem Mittelmeer gerettet. Laut UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, haben von den etwa 72 000 Flüchtlingen mindestens 1 850 die Überfahrt nicht überlebt oder gelten als vermisst. Es sind zumeist die Stärksten und Wohlhabendsten, die den gefährlichen Seeweg überhaupt versuchen und ihn auch bezahlen können. Der sicherere Landweg ist ja gerade versperrt. Dazu schreibt Cordula Meyer im neuesten Spiegel:
„Statt Deutschland schlossen im März 2016 die südosteuropäischen Länder ihre Grenzen und damit die Balkanroute. Gleichzeitig handelte Merkel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan den EUFlüchtlingsdeal aus. Die Drecksarbeit macht seitdem die Türkei für uns.“
Sie kommt zu dem Ergebnis:
„Es ist bemerkenswert still in Deutschland angesichts dieses Leids.“
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin sicher, es wird nicht still bleiben angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen, die in ihren Ausläufern derzeit Deutschland und Niedersachsen noch erreichen.
Deshalb ist es gut, dass wir hier und heute aufgrund des FDP-Antrags erneut über das Instrumentarium diskutieren, mit dem wir den Geflüchteten von gestern - aber eben auch denen von morgen - die besten Voraussetzungen zur gelingenden Integration schaffen, auch wenn die meisten der in dem Antrag genannten Vorschläge meines Erachtens durch Regierungshandeln erledigt sein dürften.
Etwa bei der Vorrangprüfung - - -
- Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich auf Ihren Antrag ein.
Etwa bei der Vorrangprüfung, die wir in Niedersachsen bis zum 5. August 2019 ausgesetzt haben. Das ist der Spielraum, den wir haben. Wir wissen ja, dass die Vorrangprüfung den Zugang zum Arbeitsmarkt für die Geflüchteten verzögert, ohne ihn für heimische Kräfte zu erleichtern. Außerdem haben wir Vertrauen in die Unternehmerinnen und Unternehmer, selbst am besten beurteilen zu können, wen sie benötigen und einstellen.
Wir haben auch Vertrauen, dass es gelingen wird, Vielfalt als Normalität zu begreifen und von ihr zu profitieren. Deshalb tun wir gut daran, auch bei der Suche nach guten Ideen weiterhin Grenzen hinter uns zu lassen.
Nur ein Beispiel: In Schweden - so berichtet die Zeitschrift Internationale Politik - können Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern als Lehrkräfte tätig waren, Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen und parallel die Qualifizierung fürs Lehramt nachholen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe und erreicht einen Mehrwert für alle.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns kurz gemeinsam zurückblicken, um uns die Dimension des Kraftaktes bei der Flüchtlingsaufnahme noch einmal vor Augen zu führen. Seit unserem Regierungsantritt im Jahr 2013 wurden beinahe 172 000 Flüchtlinge in Niedersachsen neu registriert. In der gleichen Zeitspanne zuvor - zwischen 2008 und 2012 - waren es nur 18 600. Schon die Zahlen sind beeindruckend, und doch vermögen sie nicht annähernd den weiten Weg zu beschreiben, den wir in diesen Jahren gemeinsam zurückgelegt haben. Die nachhaltigen Umbrüche hat der Gesellschaftsforscher Professor Steven
Vertovec vom Max-Planck-Institut in Göttingen als die „zweite Wende“ in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von der Bereitstellung von Schlaf- und Unterbringungsplätzen - in Hochzeiten beinahe 50 000 -, der medizinischen Versorgung, über flächendeckende Sprachförderprogramme auf allen Bildungsebenen bis zu umfassenden Maßnahmenpaketen zur Arbeitsmarktintegration zusammen mit Kommunen und Kreisen, mit Vereinen und Verbänden, Kirchen und Unternehmen hat die Landesregierung Strukturen geschaffen, die einen erfolgreichen Integrationsprozess, wenn auch nicht garantieren, so zumindest doch einleiten und ermöglichen.
In mehreren Ausschusssitzungen wurden die Mitglieder des Landtages in den vergangenen Monaten detailliert informiert. Ich werde aus Zeitgründen auf die Aufzählung verzichten; das geht aus den Protokollen sehr schön hervor, was es da alles an Angeboten gibt.
Was zu diesen Jahren, die sicher in die Geschichtsbücher und in das gesellschaftliche Gedächtnis eingehen werden, auch gehört, ist das Engagement der Menschen - all jener, die unserem Land von Emden bis Friedland ein freundliches Gesicht gegeben haben.
Diese Bürgerinnen und Bürger waren und sind der „wunderbare Ausweis für die Reife unserer Demokratie“, wie es Martin Schulz kürzlich so schön ausgedrückt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich mit Flucht und Geflüchteten beschäftigt, kann nicht an den politischen Grenzen eines Bundeslandes halt machen - auch nicht in Anträgen. Deshalb bin ich ganz bei Ihnen, wenn Sie eine schnelle Entscheidung über den Aufenthaltsstatus oder eine Gewährleistung des Familiennachzuges für Aufenthaltsberechtigte fordern. Ich stimme Ihnen auch zu, dass der Familiennachzug einen erheblichen Beitrag zur Integrationsbereitschaft leisten kann. Wir wissen das durch die Integrationserfolge bei Aussiedlerinnen und Aussiedlern in Niedersachsen, die in einer Studie des Bundesamts für Migra
tion und Flüchtlinge ganz eindeutig auch darauf zurückgeführt werden, dass die Familien gemeinsam hier bei uns in Niedersachsen einen Neuanfang machen konnten.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein Eckpunktepapier des UN-Flüchtlingshilfswerks zur Bundestagswahl hat uns erst kürzlich noch einmal daran erinnert, dass wir keine Integrationserfolge von subsidiär schutzbedürftigen Menschen erwarten können, die „auf lange Zeit um das Wohl von Ehepartnern, Kindern und anderen Familienangehörigen im Heimatland oder auf der Flucht fürchten müssen“.
Sozial- und Wohlfahrtsverbände haben besonders im Hinblick auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die derzeit ihre Eltern nicht nachholen können, scharfe Kritik geübt. Der Präsident der Diakonie in Deutschland, Ulrich Lilie, warnt vor einem organisierten Scheitern der Integration.
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Beschränkungen des Familiennachzuges müssen also fallen. Parallel könnte ein modernes Einwanderungsrecht etwas Druck aus dem Asylsystem nehmen.
Aber diesen politischen Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, werden Sie mit Frau Merkel, Herrn de Maizière, und Herrn Seehofer nicht hinkriegen.
Ihre Verbündeten in der Sache sitzen auf der linken Seite des Hauses, auch im Bundestag. Wir sprechen uns nach der Wahl im September wieder!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen, an denen eine der großen Demokratien der Welt Menschen allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit den Zutritt verweigert, Flüchtlinge pauschal zurückweist und sogar mit dem Bau einer Mauer zum Nachbarland beginnt, entdecken manche Bürgerin und mancher Bürger den Wert der Grundwerte Europas wieder. In diesen Tagen, an denen die Wirkungskreise von Demagogen und Despoten bis an die Grenzen unseres Landes heranreichen, erkennen vielleicht viele zum ersten Mal den Wert von verlässlichem Recht, den Wert des Grundgesetzes.
Dieses Grundgesetz regelt im sogenannten Asylrechtsartikel 16 a Abs. 3 auch die Frage nach den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Darin heißt es - ich zitiere -:
„Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“
Seit mehr als 20 Jahren ist dieses Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ein fester Bestandteil des Asylrechts und wird vom Grundgesetz - ich habe es gerade gesagt - ebenso anerkannt wie von der EU in ihrer Asylverfahrensrichtlinie, in der Mindestnormen für die Durchführung von Asylverfahren festgelegt sind.
In einer Analyse beschreibt Professor Dr. Daniel Thym, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz, die Intention. Es gehe immer auch - Zitat -
„um eine symbolische Wirkung. Der Gesetzgeber will der eigenen Bevölkerung zeigen, dass er etwas unternimmt, und vor allem auch ein Signal in die Herkunftsstaaten senden, damit weniger Personen ohne Asylberechtigung sich auf den Weg nach Deutschland machen.“
Und weiter:
„Tatsächlich zeigen ethnologische Studien, dass Wanderungsentscheidungen häufig durch eine unklare Informationslage geprägt sind, sodass öffentlichkeitswirksame Maßnahmen etwas bewirken können.“
Aus Sicht des Ko-Direktors des Konstanzer Forschungszentrums für Ausländer- und Asylrecht gibt es weitere Vorteile: „die leichtere Begründung der Asylentscheidung, weil die Behörden und Gerichte sich nur noch auf den Einzelfall beziehen und nicht mehr die allgemeine Situation im Land beschreiben müssen“, und „die Verfahrensbeschleunigung“, weil kürzere Bearbeitungsfristen und Klagefristen von nur noch einer Woche gelten. Ich sage das einmal ganz wertfrei.
Doch auch der Völkerrechtsexperte, der an dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten grundsätz
lich nichts auszusetzen hat, weist auf den problematischen Punkt hin. Ich zitiere:
„Weniger klar ist jedoch, wie man die Situation in bestimmten Ländern einschätzt, …“
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, genau darum geht es im Fall der Maghreb-Staaten. Denn auch wenn die Bezeichnung „Maghreb-Staaten“ anderes suggeriert, handelt es sich doch um drei höchst unterschiedliche Staaten, nämlich Algerien, Marokko und Tunesien. Übrigens gehört keiner dieser drei Staaten zu den zehn Hauptherkunftsländern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland.
Nach Einschätzung der Stiftung Wissenschaft und Politik sind die Unterschiede zwischen den drei Ländern sogar ganz enorm:
Algerien, das Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International den Zutritt zum Land verweigert, aus dem von Folter und geschlechtsspezifischer Gewalt berichtet wird und in dem das Strafgesetzbuch vorsieht, dass Männer nach Vergewaltigung von minderjährigen Mädchen straffrei bleiben, wenn sie diese heiraten.
Marokko, in dem selbst nach Einschätzung des Bundesinnenministers - ich zitiere aus seiner Rede vom 13. Mai vergangenen Jahres in Berlin - „Aktivisten mit staatlichem Druck rechnen [müssen], wenn sie den Anspruch Marokkos auf die Region Westsahara kritisieren“.
Und dann Tunesien, das als einziger arabischer Staat eine weitgehende Demokratisierung durchlaufen hat und nach Einschätzung von Forschern der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik über eine - Zitat - „aktive Zivilgesellschaft“ verfügt, über eine „ausdifferenzierte Presselandschaft“ sowie „lokale Menschenrechtsorganisationen, die ihre Arbeit weitgehend ungehindert ausüben“ können.
Sehr geehrte Damen und Herren, doch gerade aus Tunesien, dessen Gesellschaft sich der westlichen wohl am weitesten angenähert hat, kommen besonders viele Dschihadisten. Frau Jahns hat gerade auch davon gesprochen. Eine Ursache dürfte in der Arbeits- und Hoffnungslosigkeit und der daher rührenden Verführbarkeit der dortigen Jugend liegen. Eine leichte Beute für radikale Rattenfänger!
Nach Studien des Tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES) liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 40 %. Das bestä
tigt auch die OECD. 45 % aller jungen Tunesier sind dieser Studie zufolge bereit, das Land zu verlassen und irgendwo einzuwandern, legal oder illegal.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Die Maghreb-Staaten gibt es nicht als einheitlichen gesellschaftlichen Raum.
Selbst die größte Migrationsbehörde in Deutschland, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sieht einem ZEIT-Online-Bericht zufolge die Lage in Tunesien, Algerien und Marokko als unsicherer an als der eigene vorgesetzte Innenminister de Maizière. In den sogenannten Herkunftsländerleitlinien der Behörde soll laut ZEIT-Online stehen, dass in Marokko und Algerien - ich zitiere - politische Verfolgung vonseiten des Staates nicht auszuschließen sei. Selbst in Tunesien könne bei Bekanntwerden von Homosexualität eine „schutzrelevante Verfolgung durch Behörden drohen“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 1996 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, welche Bedingungen für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat erfüllt sein müssen. Danach muss in den betreffenden Staaten - ich zitiere - „die Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen“.
Sehr geehrte Damen und Herren, das ist ja eben fraglich. Doch selbst wenn die Hürde Bundesverfassungsgericht genommen werden könnte - was durchaus nicht sicher ist -, bleibt das bisher größte Abschiebehindernis bestehen: Eine nennenswerte Verbesserung kann nämlich nur erreicht werden, wenn mit den Maghreb-Staaten wirksame Rückübernahmeverfahren vereinbart werden. Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist nun einmal die Aufgabe Ihres Innenministers de Maizière und nicht etwa des neuen Außenministers. Ihr Innenminister muss in Verhandlungen mit diesen Ländern zu entsprechenden Vereinbarungen kommen.
Da der vorliegende Antrag Ihrer Fraktion dazu keinerlei Aussagen trifft, kann die SPD-Fraktion auch nicht zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie wollen abschrecken und abschieben. Auch wir wollen, dass die Signale aus Deutschland gehört werden und dass im Sinne der wirklich Verfolgten Recht durchgesetzt wird, wenngleich wir den Weg des
niedersächsischen Innenministeriums mit dem Konzept der freiwilligen Rückkehr für nachhaltiger und humaner halten.
Wenn Sie das BAMF und die Gerichte wirklich entlasten wollen - so begründen Sie ja Ihren Antrag -, wäre es am allerbesten, die jungen Menschen aus den Maghreb-Staaten würden sich erst gar nicht auf den Weg machen. Bayerischprägnant hat das Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU ausgedrückt. Ich zitiere:
„Die Menschen brauchen zu Hause Arbeit und Zukunft, sonst kommen sie zu uns.“
Lassen Sie uns in diesem Sinn zusammenarbeiten und Sicherheit schaffen - hier und in den MaghrebStaaten!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wenn ich sie beantworten kann, gerne.
Ich weiß, wie die SPD im Bundestag gestimmt hat. Wir vertreten hier unsere Meinung. Wir sind die SPD-Fraktion des Niedersächsischen Landtags.
Ich bleibe lieber hier hinten am Saalmikrofon.
Ich möchte Herrn Nacke fragen, ob er es für ausgeschlossen hält, dass ich als Frau und Landesbeauftragte meine eigene persönliche Meinung vertrete. Sie haben doch aufmerksam zugehört. Denken Sie, es ist normal, dass man sich so etwas verordnen lässt?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU hat unter dem Punkt 4 d der Aktuellen Stunde
das Thema „Vollvermummung und Koranverteilung: keine falsche Toleranz in Niedersachsen“ angemeldet. Die SPD-Fraktion hat sich erlaubt, zu trennen, was nicht zusammengehört.
Zum Thema „Verschleierung bei muslimischen Mädchen“ werde ich sprechen und zum Thema Koranverteilung unser innenpolitischer Sprecher Uli Watermann. Wir in der sozialdemokratischen Fraktion lassen uns nämlich nicht auf den Irrweg locken, das Thema Verschleierung quasi gleichzusetzen mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
Lassen Sie mich also zu dem Thema kommen, das zwar kein Sicherheitsproblem ist, aber die niedersächsische Öffentlichkeit und - ja - auch meine Fraktion dennoch beschäftigt.
Eine Schülerin im Sekundarbereich I der Oberschule Belm im Landkreis Osnabrück nimmt seit dem Schuljahr 2013/2014 vollverschleiert am Unterricht teil, inzwischen in der 10. Klasse. Sie trägt einen sogenannten Niqab, der nur einen schmalen Sehschlitz freilässt. Das Mädchen ist 15 Jahre alt. Die Mitschülerinnen und Mitschüler kennen es aber noch unverschleiert.
Das Mädchen, gebürtig in Osnabrück, hat in der Klasse Freundinnen und wird voraussichtlich im Sommer des nächsten Jahres seinen Abschluss an der Schule machen. Das spielt bei dem Fall eine Rolle; denn obwohl sie mit dem Tragen des Niqab gegen den § 58 des Niedersächsischen Schulgesetzes verstößt, stellten Schulleitung und Landesschulbehörde schlussendlich einvernehmlich fest: Der Schulfrieden dort ist ganz offenkundig nicht gestört. Das Mädchen darf im Sommer 2017 seinen Abschluss machen.
Ein Einzelfall. Eine Ausnahme. Eine weitere - das sage ich auch in Ihre Richtung - soll es in Niedersachsen auch nicht mehr geben.
- Hören Sie mal zu!
Sehr geehrte Damen und Herren, wenn der Schulfrieden nicht gestört ist, warum stören sich dann so viele Menschen an der Bekleidung einer 15jährigen, sonst unauffällig durchschnittlichen Schülerin? - Ich kann es Ihnen sagen, weil ich ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion empfinde: Wir wollen keine komplett verhüllten Schülerinnen an niedersächsischen Schulen, und am liebsten keine einzige.
- Hören Sie erst einmal zu, bevor Sie reden!
Zu unserer lang erkämpften Form des Unterrichts gehört das gemeinsame Lernen von Mädchen und Jungen, gehört es, sein Gesicht zu zeigen, mit quasi offenem Visier zu diskutieren und zu streiten. In letzter Konsequenz empfinden wir das so: Vollverschleierung und Demokratie gehen nicht zusammen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, wir teilen Ihr Unbehagen.
Lassen Sie uns deshalb zusammen ausloten, welche Schritte, vielleicht sogar zusätzlich zu den bisherigen Regelungen im Niedersächsischen Schulgesetz, eine Ausbreitung dieser Form der Verschleierung entgegenwirken können, aber - das muss an dieser Stelle betont werden -: Wir haben Zeit, sinnvolle Maßnahmen zu überlegen, die letztendlich Bestand vor Gericht haben müssen und keine Schnellschüsse sind.
Meine Rede ist so komponiert, dass ich gerne zu Ende ausführe.
Aber - das muss an dieser Stelle betont werden -: Wir haben Zeit, sinnvolle Maßnahmen zu überlegen, die letztendlich Bestand vor Gericht haben müssen und die keine Schnellschüsse sind, die beide Grundrechte, Bildungsauftrag versus Religionsfreiheit, klug ins Verhältnis setzen.
Denn es gibt derzeit nur eine einzige Niqab-Trägerin unter den annähernd 800 000 Schülerinnen und Schülern an Niedersachsens öffentlichen und allgemeinbildenden Schulen, ein einziges Mädchen, das in ein paar Tagen 16 Jahre alt wird.
Schule und Behörden werden die Schülerin aus Belm im Blick behalten. Wir sollten unser Augenmerk nun wieder stärker auf die anderen Landeskinder richten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende 2015 kamen nach mehr als zwei Jahren die Gespräche der Landesregierung mit den islamischen Religionsgemeinschaften DITIB und SCHURA sowie der alevitischen Gemeinde über gemeinsame Verträge zu einem vorläufigen Abschluss. Die Vertragsentwürfe liegen Ihnen vor.
Interessierte Bürgerinnen und Bürger erfahren auf der Homepage des Kultusministeriums, was in diesen Verträgen geregelt werden soll und warum. Sehr geehrte Frau Ministerin Heiligenstadt, vielen Dank für dieses Angebot! Noch nie ist ein vergleichbares Vertragswerk in einem frühen Stadium der Öffentlichkeit so transparent und zugänglich präsentiert worden.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn ich heute hier zu Ihnen als Abgeordnete der Regierungsfraktionen spreche, möchte ich doch erwähnen, dass ich in meinem Ehrenamt als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe an etlichen Verhandlungsrunden teilnehmen durfte.
Mein Dank gilt deshalb auch besonders der akribischen Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des zuständigen Kultusministeriums sowie der Fachleute aus anderen Ministerien, die vom Bestattungsrecht bis zum Tierschutz ihre Expertise einbrachten.
Ich möchte in meinen Dank ausdrücklich aber auch die beiden Vorgängerregierungen unter Führung der Ministerpräsidenten Wulff und McAllister mit einbeziehen. Denn es war der damalige Ministerpräsident Wulff, der vor fast einem Jahrzehnt den Plan fasste, die gegenseitigen Ansprüche - wie er es nannte - zu regeln.
Herr Ministerpräsident Wulff sagte in Hannover bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung - ich zitiere aus der Tageszeitung Die Welt vom 26. Juni 2007 -: „Ich kann nur hoffen, dass wir in einigen Jahren einen solchen Staatsvertrag bekommen, um Ansprüche beiderseits zu regeln.“
Bei einer früheren Gelegenheit, im Mai 2005, begründete er seine Absicht: „Durch das Setzen solcher positiven Beispiele könne der Fundamentalismus zurückgedrängt werden.“
Im August 2009 wurden entsprechend erste Gespräche aufgenommen.
Unter Ministerpräsident McAllister kam es nach der Etablierung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen zu einem weiteren Meilenstein in der Zusammenarbeit mit DITIB und SCHURA in Niedersachsen.
Am 10. Dezember 2012 wurde eine Vereinbarung zur islamischen Seelsorge im Justizvollzug unterzeichnet. In der Presseerklärung des damaligen Justizministers Busemann wird betont, dass diese Vereinbarung - ich zitiere - „unabhängiger Teil der in Aussicht genommenen Vereinbarung des Landes mit den am Vertragsabschluss Beteiligten“ sei.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Busemann, Sie sehen, die Landesregierung fühlt sich diesem
Erbe verpflichtet. Wir knüpfen an die wichtige Vorarbeit der Vorgängerregierungen an. Wir können uns gemeinsam freuen: Niedersachsen wird voraussichtlich das erste Flächenland sein, das einen entsprechenden Vertrag vorlegen kann.
- Wir wetten nachher!
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf drei Punkte eingehen, die miteinander in Verbindung stehen.
In der Präambel und in Artikel 1 ist die Verpflichtung zur Anerkennung unserer Wertegrundlagen, unserer Grundrechte - insbesondere der Gleichberechtigung von Frau und Mann - und der demokratischen Grundordnung verankert.
Das ist eine Selbstverständlichkeit und dennoch ein klares und wichtiges Signal. Auch für unsere Gesprächspartnerinnen und -partner ist das wichtig, weil sie sich so an herausragender Stelle von fundamentalistischen Gruppierungen abgrenzen können.
Bei dieser Gelegenheit sollte vielleicht auch einmal erwähnt werden, dass die Verhandlungen auch aufseiten der islamischen Religionsgemeinschaften vorwiegend von Juristinnen geführt wurden.
Sehr geehrte Damen und Herren, wie ich bereits ausgeführt habe, ist Niedersachsen in der glücklichen Situation, mit den großen islamischen Religionsgemeinschaften in unserem Land über langjährige, verlässliche Kooperationspartner zu verfügen. Die Verbände stehen auf dem Boden des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung. Es ist in unser aller Interesse, wenn sich diese bewährten Verhandlungspartner in die gesellschaftliche Arbeit und auch in die entsprechenden Gremien einbringen, um sich dort für einen aufgeklärten Islam starkzumachen.
Sehr geehrte Damen und Herren, auch deshalb hat das Land ein Interesse daran, dass die Ver
tragspartner in die Lage versetzt werden, dauerhafte Strukturen aufzubauen und eine Geschäftsstelle einzurichten. Sie sind unverzichtbare Partner der Landesregierung bei der Prävention und Bekämpfung von religiösem Fundamentalismus. Sie haben sich zuletzt bei der Gründung und dem Aufbau einer niedersächsischen Beratungsstelle gegen Salafismus aktiv eingebracht.
Wir setzen darauf, dass die in enger Zusammenarbeit mit den Verbänden entwickelten Angebote des islamischen Religionsunterrichts und der islamischen theologischen Fakultäten dazu beitragen, den friedlichen Islam, der für die Werte unserer Verfassung eintritt und für den unsere Gesprächspartner stehen, an die nächste Generation weiterzugeben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich hoffe sehr, dass es uns gelingt, eine breite Zustimmung zu den Verträgen zu finden, die Rechte und Pflichten beinhalten, aber vor allem anderen ein Zeichen sind - ein Zeichen des Respekts voreinander.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Madsack-Mediengruppe beabsichtigt, bis Ende nächsten Jahres ihre Druckerei in HannoverKirchrode zu schließen. Bis zu 170 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlieren dann ihre Arbeit und sind von Erwerbslosigkeit bedroht.
Sie nehmen das jedoch nicht hin, sondern kämpfen und verhandeln, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Ihr Engagement hat sie heute zu uns in den Landtag geführt, und auch ich möchte die Kolleginnen und Kollegen sowie den Betriebsratsvorsitzenden Rainer Butenschön von dieser Stelle aus herzlich begrüßen. Herzlich willkommen im Landtag!
Schön, dass Sie nach Ende der Schicht und vermutlich auch ziemlich müde zu uns gekommen sind!
Ich möchte auch Bernd Rödel, den Bürgermeister des Stadtbezirks Kirchrode-Bemerode-Wülferode, begrüßen.
Der Madsack-Verlag gehört zu den markantesten und bedeutendsten Unternehmen des Stadtbezirks, und auch die politischen Gremien dort vor Ort sind ob der möglichen Auswirkungen der Entlassungswelle auf den Stadtbezirk zu Recht besorgt. Eine Betriebsschließung dieser Größenordnung ist eben nicht einfach eine unternehmensinterne Entscheidung, die uns Politikerinnen und
Politiker nichts angeht. Sie hat gesellschaftliche Auswirkungen. Auch deshalb ist das Landtagsplenum der richtige Ort für diese Debatte.
Sehr geehrte Damen und Herren, was die Einschätzung der Entwicklung im Medienbereich angeht, sind wir natürlich nicht blauäugig. Alleine ein Blick auf die Plätze und Tische der Landtagskolleginnen und -kollegen zeigt: Gedruckte Zeitungen sind bei uns nur noch vereinzelt zu sehen. Ich habe noch gut in Erinnerung, wie sich früher Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer darüber aufregten, wenn sie bei Debatten von Landtagen und Bundestag Zeitung lesende Abgeordnete beobachteten. Das kann so heute faktisch nicht mehr passieren. Die Blicke der Parlamentarierinnen und Parlamentarier richten sich auf Smartphones, iPads oder Laptops. Die Kolleginnen und Kollegen lesen Onlineausgaben oder E-Papers ihrer Regionalzeitungen und sind via Facebook über aktuelle Ereignisse in ihren Wahlkreisen oft früher informiert als aus den altbekannten Medien.
Der Rückgang an klassischen Abonnenten, die veränderte Mediennutzung, der Verlust an Werbeeinnahmen, der vor allem die Tageszeitungen ökonomisch hart trifft, diese Faktoren sind unbestritten und zwingen Geschäftsführungen zu Kurswechseln und manchmal auch zum Personalabbau.
Als langjährige Journalisten bedaure ich, dass mir heute die Redezeit für weitergehende Ausführungen zur Entwicklung in einer Branche fehlt, die eine konstitutive Bedeutung für unsere Demokratie hat. Nur so viel: Die zehn führenden deutschen Verlagsgruppen konzentrierten zuletzt unter ihrem Dach 59,3 % der in Deutschland verkauften Zeitungsauflagen. Der Marktanteil der fünf größten Verlagsgruppen - Madsack nimmt Platz 4 ein - betrug rund 43 %. Und obwohl klassischer Journalismus in vielen Verlagen nur noch ein Nischenprodukt neben Anzeigenblättern, Internetportalen, Postdiensten oder Ticketverkäufen ist, profitieren die Betriebe immer noch vom Privileg des Tendenzschutzes. Das bedeutet, die Rechte der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte sind stark eingeschränkt.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber solche Privilegien bringen auch Verpflichtungen mit sich. Die MadsackMediengruppe erwirtschaftete nach eigenen Angaben zuletzt einen jährlichen Gesamtumsatz von rund 670 Millionen Euro und beschäftigte mehr als 4 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie ist
treibender Motor des Medienstandortes Hannover, des Medienstandortes Niedersachsen. Ist es von einer solchen Mediengroßmacht, zu deren Kernkompetenz Kommunikation gehören sollte, wirklich zu viel verlangt, nachvollziehbare Erklärungen zu erwarten? Warum geht die Verlagsgeschäftsführung nicht auf die sehr vernünftigen Vorschläge von Betriebsrat und ver.di ein? - So könnten durch eine zeitliche Verlängerung der Produktion in Kirchrode - Kollege Matthiesen hat es auch erwähnt - im Rahmen des geltenden Tarifvertrags Altersteilzeitregelungen geschaffen werden, um 80 bis 100 Beschäftigte sozialverträglich in Rente zu führen. Oder die bei der Oppermann-Druckerei entstehenden neuen Arbeitsplätze könnten bevorzugt mit Madsack-Beschäftigten besetzt werden.
Das sind nur zwei von zahlreichen konstruktiven Vorschlägen, deren großes Ziel es ist, Arbeitslosigkeit der Druckereibeschäftigten zu verhindern.
Sehr geehrte Damen und Herren aus Verlagsgeschäftsführung und sehr geehrte Anteilseigner, die Sie jetzt vermutlich interessiert dem Livestream folgen, die Fraktion der SPD im Niedersächsischen Landtag steht solidarisch an der Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unterstützt deren Forderung nach Gesprächen, die von Fürsorge für treue Beschäftigte und von sozialer Verantwortung getragen sind.
Wir fordern Transparenz statt Tarifflucht, Gespräche statt Kommunikation nach Gutsherrenart.
Ich möchte Sie an ein Versprechen - Sie, die da draußen zuhören - erinnern, das Sie auf der Madsack-Hompage finden. Darin heißt es - ich zitiere -:
„Wir halten einen Schatz in unseren Händen: Glaubwürdigkeit.“
Und weiter:
„Wir sind entschlossen, dieses Vertrauen niemals zu enttäuschen. Integrität und Redlichkeit dürfen im Alltag von Redaktionen und Verlag niemals aufgegeben werden nur um eines kurzfristen Vorteils willen. Denn langfristig hängt das gesamte Schicksal der Madsack-Mediengruppe daran, dass wir gegenüber unseren Lesern Glaubwürdigkeit erhalten.“
Dann heißt es auch noch:
„Wir bleiben erfolgreich, weil wir uns verändern.“
So auf der Website.
Ich wünsche Ihnen im Namen meiner ganzen Fraktion den dauerhaften Erfolg im Markt und eine Veränderung der Strategie der Geschäftsführung im Umgang mit den Beschäftigten, die Angst vor der Zukunft haben.
Ja, wir sind für sofortige Abstimmung, wenn gewünscht, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Solidarität“ ist in diesen Tagen ein häufig verwendetes Wort. Allgemein bezeichnet es das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen Verantwortung und Verpflichtung. Am vergangenen Wochenende haben Tausende von Bürgerinnen und Bürgern von München bis Braunschweig eindrucksvoll deutlich gemacht, was sie darunter verstehen. Sie haben den Zehntausenden, die über Ungarn aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen sind, gezeigt, dass Flüchtlinge in unserem Land auf offene Arme und auf mitfühlende Herzen treffen. Auch der Ministerpräsident hat mit seiner Begrüßung der Flüchtlinge am Braunschweiger Bahnhof ein Zeichen gesetzt. Niedersachsen, dessen Bevölkerung zu so großen Teile aus Nachfahren von Flüchtlingen besteht, hat seine Wurzeln nicht vergessen.
Dem Herrn Ministerpräsidenten möchte ich an dieser Stelle mitgeben: Diese Willkommensbotschaft ist nicht nur bei den Flüchtlingen gut angekommen. Vielen Dank dafür!
Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle können uns derzeit an unserem Land erfreuen, an diesem goldenen Herbst der Hilfsbereitschaft. Und doch muss man auch in diesen Tagen sagen: Die Bundespolitik der vergangenen Jahre war eben nicht solidarisch, sondern - ich zitiere aus SpiegelOnline vom 7. September - „im Kern egoistisch“.
Norbert Spinrath, europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat in einer Stellungnahme gestern konstatiert, jetzt werde endlich die „Heuchelei einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten“ beendet, „das gegenwärtige Europäische Asylsystem hätte etwas mit Solidarität, Fairness oder Gerechtigkeit zu tun. Das Dublin-System ist gescheitert.“ Dem dürften die allermeisten Mitglieder dieses Hauses zustimmen: Dublin ist gescheitert und gehört abgeschafft!
Aber es bedarf einer Nachfolgeregelung. Alle EUMitgliedstaaten müssen sich entsprechend ihren Möglichkeiten an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen ihren Verpflichtungen nachkommen, die sie durch Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention übernommen haben und die sich aus der EUGrundrechtecharta ergeben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, EUKommissionspräsident Juncker hat gestern in einer beeindruckend klaren Rede vor dem Europäischen Parlament daran erinnert, dass Europa ein Kontinent ist, auf dem im Laufe der Geschichte fast jeder einmal Flüchtling war, und darauf hingewiesen, dass in Europa Flüchtlinge nach jetzigem Stand nur 0,11 % der Gesamtbevölkerung ausmachen - im Gegensatz zu anderen Ländern.
Er hat vorgeschlagen, die Notfallumverteilung von 160 000 Flüchtlingen auf einer außerordentlichen Tagung des Rats der Innenminister anzunehmen, um Italien, Griechenland und Ungarn zu helfen und um die Einführung eines permanenten Umverteilungsmechanismus einzuführen, also einer Verteilquote.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr: Wir brauchen Aufnahmequoten, humanitäre Aufnahmeprogramme, Resettlement. Der Sprecher des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, in Deutschland, Stefan Telöken, drückt es so aus: Wir brauchen Zugbrücken zur Festung Europa. - Pro Asyl fordert die Bundesregierung auf, das auf 20 000 Menschen begrenzte humanitäre Aufnahmeprogramm wiederzubeleben.
Die EU-Staaten, die mithilfe von Resettlementprogrammen die Menschen aus den großen Flüchtlingslagern holen und ihnen damit lebensgefährliche Fluchtwege über europäische Meere ersparen, sollten Gelder aus dem EU-Haushalt erhalten. Darüber hinaus muss es sichere Fluchtkorridore geben, legale Einreisemöglichkeiten, wie sie Vizekanzler Sigmar Gabriel bereits vorgeschlagen hat, natürlich auch humanitäre Visa.
Diese Maßnahmen würden wohl nicht dazu führen, dass die Zahl der Aufzunehmenden steigt, wohl aber würden sie sicher dazu beitragen, dass die Zahl der Todesopfer abnimmt. Das sollten alle wissen, die beim Anblick des kleinen Aylan Tränen vergossen haben.
Erforderlich ist ebenso schnell eine Änderung der EU-Richtlinie 2001/51/EG, die es Fluggesellschaften bisher praktisch unmöglich macht, Asylsuchende zu transportieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, Europa braucht eine solidarische Flüchtlingspolitik auch, um die Solidarität und Hilfsbereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger dauerhaft zu erhalten. Die Spendenbereitschaft ist unglaublich groß und auch das ehrenamtliche Engagement, zu dessen Unterstützung wir im Übrigen im Nachtragshaushalt auch finanzielle Mittel bereitstellen.
Niedersachsen hat am vergangenen Wochenende in einem Kraftakt mehr Flüchtlinge aus Ungarn aufgenommen als fast alle anderen Bundesländer. Herr Innenminister, Ihnen und Ihrem Team herzlichen Dank für Ihre Anstrengungen!
Sehr geehrte Damen und Herren, das Bundesland Niedersachsen ist nicht die politische Ebene, auf der Europapolitik verantwortet oder Weltpolitik gemacht wird. Aber wir stellen uns unserer Verantwortung in Europa. Dazu möchte ich den kürzlich verstorbenen Egon Bahr zitieren: Du musst die Welt so nehmen, wie sie ist, aber du darfst sie nicht so lassen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Schlussphase dieser langen Plenarwoche möchte ich auf eine Tatsache aufmerksam machen, die vielleicht nicht allen Kolleginnen und Kollegen präsent ist. Von Sitzungsbeginn am Dienstag an bis heute haben wir uns als Landesparlament an sieben ausgewiesenen Stellen der Tagesordnung und in noch sehr viel mehr Einzelredebeiträgen mit den Schicksalen und Perspektiven von Menschen beschäftigt, die aufgrund von Flucht und Vertreibung oder aus anderen existenziellen Nöten heraus ihre Heimat verlassen und bei uns einen Neuanfang gesucht haben.
Wir haben über diese Menschen im Zusammenhang mit der Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen gesprochen; wir haben über Sprachkurse, über eine bessere Verteilung von Menschen und Zuständigkeiten in Europa, über Konsequenzen aus den tausendfachen Flüchtlingstoten im Mittelmeer,
über Teilhabe in Form von Wahlrecht gesprochen - bis hin zum Antrag der CDU „Deine Chance in Niedersachsen“, den wir nun diskutieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, zufällig - oder auch nicht - bildet die Tagesordnung dieser Sitzungswoche damit in etwa das Spektrum der Herausforderungen ab, vor dem die niedersächsische Politik und Gesellschaft stehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, bevor ich zu inhaltlichen Anmerkungen komme, möchte ich vorwegschicken, dass ich mich etwas über den Zeitpunkt Ihres Antrags wundere. Denn im Bundesrat wurde gerade vor wenigen Tagen das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, mit dem das Bleiberecht neu geregelt wird. Mit dem zusätzlich ins Aufenthaltsgesetz eingefügten § 25 b soll gut integrierten Menschen nach ganz klaren Bedingungen stichtagsunabhängig endlich eine dauerhafte Perspektive in unserem Land ermöglicht werden.
Seit der Regierungsübernahme war das für die rotgrüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen ein Herzensanliegen. Innenminister Boris Pistorius hat dafür auf Bundesebene lange geworben und gekämpft. Herr Minister - vielleicht folgen Sie ja dieser Debatte jetzt -: Herzlichen Dank für Ihren Einsatz!
Die gleich nach der Regierungsübernahme erfolgte Reform der Härtefallkommissionsverordnung stellt auf Landesebene einen Meilenstein bei der Verbesserung im Bleiberecht dar. Durch die Reduzierung von Nichtannahme- und Ausschlussgründen in der Verordnung haben die Mitglieder der Härtefallkommission seither Dutzenden von Menschen Perspektiven für ein Leben in Niedersachsen ermöglichen können.
Sehr geehrte Damen und Herren, Ministerin Rundt wird sicherlich die Vorzüge der neuen Bleiberechtsregelung noch ausführen und auf weitere Aspekte Ihres Antrags eingehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Union, für die verantwortungsbewussten Diskussionen rund um das Thema Flucht und Asyl zu bedanken.
In den vergangenen Tagen wurde dabei immer wieder ein Bibelzitat verwendet; ich möchte auf eine Geschichte aus der Bibel verweisen: das sogenannte Damaskus-Erlebnis, die Geschichte von
Saulus, der zum Paulus wurde - Herr Thümler, Sie kennen sie.
Sehr geehrter Herr Schünemann, ich habe Ihrer Persönlichen Erklärung vom Mittwochabend genau zugehört und glaube, dass Sie heute manche Entscheidung anders treffen würden als in Ihrer Amtszeit. Ihr Landesvorsitzender hat den Kurswechsel der CDU in der Ausländer- und Asylpolitik wenige Tage nach der Landtagswahl angekündigt, und die Fraktion vollzieht ihn jetzt. Das ist gut für die Menschen in Niedersachsen - ganz besonders für die, die jetzt zu uns kommen, aber auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft diesen Neuankömmlingen ehrenamtlich widmen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zurück zu Ihrem Antrag. Darin heißt es - ich zitiere -:
„Natürlich ist eine Duldung wegen ungeklärter oder verschleierter Identität möglichst zu vermeiden. Eine jahrelange rechtliche Unsicherheit trotz geglückter Integration für ganze Familien findet jedoch in der Gesellschaft keine Akzeptanz. Irgendwann überwiegt das Interesse am Rechtsfrieden.“
Diese Einschätzung teile ich, sehe allerdings einen weiteren Lösungsansatz. Nach zahlreichen Eingaben von Familien aus dem Nahen Osten und aus den Balkanstaaten, aber auch von Einzelpersonen, die mir beispielsweise vom Paritätischen Wohlfahrtsverband übermittelt wurden, stellt sich die Frage, ob wir nicht die Zumutbarkeitsanforderungen für die Aufklärung der bisherigen Staatsangehörigkeit senken müssen.
Eine solche Absenkung der Zumutbarkeitsanforderungen, besonders für die in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen ausländischen Staatsangehörigen, sollte erfolgen. Denn sie selbst sind in der Regel weder in der Lage noch berechtigt, die zur Aufklärung ihrer Staatsangehörigkeit erforderlichen Überprüfungen, Registerauskünfte oder berichtigungen vorzunehmen.
Oft sind sie dabei auf ihre Eltern oder Großeltern angewiesen. Und auch diese sind dazu bisweilen nicht imstande und manchmal - aus unterschiedlichen Gründen - auch nicht bereit. Dadurch verlagert sich die Problematik der Verweigerung von Einbürgerungen wegen fortbestehender ungeklärter Staatsangehörigkeit in die nachfolgenden Generationen. Bei uns sind davon besonders viele junge Menschen betroffen, deren Vorfahren ehemalige jugoslawische Staatsangehörige oder Kurden mit schwieriger Fluchtgeschichte sind.
Das sollte nicht so bleiben; denn damit wird vielen Jugendlichen, die als Ausländer oder Staatenlose geführt werden, in Wahrheit aber Niedersachsens Nachwuchs sind, die Möglichkeit verwehrt, über die Einbürgerung Chancen auf Teilhabe zu erhalten, z. B. auf Mitwirkung bei Wahlen oder auch auf Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in einer Anfang dieses Jahres erschienenen Studie der Bertelsmann-Stiftung heißt es, Arbeit sei der Schlüssel für soziale Kontakte und für die Wertschätzung in der Aufnahmegesellschaft. Arbeit stärke das Selbstwertgefühl der Zuwandernden und helfe, wieder Normalität und Perspektive in ein leidgeplagtes Leben zu bringen.
Für die weitere Beratung Ihres Antrags möchte ich deshalb vorgeschlagen: Lassen Sie uns noch einmal über das Asylbewerberleistungsgesetz sprechen,
über eine Ausweitung von Resettlement-Programmen und auch über neue Bundeskontingente für Flüchtlinge. Alle diese Maßnahmen können dazu beitragen, Menschen schneller bessere Perspektiven bei uns zu eröffnen. Denn - das muss man leider sagen - Asylverfahren dauern bei uns viel zu lange. Die Zahl unerledigter Asylanträge liegt nach neuesten Angaben inzwischen bei 238 000 und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen beklagt fast 60 Millionen Flüchtlinge weltweit. Etwa 450 000 Zuflucht suchende Menschen erwarten wir dieses Jahr in Deutschland, bis zu 40 000 in Niedersachsen. Eine Beruhigung der Krisenherde ist nicht absehbar - und damit auch kein Rückgang der Flüchtlingszahlen. Eine ganz große Koalition des guten Willens könnte dazu beitragen, diese Herausforderung zu bewältigen.
Eine Handlungsempfehlung für den Umgang mit Flüchtlingen kann man der Bibel entnehmen. Zum Ende meiner Rede zitiere ich Lukas 6, Vers 31: „So wie ihr von anderen behandelt werden möchtet, so behandelt sie auch.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie gut, dass es die „Hessen“ und die „Berlin“ gibt. Am vergangenen Freitag haben die Fregatte „Hessen“ und der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ der Bundeswehr erstmals Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet: 419 Menschen. Ich möchte aus diesem Anlass aus einer offiziell zugänglichen Schilderung des Einsatzkommandos der Bundeswehr zitieren:
„Dieses Gefühl der Sicherheit, das sie an Bord des deutschen Schiffes direkt eingenommen hatte, gegen diese pure Lebensangst zuvor, bestimmt von den Gefahren, die auf dem langen Weg... auf sie lauerte und die tiefe Angst, dass ihre Familien auseinandergerissen werden könnten, wenn die Nussschalen auf See kentern. Rund 3 000 Euro hatten sie und ihre zurückgebliebenen Familienangehörigen zusammengekratzt, die in die Hände der Schlepper an Land und See geflossen waren, gegen ein Versprechen, für das es kein Dokument gab und keine Erfolgsgarantie.“
Der Kommandeur der Task Group Seenotrettung, Kapitän zur See Andreas Seidl, der mit seinen beiden Schiffen nach gelungener Rettungsaktion den Hafen von Reggio di Calabria angelaufen hat
te, sagte anschließend zum Rettungseinsatz: „Es war unsere seemännische Pflicht.“
Sehr geehrte Damen und Herren, in nur fünf Worten hat Kapitän Seidl alles gesagt. Es ist unser aller Pflicht, den schiffbrüchigen Flüchtlingen zu helfen.
Deutschland hat sich spät - ich sage: sehr spät - dazu entschlossen, wie Großbritannien in einer Art Koalition der Freiwilligen in Operationen vor der libyschen Küste auf der Grundlage des Seerechts zu helfen. Wie lange genau die deutschen Schiffe im Einsatz bleiben und ob ihr Einsatz doch noch einen offiziellen Titel erhält, ist noch unklar. Dieser erste Hilfseinsatz läuft wohl am 19. Juni aus, wenn die „Hessen“ und die „Berlin“ in Wilhelmshaven eintreffen.
Wie aus Kreisen der Bundeswehr zu erfahren ist, befinden sich Nachfolgeeinheiten in Planung.
In den Beschreibungen der deutschen Soldatinnen und Soldaten ist das Mitgefühl zu spüren. 419 Männer, Frauen und Kinder gerettet - das lässt niemanden unberührt. Aber am Wochenende zuvor hatte die italienische Marine mehr als 5 800 Flüchtlinge gerettet: 3 700 am Samstag, 2 100 am Sonntag, darunter ein Neugeborenes. Mehrere Flüchtlinge konnten nur noch tot geborgen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, seit Jahresbeginn sind etwa 1 800 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ums Leben gekommen. Allein in der Nacht des 18. April starben 900 Menschen auf der Suche nach Schutz in Europa 130 km vor der libyschen Küste, weil Hilfsschiffe nicht rechtzeitig eintrafen. Seit Jahresbeginn nahmen allein deutsche Handelsschiffe mehr als 5 000 Menschen auf. Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Reeder, spricht von einem rapiden Anstieg der Flüchtlingsüberfahrten seit März. Deutsche Handelsschiffe hätten - ich zitiere - „mittlerweile täglich solche Rettungsaktionen“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht wahr sein, dass wir Matrosen deutscher Handelsschiffe die Aufgabe überlassen, massenhaft Menschenleben zu retten! Es ist doch eine europäische Aufgabe, in unserem Meer - mare nostrum - das Massensterben zu verhindern.
In dem Antrag „Seenotrettung jetzt - Konsequenzen aus Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittel
meer ziehen“ fordern die Fraktionen von SPD und Grünen die Landesregierung daher auf, sich gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Union dafür einzusetzen, nicht länger schwerpunktmäßig auf Grenzkontrollmaßnahmen zu setzen. Stattdessen soll sofort eine europäische Initiative zur Seenotrettung auf dem Niveau der italienischen Seenotrettungsmission „Mare Nostrum“ gestartet werden, die gesamteuropäisch organisiert und finanziert wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, das wäre dann erste Hilfe. Aber wie können wir mittel- und langfristig helfen? - Menschen, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden, können sich fast nie auf legalem Weg in Sicherheit bringen.
Um in Europa Asyl zu beantragen, muss man nach Europa kommen. Aber Visa werden in Krisengebieten kaum ausgestellt, nicht zuletzt weil die Antragstellerinnen und Antragsteller häufig die geforderten Sicherheiten nicht bieten können.
Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hat die Zahl der Schengen-Visa verglichen, die in Syrien vor und nach Beginn des Bürgerkriegs ausgestellt wurden. 2010 wurden in Syrien noch rund 35 000 Schengen-Visa ausgestellt. 2013 lag die Zahl praktisch bei null.
Ich bin davon überzeugt, dass das Instrument der humanitären Visa stärker genutzt werden muss. Schutzsuchende sollten in den Botschaften der EU-Mitgliedstaaten Visa beantragen und sich vor Ort für ein Asylverfahren registrieren lassen können. Dazu müssen u. a. humanitäre Aufnahmeprogramme und das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen ausgebaut werden, damit Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, nicht auf die lebensgefährliche Mittelmeerüberquerung mit Hilfe von Schleppern angewiesen sind.
Ein wirklich einfaches und schnell wirksames Instrument wäre die Erweiterung der Familienzusammenführung. Ich möchte dazu ein Beispiel aus meinem Büro vom gestrigen Tag schildern. Ein anerkannter syrischer Asylberechtigter, Herr O., ein Ingenieur, der seit einem Jahr in Niedersachsen lebt, konnte im Rahmen des Familiennachzugs im Visumverfahren seine Frau und die minderjährige Tochter mit dem Namen Rand nachholen. Da sich der Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz grundsätzlich nur auf Ehegatten und minderjährige Kinder bezieht, wurden die Visaanträge
für die allein lebenden, 1995 und 1996 geborenen Töchter Reem und Rama abgelehnt. Wie grausam!
Ich bitte auch Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Lassen Sie uns - wir sind schon im Gespräch - gemeinsam in Berlin vorstellig werden, um wenigstens beim Familiennachzug schnell großzügigere Regelungen zu erreichen!
Sehr geehrte Damen und Herren, zudem muss unserer Ansicht nach das Dublin-System geändert werden. Legale und geschützte Einreisemöglichkeiten müssen im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes ausgebaut werden. Wir haben bei der letzten Plenarsitzung in diesem Haus darüber gesprochen und eigentlich eine große Einigkeit festgestellt.
Selbstverständlich muss auch über friedens- und entwicklungsfördernde Strategien in den Herkunfts- und Transitländern gesprochen werden und über eine vernunftgeleitete Außenpolitik der einzelnen EU-Staaten, die - anders als im Falle Libyens 2011 - nicht Failing States herbeibombt, ohne über die Konsequenzen nachzudenken.
Aber die Menschen warten jetzt an den Küsten Nordafrikas auf die Überfahrt in den vermeintlich sicheren Hafen Europa. Sie besteigen jetzt die Boote, die zu Recht Seelenverkäufer genannt werden. Lassen Sie uns deshalb jetzt helfen! Allein 2014 hat die nach dem Unglück von Lampedusa von Italien gestartete Operation Mare Nostrum 100 000 Menschen gerettet. Der Friedensnobelpreisträger Europa kann mehr.
Ich bitte Sie um Unterstützung für diesen Antrag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land ist ein attraktives und weltoffenes Land. Wie attraktiv es ist, haben wir von der OECD bestätigt bekommen. 2013 war Deutschland nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt, verzeichneten wir mit 429 000 Personen den höchsten Wanderungsgewinn seit 20 Jahren. In Niedersachsen blieben netto, wenn man so will, 35 000 Menschen. Niedersachsen ist ein Einwanderungsland.
Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich ist Niedersachsen dies seit seinem Bestehen als Bundesland. Am 20. September 1945 wurde das Grenzdurchgangslager Friedland auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht als erste Anlaufstelle für Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrer eingerichtet. Mehr als 4 Millionen Menschen sind seitdem über Friedland in die Bundesrepublik eingewandert. Viele sind in Niedersachsen geblieben, haben hier ihre neue Heimat gefunden und den Regionen damit zu Prosperität verholfen.
Ab Frühjahr 2016 werden die Geschichte Friedlands, aber auch die Geschichte von Zu- und Abwanderung sowie von Flüchtlingsbewegungen weltweit im Museum Friedland unter dem Leitmotto „Abschied, Ankunft, Neubeginn“ zu sehen sein. Ich freue mich auf die Eröffnung des Museumsprojekts, das direkt neben einer Erstaufnahmeeinrich
tung des Landes entsteht. Geschichte und Gegenwart von Flucht, Vertreibung und Migration in direkter Nachbarschaft - das dürfte weltweit einzigartig sein.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch das ist gerade schon erwähnt worden: Derzeit profitieren wir von einer hohen Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus der Europäischen Union. Klar ist allerdings: Wenn sich die Beschäftigungslage im Süden und Südosten Europas eines hoffentlich nicht so fernen Tages - das muss man ja wünschen - verbessert, wird der Zuzug aus diesen Ländern abflauen. Wir stehen dann wieder stärker im Wettbewerb mit anderen attraktiven Wirtschaftsstandorten um qualifizierte Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten, aus Drittstaaten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Damit sind wir nah an einem Problem. Wir müssen unser Tafelsilber künftig im weltweiten Wettbewerb ein bisschen besser polieren und präsentieren. Das kann nur mit einem expliziten Einwanderungsgesetz geschehen.
Aufenthalts- und Zuwanderungsrecht sind zersplittert und unübersichtlich. Es gibt zwar nur vier Aufenthaltstitel, diese sind aber mit Regelungen für mehr als 50 unterschiedliche Aufenthaltszwecke hinterlegt. Die Einwanderungsregeln sind über mehrere Gesetze verstreut. Das versteht schon hier kaum ein Mensch. Wie sollen wir das dann erst draußen in der Welt erklären und damit für eine Tätigkeit in Deutschland werben?
Das Land Niedersachsen hat sich am 6. März aus diesem Grund einem Entschließungsantrag des Landes Rheinland-Pfalz angeschlossen. Darin wird der Bund auch und gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung aufgefordert, unter der Überschrift „Einwanderungsgesetz“ ein modernes, liberales und überschaubares Regelwerk zu schaffen. Ich sage Ihnen hier ausdrücklich: Wir fürchten nicht etwa eine breite öffentliche Debatte über Deutschland als Einwanderungsland, sondern wir wünschen uns nach Jahrzehnten des heimlichen Faktenschaffens ausdrücklich, dass die Menschen in Deutschland endlich über Chancen und Grenzen diskutieren dürfen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Eckpunkte eines solchen Einwanderungskonzeptes werden wir daher auch im neuen Beirat für Migration und Teilhabe der Landesregierung diskutieren. Am 20. Mai findet die konstituierende Sitzung dieses Gremiums statt. Unmittelbar im Anschluss können die Mitglieder, die aus zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens und der niedersächsischen Wirtschaft kommen, ihre Vorstellungen artikulieren. Ich kann Ihnen nach Rücksprache mit Innenminister Boris Pistorius jetzt schon sagen: Wir werden die Anregungen, die daher kommen, mit nach Berlin nehmen.