Wer zu DDR-Zeiten Verbrechen begangen hat, muss bestraft werden. Das geht aber nicht über das Rentenrecht. Dafür müssen Sie andere Möglichkeiten finden.
Herr Dr. Pellmann hatte das Wort für die einbringende Fraktion DIE LINKE. – Nun hätte die CDU-Fraktion erneut die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. – Kein Redebedarf. Gibt es bei der SPD Redebedarf? – FDP und GRÜNE haben keine Redezeit mehr, die NPD auch nicht. Wir könnten jetzt in eine weitere Rederunde eintreten. Sie haben noch Redezeit, Herr Kollege Dr. Pellmann.
(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Wir warten erst einmal, was die Ministerin sagt! – Zuruf: Ha, ha! – Heiterkeit)
Dann hätte jetzt die Staatsregierung das Wort. – Frau Staatsministerin Clauß, Sie ergreifen dasselbe auch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! 85 % der Deutschen wünschen sich eine Angleichung der Renten Ost/West. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der „Leipziger Volkszeitung“ vom letzten Samstag. Ja, dieser Wunsch ist sehr wohl nachvollziehbar. Aber es ist auch hier wie bei einer Versicherungspolice: Wir müssen auf das Kleingedruckte achten. Das, meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, verschweigen Sie bei Ihren Forderungen.
Um das Kleingedruckte oder – um auf Ihren Jargon einzugehen – die Scheinargumente – so nannten Sie es, Herr Pellmann, in Ihrem Rundumschlag – noch einmal zu verdeutlichen: Sie wissen, die neuen Länder haben bereits im Jahr 2008 einen entsprechenden Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht. Dieser Antrag wurde jedoch von uns aus guten Gründen nicht weiter verfolgt. Während der Diskussion darüber wurde sehr schnell deutlich, dass die Debatte um die Angleichung der aktuellen Rentenwerte – es geht nicht um all die Sachen, die hier noch genannt wurden – untrennbar mit der sogenannten Hochwertung der im Beitrittsgebiet – das waren wir damals – gezahlten Entgelte verbunden ist. Mit der rentenrechtlichen Hochwertung wird nicht nur den unterschiedlichen Einkommensverhältnissen in Ost und West Rechnung getragen; mit ihr werden auch die unterschiedlichen Rentenwerte ganz oder teilweise ausgeglichen. In den Branchen, in denen bereits jetzt zu 100 % West verdient wird, erfolgt sogar eine Überkompensation. Auch das gehört mit zur Wahrheit.
Auf die Berechtigung der rentenrechtlichen Hochwertung habe ich immer wieder hingewiesen. Sie war und ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Aber wir können keine Angleichung der Rentenwerte vornehmen, die von der Lohnentwicklung abgekoppelt ist. Das würden die strukturschwachen Länder nicht hinnehmen. Das hat auch schon zu einigen Diskussionen geführt, und zwar auch aus Sorge um eine Schlechterstellung einkommensschwacher Menschen im Westen. Diesbezüglich von einem eiskalten Brechen eines Rentenversprechens zu reden, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Ihnen allen dürfte bekannt sein, dass die Forderungen nach einer Abschaffung der rentenrechtlichen Hochwertung auch von der anderen Seite immer lauter werden. Ich halte es deshalb für geradezu unverantwortlich, ständig unrealistische Maximalforderungen zu stellen, die letztendlich das Gegenteil von dem bewirken werden, nämlich eine rentenrechtliche Schlechterstellung der Menschen hier in unserem Bundesland.
Im Gegensatz zu Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, wird die Staatsre
gierung keinen Aktionismus betreiben, der den Menschen in unserem Land schadet. Auch ohne die von Ihnen geforderte sofortige Angleichung der Rentenwerte Ost und West – es geht immer wieder um die Rentenwerte, was hier unter den Teppich gekehrt wurde – sind wir bei der Vereinheitlichung der Rentenwerte auf einem guten Weg. In diesem Jahr konnten wir uns über eine Rentensteigerung im Osten in Höhe von 3,29 % freuen. Das haben sich unsere Rentner sehr wohl verdient. Auch hier haben wir gesehen, was sie geleistet haben.
Sie haben eben noch einmal plausibel gemacht, dass die Höherwertung noch notwendig ist, weil der ostdeutsche Arbeitsmarkt zu weniger Rentenpunkten führt und es damit für die heute Beschäftigten ein Nachteil wäre, wenn die Angleichung Ost und West, die ja mit der Abschaffung der Höherwertung verbunden ist, schnell käme. Meinen Sie aber nicht, dass diese strukturellen Ungerechtigkeiten des Arbeitsmarktes nicht über die Rente geklärt werden sollten, sondern dort, wo sie entstehen, nämlich am Arbeitsmarkt? Mindestrente oder weitere Zuschüsse für ALG-II-Empfänger zur Rentenversicherung sind Maßnahmen, die dazu führen, dass sich diese strukturellen Verwerfungen nicht so stark ausprägen und man deshalb auf die Höherwertung verzichten kann. Dort wäre Einsatz gefordert, wenn Sie das verhindern wollen.
Diese Komplexität ist nicht zu unterschätzen. Ich werde noch einmal darauf zurückkommen. Wir haben unser Gutachten „Alter, Rente, Grundsicherung“ vor Augen. Das spricht eine eigene Sprache.
In diesem Jahr konnten wir uns im Osten über eine Rentensteigerung in Höhe von 3,29 % freuen. Ich sagte es bereits. Das haben sich unsere Rentnerinnen und Rentner auch verdient. Damit hat sich der aktuelle Rentenwert im Osten deutlich dem aktuellen Rentenwert im Westen angenähert. Dies zeigt, dass sich das bestehende Rentensystem bewährt hat. Gleichwohl wird es eine weitere Aufgabe sein, das System immer wieder an die aktuellen Bedingungen anzupassen. Dazu wurde das Thema Kindererziehungszeiten genannt, und ich nenne nochmals das Thema Lücken im Erwerbsleben.
Nochmals die klare Ansage: Unsere Rente muss solidarisch, solide und generationengerecht sein, und Sachsen wird sich diesbezüglich sehr wohl in den anstehenden Koalitionsverhandlungen positionieren.
Das war die Staatsregierung. Frau Staatsministerin Clauß hat ihre Ausführungen dargelegt. – Gibt es weiteren Redebedarf? – Es war zu erwarten, Herr Dr. Pellmann, Sie nutzen Ihre noch vorhandene Redezeit für die Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident, ich werde sie heute vielleicht erstmalig gar nicht ausschöpfen. Aber, Frau Staatsministerin, ich möchte doch ganz freundlich sagen: Sie haben heute keinerlei neue Argumente eingebracht, und Sie haben auch die vier Thesen, die ich Ihnen zu Ihren Scheinargumenten dargetan habe, nicht widerlegen können. Das stelle ich rein sachlich fest. Sie haben demzufolge auch nicht begründen können oder wenigstens dazu Stellung nehmen wollen, weshalb das Rentenannäherungsversprechen damals in den Koalitionsvertrag, der ja noch gilt, hineingekommen ist.
Es ist bisher von niemandem gesagt worden: Das war ein Fehler. Oder: Wir haben es damals nicht besser gewusst. Wenn Sie sagen würden, wir haben es nicht besser gewusst, so muss ich Ihnen sagen: Es war von den Experten ganz klar gesagt worden – vor 2009 –, wohin die Reise gehen könnte. Es gab, wie Frau Herrmann heute festgestellt hat, in der Tat mehrere Modelle. Wir haben auch hier mehrere Modelle diskutiert. Es bleibt also – ob Sie wollen oder nicht – für mich bei einer bewussten Wählertäuschung. Es kann ja sein, dass der Freistaat Sachsen mit seiner Staatsregierung hierbei nicht in der vordersten Reihe marschiert ist – was man ihm übelnehmen müsste, weil wir deutlich machen müssen: Wenn es um die Rentenangleichung geht, dann muss natürlich in erster Linie die Initiative von Sachsen ausgehen.
Wir haben die Bevölkerung mit dem höchsten Durchschnittsalter. Wir haben die meisten Rentnerinnen und Rentner, und ich bin völlig unzufrieden mit dem, was sowohl Ihre Fraktion als auch Sie selbst sagten: dass die Sache auf einem guten Weg sei. Leider ist sie das nicht, und wir wissen nicht, was uns erwarten würde, wenn die CDU weiterhin die Regierung stellt. Wir werden abwarten, wie es ausgeht.
Aber wir können einfach nicht abwarten, dass das noch Jahrzehnte dauert – aus dem einfachen Grund: weil das dann viele, die nicht mehr im Arbeitsprozess stehen, gar nicht mehr erleben würden, und weil viele, die noch keine Rente bekommen, dann auch davon betroffen wären, dass es noch nicht zur Renteneinheit gekommen ist. Die
Übergangsperiode, die ich Ihnen gern zugestehen würde, muss irgendwann zu Ende sein. Für uns ist sie schon lange zu Ende, und insofern kann ich nur sagen: Wir bleiben bei dem Thema unserer heutigen Aktuellen Debatte, so wie wir es formuliert haben. Es gab keine hinreichenden Argumente, die uns veranlassen könnten, etwas von dem zurückzunehmen, was dort an These – und damit auch an Vorwurf Ihnen gegenüber – steht.
Ja. Ich möchte noch einmal auf das Argument von Herrn Dr. Pellmann eingehen, dass es noch Jahrzehnte dauern würde, bis die West- und die Ostrenten angeglichen seien. Sie sagten vorhin, es würde noch über 50 Jahre dauern. Ich hatte schon einmal gesagt, wir sind beim Rentenniveau bei 92 % und haben in diesem Jahr 3 Prozentpunkte zugelegt. Wenn Sie da einmal ein wenig vorrechnen – wir haben die Rentenprognosen der Bundesregierung sowie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, die besagen, dass die Ostrenten auch im kommenden Zeitraum steigen müssten – und 8 durch 3 teilen und annehmen, es würde in den nächsten Jahren so weitergehen – was ich nicht einschätzen kann –, dann kommt bestimmt nicht 50 heraus. Insofern ist die Annäherung näher, als Sie es sich vorstellen können bzw. es vielleicht auch wollen. Sie wird Schritt für Schritt erfolgen, aber so lange dauert es nicht mehr, und ich denke, wir werden dann – vermutlich 2020 – eine Angleichung haben, wenn wir jetzt den Prozess einfach weiterverfolgen, so wie er derzeit läuft.
Herr Krauß, mit der Mathematik ist es so eine Sache. Ich habe, wenn Sie richtig zugehört hätten, gesagt: In den letzten zehn Jahren hat sich der Abstand um 2 % verringert.
Rechnen Sie mir das mit Ihren 92 % einmal vor. 3 % Rentensteigerung entspricht noch lange nicht einer Ab
standsverkürzung von 3 %. Das ist ein völliger Unterschied. Aber es ist nicht ganz einfach mit der Mathematik.
Aber ich will Ihnen Folgendes sagen: Ich bin doch nicht der Prophet, der sagen kann, dass es 50 Jahre dauern werde. Ich wünschte mir, es ginge schneller.
Jetzt bin ich dran! – Wir haben auch ein Programm dafür entwickelt. Natürlich gebe ich gern zu, dass wir dieses zum Teil auch von den Gewerkschaften abgeschrieben haben. Wir müssen doch nicht alles neu erfinden – im Unterschied zu Ihnen, die irgendetwas neu erfinden und dann im Endeffekt dort landen, wo wir jetzt sind: beim Wortbruch. Also, Herr Krauß, bei aller Liebe und Zuneigung Ihnen gegenüber – –
aber die Zuneigung bleibt, weil ich weiß, dass Herr Krauß im Erzgebirge oft einen einsamen Kampf, oft auch gegen die eigenen Heißsporne, führt. Das muss man auch einmal anerkennen, und genau deshalb hoffe ich, dass wir beide gemeinsam noch die deutsche Renteneinheit erleben. Ich wäre froh, Sie hätten recht mit 2020. Ich bezweifle das. Aber vielleicht erleben wir es noch gemeinsam. Sie sind ja noch jung, Sie werden es auf jeden Fall erleben. Das wünsche ich Ihnen zumindest.