Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich denke, es gibt keinen Redebedarf mehr. Es signalisiert auch niemand welchen. Damit würde ich nun die Aktuellen Debatten schließen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Die Fraktionen können zur allgemeinen Aussprache das Wort nehmen. Es beginnt die Fraktion der GRÜNEN, danach folgen DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich erteile nun Frau Abg. Herrmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Gesetzentwurf wird heute in 2. Lesung behandelt, und wir haben seit der Einbringung der Gesetzesinitiative im Dezember 2011 – ja, so lange ist das her – auf vielfältige Weise hier im Landtag sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der Kinder- und Jugendarbeit diskutiert. Wir haben im Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz diskutiert. Es gab eine Anhörung zu den beiden Gesetzentwürfen, die heute auf der Tagesordnung stehen. Wir haben gemeinsam mit den LINKEN ein Fachgespräch zu diesen Gesetzentwürfen durchgeführt und in den vier mitberatenden Ausschüssen diskutiert. Dabei wurden unsere Anliegen in mehreren Punkten unterstützt. Es geht uns darum, die Interessen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen.
Was heißt das für uns? Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal, ob in der Familie – dort können wir selbst dafür sorgen –, in der Freizeit, in der Politik oder in der Schule: Beteiligung darf niemals nur eine symbolische Geste sein, sozusagen ein Akt der Fürsorge. Es genügt keinesfalls, wenn Erwachsene die Interessen der Kinder und Jugendlichen stellvertretend wahrnehmen. Das ist das, was wir in der Vergangenheit hier im Hohen Haus zu unserer Initiative immer wieder von der Koalition gehört haben.
Was bedeutet es für uns, die Interessen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen? Das bedeutet zuerst einmal, man muss Inhalte verständlich kommunizieren.
Damit sich Kinder und Jugendliche mit ihren Wünschen, Ideen und Erfahrungen zu Wort melden und sich einbringen können, wie es so schön heißt, muss die Einladung an sie, muss die Information darüber, was zum Beispiel in der Kommune geplant ist, und muss die verwendete
Sprache verständlich sein. Das heißt, wir brauchen altersangemessene Formen der Information von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel über solche Vorhaben, die in der Kommune geplant sind und die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren. Denken Sie an die UNKonvention. Darin ist das niedergelegt.
Wir brauchen eine kind- und jugendgerechte Kommunikation. Ich möchte in diesem Zusammenhang den Petitionsausschuss erwähnen. Es ist zwar toll, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Alter an den Petitionsausschuss wenden können. Aber gerade für Kinder ist die Sprache, in der ihnen auf ihre Petition geantwortet wird, absolut unverständlich. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir das ändern können. Es ist übrigens auch für manche Erwachsenen unverständlich.
Was bedeutet es noch, die Interessen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen? – Die Beteiligung muss für Kinder und Jugendliche zum Beispiel in der Kommune sichtbar, erlebbar und fassbar sein. Das heißt, die Beteiligungsprozesse und ihre Ergebnisse müssen für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene sichtbar werden. Die Vorschläge müssen ernsthafte Konsequenzen haben. Ich meine damit nicht die Umsetzung eins zu eins, sondern den Prozess der ernsthaften Auseinandersetzung mit den Ideen, Vorschlägen und Anliegen von Kindern.
In dem Fachgespräch ist uns gesagt worden, dass junge Menschen oftmals schon mit der Einbringung einer Idee in ihrem Wohnort oder in der Schulkonferenz scheiterten, ohne dass die Gründe für sie nachvollziehbar dargestellt würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das schreckt ab.
Wir als Erwachsene haben eine große Chance. Wir können Kinder und Jugendliche dabei begleiten, eigene Erfahrungen auch mit demokratischer Auseinandersetzung, mit Einmischung zu machen,
indem wir diese Einmischung nicht als störend betrachten, sondern als das Recht von Kindern und Jugendlichen anerkennen. Kinder und Jugendliche können durch unser Interesse erleben, dass sie ernsthaft an der Gestaltung ihrer unmittelbaren Umwelt beteiligt sind und dass sie etwas bewegen können. Sie können erfahren, dass wir als Erwachsene diese Beteiligung schätzen.
Was bedeutet es noch, die Interessen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen? – Die Beteiligung, von der ich spreche, muss für alle erreichbar und allen zugänglich sein. Beteiligungsmöglichkeiten dürfen nicht zu einer Auslese führen, sondern müssen gerade auch sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche erreichen, auch Kinder und Jugendliche, die im öffentlichen Raum eher auf Barrieren stoßen, zum Beispiel, weil sie gewisse Einschränkungen wie Sinnesbeeinträchtigungen haben und eine besondere Kommunikation benötigen.
Es geht um moderne Beteiligungsmodelle, die altersangemessen alle Kinder und Jugendlichen erreichen sollen. Ansonsten machen Kinder und Jugendliche wieder die Erfahrung der Ausgrenzung.
Wenn man Kinder einbeziehen will, dann geht es natürlich auch um ganz konkrete Projekte in ihrem Umfeld. Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Zusammenhang hat Sachsen Nachholbedarf. Deshalb macht es in der Umsetzung unseres Gesetzesvorschlags auch Sinn, BestPractice-Beispiele zu sammeln und die positiven Erfahrungen, die bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel in Kommunen gemacht wurden, allen zugänglich zu machen, genauso wie die Gründe, die zum Scheitern geführt haben. Auch das ist wichtig, damit man dieselben Fehler nicht noch einmal begeht.
Wir brauchen vielfältige Verfahren und Methoden der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Die Frage muss sein, welche Formen geeignet sind, dem Anliegen der beiden Fraktionen, die diese Gesetzentwürfe eingebracht haben, und unserem gemeinsamen Anliegen, denke ich, gerecht zu werden; denn ich gehe davon aus, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen uns allen im Hohen Haus ein Anliegen ist.
Es geht eben nicht, wie es verkürzt dargestellt wird, allein um eine Absenkung des Wahlalters oder die Einrichtung von Kinder- und Jugendparlamenten. Das sind öffentlich gut wahrnehmbare Zeichen dafür, dass wir es ernst meinen, aber ausreichend sind diese Vorschläge nicht. Unser Gesetzesvorschlag geht deshalb darüber hinaus.
Die praktische Erfahrung in anderen Bundesländern ist, dass weder die Absenkung des Wahlalters noch die Einrichtung von Jugendparlamenten allein ausreichen, um die demokratische Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen langfristig zu einer positiven Erfahrung zu machen.
Die Möglichkeiten von Beteiligung sollten vielfältig sein. Sie sollten den konkreten Anliegen gerecht werden, an die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen anknüpfen, und es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche die Gelegen
heit bekommen, selbstständig Erfahrungen zu machen und ganz individuell demokratische Prozesse zu verstehen.
In der Anhörung wurde auch deutlich, dass wir eine Offensive brauchen, die nicht nur den Kindern, sondern auch uns Erwachsenen gilt. Wir Erwachsenen brauchen die Kenntnis über die vielfältigen Beteiligungsmethoden, wie ich es eben ausgeführt habe. Beteiligungsmethoden wie Kinder- und Jugendparlamente oder Foren gelingen aber nur dann, wenn die begleitenden Erwachsenen, zum Beispiel die Bürgermeister, diesen Dialog wirklich wollen, wenn sie die Auseinandersetzung nicht scheuen und die Erfahrungen, die sie dabei mit Kindern und Jugendlichen machen, als Bereicherung und nicht als Last empfinden.
Weil wir die Interessen von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen, wollen wir die Beteiligungsverfahren verbindlich regeln. Vertreter der Kinder- und Jugendarbeit haben uns darin zugestimmt – das wussten wir aber schon aus verschiedenen Anfragen –, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Sachsen nicht ausreichend ernst genommen werden und dass ein Gesetz zur Festschreibung dieser Rechte dringend notwendig ist.
Die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, ist etwas, was gelernt werden muss. Es handelt sich um einen Prozess. Wir tragen diesem Prozesscharakter mit unserem Gesetzentwurf Rechnung. Wir denken mit unserem Gesetzentwurf an die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen von Anfang an, von der Kita an. Natürlich gehört auch die Stimmabgabe bei Wahlen dazu.
Um die Beteiligung verbindlich regeln zu können, sind in unserem Gesetzentwurf Änderungen der Verfassung, der Gemeinde- und der Landkreisordnung und des Gesetzes über Kindertageseinrichtungen vorgesehen. Wir wollen einen gesetzlich geregelten Anspruch auf den Besuch einer Kindertageseinrichtung ab der Vollendung des ersten Lebensjahres für alle Kinder. Wir wollen das aktive Wahlrecht für Kommunal- und Landtagswahlen ab der Vollendung des 16. Lebensjahres. Wir wollen in der Gemeinde- und Landkreisordnung, hier in den Artikeln 3 und 4, festschreiben, dass Kinder und Jugendliche über alle Entscheidungen, die sie in besonderem Maße betreffen, von den Kommunen unterrichtet, dazu beraten und daran beteiligt werden. Auch Einwohneranträge und Anträge auf Einberufung einer Einwohnerversammlung sollen Kinder und Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen ab einem Alter von 12 Jahren stellen können. Das können Sie in unserem Gesetzentwurf nachlesen.
Die Kernpunkte der Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen lauten zusammengefasst: Die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen wird hervorgehoben. Die Rechte auf Prävention und Schutz werden in der Verfassung verankert. Das heißt, das Recht auf Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung und das Recht auf den Schutz vor Gewalt und vor Vernachlässigung nehmen Staat und Gesellschaft in die Pflicht, diese Rechte zu achten und zu
sichern. Daraus leitet sich das Recht von Kindern und Jugendlichen ab, an allen Entscheidungen, die ihr Leben unmittelbar betreffen, beteiligt zu werden, also das Recht auf Partizipation. Bei allen Entscheidungen, die wir hier treffen und die anderswo getroffen werden, sind die Folgen für Kinder und Jugendliche zu beachten.
Wir halten diese Forderungen aufrecht, obwohl wir gerade eine Verfassungsänderung beschlossen haben. Für diese Forderungen war in der Diskussion aber kein Raum. Die Verfassungsänderung bedeutet nicht automatisch, dass in Zukunft keine Vorschläge mehr gemacht werden können, die in diese Richtung zielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich erinnern, dann wissen Sie, dass Jugendliche in einem Alter von 14 bis 27 Jahren auf dem Con-Festival der Staatsregierung im Jahr 2012 in Workshops ihre Vorstellungen von politischer Mitwirkung in Sachsen klar formuliert haben. Sie sprechen sich für ein Wahlrecht ab dem 16. Lebensjahr aus. Sie fordern eine bessere Kommunikation politischer Inhalte. Sie fordern mehr Jugendbeteiligung in den Kommunen und eine gesetzliche Verankerung von Beteiligungsformen für Kinder und Jugendliche. Diesen zentralen Forderungen der Jugendlichen an die Staatsregierung sind wir mit unserem Gesetzentwurf nachgekommen. Für Sie alle bietet sich heute eine gute Gelegenheit, diese Forderungen umzusetzen, indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erfahrungen sind der Schlüssel zum Engagement und zur Übernahme von Verantwortung. Erfahrungen, die mit Erfolgen verbunden sind, machen Spaß und machen Mut, es wieder zu versuchen. Kinder und Jugendliche entwickeln auf diese Weise eine positive Haltung zur demokratischen Zivilgesellschaft. Sie mischen sich ein und – das ist wichtig! – sie werden sich auch in Zukunft einmischen.
Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, lebt unsere Demokratie. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kommen wir von den vorhin viel diskutierten Senioreninnen und Senioren zu unserer Jugend.