Protocol of the Session on December 13, 2007

Ich möchte, dass Sie bei der Abstimmung an die Menschen denken, die – auch in Sachsen – erstens damit konfrontiert werden, dass sie einen Schaden bis an ihr Lebensende haben, und die zweitens damit klarkommen müssen, dass in ihrem sächsischen Parlament jemand sitzt, der da mitgemacht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und des Abg. Klaus Baier, fraktionslos – Zuruf der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Das ist keine Bewährung in der Demokratie, sondern es ist auf der anderen Seite ein 17 Jahre langes Offenhalten von Wunden, und darüber entscheiden wir jetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Herr Dr. Gerstenberg, möchten Sie noch sprechen? – Bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte heute eigentlich gar nicht sprechen, sondern nur meinen Bericht im Namen des Ausschusses abgeben. Ich habe in der 85. Sitzung am 6. Juli 2007 sehr ausführlich zu dieser Frage gesprochen und habe dem eigentlich auch nichts hinzuzufügen. Ich habe mich jetzt doch noch einmal gemeldet, da es für mich eine einmalige Situation ist, dass nicht nur mir, sondern auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Bewertungsausschuss und im Geschäftsordnungsausschuss von Ihnen, Herr Bartl, Gesinnungsschnüffelei vorgeworfen wird. Es gibt Dinge, die treffen mich – das gebe ich ganz offen zu –; es gibt aber auch Dinge, die finde ich unverschämt und inakzeptabel.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Sie haben eine juristische Lehreinheit über den Artikel 118 gehalten. Das will ich dahingestellt sein lassen. Ich habe inzwischen auch erfahren, dass unser Vertreter damals im Verfassungsausschuss sehr wohl die Streichung in der Schlussabstimmung beantragt hat. Aber wir haben den Artikel 118. Ich sage mal für mich: Natürlich gibt es dort einen zeitlichen Ablauf und ich gehe davon aus – und ich hoffe es –, dass wir hier in diesem Sächsischen Landtag heute die letzte Debatte zu einer Abgeordnetenanklage führen.

Vor dem Hintergrund dieses Artikels 118 ist es aber wichtig, die Untragbarkeit der Weiterführung des Mandats zu beleuchten. Sie sagen: Es kommt nur auf das Verhalten an. – Was heißt das? Soll Herr Dr. Külow sein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und wenn das leer ist, dann ist alles in Ordnung?

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Die Ausschüsse, die hier arbeiten, haben – und Sie waren selbst teilweise anwesend – in einer sehr differenzierten Art und Weise versucht, die Tätigkeit von damals aus heutiger Sicht zu bewerten, um zu erfahren, wie er aus heutiger Sicht seine Arbeit von damals sieht. Dazu sagen Sie Gesinnungsschnüffelei. Das ist für uns eine wichtige Grundlage für unsere Bewertung gewesen.

Ich muss so sagen: Es war für mich auch im Geschäftsordnungsausschuss hoch interessant zu erfahren,

(Klaus Bartl, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

dass Herr Dr. Külow auf die Frage, ob er die DDR als Diktatur sieht – eine Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt, bei der auch ich lange Zeit brauchte, um dort zu einem Ja zu kommen als DDR-Bürger, der seine guten Stunden gehabt hat –, im Sinne der Klassiker gesagt hat: Natürlich, das war die Diktatur des Proletariats. Also eine marxistisch-leninistische Lehreinheit.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt nicht und von Ihnen nicht, Herr Bartl.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Auf die Frage, ob es Unterschiede zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und Geheimdiensten in einem parlamentarisch-demokratischen System gibt, ist Herr Dr. Külow der Meinung, alle Geheimdienste seien gleich und es sei ein Witz, dass es eine parlamentarische Kontrolle oder Ähnliches für Geheimdienste gebe. Diese Gleichsetzung der Staatssicherheit zum Beispiel mit dem Verfassungsschutz war für mich hoch interessant und wichtig für meine Bewertung.

Mir ist vor einiger Zeit in Vorbereitung auf ein anderes Thema ein kleines Gedicht in die Hand gefallen – das ich jetzt einfach mal vortragen will –, ein Gedicht, das damals ein 40-jähriger Arbeiter in der DDR als Witz in die Welt setzte:

„Lieber Gott, mach mich blind, dass ich nicht die Mauer find. Lieber Gott, mach mich taub, dass ich nicht dem RIAS glaub. Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht ins Zuchthaus kumm. Bin ich dann stumm, taub und blind, bin ich Ulbrichts liebstes Kind.“

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Darüber kann man heute lachen und wenn an der Stelle „Ulbricht“ „Merkel“ stünde, würde man auch darüber lachen oder vielleicht den Kopf schütteln. Diesem Menschen hat dieses Gedicht damals unter dem Wirken der Staatssicherheit sechs Jahre Zuchthaus eingebracht. Und das sind die Unterschiede, über die wir hier diskutieren müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP, der Staatsregierung und vereinzelt bei der NPD)

Herr Gerlach, bitte.

Frau Präsidentin, der Abg. Dr. Külow hat den Wunsch geäußert, als Letzter zu sprechen. Ich kann den Wunsch verstehen. Ich gebe hier aber kund, dass ich mir als freier Abgeordneter das Recht vorbehalte, auf das, was er möglicherweise sagt – und es ist schon sehr viel gesprochen worden –, hier noch einmal zu reagieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der NPD)

Das ist selbstverständlich, dass sich dann noch jemand als Reaktion darauf melden kann. – Bitte, Herr Dr. Külow, dann rufe ich Sie jetzt auf. Es sieht so aus, als ob im Moment kein anderer Abgeordneter mehr sprechen möchte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man versucht, die seit dem Monat Februar 2007

laufende Vorbereitung der Erhebung der Abgeordnetenanklage gegen meine Person auf den Begriff zu bringen, trifft der bekannte Sponti-Spruch der 68er-Bewegung „Du hast keine Chance, nutze sie!“ wohl am ehesten den Kern der Sache.

Auch wenn einige Vorredner mit zum Teil sehr salbungsvollen Worten erklärt haben, dass die Frage der Erhebung der Abgeordnetenanklage angeblich sachlich und neutral abgewogen untersucht worden sei, allein der seinerzeitige Auftakt der Kampagne – Frau Windisch, Sie erinnern sich vielleicht –, nämlich die von der Birthler-Behörde durchgestochene Präsentation meiner Akten in sämtlichen sächsischen Zeitungen ab 8. Februar 2007, lange bevor ich sie selbst zu Gesicht bekommen hatte, zeichneten das heutige Abstimmungsergebnis vor.

Ich sage das übrigens mit aller Gelassenheit und beklage das keinesfalls, denn ich bin kein Freund von Larmoyanz. Außerdem gönne ich Journalisten schon aus alter beruflicher Verbundenheit zunächst erst einmal jede Enthüllung. Aber auf die Mühlen der Selbstbeweihräucherung der Mehrheit des GOI-Ausschusses, der in der vorliegenden Beschlussempfehlung allen Ernstes behauptet, unter „Abwägung aller Umstände“ gehandelt zu haben, muss ich nicht noch zusätzliches Wasser leiten. Die Mehrheit beabsichtigte nämlich sowohl im Bewertungs- als auch im GOI-Ausschuss von Beginn an keineswegs die Abwägung aller Umstände. Das war bei einer Arbeitsweise, die stark von parteipolitischer Voreingenommenheit und einer zum Teil offen zur Schau getragenen Verachtung meiner Person geprägt war, auch nicht möglich.

Diese bittere Feststellung ist durch viele Tatsachen belegbar. Ich will es bei einem sehr gewichtigen und von jedem hier im Saal nachvollziehbaren Nachweis an dieser Stelle belassen:

Seit Ende Februar haben die beiden Ausschüsse und das Plenum in der Summe ein Dutzend Mal getagt. Mir wurden in einer Gesamtsitzungszeit von sicher mehr als 30 Stunden über 100 Fragen gestellt. Nicht eine einzige Frage – ich betone: nicht eine einzige Frage – vonseiten der Mitglieder der Ausschussmehrheit befasste sich aber beispielsweise mit meiner konkreten politischen, wissenschaftlichen oder journalistischen Tätigkeit ab 1990, und das ist immerhin ein Zeitraum von 17 Jahren. Herr Bartl hat schon darauf hingewiesen: Die vom Landesverfassungsgericht mit Blick auf die in § 118 geforderte Einbeziehung der sogenannten Nachbewährung bei Erhebung der Abgeordnetenanklage, also die Gesamtheit des Wirkens in den Strukturen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, interessierte von der Ausschussmehrheit niemanden. Es war für sie schlichtweg nicht existent.

Ich habe immer kritisiert und tue es auch hier und heute, dass meine mittlerweile 30-jährige Biografie im Sächsischen Landtag stets auf die 18-monatige Zusammenarbeit mit der Stasi reduziert wurde, die inzwischen fast 20 Jahre zurückliegt. Diese einseitige Perspektive kann im Grunde aber auch nicht verwundern, hatte doch, bildlich gesprochen, die Hubertus-Knabe-Fraktion sowohl im Bewer

tungs- als auch im GOI-Ausschuss mehrheitlich das Sagen. Diese Mehrheit der Mitglieder beider Gremien verfügt offenkundig nur über ein Grundmuster ihrer Erkenntnis- und Interpretationsfähigkeit: Mit der Gleichförmigkeit einer tibetanischen Gebetsmühle hieß es immer wieder nur: „Wo ‚Külow’ draufsteht, muss auch MfS drin sein“ oder, wie es dieses eindimensionale Weltbild in meiner Ihnen vorliegenden Stellungnahme metaphorisch umschrieb: „Die Erde ist eine StasiScheibe.“

Dieses geradezu reflexhafte Grundmuster wurde am tendenziösen Umgang mit allen unwiderlegbaren Tatsachen, wie zum Beispiel der prinzipiellen Offenlegung meiner IM-Tätigkeit vor der Landtagswahl 2004, deutlich. Noch klarer trat es im weiteren Verlauf des Verfahrens hervor, indem immerhin mein Anwalt als Zeuge abgelehnt wurde.

Jeder zugelassene Entlastungszeuge hingegen, jedes vorgelegte Beweismittel, darauf hat meine Vorrednerin, Frau Lay, schon hingewiesen, wie beispielsweise der über mich gedrehte Film aus der Wendezeit, jede von Betroffenen angenommene Entschuldigung wurde in ein vermeintliches Belastungsindiz gegen mich umfunktioniert. Dieses deutlich parteiische Vorgehen war und ist auf ein strategisches Ziel ausgerichtet: mir die persönliche Integrität für die Innehabung eines Landtagsmandats abzusprechen. Dafür schreckte man in den Ausschusssitzungen übrigens auch gelegentlich nicht vor rüden verbalen Attacken gegen mich zurück. Für eine dieser Rüpeleien bin ich allerdings bis heute sehr dankbar, denn in nur einem einzigen Wort enthüllte sich das eigentliche Geheimnis – oder sollte man vielleicht sagen: das Dilemma – der Tätigkeit beider Ausschüsse. Ich will die Gelegenheit nutzen, mich öffentlich – er wird jetzt sicherlich etwas überrascht sein – bei Herrn Lehmann von der CDU, denn um keinen Geringeren handelt es sich, an dieser Stelle ganz herzlich zu bedanken. Mit seinem auf meine vollständige moralische Vernichtung ausgerichteten Diktum in der GOI-Sitzung vom 1. Oktober 2007, dass ich nämlich angeblich von einer „Judaspersönlichkeitsstruktur“ – Zitat Lehmann – „geprägt“ sei, war im Grunde genommen alles gesagt. Ich gebe aber zu, Frau Windisch hat es heute mit dem „Steineschmeißer von der Brücke“ noch ein wenig getoppt.

Ich gestatte mir, auf diesen Redebeitrag noch etwas näher einzugehen. Sie sprach von dem „stabilen moralischen Wertegerüst“ und ihrem „inneren Kompass“. In diesem Kontext möchte ich eine Nachfrage stellen. Mir liegt die Große Anfrage der SPD, Drucksache 1/4326 von 1994, unterschrieben vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Karl-Heinz Kunckel, vor. Da wird nach der Personalpolitik im SMI gefragt. Jetzt wird sicherlich noch ein zweiter Abgeordneter sehr hellhörig werden. Dort wird festgestellt, dass im damaligen SMI insgesamt 161 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet haben, davon allein sechs im Büro des Ministers. Darunter waren ein Oberstleutnant, ein Major, 25 Hauptleute usw. usf. Wenn das natürlich zum stabilen

moralischen Wertegerüst und zum inneren Kompass der CDU und namentlich von Frau Windisch gehört, dann gebe ich ehrlich zu, dass ich diesen Kompass nicht kenne, nicht habe und nicht will.

Die Unerbittlichkeit der Ausschussmehrheit gegenüber meiner Person hat natürlich nicht nur mit meiner Biografie und ihren von mir offen eingeräumten Widersprüchlichkeiten zu tun, sondern auch und gerade mit der hier im Hause gepflegten Dämonisierung der DDR-Geschichte. Dieser Begriff ist übrigens keine Metapher, denn die Beschlussempfehlung spricht explizit von meinem „Pakt mit dem MfS“. Somit wurde wieder einmal – und ich bedaure das ausdrücklich – leichtfertig eine Chance vertan, in der DDR-Geschichtsaufarbeitung einen Schritt in Richtung Differenzierung zu gehen. Es reichte nicht für einen Millimeter Bewegung.

Eigentlich ist die DDR als Staatswesen längst tot. Aber sie wird in diesem Haus stets wie ein politischer Zombi behandelt, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit erneut getötet werden muss.

Über die gleich folgende Abstimmung und ihr Ergebnis – das hat auch die gerade abgelaufene Debatte gezeigt – mache ich mir keinerlei Illusionen. Mit umso größerem Vertrauen sehe ich danach einem rechtsstaatlichen Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht in Leipzig entgegen.

Ich will am Schluss meines Beitrages aber weniger in die Zukunft blicken, sondern vielmehr die Gelegenheit nutzen, mich zu bedanken, insbesondere bei meiner Familie und meinen Freunden sowie den Mitgliedern meiner Fraktion, vor allem denen im Bewertungs- und GOI-Ausschuss. Sie alle ermutigten mich in den vergangenen zehn Monaten und gaben mir den notwendigen moralischen sowie politischen Rückhalt, um diese für mich so schwierige Lebensphase bis zum heutigen Tag durchzustehen.

Meinen letzten Satz richte ich allerdings noch einmal direkt an die parlamentarische Mehrheit hier im Hause. Sie wollen mir heute etwas absprechen, das Sie mir gar nicht wegnehmen können: das persönliche Bekenntnis zu meiner gesamten politischen Biografie, eingeschlossen die begangenen Fehler und Irrtümer. Mit diesem Bekenntnis war und bin ich wählbar und werde es nach meiner festen Überzeugung auch künftig sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es gibt noch Gesprächsbedarf. Bitte, Herr Abg. Gerlach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich von militärischen Dingen wenig verstehe, habe ich auch keine Ahnung, ob es wirklich gut ist, wenn Angriff immer die beste Verteidigung ist. Ich hatte aber im Moment den Eindruck, als ob hier etwas in diese Richtung abläuft.

Aber deshalb bin ich nicht ans Pult gegangen, sondern ich möchte zwei Dinge zitieren, die Sie genannt haben, Herr Dr. Külow. Sie zitieren einmal diesen – wie Sie es nennen – Sponti-Spruch „Du hast keine Chance, nutze sie!“. Dann haben Sie gesagt – ich hoffe, ich habe es richtig mitgeschrieben –: „Die Mehrheit, auch im Bewertungsausschuss, beabsichtigte keineswegs die Abwägung aller Tatsachen.“ So war es jedenfalls sinngemäß.

Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist hier im öffentlichen Teil mehrfach gesagt worden, dass es zwei Verfahrensschritte im Bewertungsausschuss gab. Ich habe nicht das Recht, über Details zu sprechen, das darf ich nicht. Aber ich darf sagen, dass dieser Spruch, den Sie da abgelassen haben, „Du hast keine Chance, nutze sie!“, nicht zutrifft. Sie hatten genau diese Chance im ersten Teil, als der Bewertungsausschuss darüber zu befinden hatte, was uns a) vorlag und b) Sie uns erläutert haben. Sie waren ausdrücklich aufgefordert, uns zu diesem Thema ausführlich zu berichten. Uns war vorher Ihre neue Art des Umgangs mit Ihrer Tätigkeit bekannt, als Sie gesagt haben, dass Sie nichts zu verbergen haben und in die Offensive gehen wollen. Aber genau das ist in dem ersten Verfahren nicht passiert. Sie hatten Ihre Chance und haben sie nicht genutzt.