Die Verfassungsgerichtsrechtsprechung sagt dazu nicht „die Art und Weise, wie er sich dazu äußert“; und Ihre ganze Stellungnahme, in der Sie es begründen wollen, dass Dr. Külow untragbar ist, macht Folgendes: Sie zitieren aus dem, was er gesagt hat, und sagen: Das ist mir verbal nicht reuig genug. Sie stellen auf die Frage ab, dass das, was er sagt, verbal nicht reuig genug ist, und schlussfolgern daraus, dass er keine hinreichende Distanz zu den damaligen Dingen hat.
Herr Dr. Gerstenberg! Meine verehrten Damen und Herren Kollegen aus den beiden Ausschüssen, die Sie mit diesen Dingen befasst waren: Das ist nach der Rechtsprechung nicht der Maßstab. Der Maßstab ist, wie der Betreffende sein Leben gelebt hat und nicht, wie er sich in den Minuten oder in den Stunden der Anhörung nach Ihrem
Maßstab verbal äußert. Ob Ihnen das recht ist, ob Ihnen das weit genug ist, ob Ihnen das reuig genug ist, ob Ihnen das genügend distanziert von der Wortwahl her ist oder Ähnliches mehr, das ist nicht die Frage. Entscheidend sind in einem rechtsförmigen Verfahren: Sie greifen mit der Anklageerhebung sehr wohl intensiv in die Statusrechte des Abgeordneten ein.
Dabei ist entscheidend, dass Sie in rechtsförmiger Weise objektive Kriterien anlegen. Ein objektives Kriterium ist die Verhaltensweise in den Strukturen der freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Darüber steht nichts im Bericht, aus dem man entnehmen könnte, dass Sie ihm das gewissermaßen zum Vorwurf machen können unter dem Aspekt und der Verhaltensweise, er habe diese neuen Strukturen nicht für sich angenommen und die Wertmaßstäbe von damals durch die von heute ersetzt. Das haben Sie nicht. Sie können ihm nur vorwerfen, dass er sich nicht genügend von der DDR, von den DDRVerhältnissen und von der DDR-Staatssicherheit und Ähnlichem mehr distanziert hat. Aber das ist am Rande der Gesinnungsschnüffelei und unter dem Aspekt mit Sicherheit nicht ausreichend für den Verfassungsgerichtshof.
Doch, das ist es, Herr Dr. Gerstenberg. Auch wenn es unangenehm ist. Das ist Gesinnungsüberprüfung. Das geht nicht!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde Ihnen heute im Wesentlichen das vortragen, was ich als meine persönliche Auffassung vorgetragen habe, als wir hier vor einiger Zeit darüber abzustimmen hatten, ob wir gegen den Kollegen Porsch eine Abgeordnetenanklage erheben, weil sich der Sachverhalt aus meiner Sicht nicht verändert hat.
Ich bin der Auffassung, dass der entsprechende Artikel in unserer Landesverfassung nur eine schützende Funktion haben kann, nämlich ein Parlament vor Stasispitzeln, vor der Unterwanderung durch Stasispitzel zu schützen. Eine solche Funktion, wenn sie verfassungskonform sein soll, kann in keinem Fall eine strafende Wirkung haben, auch wenn sie als Strafe gegen den ehemaligen Stasispitzel wirkten, weil uns das in dieser Regelung nicht zusteht. Das heißt, wir müssen diese schützende Wirkung, die eine solche Regelung beinhalten kann, überprüfen, auch im Zeitablauf.
Ich bin der Auffassung, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass eine solche schützende Wirkung sicherlich zu dem Zeitpunkt, als sie beschlossen wurde, ihre Berechtigung hatte und unter Umständen zu diesem Zeitpunkt auch verfassungskonform war, weil man durchaus akzeptieren
kann, dass für das frei gewählte Parlament des Freistaates Sachsen zu Beginn eine erhebliche Gefahr bestand, dass dieses durch Stasispitzel unterwandert wird. Ich persönlich – ich spreche nur für mich persönlich – sehe diese Gefahr inzwischen nicht mehr. Daher bin ich zu der Auffassung gekommen, dass dieser Artikel unserer Landesverfassung inzwischen in einer neuen gesellschaftlichen Gegebenheit verfassungswidrig geworden sein könnte.
Wenn ich heute der Abgeordnetenanklage trotzdem zustimme, dann tue ich das in dem Bewusstsein, dass wir anklagen und nicht richten. Richten wird das Verfassungsgericht. Ich wünsche mir – das ist auch ein Grund, warum ich zustimme –, dass das Verfassungsgericht endlich eine inhaltliche Entscheidung über den eben angesprochenen Tatbestand trifft, damit geklärt ist, ob dieser Artikel nun verfassungskonform ist oder nicht. Das zu der Entscheidung, die wir hier formal zu treffen haben.
Um es aber auch deutlich zu machen: Die Stasispitzeltätigkeit des Kollegen Külow ist erwiesen und von ihm auch zugegeben. Er hat sie immer in dem Umfang zugegeben, in dem sie sowieso schon bekannt oder nicht zu leugnen war. Auch die Tatsache, zu welchem Zeitpunkt er dieser Tätigkeit nachgegangen ist, finde ich höchst bemerkenswert. Ich bin der Auffassung, dass Herr Dr. Külow als Abgeordneter in diesem Parlament politisch untragbar ist. Ich bin ferner der Meinung, Herr Dr. Külow, wenn Sie einen Funken Anstand im Leib hätten, dann würden Sie das erkennen und zurücktreten.
Herr Dr. Külow, Sie hatten sich gemeldet. – Sie wollen als Letzter sprechen. Frau Windisch hatte sich noch gemeldet und danach Herr Lichdi. Jetzt, bitte, Frau Windisch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn ich in der 1. Legislaturperiode dem Sächsischen Landtag nicht angehört und damit die Sächsische Verfassung nicht mitbeschlossen habe, so trage ich doch voll die Intention des § 118 und wehre mich dagegen, wenn Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hohen Haus, die keine Sozialisation in der früheren DDR haben, dessen Verfassungswidrigkeit infrage stellen.
Wenn wir dieses Verfahren führen, dann führen wir es nicht verfassungswidrig, sondern in Ausführung der Verpflichtung, die uns die Sächsische Verfassung auferlegt hat.
(Beifall bei der CDU und der SPD – Caren Lay, Linksfraktion: Wenn Ihnen nichts Klügeres einfällt, machen Sie nur weiter!)
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich noch einmal mit einer Besonderheit auseinandersetzen, die dieses Verfahren hatte. Ich habe leider einige derartige Verfahren schon miterleben müssen – Herr Bartl hatte es noch einmal angesprochen –: Die Besonderheit ist gewesen, dass es plötzlich eine Beweislastumkehr gegeben hat und ich den Eindruck hatte, in diesem Verfahren steht die Birthler-Behörde am Pranger und nicht derjenige, über den die Birthler-Behörde Material zur Verfügung gestellt hat.
Wir wissen, dass diese Behörde institutionell die Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der untergegangenen DDR zum Auftrag hat. Die Behörde war es, die in mühevoller und langwieriger Detailarbeit Fragmente der Unterlagen wieder zusammensetzte, die der Führungsoffizier von Dr. Külow in den letzten Tagen der Staatssicherheit durch Zerreißen und Vermischen der Schnipsel vernichtet zu haben glaubte. Die Behörde vereitelte damit in Ausführung ihres gesetzlichen Auftrages, dass die Absicht des Führungsoffiziers, die Spitzeltätigkeit Dr. Külows für die Nachwelt unzugänglich zu machen, zu tarnen und zu verschleiern, Wirklichkeit werden konnte.
Was war nun die Reaktion von Dr. Külow auf diese Arbeit, unterstützt natürlich von den Kollegen der Linksfraktion im Ausschuss? Die Reaktion war nicht, ich sage es einmal so, die Dankbarkeit dafür, dass diese Unterlagen der Erinnerung auf die Sprünge geholfen haben, die vorhandene unvollständige Erinnerung an seine Stasitätigkeit aufzufrischen, sondern es war eine Anklage an die Behörde, dass sie nicht in seinem Sinn gehandelt hat.
Ich muss es noch einmal richtigstellen: Das, was Herr Bartl in Rede gestellt hat, dass die Birthler-Behörde die Unterlagen nicht geliefert hätte, die sie an die Presse gegeben hat, ist unzutreffend. Diese Unterlagen sind nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Denn aufgrund dieser Unterlagen, um die es im Jahr 2005 ging, ist in der ersten Anhörung im Bewertungsausschuss kein Verfahren auf Erhebung der Abgeordnetenanklage durch den Sächsischen Landtag angestrebt worden, sondern erst aufgrund der Unterlagen, die uns vor einem Jahr übergeben worden sind.
Ich möchte auch Folgendes feststellen: Es ist von den Vertretern der Linksfraktion – wir werden es dann sicher auch noch einmal von Dr. Külow hören – immer wieder betont worden, dass niemandem Schaden entstanden sei. Das konnten wir fürwahr nicht nachweisen. Ich bewerte das Ganze nicht als Jurist. Ich bewerte es aber mit einem Bild: Wenn jemand auf einer Brücke steht, die über die Autobahn führt, und von dort Steine hinunterwirft und es zum Glück kein Fahrzeug trifft, dann macht er sich trotzdem schuldig, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemacht zu haben. Es ist nicht Dr. Külows Verdienst, dass nachweislich kein Schaden entstanden ist. Dieser Fakt ist dem Untergang der ehemaligen DDR zu verdanken.
Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen. Eine grundsätzliche Aufarbeitung durch die Linksfraktion fehlt nach wie vor. Es handelt sich gerade nicht um ein parteipolitisch geprägtes Verfahren wegen eines, wie es oft ausgedrückt wurde, „missliebigen Oppositionspolitikers“. Es verwundert mich schon, dass ausgerechnet der Vertreter der Neonationalsozialisten dieses Argument auch aufgeführt hat. Dieses Verfahren müssten wir aus Achtung vor dem § 118 der Sächsischen Verfassung ohne Ansehen der Person gegen jedes andere Mitglied dieses Hohen Hauses mit gleicher Sorgfalt führen, wenn gleichartige Vorwürfe erhoben würden.
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion! Es ist nicht den anderen Fraktionen anzulasten, dass stasibelastete Abgeordnete regelmäßig nur in der Linkspartei zu finden sind. Ich fordere Sie auf, ich fordere insbesondere die jüngeren Kollegen in Ihrer Fraktion auf, diejenigen, die ihr Studium, den wesentlichen Teil ihres Lebens in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbracht haben: Setzen Sie sich kritischer mit der Vergangenheit Ihres Fraktionskollegen auseinander! Es ist keine Bagatelle, wenn Kommilitonen verpfiffen werden, wenn die Funktion des Seminarsekretärs ausgenützt wird, um über Studenten, über Kollegen, über Freunde und Bekannte zu berichten. Das ist mit freiheitlich-demokratischen Werten nicht vereinbar.
In dieser Zeit in der DDR, in einem Unrechtssystem – ich nenne es so, auch wenn Herr Dr. Külow über diese Brücke nicht gehen wollte –, hatten Recht und Rechtsstaatlichkeit keinen Wert. Es kam darauf an, dass der Einzelne ein stabiles moralisches Wertegerüst hatte, dass bei ihm die Warnlampen angegangen sind, wenn es darum ging, für die Stasi zu arbeiten und andere zu bespitzeln. Wer diesen inneren Kompass, dieses innere Wertegerüst damals nicht hatte, dem spreche ich auch ab, in einer herausragenden Funktion in einem demokratisch gewählten Parlament weiter seine Arbeit zu tun. Aus diesem Grunde unterstütze ich den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Petzold hat wieder diese Debatte dazu missbraucht, um seine abstrusesten Systemparteitheorien, die ja der NPD und der Naziszene in Deutschland von Anfang an eigen waren, hier auszubreiten. Ich möchte es, auch wenn wir es schon oft getan haben, an dieser Stelle nicht unwidersprochen lassen. Es ist unerträglich, wie Sie die demokratische Legitimation des Grundgesetzes als auch aller Entscheidungen, die danach getroffen wurden, hier infrage zu
stellen versuchen; denn aus demokratischer Sicht gibt es überhaupt keinen Zweifel, dass durch die Vielzahl von Bundestagswahlen, Landtagswahlen und die tatsächliche Anerkennung des Grundgesetzes durch die Bevölkerung, auch wenn sie nicht einer Volksabstimmung unterworfen worden ist, die demokratische Legitimation des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland außer Frage steht. Ich finde es schon sehr bezeichnend, dass Sie diese Debatte, in der es wahrhaft um ernsthaftere und wichtigere Dinge geht, dazu missbrauchen, um diesen Ihren nazistischen Müll hier auszubreiten.
Meine Damen und Herren! Zur Sache selbst. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich die Feststellungen meines Kollegen Dr. Gerstenberg, die er hier, denke ich, in sehr neutraler und ausgewogener Weise, Herr Bartl, vorgetragen hat – Sie haben einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken versucht –, ausdrücklich teile. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass Herr Dr. Gerstenberg auch die entlastenden Momente sehr fair und sehr offen vorgetragen hat. Es gibt diese entlastenden Elemente. Sie müssen es schon aushalten, wenn er dann vor dem Ausschuss trotzdem zu anderen Schlussfolgerungen kommt.
Ich möchte auch noch einen draufsetzen, was Ihnen nicht gefallen wird. Ich sage Ihnen ganz klar: Im Vergleich zu dem, was Herr Porsch sich hat zu Schulden kommen lassen, ist Herr Porsch gegenüber Herrn Dr. Külow ein reiner Waisenknabe. Das, was Dr. Külow getan hat, ist deutlich schlimmer zu bewerten als das, was Herr Porsch getan hat. Entlastend für Herrn Külow ist allerdings, dass er dazu steht, im Gegensatz zu Herrn Porsch.
Trotzdem – Herr Porsch, jetzt warten Sie es einmal ab, Sie müssen sich das anhören, ich wiederhole es auch gern noch einmal – –
Trotzdem komme ich zu dem Ergebnis, dass ich die Abgeordnetenanklage gegen Herrn Dr. Külow nicht unterstützen kann, und zwar aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. Der Artikel 118 ist eine Durchbrechung des Demokratieprinzips. Es wird damit nämlich den Wählerinnen und Wählern de facto das Recht auf freie, gleiche und geheime Wahl eines Abgeordneten aberkannt. Diese Durchbrechung war aus meiner Sicht im Jahr 1991, als das Stasi-Unterlagen-Gesetz erlassen wurde, gerechtfertigt. Das ist für mich eigentlich der relevante Gesichtspunkt, nicht Artikel 118/119, weil Bundesrecht ja Landesrecht bricht, auch die Verfassung. Damals hatte man sich geeinigt, dass dieses Gesetz für 15 Jahre gelten soll. Sie wissen, dass wir uns gegen jede vorzeitige Abänderung, wie Sie 2005 auch schon einmal vorgeschlagen hatten, mit dem Argument gewandt haben. Es wurde 1991 bis Ende 2006 so beschlossen, und wir wollen das einhalten. Ich sage aber auch, dass danach Schluss sein muss. Das
Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen kann ich dieser Abgeordnetenanklage nicht zustimmen. Ich sage aber zugleich: Wenn Herr Dr. Külow vor Kurzem, in diesem Jahr, als Sprecher des Stadtverbandes Leipzig der Linkspartei wiedergewählt wurde, dann fragt man sich schon, ob denn 18 Jahre danach auch in der Linkspartei, die ja jetzt angeblich eine neue Partei ist, die Mitarbeit bei der Stasi weiterhin eine integrale Voraussetzung für Spitzenämter in der Linkspartei sein soll.
Ich bitte Sie tatsächlich – manche Mitglieder Ihrer Fraktion nehmen ja auch das Wort des emanzipativen Sozialismus, oder ich weiß nicht, wie das heißt, in den Mund –, ob das mit dem Anspruch, den Sie dort verkünden, vereinbar ist. Ich glaube, solange Sie hier nicht sichtbar eine Auseinandersetzung darüber führen, welche Personen Sie ins Rennen schicken, so lange können Sie nicht glaubwürdig das Etikett „links“ und „emanzipativ“ für sich in Anspruch nehmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nichts wiederholen, aber ich möchte, dass Sie sich an das erinnern, was wir vor der Sommerpause im Juli hier besprochen haben. Ich möchte, dass Sie sich an die Stimmung erinnern, die entstanden ist, als wir gehört haben, mit welcher Banalität von Berichten Menschen möglicherweise lebenslang geschadet worden ist. Deshalb ist es für mich weder eine juristische noch eine kriminelle Auseinandersetzung, und deshalb kann man das auch nicht mit Verjährung in anderen Straftatbeständen vergleichen, sondern es geht um einen hohen moralischen Anspruch.
Ich möchte, dass Sie bei der Abstimmung an die Menschen denken, die – auch in Sachsen – erstens damit konfrontiert werden, dass sie einen Schaden bis an ihr Lebensende haben, und die zweitens damit klarkommen müssen, dass in ihrem sächsischen Parlament jemand sitzt, der da mitgemacht hat.