Protocol of the Session on July 21, 2006

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren! Das Kollegium Lehrstellen und Fachkräfte für Sachsen ist eine sinnvolle Einrichtung. Der Abschlussbericht vom Januar 2006 über die Ausbildungsoffensive des letzten Jahres offenbart aber auch eine gewisse Ohnmacht der Beteiligten angesichts der Problemlage, und ich finde es bemerkenswert, dass eine Initiative, der auch die Staatsregierung angehört, Formulierungen wie diese aufs Papier bringt – ich zitiere –: „Um benachteiligten Ausbildungsbewerbern mit schlechten schulischen Lernergebnissen angesichts der hohen Anforderungen auch im Bereich der dualen Berufsausbildung Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu eröffnen, sind zusätzliche Anstrengungen in Schule, Berufsorientierung und Ausbildungsunterstützung nötig. Besonderes Augenmerk ist auf gezielte Förderung zu richten, welche die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Zur Steigerung der Qualität der gesamten Bildung sollten sich künftig alle Bildungseinrichtungen einer unabhängigen externen Evaluation unterziehen.“ – Besser als das Kollegium hätten wir dies der Staatsregierung auch nicht ins Stammbuch schreiben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Setzen wir jetzt die Vorschläge um, die auf dem Tisch liegen und von kompetenter und beteiligter Seite an uns herangetragen werden – immer auch mit dem Wissen, dass das Problem mit der Ausbildung nicht in den Klassen 8 oder 9 beginnt, sondern zum Beispiel bereits im Bereich der Kita. Stellen wir uns einmal ernsthaft die Frage, wie wir die Zahl der Verlierer in unserem gesamten Bildungsbereich verringern können, und versuchen wir, Bildung ganz neu zu denken! Ich weiß, das ist nicht einfach, aber im Interesse der Kinder und Jugendlichen in Sachsen sollten wir uns jede Mühe geben – gemeinsam im Konsens aller demokratischen Fraktionen, mit Regierung, Verwaltung und den Tarifpartnern.

Wenn wir die Ausbildungsdebatte des Jahres 2006 nicht im Jahr 2020 wieder führen wollen, müssen wir nun beginnen, etwas zu ändern. Meine Fraktion steht für eine konstruktive Mitarbeit zur Verfügung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Abg. Schmidt, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Angesichts der auf den Lehrstellenmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge und des zu geringen Angebotes an Ausbildungsplätzen ist eine zeitbombenartige Krise zu erwarten.

Zwar wurde die Warnstufe des Deutschen Gewerkschaftsbundes gehört und man schmiedete das „Bündnis für Arbeit“, in welchem seit 1997 Arbeitsagenturen, Wirtschaftskammern und Gewerkschaften zusammenarbeiten; deren Bemühungen waren bis jetzt jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und der DGB sieht das Bündnis sogar als gescheitert an.

Die Zahl der Lehrstellenbewerber steigt, während seit sechs Jahren das Angebot an Lehrstellen stagniert. Selbst der flehende Ruf unserer Bundeskanzlerin an die Unternehmen, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, hat nicht die gewünschte Resonanz erbracht. Von welcher neuen und weiter gefassten Initiative wollen wir also sprechen, wenn schon das „Bündnis für Arbeit“ laut DGB gescheitert ist?

Im September beginnt das neue Schul- und Ausbildungsjahr. Für dieses wäre sogar eine neue Initiative bereits jetzt zu spät, bevor sie zu greifen beginnt, zumal sich unsere Mühlen erfahrungsgemäß ohnehin zu langsam drehen. Was nützen uns neue Initiativen, wenn wir vor lauter Scheuklappen die Ursachen nicht wahrhaben wollen und sie, weil Freiheit und Demokratie in Deutschland Grundrechte sind, wohl auch schwerlich ändern können?

Aber fragen wir uns doch an dieser Stelle wenigstens einmal nach den Ursachen, die eigentlich jedem bekannt sind, da alle Medien zumindest über „Pisa“ schon ausführlich berichten; über das andere schon weniger. Bleiben wir jedoch vorerst einmal bei der Pisa-Studie. Es ist kein Geheimnis, dass fast jedes zweite Unternehmen eine fehlende Ausbildungsreife bemängelt. Da man schon seit längerer Zeit die Pisa-Auswertung kennt, frage ich mich, weshalb man darauf seitens der zuständigen Ministerien nicht schon längst reagiert hat. Mir scheint, es reicht nicht, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist – nein, es muss wahrlich völlig absaufen.

So klagen 66 % der Unternehmen darüber, dass sich Lehrstellenbewerber ungenügend schriftlich und mündlich ausdrücken können und Bewerbungen in der Qualität zu wünschen übrig lassen. 53 % der Unternehmen stellen Probleme bei der Rechenfähigkeit fest, und dabei geht es noch nicht einmal um die höhere Mathematik, sondern um Aufgaben des betrieblichen Alltags. Unzureichende Leistungsbereitschaft und zu geringe Motivation werden von 52 % der Unternehmen angegeben. – So viel aus der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ der IHK Dresden.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wann man im Bildungsministerium auf diese in der Breite getroffene Erkenntnis endlich einmal zu reagieren bereit ist, um den realen Anforderungen in der Praxis künftig umfassend gegenübertreten zu können. Wie lange wollen wir uns noch als die Größten fühlen, die Arme verschränken und so tun, als sei die Welt in Ordnung, wo doch nun wirklich schon fast jeder mitbekommt, dass es links und rechts zu bröckeln beginnt? Sollte man sich irgendwann einmal im betreffenden Staatsministerium ernsthaft Sorgen machen, so werden die bürokratischen „Durchlaufposten“ dafür Sorge tragen, dass das Lehrstellenproblem unumwunden noch weitere Jahrgänge von Schulabgängern betreffen wird. Meiner Meinung nach sollten Eltern, Schule und Staat gemeinsam auf mehr Grundwerte wie Höflichkeit und Respekt hinarbeiten. Dies waren errungene Grundnormen, die man in den neuen Bundesländern schon einmal besessen hatte.

Wo beginnt Demokratie und wo endet sie? Welche Mittel haben die Lehrer schon in der Hand, um Schülern, die nicht den Ernst der Situation erkennen – oder ihn nicht erkennen wollen –, zu begegnen? Oftmals kapitulieren bereits die Eltern vor ihren Kindern. Wie wollen dann erst die Lehrer den Kindern näher kommen, wenn es schon die Eltern nicht können? Sie tun ihre nicht leichte Arbeit der Wissensvermittlung. Ein Wort zu viel könnte sich bereits gegen sie verkehren, da das Recht auf Freiheit auch aufseiten des einen oder anderen Schülers steht, und die Eltern haben, sofern sie noch arbeiten dürfen, oft derart zu tun, dass sie nach getaner Arbeit kaputt und ausgelaugt sind und selten ein Ohr für die Probleme der Tochter oder des Sohnes haben – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ich spreche jedoch von denen, die wirklich arbeiten müssen – und dies manchmal noch zusätzlich für die Kollegen, die eingespart wurden. Die, denen die Decke durch Hartz IV auf den Kopf zu fallen droht, kämpfen mit anderen Problemen, da sie durch Hartz IV zum Nichts abgestempelt worden sind, sich oft als zu nichts nütze, als Aussätzige der Gesellschaft und überflüssig fühlen, wodurch eine gespannte Situation im Haushalt vorprogrammiert und manchmal der Alkohol die Medizin ist, die für wenige Momente die Situation vergessen macht.

Ich denke, wir, die wir hier sitzen, können dies nicht nachvollziehen. Egal, wie herum auch immer, oft sind Jugendliche sich selbst überlassen. Unkontrollierter Umgang im Cliquenleben, geistlose Sendungen im Fernsehen, verrohende und coole Computerspiele, ein unkontrolliertes Meer an Medien, kurzum, die Vielzahl an großer Freiheit macht unsere Kinder und Jugendlichen stark und weist ihnen den – in Anführungsstrichen – richtigen Weg. Was wollen denn die Eltern und Lehrer, wenn sie mir etwas anderes erzählen wollen als das, was ich ohne Ratschläge, Hinweise und Vorhaltungen verkonsumieren kann?

Noch einmal zu Frau Merkels Appell an die Unternehmer, der die Aufforderung, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, beinhaltet. Warum sollte ich, wenn ich Unternehmer wäre und die Wahl hätte, in Osteuropa billiger zu produzieren, damit ich meine Gewinne steigern kann, das nicht tun?

Meine Damen und Herren! Schauen Sie ins Internet, dann werden Sie erfahren, dass dieser Trend der Verlagerung der Produktion in das Ausland – vorwiegend nach Osteuropa – zunehmend ist. Durch diese Vorgänge gehen nicht nur deutsche Arbeitsplätze kaputt, sondern auch Ausbildungsplätze.

Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ich habe zwar noch viel zu erzählen, aber trotzdem, gut.

Tut mir Leid, Sie müssen trotzdem zum Ende kommen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und stimme den Anträgen mit der Hoffnung zu, dass ein Wunder geschehen möge.

Danke.

Ich schaue noch einmal in die Runde. Wer möchte sich aus den Fraktionen dazu noch äußern? – Wenn das nicht der Fall ist, dann Herr Staatsminister Jurk, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt der jährlich wiederkehrende Antrag der Linksfraktion.PDS zur Ausbildungsplatzsituation samt einem entsprechenden Patentrezept vor. Danach sollen es in diesem Jahr unter anderem wuchtige Appelle der Staatsregierung richten, so wie unter Punkt 2 des Antrages begehrt.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Bevor ich darauf etwas näher eingehe, erlaube ich mir, zunächst einen Blick auf die Situation zu werfen.

Dass es in den östlichen Bundesländern – auch in den Ländern, in denen die Linkspartei.PDS in der Regierung ist – nicht einmal annähernd genug Lehrstellen gibt, ist mittlerweile ein Dauerzustand mit leichten Besserungstendenzen. Wenn man Ihnen, Frau Klinger, so zuhört, hat man den Eindruck, dass die Senatoren Wolf und Holter – Ihrer Partei – in den Landesregierungen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern versagt haben müssten, weil die Situation dort nicht anders bzw. sogar noch schlechter ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Tino Günther, FDP)

Ich habe Ihrer Rede entnommen, dass Sie der Ansicht sind, dass in diesem übergreifenden Bündnis, in dem nicht nur die Politik, sondern auch die Kammern, der Gewerkschaftsbund und die kommunalen Spitzenverbände sitzen, von dem Kollegium Lehrstellen und Fachkräfte offensichtlich eine schlechte Arbeit geleistet wird. Das weise ich an dieser Stelle mit aller Entschiedenheit zurück. Wir greifen alle vernünftigen Initiativen auf. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das, was der Abg. Brangs auch gewollt hat.

Jawohl, wir brauchen für die schwierige Situation einen gesellschaftlichen Konsens. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es darum, dass wir die besten Lösungen für ein wichtiges gesellschaftliches Handeln finden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber sehr gern.

Herr Günther, bitte.

Herr Staatsminister, Sie haben zu Recht die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kritisiert. Wissen Sie, welcher Partei die Ministerpräsidenten in diesen Ländern angehören?

Lieber Herr Kollege, wissen Sie, man könnte sich über den Bund unterhalten, als in der Vergangenheit die FDP in der Regierung war, wie zum Beispiel auch in Sachsen-Anhalt. Das bringt uns aber nicht weiter. Sie haben der PDS jetzt wahrscheinlich eine Vorlage geliefert.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Schuld an allem ist nur die SPD.

Herr Abgeordneter, schauen Sie einmal, in welchen Ländern die FDP regiert, und prüfen Sie, wie dort die Situation ist. Dann folgen Sie vielleicht dem, was Kollege Brangs gesagt hat. Denken Sie einfach einmal in Ruhe darüber nach, ob das den Problemen der jungen Leute wirklich hilft.

Danke schön.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun zu den sächsischen Zahlen. Mit Stand 30.06.2006 haben wir 14 530 Berufsausbildungsstellen, immerhin 389 Stellen mehr als im Vorjahr. Bewerber haben wir 45 563. Das sind mittlerweile 2 442 Bewerber weniger als im Vorjahr – Tendenz natürlich weiterhin sinkend, und zwar extrem sinkend aufgrund der rückgängigen Schülerabgangszahlen. Fast die Hälfte sind derzeit Altbewerber, 633 Bewerber mehr als im Vorjahr. Auffällig ist, dass es inzwischen 6 317 offene Stellen gibt, 1 819 Stellen mehr als im Vorjahr.

Vor diesem Hintergrund kann man es kaum glauben: Viele Unternehmen finden schwer Lehrlinge. Es gibt einige nicht genaue Erhebungen, in denen von einer zusätzlichen Zahl unbesetzter Lehrstellen berichtet wird, die von den Betrieben schon gar nicht mehr gemeldet werden. Für Sachsen schätzen wir weitere zirka 1 000 bis 2 000 nicht besetzte Lehrstellen jährlich.

Wir haben im letzten Jahr bei den außerbetrieblichen Berufsausbildungsplätzen deutlich zugelegt und dabei über 5 000 zusätzliche Lehrstellen in der Gemeinschaftsinitiative GISA und dem Landesergänzungsprogramm aus dem ESF sowie aus Bundes- und Landesmitteln finanziert und, meine sehr verehrten Damen und Herren – Frau Klinger, bitte zuhören! –, wir werden den Rückgang der GISA durch Kürzungen auf Bundesebene durch Landesprogramme bedarfsgerecht kompensieren. Das wollen wir in Sachsen machen, weil wir den Bedarf sehen und ihm auch gerecht werden wollen. Es ist einfach unzutreffend – Frau Klinger, das sind Halbwahrheiten, die Sie dem Landtag präsentieren –, dass wir bereits in diesem Jahr nur noch 1 500 GISA-Plätze hätten. Der Abbau dieser

Plätze wird erfolgen, aber diese 1 500 Plätze werden im Jahre 2008 erreicht. Ich bitte Sie, doch bei der Wahrheit zu bleiben. Sie haben hier den Eindruck vermittelt, als ob es bereits in diesem Jahr so sei.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Frau Klinger, bitte.

Herr Jurk, dann würde ich gern wissen, was für Sie „bedarfsgerecht“ heißt. Heißt „bedarfsgerecht“ mehr als 1 500 Stellen?

Wir werden in den nächsten Jahren rückgängige Schulabgängerzahlen haben. Darauf werden wir uns auch einstellen. Das heißt, Sie können nicht automatisch davon ausgehen, dass wir ständig bei 5 000 Plätzen bleiben werden. Das wird sich natürlich nach dem Bedarf richten. Dabei wird GISA die Lücke schließen helfen.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?