Protocol of the Session on July 21, 2006

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ja, gerne.

Bitte sehr.

Sie haben bestimmt Zahlen, auf die Sie sich beziehen können. Wie hoch schätzen Sie den Bedarf ein?

Ich habe schon einmal gesagt, dass sich das nach den Schulabgängerzahlen richtet. Ich will ausdrücklich sagen: Unser Ziel muss es sein, die Ausbildung im dualen System weiter zu unterstützen und die Verantwortung der Wirtschaft immer wieder herauszukehren, denn die Wirtschaft muss jungen Menschen durch die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen eine Chance geben. Deshalb ist der Staat derjenige, der die Lücke schließen hilft. Aber zunächst muss es doch möglich sein, dass die Wirtschaft verstärkte Anstrengungen unternimmt, bei denen wir sie unterstützen wollen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Deshalb kann es nicht so sein, dass wir heute prognostizieren, was der Staat in drei oder fünf Jahren macht. Natürlich machen wir uns Gedanken. Wir werden unsere Maßnahmen darauf einstellen, dass jeder junge Mensch von der Straße kommt und in eine Form der Ausbildung gelangt.

Das Staatsministerium für Kultus hat an den berufsqualifizierenden Berufsfachschulen über 17 000 junge Menschen aufgenommen. Dort gibt es vollwertige anerkannte

Abschlüsse, darunter viele Berufe, die gar nicht dual ausgebildet werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Dezember 2005 gesagt, als es immer noch 1 613 unversorgte Bewerber gab, wir finanzieren allen, die es wollen, ab Januar eine Lehre und wir konzentrieren uns dabei auf einfachere Berufe, die auch von Schwächeren bewältigt werden können. Die Kammern haben noch 400 Bewerber ermittelt, von denen dann 375 Bewerber wirklich mit der Ausbildung begonnen haben. Das waren übrigens fast ausschließlich Lehrstellenabbrecher, bei denen der erste Anlauf im Herbst nicht zum Erfolg geführt hat.

Von den Plätzen der Einstiegsqualifizierung, bei denen die Unternehmen sagen, wir probieren es einfach einmal, bevor wir einen Lehrvertrag abschließen, bleiben immerhin 66 % unbesetzt. Von den 1 131 Jugendlichen, die auf ein solches Angebot eingegangen sind, haben alle erfolgreichen Teilnehmer im vergangenen Jahr einen Lehrvertrag in der Tasche gehabt, 50 % aller Teilnehmer im gleichen Ausbildungsbetrieb, einige woanders und einige in unseren Programmen der GISA.

Auch für das Ausbildungsjahr 2006 haben wir längst alle Vorbereitungen getroffen. Ich kann Ihnen zusichern, dass auch im Jahre 2006 alle Lehrstellenbewerber, die einen Notendurchschnitt in den Hauptfächern von besser als Note Vier haben – das bedeutet: diejenigen, die einen Text lesen und verstehen, die Grundrechenarten beherrschen und angemessen kommunizieren können –, bis Oktober eine Berufsausbildung angetreten haben werden. Wenn Sie einen Lehrstellenbewerber finden, für den das nicht zutrifft, dann benennen Sie uns diesen bitte, damit wir unsere Plätze besetzen und notfalls aufstocken können. Das ist mein konkretes Angebot.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viel zu viele unversorgte Bewerber und zugleich freie Lehrstellen. Was ist denn da los? Wenn ich dazu jetzt Ausführungen mache, dann behalten Sie bitte immer im Auge, dass wir hier nicht über die Schulabgänger reden, sondern über ungefähr 20 % der Schulabgänger, über diejenigen, deren späteres Altbewerberdasein schon fast vorgezeichnet erscheint.

Ich bin vorige Woche bei einem Workshop für die Ausbildungsinitiative „Demokratie und Courage“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Kammern gewesen. Dort haben sich die Berufsausbildungsausschüsse der Kammern gemeinsam mit gestandenen Meistern und Arbeitnehmervertretern getroffen und diskutiert. Die Berichte der Praktiker können schon erschüttern. Schock Nr. 1 sind die Bewerbungsschreiben selbst: Viele Rechtschreibfehler, keinerlei Idee, warum sich der Bewerber ausgerechnet bei dem Unternehmen X bewirbt. Schock Nr. 2 hatte ich schon erwähnt, das sind die beiliegenden Zeugnisse. Schock Nr. 3 ist die Tatsache, dass einige Bewerber zum Gespräch erst gar nicht erscheinen.

(Tino Günther, FDP: So ist es!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was ist nun zu tun? Sie werden verstehen, dass Schimpfen über die Schule oder die Jugend von heute nicht weiterführt.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Im Gegenteil, den Lehrern in den Berufsschulzentren gilt mein Respekt, jenen Lehrerinnen und Lehrern, die Tag für Tag gegen Lethargie und Motivationsmangel ankämpfen. Ich möchte hier weder in die Familienpolitik noch in die Schulpolitik überschwenken. Ich bleibe bei der Berufsbildung.

Die Jugendlichen brauchen Mentoren, die mit Einfühlungsvermögen praktische Erfolgserlebnisse vermitteln, aber zugleich auch deutlich sagen, was von Jugendlichen erwartet wird.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich werde meinen ganzen Einfluss einsetzen, um diesen erfolglosen jugendlichen Altbewerbern solche Mentoren zu verschaffen. Was tun wir nun konkret?

Punkt 1: Wir werden auch in diesem Jahr die GISA um zirka 3 000 Plätze aufstocken, um allen Bewerbern, die das schaffen können, eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Wenn Bedarf besteht, werden wir versuchen, darüber hinaus aufzustocken. Mit rund 10 bis 12 % Abbrüchen sind diese Programme ein Beweis dafür, dass das Konzept aufgeht. Diese Lehrlinge schaffen dann in der Kammerprüfung sogar etwas bessere Ergebnisse als die Lehrlinge aus manchen Betrieben.

Punkt 2: Wir haben mit einer neuen Förderrichtlinie die Möglichkeit geschaffen, den Unternehmen für zusätzliche Arbeitsplätze, die deutlich über das bisherige Maß hinausgehen, einen sehr hohen Teil der Ausbildungskosten abzunehmen, wenn sie diese Plätze den erfolglosen Bewerbern zukommen lassen. Wir fördern dort zwischen 60 und 80 % des Ausbildungsentgeltes und die sozialpädagogische Begleitung.

Punkt 3: Wir haben eine mehrjährige Befragung aller nicht studierenden Jugendlichen in Sachsen in Auftrag gegeben. Keiner weiß bisher, wo eigentlich die Warteschleifen sind, welche Maßnahmen erfolgreich sind und um wie viel besser diese im Verhältnis zur betrieblichen Lehrausbildung sind. Wir gehen als Erste in Deutschland der Sache auf den Grund und wollen wissen, wo Erfolg und Misserfolg liegen und wo wir besser werden müssen.

Punkt 4: Weil es leider so ist, dass sehr viele Altbewerber diesen Status durch die Vollendung des 25. Lebensjahres verlieren, indem sie in die statistische Kategorie der Langzeitarbeitslosen ohne Berufsabschluss überwechseln, haben wir auch dafür ein Programm aufgelegt, um diesem Personenkreis noch einmal eine Chance auf einen Berufsabschluss zu geben. Wir werden in Kürze mit umfangreichen Kompetenzbilanzen beginnen. Damit helfen wir Langzeitarbeitslosen mit passenden Qualifikationsmöglichkeiten außerhalb der Ausbildungsordnung.

Schließlich Punkt 5: Auch das Kollegium Lehrstellen und Fachkräfte für Sachsen hat erkannt, dass wir in der Erstausbildung auf einige neue Fragen reagieren müssen. Das betrifft neben der Ausbildung Benachteiligter zum Beispiel auch die zunehmende Zahl der Abbrüche, den zunehmenden Akademikerbedarf der Wirtschaft und einige sehr gering ausbildende Branchen. Das Gremium hat daher die Staatsregierung gebeten, in einen Dialog für eine sächsische Berufsbildungsinitiative einzutreten. Ich kann aus Zeitgründen hier nicht weiter darauf eingehen, doch die Aufgeregtheit, die bei der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Kammern und auch in den Ministerien im Zusammenhang mit der bisher vorliegenden Themenliste entstanden ist, ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass hier die richtigen Fragen auf den Tisch kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS, das sind unsere Ausbildungsappelle. Ich möchte nicht versuchen, zu den intensiven Beratungsangeboten der Kammern und der Arbeitsagenturen auch noch allgemeine Appelle an die Adresse der Wirtschaft zu senden. Was bei derartigen Appellen herauskommt, können Sie aus unseren Akten erfahren. Da sind viele nachdenklich stimmende, teils wütende Antwortschreiben über schlechte Rahmenbedingungen, Insolvenzen und schlechte Bewerber. Mir ist es wichtig, dass die Ausbildungsappelle aus meinem Haus konkrete Unterstützung und Orientierung ermöglichen.

Sie können gern in anderen Bundesländern nachfragen, wo es ein Förderprogramm gibt, das für zusätzliche Lehrstellen intensive Unterstützung anbietet. Sie können sich gern erkundigen, ob irgendwo anders den Jugendlichen etwa die wichtigen Fragen gestellt werden, die wir stellen. Sie können sich erkundigen, ob es irgendwo eine solche Weiterbildung für Langzeitarbeitlose mit dem Ziel des Berufsabschlusses gibt oder aber wo alle Verantwortlichen unter Einschluss der Gewerkschaften gemeinsam durchaus heikle Fragen anpacken. Sie können gern fragen, ob in einem anderen Bundesland die fachkundigen Bildungsträger in ähnlicher Anzahl hervorragende Unterstützungsprojekte für die Lehrausbildung beim Berufsförderprogramm „Jobstarter“ eingereicht haben und auch noch bewilligt bekamen. Sie werden kaum fündig werden.

Der Schriftsteller Max Frisch hat gesagt: „Krise kann ein produktiver Zustand sein, man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Der Beigeschmack von Katastrophe ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS, der mich an Ihrem Antrag stört. Damit lösen wir die vor uns stehenden Probleme nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Vertrauen in die Arbeit des Kollegiums Lehrstellen und Fachkräfte, ich habe Vertrauen in die Arbeit der Regierungskoalition,

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wir nicht! Das ist der Unterschied!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse im Sächsischen Landtag sind. Herr Brangs, wir wollen den Konsens. Deshalb werden wir uns Ihrem Änderungsantrag anschließen.

und deshalb bitte ich um Annahme des entsprechenden Antrages.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Linksfraktion.PDS hat jetzt das Schlusswort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jurk, wir erkennen an, dass Sie aktiv werden, wie Sie es uns gerade geschildert haben. Wir müssen trotzdem ankündigen, dass wir dieses Thema natürlich im Herbst noch einmal auf die Tagesordnung setzen werden, um zu bilanzieren. Ich hoffe, dass Sie Erfolg haben. Ich hoffe es wirklich und ich hoffe, dass wir dann im nächsten Jahr nicht noch einmal über dieses Thema reden müssen. Aber das sehe ich leider noch nicht kommen.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Herr Rasch, Sie haben vorhin vom Produktionskomplex Schule gesprochen. Sehen Sie die Schule tatsächlich als einen solchen an? Ich finde es unverantwortlich, eine so wirtschaftszentrierte Sichtweise auf die Schule zu haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir wollen doch, dass Menschen dort Bildung erfahren, dass sie befähigt werden, selbst zu denken; denn das ist die beste Voraussetzung dafür, dass sie auch einen guten Start in das nachschulische Leben bekommen.

An Sie, Herr Brangs: Finden Sie es populistisch, die Zahlen der Arbeitsagentur und des Statistischen Landesamtes laut auszusprechen? Ist das für Sie Populismus?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rasch?

Bitte, Herr Rasch.

Verehrte Frau Kollegin, könnte es gegebenenfalls so gewesen sein, dass ich in einem Bild gesprochen habe, wobei ich zumindest in dem einen Fall sogar die Anführungsstriche mit angesagt habe?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ein schiefes Bild!)

Das Bild ist etwas schief. Da muss ich meinem Fraktionskollegen Herrn Hahn zustimmen.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)