Protocol of the Session on July 21, 2006

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP)

dann würden Sie das nämlich auch merken. Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass jeder Ausbildungsplatz, der angeboten wird, in den Verzeichnissen unserer Arbeitsagenturen aufgeführt ist. Ich meine, wenn Sie davon ausgehen, dass das, was in diesen Agenturen stattfindet, alles auf dem Arbeitsmarkt ist, wenn Sie diese eingeschränkte Blickweise von Wirtschaft und Arbeit haben, dann haben Sie natürlich Recht. Aber das ist weit weg von der Realität.

Viele Unternehmen melden ihre Ausbildungsplätze schon gar nicht mehr bei der Agentur, weil sie über diese keine qualifizierten Bewerber mehr finden. Das ist doch auch ein Thema, das man einfach so sehen muss.

Gehen Sie doch einmal in die Betriebe hinein, Herr Seidel, und reden mit Unternehmern vor Ort und fragen nach. Fragen Sie auch einmal bei den Kammern nach, was diese Ihnen zum Thema Ausbildungsfähigkeit sagen. Sie müssen nicht einmal nachfragen, Sie müssen nur die aktuellen Pressemitteilungen, die aus den Kammern und Verbänden kommen, zur Kenntnis nehmen. Dann wüssten Sie Bescheid, wie die Situation hier in Sachsen aussieht.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Gestatten Sie noch die Zwischenfrage von Herrn Porsch?

Bitte, Herr Porsch.

Herr Kollege Morlok ich will das ja gern zur Kenntnis nehmen und frage Sie, ob Sie auch der Meinung sind. Sie hatten ein Problem beschrieben, das möglicherweise in der Menge neu ist, in der es auftritt und möglicherweise perspektivisch noch gravierender wird. Das hängt sicher auch damit zusammen – –

Bitte, eine Frage stellen, Herr Porsch.

Ich habe ihn gefragt, ob er mit mir übereinstimmt.

Vermutlich nicht.

– Ja, wahrscheinlich nicht.

(Beifall bei der FDP)

Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie mit dem, was Sie zu diesem Problem sagen, auch einen Ansatz finden, das Problem zu lösen, das die meisten Altbewerber haben, nämlich dass sie zwar ausbildungsfähig sind, aber keine Ausbildungsplätze vorhanden sind?

Es ist richtig, dass eine erhebliche Zahl Altbewerber ausbildungsfähig ist und keinen Ausbildungsplatz findet.

Ich möchte Ihnen gern einmal darstellen, warum das so ist und was die Ursachen dafür sind. Wenn Sie sich einfach einmal anschauen – ich hatte es vorhin schon gesagt –: ungefähr 4 % weniger Ausbildungsverträge, ungefähr 3 % weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Da können Sie doch nicht leugnen, dass hier ein Sachzusammenhang besteht. Wenn allgemein weniger Arbeitsplätze vorhanden sind, kann man nicht davon ausgehen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze steigt. Ich denke, darin sind wir uns einig.

Wenn wir uns einfach einmal sämtliche Ausbildungsverträge in den verschiedenen Branchen anschauen, dann sehen wir, dass zum Beispiel Industrie und Handel nur einen Rückgang von 0,2 % vom Jahre 2004 zu 2005 haben, dagegen im Handwerk minus 3,8 %, im öffentlichen Dienst minus 4,2 % und bei den freien Berufen minus 6,4 %.

Wenn Sie sich jetzt einmal anschauen, wie sich die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in den verschiedenen Bereichen entwickelt haben, dann haben Sie eine Symmetrie: nämlich im verarbeitenden Gewerbe minus 0,5 % – das passt etwa zu den 0,2 % in Handel und Industrie –, aber im Bau 10 %. Gerade im Bau werden sehr viele Dinge durch handwerkliche Leis

tungen erbracht. Das heißt, hier besteht ein Sachzusammenhang, dass immer dort, wo Beschäftigung ist, auch Ausbildung ist. Wenn wir das so zur Kenntnis nehmen, müssen wir doch die Beschäftigung erhöhen, um auch die Ausbildung erhöhen zu können.

(Beifall bei der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Das heißt, jetzt sind wir überraschenderweise doch einig. Das hätte ich von Ihnen gar nicht erwartet, Herr Porsch. Aber lassen Sie mich einmal fortführen, dann können wir das auch gern im Sachzusammenhang behandeln.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Gut, bitte.

Herr Morlok, ich freue mich ja, dass wir uns einig sind, weil Sie jetzt wieder zum Problem zurückgekehrt sind. Aber haben Sie vergessen, dass Sie vorhin das Problem damit lösen wollten, dass Sie an Eltern appellieren?

(Tino Günther, FDP: Au!)

Ich habe nicht versucht, das Problem der fehlenden Ausbildungsplätze in Sachsen zu lösen, indem ich an Eltern appelliere. Ich habe nur gesagt, dass das Problem Altbewerber, das wir haben, auch etwas mit Ausbildungsfähigkeit zu tun hat. Ich denke, darin sind wir uns einig.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wenn wir über Ausbildungsfähigkeit reden, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese verbessern können. Ich denke, wir haben hier in Sachsen Hausaufgaben im Schulbereich, unter Umständen auch im KitaBereich zu machen. Aber – und das war mein Punkt, Herr Porsch – ich meine, wir können nicht immer nach dem Staat rufen, sondern wir müssen uns auch fragen, welche Verantwortung die Eltern für die Ausbildungsfähigkeit ihrer Kinder tragen. Das war mein Punkt gewesen. Darin sind Sie mit mir sicher auch einig.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang – ich habe ihn dargelegt – zwischen Beschäftigung, Ausbildung und Wachstum. Wenn wir also mehr Ausbildungsplätze in Sachsen haben wollen, müssen wir Wachstum in Sachsen generieren. Unternehmen wachsen dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt, die Setzung richtiger wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen ist die Voraussetzung dafür, dass Wachstum, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze entstehen.

Dazu gehört Bürokratieabbau. Das haben wir im Hohen Hause schon oft besprochen. Ich habe ein schönes aktuelles Beispiel zum Thema Ausbildung. Es gibt einen Spielzeugmachermeister im Erzgebirge, der bisher im Rahmen der Verbundausbildung ausbilden lässt. Es ist nicht mein Fraktionskollege Tino Günther, aber er könnte es auch sein. Das Problem hat er bestimmt ganz genauso.

Es gibt eine Verbundausbildung. Bisher ist es so gewesen, dass die Fördermittel für die Ausbildung über den Träger beantragt werden können. Dies ist nun nicht mehr möglich. Das heißt, jeder einzelne kleine Handwerksbetrieb muss jetzt hingehen und fast 70 Seiten SAB-Formulare ausfüllen, um die Förderung für einen solchen Ausbildungsplatz zu bekommen.

(Tino Günther, FDP: Hört, hört!)

Das ist einfach eine Bürokratie, die dafür sorgt, dass Ausbildungsplätze eben nicht entstehen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Ein weiteres Thema sind die Steuern. Wir sprechen hier in diesem Haus über den Wirtschaftsstandort Deutschland. Gestern haben wir das anhand der Gewerbesteuer getan. Die Mehrwertsteuererhöhung ist doch eine Maßnahme, die weniger Beschäftigung zur Folge hat als mehr Beschäftigung. Auch diesem Thema müssen wir uns stellen. Die Abgaben im Bereich der Sozialversicherungsträger sind ebenfalls viel zu hoch. Auch das ist ein Beschäftigungshindernis und damit ein Hemmnis für Ausbildungsplätze.

Das, was Sie als Linksfraktion.PDS vorschlagen – Ausbildungsplatzabgabe oder umlagefinanzierte Ausbildung –, sind die alten sozialistischen Irrwege, die hier nicht weiterführen. Wir müssen richtige Rahmendaten für die Wirtschaft setzen und uns mit dem Problem der Altbewerber auseinander setzen. Beides zusammen wird dafür sorgen, dass sich die Ausbildungssituation in Sachsen deutlich verbessern wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Abg. Weichert, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl wir hier jedes Jahr an dieser Stelle über dieses Thema sprechen – und das sollte uns eigentlich zu denken geben –, sind allein im Dresdner Bezirk der Arbeitsagentur von den 4 496 Jugendlichen, die in diesem Jahr eine Lehrstelle suchen, 48,7 % Altbewerber aus dem letzten Jahr. Wenn wir uns die Auswertung der Ausbildungsoffensive 2005 anschauen, können wir feststellen, dass die Zahl der Altbewerber in Sachsen mit 25 869 Jugendlichen bzw. wieder 47,5 % unvermindert hoch geblieben ist.

Die Arbeitsagentur spricht von einer Bugwelle, die wir in Sachsen vor uns herschieben. Ich mag dieses Wort nicht; denn wir haben es hier mit jungen Menschen zu tun, die bisher keine Chance hatten, einen Einstieg ins Berufsleben zu finden, und jede Einzelne bzw. jeder Einzelne, der sich zigfach bewirbt und vorstellt und trotz aller Bemühungen keinen Ausbildungsplatz bekommt, trägt schon schwer an seiner persönlichen Situation. Deshalb ist es wichtig, hier von einer alarmierenden Situation zu sprechen.

Das, was mit diesem Antrag vorgeschlagen wird, ist sinnvoll und findet unsere Zustimmung. Im Gegensatz zu meinem Kollegen Morlok finde ich den Änderungsantrag der Koalition noch klarer und strukturierter und deshalb – im Gegensatz zu gestern – in diesem Fall besser als den Originalantrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – Stefan Brangs, SPD: Endlich hat es einer erkannt!)

Ich möchte über die Vorschläge hinaus den Blick auf eine der Ursachen der Misere lenken. Vor wenigen Wochen wurden hier im Hause die Spitzenabiturienten des Freistaates mit dem Notendurchschnitt 1,0 geehrt. Solche Ehrungen der Leistungsträger sind wichtige Veranstaltungen. Genauso wichtig wie der Blick auf die künftigen Eliten ist aber auch der Blick auf die Verlierer, die unser sächsisches Bildungssystem leider hervorbringt.

Es ist kein Geheimnis, dass sich die große Zahl der Altbewerber aus jenen Schülern speist, die in den Schulen des Freistaates Sachsen nicht die Bildungsvoraussetzungen mitbekommen haben, die die Betriebe brauchen, um aus Schülerinnen und Schülern Fachkräfte zu machen. Offensichtlich ist, dass die schwerwiegenden Mängel in der Bildung nachschulisch kaum zu korrigieren oder zu beheben sind.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist die Debatte um die Ausbildungsplätze auch immer eine Debatte um die Schule und die Bildung im Freistaat Sachsen, eine Debatte, die auch um die Frage kreist: Welche Zahl von Verlierern können wir uns ökonomisch und/oder sozial erlauben?

Alle hoffen nun, dass mit dem demografischen Knick, der den Ausbildungsmarkt in den nächsten Jahren erreicht, die Probleme behoben sein werden. Dies wird so nicht eintreffen; denn bevor die Betriebe junge Menschen ausbilden, die nicht die nötigen Voraussetzungen in ihrer Bildung und ihrem sozialen Verhalten mitbringen, werden sie lieber auf die Ausbildung verzichten. Deshalb wird uns das Thema der Qualität der schulischen Ausbildung in Sachsen trotz der Demografie erhalten bleiben. Da passt es meines Erachtens überhaupt nicht ins Bild, dass sich die Koalition auf eine Aufteilung der Gelder zwischen EFRE und ESF geeinigt hat, die ganz eindeutig die Investition in die Köpfe geringer schätzt als die Investition in Beton und Asphalt.