Protocol of the Session on July 11, 2007

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir könnten die Situation auch schneller verbessern. Insbesondere die Kollegen von der SPD haben viele Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Die Bundesregierung müsste endlich anfangen, die Differenz zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen zu verkleinern. Der Bund der Steuerzahler hat kürzlich wieder festgestellt, dass die Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum 13. Juli eines jeden Jahres - das ist in zwei Tagen - nur für den Staat arbeitet. Sie arbeiten also ein halbes Jahr lang nur für den Staat. Dennoch weigert sich der Arbeitsminister, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung deutlich zu senken. Dennoch verweigern sich Ihre sozialdemokratischen Minister, die Sozialsysteme zu reformieren, um die ausufernden Kosten zu senken. Dennoch verweigern Sie sich einer Steuerreform, die wirklich alle entlasten würde.

Wenn Sie, sehr verehrte Abgeordnete von der SPD, der Meinung sind, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wenig Geld zur Verfügung haben - was ja durchaus stimmt; das

wissen wir doch -, dann sollten Sie ihnen das Geld aber nicht wegnehmen; denn über die Hälfte des Geldes ist ja weg.

(Beifall bei der FDP - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Die zahlen alle keine Steu- ern! Die sind unterhalb des Freibetra- ges! Das wissen Sie doch!)

- Nicht alle.

Ich möchte Ihnen noch eines sagen, was ich für wichtig halte: Die Einigung in der Großen Koalition wurde am Morgen danach von den Gewerkschaften und von Abgeordneten der SPD, die selbst an dem Gespräch teilgenommen haben, wieder infrage gestellt. Jetzt ist aber Standfestigkeit gefordert. Denn der Mindestlohn ist das Stoppschild für den weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir brauchen aber Vorfahrt, und zwar Vorfahrt für Arbeit. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Hagenah gemeldet. Herr Hagenah, Sie haben anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Herr Hermann, Tatsache ist doch, dass die Hungerlohnbranchen in aller Regel keine von der Globalisierung bedrängten Bereiche sind. Im Friseurhandwerk oder im Bereich des Postdienstes sehe ich auf längere Sicht keine Verlagerungen.

(Wolfgang Hermann [FDP]: Schwarz- arbeit!)

- Darauf komme ich gleich zu sprechen. - Die FDP will im Grunde, dass sehr viele Menschen sehr wenig verdienen und wenige Menschen noch mehr verdienen. Das ist Ihr Konzept.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Höhe der Löhne soll ausschließlich der Markt regeln, so Ihr Generalsekretär Niebel. Für Herrn Niebel sind Mindestlöhne ja auch ein Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit.

Heißt das also: Weiter schuften für einen Hungerlohn? - Nein, das einzig wirksame Mittel gegen

Schwarzarbeit ist nicht die Blockade eines gesetzlichen Mindestlohns, Herr Hermann, sondern sind konsequente Kontrollen und massive Sanktionen für die Betriebe, die aufgefallen sind.

Mit dem Bürgergeld, das Sie gerade noch eingeführt haben, will die FDP eine weitere Öffnung insbesondere im Niedriglohnbereich erreichen. Das ist doch geradezu eine Einladung an die Arbeitgeber, die Lohnspirale so weit nach unten zu drücken, dass ihre Belegschaften in den zweifelhaften Genuss des Bürgergeldes kommen, das dann der Steuerzahler finanzieren darf. In letzter Konsequenz bedeutet das eine Maximierung der Gewinne der Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit - Kosten, deren Höhe Sie allerdings noch gar nicht ermitteln konnten, Herr Hermann. Sie schlagen hier etwas vor, was nicht finanziert und nicht bilanziert ist. Es ist aber klar, dass Ihr Vorschlag für ein steuerfinanziertes Bürgergeld enorme Kosten für die Steuerzahler verursachen wird und das initiiert von der Partei, die sich selbst als Vorreiter der Steuersenkung geriert. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Hermann, möchten Sie antworten?

(Wolfgang Hermann [FDP]: Nein!)

Dann hat jetzt Herr Minister Hirche das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben mit Herrn Hermann gerade jemanden gehört, der in diesem Lande deutlich mehr als 100 Arbeitnehmer zu ordentlichen Löhnen beschäftigt. Mit Herrn Hagenah hingegen haben wir jemanden gehört, der nur polemisiert und theoretisiert. Das aber wird dem Thema überhaupt nicht gerecht;

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

denn, meine Damen und Herren, schon die Stellungnahme der IG BCE macht deutlich, dass es hier einer differenzierten Betrachtung bedarf. Man muss nicht die eine Meinung vollständig gut und die andere Meinung vollständig schlecht finden. Es geht vielmehr darum, wie wir insgesamt weiterkommen.

Lassen Sie mich vorab Folgendes sagen: Unser Sozialstaat baut darauf auf, dass alle ein Einkommen haben müssen, das die Existenz sichert. Das Grundgesetz hat für den Bereich der Wirtschaft Vorkehrungen getroffen, damit es dort nicht - wie es im Kaiserreich, bei den Nazis oder in kommunistischen Diktaturen der Fall war bzw. ist - zu einer Zentralisierung kommt. Das Grundgesetz geht davon aus - Stichwort Tarifhoheit -, dass die Bedingungen von den Tarifpartnern erarbeitet werden. Weil man hier einen Hebel einziehen wollte, hat der Bundestag mit dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11. Januar 1952 bestimmte Regelungen getroffen, die bis heute zwar nicht angewendet worden sind, die aber in Situationen, wie wir sie heute in verschiedenen Branchen erleben, angewendet werden könnten. Darüber sind wir uns einig. Wir haben keine Differenzen über die Ziele, sondern unterhalten uns über die Instrumente.

Die Große Koalition hat sich vor weniger als einem Monat auf das weitere Vorgehen geeinigt. Man hat sich darauf verständigt, neue Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einzubeziehen. Das ist sicherlich ein kluger, pragmatischer und vorsichtiger Weg. Danach hat man darüber gesprochen, wie man in bestimmten Zusammenhängen die Allgemeinverbindlichkeit regeln kann.

Nun stoßen wir in verschiedenen Branchen aber auf eine erhebliche Schwäche der Gewerkschaften oder der Tarifbindung von Unternehmern. Mit diesem Teil, meine Damen und Herren, müssen wir uns weiterhin beschäftigen. Hier reicht es aber nicht aus, lediglich guten Willen zu haben. Die Wirtschaftswissenschaftler machen uns darauf aufmerksam, dass man, wenn man so etwas wie das, was Herr Hagenah in die Debatte gebracht hat, in die Welt setzt, auch über die Folgen nachdenken muss. Die Wirtschaftsinstitute vertreten einhellig die Meinung, dass die Folge zusätzliche Arbeitslose sein werden. Die einen sprechen von 500 000, andere von 600 000 oder 800 000 zusätzlichen Arbeitslosen. Meine Damen und Herren, es würde eine Verdrängung in den Bereich der nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeit stattfinden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir müssen auch über die Vorschläge der Opposition ganz offen diskutieren. Ich akzeptiere zwar das Ziel, halte das Instrument aber für falsch. Wenn Sie Arbeitsplätze aus der Sozialpflichtigkeit

in die Schwarzarbeit drängen, hat die Gesellschaft und haben die Menschen nichts gewonnen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Deshalb ist es richtig, dass sich die Große Koalition in diesem Zusammenhang auf einzelne Schritte verständigt hat, und falsch, hier zu polemisieren.

Meine Damen und Herren, dieses Thema ist eigentlich gar kein Landtags- bzw. Landesthema, sondern ein bundespolitisches Thema. Ich finde, dass wir sehr oft über bundespolitische Themen diskutieren - vielleicht deshalb, weil das eine oder andere auf Landesebene aus Sicht der Opposition zu gut läuft.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Lachen bei der SPD Meine Damen und Herren, es ist klar, dass dieses Thema in der Auseinandersetzung, die die SPD mit der LINKEN führt, nach vorn gebracht werden soll. Herr Jüttner, ich finde es auch nicht gerecht, dass die Zustimmung für die LINKEN prozentual steigt und die Zustimmung für Sie prozentual ab- nimmt. Ich halte das wirklich nicht für in Ordnung und könnte insoweit Ihrer Argumentation folgen. Aber mit der Gerechtigkeit ist das nun mal so eine Sache. Schauen Sie sich einmal an, worin die Wirkung dieser Lohnpolitik liegt! Herr Hagenah, ich stimme Ihnen darin zu, dass davon nicht internationale Branchen, sondern in erster Linie Branchen be- troffen sind, die lediglich eine regionale Bindung haben. Aber woran liegt das? - Der Verbraucher bestimmt letzten Endes auch die Lohnhöhe. Die Wirtschaftspolitik und die Marktwirtschaft sind dar- auf ausgelegt, dass der mündige Verbraucher die entscheidende Stimme hat. Wenn der Verbraucher für etwas nicht mehr zahlt, werden wir immer vor der Schwierigkeit stehen, dass der Staat mit sei- nen Mitteln ergänzend ein Einkommen sichern muss. Der Staat darf aber nicht in den Wirtschafts- kreislauf eingreifen; denn wenn es höhere Löhne gibt, dann werden die Menschen, die heute regio- nal produzieren, überregional ausweichen oder in die Schwarzarbeit gedrängt. Deswegen, meine Damen und Herren, halte ich die Debatte um Mindestlöhne so, wie sie geführt wird, für unsozial. Sie treibt Menschen aus den Sozial- systemen in die freie Tätigkeit, ohne dass sie eine Absicherung hätten. Das kann auch die SPD nicht wollen. (Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Die SPD-Fraktion hat zusätzliche Redezeit beantragt. Ich gewähre ihr drei Minuten. Herr Kollege Jüttner, Sie haben das Wort.

Herr Hirche, die Debatte ist nicht unsozial, sondern höchst sozial.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen nämlich, dass Menschen, die arbeiten können, von ihrer Arbeit leben können.

Das Thema ist auch sehr wohl ein Landesthema. Ich erinnere nur daran, dass Ihr Ministerpräsident eine Debatte über Kombilöhne auf den Weg gebracht hat. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin, dass wir nicht wollen, dass mit öffentlichen Mitteln private Arbeitsverhältnisse finanziert werden. Das ist der kleine Unterschied!

(Beifall bei der SPD)

Ich finde es wirklich zynisch, dass sich Herr Hermann hier hinstellt, obwohl die FDP, Herr Rösler, sonst immer Freiheit und Entstaatlichung fordert, und mit dem Bürgergeld eine kaum messbare Größe von öffentlicher Finanzierung privaten Reichtums auf den Weg bringen will. Das sollten Sie mal lassen!

(Beifall bei der SPD)

Herr Hirche hat ein bisschen differenziert und uns den guten Willen nicht abgesprochen.

(Jörg Bode [FDP]: Das hat Herr Her- mann aber auch!)

Herr Hirche, der gute Wille hat in 20 europäischen Ländern dazu geführt, dass die Mindestlöhne dort umgesetzt worden sind. Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Arbeitslosigkeit dadurch nicht zugenommen hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Und kommen Sie nicht mit dem Beispiel Osteuropa! Dort liegen die Mindestlöhne auf einem bei uns

nicht vertretbaren Niveau. Sehen Sie sich lieber an, was beispielsweise in Großbritannien passiert! Dort floriert die Wirtschaft in den letzten Jahren, und die Mindestlöhne haben erkennbar zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes und der Binnennachfrage beigetragen. Das ist die Perspektive, für die wir kämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen rate ich dazu, einmal genau hinzusehen. Weder in unserem Antrag noch in unseren Debattenbeiträgen ist der gesetzliche Mindestlohn als das eine große Schwert dargestellt worden. Ich komme beruflich aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit; dies wissen einige vielleicht noch. Für mich ist gewerkschaftliche Interessenvertretung ein Nonplusultra dieses Sozialstaats, das überhaupt nicht zur Debatte steht.

(Beifall bei der SPD)