Protocol of the Session on July 11, 2007

Deutschland ist an einen Flächentarifvertrag gebunden. Auch wenn man die Firmentarifverträge, die ja auch mit den Gewerkschaften ausgehandelt sind, dazurechnet, bleibt es im Ergebnis eine völlig andere Ausgangssituation als in anderen Ländern.

Herr Dinkla, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Aller?

Meine Zeit reicht leider nicht aus. Wir können das nachher klären. - Deshalb ist die jetzige Situation eine Schwäche der Gewerkschaften. Es kann nicht in unserem Interesse sein, das bewährte System der Tarifautonomie weiter zu schwächen und auch auszuhebeln. Aber hier, und zwar genau hier, scheiden sich die Geister. Die SPD ruft - wie immer - schnell nach dem Staat. Wir setzen so lange auf Tarifpartner, wie es vertretbar und richtig ist und es auch Lösungen gibt. Der Beschluss der Koalition kann im Ergebnis mehr bewirken, als bis jetzt erkannt worden ist.

Wir lehnen den vorliegenden Antrag ab - nicht etwa, weil wir viele der Fehlentwicklungen gutheißen, sondern weil wir der Überzeugung sind, dass der politische Kompromiss sobald wie möglich umgesetzt werden muss und es einer Bundesratsinitiative zum jetzigen Zeitpunkt nicht bedarf. Es ist auch nicht erkennbar, was die SPD wirklich will; denn der vorliegende Antrag, der in Teilen - das gebe ich zu - zustimmungsfähig ist, schreibt aber auch Dinge wie z. B. das „ungebremste Streben nach Gewinnmaximierung“ fest. Das steht darin. Wahrscheinlich haben Sie das gar nicht gelesen. Außerdem wollen Sie eine Niedriglohnkommission festschreiben. Auch die ist im Koalitionsbeschluss in Berlin nicht festgeschrieben.

Wenn man das Thema aus parteipolitischem Kalkül heraus weiterbehandeln will, dann ist das so eine Sache. Aber ich finde, wer diesen Antrag unterstützt, der muss auch wissen, wie unkoordiniert die SPD damit umgeht: Rheinland-Pfalz, Berlin und Bremen - Sie haben es eben angesprochen, Herr Jüttner - stellen im Bundesrat Anträge auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 7,50 Euro. Das ist aber ein Unterschied zu dem, was wir hier in dieser Diskussion wollen.

In diesem Bereich gibt es durchhaus Bewegung. Die Gebäudereinigerbranche setzt das um, was

angesprochen worden ist. Führende Zeitarbeitsunternehmen akzeptieren den herbeigeführten Beschluss. Auch das Elektrohandwerk - das ist eine aktuelle Entwicklung, das stand in den letzten Tagen in der Presse - hat den Weg für einen allgemein verbindlichen Mindestlohn im Westen freigemacht. Diese Beispiele zeigen - übrigens mit unterschiedlichen Stundensätzen -, wie wichtig es ist, dass die Tarifpartner die Bemessung vornehmen - und nicht der Staat.

Ich finde, das politische Gezerre muss ein Ende haben. Die Tarifpartner stehen vorrangig in der Pflicht, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Wir erwarten eine zügige Umsetzung der Berliner Beschlüsse und appellieren an die Tarifpartner, weiter gezielt faire Lösungen zu erarbeiten. Das Land allein kann ohnehin nicht handeln. Wir können nur diskutieren oder - wie manchmal Sie, Herr Jüttner polemisieren. Aber davon haben die betroffenen Arbeitnehmer hier in Niedersachsen nichts mehr keinen einzigen Euro mehr. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat sich Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 560 000 Menschen bei uns sind inzwischen trotz einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen, und zwar mit steigender Tendenz. Die Zahl von 2 Millionen umfasst auch die Teilzeitbeschäftigten, Herr Kollege Jüttner.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das sind 1,8 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten!)

- Sollte dieser Hinweis auf den Prozentsatz eine Verniedlichung des Problems sein, Herr Althusmann? Ich habe das so verstanden. Ich glaube nicht, dass das sehr klug ist.

(Bernd Althusmann [CDU]: Nein! So dürfen Sie das nicht verstehen!)

Der Mindestlohn ist dabei nur ein Baustein in der Debatte über notwendige Mindeststandards am Arbeitsmarkt. Verbindliche Mindestarbeitsbedingungen müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeit

nehmer davor schützen, ausgebeutet zu werden und trotz Arbeit arm zu sein. Die bisherigen ersten Übereinkünfte in der Großen Koalition, Herr Dinkla, sind längst nicht ausreichend, um die Probleme zu lösen. Die Branchen, die sich eben nicht einigen, wo es möglicherweise auch keine Tarifparteien gibt, die die Möglichkeit zu einer solchen formellen Einigung haben, bleiben dabei außen vor. Das darf nicht sein. Gerade das sind die größten Problembereiche.

Neue Regelungen für Mindestarbeitsbedingungen müssen möglichst bald kommen, um bei uns die Lohnspirale nach unten zu stoppen. Ein Mindestlohn soll nur die Wirkung der Marktmechanismen nach unten begrenzen, sie aber nicht grundsätzlich außer Kraft setzen. Deswegen gibt es durchaus auch bei der CDU Sympathien dafür.

Der Stillstand muss überwunden werden. Eine Lösung gibt es offenbar nur auf dem Kompromisswege. Der jetzige Kompromiss ist aber nicht ausreichend. Mit Ausnahme der FDP, die aus ihrer ideologischen Sicht in dieser Frage überhaupt keinen Handlungsbedarf sieht - -

(Jörg Bode [FDP]: Wir sind nicht ideologisch! Das sind Sie!)

- Dann müssen Sie mir erklären, weshalb ausgerechnet die FDP meint, Mindestlöhne wären in Deutschland überhaupt nicht erforderlich. Das ist schon eine sehr spezielle Haltung, mit der Sie im Parteienspektrum alleine stehen.

Die Voraussetzungen für einen Kompromiss mit den anderen Fraktionen hier im Landtag und auf der Bundesebene wären recht gut. Das erkennt man, wenn man die Kernforderungen nebeneinander stellt. Die CDU will die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf Branchen, in denen es zu sozialen Verwerfungen kommt, und erklärt sich bereit, ein Gesetz gegen sittenwidrige Löhne zu machen. Das ist doch durchaus eine Basis, auf der man sich treffen kann.

Im vorliegenden SPD-Antrag wird die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen gefordert. Darüber hinaus fordern Sie für Bereiche ohne tarifliche Regelungen bzw. für Bereiche, in denen ein Mindestniveau unterschritten wird, einen gesetzlichen Mindestlohn.

Unsere Position ist ein flächendeckender branchen- und regionalspezifischer Mindestlohn. Dafür ist aber - anders, als Sie es eben dargestellt ha

ben, Herr Dinkla - für die Branchen, die sich nicht selbst einigen, die Einrichtung einer Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild sowie die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erforderlich.

Sie sehen: Die Schnittmenge ist ganz erheblich, wenn man sich einigen will. Der kleinste gemeinsame Nenner, die Ausweitung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes auf weitere Branchen, darf deshalb nicht länger verzögert werden. Ein Anfang ist gemacht: Die Zeitarbeitsbranche und die Weiterbildungsbranche haben die Voraussetzungen geschaffen. Entsprechende Regelungen sind aber auch für den Einzelhandel nötig, für das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Land- und Forstwirtschaft, den Erwerbsgartenbau, das Friseurhandwerk, die Fleisch verarbeitende Industrie - darüber sprachen wir heute Morgen -, die Entsorgungswirtschaft, das Bewachungsgewerbe, die Postdienstleister - darüber sprechen wir morgen

(David McAllister [CDU]: Also alle!)

- das alles sind Branchen mit prekären Arbeitsverhältnissen, Herr McAllister -, die Floristik, das Metallhandwerk, das Bäckerhandwerk und das private Transportgewerbe.

(David McAllister [CDU]: Also alle!)

- Das sind nicht alle, wie Sie sehr genau wissen. In der Bundesrepublik und in Niedersachsen gibt es eine Menge weiterer Branchen.

Auf dieser Basis, wenn wir eine entsprechende Kommission auf Bundesebene für die Branchen einrichten, die sich nicht selbst einigen, sollte dringend an einem Kompromiss gearbeitet werden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer warten darauf. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt hat sich Herr Hermann von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet.

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hagenah, ich glaube, dass keiner der hier anwesenden Parlamentarier - das gilt auch für die Parlamentarier in Berlin und jedem anderen Parlament in Deutschland - die Schwachen im Regen

stehen lässt. Das sollten auch Sie wissen. Es ist unglaublich, dass Sie das Parlamentariern zutrauen. Ich traue das niemandem zu.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Das Letzte, was der deutsche Arbeitsmarkt zum jetzigen Zeitpunkt braucht, sind Mindestlöhne, Herr Jüttner. Mit der Einführung von Mindestlöhnen in weiteren Branchen oder sogar der flächendeckenden Einführung erreichen Sie auf dem Arbeitsmarkt das Gegenteil dessen, was Sie erreichen wollen, auch wenn es gut gemeint ist. Sie würden damit nur Arbeitsplätze vernichten und nicht die Bedingungen für die Einstellung von Geringqualifizierten und Geringverdienern verbessern oder neue Chancen schaffen. Nach Ansicht der meisten Wirtschaftsexperten führen Mindestlöhne zum Abbau von Arbeitsplätzen, bei denen der Ertrag aus der Arbeit geringer ist als die Kosten des Arbeitsplatzes. Deshalb vergrößern Mindestlöhne die Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Migranten, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei Jugendlichen und gering qualifizierten Menschen.

Meine Damen und Herren, Unternehmen können auf die Einführung eines Mindestlohns auf verschiedene Arten reagieren: Sie können rationalisieren und den Faktor Arbeit ersetzen, z. B. durch Maschinen. Noch viel schlimmer ist: Sie können arbeitsintensive Tätigkeiten oder ganze Standorte ins Ausland verlagern. Sie können auch Gewinneinbußen in Kauf nehmen, was dann ihre Investitionstätigkeit verringert und letztendlich zu weniger Arbeitsplätzen führt. Alle diese Reaktionen vernichten Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben ja in den letzten 15 Jahren erlebt, welche Folgen ein überhöhtes Lohnniveau hat. Das gilt insbesondere für die Industriebetriebe. In den letzten viereinhalb Jahren haben wir in diesem Zusammenhang immer nur über die Industriebetriebe gesprochen. Dort wurden und werden noch immer überhöhte Löhne gezahlt, in anderen Bereichen aber nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist gesunken und die Arbeitslosigkeit angewachsen. Zeitweilig hatten wir sogar 5 Millionen Arbeitslose.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Die Wett- bewerbsfähigkeit ist gestiegen! Sonst wären wir nicht Exportweltmeister! - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Herr Hermann, warten Sie bitte einen Augenblick, bis es ruhiger geworden ist und sich alle Abgeordneten hingesetzt oder den Saal verlassen haben.

(Ulrich Biel [SPD]: Wenn alle den Saal verlassen, Frau Präsidentin, dann sitzen Sie alleine hier!)

- Das macht auch nichts. - Herr Hermann, Sie können weitermachen.

Erst die Bereitschaft zur Mäßigung in den Tarifverhandlungen und die Bereitschaft zur Mehrarbeit haben dazu beigetragen - ich betone: dazu beigetragen -, dass die Arbeitslosenzahl so schnell wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gesunken ist. Wollen wir diese Erfolge durch die Einführung eines Mindestlohns zunichte machen und die Fehler der 80er- und 90er-Jahre wiederholen?

Der von vielen geforderte Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro hätte nach einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und des Ifo-Instituts entweder die Rationalisierung der Produktion oder die Erhöhung der Preise zur Folge. Herr Jüttner, Ihnen sollte klar sein, dass die Konsumenten dann weniger kaufen würden und dadurch die Binnenkonjunktur abgeschwächt würde. Eine weitere Konsequenz wäre, dass die Schwarzarbeit noch mehr Blüten treiben würde. Sie wissen, dass sich der Umsatz bei der Schwarzarbeit - es geht auch um Schwarzeinnahmen; es geht um beide Seiten; die Unternehmer sind da nicht außen vor - auf mehr als 300 Milliarden Euro pro Jahr beläuft. Die Schwarzarbeit würde durch die Einführung eines Mindestlohnes noch zunehmen.

(Ulrich Biel [SPD]: Das ist ein sehr ernstes Thema, Herr Hermann!)

- Das ist kein anderes Thema. Dieses Thema ist sehr wichtig. Nach dieser Studie wäre übrigens ein Verlust von mehr als 600 000 Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich in Deutschland die Konsequenz.

Meine Damen und Herren, wenn wir die Einführung eines Mindestlohns ablehnen, um Arbeitsplatzverluste zu verhindern, dann verlieren wir gleichwohl nicht den Anspruch aus den Augen, dass jeder ein zum Leben ausreichendes Einkommen durch Erwerbstätigkeit erhalten muss. Wenn das Einkommen nicht ausreicht, muss es durch staatliche Transferleistungen aufgestockt werden. Dafür brauchen wir aber nicht den Mindestlohn. Dafür gibt es bessere Konzepte. Wir haben beispielsweise das Bürgergeld-Konzept vorgelegt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, mit dem Bürgergeld hätten die Bezieher kleiner Einkommen ein System zur Seite, das alle Steuerfreibeträge und sozialen Transferleistungen zusammenfasst und im Bedarfsfall ein zusätzliches Einkommen zur Verfügung stellen würde. Das Bürgergeld würde Geringverdienern ein Auskommen sichern und würde für Nichterwerbstätige einen Anreiz bieten, auch Arbeit mit geringer Entlohnung anzunehmen. So könnten zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, ohne dass auf ein existenzsicherndes Einkommen verzichtet werden muss, was beim Mindestlohn nicht der Fall wäre.

(Zustimmung bei der FDP)