Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hirche, Sie haben dem Plenum eben erklärt, das Personenbeförderungsgesetz finde keine Anwendung. Damit können Sie sich zwar formal aus der Verantwortung ziehen. Ich frage mich aber, ob Sie die gesetzlichen Regelungen nicht schon längst den tatsächlichen Verhältnissen hätten anpassen sollen, so wie Frau Polat das vorhin beschrieben hat.
Meine Frage: Das Personenbeförderungsgesetz sieht vor - man müsste auch einmal analog denken, wenn man verantwortlich handeln möchte -, dass Ausnahmen für die Erprobung neuer Verkehrsmittel für die Dauer von höchstens vier Jahren genehmigt werden. Wieso gab es in diesem Fall eine viel längere Ausnahmegenehmigung?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Einzelgenehmigung war in sich befristet. Sie betrifft jeweils immer nur ein Fahrzeug. Sie wissen, dass mehrere Generationen nacheinander auf dieser Strecke eingesetzt worden sind. In diesem Zusammenhang erfolgt jedes Mal eine neue Begutachtung des Gesamten. Dies geht auf Bundesgesetze, das Versuchsanlagengesetz und das Magnetschwebebahngesetz, zurück, die den Gesamtrahmen regeln. Im Personenbeförderungsgesetz hat ebendieser Bund geregelt, dass es hier nicht einschlägig ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem schrecklichen Unfall wurde in Presseberichten behauptet, die Werkstattwagen seien ohne Genehmigung gefahren und Behörden hätten Sicherheitsprobleme schon vorher gekannt. Das sind gravierende Anschuldigungen und Vorwürfe. Wir müssen die Unfallursachen juristisch, aber auch politisch aufklären. Für die juristische Aufklärung ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Aber wir schulden den Menschen in der Region und auch unserem Selbstverständnis eine lückenlose Aufklärung. Nun merke ich, dass ein Teil dieses Hauses dies nicht zur Kenntnis nehmen will. Deswegen muss ich eine Frage leider noch einmal stellen: Wären die Sicherheitssysteme, um die sich im Kern alles dreht, andere gewesen, wenn der Transrapid nicht nach dem Versuchsanlagengesetz, sondern nach dem Eisenbahngesetz oder nach dem Personenbeförderungsgesetz genehmigt worden wäre?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole gern die Antwort auf diese Frage: Es hätte keine anderen Sicherheitsvorkehrungen gegeben. In meiner ausführlichen Antwort habe ich an zwei oder gar drei Stellen bereits darauf hingewiesen, dass es materiell keinen Unterschied ausgemacht hätte. Dies unterstreiche ich erneut.
Um den Vorspann nicht unkommentiert stehen zu lassen, mache ich darauf aufmerksam, dass die Sonderfahrzeuge selbstverständlich in die Betriebsvorschriften einbezogen werden. Sie sind nicht, wie es in Presseberichten fälschlicherweise hieß, entkoppelt gewesen; sie sind in dem System insgesamt erfasst.
Ich möchte den Hinweis hinterfragen, dass es keine Änderung der Sicherheitsvorkehrungen gegeben hätte, wenn andere Gesetze gegolten hätten. Sie haben ausgeführt, die Basis der Sicherheitsvorkehrungen seien die anerkannten Regeln der Technik. Die Steigerung dieser anerkannten Regeln der Technik ist der Stand der Technik. Bei dem Transrapid handelt es sich um ein Verkehrssystem, das sich noch in der Erprobung befindet und damit nicht den anerkannten Regeln der Technik, sondern dem Stand der Technik entspricht. Müssen wir dann nicht erwarten, dass auch für die Sicherheitseinrichtungen des Transrapids nicht die anerkannten Regeln der Technik ausreichend sind, sondern in diesem Fall der schriftlich als höchstmöglicher Sicherheitsstandard genannte Stand der Technik angewendet werden muss?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politisch kann man dieser Meinung sein. Aber die Landesregierung ist auf Recht und Gesetz ver
pflichtet. In allen einschlägigen Gesetzen, die ich hier zitiert habe, gehen wir von den Regeln der Technik aus. Wer sich jenseits des Verkehrsbereichs, etwa im Umweltbereich, mit technischen Anlagen beschäftigt, leidet vielleicht auch manchmal darunter, dass die Regeln der Technik und nicht der Stand der Technik einbezogen werden. Aber der Stand der Technik ist immer noch Gegenstand einer Diskussion. Als Gesetzgeber gehen wir auf Landes- und Bundesebene davon aus, dass wir nur das verbindlich anwenden und vorschreiben können, wozu der Diskussionsprozess beendet ist. Es müssen also aus der Diskussion erst einmal anerkannte Regeln der Technik geworden sein. Aus diesem Grunde bilden die anerkannten Regeln die Grundlage im Allgemeinen Eisenbahngesetz oder im Magnetschwebebahngesetz und anderen Gesetzen. Sie werden überall auf die anerkannten Regeln der Technik stoßen, etwa auf abgesicherte DIN-Normen. Ich rate dazu, trotz des schrecklichen Unglücks dabei zu bleiben; denn wir brauchen bei allem, was wir tun, eine starke Basis gegenseitiger Rechtsversicherung, die nur durch die anerkannten Regeln der Technik sichergestellt wird.
Herr Minister Hirche, beim Eisenbahnverkehr müssen immer mindestens ein Mensch und eine technische Sicherung versagt haben, wenn es zu einem Unfall kommt. Sie sagten, es mache keinen Unterschied, ob man das Versuchsanlagengesetz oder das Personenbeförderungsgesetz anwende. Bei der Anwendung des Personenbeförderungsgesetzes hätten wir hier aber eine induktive Zugsicherung, die so genannte Indusi, die Blocksicherung und für Fahrzeuge, die über 160 km/h fahren, auch noch die Linienzugbeeinflussung gehabt. Hätte man nicht eine zweigeteilte Genehmigung erteilen müssen, zum einen für den Versuchsbetrieb ohne Personenbeförderung und zum anderen für die Personenbeförderung, nämlich den quasi touristischen Betrieb mit regelmäßigen Verkehrszeiten und Fahrkarten, die man im Internet buchen konnte?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole: Im Eisenbahnbereich haben wir ebenfalls parallel und rechtlich gleichwertig Indusi und Zugleittechnik. Auch die Indusi verhindert Unfälle leider nicht.
Weil Sie es anfangs wieder sagten, weise ich erneut darauf hin, dass das Personenbeförderungsgesetz hier nicht einschlägig ist. Eine Behörde, die nicht einschlägige Gesetze anwendet, würden Sie als willkürlich bezeichnen.
Herr Präsident! Herr Minister, unabhängig von der Fragestellung, ob nun das Versuchsanlagengesetz oder das Personenbeförderungsgesetz die bessere Anwendungsgrundlage dargestellt hätten, frage ich vor dem Hintergrund der Medienberichterstattung, wonach verantwortliche Mitarbeiter der TVE Vorschläge zu einer besseren technischen Sicherung gemacht haben sollen, ob solche Vorschläge bekannt sind und, wenn ja, mit welcher Begründung diese Vorschläge nicht umgesetzt worden sind.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solche Vorschläge sind möglicherweise irgendjemandem gemacht worden, nicht aber der Landesgenehmigungsbehörde. Wir kennen solche Vorschläge bis heute überhaupt nicht. Ich bin deswegen dankbar, dass ich dies klarstellen kann, zumal immer wieder
durch die Presse geistert, es seien solche Vorschläge gemacht worden. Ich kann dies nicht ausschließen; aber sie sind nicht an Stellen des Landes herangetragen worden.
Da es vom Kollegen Hagenah in die Debatte eingeführt worden ist, weise ich darauf hin, dass die beiden Techniker des TÜV, die in Dresden einen Fachvortrag gehalten und dabei alle möglichen Aspekte betrachtet haben, als Mitglieder der Überwachungs-Arge keinen Anlass sahen, das Konzept vor Ort zu diskutieren oder zu beeinflussen. Insofern betrachte ich diesen Vorgang folgendermaßen: Dass auf Symposien über alles geredet und alles abgewogen wird, führt noch lange nicht zu konkreten Vorschlägen. Dies ist bedauerlich. Herr Kollege Lenz, wenn solche Vorschläge gemacht worden sein sollten, dann sind sie jedenfalls nicht an die Genehmigungsbehörde herangetragen worden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Ich kann nachvollziehen, Herr Minister Hirche, dass Sie so argumentieren, wie Sie es tun - aus meiner Wahrnehmung heraus eher defensiv -; denn nach der durch den Unfall ausgelösten Tragödie wird - dies zeichnet sich bereits ab -, wohl auch eine juristische Aufarbeitung der Haftungsfragen erfolgen. Natürlich spielt dann eine Frage die entscheidende Rolle, die, verkürzt formuliert, lautet: Wer ist schuld? - Es liegt auf der Hand, dass bei sogenanntem menschlichen Versagen ein oder mehrere Schuldige gefunden werden und dass die Schuldfrage an die Genehmigungsbehörde und an die Betreiber gestellt werden könnte.
Ich möchte nach dieser Vorbemerkung auf das Stichwort „Stand der Technik“ zurückkommen. Sie haben erläutert, dass der Stand der Technik bislang nicht vorsieht, dass neben manuellen Sicherungssystemen für diese Versuchsanlage auch vollautomatische Sicherungssysteme betrieben werden. Können Sie in Aussicht stellen, dass Sie als Minister, der sozusagen als oberste Genehmigungsbehörde dem zuständigen Landesamt vorsteht, eine Betriebserlaubnis für die Zukunft nur dann erteilen werden, wenn eine solche Kopplung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lennartz, die Haftungsprobleme in diesem Zusammenhang, auf die Sie hinweisen, beschäftigen die Presse ohnehin. Wie wir wissen, hat sich bis nach New York herumgesprochen, dass da möglicherweise die eine oder andere Auseinandersetzung zu erwarten ist. Lassen wir das einmal dahin gestellt, zumal der Staatsanwalt am 6. Oktober gesagt hat, es gebe bis jetzt überhaupt keine Anhaltspunkte für diese Haftungsdiskussion.
Zu Ihrer Frage darf ich sagen: Wir haben den Betreiber, die IABG, aufgefordert, für eine eventuelle neue Betriebsgenehmigung darzulegen, wie Unglücke, wie eines jetzt passiert ist, künftig vermieden werden können. Deswegen möchte ich als technischer Laie mich heute in diesem Zusammenhang nicht auf eine bestimmte Art festlegen. Vielmehr sehe ich diesen Vorschlägen entgegen. Wenn sie auf dem Tisch liegen, werden wir mit dem TÜV und den Experten diskutieren; denn dafür haben wir die technischen Experten, von denen im Grunde jeder in diesem Hause bei bestimmten technischen Details abhängig ist. Das entbindet nicht - das haben Sie völlig zu Recht gesagt - von der politischen Verantwortlichkeit in diesem Zusammenhang. Dennoch sollten wir uns nicht in technischen Fragen für schlauer als etwa die Experten des TÜV halten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Versuchsanlagengesetz sieht keine Aufsichtsbehörde vor. Hat das Landesministerium deshalb keine Kontrollen vorgenommen?
Meine Damen und Herren! Diesen Punkt muss man gesondert, neben den Sicherheitsfragen, betrachten. Das ist richtig. Nicht nur diese Landesregierung, sondern auch die Vorgängerregierungen haben die Genehmigung jeweils mit folgender Auflage erteilt: Die TÜV-Arge VME - Versuchsanlage Magnetschwebebahn Emsland - hat die Einhaltung der Betriebsvorschrift zu überwachen. Es ist also eine Regelung für die laufende Überwachung getroffen worden. Im Übrigen bedient sich das Land auch in den Fällen, in denen es die Aufsicht führt, zu ihrer Durchführung in der Regel des Sachverstandes Dritter, sodass auch hier das Ergebnis materiell das gleiche ist, auch wenn formalrechtlich die Regelungen unterschiedlich sind.
Herr Präsident! Herr Minister, Sie sprachen von neuen Überlegungen hinsichtlich der eventuell neu zu erteilenden Betriebserlaubnis. Ich frage Sie vor dem Hintergrund der Ausführungen, die Sie zu dem Thema „Stand der Technik und anerkannte Regeln der Technik“ gemacht haben, welche konkreten Veränderungen Sie hinsichtlich der zukünftig eventuell zu erteilenden Betriebserlaubnis vorsehen und inwieweit Sie gegebenenfalls Kontrollpflichten der Landesbehörde einbauen würden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Heiligenstadt, auch dazu wiederhole ich, dass wir jetzt ein Anhörungsverfahren haben. Wir haben den Betreiber gebeten - das finde ich nach wie vor den richtigen Gang -, uns darzulegen, wie durch ergänzende Maßnahmen jedenfalls solch ein Unfall vermieden werden kann. Wir werden das
prüfen. Dann wird die Landesbehörde sehen, ob und in welchem Umfang eine Genehmigung erteilt wird. Ich möchte wirklich um Verständnis dafür bitten, dass ich als technischer Laie nichts über Einzelheiten einer künftigen Regelung sagen kann und will. Dazu haben wir in diesem Lande Befugtere.