Protocol of the Session on August 22, 2018

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Hamburgerinnen und Hamburger! Das Resozialisierungsgesetz, wie es uns jetzt vorliegt, ist in sich inkonsistent, es ist fehlerhaft, und das auch in der Rechtssystematik. Das sollte nicht so bleiben. Deshalb wollen wir es zurücküberweisen an den Justizausschuss; das ist notwendig.

(Richard Seelmaecker)

(Beifall bei Heike Sudmann DIE LINKE)

Es kann doch nicht angehen, dass fünf von sechs Experten wirklich vehemente Kritik üben in den Beratungen im Justizausschuss, dass dann zwei dieser Experten einen Alternativentwurf vorlegen, der die Freien Träger stärkt, der in sich konsistenter ist – und da mag man ja unterschiedliche Rechtsauffassungen haben, aber dann bräuchten wir hier einen wissenschaftlichen Dienst, der das klärt, und nicht die Justizbehörde an sich –, und der Senat und die rot-grüne Koalition darauf nicht eingehen, sondern das ignorieren. Das ist einfach beratungsresistent, und das finden wir schlecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es müssen wirklich die Freien Träger gestärkt werden. Das haben Sie nicht genügend angelegt im Gesetz; nur das Übergangsmanagement zu stärken reicht nicht. Auch die Konkretisierung der therapeutischen Angebote, die Wohnraumsicherung, wie es die CDU vorschlägt, all das ist da nicht drin. Deshalb verstehe ich gar nicht – wir haben keinen Zeitdruck, den Haushalt kann man auch beschließen, wenn das Gesetz noch nicht gelegt ist –, warum wir das Gesetz nicht noch einmal zurücküberweisen können und es verbessern, eine Synthese aus den Vorschlägen des Alternativentwurfs, der guten Momente in Ihrem Entwurf und unserer Vorschläge, die darüber hinausgehen, was bis jetzt diskutiert worden ist, was Herr Maelicke und Herr Sonnen aber auch zum Teil mitgetragen haben oder Herr Pollähne in der Ausschussdiskussion, wie zum Beispiel Mindestlohn für Inhaftierte, oder eben, den offenen Vollzug noch weiter auszuweiten, was man flankierend machen könnte. Wir könnten das besser diskutieren, wenn Sie es einfach zurücküberweisen würden. Dann hätten wir Zeit dazu. Es besteht keine Not. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie die Rücküberweisung nicht wollen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Nockemann von der AfD-Fraktion, auch für zwei Minuten.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! 40 Prozent aller Straftäter werden innerhalb eines Jahres nach ihrer Entlassung wieder rückfällig. Diesem Effekt müssen wir begegnen durch ein integriertes und umfassendes Gesamtkonzept. Das gebietet nicht nur die Verfassung – das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch auf Resozialisierung in Verfassungsrang erhoben –, das gebietet eigentlich auch der Schutz der Bevölkerung.

In dieser Zielsetzung sind sich alle Fraktionen in diesem Hause einig. Und obwohl das so ist, hat der Senator mit diesem Gesetz wieder nur Stück

werk vorgelegt, wie wir es aus dem Hause Steffen nicht anders gewohnt sind.

Was wir brauchen und was dieser Entwurf eben nicht leistet, ist die Verzahnung von Resozialisierung während des Vollzugs – und selbst das bekommen Sie im Augenblick mit Ihrer Personaldecke nicht hin – mit einer umfassenden, intensiven und vernetzten Betreuung nach dem Vollzug. Denn gerade dort sieht sich der entlassene Häftling einer ungesicherten Zukunft und Wohnraumproblemen gegenüber. Diese Elemente wiederum sind mit der Opferhilfe als Gesamtkonzept zu verzahnen. Opferhilfe kommt bei Ihnen allerdings wieder einmal zu kurz, wie schon seit Jahrzehnten – wir alle wissen ja, dass bei Ihnen der Täterschutz vor dem Opferschutz kommt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bündelung der Zuständigkeiten in der Justizbehörde ist von den Sachverständigen angemahnt worden, sie ist allerdings nicht umgesetzt worden. Herr Senator Steffen, ich habe es wirklich selten erlebt, dass Sachverständige in einer Anhörung einen Gesetzentwurf dermaßen zerpflückt haben wie Ihren Gesetzwurf. Das war für mich schon ein einmaliges Erlebnis. Wir von der AfD folgen daher den Anträgen von FDP und CDU.

(Glocke)

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt Senator Steffen; Sie wissen, dass die Abgeordneten nur zwei Minuten hatten.

(Zurufe und Heiterkeit)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt die alte Vollzugsweisheit: Wer ins Gefängnis reingeht, kommt auch wieder raus. Jedenfalls stimmt das meistens.

(André Trepoll CDU: Das gilt auch für den Senator!)

Das klingt nach Absitzen, Durchhalten, Augen zu und durch. Aber tatsächlich verbindet sich mit dieser Zeit, wenn wir sie richtig nutzen, eine Riesenchance sowohl für die Straftäterinnen und Straftäter als auch für die Gesellschaft. Denn die entscheidende Frage ist: Wie kommen sie wieder raus? Der Vollzug hat die Aufgabe, Straftäterinnen und Straftätern zu helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen und ein integrierter Teil der Gesellschaft zu werden, und zwar ohne künftig Straftaten zu begehen und ohne weitere Opfer von Straftaten zu erzeugen.

Heute ist ein historischer Tag für den Hamburger Strafvollzug: Wir haben das Resozialisierungs- und

(Martin Dolzer)

Opferhilfegesetz vorliegen. Damit wird ein neues Kapitel des modernen Strafvollzugs aufgeschlagen. Wir sorgen mit diesem Gesetz dafür, dass alle Hilfsangebote an Gefangene, ambulant und stationär, wirksam ineinandergreifen. Der Ansatz ist: Wir wollen Gefangene nicht alleinlassen auf diesem Weg. Wir geben Hilfen an die Hand für den Weg in ein straffreies Leben. Wir verabschieden uns damit von dem Drehtürvollzug, also von dem Effekt, dass Leute, kurz nachdem sie aus der Haft entlassen werden, neue Straftaten begehen. Diesem Drehtürvollzug soll das Konzept entgegenwirken. Wir wollen dafür sorgen, dass nach einer Inhaftierung und einer Wiedereingliederung möglichst keine weiteren Straftaten begangen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dieser Ansatz schafft Sicherheit. Dieser Ansatz wirkt neuen Opfern von Straftaten entgegen. Das ist auch praktizierter Opferschutz.

Unser Ansatz ist bundesweit einmalig. Hamburg ist damit Vorreiter bei dem Thema Resozialisierung, und viele gucken auf unseren Entwurf,

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Und wundern sich!)

gucken auf unsere Erfahrungen, die wir jetzt am Anfang machen werden. Ich finde, darauf können wir als Hamburgerinnen und Hamburger stolz sein.

Die Resozialisierung ist natürlich auch jetzt schon selbstverständlicher Teil des Vollzugsplans, eine Aufgabe, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Anstalten sehr ernst nehmen. Das zeigen auch die Ausbildungserfolge unserer Betriebe. Aber wenn man davon spricht, dass Resozialisierung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, dann ist das eben keine leere Phrase, sondern es muss viel mehr hinzukommen als nur das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug. Auf der einen Seite der Vollzug und auf der anderen Seite die ganz wichtige Arbeit von vielen anderen Beteiligten.

Es ist angesprochen worden: Die Freien Träger haben eine sehr wichtige Rolle bei der Resozialisierung und insbesondere bei der Begleitung nach der Haftentlassung. Es gibt sehr gute Beispiele von Freien Trägern, die vor und nach der Haftentlassung tätig sind, etwa bei der Drogenhilfe. Genau auf diese bewährten Systeme greifen wir zurück, auf das Engagement der Bewährungshilfe und auf das System der Regelleistung auf der anderen Seite, was wir eng verzahnen müssen mit den speziellen Hilfen für Haftentlassene. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Aufgabe nicht nur von der Justizbehörde wahrgenommen wird, sondern auch von der BASFI, von den Bezirksämtern und all denjenigen, die dort tätig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Was ist mit Ihrem Wahlprogramm?)

Wir bewältigen diese Aufgabe, indem wir alle zusammenarbeiten, die Straffälligenhilfe, der Vollzug, die Freien Träger, Justiz- und Sozialbehörde und vor allem die Haftentlassenen selbst. Die Erfahrungen, die wir in den Modellprojekten gesammelt haben, zeigen: Wir handeln richtig, und die Zusammenarbeit in diesen Bereichen funktioniert.

Erfolgreiche Resozialisierungsprojekte wurden bislang befristet gefördert durch den Europäischen Sozialfonds. Mit diesem Gesetz werden wir diese Projekte verstetigen und flächendeckend fortsetzen. Wir sind damit unabhängig von Fördermitteln Dritter, von kurzen Förderperioden oder politischen Stimmungen. Das ist eine sehr wichtige Grundlage.

Daneben, das muss so deutlich gesagt werden, arbeiten wir natürlich auch an den anderen Stellschrauben zur Verbesserung des Vollzugs. Wir sind auf einem guten Weg. Die Talsohle, was das Personal betrifft, haben wir durchschritten. 2017 und 2018 haben wir mehr neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Vollzug gewinnen können, als uns verlassen haben. Deswegen werden wir natürlich auch im Rahmen des Resozialisierungsgesetzes die Personalsituation sehr sorgfältig berücksichtigen und auch hier zu Verstärkungen kommen.

(Beifall bei Phyliss Demirel GRÜNE)

Aber es hat auch etwas zu tun mit der Frage der räumlichen Situation. Wir haben uns über eine Menge von sehr wichtigen Modernisierungs- und Neubauprojekten intensiv unterhalten und zum Teil fraktionsübergreifend verständigt. Auch das leistet einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung.

Resozialisierung ist das Zeichen der Gesellschaft: Wir geben dich nicht auf. Hier und heute geht es um das Resozialisierungsgesetz. Wir haben in der Tat sehr engagierte und vielfältige Debatten geführt, unter Einbeziehung von vielen Expertinnen und Experten. Es sind sehr viele Ratschläge eingeflossen in den verschiedenen Stufen der Beratungen. Aber heute ist der Tag, wo es dann auch gilt, ins Handeln überzugehen und wegzukommen von der rein theoretischen Debatte, wo wir das Gesetz beschließen und tatsächlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die klare Grundlage geben, um ab 1. Januar mit den konkreten Maßnahmen beginnen zu können. Das Gesetz hat das Ziel, mehr Sicherheit zu schaffen, mehr Opferschutz zu schaffen. Und damit fangen wir jetzt an. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das war natürlich etwas länger als zwei Minuten. – Das Wort be

(Senator Dr. Till Steffen)

kommt Frau von Treuenfels-Frowein für die FDPFraktion, für zwei Minuten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist so wie immer: Herr Steffen stellt sich hier hin, feiert sich für etwas, geht natürlich nicht auf die Kritik ein. Aber er hat immerhin eine Sache geschafft, und dafür können Sie sich einmal abfeiern: Von den namhaften Experten, die Ihnen einen Alternativentwurf vorgelegt haben – die Sie normalerweise auch als Experten betrachten, wie Professor Maelicke und Professor Sonnen –, ist hier mit keinem Wort die Rede. Die haben Ihnen genau das vorgeschlagen, was wir Ihnen auch vorschlagen. Da schaffen Sie es doch wirklich, den Richterbund, den Weißen Ring, genau die Praktiker, die das vollziehen sollen, schön gegen sich aufzubringen. Da habe Sie wenigstens eine Sache hier gut geschafft; es ist nicht das erste Mal.

(Beifall bei der FDP)

Davon einmal abgesehen: Wenn Sie es vielleicht nicht schaffen, die Praktiker abzuholen, wie man so schön sagt, dann ist es doch ganz klar, dass das, was Sie, Frau Timm, hier vorgetragen haben, einfach falsch gewesen ist. Es ist nicht so, dass wir jetzt plötzlich mit diesen Forderungen gekommen sind, und unsere zentrale Forderung ist auch nicht nur, dass wir alles in der Justizbehörde gebündelt haben wollen. Sondern einen Opferschutzbeauftragten haben wir schon lange gefordert. Das können Sie nachlesen in der Zeitung. Opferschutzberichte jährlich zu erstellen haben wir auch schon lange gefordert.

(Zuruf von Farid Müller GRÜNE)

Wir hoffen, dass Sie endlich verstehen, wie wichtig das ist. Es nützt hier nichts, Schönwetterreden zu halten und uns alle noch einmal zu belehren, wie wichtig das Thema Resozialisierung ist, das wissen wir alle selbst. Es geht darum, dass Sie es wirklich fehlerfrei auf den Weg bringen. Denn wir haben alle dasselbe Ziel: Wir wollen den Opferschutz stärken. Wir wollen eine gute Resozialisierungspolitik in dieser Stadt verwirklichen. Und deswegen dürfen keine handwerklichen Fehler dieses Gesetz bestimmen.

Vielleicht denken Sie doch noch einmal darüber nach. Sie sind ja normalerweise beratungsresistent, wie wir wissen, aber vielleicht geschieht noch einmal ein Wunder und Sie bessern das Ganze etwas nach; Sie haben die Chance. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Tabbert von der SPD-Fraktion für zwei Minuten.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau von Treuenfels-Frowein! Immerhin waren wir die Einzigen, die vor ungefähr zwei Jahren, als das Ganze losging mit dem Eckpunktepapier im OLG, im Plenarsaal waren. Um Ihnen noch einmal in Erinnerung zu rufen, wie lange der Prozess schon geht: Wir haben in der Bürgerschaft eine Expertenanhörung gehabt im Justizausschuss. Wir haben sie ausgewertet. Bis dahin lagen leider noch keine Änderungsanträge der FDP vor. Es ist jetzt natürlich nicht so wahnsinnig glaubwürdig, wenn Sie an dem Tag, an dem wir vorhaben, das Gesetz zu verabschieden, zum ersten Mal ihre Vorschläge vorlegen.