Protocol of the Session on March 4, 2010

Dazu hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in der Tat gesagt: Die Rechtsgrundlage ist nicht in Ordnung, es handelt sich nicht um mautverdrängten Verkehr, sondern bei der B 3 und der B 252 handelt es sich um alte Handelsstraßen – das ist jetzt etwas vereinfacht gesagt, in meinen Worten –; dort gibt es keinen Ausweichverkehr wegen der Maut. Deswegen hat uns der Hessische Verwaltungsgerichtshof bestätigt, dass das nicht in Ordnung war.

Meine Damen und Herren, jetzt geht es genau um den Punkt: Wie kann ich beiden Belangen Rechnung tragen, dem Anwohnerschutz einerseits und der wirtschaftlichen Prosperität bei den Unternehmen andererseits?

Frau Kollegin Müller,deswegen ist Folgendes passiert.Als die Entscheidung aufgehoben worden war, habe ich angeordnet, dass auf der Basis einer Versuchsregelung der StVO drei Monate lang der Verkehr gezählt wird, um ausreichendes Datenmaterial für eine rechtssichere Lösung zu bekommen. Diese Klausel bedeutet, wir müssen zählen, um die tatsächliche Lärmbelastung zu ermitteln. Das ist drei Monate lang erfolgt. Das Ergebnis war, dass an nahezu allen Standorten der nächtliche Wert von 62 dB(A) überschritten wird. Deswegen haben die Bürger einen Rechtsanspruch darauf, dass hier etwas zu ihren Gunsten geschieht. Meine Damen und Herren, das habe ich verfügt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Auch das müssen Sie wissen: Gleichzeitig habe ich damals im November mit den Bürgermeistern darüber gesprochen, dass es zwei Phasen gibt – eine erste Phase, die drei Monate dauert, und danach eine zweite Phase, um bei Tag zu erleben und zu erfahren, wie sich die tatsächliche Verkehrsbelastung gestaltet.

Meine Damen und Herren, wenn heute von Ausnahmen gesprochen wird, so bezieht sich das darauf, dass in der Vergangenheit der Be- und Entladeverkehr nicht ausdrücklich der Einzelgenehmigungen bedurfte, sondern kraft Gesetzes erlaubt war. Ob es darüber hinaus Ausnahmebedarf gibt, wird jetzt geprüft. Das Regierungspräsidium in Kassel führt dazu eine Vielzahl von Gesprächen mit den Unternehmen, die davon betroffen sind. – Das ist der genaue Sachverhalt.

Lassen Sie mich deswegen zu diesem Punkt etwas sagen. Aufgrund der Tatsache, dass der Be- und Entladeverkehr kraft Gesetzes immer frei war, sagen die Unternehmen – und das kann ich nachvollziehen –, sie brauchen eine Ausnahmegenehmigung. Herr Frankenberger, es wird beklagt, dass das bürokratisch ist. Ja, aber es geht nicht anders. Das muss in jedem Einzelfall entschieden werden.

Deswegen will ich Ihnen jetzt zum Abschluss dieser Diskussion zwei Beispiele erzählen.Da kommt eine Molkerei und sagt:Ich muss an bestimmten Standorten irgendetwas einsammeln, um es dann an einem anderen Ort abliefern zu können.

Herr Staatsminister Posch, Sie denken bitte an die Redezeit.

Ja, ich komme zum Schluss. – Nach Lage der Dinge wird man dem stattgeben, denn das ist nachvollziehbar.

Wenn aber ein anderes Unternehmen, das Gefahrgut transportiert, ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung haben möchte,dann muss ich das genau prüfen;denn bei den Gefahrguttransporten ist vorgesehen, dass sie prinzipiell die Autobahn benutzen, und es wird als zumutbar angesehen, wenn dadurch der Weg doppelt so lang wird. Möglicherweise ist in diesem Fall die Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung nicht gegeben. Das werden wir haarfein diskutieren und dann im Interesse beider entscheiden – nämlich im Interesse der Anwohner und im Interesse der Unternehmen, die dort tätig sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Posch. – Damit ist Tagesordnungspunkt 53 behandelt.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 54 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Einladung von Herrn Sarrazin ins Hessi- sche Ministerium der Justiz, für Integration und Europa ist ein fatales Signal für die Integration in Hessen) – Drucks. 18/1979 –

Bevor wir in die Aussprache zu dieser Aktuellen Stunde eintreten, haben wir noch die Mündliche Frage 202 aufzurufen; so war es vereinbart. Frau Kollegin Wissler.

Ich frage die Landesregierung:

Was qualifiziert aus ihrer Sicht das Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin zur Teilnahme an einer Diskussionsrunde „Chancen und Grenzen der Integration“ im Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa?

Herr Staatsminister.

Sehr geehrte Frau Kollegin, unter dem Motto „Freiheit, die ich meine – Wiesbadener Diskurse“ will sich das Ministerium der Justiz, für Integration und Europa in einer neuen Veranstaltungsreihe mit den drei großen Aufgabengebieten des Ressorts befassen. Der Fokus soll hierbei auf die aktuellen, besonders aber auch auf die kontroversen Themen unserer Zeit gerichtet werden.

Der SPD-Politiker Thilo Sarrazin war vor seiner Tätigkeit als Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank unter anderem, nachdem er auch Minister im benachbarten Rheinland-Pfalz war, von Januar 2002 bis Ende April 2009 als Senator für Finanzen Mitglied des Berliner Senats. Er wurde – jedenfalls bei seiner ersten Wahl – mit den Stimmen der Sozialdemokraten und der Partei der LINKEN im Berliner Senat hierzu gewählt.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Zuruf von der FDP: Unglaublich!)

Bereits in dieser Eigenschaft äußerte er sich wiederholt zur Berliner Sozial- und Bildungspolitik. Seine Äußerungen insbesondere zur Frage der Integrationspolitik haben in der Öffentlichkeit ein breites und – das sage ich auch bewusst – kontroverses Echo ausgelöst. Dies gilt insbesondere für seine Äußerungen vom September 2009. Ich zitiere:

Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.

Die Reaktionen hierauf waren vielfältig und reichten von großer Empörung bis hin zu Zustimmung. Frau Kollegin Wissler, unterstützt wurde Sarrazin unter anderem vom Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Quelle ist das „Zeit“-Magazin vom 12. November 2009. Ich zitiere Herrn Schmidt jetzt nur sehr kurz. Da wir dann die Debatte haben,kann ich das dann noch länger tun.Ich zitiere Herrn Schmidt:

Wenn er sich ein bisschen tischfeiner ausgedrückt hätte, hätte ich ihm in weiten Teilen seines Interviews zustimmen können.

Auf jeden Fall war zu spüren, dass die vorgetragenen Thesen auch große Verunsicherung in weiten Teilen unserer Gesellschaft ausgelöst haben. Eine derartige öffentliche Diskussionsveranstaltung fußt auf der grundrechtlich in Art. 5 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit. Wie Diskussionsverbote und Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu bewerten sind, hat Leo Trotzki im Oktober 1938 wie folgt ausdrücklich festgehalten – ich zitiere –:

Vor unseren Augen haben wir das lebendige Beispiel einer solchen Dynamik mit der verabscheuungswürdigen Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Sowjetunion.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir haben den Integrationsprozess mit neuen Impulsen versehen. Ich möchte, dass es uns gelingt, in den nächsten Jahren die verschiedenen Kulturen als Bereicherung für unsere Gesellschaft im Bewusstsein zu verankern. Ich möchte, dass wir uns auf die Chancen des Integrationsprozesses konzentrieren und diese ausbauen. Deshalb dürfen wir Konfrontationen nicht aus dem Weg gehen, sondern müssen versuchen, Spannungen aufzugreifen, sie zu versachlichen und Ängste abzubauen. Dazu wird die genannte Diskussionsrunde, in der im Übrigen Herr Sarrazin nicht allein diskutiert, einen Beitrag leisten. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen zu dieser Veranstaltung in der nächsten Woche in die Räumlichkeiten des Justizministeriums herzlich ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE):Wir kommen!)

Herr Staatsminister, herzlichen Dank. – Frau Kollegin Wissler hat eine Zusatzfrage.

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, dass Leo Trotzki das eben von Ihnen zitierte Zitat im Kontext des Stalinismus in der Sowjetunion gesagt hat?

(Zuruf von der FDP:Was heißt das?)

Ich finde, es ist ein sehr gutes Zitat. Es macht deutlich, dass bei der Freiheit zunächst die Meinungsfreiheit aufgehoben wird, bevor andere Teile aufgehoben werden. Das wollte ich damit deutlich ausdrücken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Noch zu dem Trotzki, Frau Kollegin?

Nein, nicht mehr zu Trotzki. Ich frage nach Dingen, von denen ich glaube, dass der Minister sie besser beantworten kann. – Wie beurteilt die Landesregierung denn die Aussage von Thilo Sarrazin: „Türken erobern Deutschland genauso wie Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate“? Glaubt die Landesregierung, dass solche Äußerungen dem friedlichen Zusammenleben von Türken und Deutschen in Hessen zuträglich sind?

Die Landesregierung ist der festen Überzeugung, dass gerade auch über derartige Äußerungen eine kontroverse Diskussion geführt werden muss. Das ist das Ziel der Veranstaltung, die am kommenden Dienstag im Justizministerium stattfindet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Hermann Schaus.

Herr Minister – –

(Zuruf: Man hört nichts!)

Das Mikrofon geht offensichtlich nicht, Herr Präsident.

Daran kann ich nichts machen. Nehmen Sie das nebendran.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Qualifikation des Diskussionsteilnehmers unter anderem

darin besteht, dass er von SPD und LINKEN als Minister gewählt wurde?

(Lachen bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Schaus, ich muss gestehen, dass ich mir diese Frage so noch nicht gestellt habe.Aber eine spontane Antwort lautet: Das schließt es jedenfalls nicht aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist schon mal was!)