Bevor wir in die Debatte einsteigen, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe jetzt den Protokollauszug aus der früheren Debatte. Sagen wir es einmal so: Der Kollege Dr. Wilken hat auch Mathematik am Anfang studiert. Hätte der Kollege Klee gesagt: „Sie sind ein schwacher Mathematiker“, dann wäre das zulässig gewesen.Aber hier steht ganz ausdrücklich, dass er dazwischengerufen hat: „Schwachmatiker“. Das müssen wir allerdings, Herr Kollege Klee, auch im Angesicht Ihrer besonderen Würde als Alterspräsident rügen. Ich nehme an, Sie nehmen die Rüge an. Sie haben auch keine andere Möglichkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf die Antwort von Herrn Hahn eingehen. Ich denke, dass Sie damit den demokratischen Diskurs diskreditieren, wenn Sie Herrn Sarrazin in diesen demokratischen Diskurs einbeziehen.
Denn seine Aussagen sind nicht kontrovers, sondern rassistisch einzustufen. Darauf werde ich jetzt noch einmal eingehen.
(Allgemeine Heiterkeit – Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Jetzt vielleicht? – Zurufe von der FDP: Sagen Sie einmal „Test“! – Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Ich sage nicht alles, was Sie gerne möchten!)
Sie werden sie hören. Ob Sie sie alle verstehen, weiß ich nicht. Frau Kollegin Cárdenas, machen Sie das Pult noch ein bisschen höher.
Das geht nicht von der Zeit ab, sondern das geht vom Mikrofon ab. Machen Sie das doch einmal etwas höher.
Ich hatte zu der Antwort von Herrn Hahn gesagt, dass er meines Erachtens damit den demokratischen Diskurs diskreditiert, wenn er Sarrazin in diesen demokratischen Diskurs einbeziehen will. Ich denke, dass Sarrazins Aussagen nicht kontrovers zu beurteilen, sondern als rassistisch einzustufen sind. Das war meine kurze Anmerkung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde einberufen, weil wir das interkulturelle Zusammenleben in Hessen, aber auch das Integrationsministerium vor Schaden bewahren wollen.Wir glauben, dass es für die hessische Integrationspolitik nicht förderlich ist, wenn ausgerechnet Thilo Sarrazin ein Forum gegeben und mit ihm über die Chancen und Grenzen der Integration gesprochen wird.
Herr Minister Hahn, was versprechen Sie sich eigentlich von einer Diskussion mit einem Brandstifter, der sich immer wieder mit Angriffen auf Migranten und sozial Schwache hervortut?
Sie haben zu seinen angeblichen Qualifikationen etwas gesagt, aber nichts zu Ihren Motiven und Ihrem Abwägungsprozess, der hoffentlich stattgefunden hat, wieso Sie denken, dass damit die Gefahr für die hessische Integrationspolitik abgewendet werden kann.
Zum Hintergrund. Sie kennen vermutlich alle hier im Raum die Zitate, die in den letzten Tagen und Wochen durch die Presse gingen. Besonders aggressive sind die von den „kleinen Kopftuchmädchen“, von der Eroberung Deutschlands mit der türkischen Geburtenrate, vom Vergleich der IQs von Juden, Türken und Deutschen oder von der produktiven Funktion von Türken und Arabern
ausschließlich für den Gemüsehandel. Dass in Berlin allein 6.000 deutsch-türkische Unternehmer und Kleinunternehmer existieren, die nahezu 20.000 Arbeitsplätze geschaffen haben, muss Sarrazins Aufmerksamkeit – trotz seiner siebenjährigen Tätigkeit als Finanzsenator in Berlin – entgangen sein.
Auch Minister Hahn kennt natürlich die hessischen Zahlen. Im Jahr 2008 zählte der IHK-Bezirk Frankfurt 2.370 türkische Unternehmen, und damit liegen sie dort von allen ausländischen Unternehmen an zweiter Stelle. Aber das ficht Sarrazin nicht an. Es geht ihm schließlich nicht darum, Wahrheiten zu verbreiten. Auch mit Zahlen ist er nicht pingelig, so auch Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Er sagt, viele seiner Zahlen seien statistisch nicht belegbar. Was sagt Sarrazin dazu? – Wenn man keine Zahl habe,dann müsse man – Zitat – „eine schöpfen, die in die richtige Richtung weist, und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich halt mit meiner Schätzung durch“.
Solche Beleidigungen großer Bevölkerungsgruppen zielen darauf ab, Sündenböcke zu schaffen, zwischen Arbeitenden und Hartz-IV-Empfängern, zwischen Frauen mit und ohne Kopftuch, zwischen Ausländern und Deutschen zu spalten. Er steht damit in der Tradition von Koch mit seiner Warnung vor Burkas an hessischen Schulen und Irmer mit seinen Minaretten als politischen Symbolen.
Auch Sarrazin spricht vom Kopftuch als politischem Symbol und schürt damit – wie die zuvor genannten Politiker – Ängste in der Bevölkerung:Ängste vor einem Islam,der die Ursache für Terrorismus, Gewalt und die Unterdrückung von Frauen sein soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen eines Anfangsverdachts auf Volksverhetzung. Die NPD schlug Sarrazin hämisch als Ausländerbeauftragten vor. Die Bundesbank hat ihm einen der drei Zuständigkeitsbereiche entzogen. Aber unser Integrationsminister lädt ihn ein.
Herr Hahn, wenn Sie so einer Person eine Bühne bieten, dann verwechseln Sie Ministerium und Parlament mit einer Nachmittagstalkshow auf einem privaten Sender.
Womit ich nicht sage, dass dort Rassismus ungestraft davonkommen darf. Der Potsdamer Extremismusforscher Gideon Botsch des Moses Mendelssohn Zentrums hat die Positionen des ehemaligen Berliner Finanzsenators als eindeutig rassistisch eingestuft. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass solche abfälligen und pauschalisierenden Bemerkungen über Minderheiten rassistisch und gefährlich sind und in der Diskussion über die Weiterentwicklung einer hessischen Integrationspolitik nichts zu suchen haben.
Herr Minister Hahn, Sie haben Verantwortung. Damit Integrationsprozesse, wie es so schön heißt, auf gleicher Augenhöhe ablaufen können, braucht es auf dem Posten des Integrationsministers eine Person, die in Hessen als Vorbild auftritt, die die Rechte und Bedürfnisse der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund anerkennt, ihren Beitrag zum Zusammenleben würdigt, die sozioökonomischen und bildungsmäßigen Benachteiligungen anprangert und vor allem politische Entscheidungen herbeiführt, die diese abzubauen helfen.
Herr Hahn,angesichts der heute bekannt gewordenen,erschreckenden Zahlen des Entwurfs zum Berufsbildungsbericht ist Ihr Engagement umso wichtiger. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt bei nur 32 %, sonst bei 68 %. Selbst bei einem guten Schulabschluss haben sie deutlich geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz.Sie haben als Integrationsminister doch den Auftrag angenommen, die Richtlinien der Integrationspolitik in Hessen vorzugeben. Sie sollen im Zusammenwirken von Bildungs-, Sozial- und Integrationspolitik Querschnittsarbeit leisten, um dem „Sog der Misserfolge in prekären Vierteln“, wie die „FAZ“ heute schrieb, entgegenzuwirken.
Das tun Sie nicht. Wenn Minderheiten beleidigt werden, machen Sie stattdessen die Augen zu und folgen nicht Ihrer Maxime vom letzten Februar, als Sie sagten: „Wir wollen eine Kultur des Hinschauens praktizieren.“ DIE LINKE fordert Sie auf: Laden Sie Thilo Sarrazin wieder aus.Distanzieren Sie sich deutlich von seinen rassistischen Äußerungen. Nutzen Sie aber die Veranstaltung, um mit Migrantenorganisationen und allen Anwesenden eine Strategie zu entwickeln, wie in Hessen Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung der Boden entzogen werden können
ich bin sofort fertig –, in Schulen, in Betrieben, in den Medien und im öffentlichen Leben.Wir werden Sie dabei unterstützen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte hier jetzt gar nicht zu einer großen Verteidigung oder Kritik an Herrn Sarrazin ansetzen.Ich kann nur,wie man dieser Tage so schön sagt, erklären: Diese Äußerungen, wie er sie getätigt hat, sind nicht mein Duktus.
Ich denke, dass es sich gleichwohl lohnen würde, sich an anderer Stelle einmal mit seinen Thesen durchaus auseinanderzusetzen. Aber das ist hier nicht der Punkt. Die Frage, die die LINKEN aufgeworfen haben, lautet, ob die Einladung Herrn Sarrazins in das hessische Justizministerium ein fatales Signal für die Integration in Hessen darstellt. Das ist die Frage, um die es hier geht.