Eines gleich vorweg: Wir können ebenfalls damit leben, dass der Gesetzentwurf nicht von der SPD stammt. Herr Kollege Streibl, in Ihrer Argumentation ist mir Folgendes aufgefallen: Sie führen aus, in Bayern gebe es mehr Bürgerentscheide als anderswo. Führt das Ihr Ansinnen nicht ad absurdum und zeigt, dass wir bereits über ein Instrumentarium verfügen, das genutzt wird, handhabbar ist und Erfolg verspricht?
Der bayerische Bürgerentscheid ist handhabbar und wird genutzt. Damit der Volksentscheid noch mehr Erfolge erzielen kann, sollte mehr gemacht werden. Mir sind Gemeinden bekannt, in denen Bürgerentscheide durchgeführt werden, um einen Bürgerentscheid durchzusetzen. Das ist nicht im Sinne des Erfinders, da der erste Bürgerentscheid direkt zum gewünschten Erfolg führen sollte. Ein zweiter sollte dem ersten Bürgerentscheid nicht folgen. Hinterher wird der Bürgerentscheid wieder ausgesessen. Deswegen sind die vielen Bürgerentscheide in Bayern zwar schön, viele entstehen jedoch erst, weil der erste nicht erfolgreich war.
Für die Staatsregierung hat Herr Staatsminister Joachim Herrmann um das Wort gebeten. Herr Staatsminister, wir widmen uns heute voll der Kommunalpolitik.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns über die positive Bilanz der Bürgerentscheide in Bayern in den letzten Jahren, wenn ich das richtig sehe, zunächst einig. Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 ist in den letzten Wochen der Eindruck entstanden, alle seien gegen alles. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht - das gilt auch für die Bilanz der Bürgerentscheide in unserem Land -, wird von vielen Initiativen in Bayern ausdrücklich unterstrichen. Die Bilanz der letzten 15 Jahre für konkrete Projekte im Straßenbau, für Ortsumgehungen oder neue Einzelhandelsmärkte ist insgesamt ausgeglichen. Es gibt genauso viele Bürgerentscheide, die sich für ein Projekt ausgesprochen haben, wie Bürgerentscheide, die sich gegen ein Projekt ausgesprochen haben. Die Bürgerinnen und Bürger wägen sehr sorgfältig ab und bilden sich ein differenziertes Urteil.
In den letzten Jahren habe ich nicht sonderlich viele Fälle zur Kenntnis genommen, bei denen dem Willen des Bürgers nicht Rechnung getragen wurde. Dies darf nicht an formalen Kriterien wie der Bindungsdauer festgemacht werden. Dabei denke ich an den ersten ganz großen Bürgerentscheid in Bayern, bei dem sich die Münchner Bevölkerung für den Tunnel am Mittleren Ring ausgesprochen hat. Das ist alles längst vorbei, jedoch gibt es bis heute niemanden im Münchner Stadtrat, der die Wirksamkeit dieses Bürgerentscheides infrage gestellt hat. Formal ist die Bindung längst vorbei. Selbstverständlich fühlt sich dennoch die Mehrheit des Münchner Stadtrates an diesen Bürgerentscheid gebunden. Damals ist dies von der Münchner Bevölkerung so gewollt und beschlossen
worden. Jetzt erst, in der dritten Etappe, wird der letzte Teil des damaligen Bürgerentscheides umgesetzt.
Das ist ein Beispiel dafür, dass politische Mehrheiten in den kommunalen Gremien, egal wie sie gefärbt sind, die politische Bindungswirkung solcher Bürgerentscheide richtig einschätzen. Sie gehen mit diesen Bürgerentscheiden vernünftig um. Die Entscheidung für einen anderen Weg, der vom Bürgerentscheid abweicht, muss sich jeder Kommunalpolitiker sehr genau überlegen. Spätestens bei der nächsten Kommunalwahl muss er diesen Schritt gegenüber seinen Wählerinnen und Wählern rechtfertigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist auf Landesebene genauso. Für einen Volksentscheid auf Landesebene verbunden mit einem entsprechenden Gesetzentwurf gibt es keine rechtliche Bindungswirkung. Selbstverständlich überlegt sich der Bayerische Landtag jedoch ganz genau, was er tut. Ein oder zwei Jahre nach einem Volksentscheid mit der Mehrheit im Bayerischen Landtag das Gegenteil zu beschließen, wäre sehr problematisch.
Deshalb kommt es nicht darauf an, dass wir jetzt zusätzliche Fristen und noch engere Regularien beschließen. Im Vordergrund steht die politische Verantwortung der Bürger einerseits und der gewählten Mandatsträger andererseits. Aufgrund der positiven Erfahrungen, die wir alle und vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land mit den geltenden Regelungen für Bürgerentscheide gemacht haben, gibt es überhaupt keinen Anlass dafür, dass wir alle paar Jahre wieder an Einzelheiten herumbasteln und herumdoktern. Die Bürgerentscheide haben sich bewährt. Sie funktionieren gut. Wenn es vor Ort einen Streit gibt, muss er vor Ort auf kommunaler Ebene ausgetragen werden. Wir müssen nicht immer dann, wenn es in irgendeiner Gemeinde hakt, mit gesetzlichen Regelungen im Landtag nachbessern. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Gesetzentwürfe abzulehnen und mit den gegenwärtigen bewährten Gesetzesregelungen weiterzuarbeiten.
Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Tagesordnungspunkte wieder getrennt. Ich bitte die Plätze einzunehmen, damit wir abstimmen können.
Ich lasse zunächst über den Tagesordnungspunkt 13 abstimmen. Der Abstimmung liegt der Gesetzentwurf der Fraktion der Freien Wähler auf Drucksache 16/3678 zugrunde. Der federführende Ausschuss für
Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/6683 die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der Freien Wähler, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Frau Kollegin Dr. Pauli. - Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Die Fraktionen der CSU und der FDP. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
Nun lasse ich über Tagesordnungspunkt 14 abstimmen. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf der berichtigten Drucksache 16/3935 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/6689 wiederum die Ablehnung. Wer dagegen dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Fraktionen der Freien Wähler, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Frau Kollegin Dr. Pauli. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Die Fraktionen der CSU und der FDP. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf ebenfalls abgelehnt.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Joachim Hanisch und Fraktion (FW) zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und des Bezirkswahlgesetzes (Drs. 16/3486) - Zweite Lesung
Gesetzentwurf der Abgeordneten Thomas Hacker, Dr. Andreas Fischer, Tobias Thalhammer u. a. und Fraktion (FDP), Christian Meißner u. a. (CSU) zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes (Drs. 16/3557) - Zweite Lesung
Änderungsantrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Dr. Andreas Fischer, Jörg Rohde u. a. (FDP), Christian Meißner u. a. (CSU) (Drs. 16/5202)
Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes sowie des Bezirkswahlgesetzes (Drs. 16/3661) - Zweite Lesung
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von fünf Minuten vereinbart. Erste Wortmeldung für die Freien Wähler: Herr Kollege Hanisch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es darum, wie wir die Stimmen, die eine parteiliche Gruppierung bekommen hat, in Sitze umwandeln. Wie sorge ich dafür, dass ein Ausschuss, ein Arbeitskreis oder was auch immer das Spiegelbild des Plenums des Stadt- bzw. Gemeinderats darstellt? Dazu gibt es verschiedene Verfahren. Bisher hatten wir fast überall das d’Hondtsche Verfahren angewandt. Für mich ist es ein Meilenstein, dass sich in diesem Hause alle Fraktionen zumindest darüber einig sind, dass wir dieses d’Hondtsche Verfahren in Zukunft nicht mehr haben wollen. Das konnte man vor einigen Jahren in der Form noch nicht erwarten.
Jetzt geht es darum, welches der anderen Verfahren das bessere ist. Für welches sollen wir uns entscheiden? Hierzu haben die Freien Wähler eine klare Auffassung. Wir sind der Meinung, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers besser ist. Wir fordern deshalb, dass dieses Verfahren eingeführt wird. Wir sind der Auffassung, dass das Verfahren nach HareNiemeyer wesentlich besser als das d’Hondt’sche Verfahren und mit dem Verfahren nach Sainte-Laguë/ Schepers vergleichbar ist. Bei einer Erhöhung der Gesamtsitzzahl könnte aber nach dem Hare-NiemeyerVerfahren ein Sitz verloren gehen. Sie können jetzt sagen, das sind nur Details. Wenn wir aber schon die Möglichkeit haben, die Verfahren neu zu regeln, sollten wir das Verfahren nehmen, das sich in den letzten Jahren konsequent durchgesetzt hat. Dafür plädieren wir ausdrücklich.
Meine Damen und Herren von der CSU und der FDP, Sie haben mit Ihren Stimmen im Bundestag dafür gesorgt, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers eingeführt wird. Sie haben im Europäischen Parlament mitgestimmt, als dort ein neues Verfahren gewählt wurde, und Sie haben sich auch dort - ich nehme an, aus gutem Grund - für das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers eingesetzt. Sie haben somit dafür gesorgt, dass dieses Verfahren jetzt in der Europäischen Union und auch im Bundestag gilt. Wenn Sie sich § 25 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag anschauen, finden Sie auch dort für die Ausschussbesetzung das Verfahren nach SainteLaguë/Schepers.
Nachdem wir dieses System auf allen Ebenen eingeführt haben, ist es für uns in gewisser Form unlogisch, dass auf kommunaler Ebene plötzlich das Verfahren nach Hare-Niemeyer eingeführt wird. Unser Gesetzentwurf ist deshalb sehr eindeutig. Wir sprechen uns für das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers aus. Nachdem wir aber nach den Beratungen in den Fraktionen befürchten, dass unser Antrag keine Mehrheit finden wird, werden wir auch dem Gesetzentwurf der FDP und der CSU zustimmen, weil uns die zweitbeste Lösung allemal mehr Wert ist als dieses wohl zu den Akten zu legende d’Hondt’sche Verfahren. Deshalb stimmen wir auch dem Antrag der CSU zu.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hanisch, vielen Dank für die Ankündigung, dass Sie nachher dem Gesetzentwurf von FDP und CSU zustimmen. Dazu aber eine kleine Korrektur fürs Protokoll: Sie hatten überschwänglich damit begonnen, dass wir nicht nur über die Verteilung der Sitze des jeweiligen Kommunalparlaments, sondern auch über die Verteilung der Ausschusssitze reden. Das ist heute gerade nicht Gegenstand der Debatte. Das wollte ich für das Protokoll richtigstellen.
Uns eint aber die Freude darüber, dass wir das erstoder zweitbeste, aber auf keinen Fall das drittbeste Verfahren, welches bisher noch gilt, anwenden wollen. Das Verfahren nach d’Hondt ist ein zwar zulässiges Verfahren. Zumindest fühlen sich aber kleine Parteien bei diesem Verfahren das eine oder andere Mal benachteiligt, sodass wir uns darüber freuen, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner den Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes auf den Weg bringen und damit das Verfahren nach Hare-Niemeyer festschreiben konnten.
Jede politische Ebene, sei es der Bundestag, das Europaparlament oder auch wir, ist berechtigt, das Verfahren zu ändern. Wenn wir heute das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers einführen würden, könnten wir es morgen vielleicht schon wieder ändern, weil an anderer Stelle ein anderer Beschluss gefasst wird. Die Sitze für den Bundestag werden aber nach HareNiemeyer ausgezählt. Auch die Sitze im Landtag werden nach Hare-Niemeyer ausgezählt. Deswegen ist in Bayern auch ein Prozess geführt worden. Insofern befinden wir uns durchaus im Kanon mit den anderen Ebenen über uns, wenn wir für die Kommunalwahlen Hare-Niemeyer vorschreiben. Dieses Verfahren ist durchaus eine der zu wählenden Optionen. Wir freuen uns darüber, dass wir dieses Gesetz noch vor Weih
nachten verabschieden können. Logischerweise können wir damit dem Gesetzentwurf der Freien Wähler nicht nähertreten, wobei wir natürlich wissen, dass die Auszählmethode zu nahezu gleichen Ergebnissen führt. Die beiden Verfahren unterscheiden sich wirklich nur in Nuancen.
Der wesentliche Punkt, der uns eint, ist die Abkehr vom d´Hondtschen System. Wie das später einmal in den Ausschüssen bei der nachgelagerten Entscheidungsfindung ist, ist an anderer Stelle zu beraten. Da freue ich mich auch auf die Diskussion.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rohde hat es schön erklärt. Aber ich war so schlecht in Mathematik, dass ich mich sehr ungern in diese Zählerei hineinbegebe. Es ist ein Beitrag zum großen Werk der Umsetzung des Koalitionsvertrages. Wir bitten um Zustimmung und freuen uns über die politische Klugheit der Freien Wähler, uns da zu folgen.
Ich darf nun das Wort für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Tausendfreund erteilen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es nicht zu hoffen gewagt, dass ich es noch erleben werde, dass wir das d´Hondtsche Verfahren als Auszählungsverfahren tatsächlich bis zur nächsten Kommunalwahl abschaffen.
(Beifall der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE) - Jörg Rohde (FDP): Sehen Sie, kaum sind wir wieder da …!)
Damit enden tatsächlich die ungleich gewichtete Verteilung in den Kommunalparlamenten, die Verzerrungen bei der Zusammensetzung zugunsten der großen Parteien und zulasten der kleinen Parteien. Hier hat es in der Vergangenheit wirklich erhebliche Verzerrungen gegeben. Es ist von uns und von der FDP mehrfach gegen das Verfahren nach d’Hondt geklagt worden. In Bezug auf die Landtagswahlen und die damit verbundene siebenfache Anwendung von d’Hondt hatte die Klage der FDP Erfolg. D’Hondt ist für die Landtagswahlen untersagt worden. Die Landtagswahlen werden deshalb schon seit einiger Zeit
nach Hare-Niemeyer ausgezählt, aber eben nicht die Kommunalwahlen. Da hat das Verfassungsgericht gesagt, das Verfahren nach d’Hondt sei gerade noch verfassungsgemäß.
Nach der letzten Kommunalwahl hat es wieder erhebliche Verzerrungen gegeben. Es wurde eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die leider abgelehnt worden ist. Diese Klage ist sehr gut aufbereitet und zeigt sehr deutlich, wie groß die Verzerrungen tatsächlich gewesen sind. Es gab in der Regel Abweichungen um ein bis zwei Sitze. Solche erheblichen Abweichungen kann man bei Gremien mit beispielsweise 30, 50 oder 60 gewählten Mandatsträgern nicht durchgehen lassen.
Wir haben heute ein gesetzgeberisches Kuriosum: Es gab den Gesetzentwurf der Freien Wähler für das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers, dann - nur bezogen auf die Gemeindewahlen und Landkreiswahlen - den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Ferner gab es unseren, den Gesetzentwurf der GRÜNEN, der sich auf alle kommunalen Ebenen bezogen hat, also auch auf die Bezirkstage. Dann kam ein nachgeschobener Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Im Innenausschuss haben wir uns darauf geeinigt, dass die Koalitionsfraktionen ihren Gesetzentwurf entsprechend unserem Gesetzentwurf ändern. Wir haben dann auch unseren Gesetzentwurf wieder angepasst, sodass wir heute einen Gesetzentwurf der GRÜNEN und einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen parallel haben, die beide heute beschlossen werden. Sie sind identisch. Ich sage das, weil vorhin immer nur vom Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen die Rede war.